r 95 Die „Volksdemokratie“ in der DDR Historische Grundlagen Dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgte 1945 die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen sowie die Abtretung der Gebiete östlich von Oder und Neiße an Polen und an die Sowjetunion. Die sowjetische Besatzungszone (SBZ) umfasste das Gebiet der heutigen Bundesländer MecklenburgVorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen sowie die östliche Hälfte Berlins. Als sich ab 1946 der Ost-West-Konflikt allmählich zum „Kalten Krieg“ vertiefte und die Trennungslinie zwischen beiden politischen Blöcken durch Deutschland verlief, orientierten sich die Westzonen und die sowjetische Zone zunehmend an den Führungsmächten der beiden Blöcke, den USA und der UdSSR, und übernahmen deren Wirtschafts-, Sozial- und politisches System. So erhielt die DDR nach ihrer Gründung am 7. 10. 1949 zunehmend ein sozialistisch-kommunistisches System. In der DDR gab es drei Verfassungen, die jeweils auch die Entwicklung hin zum Sowjetkommunismus widerspiegelten. Die Verfassung von 1949 enthielt noch viele bürgerlich-demokratische Elemente. Sie reflektierte damit einerseits ein Übergangsstadium hin zur sozialistischen Gesellschaftsordnung und sollte andererseits auch für die Westzonen so attraktiv sein, dass eine Wiedervereinigung der vier Zonen unter „östlichen“ Vorzeichen möglich erschien. In den 50er- und 60er-Jahren wurde eine Wiedervereinigung unwahrscheinlich. Im Innern entwickelte sich die DDR in Richtung Sowjetkommunismus: Verstaatlichung der Industrie, Kollektivierung der Landwirtschaft, Umgestaltung zum sozialistischen Bildungswesen, Ausrichtung von allen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen auf die SED als führende Partei; Einbindung der DDR in das Bündnis- und Wirtschaftssystem der Sowjetunion. Die Realität hatte sich also dramatisch von der Verfassungsnorm entfernt. Die zweite Verfassung von 1968 vollzog diese Entwicklung konstitutionell nach und proklamierte eine sozialistische Gesellschaftsordnung unter der SED-Führung. Unter Staatschef Erich Honecker wurde im Rahmen einer Verfassungsnovelle 1974 die gesellschaftliche Ausgestaltung des Sozialismus konkretisiert. Die politische Wende von 1989/90 und die Wiederverei- 96 r Die „Volksdemokratie“ in der DDR nigung Deutschlands verliefen so schnell, dass keine neue Verfassung mehr ausgearbeitet wurde. Am 3. 10. 1990 wurde für das Gebiet der neuen Bundesländer das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Das politische System der DDR Der Marxismus-Leninismus als ideologische Basis Die Grundlage des politischen Systems der DDR wurde in Art. 1 der ab 1974 gültigen Verfassung eindeutig formuliert: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen“. Aus diesem zentralen Satz lassen sich alle wesentlichen Elemente der Staatlichkeit und des politischen Systems der DDR ableiten. • Sozialismus als Ziel: Alles staatliche, wirtschaftliche Handeln sollte sich der Zielsetzung „Sozialismus“ unterordnen. Unter diesem Begriff verstand man in der DDR ein Staatssystem, das auf den Lehren von Karl Marx und Wladimir I. Lenin beruhte, also letztlich das Modell der UdSSR auf deutsche Verhältnisse übertragen sollte. Elemente dieses Modells waren: Staatseigentum in der Wirtschaft, zentrale Planung der Wirtschaft, Vorherrschaft der kommunistischen Partei als derjenigen Kraft, die den Kommunismus verwirklicht und sich als Vertreterin der großen Masse des Volkes versteht und diese leitet. • Zweistaatlichkeit in Deutschland: Die DDR ging von einer deutschen Nation aus, die sich jedoch in zwei Staaten manifestierte, wobei der sozialistischen DDR die Zukunft gehörte. • Gesellschaftsstruktur: Während man für Westdeutschland von verschiedenen sich bekämpfenden Klassen ausging, gehörten in der DDR fast alle Menschen zu den Werktätigen, egal ob Arbeiter, Bauern, Lehrer oder Künstler. Die Arbeiter sollten jedoch die Führung des Staates übernehmen, während die anderen Gruppen mit ihnen verbündet waren. • SED als führende Partei: Entsprechend den Lehren Lenins ist die große Masse der Arbeiter zunächst noch nicht in der Lage, einen Staat und seine Teile zu führen. Dies ist erst nach einer längeren Übergangszeit möglich, wenn alle ein sozialistisches Bewusstsein entwickelt haben und vor „Anfeindungen“ seitens der „Klassenfeinde“ (also hier besonders des kapitalistischen Westens) gefeit sind. Solange musste die Partei der Arbeiter, also Die „Volksdemokratie“ in der DDR r 97 die SED, quasi treuhänderisch die Führung von Staat und Gesellschaft übernehmen. Hieraus resultierte die Rechtfertigung, ja die Notwendigkeit, dass die SED den Staat führte und andere Gruppierungen sich ihr anschlossen. Dies bedeutete nach Meinung der SED jedoch keine Diktatur, da objektiv, d. h. entsprechend den historischen Gegebenheiten, die Interessen der Werktätigen und der SED weitgehend identisch waren, weil z. B. der Gegensatz von Kapitalist als Ausbeuter und Arbeiter als Ausgebeutetem wegfiel, denn über das Staatseigentum gehörte den Arbeitern quasi schon alles. Strittig konnte also nur die Methode zur Erreichung eines als richtig vorgegebenen Ziels sein. Die SED als führende Partei Aufgrund der genannten Rolle der SED für den Staat stellte sich die Frage nach der inneren Organisation und der Willensbildung innerhalb der Partei. Hier galten folgende leninistische Prinzipien: • Demokratischer Zentralismus, • Territorialprinzip, • Produktionsprinzip, • kollektive Leitung und • innerparteiliche Demokratie. Unter Demokratischem Zentralismus verstand man in der DDR die straffe Führung aller gesellschaftlichen Organisationen, Parteien und Staatsorgane durch die jeweils höhere Ebene, sodass letztlich die Spitze der SED alles Wesentliche bestimmte. Zwar sollten die jeweils höheren Ebenen durch die unteren gewählt werden, jeDie Abzeichen der doch verhinderte eine straff organisierte PersonalausBlockparteien wahl, die sogenannte „Kaderpolitik“, jegliche von der Führung abweichende Meinung. Die „Wahlen“ hatten folglich den Charakter einer Bestätigung, einer Akklamation. Die ideologische Begründung für diesen Demokratischen Zentralismus lieferte aber die Annahme, dass die Arbeiterpartei und deren Führung die Interessen der großen Mehrheit der Werktätigen verkörperte. Dies bezeichnete die SED als wahrhaft demokratisch, verschleierte jedoch die Diktatur einer kleineren Minderheit.