08_Aufbau_eines_sozi..

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OSZ – MOL · Abteilung 4
Wirtschafts- und Sozialkunde
Seite 1
Thema: Die DDR - Aufbau eines
sozialistischen Staates
(Christoph Kleßmann)
Name:
Klasse:
Datum:
Gruppe 2
Quelle: Informationen zur politischen Bildung (Heft 256)
1. Der 17. Juni 1953
Mit dem „Aufbau des Sozialismus“ wurde auch das Tempo der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen
Umgestaltung erheblich beschleunigt. Zugleich wurde die Abschottung der DDR vom Westen vorangetrieben.
Unmittelbar nachdem in Bonn die Deutschland- und EVG-Verträge unterzeichnet worden waren, erließ die DDRRegierung am 27. Mai 1952 eine Verordnung „über die Einführung einer besonderen Ordnung an der
Demarkationslinie“. Fortan wurde die Westgrenze (mit Kontrollstreifen, Schutzstreifen und Sperrzone) scharf
bewacht.
Zur politischen Umgestaltung gehörte auch die Abschaffung des Föderalismus. Die fünf Länder wurden durch 14
Bezirke und 217 Kreise ersetzt. Aber nicht nur der politische Druck auf die Bevölkerung wurde härter. Auch
wirtschaftlich hatte die ehrgeizige und völlig überzogene Zielsetzung mit einseitiger Bevorzugung der
Schwerindustrie gegenüber der Konsumgüterversorgung und mit dem Beginn der Kollektivierung der
Landwirtschaft (Übergang von der privatbäuerlichen zur genossenschaftlichen Organisation) fatale Folgen.
Verbunden mit steigenden Rüstungslasten und einer wachsenden Militarisierung der Gesellschaft (Kasernierte
Volkspolizei als Vorstufe einer Armee) ergab sich Ende 1952 eine Krisensituation, die bald außer Kontrolle geriet.
Diese Konstellation gehört zur Vorgeschichte des ersten großen Aufstandes im sowjetischen Machtbereich nach
1945, der Erhebung vom 17. Juni 1953 in Ost-Berlin und in der ganzen DDR.
Als Stalin im März 1953 starb, herrschte in Moskau zunächst Unklarheit über die politische Linie. Stalins
Nachfolgern wurde jedoch schnell bewusst, dass eine politische und ökonomische Kursänderung notwendig war.
In der DDR sperrte sich die SED-Führung zunächst gegen eine solche Entspannung und setzte ihren Kampf um
Erhöhung der Arbeitsnormen (Arbeitsleistung pro Zeiteinheit) bei der Arbeiterschaft ebenso fort wie die politischen
Auseinandersetzungen mit der Kirche. Erst im Mai 1953 erzwang die Moskauer Führung die Durchsetzung des
„Neuen Kurses“, weil sie die Krisensituation in der DDR realistischer einschätzte als die deutschen Genossen. Die
erst 1990 im Wortlaut bekannt gewordenen Direktiven beinhalteten vor allem eine Änderung der Politik gegenüber
Bauern und Mittelstand, eine bessere Konsumgüterversorgung, die Einstellung des Kampfes gegen die Kirche
und einen anderen Umgangsstil der politischen Führung gegenüber der Bevölkerung.
Zu dieser Zeit machten sich unter den Arbeitern in der DDR vereinzelt jedoch bereits Unruhen in Form von kurzen
Arbeitsniederlegungen und Protesten bemerkbar. Am 9. Juni 1953 verkündete das Politbüro offiziell den „Neuen
Kurs“ und stellte damit beträchtliche Situationsverbesserungen für die Bevölkerung in Aussicht, hielt jedoch an
der vorgesehenen Erhöhung der Normen für die Arbeiter um 10 Prozent fest. Rein volkswirtschaftlich betrachtet
war diese Forderung nach Steigerung der (viel zu niedrigen) Arbeitsproduktivität zwar richtig, wenn es mit der
Wirtschaft aufwärts gehen sollte. Das Festhalten an der geplanten Normerhöhung bei gleichzeitigen politischen
Lockerungen und Zugeständnissen an den Mittelstand und die Bauern (Wiederzulassung geschlossener
Einzelhandelsgeschäfte, Aufhebung von Zwangsmaßnahmen bei der Steuereintreibung, Rückkehrangebote für
„Republikflüchtlinge“, Wiederzulassung relegierter Oberschüler und Studenten) schufen aber eine explosive
Situation, aus der sich der Aufstand vom 17. Juni entwickelte.
2. Ausbruch der Unruhen
Die ersten, die auf die Straße gingen, waren die Bauarbeiter der Stalin-Allee in Berlin, des Vorzeigeprojektes
künftiger „sozialistischer Wohnkultur“. Sie zogen am Vormittag des 16. Juni in einem Demonstrationszug vor das
Haus der Ministerien und verlangten nach Verhandlungen mit der Regierung. Als einziger fand sich
Industrieminister Fritz Selbmann zu einer Rede vor den Massen bereit, in der er unter anderem die Rücknahme
der Normerhöhung verkündete. Die Stimmung war jedoch bereits so politisiert, dass er ausgepfiffen wurde. Es
gab Rufe nach Rücktritt der Regierung und Generalstreik. Die Nachricht von der Demonstration verbreitete sich
durch Kuriere und westliche Medien rasch über nahezu die ganze DDR.
An den folgenden Tagen, vom 17. bis 21. Juni, entwickelten sich - nach heutigem Kenntnisstand - in über 560
Orten der DDR Demonstrationen, Streiks, Belegschaftsproteste, Gewalttätigkeiten. Die Schwerpunkte lagen in
den traditionellen Hochburgen der deutschen Arbeiterbewegung (insbesondere Halle-Bitterfeld, Leipzig). Als am
Mittag des 17. Juni sowjetische Panzer in Berlin und anderen Städten rollten und der Ausnahmezustand verhängt
wurde, ging der offene Teil der Aufstandsbewegung (mit etwa 50 Toten) schnell zu Ende, die Unruhen in den
Betrieben und zum Teil auch auf dem Lande dauerten in verschiedenen Formen jedoch noch stellenweise bis in
den Monat Juli.
Die Forderungen der Aufständischen waren keineswegs einheitlich. Dennoch wurden überall neben
sozialpolitischen und wirtschaftlichen Zielen nachdrücklich politische Forderungen gestellt, die auf freie Wahlen,
Rücktritt der Regierung, Einheit Deutschlands und politische Freiheit zielten. In einem Schüttelreim in Merseburg
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Thema: Die DDR - Aufbau eines
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(Christoph Kleßmann)
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wurden diese Forderungen nach Ablösung der politischen Spitze (Parteichef Walter Ulbricht, Staatspräsident
Wilhelm Pieck und Ministerpräsident Otto Grotewohl) gebündelt: „Spitzbart, Bauch und Brille, sind nicht des
Volkes Wille“.
3. Scheitern des Aufstandes
Nach der Niederschlagung des Aufstandes begann die Verfolgung der „Rädelsführer“. Nach einem sowjetischen
Bericht vom Herbst 1953 waren insgesamt 7663 Personen im Zusammenhang mit dem Aufstand verhaftet
worden, der größte Teil aber wurde wieder freigelassen. 1240 Teilnehmer wurden verurteilt (darunter 1090
Arbeiter). Später kamen noch mehrere hundert Ermittlungsverfahren hinzu, so dass insgesamt 1526 Angeklagte
verurteilt wurden (davon zwei zum Tode, drei zu lebenslänglicher und 13 zu 10 bis 15 Jahren Zuchthausstrafe).
Das Bild vom 17. Juni hat sich nach der Erschließung neuer Quellen seit 1990 deutlich gewandelt. Vor allem ist
die Breite der Streik- und Aufstandsbewegung klarer sichtbar geworden. Zwar ist unstrittig, dass die
Arbeiterschaft die Initiative ergriff und der Motor der Unruhe war, aber auch Teile des städtischen Mittelstands,
der Landbevölkerung und selbst der Intelligenz (Geistesarbeiter) schlossen sich an. Aus der starken Betonung
der politischen Forderungen ist auch die Charakterisierung des Aufstandes als „gescheiterte Revolution“
abgeleitet worden. So kontrovers die Urteile im einzelnen nach wie vor sein mögen, die zentrale Bedeutung
dieses Ereignisses für die DDR - aber auch für die gesamtdeutsche Geschichte - ist unstrittig. Die SED versuchte
daher, den Aufstand zum „faschistischen Putsch“ umzuinterpretieren.
Welche langfristigen Folgen hatte diese tief greifende Systemkrise von 1953? Zum einen ist die gewaltsame
Niederschlagung einer spontanen Revolte eine nachhaltige Risikoerfahrung für die Bevölkerung gewesen. In
künftigen Krisen sollte sich diese Erfahrung auf das politische Verhalten auswirken. Dass in der
Entstalinisierungskrise von 1956 die Arbeiter in der DDR anders als in Polen oder Ungarn im wesentlichen ruhig
blieben, hing damit zusammen. Zum anderen aber war der Aufstand der „führenden Klasse“ gegen ihre „Vorhut“
für die SED ein Schockerlebnis, das bis zum Ende des Arbeiter-und-Bauern-Staates nachwirkte. An der
politischen Linie, die 1952 auf der Zweiten Parteikonferenz formuliert worden war, hielt die SED zwar auch künftig
fest. Insofern bedeutete der „Neue Kurs“ keine prinzipielle Richtungsänderung. In der politischen Praxis aber ging
man vorsichtiger und flexibler vor. Durch rechtzeitige Zugeständnisse sollte ebenso wie durch die Organisation
von Kampfbereitschaft (der 1952 begonnene Aufbau von Betriebskampfgruppen wurde systematisch
vorangetrieben) eine Wiederholung derartiger systemerschütternder Krisen verhindert werden. Die Angst der
Machtelite vor der aufmüpfigen Basis aber blieb. Noch am 31. August 1989 fragte der DDR-Minister für
Staatssicherheit, Erich Mielke, seine Untergebenen: „Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?“
4. Vorübergehende Stabilisierung 1956
Der „Neue Kurs“ trug zwar zu einer gewissen Beruhigung und innenpolitischen Stabilisierung bei, so dass die
Zahl der Flüchtlinge in die Bundesrepublik 1954 deutlich sank (184.000 gegenüber 331.000 im Jahre 1953). Der
Schock des Aufstandes veranlasste die SED jedoch zugleich zu einer gezielten Auswechslung des Personals in
den eigenen Reihen und in den Massenorganisationen. So schieden 60 Prozent der 1952 gewählten SEDBezirksleitungen und 70 Prozent der Ersten und Zweiten Kreissekretäre aus. Beim FDGB wurden insgesamt rund
71 Prozent des Leitungspersonals (auf allen Ebenen) ersetzt.
Im Konflikt mit der evangelischen Kirche eröffnete die Einführung der Jugendweihe 1954 eine neue Kampffront.
Beide Kirchen lehnten zunächst die Teilnahme an dieser atheistisch geprägten staatlichen Zeremonie für
Jugendliche strikt ab und verweigerten denen, die daran teilnahmen, die kirchliche Konfirmation bzw.
Kommunion. Auf lange Sicht ging dieser Kampf jedoch für die evangelische Kirche verloren, während die
zahlenmäßig nur sehr kleine katholische Kirche an der Unvereinbarkeit festhielt. Für die Familien hatte das oft
erhebliche Konsequenzen. Jugendliche, die die Jugendweihe verweigerten, mussten mit erheblichen Nachteilen
für ihr schulisches und berufliches Fortkommen rechnen, so dass ihre Eltern sich häufig dem staatlichen Druck
beugten. Zwischen 1956 und 1959 stieg der Anteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Jugendweihe von
26 auf 80 Prozent, 1959 ging nur noch etwa ein Drittel der Jugendlichen eines Jahrgangs zur Konfirmation. In den
sechziger Jahren sahen sich daher die evangelischen Landeskirchen zu einer weicheren Haltung veranlasst und
duldeten die Teilnahme an der staatlichen Zeremonie auch für kirchliche Konfirmanden.
Da die Regierung einige Preise für Lebensmittel, die außerhalb der offiziellen Kartenzuteilung in den Geschäften
der Handelsorganisation (HO) erhältlich waren, senkte sowie die Produktion der Schwerindustrie zugunsten der
Konsumgüterindustrie reduzierte, und da die Sowjetunion ab 1954 ihre Reparationen in der DDR einstellte,
verbesserte sich die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung langsam, wenngleich der Lebensstandard weit hinter
den Versprechungen der SED und hinter dem Niveau Westdeutschlands zurückblieb.
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