Fachtagung „Illegal in Deutschland“ am 16. / 17. Mai 2001 in Erfurt

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Fachtagung „Illegal in Deutschland“ am 16. / 17. Mai 2001 in Erfurt
1.
BEGRÜßUNG
Eckehard Peters
Ausländerbeauftragter der Thüringer Landesregierung
Meine Damen und Herren,
illegal in Deutschland – man muss unter einem solchen Problem leiden, zumindest mitleiden, um es
angemessen diskutieren und beurteilen zu können. Angemessen, das heißt, nicht spielerisch, nicht
intellektualistisch, nicht ideologisch aufgeladen, wie es bei gesellschaftspolitischen Themen nicht selten
geschieht.
Es darf einem ad 1 bis ins tiefste Lebensgefühl hinein nicht egal sein, dass auf den Grenzen Europas ein
Wanderungsdruck lastet – ausgelöst durch Armut und Perspektivlosigkeit – und uns wenig mehr
einfällt, als Abwehrstrategien zu perfektionieren - Strategien, für die es durchaus gute innenpolitische
Gründe gibt. Aber reichen diese Gründe aus, um das politische Gewissen zu beruhigen?
Es stimmt nicht optimistisch, dass diejenigen, die bis 1998 in Bonn in der Opposition permanent
Fluchtursachenbekämpfung gefordert haben, nunmehr in Berlin in Regierungsverantwortung einen Etat
für Entwicklungszusammenarbeit vorgelegt haben, der durchaus mager genannt werden darf –
jedenfalls keinen Fortschritt darstellt. Von der auswärtigen Kultur- und Informationspolitik – Stichwort
„Deutsche Welle“ – mag ich gar nicht erst reden. Die Dinge hängen miteinander zusammen.
Es darf einem ad 2 bis ins tiefste Lebensgefühl hinein nicht egal sein, dass die Verhältnisse, so wie sie
auch in Europa sind, Menschen dazu verleiten, ohne Rücksicht auf gesetzliche Bestimmungen nach
Deutschland einzureisen, sich hier niederzulassen, und versuchen, irgendwie ihr Leben zu fristen,
irgendwie durchzukommen. Abenteurer dürften die wenigsten sein. Wer und was sie sind, welche
Motive ihr Handeln bestimmen, welcher Logik sie folgen bzw. zu folgen sich gezwungen sehen, dem
sollte – und ich bin zuversichtlich – dem wird unsere zweitägige Beratung nachgehen.
Illegalität von Ausländern – so wie sie sich den meisten darbietet – hat ihrem Wesen nach kein Gesicht.
Und das Gesichtslose, das Anonyme, das Verborgene wirkt immer irgendwie bedrohlich. Vielleicht
gelingt es dem einem oder anderen Konferenzbeitrag einigen Anschauungsunterricht vom Leben in der
Illegalität zu vermitteln, an Stelle einer diffusen Gesichtslosigkeit Konturen vor Augen zu führen und
so dem Thema seinen bedrohlichen Charakter zu nehmen. Das wäre ein erster Schritt.
Sie sehen, meine Damen und Herren, ich gehe, ganz meiner Rolle als Ausländerbeauftragter folgend,
bei der Intention für diese Konferenz vom Ombudsgedanken, von der Funktion des Fürsprechers für
Ausländer aus, auch für solche, die sich unerlaubt hier aufhalten.
Aber lassen sie mich auch dieses sagen: Ich habe noch immer Respekt vor dem 28 jährigen Polizisten,
der den Auftrag erfüllt, mit Sachlichkeit und vermutlich zwiespältigen Gefühlen das gleichaltrige
ausländische Ehepaar mit Kleinkind auf dem Arm ins Polizeiauto zu führen und zum
Abschiebeflughafen zu fahren, wenn die rechtlichen Konsequenzen der politischen
Grundentscheidungen nichts anderes zulassen. Abschiebevollzug dürfte noch immer zu den
unangenehmsten Vollzugsaufgaben gehören, die ein Innenminister zu vergeben hat. Es muss uns also
um die politischen Grundentscheidungen und ihre rechtlichen Konsequenzen und praktischen
Auswirkungen gehen und nicht um Polizei- oder Vollzugsschelte.
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Diese Konferenz verfehlt ihr Ziel, wenn sie zum Entrüstungsritual verkommt. Sich das Schild mit dem
Spruch „Kein Mensch ist illegal“ vor den Bauch zu binden, bedient nur das moralin–wohlige Gefühl in
eben diesem Bauch. Moralisieren ist eine schlimme Zeitkrankheit. Moralin – das Heroin des
Betroffenheitsbürgers und Entrüstungsjournalisten! Das ist unpolitisch. Mit Sentimentalität kommen
wir eben so wenig weiter wie mit Brutalität. Wer in Europa den nächsten Bürgerkrieg will, der braucht
bloß die vermeintliche „Festung Europa“ zu schleifen (auch so ein Slogan!) und den BGS in Urlaub zu
schicken.
Diese Konferenz verfehlt aber auch ihr Ziel, wenn sie – aufruhend auf dem politischen und
rechtlichen status quo – lediglich der Effizienzverstärkung der behördlichen Illegalitätsbekämpfung
dient. Sie sollte sich vielmehr der Humanisierung unserer Lebensverhältnisse verpflichtet fühlen.
Dabei ist die effektive Bekämpfung von Verstößen gegen Einreise-, Aufenthalts- und
Arbeitserlaubnisbestimmungen durchaus ein Teilaspekt der Humanisierung, aber eben nur die eine
Seite. Bei der Durchsetzung gesetzlicher Vorschriften sollte nie die Rolle der eigentlichen
Nutznießer des unerlaubten Aufenthaltes und der unerlaubten Beschäftigung von Ausländern aus
den Augen verloren werden. Das sind selten die irregulären Immigranten selbst, oder sie sind es nur
zum Teil. Ich bin nicht sicher, ob das in der Praxis hinreichend beachtet wird.
Den anderen Aspekt bilden die realen Lebensbedürfnisse der meist reichlich unterprivilegierten
Ausländer, die oft in erbärmlichen Lebensverhältnissen, nicht selten ausgebeutet, gelegentlich
desinformiert oder verführt, bisweilen verzweifelt, mitunter mit krimineller Energie behaftet oder Opfer
derselben versuchen, ohne Papiere ein Leben im Schatten zu führen.
Es wird eine Menge Fantasie nötig und Sachverstand zusammenzutragen sein, um – ohne den
Rechtsstaat auszuhebeln – Spielräume für humanes soziales Handeln auszuloten. Der Rechtsstaat kann
naturgemäß mit der Unordnung des Illegalen, des Unregulierten, des Informellen wenig anfangen. Aber
jeder, der den Rechtsstaat bejaht und verteidigt – und davon gehe ich für unsere Veranstaltung aus –
weiß auch, dass das Leben immer listiger ist als die Summe aller Gesetze und Verwaltungsvorschriften
und dass sich so manche Lebenslagen nur mit Bauchschmerzen oder Atemnot unter das gültige
Paragrafenwerk subsumieren lassen.
Und schließlich sollte die Rolle derjenigen erörtert werden, die in informellen Netzwerken tätig sind,
um irregulären Immigranten das Leben erträglicher zu machen, die sich mit ihnen solidarisieren, nach
Auswegen suchen und sich dabei in dem ethischen Dilemma befinden, das ich bereits im
Einladungsschreiben zu dieser Konferenz zitiert habe: Es kann nicht das Ziel sein, Illegalität zu
stabilisieren. Gleichwohl ist nach Wegen zu suchen, dass Arbeitende nicht ausgebeutet, Menschen mit
bedrohlichen Krankheiten versorgt werden und Kindern nicht jegliche Zukunft verbaut wird.
Ich sage es noch einmal: Man muss unter diesem Problem leiden, zumindest mitleiden, um es
angemessen bearbeiten zu können. Wir sollten es uns in unseren Beratungen nicht leicht machen.
2.
MOTIVE UND MECHANISMEN ILLEGALER MIGRATION
- Gemeinsamkeit und Unterschiede in den Erkenntnissen empirischer Feldforschung bzw. der
Polizei- und Sicherheitsdienste Jörg Alt SJ
Jesuiten-Flüchtlingsdienst
3
Vorbemerkung
Bei der Vorbereitung für den heutigen Abend hatte ich zwei Probleme: Zum einen kann ich mich selbst
nicht mehr über diese Themen reden hören, und zum anderen wurden wichtige Punkte, die auch ich
vortragen wollte, bereits kürzlich vom SPIEGEL [18/2001:22-25] allgemein verbreitet: Er
veröffentlichte wesentliche Inhalte aus dem Lagebericht des Bundesnachrichtendiensts (BND) vom
Januar 2001 zur "Illegalen Migration nach Europa", obwohl das Dokument als "vertrauliche, amtlich
geheimgehaltene Verschlußsache" klassifiziert war. Viele Aussagen aus diesem Papier kann ich nur
unterschreiben. Freilich setzen ich und der BND andere Schwerpunkte in der Datenauswertung und bei
den Schlußfolgerungen. Also, dachte ich mir, wäre es vielleicht interessant, meine Sicht der Dinge, die
auf empirisch qualitativer Feldforschung meinerseits bzw. meiner KollegInnen im In- und Ausland
beruht, mit den Aussagen deutscher Sicherheitsdienste zu vergleichen. Neben dem im SPIEGEL
zitierten Papier beziehe ich mich dabei auf einen anderen geheimen BND-Bericht aus dem Jahr 1998,
einen noch viel geheimeren BGS-Projektgruppenbericht zur Einschleusung irakischer
Staatsangehöriger und einige "Lagebilder zur Organisierten Kriminalität" des Sächsischen
Landeskriminalamts.
Ich möchte gleich darauf verweisen, daß das, was ich nachfolgend sage, auch aus Gesprächen mit
Beamten aus dem Polizei-, Sicherheits- und Justizbereich erwachsen ist bzw. daß meine
Schlußfolgerungen in Gesprächen mit solchen Gesprächspartnern verifiziert wurden. In der Tat haben
diese Gesprächspartner mich auf viele Dinge hingewiesen, auf die ich so nicht gekommen wäre. Diese
Offenheit in jeder Beziehung (nach der Zusicherung von Anonymität und Informantenschutz) ist für
mich Anzeichen eines hohen Frustrationsgrades in dieser Berufsgruppe, die zunehmend das Gefühl zu
haben scheint, mit ungeeigneten Mitteln gegen Windmühlen zu kämpfen. Freilich würden diese
Gesprächspartner dies nie in der Öffentlichkeit zugeben (können), wenn sie ihren Job behalten wollen.
Ein Indiz jedoch, wie ernst die Lage offensichtlich gesehen wird, ist für mich auch, daß meine bisher
publizierten Texte von keiner Stelle in irgendeiner Weise auch nur ansatzweise kritisiert worden sind.
Einführung
Meine Hauptinformationsgrundlagen sind jedoch die Aussagen derjenigen Gesprächspartner unter den
'illegalen' Migranten, denen ich während meiner Feldstudien in Leipzig begegnet bin. Diese Studien
waren Teil eines umfassenden Forschungsprojektes des Jesuiten - Flüchtlingsdiensts in Europa, welches
empirische Feldstudien in Deutschland, Großbritannien und Spanien ebenso umfaßte wie eine in
Oxford erarbeitete und im vergangenen Dezember veröffentlichte Synthese aus den Ergebnissen der
drei Teilstudien. Hauptinteresse seitens des Auftraggebers war anfänglich das Schicksal von
Flüchtlingen nach der europaweiten Einführung des Konzepts der Sicheren Dritt- und Herkunftsländer
seit 1992/1993. Ich selbst bekam im Verlauf meiner Datensammlung Kontakt zu 51 'illegalen'
Migranten, wobei hier die Familienangehörigen der jeweiligen Gesprächspartner mitgezählt werden.
Diese Gesprächspartner kamen aus all den Ländern, die auch in den Berichten von BND und BGS
behandelt werden. Durch diese Kontakte kamen jedoch eine Reihe anderer Personengruppen und Typen
in den Blick, die schnell deutlich machten, wie komplex das "Milieu" insgesamt ist. Mir scheint, daß es
wichtig ist, eine Kenntnis aller Personengruppen und Typen mit ihren unterschiedlichen
Migrationsmotiven und -strategien zu haben, wenn man effiziente Lösungen für den wachsenden
Problemkomplex der Illegalität suchen und implementieren will.
Migrationsmotivationen
Den "typischen Illegalen" gibt es nicht. Vielmehr war eine Erkenntnis des Forschungsprojekts, daß es
eine große Bandbreite an Typen und Karrieren im "Illegalenmilieu" gibt, die sich in
Migrationsmotivation und Migrationsverlauf ebenso unterscheiden wie in ihren Erwartungen an den
Aufenthalt in Deutschland. Eine besonders wichtige Unterscheidung ist, ob sich der Migrant auf Dauer
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in Deutschland niederlassen will, oder ob er zwischen Deutschland und seinem Herkunftsland pendelt.
NEUER LEBENSMITTELPUNKT IN DEUTSCHLAND
Es waren besonders die Flüchtlinge, die Deutschland als neuen Lebensmittelpunkt betrachteten.
Als Flüchtling wurden in meiner Studie Personen bezeichnet, die "aus begründeter Furcht vor
Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung" ihr Herkunftsland verlassen haben bzw. dieses
verlassen mußten (vgl. Artikel 1 A Nr. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention), weil dort ihr "Leben" oder
ihre "Freiheit ... bedroht sein würde" (Artikel 33). Das Selbstverständnis der meisten Gesprächspartner,
die sich als 'Flüchtling' betrachteten, war im Einklang mit diesem Flüchtlingsbegriff in einer
großzügigen Auslegung, wie sie in der internationalen Rechtsprechung auch anzutreffen ist.
Die von den Gesprächspartnern angegebenen Fluchtgründe können wie folgt zusammengefaßt werden:
- Bedrohung durch eine Zentralregierung oder durch militant - religiöse Fundamentalisten,
- Unterdrückung wegen Zugehörigkeit zu einer nicht tolerierten Religion oder ethnischen Minderheit,
- Bedrohung durch Anarchie, Bürgerkrieg oder wegen einer sexuellen Orientierung.
Diese Gesprächspartner stellten in ihrer Vielfalt einen bunten Querschnitt der bekannten
Krisenregionen Asiens und Afrikas dar. Die meisten Gesprächspartner waren unverheiratet, die
verheirateten hatten ihre Familien mit nach Deutschland gebracht. Von den Gesprächspartnern sind
neun Personen vor, und drei Personen nach bereits erlittenen Verfolgungstatbeständen geflohen.
Unter den Verfolgungstatbeständen befanden sich Inhaftierung und physische Gewaltanwendung gegen
die Betroffenen selbst sowie in einem Fall zusätzliche Inhaftierung, Gewaltanwendung und Tötung
eines Familienangehörigen.
Diejenigen Personen, die vor dem Erleiden akuter Sanktionen flohen, schilderten detailliert, warum sie
für sich eine 'begründete Furcht vor bevorstehender Verfolgung' geltend machen, z.B. zunehmende
Feindseligkeit und Repression durch staatliche Organe und/oder religiös - fundamentalistische
Gruppen, konkrete Gewalttaten gegen das Leben von Personen in der näheren Umgebung (Familie,
Nachbarschaft) oder Angst vor dem bevorstehenden Wehrdienst.
Eine Reihe von ihnen stellte keinen Asylantrag, da sie von der Ergebnislosigkeit dieses Bemühens –
etwa aufgrund der Sicheren Drittstaatenregelung oder der bekannten Entscheidungspraxis zu ihrem
Herkunftsland - Kenntnis hatten. Andere wiederum entzogen sich nach der Ablehnung ihres Antrags
der Abschiebung durch Untertauchen.
Wenig überraschend, erachten Flüchtlinge eine Rückkehr ins Herkunftsland als ausgeschlossen, weil
sie dort für sich keine Zukunftsperspektive sehen. Entsprechend groß ist ihre Angst vor Entdeckung
und Ausweisung, und entsprechend bemüht sind sie, ihren Aufenthalt versteckt und unauffällig zu
gestalten.
Eine auffällig hohe Zahl der Gesprächspartner litt unter gesundheitlichen Problemen, zum Teil noch
vorfluchtbedingt (v.a. Foltertraumata), ansonsten aus den für sie generell besonders harten
Lebensumständen in der Illegalität (dauernde Angst vor Enttarnung, Isolation bzw. sehr wenig
Sozialkontakte, Armut, ungesunde Ernährung, schlechte Wohn- und Arbeitsbedingungen).
Ebenso gehen jene Migranten von einem dauerhaften Verbleib in Deutschland aus, die zur Herstellung
der Familieneinheit illegal nach Deutschland kamen bzw. sich illegal in Deutschland aufhalten. Hier
handelt es sich etwa um Familien, bei denen ein Familienmitglied in Deutschland nur einen prekären
Status hat (z.B. eine Duldung), der nicht zum Familiennachzug berechtigt oder um Familienmitglieder,
die bereits illegal in Deutschland leben und sukzessive andere Familienmitglieder nachholen, weil sie
die Lebenssituation für sich und ihre Kinder in Deutschland insgesamt als besser einschätzen als im
Herkunftsland - vor allem dann, wenn sie dort über keine berufliche Perspektive verfügen und keine
Verwandte haben, die sie (mit-)versorgen können.
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Dies traf beispielsweise auf eine alleinerziehende Mutter zu, die mit dem älteren ihrer zwei
minderjährigen Kinder aus Kurdistan zu Verwandten nach Deutschland floh. Da sie seinerzeit nicht
genügend Geld hatte, um die Reise auch für das jüngste Kind zu zahlen und zunächst in Deutschland
Fuß fassen wollte, ließ sie dieses Kind in der Obhut von Verwandten zurück. Bevor sie aber genügend
Geld beisammen hatte, trat die deutsche Kindervisumsregel in Kraft, die in diesem Fall nicht in
Anspruch genommen werden konnte. Seither ist die Familie getrennt: Die Verwandten haben kaum
genug Geld, um die eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen, geschweige denn eine Schulbildung zu
finanzieren, die Mutter würde rund 10 000 DM benötigen, um eine illegale Familienzusammenführung
zu ermöglichen. Bis zum Abbruch des Feldkontakts konnte dieses Geld jedoch nicht aufgebraucht
werden.
Bezüglich des Familienverständnisses vieler 'Illegaler' muß jedoch darauf geachtet werden, daß dieses
im Falle vieler Migranten eben nicht nur Eltern und minderjährige Kinder umfaßt, sondern, kulturell
bedingt, auch andere Angehörige.
Eine hier zu erwähnende Gruppe, die bislang kaum im Blick ist, sind Menschen, die aufgrund von
Umweltveränderungen zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen werden. Hier entwickeln sich aber
Größenordnungen. Der BND geht, Bezug nehmend auf das United Nations Environmental
Programme davon aus, daß "allein die zunehmende Erwärmung der Erdatmosphäre bis zum Jahr 2050
mindestens 150 Millionen Menschen zur Migration bewegen dürfte" [BND 2001:95].
LEBENSMITTELPUNKT UNVERÄNDERT IM HERKUNFTSLAND
Die meisten Gesprächspartner nannten materielle Bedürftigkeit und Perspektivlosigkeit als Motiv zum
Verlassen ihres Herkunftslands. Diese Migranten kamen vor allem aus den Staaten Mittel-, Ost- und
Südosteuropas, die meisten von ihnen waren verheiratet, ihre Angehörigen lebten noch im
Herkunftsland. Hierunter fallen zunächst Personen, die im Herkunftsland zwar Arbeit hatten, deren
Verdienstmöglichkeiten aber nicht oder kaum zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausreichten. Die
permanente Unsicherheit im persönlichen Lebenskontext der Gesprächspartner wurde durch die
allgemeine wirtschaftliche Situation in ihrem Herkunftsland verstärkt: Manche Betriebe, die unter
Absatzschwierigkeiten litten, schickten die Belegschaft monatelang in unbezahlte Betriebsferien.
Andere Betriebe ließen die Belegschaft zwar arbeiten, zahlten aber monatelang keinen Lohn. Wieder
andere Betriebe zahlten keinen Lohn, überließen aber statt dessen ihren Mitarbeitern betriebsspezifische
Produkte (z.B. Schnaps, Zucker oder Stahlplatten), die diese dann selbst zu verkaufen suchten. Der
Erlös aus einer solchen Transaktion erreichte aber selten die Höhe eines regulären Gehalts. Traten
unvorhergesehene Notfälle (z.B. Krankheit oder gar ein Krankenhausaufenthalt) ein oder entstanden
Sonderausgaben (z.B. durch Geburten, die Einschulung von Kindern oder durch Todesfälle), dann
konnte eine Familie in größte Schwierigkeiten geraten. Einige Gesprächspartner waren gezwungen,
sich zur Absicherung des eigenen bzw. familiären Überlebens zu verschulden. Die Situation verschärfte
sich nochmals im Falle von Arbeitslosigkeit, die durch einen neuen Job weder in der regulären, noch in
der Schattenwirtschaft beendet werden konnte. In Verbindung mit der materiellen Bedürftigkeit ließen
sich sodann Spannungen mit dem Ehepartner feststellen.
Die Kumulation verschiedenster Gründe wird in nachfolgendem Beispiel deutlich: Der
Gesprächspartner hatte vor dem Kommen nach Deutschland in seinem Herkunftsland bereits fünf Jahre
gearbeitet. Dort verdiente er ungefähr 40 bis 50 DM im Monat, das reichte kaum für die Wohnung.
Danach arbeitete er in Moskau und Sibirien, das reichte zunächst, aber dann wurden die Löhne nicht
mehr ausgezahlt, und er hatte ein halbes Jahr kein Geld. Insgesamt dreimal war er in Moskau als
Gastarbeiter. Die Frau studierte an einer Uni, die 120 km weit weg (vom Wohnort) war, sie benötigte
deshalb alleine umgerechnet 10 DM für die Fahrtkosten im Monat. Am Anfang halfen ihnen noch seine
Eltern, aber dann hörte auch das auf. Schließlich kam es zum Ehekrach. Die Frau machte ihm
Vorwürfe, daß andere (Männer) ihre Familien besser versorgten. Der Krach war derart, daß sie drei
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Tage nicht mehr miteinander sprachen. Dann sagte er sich: Ich beweise es dir jetzt. ... Viele Bekannte
aus seinem Stadtbezirk in „xxx“ waren schon in Deutschland (gewesen), hatten dort gearbeitet und
Autos gekauft. Also machte auch er sich auf den Weg.
Ähnlich gelagert sind Fälle von Heranwachsenden (17-21 Jahre), die vereinzelt Spannungen mit ihren
Eltern als Emigrationsgrund angeben. Bei näherem Hinsehen sind aber auch bei ihnen materielle
Bedürftigkeit und berufliche Perspektivlosigkeit oder Abenteuerlust und Neugier wichtigere Motive für
Emigrationsentscheidungen.
Wie ernst die Lage hier ist, wird im BND Bericht drastisch verdeutlicht. Dort steht: Offiziellen
Schätzungen zufolge wächst die Bevölkerung in den Maghrebstaaten trotz tendenziell abnehmender
Geburtenzahl bis zum Jahr 2025 um 60 bis 90%. Dementsprechend wird die Zahl der erwerbsfähigen
Bevölkerung um 20 bis 30% zunehmen. Nach Angaben der Weltbank ist die Zahl der Personen, die in
Marokko unterhalb der Armutsgrenze leben, in den letzten 10 Jahren um 50% gestiegen und beträgt zur
Zeit ca. 20% der Gesamtbevölkerung. 1999 lag die Arbeitslosigkeit in den Städten bei ca. 20%.
Besonders Jugendliche sind hiervon stark betroffen (Jugendarbeitslosigkeit ca. 40 bis 50%). Ein
jährliches Wirtschaftswachstum von 6 bis 8% (entspricht ca. 200 000 Arbeitsplätzen pro Jahr) wäre
erforderlich, um die bestehende Arbeitslosigkeit langfristig abbauen zu können. Aufgrund des
anhaltenden Bevölkerungswachstums wird die Arbeitslosigkeit in Marokko nach Schätzungen der
Weltbank im Jahr 2005 voraussichtlich auf rund 30% anwachsen. Diese Perspektivlosigkeit dürfte der
illegalen Migration aus dem Maghreb auch künftig kräftig Vorschub leisten [BND 2001:24].
Dieser Analyse und Schlußfolgerung kann ich auf Grund meiner Gespräche mit 'Illegalen' aus Tunesien
und Algerien voll und vorbehaltlos zustimmen.
Eine beachtliche Gruppe unter den Gesprächspartnern gab schließlich an, nur vorübergehend nach
Deutschland gekommen zu sein, um hier Geld zur Finanzierung eines größeren Vorhabens, z.B. zum
Hausbau oder für eine Existenzgründung, zusammenzusparen. Ähnliches gilt für Migranten, die aus
dem Wunsch nach Verbesserung der eigenen Lebensqualität ihr Herkunftsland verließen, d.h. die im
Herkunftsland zwar nicht unter Verfolgung und Bedürftigkeit litten, ihre Lebenssituation aber als derart
unbefriedigend empfanden, daß sie sich von einer Emigration eine Sicherung oder Verbesserung ihres
(wirtschaftlichen und sozialen) Status versprachen oder ein unabhängigeres und selbstbestimmteres
Leben. Diese Gesprächspartner kamen aus allen Teilen der Welt.
Der Werdegang einer dieser Personen folgt als Beispiel: 1991/1992 begannen die wirtschaftlichen und
sozialen Schwierigkeiten im Herkunftsland. Das Lebensniveau sank drastisch, die Gehälter stagnierten,
die Preise stiegen. Es war kaum möglich, von dem Gehalt zu leben. Er hatte Arbeit in einem staatlichen
Betrieb, das Gehalt reichte aber nicht aus. Zu dieser Zeit begannen auch die Privatisierungen. Er wollte
in eine GmbH einsteigen, ohne den sicheren Job beim Staatsbetrieb ganz aufzugeben. Also ging er auf
Halbtagsarbeit in beiden. Durch die Halbtagsarbeit bei der GmbH gewann er finanziell. Ihm wurde klar:
das Gehalt beim Staatsbetrieb ist derart niedrig, daß es sich nicht lohnt, dort zu bleiben. Er wollte nicht
mehr abhängig sein. Aber er hatte kein Startkapital, um sich selbständig zu machen. Er überlegte, wie
er dazu kommen könne. Er hörte von ehemaligen Offizieren und Mannschaften der Roten Armee, daß
diese immer alte Autos aus Deutschland mitgebracht, sie weiterverkauft und dabei Gewinn gemacht
hatten. Da auch er Autos mochte, schien ihm dies ein interessanter Weg zu sein. Außerdem wollte er
nebenher in Deutschland ein Studium beginnen, zum einen, um sich weiterzubilden, zum anderen,
damit er mit einem Studienplatz eine Aufenthaltsbewilligung bekommen und mit Hilfe dieses Papiers
mit den angekauften Autos zwischen Deutschland und seinem Herkunftsland problemlos hin- und
herfahren könne.
Bei Migranten aus dieser Gruppe betrachteten die meisten Gesprächspartner Deutschland nicht bzw.
noch nicht als ihren (neuen) Lebensmittelpunkt. Diesen sehen sie nach wie vor im Herkunftsland, wo
ihre Familienangehörigen leben. Je nach finanziellen Möglichkeiten pendeln sie anlaßbezogen
(Familienfeiern, Weihnachten, Urlaub) zwischen Herkunftsland und Arbeitsort hin und her. Sie haben
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auch weniger Angst vor Entdeckung und Abschiebung, denn aus verschiedensten Gründen ist ihnen
eine Wiedereinreise nach Deutschland wesentlich leichter möglich als Flüchtlingen. Allerdings ist
immer häufiger zu beobachten, daß sich bei einer Reihe von diesen Personen der zunächst als befristet
gedachte Aufenthalt immer weiter verlängert. Entweder, weil eine Rückkehr und Wiedereingliederung
im Herkunftsland bei zunehmender Abwesenheit immer schwieriger wurde (z.B. weil ihre früheren
Arbeitsplätze nicht mehr existierten), weil sie das selbstgesteckte Migrationsziel nicht erreicht hatten
und sich deshalb schämen, weil ihnen schlicht das Geld für die Heimreise fehlte oder weil sie das
Leben in der Illegalität zunehmend als attraktiver erleben als ein 'legales' Leben im Herkunftsland.
Eine mir oft gestellte Frage an dieser Stelle lautet, ob man denn sagen könne, wie sich der Anteil an
Flüchtlingen und Personen darstelle, die aus wirtschaftlichen Gründen unerlaubt nach Deutschland
kommen. Diese Frage ist allein deshalb schwer zu beantworten, weil eine Grenzziehung diesen beiden
Gruppen nur schwer möglich ist. Immer wieder verweist beispielsweise UNHCR auf diesen Punkt.
Hierzu sagte mir einst ein Richter, der im Grenzbereich Strafverfahren bearbeitet, die nach dem
unerlaubten Grenzübertritt eingeleitet werden, daß die ihm vorgeführten Gruppen ziemlich gleichmäßig
in drei Gruppen fallen würde: Ein Drittel der Personen sind Flüchtlinge, ein Drittel komm auf der
Suche nach Arbeit, das letzte Drittel zur Begehung von Straftaten, wobei darunter natürlich auch die
aufgegriffenen Schleuser fallen. Was das Dunkelfeld betrifft, so kann man mit Sicherheit annehmen,
daß der Anteil von Flüchtlingen und Arbeitssuchenden den Anteil an Personen mit Bereitschaft zur
Straftatbegehung weit übersteigt.
Migrationslösende und migrationslenkende Faktoren
Im Folgenden sollen einige Beispiele für das komplexe Ineinander von migrationsauslösenden und
migrationslenkenden Faktoren gebracht werden.
Starke migrationsauslösende Faktoren sind zweifelsohne Verfolgung und Armut – wobei das eine das
andere bedingen kann: Verfolgte sind arm, Arme haben kaum eine Möglichkeit sich gegen zugefügtes
Unrecht zu wehren – ein Teufelskreis. Solche Menschen verlassen in einer bedrohlichen Situation ihr
Herkunftsland auch ohne ein direktes Ziel, einfach weil sie keine Alternative zum Verbleib im
Herkunftsland sehen. Hier trifft man viele Flüchtlinge und Arbeitsmigranten an, die zunächst in
Ländern, die ihrem Herkunftsland benachbart sind, eine Lösung für ihre Probleme suchen und die erst
nach mehreren Zwischenstufen irgendwann irgendwo in Ländern der Europäischen Union 'ankommen'
und dort Fuß fassen.
Ein bedeutsamer migrationslenkender Faktor bei allen Menschen, die unter größerem oder geringerem
Druck mit dem Gedanken spielen, ihr Herkunftsland zu verlassen, sind Familienmitglieder, Verwandte,
Freunde, Arbeitskollegen etc., die sich bereits in Ländern der Europäischen Union aufhalten. Über sie
gelangen zunächst Informationen über die Lebensumstände in die Herkunftsländer. Darüber hinaus
jedoch, wenn eine (illegale) Migration beschlossen wird, werden über diese Kanäle auch Tips und
Informationen über die Organisation der Reise weitergegeben – falls die Ansprechpersonen nicht
ohnehin persönlich kommen und dem 'Migrationskandidaten' (aufgrund ihres eigenen Wissens
bezüglich eines illegalen Grenzübertritts) zu einer illegalen Einreise verhelfen. Das Vorhandensein
solcher Erstanlaufstellen, von denen sich Migranten eine Erstversorgung, Orientierungshilfe und
Eingliederungshilfe im Zielland versprechen, kann in seiner Bedeutung nicht überschätzt werden.
Gerade weil das abstrakte Konzept von staatlicher Sozialhilfe vielen Migranten fremd ist, hat das
traditionelle Verständnis gegenseitiger 'sozialer Hilfe' besonderes Gewicht in
(E)Migrationsüberlegungen.
Eine migrationslenkende Funktion haben auch Anwerbungen, d.h. die aufgrund der Nachfrage nach
'illegalen' Billigarbeitern in den Ländern der Europäischen Union besteht. Hier kann es vorkommen,
daß Personen, die ursprünglich überhaupt nicht von zu Hause weg wollten, auf einmal eine große
persönliche Chance sehen und sich auf den Weg in eine allzuoft gar nicht glänzende Zukunft machen.
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Netzwerke im Migrationsgeschehen
Dies bringt mich nun zu einem ganz zentralen Punkt: Netzwerken. Das Forschungsprojekt untermauerte
die bereits seit langem in der Wissenschaft diskutierte Bedeutung von Netzwerken im
Migrationsgeschehen insgesamt und im illegalen Migrationsgeschehen insbesondere. Zwar gaben zehn
der Gesprächspartner zunächst an, ihre Erstemigration 'alleine' und ohne Hilfe durchgeführt zu haben.
Allerdings erwies sich diese Behauptung in der Regel als Versuch, Unterstützer- und
Ermöglichungsstrukturen zu schützen, bzw. waren sie Ausfluß der Annahme, daß bestimmte
'Selbstverständlichkeiten' erst gar nicht berichtenswert seien. Aus einem Interview mit osteuropäischen
'Illegalen':
„A.
Wir sind hierhergekommen, um ehrlich zu sein, wie die Katzenjungen im Sack. Wir wußten
nicht wohin wir fahren, warum wir fahren ... Naja, irgendwo wußten wir, warum wir fahren. Aber
wohin wir fahren, wußten wir nicht.
F.
Und hat irgend jemand den Sack getragen, oder...?
A.
Nein, wir selbst."
Aber wenig später hieß es dann doch ein klein wenig anders:
„A.
F.
A.
F.
A.
So sind wir gefahren, na, wir hatten Adressen, ein paar Leute waren schon hier.
Adressen hatten Sie?
So ungefähre.
Das heißt, Sie hatten Adressen von irgendwelchen Leuten, die schon hier sind?
Ja."
Die meisten Gesprächspartner wiesen jedoch von Anfang an bereitwillig auf die Bedeutung von
Netzwerken für ihre Migration.
NETZWERKTYPEN
Es gibt unterschiedliche Netzwerke, die auf dem Hintergrund verschiedener Motivationen und
Interessen agieren. Ich unterscheide inzwischen folgende Typen:
Private Netzwerke umfassen Familie, Verwandte, Bekannte, Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen,
die einem Migranten mehr oder weniger uneigennützig helfen oder lediglich Aufwandsentschädigungen
oder Beiträge zur Abdeckung eigener Unkosten verlangen.
Kommerzielle Netzwerke umfassen zentrale Strukturen einer Schattenwirtschaft, also Agenturen,
Organisationen und Personen mit einer großen Angebotspalette relevanter Dienstleistungen für eine
illegale Einreise zu marktüblichen Preisen, d.h. Preisen, die sich an Parametern wie Angebot,
Nachfrage, gewünschtem Komfort und Risikozulagen orientieren. Die Palette der Dienstleistungen
reicht vom einfachen illegalen Grenzübertritt bis hin zur Abwicklung einer Paketreise vom
Herkunftsland bis zum Zielort. Im Vordergrund der Geschäftsbeziehungen steht die 'Zufriedenheit' des
Kunden - in der Hoffnung auf 'Weiterempfehlung' bzw. Fortdauer der Beziehung. Die Leistungen und
Zusagen werden in einem hohen Grad eingehalten, bzw. eine Nichteinhaltung liegt nicht in der
Kontrolle der Agenturen. Die Zwangsmaßnahmen gegen zahlungssäumige Personen bewegen sich im
Rahmen dessen, was auch 'seriöse' Kreditinstitute unternehmen, um an ihre Gelder heranzukommen
(z.B. Pfändungen).
Kriminelle Netzwerke ähneln den kommerziellen Netzwerken auf den ersten Blick weitgehend. Im
Vordergrund stehen hier jedoch die Interessen von Agentur, Organisation oder Hintermännern, d.h. die
Preise sind z.T. überhöht, versprochene Leistungen werden durch eigenes Zutun nicht erbracht, Kunden
bereits im Anfangsstadium der 'Geschäftsbeziehung' bewußt über Aspekte der Anwerbung oder
Angebote getäuscht, indem z.B. wider besseres Wissen legale Beschäftigungsverhältnisse versprochen
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oder Prostituierte als 'Gesellschaftsdamen' angeworben werden. Zwangsmaßnahmen gegen
zahlungssäumige Personen schließen hier auch Drohungen (und Aktionen) gegen Leib und Leben der
Betreffenden und ihrer Familienangehörigen mit ein.
Hinzu kommen vereinzelt politische Netzwerke, d.h. vor allem Personen mit gleichem politischem
Hintergrund zu einer unerlaubten Einreise verhelfen (von mir z.B. bei kurdischen PKK-Mitgliedern
beobachtet), oder humanitäre Netzwerke, d.h. Gruppen, die durch ihre Fluchthilfe beispielsweise
Migranten einen Zugang zu einem Asylverfahren ermöglichen wollen oder sie innerhalb der
Europäischen Union in das Aufnahmeland ihrer Wahl transportieren.
All diese Netzwerke können sich, je nach Person, Kontext oder Migrationsabschnitt, mehr oder weniger
überlappen. Dies wird bei folgendem Beispiel deutlich, welches mir ein 'illegaler' Arbeitsvermittler
berichtete. Hier geht es um die Anwerbung und Vermittlung von Arbeitskräften, indem private
Beziehungen mit kommerziellen und kriminellen Momenten ein komplexes Geflecht bilden.
„XXX sagte mir, daß er Arbeiter bräuchte - ob ich helfen könne. Damals fuhr ich ca. alle zwei Monate
nach Polen, und so fuhr ich wieder und fragte innerhalb der Verwandtschaft meiner Mutter und deren
Bekannten, ob sie Interesse hätten, in Deutschland zu arbeiten. 42 Mann bekundeten die Bereitschaft,
wollten aber, daß alles legal sei. Es waren hauptsächlich Maurer und Fliesenleger. XXX sagte:
"Natürlich wird das alles legal sein, aber erst müssen sie auf Probe arbeiten, damit wir sehen können,
ob sie auch gut sind". XXX besorgte aber schon mal die Formulare zu An- und Abmeldung vom
Arbeitsamt, gab sie mir. Ich nahm sie wiederum nach Polen mit und ließ meine Freunde diese ausfüllen
und mit Paßbildern versehen. Die Polen meldeten sich ordnungsgemäß in Polen ab und kamen nach
Deutschland. Zwei Tage später wurden sie auf verschiedene Baustellen aufgeteilt ... Die ganze Zeit
dachten die Polen, sie seien legal in Deutschland. Ich allein wußte, daß dies nicht der Fall war, da das
Arbeitsamt dies nie akzeptieren würde. Um die Polen legal beschäftigen zu können, hätte ich oder XXX
mindestens eine Tarnfirma in Polen haben müssen, über die wir die Arbeitnehmer hierher hätten holen
können, z.B. auf Werkvertragsbasis.“
Hier angekommen, stellen sich uns zwei wichtige Fragen.
Welchen Rolle haben diese Netzwerke nun genau im illegalen Migrationsgeschehen?
Welchen Anteil haben Personen und Organisationen mit kriminellem Hintergrund an diesem
Migrationsgeschehen?
Hier weichen nun meine Einschätzungen beträchtlich von denen der Polizei- und Sicherheitsbehörden
ab. Zunächst zur Frage nach der Rolle von Netzwerken am Migrationsgeschehen.
ROLLE VON NETZWERKEN IM MIGRATIONSGESCHEHEN
Die Bedeutung der Netzwerke für das Gelingen einer illegalen Migration ist sehr unterschiedlich. Sie
reicht von mündlichen oder schriftlichen Tips und Tricks von Angehörigen über hochprofessionelle
Luxusschleusungen von Wohnort im Herkunftsland direkt zum Zielort im Zielland mithilfe eines
perfekt gefälschten Passes bis hin zu Lug, Trug und Versklavung. Zunächst einmal halte ich die in
meinem Buch geäußerte und begründete Einschätzung aufrecht, daß es unverändert einer beachtlichen
Zahl von Personen gelingt, einen unerlaubten Grenzübertritt mit minimaler Hilfe (Briefe mit
Wegbeschreibungen o.ä.) alleine durchzuführen. Auch der BND berichtet etwa davon, daß von allen
Aufgegriffenen im tschechischen Grenzgebiet lediglich 24% "die Hilfe von Schlepperorganisationen
genutzt" haben [BND 2001:49], eine Schätzung, die auch von anderen Quellen bestätigt wird.
"Paketreisen" – so meine Analyse, denen auch die Aussagen der mir vorliegenden internen BGS und
BND Papieren nicht widersprechen - sind unterm Strich eher die Ausnahme als die Regel, allein weil
sie zu teuer sind. Unvermindert versuchen die allermeisten Migranten mit eigenen Mitteln, so nahe wie
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möglich an die Grenze der EU zu kommen. Somit behaupte ich: Im Migrationsbusiness dominiert die
abschnittsweise Inanspruchnahme von Dienstleistungen, vor allem Hilfe bei der alles entscheidenden
illegalen Grenzüberschreitung.
Und hier werden, aufgrund der zunehmenden "Kontrolldichte" an der Grenze, private Netzwerke mit
den ihnen eigenen Möglichkeiten zum Grenzübertritt mehr und mehr überfordert. Hier ist eine
wachsende Inanspruchnahme von lokal ansässigen Einzelpersonen, aber auch (kommerziellen und
kriminellen) Organisationen wenigstens für Etappen der Reise festzustellen, da diese die nötige
Expertise hierfür mitbringen (z.B. genaue Ortskenntnis, 'Beziehungen' zu Grenztruppen oder Behörden
wegen falscher Papiere etc.). Der Kontakt zwischen Kunde und Grenzübertrittshelfer wird oftmals auch
telefonisch oder schriftlich zwischen bereits in Deutschland lebenden Migranten und Verwandten und
Bekannten im Herkunftsland vermittelt.
Generell kommt hier der örtlich ansässigen Bevölkerung eine große Bedeutung zu. An der Peripherie
eines Staates gelegene Regionen weisen oft eine hohe Arbeitslosenrate auf, des weiteren ist dort Armut,
Unterentwicklung und Langeweile weit verbreitet: Ein idealer Ausgangspunkt für die dort ansässige
Bevölkerung, sich ein Zubrot durch Unterbringung von Migranten oder Grenzübertrittshilfen zu
verdienen. Diese Aktivitäten setzen aber noch keine Mitgliedschaft in kommerziellen oder kriminellen
Organisationen voraus. Oft werden solche 'Experten vor Ort' ad-hoc angeheuert, manchmal auch als
'Bauernopfer' der Polizei überlassen.
Freilich: So gut wie die örtliche Bevölkerung muß man aber die Grenze gar nicht kennen, um
Menschen dort im "Ameisenverkehr" rüberzuschleusen. Am Ende meiner Studie, auf dem Hintergrund
meiner Einblicke in Schleusungspraktiken an der deutschen Ostgrenze, fragte ich einen hochrangigen
Gesprächspartner beim BGS:
"F.
Wenn ich mit Ihnen wetten würde, daß ich jeden weißhäutigen Illegalen über die Grenze
rüberbringe, würden Sie die Wette annehmen oder nicht?
A.
Meinen Sie jetzt über die grüne Grenze oder über einen Grenzübergang?
F.
Egal, was für eine Methode ich wähle. Ich wette mit Ihnen, ich bringe jeden rüber.
A.
Ich möchte nicht dagegen wetten." [Alt 1999b: Anlage 5-1 ("Interview mit einem
hochrangingen BGS-Beamten"): Frage 24f.]
STELLENWERT UND BEDEUTUNG KRIMINELLER GRUPPEN
Dies führt zum zweiten Punkt: Welchen Anteil haben Personen und Organisationen mit "wirklich
kriminellem" Hintergrund an diesem Migrationsgeschehen?
Meiner Ansicht nach kann nicht gesagt werden, daß kriminelle Gruppen das illegale
Migrationsgeschehen "im großen Umfang steuern" [vgl. BND 2001:7]. Für einen eher
marktwirtschaftlichen, an den Parametern von Angebot und Nachfragte orientierten Charakter des
Migrationsbusiness spricht aus meiner Sicht schon die große Bandbreite an Angeboten und Tarifen, die
von 80 DM für einen einfachen Grenzübertritt an der Ostgrenze bis hin zu 40-50 000 $ für eine
Luxusschleusung von Asien nach Westeuropa reichen. All dies ist für mich eine Bestätigung dafür, daß
hier rege Konkurrenz und Wettbewerb herrscht und zumindest derzeit keinesfalls einer von einer
Dominanz mafiöser Monopolkartelle ausgegangen werden kann. Darüber hinaus scheint mir, daß,
solange Konkurrenz in diesem Milieu existiert, selbst kriminelle Gruppen sich zumindest teilweise dem
Marktgeschehen anpassen und Ware gegen Bezahlung liefern. Schließlich wollen sie im jetzigen
Stadium nicht riskieren, daß zahlungskräftige Kunden zu der Konkurrenz überlaufen bzw. erst gar nicht
mehr bei ihnen anklopfen, weil ihre kriminellen Praktiken sich herumsprechen werden.
Warum aber malen Sicherheitsdienste dann stets ein so dramatisches Bild vom Einfluß krimineller
Akteure im Feld der internationalen Migration? Folgende Gründe sehe ich:
 Zum einen wird meiner Meinung nach der quantitative Anteil krimineller Netzwerke auf diesem
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Gebiet von ihnen deshalb überschätzt, weil Sicherheitsdienste sich schon von Berufswegen
(hauptsächlich) mit kriminellen Personen und Organisationen beschäftigen. Was sich außerhalb ihrer
Hellfeld-erkenntnis im abgeschotteten Dunkelfeld abspielt, entzieht sich somit nicht nur ihrer
Kenntnis, sondern auch ihrer Aufmerksamkeit.
 Zum anderen haben die Sicherheitskräfte Recht, was die qualitative Gefährlichkeit der hier zu
nennenden mafiösen Gruppen betrifft: Es gibt organisiert-arbeitsteilig zusammenarbeitenden
kriminellen Gruppen; es gibt auch das, was man gemeinhin mit Mafia oder Organisierter Kriminalität
bezeichnet. Wenngleich ich die Bedeutung dieser Gruppen am quantitativen Geschehen relativiere,
möchte ich deren Bedeutung für die Gefährdung unseres Rechtsstaates, unserer Demokratie, unseres
Wirtschafts- und Finanzsystems ausdrücklich betonen.
Daß die breite Öffentlichkeit von der Existenz dieser Gruppen in unserem Land wenig mitbekommt, ist
Ausdruck der von diesen Gruppen erfolgreich gefahrenen "Politik": Mafiöse OK-Gruppen schrecken
vor Tätlichkeiten bis hin zu Mord an den eigenen Leuten nicht zurück, wenn diese durch
Unachtsamkeit Schuld daran wären, daß Existenz und Operationen dieser Gruppe zur Kenntnis der
deutschen Sicherheitskräfte oder Öffentlichkeit kämen. In den Worten eines meiner 'illegalen'
Gesprächspartner:
"Ich weiß, daß sie [die Mafia] die einheimische Bevölkerung nicht anrühren... Sie sind sehr bemüht,
sich zu benehmen. Sie brauchen einfach hier eine Basis, so habe ich es verstanden, um ihr Geld von den
Drogen zu waschen".
Zu Recht warnt das Sächsische Landeskriminalamt in seinem "Lagebild zur Organisierten Kriminalität"
aus dem Jahr 1997:
"Eine direkte Korrelation zwischen OK (=organisierte Kriminalität) und dem subjektiven
Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist nicht festzustellen. Die mittlerweile schon und noch vorwiegend
in den Medien erfolgende, inflationäre Verwendung des Begriffs ... OK ... ist nicht geeignet, sich
sachlich und sachgerecht mit OK auseinanderzusetzen" (Hieraus erwächst die Gefahr) "Hinweise der
Polizei auf tatsächlich bestehende Bekämpfungsdefizite damit abzutun, daß hier lediglich empfindliche
Eingriffsermächtigungen ohne tatsächliches Erfordernis erlangt werden sollen." [S. 4]
Ergebniß
ILLEGALE MIGRATION UND SCHLEUSER: VERWECHSLUNG VON URSACHE UND FOLGE
Was in der Diskussion von illegaler Migration und der Bedeutung der kriminellen Schleusergruppen
(allzuoft) durcheinandergeworfen wird, ist folgendes: Es wird Ursache und Wirkung verwechselt.
Illegale Migration findet zum überwiegenden Teil nicht WEGEN der Schleuser statt, sondern Schleuser
gewinnen an Bedeutung, WEIL Migration stattfindet. Anders gesagt:
Kein Flüchtling läßt sich durch die Sichere Drittstaatenregelung abhalten, wenn er in Deutschland einen
Asylantrag stellen will.
Kein Cousin wird sich davon abhalten lassen, seinen in Deutschland lebenden Verwandten als
Erstanlaufstelle anzupeilen, wenn er dort Arbeit sucht, nur weil das deutsche Recht für einen solche
Fall keine Familiennachzugsregelungen vorsieht.
Kein Arbeitsmigrant wird sich von Grenzkontrollen abschrecken lassen, wenn er weiß (oder hofft), daß
er in Deutschland Arbeit findet wird.
Ist aber ein Grenzübertritt nicht möglich, wird er sich nach Leuten und Organisationen umschauen, die
ihm dabei helfen bzw. die ihm Hilfe anbieten.
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KANN STRAFBARES HANDELN DENNOCH LEGITIM SEIN?
Sie werden nun einwenden, daß das, was diese Personen und Gruppen anbieten, doch trotzdem
kriminell ist. Ich finde, hier muß man unterscheiden:
zwischen Straftatbeständen, die ein nationaler Gesetzgeber definiert,
zwischen Taten, die sich dennoch auf eine Legitimationsgrundlage beziehen können,
und Taten, die eindeutig kriminell sind.
Unerlaubter Grenzübertritt und Beihilfe dazu stehen per Beschluß des deutschen Gesetzgebers
eindeutig unter Strafe, wie dies auch im Ausländergesetz (§ 92a) nachzulesen ist. Daran gibt es nichts
zu rütteln.
Aber ist es denn ein Verbrechen, wenn man Menschen einen Weg zu Asyl und Sicherheit, zur
Wiederherstellung der Familieneinheit, zu Obdach und Arbeit eröffnet? Das sind doch alles Werte, die
auch wir gut heißen. Und wenn wir es nicht gut heißen, so gibt es eine Fülle von Menschenrechtsdeklarationen und –konventionen, die ein solches Tun legitimieren. Stehen Menschenrechte und
Menschenwürde nicht über dem Ausländerrecht?
Eindeutig kriminell sind in diesem Kontext nach meinem Verständnis vor allem solche Handlungen, die
auf die vorsätzliche Täuschung und Schädigung eines Anderen ausgerichtet sind, d.h. die Menschen
z.B. wider besseres Wissen von zu Hause weglocken, die trotz gezahlten Geldes die entsprechende
'Dienstleistung' nicht erbringen, die beim Grenzübertritt den Tod von Menschen billigend in Kauf
nehmen, die Menschen, die sich vertrauensvoll in ihre Hand begeben haben, erpressen und in
sklavenähnlichen Abhängigkeitsverhältnissen halten. Ein heikles Feld für Gesetzgebung und Ethik,
welches ich an dieser Stelle nur anreißen möchte.
GRENZEN HERKÖMMLICHER BEKÄMPFUNGSANSÄTZE GEGENÜBER
'SCHLEUSERGRUPPEN'
Der Möglichkeit von Sicherheitskräften, migrationsermöglichende Netzwerke (die sogenannten
"Schleusergruppen") mit ausschließlich repressiven Mitteln erfolgreich zu bekämpfen, sind vor allem
durch folgende Punkte klare Grenzen gesetzt:
 Deren ethnisch homogene Zusammensetzung: zum Teil kommen die entscheidenden Drahtzieher
aus der selben Familien oder dem selben Clan; jeder Versuch, diese Strukturen zu infiltrieren, wird
sofort bemerkt und entsprechend abgewehrt.
 Zentrale Stellen vieler Organisationen sind in Staaten, wo Arrangements mit den dortigen
Sicherheitskräften ein ungehindertes, allseits profitables Miteinander garantieren.
 Der grenzübergreifenden polizeilichen Zusammenarbeit sind viele rechtliche und
verfahrenstechnische Hürden gesetzt, während die international arbeitsteiligen Gruppen bei ihrer
Zusammenarbeit von solchen Hindernissen frei sind.
NEBENFOLGEN DES HERKÖMMLICHEN REPRESSIVEN BEKÄMPFUNGSANSATZ
Ein 'bloßes' (kostspieliges) Weiter-Hochrüsten der Grenzen sowie der Polizei- und Sicherheitsdienste
als (alleiniges) Mittel zur Verhinderung illegaler Zuwanderung ist nicht nur von fragwürdiger Effizienz,
es zeitigt auch Nebenfolgen, die im höchsten Maße bedenklich sind:
 die Schwere des Grenzübertritts und dem damit verbundenen Risiko korreliert mit einer hohen Zahl
an Toten und Verletzten im Zusammenhang mit einem unerlaubten Grenzübergang;
 bei zunehmender 'Hochrüstung' der Grenze nimmt die Bedeutung von den kommerziellen und
kriminellen Organisationen zu, die sich ihrerseits mit modernster Technik ausrüsten können und es ist
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anzunehmen, daß genau hier der Einfluß krimineller Organisationen zunimmt;
 mit dem Ansteigen der Preise für illegale Grenzübertritte nimmt die Angst vor einer Enttarnung des
Status im Inland mit nachfolgender Ausweisung zu. Wo man bis ca. 1996 nach einer Abschiebung noch
problemlos zu Hause einen neuen Paß kaufen konnte, und somit 48 Stunden nach Abschiebung wieder
seine Arbeit aufnehmen konnte, ist dies inzwischen nicht mehr so leicht möglich. Entsprechend steigt
die z.B. von Kontrolleuren der Arbeitsämtern festgestellte Aggressivität der Migranten dem
Kontrollpersonal gegenüber.
Je besser die Grenze abgeschottet ist, desto größer werden auch die Schwierigkeiten für Migranten,
nach Hause zu reisen. In Gesprächen, die der Veröffentlichung meines Forschungsberichts folgten,
haben sich Anzeichen erhärtet, die zur damaligen Zeit nur andeutungsweise deutlich wurden: Die Zahl
von 'Illegalen' nimmt zu, die gerne das Land verlassen würden, dies aber nicht tun z.B. aus Mangel an
Geld oder Papieren oder aus Angst, zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr einreisen zu können.
Am besten verdienen die Schleusergruppen an der zunehmenden Grenzsicherung. Während der BND
1998 noch davon ausging, daß der Umsatz dieser Gruppen weltweit bei ca. 10 Milliarden DM lag
[BND 1998: 6], geht er in seinem neuesten Bericht bereits davon aus, daß dies die Höhe der Profite
allein für den europäischen Raum darstellt – "Tendenz steigend." [BND 2001: 8]
PRINZIPIELLE GRENZEN DER BEKÄMPFBARKEIT ILLEGALER MIGRATION MIT
REPRESSIVEN MITTELN
Der wichtigste Punkt für mich ist aber, daß illegale Migration mit ihren operativen Mechanismen mit
(ausschließlich) repressiven Mitteln prinzipiell nicht bekämpfbar ist.
Der BND-Bericht enthält in Bezug auf die Effizienz von Polizei und Grenschutztruppen fast aller
Migrationsherkunfts- und Transitstaaten düstere Einschätzungen. Oftmals ist es niedrige Bezahlung,
manchmal Gewinnstreben und Korruption, manchmal 'nur' mangelhafte technische Ausstattung, die
zum Schluß kommen läßt, daß die Überwindung nahezu aller entscheidenden Grenzen östlich und
südöstlich von Deutschland für die gut ausgerüsteten Schleusergruppen kein nennenswertes Hindernis
darstellen. Diese Schlußfolgerung kann ich vor allem nach meinen Gesprächen mit ost- und
südosteuropäischen 'Illegalen' bestätigen.
Der BND-Bericht bestätigt auch folgende Erkenntnis empirischer Forschungsarbeit: Polizei,
Sicherheitsdienste und Grenztruppen haben keine Möglichkeit, potentiell unkontrollierbare Grenzen
effizient kontrollieren zu können. Sei es das waldreiche Dreieck zwischen Kroatien, Slowenien und
Italien, sei es die tschechisch-deutsche Grenze, seien es die Küsten der Meere. Überall wird zugegeben,
daß die Kontrolle prinzipiell Lücken hat.
Ist aber eine Grenze gut zu kontrollieren (wie z.B. die polnisch-deutsche Grenze), wird dort mit gut
gefälschten Papieren gearbeitet, die wiederum die Grenzorgane aus Kapazitätsgründen nur lückenhaft
kontrollieren können.
Man kann die Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage nicht mit Polizei und Grenzschutz
bekämpfen. Die Nachfrage nach Einreisen besteht trotz Verbote? Also gibt es Anbieter, die diese
Nachfrage bedienen. Die Zielländer errichten höhere Barrieren mit Visabestimmungen und High-Tech
Grenzsicherungen? Die Dienstleister werden erfinderischer, teurer, risikobereiter. Ganze neue
Industriezweige sprießen und florieren: Hehlerei von Nachtsichtgeräten, Diebstahl von Visastempel,
Hinterhofdruckereien für Ausweise usw. Auch hier bin ich dem SPIEGEL zum Dank verpflichtet, weil
er nicht nur eine der typischen Preislisten dieses Dienstleistungssektors veröffentlichte, sondern darüber
hinaus auch noch einen ehemaligen Schleuser interviewte [18/2001:24], der genau in dieses von mir
skizzierte Bild der kommerziellen Grenzübertrittsbranche der Schattenwirtschaft hineinpaßt: Alles hat
seinen Preis, aber die Ware wird auch geliefert. Hier gewinnt auch der Ausdruck "Garantieschleusung"
seine Bedeutung: Der Erfolg wird garantiert - und wenn es fünfmal und mehr Anläufe braucht. Das ist
keine verbrecherische Ausbeutung, das ist fairer Business – wie viele andere geschäftliche
Transaktionen in unserem Leben, nur eben Marktwirtschaft unter besonders schweren Bedingungen,
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mit seinen eigenen Gesetzen. Entsprechend werden sich für jede Gruppe, die von Polizei und
Sicherheitskräften zerschlagen wird, zwei neue bilden, die deren Platz in diesem lukrativen Business
einnehmen werden.
Abschließend sei nochmals an die Nachfrage erinnert, die in den Industrieländern nach 'illegalen'
Billigstarbeitern besteht, etwa in der Bauindustrie, Landwirtschaft, Gastronomie sowie dem privaten
und kommerziellen Reinigungsgewerbe. Wir täuschen uns über Ausmaß und Normalität, den illegale
Ausländerbeschäftigung bereits in unserem Land hat, eben weil diese Beschäftigung weitestgehend
unsichtbar ist und ganz natürliche (und strafrechtliche) Hemmschwellen bestehen, darüber offen zu
sprechen. Kurz und knapp brachte es einer meiner 'illegalen' Gesprächspartner auf den Punkt: "Wo
Geld verdient werden kann, sucht man Wege, da dran zu kommen. Wir wollen Arbeit, die deutschen
Chefs wollen Gewinne, und die Mafia vermittelt zwischen uns."
Sowohl empirische Forschungsergebnisse als auch Sicherheitsdienste kommen also zu der
Schlußfolgerung, daß es unverändert eine Fülle von Möglichkeiten gibt, selbst die Grenze mit der
"höchsten Kontrolldichte" in Europa zu überwinden. Denn: Repressive Ansätze in der Bekämpfung
illegaler Zuwanderung werden das Migrationsverhalten der Menschen vor allem VERÄNDERN, nicht
aber VERHINDERN. Daß die illegale Zuwanderung trotz aller Bemühungen nach wie vor hoch ist, ist
bekannt. Mir scheint aber, daß sie, vor allem aufgrund der 'Umstellung' auf die Verwendung von gut
gefälschten Papieren, noch höher ist als die Statistiken des BGS und die PKS nahelegen.
Daraus folgt: Solange ordnungspolitische Maßnahmen zur 'Zuwanderungskontrolle' die faktischen
Migrationsmechanismen bzw. die 'marktwirtschaftlichen' Angebots- und Nachfragestrukturen nicht
angemessen berücksichtigen, werden mehr und mehr Akteure in die Illegalität abgedrängt, und um so
mehr vergrößert sich der rechtsfreie Raum, der sich staatlicher Kontrollbemühungen entzieht. Wie
leicht ein unerlaubter Grenzübertritt nach wie vor ist, formulierte mir gegenüber eine Sozialarbeiterin
aus Polen im Januar 2000:
'Ich wundere mich jedes Mal, wie einfach es immer noch ist, über die Grenze zu kommen. Wenn sich
beispielsweise eine Familie von mir verabschiedet, bin ich immer noch total aufgeregt. Ob das denn
wohl klappt? Und es klappt. Sie gehen um vier Uhr früh und ich bekomme um zehn Uhr vormittags
einen Anruf von ihnen aus Berlin. Sicher, es kostet inzwischen bis zu 500 DM pro Person, was vor
allem für Familien teuer ist. Aber es klappt.'
Höchste Zeit, sich bezüglich alternativer Ansätze Gedanken zu machen.
Ausblick
Es wird viel zu oft übersehen, daß 'Illegale' ihre Heimat ebenso ungern verlassen wie Deutsche und daß
viele, die hier leben, gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Für folgenden
Gesprächspartner etwa wäre es das Höchste: "die Heimat aufzubauen, die Ukraine. Nicht irgendwo
hinzufahren und andere Länder aufzubauen, sondern das eigene Land. Die besten Fachleute sind im
Ausland. Auf der ganzen Welt. Zu Hause sitzen nur die Alkoholiker." [Alt 1999a: 230]
Was sollte man also tun, um internationale illegale Migration zu verhindern? Dem BND ist bei seinen
Schlußfolgerungen aus meiner Seite vollauf zuzustimmen: Die Hauptursachen der weltweiten
Wanderungsbewegungen werden auch in nächster Zukunft bestehen bleiben. ... Angesichts solcher
Perspektiven sind die europäischen Staaten aufgerufen, ein umfassendes multilaterales
Migrationskonzept zu entwickeln. Die Verstärkung der Grenzsicherung kann nicht die einzige Antwort
auf den wachsenden Migrationsdruck sein. Über die bloße Abschottung hinaus muß die Zuwanderung
so weit wie möglich gesteuert werden. ... Ohne den Abbau der Push-Faktoren ist die Bekämpfung der
weltweiten Wanderungsbewegungen ... zum Scheitern verurteilt. Armut, Unterdrückung in den
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Ausgangsländern müssen schrittweise verringert, (Bürger-)Kriege möglichst verhindert oder beendet
werden. Verstärkte humanitäre Maßnahmen und Entwicklungshilfe sowie eine weitere Öffnung der
EU-Märkte und Zollerleichterungen können dazu einen Beitrag leisten. Die globale Dimension der
Migrationsproblematik erfordert darüber hinaus eine verstärkte Kooperation der Industriestaaten
weltweit. [BND 2001:95f., Herv.i.T.]
Die Sache hat aber dann einen Haken, wenn wir nach der Kosten fragen, die mit einer Umsetzung
dieser Schlußfolgerungen verbunden sind. Und dann werden wir sehr schnell feststellen, daß wir alle
für diese Kosten aufkommen müssen: Wir alle sind Nutznießer eines Systems, welches nicht nur
zivilisatorisch-demokratisch einen hohen Entwicklungsstand hat, sondern auch eines Systems, welches
auf Kosten anderer produziert und konsumiert. In einer zunehmend vernetzten Welt kann man nicht
verhindern, daß sich dieses Schlaraffenland herumspricht und daß sich mehr und mehr Menschen auf
den Weg machen, um an diesem Wohlstand teilzuhaben.
Diese Menschen werden vor allem dann in ihrem Herkunftsland bleiben, wenn wir mit dazu beitragen,
daß vorhandene schlechte Entwicklungen gestoppt werden – Krieg, Menschenrechtsverletzung,
Unterentwicklung, Umweltverschmutzung – und wenn wir dazu beitragen, daß ihre Heimatländer in
absehbarer Zeit eine realistische Entwicklungschance haben, damit sich auch dort Wohlstand
entwickelt. Wollen wir das, ist es nicht mit Spenden und Kollekten am Sonntag getan – auch nicht mit
strukturellen Umschichtungen vorhandener Haushaltsbudgets oder gar Steuererhöhungen. Nein, wir
müssen nach gerechten Kriterien teilen und von unserem Wohlstand abgeben: Wir müssen verzichten.
Genau so etwas steckt beispielsweise in der harmlos klingenden Forderung nach "Öffnung der EUMärkte und Zollerleichterung". Aber genau so etwas ist unpopulär in unserem Land. Dann ist doch
auch der mitfühlende Gutmensch eher geneigt, nach mehr Polizei und mehr Grenzsicherung zu rufen,
damit er seinen Wohlstand auch weiterhin allein genießen kann. Dies wird aber, wie ich hoffentlich
aufzeigen konnte, auf Dauer nicht gelingen.
Es ist die Aufgabe von uns allen, der Bevölkerung in unserem Land – Politikern und
'Normalverbrauchern' – klarzumachen:
 Daß man nicht in einer sich globalisierenden Welt leben und nur die guten Dinge genießen kann.
Man muß auch die negativen Folgen akzeptieren und auf diese Herausforderungen eine glaubwürdige
Antwort finden.
 Daß materieller Reichtum, auf den unser Gesellschaft allzuviel Aufmerksamkeit verwendet, nicht
alles ist: Auch andere Gesellschaften haben Werte, von denen wir lernen können. Man erinnere sich nur
an die Begeisterung, mit der deutsche Bürger oft aus Urlauben in anderen Weltgegenden kommen - wie
sie über die dort erfahrene Freundlichkeit, das Zeitgefühl, den sozialen Zusammenhalt, die
hochstehende geistige Kultur etc. schwärmen. Meine These ist: Wenn wir von unserem Wohlstand
abgeben, dann werden auch wir beschenkt werden.
Darüber hinaus ist in Deutschland und auf der Ebene der Europäischen Union dringend über folgendes
nachzudenken:
 Wie kann ein Asyl- und Familienrecht, wie eine Zuwanderungsregelung gestaltet werden, die dem
faktischen Migrationsverhalten bestmöglich entspricht und deshalb in der Lage ist, Illegalität von
vorneherein zu vermindern?
 Wie können ganz pragmatisch die Rahmenbedingungen für hier 'illegal' lebende Menschen
verbessert werden, ohne daß diesen deswegen automatisch daraus ein Anspruch auf Aufenthalt
erwachsen würde? Dadurch würde sowohl der Würde dieser Menschen Rechnung getragen, aber auch
der Regelungshohheit, die ein souveräner Staat im Hinblick auf Zuwanderung hat.
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Beides ist deshalb nötig, weil illegale Migrationsbewegungen anhalten werden, solange es weltweit
Menschenrechtsverletzungen und Wohlstandsgefälle geben wird. Den Traum von einem besseren
Leben anderswo kann man Menschen nicht verbieten. Auch hierin weiß ich mich mit MitarbeiterInnen
deutscher Polizei- und Sicherheitsdiensten völlig einig. Da ich zu den vorstehenden Punkten aber
bereits andernorts Darlegungen veröffentlicht habe [Alt 2001] und dies auch nicht der spezifische
Gegenstand meines Referats ist, werde ich hier innehalten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
3.
ILLEGALITÄT VON AUSLÄNDERN – Praxisbericht aus Thüringen Jose Manuel Paca
Ausländerbeirat Erfurt
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Gäste!
Zu Beginn möchte ich Sie herzlich auf dieser Veranstaltung begrüßen. Ich bin Mitglied des
Ausländerbeirates Erfurt. Ich kann aber auch aus eigenen Erlebnissen über Auswirkungen von illegaler
Beschäftigung berichten. Diese Erfahrungen sammelte ich bei meinem Einsatz für von diesem Problem
betroffene Ausländer.
Sehr geehrte Damen und Herren,
in diesem neuen Jahrhundert sollte es die Pflicht für jeden Menschen sein, sich für die Bewahrung der
Menschenwürde einzusetzen.
Denn wir wissen genau, wie schrecklich und grausam Sklaverei ist. Aber leider, sehr geehrte Damen
und Herren, muss heutzutage der Mensch nicht selten unter gleichen schrecklichen Methoden leiden.
Mit kurzen Worten kann ich sagen, illegale Beschäftigung ist auch eine moderne Form der Sklaverei.
Und wenn Sklaverei ein grausames Verbrechen gegen die Menschenwürde ist, muss der Kampf gegen
diese letztlich kriminellen Machenschaften eine Pflicht für die gesamte moralische, zivilisierte
Menschheit sein.
Es ist inakzeptabel, wenn ein Mensch gezwungen wird, 18 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche,
zu arbeiten. Ohne Lohn, mit nur einer Mahlzeit pro Tag, ohne eine würdige Gelegenheit zum Wohnen.
Das heißt zum Beispiel, dass auf 8 qm vier Personen leben müssen. Ohne eine Chance auf Urlaub oder
andere Form der Erholung. Ohne eine medizinische Betreuung.
Und das Schlimmste ist, wenn der Betroffene sich beschwert, wird er meistens von organisierten
Schlägertrupps brutal verprügelt. Und das alles sind Tatsachen, meine Damen und Herren, die wir in
letzter Zeit in unserer Stadt erleben mussten.
Als ich im vorigen Jahr einem solchen Fall der Missachtung der Menschenwürde nachging, wurde mein
leben bedroht und ich entging nur knapp einem Mordversuch. An den Folgen dieser Tat leide ich und
meine gesamte Familie noch heute.
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Die Opfer von sogenannter illegaler Beschäftigung oder besser gesagt „moderne Sklaven“, sind mit
falschen Versprechungen hierher gelockt worden. Viele Portugiesen wurden Opfer dieser
verbrecherischen Ausbeutungsmethoden. Sie wussten nicht, dass sie eine eigene Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis besitzen müssen. Außerdem sind die meisten Opfer vom Land und
sie haben nicht viele Erfahrungen mit dem komplizierten Arbeitsrecht. Natürlich auch nicht mit dem
deutschen Ausländergesetz.
In vielen Fällen wird auch der Reisepass dieser Leute entzogen, um zu vermeiden, dass sie entkommen
können. In Krankheitsfällen gab es keine Möglichkeit der medizinischen Behandlung, da die Zahlung
von Sozialbeiträgen in solchen Fällen ein Fremdwort ist. Verantwortlich dafür sind die sogenannten
Arbeitgeber und ihre Komplizen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie ist es möglich, wenn jemand seine rechte Hand gebrochen hat, dass von ihm gefordert wird, mit der
linken Hand weiter zu arbeiten?
Sonst verliert er seine Unterbringung und auch die einzige Mahlzeit am Tag. Trotz alledem kann der
Betroffene von Lohn nur träumen. Selbst bei schweren Verletzungen erhält der Mann höchstens eine
ambulante, erste Hilfe. Danach wird der Betroffene mit allen Mitteln bedroht, um die Behandlung zu
beenden. Oder er wird sogar gezwungen, aus dem Krankenhaus zu fliehen.
Meine Damen und Herren,
das haben wir in unserer Stadt Erfurt erlebt. Auch in dem Fall, wenn der Betroffene entschlossen ist, die
Behandlung beenden zu lassen, kommt später die Bezahlung der Kosten auf ihn zu. Durch das fehlende
Geld kommt er in eine Art täglichen Überlebenskampf. Er hat zum Beispiel auch keine Möglichkeit,
ein Ticket zur Fahrt in seine Heimat zu kaufen.
Hinzu kommt die ständige Angst von seinem ehemaligen Ausbeuter gejagt zu werden, aber auch weil
er keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Und am Ende kommt noch das sprachliche Verständigungsproblem, wenn er um Hilfe bitten will.
Im eigenen Heimatland werden ihn Schuldgefühle verfolgen, weil er von der Familie oft als Versager
betrachtet wird. Zum Beispiel viele dieser Opfer müssen hohe Schulden machen, um einen Vermittler
oder Informanten für eine Arbeit in Deutschland zu finden. Doch gerade diese Informanten locken die
Opfer mit falschen Versprechungen. Beispielsweise wird oft ein Lohn von 3000 bis 4000 Markt im
Monat genannt.
Typisch für diese Methoden sind zwei Bereiche, das Baugewerbe und die Gastronomie. Auch jeder
illegale Beschäftigte oder moderne Sklave ist ein rechtloser Mensch in einem fremden Land, weil er
über keine Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis verfügt. Und viele Arbeitgeber oder
Ausbeuter verstehen es sehr gut, mit den Gesetzten umzugehen. Es werden niemals schriftliche
Arbeitsverträge mit den Opfern abgeschlossen. Keine Lohnzettel verteilt. Und immer wird mit Strafen
gedroht, wenn man jemanden als Zeugen mit dem Problem bekannt macht.
Der mir bekannteste Fall betrifft einen 56-jährigen Portugiesen. Er wollte sich auf Gesetze berufen und
wurde durch seine Ausbeuter mit einem Messer am Kopf schwer verletzt. Es gab 300 andere Opfer, die
fast fünf Jahre ohne Lohn in dieser Stadt unter unwürdigen Bedingungen gearbeitet haben. Und nur
einer hat nach einer durch die Arbeit bedingten Krankheit versucht, seine Rechte vor Gericht
einzuklagen. Wegen Unkenntnis der deutschen Arbeitsgesetze wurde die Beschwerde als ungültig
erklärt, nur weil er den Beschwerdetermin nach den Tarifverträgen in der Baubranche versäumt hatte.
Leider ist so dieses Musterbeispiel schief gegangen. Daher ist auch die Möglichkeit geplatzt, dass sich
mehr äußern konnten.
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An dieser Stelle sei mir der Aufruf an die Gesetzgeber erlaubt, in solchen Fällen einzig den Menschen
in den Vordergrund zu stellen. Also nicht irgendwelche Termine, sondern die vorgefallene Tat.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen,
diese Probleme, diese Schande ist nicht nur gegen die Menschenwürde, sondern sie vergiftet sogar auch
die Verständigung mit den Deutschen und behindert die Akzeptanz von Ausländern in der Gesellschaft.
Denn illegale Beschäftigung ist – und das will ich hier ganz deutlich sagen – auch die Vernichtung von
Arbeitsplätzen.
Nun möchte ich Ihnen noch eines erzählen. Als ich in Portugal war, um mich auch von den Folgen des
Anschlages auf mein Leben zu erholen, bemerkte ich dort die gleichen verbrecherischen
Beschäftigungspraktiken. Nur sind in Portugal vor allem Menschen aus Osteuropa und Brasilien von
der modernen Sklaverei betroffen. Zum Beispiel verdiente ein Russe auf dem Bau 228 Escudos. Das
sind umgerechnet zwei Mark am Tag. Bei den gleichen unerträglichen Arbeitsbedingungen wie in dem
aus Erfurt geschilderten Fall.
Am Ende meines Erfahrungsberichtes will ich Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, noch eines
sagen: Es ist für uns ein bedeutender Fakt, dass in den USA die Abschaffung der Sklaverei 1865 in die
Verfassung aufgenommen wurde und die UNO-Menschenrechtskonvention von 1948 jede Form der
Sklaverei und des Menschenhandels verurteilt. Die Sklaverei war und ist ein grausames Verbrechen
gegen die Menschheit.
Ich möchte hier fast das Jahr 2000 anfügen. Denn, seitdem mir das Berichtete passiert ist, hat sich die
Situation in unserer Stadt stark verbessert. Ich bin dankbar für die Entwicklung im Bereich der
Gastronomie. Hier gibt es nun – nach meinen Erkenntnissen – zum Glück nicht mehr die bis vor
kurzem noch gängige Praxis der Ausbeutung.
Dennoch muss es eine Pflicht für jeden sein, sich dafür einzusetzen, dass diese Form der Ausbeutung in
der modernen und zivilisierten Welt ein Ende hat.
4.
DIE BESONDERE SITUATION VON FRAUEN IN DER ILLEGALITÄT - ein Fallbeispiel Barbara Eritt
In Via e.V. Berlin
Ich bedanke mich sehr für die Einladung zu dieser Tagung und freue mich, als seit langem in dem
Problematik engagierte Sozialarbeiterin hier ein kurzes Gesprächsimpuls geben zu können.
Ich danke Ihnen allen für Ihre Bereitschaft, sich diesem so komplexen Phänomen zu widmen.
Es ist äußerst schwierig, in diesem Bereich Menschen zu begegnen und ihnen zu helfen. Unsere
Möglichkeiten sind durch das restriktive Ausländergesetz auf das Minimum eingeschränkt. Die meisten
Debatten um Illegalität und Migration werden durch angstmachenden „Migrationsdruck“ bestimmt.
Aus meiner Erfahrung geht jedoch hervor, dass nicht nur die lang ersehnte Reisefreiheit alleine die
Zahlen der neuen Migrantinnen steigert. Oft werden in den osteuropäischen Ländern die Frauen
geradezu erst auf die Idee auszureisen gebracht. Dies geschieht durch direkte Anwerbung oder
Zeitungsinserate. Es gibt inzwischen ein gut funktionierendes Netz zwischen Deutschland und
osteuropäischen Ländern, das für „gute Arbeitskräfte“ für Deutschland sorgt.
Um die schwierige Situation mancher Frauen zu veranschaulichen, erlaube ich mir hier anonymisiert
Ihren ein wahres Schicksal vorzustellen:
19
Lena kam nach Berlin im Sommer 2000 aus einem osteuropäischen Staat. Sie ist nach Berlin mit Visum
nach Österreich eingereist. Unsere Beratungsstelle hat sie erst Anfang Oktober aufgesucht. Sie wandte
sich an uns in einem Moment ihres Lebens, wo sie selbst keinen Ausweg mehr aus ihrer sehr
komplizierten Lebenslage wusste. Lena spricht sehr gutes Deutsch. Die Sprache lernte sie in Berlin.
Denn sie hält sich zum zweiten Mal in Berlin auf. Das erste Mal kam sie nach Berlin vor etwa 3 Jahren.
Sie wollte damals eine kurze Zeit in Berlin bleiben – ein bis zwei Monate ein bisschen Geld verdienen.
Man versprach ihr einen guten Job als Kellnerin. Doch schon bei der Ankunft in Berlin erfuhr sie, dass
sie hier als Prostituierte arbeiten wird. Sie wurde damals zu Prostitution gezwungen und stand unter
ständiger Kontrolle. Nach einigen Monaten gelang es ihr, aus den Fängen der Menschenhändler zu
fliehen. Sie hielt sich über ein Jahr lang in Berlin illegal auf. Sie konnte nicht ausreisen, sie hatte keinen
Pass mehr. Dieser wurde von den Menschenhändlern einbehalten.
Sie fand in Berlin einen Freund, der ihr die Heirat versprach. Zusammen mit ihm bezog sie eine
Wohnung. Versuchte, trotz aller Widrigkeiten, ein normales Leben zu führen. Lena war verliebt und
glaubte ihrem Freund. Zufällig traf sie auf der Straße eine Bekannte. Eine Frau, die sie hier in Berlin
kennen gelernt hat. Eine Frau, die ähnlich wie sie zu Prostitution gezwungen wurde. Diese Bekannte
eröffnet Lena, dass sie eine Anzeige gegen die Menschenhändler erstattet hat und dass Lena dies auch
machen sollte. Sie nahm Lena die Angst vor der Polizei. Lena machte Aussagen. Sie erklärte sich auch
bereit, als Zeugin vor Gericht auszusagen. Sie war erleichtert – endlich die Wahrheit gesagt zu haben.
Sie bekam bis zum Abschluss des Prozesses eine Duldung. Im März letzten Jahres wurden die Täter
aufgrund auch ihrer Aussage zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Gleich im April musste sie
Deutschland verlassen. Die Duldung für Opferzeuginnen im Menschenhandelverfahren wird lediglich
bis zum Abschluss eines Prozesses erteilt. Lena fuhr zurück in ihr Heimatland nicht ohne Angst. Sie
sagte gegen die Männer aus, die aus dem gleichen Ort wie sie kamen. Die Täter unterhalten weiterhin
Kontakte zu ihren Komplizen. Lena fuhr nach Hause, weil sie musste. Sie fuhr jedoch in der Hoffnung
bald wieder zurückzukommen, denn sie wollte ihren Freund heiraten. Sie wollte so schnell wie möglich
alle nötigen Dokumente für eine Heirat beschaffen und mit einem Pass und klaren Perspektiven in
Berlin wieder ankommen.
In ihrer Heimatstadt angekommen erfuhr sie, dass ihre Familie bereits Drohungen seitens der Täter
ausgesetzt war. Lena traut sich beinah drei Monate nicht aus dem Haus. Wenn sie irgend welche
Formalitäten persönlich erledigen musste, fuhr sie immer mit ihren Verwandten zusammen. Schnell
merkte sie, dass sie dort für längere Zeit kein normales Leben mehr führen kann, zumal einer der Täter,
der aus dem gleichen Ort wie sie kommt, im Dezember entlassen und abgeschoben werden sollte.
Lena musste also schnell wieder nach Berlin zu ihrem Freund. Sie wollte auch deswegen zu ihm, denn
sie erwartete ein Kind von ihm. Doch der Freund scheint Schwierigkeiten mit einer Einladung zu
haben. Lena versuchte es also alleine und reiste nach Berlin mit einem Visum für das Land, für das sie
ein Visum problemlos erhalten konnte. Im Sommer kam Lena wieder nach Berlin. Mit einem Visum für
Österreich. Sie kam zu ihrem Freund, der heiraten wollte. Erst jetzt erfährt sie jedoch, dass der Mann
noch verheiratet ist und sich keine Kinder wünscht. Nach kurzer Zeit befindet sie sich wieder in der
„Illegalität“.
Lena ist unverschuldet das erste Mal in die Illegalität geraten. Das zweite Mal hatte sie schlicht keine
andere Wahl. Ich hoffe, es wird möglich sein, in ähnlichen Fällen Frauen bei Gefährdung im
Heimatland in Deutschland eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.
20
5.
RECHTSSICHERHEIT UND KONFLIKTFÄHIGKEIT STÄRKEN - Ein
arbeitsmarktbezogener Ansatz zur sozialen Arbeit mit Menschen ohne Aufenthaltsstatus in
Berlin Norbert Cyrus
Polnischer Sozialrat e.V. Berlin
(Aus der Erfahrung der praktischen Beratungsarbeit des Polnischen Sozialrat e.V. in Berlin wird
dargestellt, dass auch illegal beschäftigte ausländische Arbeitnehmer Lohn einklagen können. Darüber
hinaus wird begründet, warum es aus einer menschenrechtlichen und sozialen, aber auch
gesamtgesellschaftlichen Perspektive sinnvoll ist, dass Beratungsstellen der Migrationssozialarbeit die
Konfliktfähigkeit und Rechtssicherheit aller Arbeitnehmer unabhängig vom Aufenthaltsstatus stärken.
Plädiert wird für eine Ausweitung der Zuständigkeitsbereiche der Beratungsstellen der
Migrationssozialarbeit, um auf die veränderten Anforderungen „transnationaler Migration“ zu
reagieren.)
Mit der Entstehung „transnationaler sozialer Räume“ wird auch die Ausweitung und Verstetigung
mobiler Formen der Zuwanderung verbunden, denn die über Grenzen hinweg bestehenden sozialen
Netzwerke ermöglichen und organisieren die Zunahme räumlicher Mobilität (Pries 1997). Auch in
Deutschland bestehen inzwischen neben der dauerhaften Zuwanderung vielfältige Formen zeitlich
befristeter Aufenthalte von Zuwander/innen, die teils aus eigenem Kalkül oder auch teils auf Grund
rechtlicher Einschränkungen keinen Daueraufenthalt in Deutschland haben. Ein beträchtlicher Teil
dieser mobilen Formen der Migration verstößt gegen aufenthalts- und/oder
arbeitserlaubnisrechtliche Bestimmungen (Cyrus 2000). In den letzten Jahren hat das Problem der
illegalen Zuwanderung und der statuslosen Aufenthalte an Umfang und an Aufmerksamkeit
gewonnen (Alt 1999; Cyrus 1997 a und b; Eichenhofer 1999). Viele Beratungsstellen sind
inzwischen ganz praktisch vor die Aufgabe gestellt, Menschen ohne Aufenthaltsstatus zu helfen.
Bisher wird die soziale Arbeit mit Menschen ohne Aufenthaltstatus überwiegend stillschweigend
„nebenher“ und zusätzlich im Rahmen der bestehenden Angebote der Migrationssozialarbeit, aber
auch allgemeiner niedrigschwelliger sozialer Dienste geleistet. Die Mitarbeiter/-innen der
Beratungsstellen, dies zeigte sich auch bei einer Fortbildungsveranstaltung der Berliner
Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände im Juni 2000, sind oftmals überfordert, auf sich allein
gestellt und von Zweifeln geplagt, ob sie vielleicht im Einzelfall Hilfemöglichkeiten übersehen und
nicht vielleicht doch mehr hätten tun können. Gleichzeitig bestehen Unsicherheiten, wann man sich
durch den sozialen Dienst an Menschen ohne Aufenthaltsrechte selber strafbar macht. Schließlich
bleibt auch unklar, ob und wie diese Arbeit vom Träger letztlich akzeptiert wird.
Vor diesem Hintergrund bietet die im April 1999 von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien
Wohlfahrtspflege e.V. veröffentlichte Erklärung „zur rechtlichen Situation der Ausländer ohne legalen
Aufenthaltsstatus in Deutschland“ einen wichtigen Rückhalt. In der Präambel heißt es, dass die sozialen
Dienste und Beratungsstellen immer wieder von Menschen ohne Aufenthaltsstatus aufgesucht werden.
Auch für solche Fälle gilt das grundlegende Selbstverständnis : „Die Verbände der Freien
Wohlfahrtspflege bieten Menschen in Not ihre Hilfe an, ohne Rücksicht auf Geschlecht, Herkunft,
Religion oder Aufenthaltsstatus. Allein die Bedürftigkeit ist für sie Kriterium der Hilfeleistung. (...) Sie
werden deshalb sicherstellen, dass Mitarbeiter(innen), die statuslosen Ausländern zur Linderung und
Beseitigung ihrer Notlagen helfen, diesen Dienst ausüben können. Die Verbände werden jedem
Versuch einer Kriminalisierung dieser Tätigkeiten entgegensteuern.“ Diese eindeutige
Standortbestimmung der ethischen Grundlagen der Migrationssozialarbeit bildet eine erste Antwort der
Wohlfahrtsverbände auf eine veränderte, transnationale Zuwanderungssituation nach Deutschland.
Weiterhin ungeklärt bleibt jedoch, wie die „Hilfe in Not“ konkret aussehen soll. Einerseits geht es
21
perspektivisch darum, durch politische Einflußnahme die Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und
Ressourcen für diese Hilfe zu verbessern. Andererseits steht die praktische Migrationssozialarbeit
aktuell vor dem Problem, unter den gegebenen Bedingungen Hilfe zu leisten: In Fällen, in denen eine
Legalisierung des Einzelfalles nicht möglich ist, geht es oft schlicht darum, zumindest
menschenrechtliche und soziale Mindeststandards zu halten. Dabei kommt es auf das Engagement, das
Wissen, die Erfahrung und die Beziehungen der einzelnen Mitarbeiter/innen der Beratungsstellen an, ob
eine ärztliche Behandlung organisiert werden kann, ob eine Schule für das Kind statusloser Eltern
gefunden werden kann, ob das vorenthaltene Arbeitsentgelt für geleistete Arbeit mit Erfolg eingefordert
werden kann. Bereits entwickelte pragmatische Konzepte für die Arbeit mit statuslosen Menschen in
den Bereichen Schulbildung für Kinder oder Gesundheitsversorgung und die damit
zusammenhängenden Forderungen sind kaum bekannt. Nur zögernd werden Konzepte der sozialen
Arbeit mit Statuslosen unter den Bedingungen ihrer rechtlichen Ausgrenzenzung öffentlich vorgestellt
(Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen 2000). Dies gilt auch für das Problem, dass illegal
beschäftigte ausländische Arbeitnehmer um den Lohn für ihre Arbeitsleistung geprellt werden. Vor
dem Hintergrund der praktischen Erfahrungen aus der Beratungsarbeit soll in diesem Beitrag dargestellt
werden, dass auch illegal beschäftigte ausländische Arbeitnehmer ihren Lohn einklagen können.
Darüber hinaus werde ich eine Argumentation vorstellen, warum es aus einer menschenrechtlichen und
sozialen, aber auch gesamtgesellschaftlichen Perspektive sinnvoll ist, dass Beratungsstellen der
Migrationssozialarbeit die Konfliktfähigkeit und Rechtssicherheit aller Arbeitnehmer unabhängig vom
Aufenthaltsstatus stärken. Damit plädiere ich für eine Ausweitung der Zuständigkeitsbereiche der
Beratungsstellen der Migrationssozialarbeit, um auf die veränderten Anforderungen „transnationaler
Migration“ zu reagieren.
Ausweitung der Schattenwirtschaft trotz verstärkter Gegenmaßnahmen
Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur von den weltweit wirksamen Folgen der ökonomischen
Globalisierung betroffen, sondern in exponierter Weise auch von den ökonomischen, sozialen und
politischen Transformationsprozessen in Europa. Mit dem Wegfall der Migrationsbarrieren ist die Zahl
der legal und illegal beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer/innen sowohl aus MOE-Staaten als
auch aus den Mitgliedsstaaten der EU stark angestiegen. Das bestehende Wohlstandsgefälle macht die
Erwerbstätigkeit für diese Arbeitskräfte auch zu unterdurchschnittlichen Lohnbedingungen zu einer
attraktiven Angelegenheit. Inländische Auftrag- und Arbeitgeber nutzen die Bereitschaft dieser
Wanderarbeitskräfte, auch ungünstigere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, in ungesetzlicher Art aus.
Trotz intensiver und zunehmender Bemühungen konnten staatliche Stellen in den letzten 25 Jahren eine
Zunahme schattenwirtschaftlicher Aktivitäten nicht verhindern: Der Anteil der Schattenwirtschaft am
Bruttosozialprodukt hat sich in der Bundesrepublik Deutschland von 5,8 Prozent im Jahr 1975 auf 14,7
Prozent im Jahr 1998 fast verdreifacht. Durch schattenwirtschaftliche Aktivitäten wurden, so die
Einschätzung des Ökonom Friedrich Schneider, im Jahr 1998 insgesamt 580 Milliarden DM
erwirtschaftet (Tagesspiegel vom 4. September 1999). An dieser Stelle sollte allerdings betont werden,
dass die illegale Ausländerbeschäftigung nur einen kleineren Anteil an der Schattenwirtschaft hat. Es
gibt keine seriösen Zahlen, aber die Statistiken der Aufgriffe illegal beschäftigter Arbeitnehmer durch
die Kontrollbehörden zeigen, dass der Anteil ausländischer Arbeitnehmer irgendwo zwischen einem
Drittel und zehn Prozent liegen könnte, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Branchen
gibt. In vielen Branchen, etwa bei Honorartätigkeiten für Nachhilfe, wird der Ausländeranteil auf
Grund der besonderen geforderten Anforderungsprofile noch niedriger liegen. Friedrich Schneider
schätzt, dass etwa zwei Drittel des Umsatzes in der Schattenwirtschaft durch Arbeitnehmer getätigt
wird, die nebenbei arbeiten. Mit Sicherheit läßt sich nur sagen: Das Anwachsen der Schattenwirtschaft
ist kein „Ausländerproblem“, doch mit dem Anwachsen der Schattenwirtschaft entstehen auch für
ausländische Arbeitskräfte mehr informelle Jobs. Bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung
konzentrieren sich die Behörden überproportional auf die illegale Ausländerbeschäftigung: In
regelmäßig veröffentlichten Presseerklärungen über die Ergebnisse von Baustellenüberprüfungen wird
einseitig über die Aufgriffe ausländischer Arbeitnehmer berichtet. Damit entsteht in der Öffentlichkeit
22
ein verzerrtes und unangemessenes Bild der Schattenwirtschaft. Ausgeblendet wird dabei, dass die
Ausbreitung der Schattenwirtschaft vor allem ein Ausdruck der schwindenden Legitimität der
Arbeitsmarktordnung ist und eine Bekämpfung der Schatttenwirtschaft weniger an den Symptomen
ansetzen müßte als vielmehr an den Ursachen, nämlich der schwindenden Akzeptanz der Steuer- und
Sozialabgabenpflicht (Schneider und Ernste 2000; Lamnek u.a. 2000; Jahn 1999).
Trotz hohem und immer höherem Einsatz von Kontrollpersonal und der Ausweitung von
Kontrollbefugnissen konnte diese Entwicklung nicht gestoppt werden. Im Gegenteil bestehen, wie ich
aufzeigen möchte, sogar einige kontraproduktive Effekte, wodurch die schattenwirtschaftliche
Aktivitäten ungewollt begünstigt werden kann: Durch die Verfolgung abhängig beschäftigter
ausländischer Arbeitskräfte wird ihre Rechtsicherheit und Konfliktfähigkeit eingeschränkt. Damit
entsteht eine ungeschützte Situation, die von unseriösen Arbeitgebern und Arbeitsermittlern bewußt
ausgenutzt wird. Damit eröffnen sich durch Lohnvorenthaltung zusätzliche Profitaussichten, denn die
illegal beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer sehen keine Möglichkeit, sich zu wehren, sie sind
verletzlich und ausbeutbar. Illegal beschäftigte ausländische Arbeitskräfte ohne Aufenthaltsstatus
werden häufig ganz oder teilweise um den versprochenen Lohn geprellt werden, eine inzwischen
mehrfach dargestellte Situation (Alt 1999, Lederer und Nickel 1997). Damit bin ich bei einem weiteren
wichtigen Punkt angelangt, der in der Diskussion um die Schattenwirtschaft bisher nicht berücksichtigt
wird: Die Schattenwirtschaft hat nicht nur eine quantitative Dimension, das Ausmaß
schattenwirtschaftlicher Aktiviäten, sondern auch eine qualitative Dimension: die Arbeits- und
Lebensbedingungen sowie zivilgesellschaftlichen Verkehrsformen der Beziehungen zwischen den
Akteuren der Schattenwirtschaft. Wenn man die Schattenwirtschaft nicht verhindern kann, dann muß
man sich zumindest mit den sozialen und rechtlichen Mißständen beschäftigen.
Menschenrechtlich bedenkliche Ausweitung rechtsfreier Räume
In den letzten Jahren läßt sich eine alarmierende Ausweitung rechtsfreier Räume mit der Rechtlosigkeit,
Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit abhängig beschäftigter Arbeitskräfte ohne Aufenthaltsrechte
feststellen (vgl. auch Erzbischöfliches Ordinariat 2000, Cyrus 1999). Bei der illegalen
Ausländerbeschäftigung wird nicht nur gegen gesetzliche Bestimmungen zur Regelung von Arbeitszeit,
Arbeitsschutz, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsansprüchen
verstoßen. Auch strafrechtliche, die Arbeitgeber betreffende Straftatbestände wie illegale
Ausländerbeschäftigung in erheblichem Umfang, ausbeuterische Beschäftigung und betrügerische
Lohnvorenthaltung sind im Milieu der ungeschützten Arbeitsverhältnisse zu verzeichnen. Jörg Alt
(1999) hat in einer empirischen Studie dargestellt, dass einige betrogene ausländische Arbeitnehmer zur
Erlangung ausstehender Löhne Sachbeschädigungen begehen, Diebstähle durchführen oder sogar
kriminelle Banden mit dem "Eintreiben" von Forderungen beauftragen. Diese Arbeitnehmer sehen
keinen anderen, rechtmäßigen Weg, um den Rechtsanspruch auf Entgelt der von ihnen erbrachten
Leistungen in faktischen Arbeitsverhältnissen durchzusetzen. Insgesamt zeichnet sich ein Bild ab,
wonach die bisherigen ausschließlich repressiven Ansätze der Bekämpfung illegaler Beschäftigung
nicht nur relativ erfolglos bleiben, sondern auch kontraproduktive Effekte haben können. Aufgrund des
vermeintlich fehlenden Schutzes durch rechtsstaatliche Institutionen besteht die Gefahr, dass betrogene
Arbeitnehmer zur Durchsetzung der Auszahlung von vorenthaltenen Löhnen in Zukunft noch häufiger
zu Mitteln jenseits des gesetzlich Erlaubten greifen werden, als dies jetzt schon der Fall ist.
Zusammengefaßt stellt sich die Situation folgendermaßen dar:
 Dem staatlichen Gemeinwesen werden Steuereinnahmen entzogen
 Den Systemen der sozialen Sicherung werden obligatorische Beiträge vorenthalten
 Für die betroffenen Arbeitnehmer entstehen grund- und menschenrechtlich bedenkliche Situationen
der Schutzlosigkeit und tendenziellen Rechtlosigkeit
 Die Ausbreitung informeller Beschäftigungsverhältnisse geht mit der Ausbreitung rechtsfreier
Räume einher
23
Neue Ansätze in der Bekämpfung der Schattenwirtschaft
Die sozialen und rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der Wanderarbeit sind seit langem
hinlänglich bekannt, notwendig sind neue Ansätze. Es besteht die dringende Notwendigkeit, neue
Ansätze der Bekämpfung der Schattenwirtschaft zu entwickeln und zu erproben, die rechtsstaatliche
Prinzipien, grundrechtliche Vorgaben, menschenrechtliche Normen und pragmatische Erwägungen
angemessen berücksichtigen. Inzwischen wird die Notwendigkeit eines Perspektivenwechsels bei der
Bekämpfung illegaler Beschäftigung von Ausländern in Richtung Stärkung der Rechtssicherheit und
Konfliktfähigkeit der Arbeitnehmer zunehmend gesehen. So begründen Friedrich Schneider und
Dominik Ernste in ihrem 2000 erschienenem Buch „Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit“ aus
wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive die Auffassung, dass mit höheren Strafen und intensiveren
Kontrollen nur die Symptome der Schattenwirtschaft bekämpft werden. Diese seien „teuer und
aufwendig und führen nicht zum gewünschten Erfolg“ (S. 192). Und weiter heißt es: „Eine weitere
Erhöhung der Strafen, (...) eine Intensivierung der Kontrolle und damit Steigerung der
Entdeckungswahrscheinlichkeit würde nicht zu der gesamtgesellschaftlich wünschenswerten
Kostenreduktion führen, sondern nur zu einer Verstärkung der Verheimlichung auf Seiten der
Betroffenen“ (S. 161f). Der Politikwissenschaftler und Migrationsforscher Jochen Blaschke hat in einer
1998 für die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ausgearbeiteten Stude darauf hingewiesen, dass
die Kriminalisierung der illegal beschäftigten Ausländer ihre Verletzlichkeit erhöht und zu einer
verstärkten Schutz- und Rechtlosigkeit dieser Personengruppe führt, die für ausbeuterische Arbeitgeber
zu einem zusätzlichen Anreiz führt, illegale Beschäftigung anzubieten und zu organisieren: „Es wäre
auch sinnvoll, mehr Aufmerksamkeit auf den Schutz der ausgebeuteten Arbeitnehmer als auf ihre
Bestrafung zu legen“ (S. 30). Auch Axel Nickel und Harald Lederer kommen in ihrer 1997 für die
Friedrich Ebert Stiftung verfaßten Expertise zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Ansätze nicht
ausreichen, um die Schattenwirtschaft einzudämmen. Sie empfehlen: „Deshalb sollte nicht die Gruppe
der illegal Beschäftigten kriminalisiert werden, sondern die Institutionen der illegalen Beschäftigung,
die es ohne die Beteiligung und den Profit der Einheimischen nicht geben würde“ (S. 47). Schließlich
betont auch Jörg Alt in seiner 1999 veröffentlichten voluminösen Untersuchung „Illegal in
Deutschland“ die kontraproduktiven Auswirkungen eines ausschließlich repressiven Vorgehens und
empfiehlt die Unterstützung betrogener Arbeitnehmer. Burkhard von Seggern, Mitarbeiter im
Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hat aus verfolgungspragmatischen Erwägungen
vorgeschlagen, die Lohnansprüche aufgegriffener illegal beschäftigter Ausländer auch mit staatlicher
Hilfe durchzusetzen:
„Es ist sehr die Frage, ob der ermittlungstechnisch erste Zugriff gegenüber dem Arbeitnehmer auch
bedeuten darf, dass die Arbeitnehmer als erste von Strafe ereilt werden. Bei der illegalen Beschäftigung
kumulieren ja gleich eine ganze Menge von Sanktionen. Zum Bußgeld kommt die Abschiebung und die
Erschwerung der Wiedereinreise. Durch diese Situation wird aber in Wirklichkeit die Verfolgung der
Delikte erschwert. Sie begründet auch bei den Arbeitnehmern ein Verschleierungsinteresse. Um sich
selbst zu schützen, sind sie auch gezwungen, die illegalen Praktiken des Arbeitgebers zu decken. Es
sollten rechtliche Konstrukte entwickelt werden, die dieses Zusammenspiel aufbrechen. Dazu gehört es,
die Drohung mit Geldbußen gegenüber den Beschäftigten zurückzunehmen. Soweit der Staat auf
Arbeitgeber und Auftraggeber mit Geldbußen oder Strafen zurückgreift, sollte in den zu zahlenden
Betrag gleich noch das offene Entgelt der betroffenen Arbeitnehmer einbezogen werden. Der Staat
würde es dann mittels des Verwaltungszwangs einziehen. Selbstverständlich hätte er es den
Arbeitnehmern dann zu überweisen. Würde eine solche Praxis rechtlich verankert und praktiziert,
würde es wesentlich häufiger zur Aufdeckung illegaler Beschäftigung kommen“ (von Seggern 1997:
271).
Bei diesem Vorschlag wird darauf gesetzt, dass durch eine Art „Kronzeugenregelung“ die
Aussagebereitschaft aufgegriffener illegal beschäftigter Arbeitnehmer vergrößert wird. Mit diesem
Ansatz soll das Problem gelöst werden, dass sich ohne Beweise weder das Ausmaß noch die
Hinterleute der illegalen Beschäftigung ermitteln lassen. Im "Achten Bericht der Bundesregierung über
24
Erfahrungen bei der Anwendung des ‚Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes‘ - AÜG - sowie über die
Auswirkungen des ‚Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung‘ - BillBG -" wird
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es bisher kaum zu Sanktionen gegen „hauptverantwortliche“
Arbeitgeber kommt, bei denen der Rahmen der Strafandrohung voll ausgeschöpft wird:
„Sowohl Arbeitgeber als auch ausländische Arbeitnehmer sind wegen ihres illegalen Handelns mit
nachteiligen Rechtsfolgen bedroht. Sie haben deshalb ein gemeinsames Interesse an der Verschleierung
des wahren Sachverhaltes. (...) Die Arbeitgeber nehmen das Risiko der Entdeckung immer häufiger in
Kauf, weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß die Prüfbehörden oft nicht in der Lage sind
nachzuweisen, daß die illegale Beschäftigung über einen längeren Zeitraum erfolgt ist. Da die
Bußgeldhöhe unter anderem von der Schwere des Verstoßes abhängt und damit von der Dauer der
illegalen Beschäftigung, kann die Ahndung im Einzelfall zu niedrig und deshalb nicht mehr
angemessen sein“ (Bundesregierung 1996: 48)
Mit dem Ansatz der „Kronzeugen-Regelung“ könnte hier für die Ermittlungs- und
Strafverfolgungsbehörden tatsächlich Abhilfe geschaffen werden. Aber die Reichweite bleibt
beschränkt, denn unberührt bleiben damit alle Arbeitsverhältnisse, die nicht kontrolliert werden. Auch
bei dem von von Seggern vorgeschlagenem Ansatz bleiben grundlegende Mängel des repressiven
Ansatzes bestehen: Durch die Überprüfung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsplätzen durch
Außendienstmitarbeiter der zuständigen Behörden wird nur ein kleiner Ausschnitt des Arbeitsmarktes
tatsächlich kontrolliert. In vielen Wirtschaftsbereichen finden überhaupt keine Kontrollen statt. Um
mehr Arbeitsverhältnisse zu erreichen, müßte der von Burkhard von Seggern vorgeschlagene Ansatz
daher konsequent ausgeweitet werden. In diesem Sinne vielversprechend wären Maßnahmen zur
Stärkung der Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit aller abhängig beschäftigten Arbeitnehmer
unabhängig von Staatsangehörigkeit und Status. Alle Beschäftigten sollten danach die Möglichkeit
haben, sich gegen Diskriminierung und Lohnbetrug am Arbeitsplatz zivilrechtlich wehren zu können.
Angesprochen werden insbesondere diejenigen Arbeitnehmer/innen, die Opfer unseriöser und
ausbeuterischer Arbeitgeber oder Arbeitsvermittler werden. Und genau diese Personengruppe hat
Unterstützung und Schutz auch tatsächlich am nötigsten und kann durch das Angebot davor bewahrt
werden, bei kriminellen Netzwerken Hilfe zu suchen. Voraussetzung dafür ist der Verzicht auf
Statusfeststellung in Notlagen, eine der zentralen Forderungen der „Erklärung der Berliner Verbände
der Freien Wohlfahrtspflege“ (2000) zur rechtlichen und sozialen Situation der Ausländerinnen und
Ausländer ohne legalen Aufenthaltstatus in Berlin. Dass der Verzicht auf Statusfeststellung
Hilfemöglichkeiten tatsächlich eröffnet, belegen aktuelle Erfahrungen aus Berlin.
Erfahrungen mit dem Projekt :ZAPO:
Seit 1989 betreibt der Polnische Sozialrat e.V. eine Anlaufstelle für dauerhaft und rechtmäßig in Berlin
lebende Zuwanderer aus Polen in polnischer Sprache. Seit Anfang der neunziger Jahre haben wir
zusätzlich zu den satzungsmäßigen Aufgaben in Einzelfällen Werkvertragsarbeitnehmer und informell
Beschäftigte aus Polen beraten und dazu beigetragen, dass Verstöße gegen gesetzliche und tarifliche
Bestimmungen aufgedeckt und geahndet wurden. Seit dem 1. Juni 1997 betreiben wir im Rahmen von
Arbeitsförderungsmaßnahmen das Projekt :ZAPO: (Zentrale integrierte Anlaufstelle für Pendlerinnen
und Pendler aus Osteuropa). Beraten werden Zuwander/innen aus verschiedenen Staaten Mittel- und
Osteuropas, die sich nur befristet in Deutschland aufhalten und dabei in prekäre Situationen geraten.
Neben der Betreuung von polnischen Jugendlichen und der Betreuung von Frauen aus Osteuropa, die
freiwillig oder von Menschenhändlerringen gezwungen in der Prostitution arbeiten, ist die Betreuung
prekär beschäftigter Arbeitnehmer/innen aus MOE-Staaten ein Schwerpunkt der Arbeit. Auch diese
Arbeitnehmer können vorenthaltenen Lohn einklagen, selbst wenn sie illegal beschäftigt waren. Die
juristische Grundlage bildet die (allerdings nicht unumstrittenen) Rechtsauffassung, wonach auch eine
illegale Beschäftigung ein faktisches Arbeitsverhältnis begründet. In der Rechtsprechung wird daraus
eine rechtliche Verpflichtung zur Entgeltzahlung auch für Arbeitsleistungen ohne erforderliche Arbeitsund Aufenthaltserlaubnis abgeleitet: Eine fehlende Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erlaubt dem
25
Arbeitgeber zwar die fristlose Kündigung, nicht aber die Verweigerung der Lohnzahlung für bereits
faktisch geleistete Arbeit, die ja nicht zurückerstattet werden könne (Wollenschläger 1994, McHardy
1994, Hildebrand 1998, Hofherr 1999). Somit steht im Falle von Lohnbetrug auch illegal beschäftigten
ausländischen Arbeitnehmern prinzipiell der Rechtsweg offen. Skeptiker werden nun einwenden, dass
diese Möglichkeit doch nur de jure bestehe, denn de facto würde die Inanspruchnahme des
Rechtsweges doch unweigerlich zu einer Aufdeckung des „illegalen Aufenthaltsstatus“ und damit zur
Ausweisung führen. Damit aber wird die Rechtsgarantie praktisch „entwertet“. Doch bei
zivilrechtlichen Arbeitsgerichtsverfahren muß sich dieser Zusammenhang nicht zwangsläufig
einstellen: Da es aus sachlichen, organisatorischen, rechtlichen und auch formalen Erwägungen üblich
ist, sich bei Arbeitsgerichtsverhandlungen auf einen vorgebrachten Klagegegenstand wie Kündigung
oder Lohnvorenthaltung zu beschränken, muß dem entsprechend auch die aufenthalts- und
arbeitserlaubnisrechtliche Dimension nicht erörtert werden (vgl. auch Fodor 2001). Durch die somit
begründete Aussicht auf einen Verzicht auf Statusfeststellung durch die Arbeitsgerichte - der allerdings
nicht garantiert werden kann - wurden einige unserer Klienten dazu ermutigt, betrügerische Arbeitgeber
zu verklagen. Tatsächlich habe wir in den letzten Jahren mehrfach Lohnansprüche durch
Gütevereinbarungen und auch Gerichtstitel durchsetzen können - und damit die Rechtlosigkeit und
Willkür auf den informellen Arbeitsmärkten wenigstens ein Stückchen zurückgedrängt.
Aufgrund der Ansprache in der Muttersprache und dem klientenzentrierten Ansatz wird das Angebot
zur Beratung und Unterstützung nach anfänglicher Zurückhaltung erstaunlich gut angenommen.
Täglich rufen betroffene Wanderarbeiter/innen aus ganz Deutschland bei der Anlaufstelle an und
erbeten Informationen über grundlegende Rechte und Ansprüche. Auch briefliche Anfragen aus Polen,
Bulgarien oder der Ukraine werden bearbeitet. Oft handelt es sich um Gruppen. In persönlichen
Beratungsgesprächen oder auf der Grundlagen brieflicher und fernmündlicher Kommunikation werden
die Fälle intensiv betreut. Ziel des Angebotes ist es, die Betroffenen über ihre Pflichten und Rechte bei
einer Beschäftigung in Deutschland zu informieren. Im Falle ungünstiger oder ausbeuterischer
Beschäftigung wird über Ansprüche und Rechte im Einzelfall aufgeklärt und Handlungsmöglichkeiten
zur Durchsetzung verbindlicher Ansprüche werden aufgezeigt. Die Betroffenen werden ermutigt, ihre
Rechte wahrzunehmen und Ansprüche einzufordern. In einem ersten Schritt wird der Kontakt mit dem
Arbeitgeber aufgenommen. In einigen Fällen kann in diesem Stadium erreicht werden, daß der
Rechtsverstoß zurückgenommen wird und die vorgeschriebenen Standards eingehalten werden. Wird
keine gütliche Einigung erzielt, dann wird den Klient/innen das Einreichen einer Klage beim
Arbeitsgericht empfohlen. Die Projektmitarbeiter/innen weisen in diesen Fällen darauf hin, daß Fristen
und Formen eingehalten und dem Arbeitsgericht alle erforderlichen Dokumente und Angaben
zugänglich gemacht werden. Bei Bedarf wird die Beantragung von Prozesskostenhilfe und die
Hinzuziehung von Rechtsanwälten empfohlen. Nach anfänglicher Zurückhaltung der Klient/innen
gelingt es zunehmend, diese davon zu überzeugen, daß der Weg der arbeitsgerichtlichen
Auseinandersetzung für ausländische Werkvertragsarbeitnehmer, Saisonarbeitskräfte und auch für
informell beschäftigte Arbeitnehmer/innen möglich, sinnvoll und erfolgversprechend ist. In den letzten
Jahren haben Betroffene nach Aufsuchen der Anlaufstelle vermehrt diesen Weg eingeschlagen und
damit eigene Ansprüche gerichtlich durchsetzen können. Die bisherigen Erfahrungen verdeutlichen,
daß die Beratung und Unterstützung befristet und prekär beschäftigter Arbeitnehmer/innen nicht nur
erfolgreich erfolgen kann, sondern dass gerade die erfolgreichen Fälle der Durchsetzung von
Ansprüchen sich herumsprechen. Somit wird eine eigendynamische Entwicklung der Stärkung von
Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit in Gang gesetzt, die zur Zurückdrängung vorschriftswidriger
und illegaler Beschäftigung maßgeblich beitragen kann. Zur Zeit sind mehrere Verfahren bei
Arbeitsgerichten in Deutschland und Polen anhängig. Die Einleitung weiterer Verfahren wird
vorbereitet. In Absprache mit den Klienten wurden wiederholt Behörden über Ordnungswidrigkeiten
und Straftaten informiert, in einigen Fällen wurde Strafanzeige gegen Arbeitgeber oder illegale
Arbeitsvermittler erstattet. Damit bewährt sich die verfolgte Strategie des Empowerment (Herriger
1995).
26
Neue Aufgabenfelder für die Migrationssozialarbeit
Der mit dem Projekt :ZAPO: verfolgte „Unterstützende Ansatz“ bildet eine wichtige Ergänzung zu den
bisher ausschließlich verfolgten repressiven Ansätzen und kann grundlegende strukturelle Mängel des
repressiven Ansatzes ansatzweise „ausgleichen.“ Durch das Angebot werden nicht allein die direkt
kontrollierten abgedeckt, sondern tendenziell alle Arbeitsverhältnisse angesprochen. Es bestehen keine
Möglichkeiten, dass Arbeitgeber vor Kontrollen gewarnt werden können. Vorschriftswidrige
Beschäftigungsbedingungen und/oder illegale Arbeitgeber können beweissicher und gerichtsverwertbar
aufgedeckt werden. Aufgrund der - durch die Kooperation mit Arbeitnehmern verbesserten Beweislage
- können Sanktionen gegen hauptverantwortliche Arbeitgeber gezielt verhängt werden. Das Risiko der
vorschriftswidrigen oder illegalen Beschäftigung erhöht sich für die Arbeitgeber und der Anreiz zur
illegalen Beschäftigung wird dadurch verringert. Die Profite aus vorschriftswidriger und illegaler
Beschäftigung können durch die Verpflichtung zur Lohnzahlung und eventuell durch Bußgelder und
Gewinnabschöpfung verringert werden. Die sozialen und tariflichen Standards und die Rechte aller
Arbeitnehmer werden somit gestärkt. Insgesamt besteht eine demokratietheoretische Stärkung
zivilgesellschaftlicher Verhältnisse (vgl. Cyrus 1998). Da das Projekt :ZAPO: befristet und die
Fortführung ungesichert ist, besteht in der bisherigen Regelversorgung eine deutliche Lücke bei einer
derart gezielten Bekämpfung illegaler Beschäftigung durch die Stärkung von Rechtssicherheit und
Konfliktfähigkeit von Arbeitnehmern: Die gewerkschaftlichen Ausländerberatungsstellen sind auf die
Bedürfnisse der informell beschäftigten Wanderarbeitnehmer nicht eingestellt und haben zudem
Akzeptanzprobleme, da die Gewerkschaften aufgrund ihrer Rolle als Sozialpartner und Ordnungsfaktor
von prekär beschäftigten ausländischen Arbeitnehmern nicht aufgesucht werden. Diese sind in der
Regel auch keine Gewerkschaftsmitglieder. Auch durch die Behörden der Herkunftsländern erfolgt
keine Unterstützung, denn die Einreisen erfolgen oft ohne Kenntnis der Behörden. Zudem sind die
Behörden der Herkunftsländer überfordert, über die komplizierten aufenthalts- und
arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften in der Bundesrepublik Deutschland zu informieren. Somit
besteht eine deutliche Lücke bei der präventiven Information und konkreten Intervention im Bereich
der prekären Ausländerbeschäftigung. Auch die Beratungs- und Anlaufstellen der Sozialen Dienste der
Migrationssozialarbeit sind mit den speziellen Problemen, die sich im Zusammenhang mit der prekären
Beschäftigung ergeben, nur unzureichend vertraut und mit der komplizierten Materie überfordert.
Inzwischen hat :ZAPO: für Beratungsstellen ein Informationsblatt über Schritte zum Geltendmachen
vorenthaltenden Lohnes ausgearbeitet. Der Polnische Sozialrat e.V. plant, beim Bundesministerium für
Arbeit die Finanzierung eines Modellprojektes zur systematischen Erprobung des „unterstützenden
Ansatzes“ zu beantragen. Das vorgeschlagene Modellprojekt baut auf den bisherigen Erfahrungen mit
dem Projekt :ZAPO: auf und will mit einem Multiplikatorenansatz eine flächendeckende Wirkung
erzielen, indem die bestehenden (muttersprachlichen) Beratungsstellen der Migrationssozialarbeit in
das Arbeitsfeld der Lohndurchsetzung eingeführt werden sollen. Der „Unterstützende Ansatz“ soll
perspektivisch auf den drei Elementen der allgemeinen Information und Prävention, der konkreten
Intervention und der gezielten Sanktion aufbauen.
Schluß
Der "Unterstützende Ansatz" bildet eine sinnvolle Ergänzung zu den bisherigen Bemühungen der
Bekämpfung illegaler Beschäftigung und entspricht zudem den substanziellen Regelungen
internationaler Abkommen zum Schutz von Wanderarbeitnehmern, etwa dem IAO-Übereinkommen
Nr. 143 von 1975 und dem UNO-Übereinkommen zum Schutz aller Wanderarbeitnehmer und ihrer
Familienangehörigen von 1990 (vgl. Böhning 1997, Hildebrand 1997). Nicht nur bei arbeitsrechtlichen
Streitfällen, sondern auch im Falle von Krankheit oder Unfall bildet der Verzicht auf Statusfeststellung
in Notsituationen die Grundlage für einen humaneren Umgang mit Menschen ohne Aufenthaltsstatus.
Der hier vorgestellte „Unterstützende Ansatz“ erfaßt vor allem die zivilrechtliche Seite der illegalen
Beschäftigung von Ausländern und vermag damit rechtsstaatliche Prinzipien, grundrechtliche
Vorgaben, menschenrechtliche Normen und pragmatische Erwägungen angemessen zu berücksichtigen.
Es ist nicht zu erwarten, dass durch eine Realisierung des „Unterstützenden Ansatzes“ die illegale
Ausländerbeschäftigung zunehmen wird. Im Gegenteil, insbesondere für betrügerische und
27
ausbeuterische Arbeitgeber wird der Anreiz für die illegale Beschäftigung entschieden reduziert. Damit
wird der erzwungenen Unterbietungskonkurrenz Einhalt geboten, die sozialen und tariflichen Standards
werden gestützt. Auch mit dem „Unterstützenden Ansatz“ wird es weiterhin eine Schattenwirtschaft
geben - denn auch hier werden nur die Symptome und nicht die Ursachen angegangen - aber die
Arbeits- und Lebensbedingungen werden durch die Intervention der Stellen der Migrationssozialarbeit
für die unmittelbar Betroffenen nicht mehr so brutal und willkürlich sein, wie es zur Zeit möglich ist.
Die Sicherung menschenrechtlicher, rechtsstaatlicher, sozialer, und tariflicher Standards sollte für die
Bundesrepublik Deutschland ein eigenständiges und politisch wertvolles Ziel darstellen.
6.
UNERLAUBTE EINREISE UND SCHLEUßUNGSKRIMINALITÄT - aus Sicht des
Bundesgrenzschutzes Klaus Severin
Direktor der Grenzschutzdirektion
Verehrte Damen, meine Herren,
1. Allgemeine Bemerkung
nach dem erklärten Willen der Staaten der Europäischen Union soll ganz Europa ein Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts werden. Schengen steht als Synonym und erlebbare Freizügigkeit dieser
Idee.
Auch Staaten außerhalb der Europäischen Union haben in den letzten zehn Jahren ihre Grenzen
geöffnet und gewähren ihren Staatsangehörigen die Freiheit der Reise.
Aber auch in einer Demokratie findet Freiheit Grenzen. Freiheit ohne Grenzen endet in Anarchie und
Chaos und dies wäre das Ende der Freiheit. Mit dieser Aussage will ich natürlich nicht behaupten, daß
unerlaubte Einreise, nicht genehmigter Transit und Schleusungskriminalität einen stabilen Staat in
ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte. Aber negative Erscheinungsformen aufgrund neuer
Reisemöglichkeiten verbunden mit illegaler Migration und die damit einhergehende Kriminalität
können auch gefestigten Demokratien Probleme bereiten.
Westeuropa ist seit Jahren betroffen von unerlaubter Einreise und Schleusungskriminalität. Deutschland
ist für viele Menschen Zielland der unerlaubten Einreise.
Aufgrund dessen hat in Deutschland die Konferenz der Innenminister der Länder und des Bundes 1992
beschlossen, eine "Zentralstelle zur Bekämpfung der unerlaubten Einreise und Schleusungskriminalität"
bei der Grenzschutzdirektion einzurichten.Die Aufgaben dieser Zentralstelle sind vielfältig, so hat sie
unter anderem auch Lageberichte zu erstellen.
Der nachfolgende Lagebericht gibt nicht nur die Erkenntnisse des Bundesgrenzschutzes wieder. Er ist
das Ergebnis von Informationen zahlreicher deutscher, ausländischer und internationaler Behörden und
Organisationen.
Es sind auch Presseinformationen und Aussagen unerlaubt Eingereister, Geschleuster oder Schleuser
verarbeitet worden.
Sehr verehrte Damen, meine Herren,
aufgrund der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich das Thema natürlich nur anreißen
und Daten und Fakten nur punktuell zur Verfügung stellen und erläutern.
28
Im Lagebild "Organisierte Kriminalität Bundesrepublik Deutschland" für das Jahr 1999 hat das
Bundeskriminalamt 816 OK-Verfahren erfaßt, davon waren 70 Verfahren aus dem Bereich
Schleusungskriminalität. 22 von den 70 Schleuserverfahren wurden durch Dienststellen des
Bundesgrenzschutzes geführt.
Diese Zahlen zeigen die Bedeutung von unerlaubter Einreise und Schleusungskriminalität im Bereich
der Organisierten Kriminalität.
Im August 1998 wurden durch Änderung des ‚Bundesgrenzschutzgesetzes‘ dem BGS neue Befugnisse
zur Verhinderung oder Unterbindung der unerlaubten Einreise und Bekämpfung der
Schleusungskriminalität gegeben. Der Bundesgrenzschutz kann nunmehr verdachtsunabhängig, aber
lageabhängig, zur Erfüllung des vorgenannten Auftrages nicht nur Personen und Sachen im Grenzraum
bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern überprüfen, sondern er kann auch im Rahmen seiner Bahn- und
Luftsicherheitsaufgaben in Zügen, auf dem Gebiet der Bahnanlagen sowie auf Anlagen und
Einrichtungen von Verkehrsflughäfen Personen anhalten und überprüfen.
Bei diesen Kontrollen wurden im Jahr 2000 insgesamt 7.603 unerlaubt Eingereiste aufgegriffen, das
sind 24 Prozent aller festgestellten unerlaubten Einreisen in die Bundesrepublik Deutschland.
Es kann festgestellt werden, daß sich die Erweiterung der Befugnisse des BGS als äußerst effizient zur
Bekämpfung von unerlaubter Einreise und Schleusungskriminalität darstellen.
Damit wäre ich bereits beim eigentlichen Lagebericht:
2. Lagebericht
2.1
Gesamtentwicklung
Wie hat sich im Jahre 2000 die Lage entwickelt?
Der Bundesgrenzschutz und die mit der grenzpolizeilichen Kontrolle beauftragten Behörden der
Landespolizei Bayern, der Wasserschutzpolizeien Hamburg und Bremen sowie der Zollverwaltung
haben im Jahr 2000 insgesamt 31.485 unerlaubt eingereiste Ausländer aufgegriffen. Dies stellt einen
Rückgang um ca. 17% dar.
Insgesamt wurden hierbei 10.320 Personen geschleust.
Im Jahr 2000 wurden insgesamt 2.740 Schleuser an den deutschen Grenzen festgenommen.
Die rückläufigen Zahlen sind in erster Linie auf den erheblichen Rückgang der illegalen
Reisetätigkeiten von Staatsangehörigen aus der Bundesrepublik Jugoslawien, insbesondere KosovoAlbaner, zurückzuführen. Dieses wird anschaulich an Hand der nachfolgenden Übersicht.
Bei der Auswertung der Jahre seit 1996 (mit 2.667 unerlaubten Einreisen) bis 1998 (mit 13.047
unerlaubten Einreisen) ist ein stetiger Anstieg von unerlaubt eingereisten jugoslawischen
Staatsangehörigen zu verzeichnen. Im Jahr 2000 können Sie einen starken Rückgang der Feststellungen
(2.882) ablesen. Insgesamt ist aber ein deutlicher Rückgang festzustellen.
Nun einige Bemerkungen zur unerlaubten Einreise.
2.2
Unerlaubte Einreise
Die im Jahr 2000 festgestellten unerlaubten Einreisen liegen - wie bereits dargestellt - mit 31.485
Aufgriffen unter dem Niveau des Jahres 1999.
29
Wie hat sich die deutsche Schengen-Außengrenze entwickelt?
Schengen-Außengrenzen
An den Ostgrenzen wurden mit 15.032 Personen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum annähernd
gleich viele Personen nach unerlaubten Grenzübertritten aufgegriffen (1999: 15.642). Auf sehr hohem
Niveau liegen die Feststellungen weiterhin an der tschechisch-deutschen Grenze. Hier war noch im
1. Halbjahr ein Anstieg um + 1,5 % zu verzeichnen.
Im 2. Halbjahr 2000 sind die Aufgriffszahlen an dieser Grenze unter das Vorjahresniveau gefallen, so
daß für das gesamte Jahr 2000 insgesamt ein Rückgang um + 8,6 % auf 11.739 Aufgriffe zu
verzeichnen ist (1999: 12.846)
In den letzten Jahren waren die Aufgriffszahlen im Bereich der deutsch-polnischen Grenze stark
rückläufig. Sie hatten sich jährlich nahezu halbiert. So waren im 1. Halbjahr 2000 die unerlaubten
Einreisen um 8,3 % gefallen (Gesamtzahl 1.240).
Ab dem 2. Halbjahr 2000 war jedoch ein auffälliger Anstieg der Aufgriffszahlen zu verzeichnen. So
wurden im Jahr 2000 an dieser Grenze insgesamt 3.293 (1999: 2.796) unerlaubt eingereiste geschleuste
Personen festgestellt. Insbesondere bei den an dieser Grenze am stärksten auftretenden
Staatsangehörigen der Russischen Föderation, der Republik Moldau und der Ukraine waren erhebliche
Steigerungen bei den unerlaubten Einreisen zu verzeichnen.
Mögliche Ursache für den Anstieg der Aufgriffe an der polnischen Grenze könnte auch die bereits
erfolgte Einführung der Sichtvermerkspflicht in der Tschechischen Republik für ukrainische (ab
28.06.2000), russische/weißrussische (29.05.2000) sowie moldauische und kasachische (22.10.2000)
Staatsangehörige sein, was zu einer verstärkten Nutzung der Republik Polen als Transitland für die
Anreise nach Deutschland geführt haben könnte. Vorgenannte Staatsangehörige waren im Jahr 2000 in
Polen nicht visumspflichtig.
An den übrigen Schengen-Außengrenzen ist gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein erheblicher
Rückgang der unerlaubten Einreisen festzustellen.
Dem gegenüber wurden an den Flughäfen ein Anstieg der unerlaubten Einreisen um 115,3 %
verzeichnet (2000: 437; 1999: 203).
Schengen-Binnengrenzen
Auch an den deutschen Schengen-Binnengrenzen ist mit 12.725 festgestellten unerlaubten Einreisen ein
Rückgang um – 18,5 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum (15.616 Personen) erkennbar.
Eindeutig rückläufige Aufgriffszahlen wurden festgestellt an der luxemburgisch-deutschen Grenze mit
(-) 42 % (2000: 140; 1999: 241) und an der österreichisch-deutschen Grenze mit (-) 33 % (2000: 7.404;
1999: 10.980).
Dem gegenüber sind die unerlaubten Einreisen an der französisch-deutschen um (+) 9 % (2000: 1.965;
1999: 1.811), an der niederländisch-deutschen um (+) 20 % (2000: 1.761;1999: 1.467) und besonders
deutlich an der belgisch-deutschen Grenze um über (+) 30 % gestiegen (2000: 1.455; 1999: 1.117).
Eine Auswertung der vorliegenden Zahlen hat folgendes ergeben.
Der starke Rückgang der Aufgriffszahlen an der österreichisch-deutschen Grenze ist fast ausschließlich
auf den Rückgang der Aufgriffe von Kosovo-Albanern zurückzuführen.
So wurden im Jahr 2000 4.396 weniger Jugoslawen nach einem unerlaubten Grenzübertritt festgestellt.
Das heißt aber, daß ohne Kosovo-Albaner die Aufgriffe gestiegen sind.
30
Im Bereich der Grenzen zu Belgien, den Niederlanden und zu Frankreich waren die lageabhängigen
Kontrollen des BGS im grenznahen Raum zum Vergleichsjahr 1999 verstärkt worden. Es ist zu
vermuten, daß auch die Intensivierung der Einsätze der Grund der erheblichen Steigerungen ist.
Verläßliche Aussagen können zur Zeit noch nicht gemacht werden, hier wird noch ausgewertet.
Eines ist sicher, die hohen Aufgriffszahlen im Bereich der Binnengrenzen zeigen die Notwendigkeit der
lageabhängigen Kontrollen im Grenzraum.
Nun zum Inland:
Inland
Der Bundesgrenzschutz hat im Jahr 2000 im Inland 2.247 Ausländer aufgegriffen.Insgesamt 18 %
weniger als im Vorjahr (2.749).
Hauptnationalitäten der unerlaubt Eingereisten
Die nach unerlaubter Einreise aufgegriffenen Personen stammten überwiegend aus Rumänien (3.456),
Afghanistan (3.231) und der Bundesrepublik Jugoslawien (2.822). Diese drei Nationalitäten stellten
30 % aller unerlaubt eingereisten Ausländer.
Staatsangehörige aus Moldawien folgen mit 2.415 Personen an vierter Stelle.
Nun einige Worte zu Schleusungen:
2.3
Schleusungen
Bevor ich die Statistik und unsere Erkenntnisse über Geschleuste und Schleuser Ihnen vorstelle, einige
Vorbemerkungen.
Die nachfolgenden Zahlen über Schleuser und Geschleuste erscheinen niedrig im Verhältnis zu den
enorm hohen der unerlaubt Eingereisten.
In unserer Statistik werden allerdings nur die Personen aufgenommen, denen die Beamten auch
tatsächlich eine Schleusung nachweisen konnten.
Betrachten wir die Nationalitäten, die die Masse der unerlaubt Eingereisten bildet, wird es aber
offensichtlich. Kaum einer wäre ohne fremde Hilfe wohl bis in die Anrainerstaaten Deutschlands und
anschließend über die Grenze gelangt.
Nun einige Ausführungen zu geschleusten Ausländern.
2.3.1 Geschleuste
Im 1. Jahr 2000 wurden nachweislich insgesamt 10.320 Personen nach Deutschland geschleust. Dies
stellt gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang um 7 % dar (1999: 11.101).
Die Situation an den deutschen Schengen-Außengrenzen:
Schengen-Außengrenzen
Geographischer Schwerpunkt für die Einschleusungen nach Deutschland ist der deutsch-tschechische
Grenzabschnitt. Hier wurden im Jahr 2000 4.777 Personen geschleust. Dies bedeutet gegenüber dem
Vorjahreszeitraum (mit 4.412 Geschleusten) eine Zunahme um 8,3 %.
An der Grenze zu Polen ist mit 1.424 geschleusten Personen gegenüber dem Vorjahr (mit
1.086 Personen ) ebenfalls ein Anstieg um 31,1 % festzustellen. Hierbei waren - wie bei den
unerlaubten Einreisen - im 1. Halbjahr 2000 an dieser Grenze noch gegensätzliche Tendenzen zu
verzeichnen.
31
An den übrigen Land-Außengrenzen ist ein Rückgang zu erkennen gewesen.
An deutschen Flughäfen ist allerdings ein Anstieg um + 20 % bei den festgestellten geschleusten
Personen zu verzeichnen (2000: 402;1999: 336).
Schengen-Binnengrenzen
An den Schengen-Binnengrenzen ist im Jahr 2000 gegenüber dem Vorjahr mit 2.362 geschleusten
Personen ein deutlicher Rückgang um 46 % zu verzeichnen (1999: 4.381).
Der zahlenmäßig größte Rückgang war dabei an der deutsch-österreichischen Grenze.
Inland
Im Inland konnte der Bundesgrenzschutz mit 1.150 geschleusten Personen (1999: 491) wesentlich mehr
Geschleuste als im Vorjahreszeitraum aufgreifen. Der Anteil der Inlandsaufgriffe geschleuster Personen
ist dabei von 4,4 % im Jahr 1999 auf 11,1 % im Jahr 2000 gestiegen.
Hauptnationalitäten der Geschleusten
Die nach Deutschland geschleusten Personen stammten überwiegend aus Afghanistan (1.960), dem Irak
(917), Indien (838), Rumänien (780), Sri Lanka (684) und aus der Bundesrepublik Jugoslawien (614).
Mit Ausnahme der jugoslawischen Staatsangehörigen, bei denen ein Rückgang der Feststellungen um
84 % registriert werden konnte, war bei allen anderen Nationalitäten eine beachtliche Zunahme der
Aufgriffe feststellbar.
Was können wir über Schleuser aussagen?
2.3.2 Schleuser
Der Bundesgrenzschutz war bei der Bekämpfung der Schleuser auch im Jahr 2000 sehr erfolgreich.
Jedoch stellt der Aufgriff von 2.740 Schleusern gegenüber dem Jahr 1999 (mit 3.410 Schleusern)
insgesamt einen Rückgang von 20 % dar.
Auf den deutschen Flughäfen wurden dagegen mehr als doppelt so viele Schleuser aufgegriffen.
Auch an der tschechischen Grenze wurden trotz einer Zunahme der festgestellten Geschleusten weniger
Schleuser als im Jahr 1999 festgenommen.
Für diesen Bereich hat unsere Auswertung auch einen plausiblen Grund gefunden. Über diesen
Grenzabschnitt erfolgte die Masse der Großschleusungen, d. h. Schleusungen von Gruppen mit 10 und
mehr Personen. Von insgesamt 168 Großschleusungen im Jahr 2000 wurden 124 über die deutschtschechische Grenze durchgeführt.
Im Rahmen dieser Großschleusungen wurden 193 Schleuser aufgegriffen und insgesamt 2.428
Geschleuste entdeckt. Das bedeutet, daß pro Großschleusung durchschnittlich 20 Geschleuste
aufgegriffen wurden.
Hauptnationalitäten der Schleuser
Bei den Schleusern handelte es sich insbesondere um Staatsangehörige aus der Tschechischen Republik
(542), Deutschland (344), Polen (224), der Bundesrepublik Jugoslawien (210) und der Türkei (168).
Wie bei den Feststellungen zu den unerlaubt eingereisten und geschleusten Personen ist auch bei den
jugoslawischen Schleusern ein deutlicher Rückgang um 75 % erkennbar gewesen.
32
Die meisten Schleuser sind somit Deutsche, sind Staatsangehörige der Anrainerstaaten, leben oder
haben Beziehungen zu Deutschland oder seine Anrainerstaaten.
3.
Bewertung der Situation an den Grenzen
3.1
Grenzpolizeiliche Brennpunkte
Bei der Betrachtung der einzelnen Grenzabschnitte wird deutlich, daß die Landgrenze zur
Tschechischen Republik der grenzpolizeiliche Brennpunkt ist. An dieser Grenze werden ca. 37 % aller
festgestellten unerlaubten Einreisen und ca. 46 % aller festgestellten Geschleusten registriert.
Aber wie die Feststellungen im Grenzraum zu Österreich belegen, ist auch dieser Grenzabschnitt mit
ca. 24 % der unerlaubten Einreisen und mit ca. 19 % der Schleusungen nach Deutschland von großer
Bedeutung.
An der Landgrenze zu Polen sind im Jahr 2000 ca. 10,5 % der unerlaubten Einreisen und ca. 13,8 % der
aufgegriffenen Geschleusten registriert worden.
Nun zu den Schleusungsrouten.
4.
Schleusungsrouten
Hauptrouten für Schleusungen nach Deutschland sind wie bisher die Ostroute, die SüdosteuropaRouten und in geringerem Umfange die Maghreb-Route.
Aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit werde ich nur einige Ausführungen zur Ostroute machen.
Ostroute: Rußland ist ein bedeutendes Transitland der unerlaubten Migration nach Westeuropa. Ein
besonderer Brennpunkt soll dabei der Flughafen Moskau sein, der ein Drehkreuz von und zu
problematischen Herkunftsländern ist.
Genaues statistisches Zahlenmaterial über das tatsächliche Ausmaß der unerlaubten Einreisen und
Schleusungen über Rußland bzw. Moskau liegt der Grenzschutzdirektion nicht vor.
Erkenntnisse konnten durch Aussagen von aufgegriffenen Personen erlangt werden.
Des weiteren liegen der Grenzschutzdirektion gesicherte Erkenntnisse vom russischen Grenzschutz,
aber auch von Grenzschutzbehörden der Anrainerstaaten Rußlands vor. Aufgrund dieser Informationen
ist die Bedeutung Rußlands als Transitland und hierbei insbesondere der Raum Moskau als
Transitgebiet jedoch hinreichend gesichert.
Eine große Anzahl der nach Deutschland geschleusten Staatsangehörigen aus Afghanistan,
Bangladesch, Pakistan, Sri Lanka, Vietnam, Indien, aber auch Staatsangehörige aus afrikanischen
Staaten, sollen nach Angaben und den Feststellungen des Russischen Föderalen Grenzdienstes Rußland
als Transitland mit dem Ziel der unerlaubten Einreise bzw. Einschleusung nach Deutschland genutzt
haben.
Afrikanische Staatsangehörige gelangen in der Regel visafrei nach Moskau. Hier müssen sie sich selbst
um die Weiterschleusung bemühen. Sie geben in ihren Befragungen an, daß sich im Moskauer
Flughafen Schleuser aufhalten. Diese bieten gezielt ihre Schleuserdienste an.
Zur unerlaubten Einreise und Schleusung nach Westeuropa und hier insbesondere nach Deutschland
wird dann überwiegend der Landweg genutzt.
Weiterhin habe ich Ihnen die Nationalitäten genannt, die alleine 30 % der unerlaubt Eingereisten
stellen: Rumänien, Afghanistan, Jugoslawien.
Auch hier kann ich Ihnen aufgrund der Zeit nur eine Nationalität - Afghanistan - darstellen.
5.
Afghanistan
Seit 1996 war ein stetiger Anstieg der unerlaubten Einreisen von afghanischen Staatsangehörigen zu
33
verzeichnen. Mit insgesamt 3.231 unerlaubt eingereisten afghanischen Staatsangehörigen wurde im
Jahr 2000 erneut das hohe Niveau von 1999 erreicht (1999: 3.236; = - 5 Personen).
Im Jahr 2000 wurden allerdings mit 1.960 insgesamt 12,4 % mehr afghanische Staatsangehörige
gegenüber dem Vorjahreszeitraum geschleust (1999: 1.744).
Auch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl), bei dem die Asylanträge
bearbeitet werden, hat festgestellt, daß die Erstanträge afghanischer Staatsangehöriger im Jahr 2000 auf
5.380 gestiegen sind.
Brennpunkt der unerlaubten Einreise von afghanischen Staatsangehörigen nach Deutschland ist nach
wie vor die Grenze zur Tschechischen Republik. Hier wurden 1.720 der insgesamt 3.231 unerlaubt
eingereisten afghanischen Staatsangehörigen aufgegriffen. Das entspricht einem Anteil von 53 %.
Vielfach werden diese Personen über diesen Grenzabschnitt in Großgruppen zu Fuß über die grüne
Grenze oder versteckt in LKW bzw. Kleintransportern über die Grenzübergänge geschleust.
So wurden im Jahr 2000 an der deutsch-polnischen Grenze (mit 462 Aufgriffen) 23 % weniger (1999:
599) und an der deutsch-österreichischen Grenze (mit 534 Aufgriffen) insgesamt 67 % mehr (1999:
320) afghanische Staatsangehörige nach unerlaubter Einreise aufgegriffen.
Es ist offensichtlich, daß hier eine Verdrängung von Norden nach Süden erfolgt ist.
Wie reisen oder wie werden Afghanen geschleust?
Benutzte Routen durch afghanische Staatsangehörige:
Die Hauptroute für unerlaubte Einreisen und Schleusungen von afghanischen Staatsangehörigen nach
Westeuropa verläuft weiterhin über die fünf südlichen GUS - Staaten Tadschikistan, Turkmenistan,
Usbekistan, Kirgisistan und Kasachstan nach Rußland und von dort hauptsächlich über die Ukraine, die
Slowakische Republik und die Tschechische Republik nach Deutschland.
Von dieser Hauptroute aus gibt es Abzweigungen von Rußland aus über Weißrußland - Polen nach
Deutschland oder von der Slowakischen Republik aus über Polen nach Deutschland sowie neuerdings
in stärkerem Maße von der Slowakischen Republik über Österreich nach Deutschland.
Der Luftweg wird von afghanischen Staatsangehörigen lediglich zur Anreise bis in die Transitstaaten
genutzt. Dabei spielen die Städte Moskau und Prag eine wesentliche Rolle als Drehkreuze für die
Weiterschleusungen nach Deutschland.
Direktflugverbindungen nach Deutschland werden von afghanischen Staatsangehörigen nicht genutzt.
Nach Aussagen von Geschleusten dauern die Reisen nach Deutschland zwischen zwei Wochen und drei
Monaten. Bemerkenswert dabei ist, daß afghanische Staatsangehörige überwiegend im Rahmen von
Großschleusungen nach Deutschland verbracht werden.
Prognose: Mit einer grundlegenden Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Lage in
Afghanistan ist nicht zu rechnen. Aufgrund der hohen Anzahl der bereits in Deutschland lebenden
afghanischen Staatsangehörigen (Pull-Faktor) ist davon auszugehen, daß auch weiterhin Afghanen in
starkem Maße unerlaubt nach Deutschland einreisen werden.
Nach uns vorliegenden Informationen:
- soll die russische Regierung die Anzahl der illegalen Einwanderer verschiedener Nationalitäten, die
ihre Grenzen 1999 überquerten, auf über eine Million schätzen.
- wollen türkische Vertreter einer deutsch-türkischen Arbeitsgruppe erfahren haben, daß ca. 1 ½
Millionen im Iran aufhältige Afghanen in ihre Heimat zurückgeführt werden sollen.
34
Beide Informationen können von der Grenzschutzdirektion natürlich nicht verifiziert werden. Keiner
kann sagen, wie viele der nach Rußland unerlaubt Eingereisten weiter nach Westen wandern oder ob
tatsächlich eine nennenswerte Anzahl der im Iran aufhältigen Afghanen Richtung Westeuropa reisen
werden.
Die Informationen zeigen aber auch, daß in diesem Feld ständig neue Herausforderungen zu bewältigen
sind.
6.
Wie wird es weitergehen?
Die westeuropäischen Staaten, und insbesondere Deutschland, sind trotz des starken Rückgangs der
Aufgriffszahlen von jugoslawischen Staatsangehörigen weiterhin in beachtlichem Umfange von
unerlaubten Einreisen und der Schleusungskriminalität betroffen. Staatliche Kontroll- und
Überwachungssysteme werden beobachtet, erkannte Schwachstellen konsequent ausgenutzt und
gesetzliche Bestimmungen in den Transit- und Zielstaaten umgangen bzw. unterlaufen.
Es darf jedoch nicht verkannt werden, daß mit einem wirtschaftlichen Aufschwung auch bisherige
Transitstaaten - wie Polen oder Ungarn - zu Zielländern werden.
Neben anderen Gründen haben die effektiven grenzpolizeilichen Überwachungs- und
Kontrollmaßnahmen an den Schengener Außengrenzen auch im Jahr 2000 dazu geführt, daß eine
Vielzahl (ca. 30 %) der nach Deutschland unerlaubt eingereisten Ausländer nachweislich geschleust
wurde. Allerdings lassen Staatsangehörigkeit, gewählte Reiserouten als auch die Art der
Reisedurchführung die Schlußfolgerung zu, daß sich auch die überwiegende Anzahl der unerlaubt
Eingereisten – zumindest in Teilabschnitten ihrer Reise - der Hilfe Anderer auf ihrem Weg nach
Deutschland bedient haben. Wobei nicht immer die organisierte Kriminalität beteiligt war.
Eine Reihe von südost- und osteuropäischen Staaten, aber auch die Türkei werden weiterhin als
Ausgangspunkte bzw. wesentliche Transitländer internationaler Schleuseraktionen von Bedeutung
bleiben.
Die Tschechische Republik stellt von den deutschen Anrainerstaaten weiterhin das bedeutendste
Transitland für die unerlaubte Einreise und Einschleusung von Ausländern dar. Insbesondere
chinesische, vietnamesische, moldauische, rumänische, indische und srilankische Staatsangehörige
reisen zum überwiegenden Teil über die Tschechische Republik unerlaubt nach Deutschland ein bzw.
werden von dort aus eingeschleust. 63% bis 82 % der vorgenannten Staatsangehörigen reisen unerlaubt
über die deutsch-tschechische Grenze ein bzw. werden über sie nach Deutschland eingeschleust.
Sehr verehrte Damen, meine Herren, ich kann Ihnen in der Kürze der Zeit nicht alle Strategien und
Maßnahmen darstellen, die durch den Bundesgrenzschutz und natürlich auch durch das
Bundeskriminalamt, die Polizeien der Länder und den Zoll durchgeführt werden.
Durch die bisherigen Vorträge ich bestimmt deutlich geworden, unerlaubte Einreise und
Schleusungskriminalität ist kein nationales, kein europäisches, es ist ein globalen Phänomen.
Ernstzunehmende Fachleute schätzen, daß z. B. durch Schleusungen weltweit von kriminellen
Organisationen der gleiche Profit erwirtschaftet werden soll, wie im illegalen Rauschgifthandel.
Daher wird auch, wie Beispiele zeigen, keine Rücksicht auf die Gesundheit, bis hin zum Leben, der zu
Schleusenden, von kriminellen Organisationen genommen.
Andererseits gibt es auch die Garantieschleusung. Das heißt, bei entsprechend hoher Bezahlung wird
35
durch die kriminelle Organisation garantiert, daß beim Scheitern der unerlaubten Einreise, diese
wiederholt und bis zum Gelingen durchgeführt wird.
Hauptziel muß es sein, kriminelle Schleuserorganisationen zu bekämpfen. Dies geschieht nicht nur an
der Grenze im Inland, sondern auch mit Partnern auf der anderen Seite der Grenze. Dies reicht
allerdings nicht, um insbesondere Schleuser der Organisierten Kriminalität zu bekämpfen. Hier ist die
internationale Zusammenarbeit gefragt, allerdings nicht nur im polizeilichen Bereich.
7.
BEKÄMPFUNG ILLEGALER BESCHÄFTIGUNG
Bernhard Weber
Bundesanstalt für Arbeit
1.
Einleitung
Illegale Beschäftigung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen stellt eine erhebliche Bedrohung für
einen fairen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt dar, zu Lasten der legal tätigen Unternehmen.
Leistungsmissbrauch ist unsolidarisches Verhalten zu Lasten der ehrlichen Beitragszahler.
Die BA, der eine hohe Verantwortung für einen stabilen Arbeitsmarkt zukommt, hat den gesetzlichen
Auftrag, illegale Beschäftigung und Leistungsmissbrauch zu bekämpfen. Die rechtlichen Grundlagen
hierfür sind insbesondere im SGB III (dem früheren AFG), dem AÜG und im AEntG verankert.
Die Dienststellen der BA verfolgen und ahnden insbesondere die arbeitsmarkt- bzw. sozialschädlichen
Deliktsformen illegale Ausländerbeschäftigung, unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung, Verstöße gegen
das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sowie Leistungsmissbrauch.
2.
Schattenwirtschaft
Schattenwirtschaft ist ein – schillernder – Oberbegriff, unter den sich verschiedene
arbeitsmarktschädliche bußgeld- und strafbewehrte Verhaltensweisen subsumieren lassen.
2.1
Schwarzarbeit
Die „eigentliche“ Schwarzarbeit im engeren Sinne ist im ‚Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit‘
geregelt. Haupttatbestände hier sind die Ausübung eines Gewerbes ohne die entsprechende Erlaubnis
und die fehlende Eintragung in die Handwerksrolle. Häufig wird der Begriff Schwarzarbeit als
Synonym für Schattenwirtschaft gebraucht.
2.2
Illegale Beschäftigung
Illegale Beschäftigung ist in Bezug auf Umfang und Schädlichkeit der Hauptkomplex der
Schattenwirtschaft. Er ist äußerst facettenreich und reicht von der Verletzung von Meldepflichten über
die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen, illegale Ausländerbeschäftigung, unerlaubte
Arbeitnehmerüberlassung, Steuerhinterziehung bis hin zu Verstößen nach dem ArbeitnehmerEntsendegesetz.
2.3
Leistungsmissbrauch
Leistungsmissbrauch ist die unrechtmäßige Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die dem Bezieher
nicht, nicht mehr oder nicht in vollem Umfang zustehen. Bei den Sozialleistungen, die die BA gewährt,
geht es hier in erster Linie um die Lohnersatzleistungen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe.
36
2.4
Umfang und Entwicklung
Weder zum Umfang noch zur Entwicklung der Schattenwirtschaft liegen gesicherte Erkenntnisse vor.
Die BA beteiligt sich hier nicht an Berechnungen oder Schätzungen. Sie betrachtet die aufgedeckten
Fälle quasi als die sichtbare „Spitze eines Eisbergs“, ohne hinreichend sicher einschätzen zu können,
was sich darunter verbirgt.
Es gibt allerdings Schätzungen, die beim Umfang der Schattenwirtschaft von ca. 10 % des
Bruttosozialprodukts oder 600 Milliarden DM ausgehen. Die jährliche Wachstumsrate wird mit ca.
10 % jährlich geschätzt.
2.5
Folgen für den Arbeitsmarkt
Die Folgen der genannten rechtswidrigen Verhaltensweisen für den Arbeitsmarkt sind gravierend:
illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit führen zu existenzbedrohender
Wettbewerbsverzerrung. Arbeitgeber, die sich an die Gesetze halten, sind gegenüber illegal arbeitenden
Konkurrenten im Nachteil; sie haben es z.B. schwer, bei Ausschreibungen konkurrenzfähige Angebote
abzugeben;
es werden legale Arbeitsplätze gefährdet und die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindert;
das System der sozialen Sicherung wird bedroht, denn Beiträge werden zu Unrecht nicht
abgeführt oder es werden Leistungen zu Unrecht in Anspruch genommen;
häufig ist illegale Beschäftigung der Nährboden für die Ausbeutung von Arbeitskräften; Illegale
fühlen sich rechtlos und haben oft nicht den Mut oder die Fähigkeit, sich zur Wehr zu setzen.
Der BA kommt gerade als Arbeitsmarktbehörde eine besondere Verantwortung zu: sie schützt durch
wirksame Bekämpfung illegaler Beschäftigung legal tätige Arbeitnehmer, Deutsche ebenso wie erlaubt
tätige Ausländer, und auch gleichermaßen legal tätige Arbeitgeber. Als Hüterin fairer
Ausgleichsprozesse am Arbeitsmarkt ist sie gerade in diesem Spektrum ihrer vielfältigen Aufgaben in
hohem Maße gefordert.
2.6
Wertung in Gesellschaft und Politik
In der Gesellschaft werden Verstöße in den geschilderten Bereichen unterschiedlich bewertet, teilweise
werden sie als „Kavaliersdelikt“ abgetan. Erfreulich ist aber doch eine gewisse Tendenz dahin, dass
immer mehr Bürger die Gemeinschädlichkeit solcher Rechtsverstöße erkennen und eine konsequente
Verfolgung und Ahndung der Behörden befürworten.
Die Politik nimmt sich der Sache zunehmend an; dies ist äußerst positiv zu werten. Mehrfach
wurden in den letzten Jahren die rechtlichen Mechanismen verstärkt, die ein gezieltes und
erfolgreiches Einschreiten gegen Gesetzesverletzungen ermöglichen. Weitere Verbesserungen sind
zu erwarten; jüngst wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages ein
weiteres Bündel entsprechender Maßnahmen erörtert (sog. Eckpunktepapier), beispielhaft sie hier
eine weiter verbesserte Zusammenarbeit der jeweils nur für Teilbereiche zuständigen Behörden
genannt.
3.
Auftrag der BA
3.1
Prüfauftrag
Die Arbeitsämter – wie auch die Hauptzollämter als Dienststellen der Bundeszollverwaltung -haben
insbesondere den gesetzlichen Auftrag zu prüfen, ob Sozialleistungen zu Unrecht bezogen werden und
ob ausländische Arbeitnehmer mit einer erforderlichen Genehmigung und nicht zu ungünstigeren
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Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden. Weitere Prüfbereiche
sind das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und die Abgabe der Meldungen zur Sozialversicherung.
3.2.
Maßnahmen der BA zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch
Die BA bedient sich zur Aufdeckung und Verfolgung der einzelnen Erscheinungsformen illegaler
Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs verschiedener Instrumente:
Datenabgleich
Eine wichtige Erkenntnisquelle für die Feststellung von Leistungsmissbrauch ist das sog. DALEBVerfahren, ein maschineller Datenabgleich zwischen Zeiten des Bezugs von Lohnersatzleistungen und
den von den Arbeitgebern an die Einzugsstellen gemeldeten Beschäftigungszeiten. Wird ein ganz oder
teilweise unrechtmäßiger Bezug von Leistungen der BA festgestellt, wird der ursprüngliche
Bewilligungsbescheid, soweit er rechtswidrig ist, aufgehoben. Die zu Unrecht erbrachten Leistungen
werden zurückgefordert. Besteht darüber hinaus der Verdacht ordnungswidrigen oder strafbaren
Verhaltens des Leistungsempfängers, wird ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet oder der
Vorgang an die Staatsanwaltschaft abgegeben.
Mit dem Datenabgleichsverfahren können Fälle nichtangezeigten (Neben-)Einkommens lückenlos
erkannt werden, wenn die Arbeitgeber ihren Meldepflichten nachkommen.
Kontospiegel
Einen Beitrag zur Aufdeckung von illegaler Ausländerbeschäftigung leistet der sogenannte
Kontospiegel. Bei diesem Verfahren wird durch einen maschinellen Abgleich der Genehmigungs- mit
den Beschäftigungsdaten geprüft, ob für die ausländischen Arbeitnehmer eine gültige
Arbeitsgenehmigung vorliegt. Das zuständige Arbeitsamt erhält einen maschinellen Ausdruck, den sog.
Kontospiegel, wenn eine Arbeitsgenehmigung nicht vorliegt. Anhand dieses Kontospiegels wird über
das weitere Vorgehen, ggf. Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens, entschieden.
Außenprüfungen
Die wohl wichtigste und sicherlich öffentlichkeitswirksamste Maßnahme der BA zur Bekämpfung von
illegaler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch ist die Durchführung von Außenprüfungen bei
Arbeitgebern.
Die Arbeitsämter (wie auch die Hauptzollämter) können im Rahmen einer Außenprüfung bei einem
Arbeitgeber Ermittlungen führen, die u.a. zur Feststellung erforderlich sind, ob für den Arbeitgeber
Arbeitnehmer oder Selbständige während einer Zeit tätig sind oder waren, für die diese
Lohnersatzleistungen beantragt haben, beziehen oder bezogen haben. Außerdem wird geprüft, ob bei
den betreffenden Arbeitgebern tätige ausländische Arbeitnehmer im Rahmen der erteilten
Arbeitsgenehmigung beschäftigt werden. Die Prüfkräfte sind berechtigt, zu diesem Zweck Unterlagen
einzusehen und die Personalien der in diesem Betrieb tätigen Personen zu überprüfen. Arbeitgeber und
Arbeitnehmer dieses Betriebes haben diese Maßnahme zu dulden und bei der Außenprüfung
mitzuwirken.
Außenprüfungen können ohne konkreten Anfangsverdacht durchgeführt werden; in der Mehrzahl der
Fälle sind jedoch interne Erkenntnisse oder Hinweise von Dritten der Anlass, entsprechende Prüfungen
vorzunehmen. Die Außenprüfungen werden im Regelfall ohne vorherige Ankündigung durchgeführt,
um die Verschleierung von Verstößen zu erschweren.
38
3.3
Verfolgung und Ahndung
Stoßen die Arbeitsämter auf entsprechende Delikte, verfolgen und ahnden sie diese, soweit es sich
dabei um Ordnungswidrigkeiten handelt; d.h. sie erheben ein Verwarnungsgeld oder sie erlassen einen
Bußgeldbescheid. Die vom Gesetzgeber angedrohte Bußgeldhöhe ist je nach Deliktform
unterschiedlich, sie reicht bis zu 1 Million DM bei Verstößen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz.
3.4
Abgabe an die zuständige Behörde oder die Staatsanwaltschaft
Stößt das Arbeitsamt auf Zuwiderhandlungen, für deren weitere Verfolgung andere Behörden zuständig
sind, informiert es diese Stellen.
Stößt das Arbeitsamt auf Fälle mit Straftatverdacht, erstattet es Strafanzeige oder gibt die Sache an die
Staatsanwaltschaft ab, z.B. beim Verdacht unberechtigten Aufenthalts von Ausländern.
3.5
Koordinierung
Die Arbeitsämter (und Hauptzollämter) arbeiten bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung mit
zahlreichen anderen Stellen zusammen, wie z.B. den Schwarzarbeitsbehörden, den Krankenkassen,
Rentenversicherungsträgern, Finanzbehörden oder Ausländerbehörden. Diese Behörden unterstützen
die Arbeitsämter und Hauptzollämter bei ihren Prüfungen. Dabei kommt den Arbeitsämtern eine
wichtige gesetzlich fixierte Schlüsselstellung zu, denn sie koordinieren einvernehmlich die
Ermittlungen der betreffenden Behörden.
3.6
Organisation
Jedes Arbeitsamt verfügt über eine Organisationseinheit, die für die Bekämpfung von illegaler
Beschäftigung und von Leistungsmissbrauch zuständig ist. Damit ist eine ortsnahe Verfolgung von
Verstößen sichergestellt. Die betreffenden Organisationseinheiten sind, je nach Größe und Struktur des
Arbeitsamtsbezirks, personell unterschiedlich ausgestattet. Bundesweit sind in diesem Bereich knapp
3000 Mitarbeiter angesetzt. Die Zahl der Bediensteten der Hauptzollämter, die – wie schon erwähnt –
einen ähnlichen Prüfauftrag haben, wird von derzeit mehr als 1000 auf 2500 im Jahre 2002 erhöht.
Arbeitsämter und Hauptzollämter arbeiten bei der Verfolgung von Rechtsverstößen eng zusammen.
4.
Illegale Ausländerbeschäftigung
Ausländische Arbeitnehmer dürfen eine Beschäftigung grds. nur mit Genehmigung des Arbeitsamtes
ausüben; Arbeitgeber dürfen ausländische Arbeitnehmer grds. nur dann beschäftigen, wenn diese eine
Genehmigung besitzen. Es bestehen gesetzlich fixierte Ausnahmen, z.B. für Staatsangehörige aus der
EU.
Verstöße sind, soweit nicht sogar Straftatbestände verwirklicht werden, mit Geldbußen bis zu 10.000,DM bei ausländischen Arbeitnehmern, bis zu 500.000,- DM bei Arbeitgebern bedroht.
4.1.
Umfang/Entwicklung
Die Problematik der illegalen Ausländerbeschäftigung hat sich in den letzten Jahren nicht verringert.
Die Ursachen hierfür sind nach wie vor zu einem wesentlichen Teil in dem zu den Ländern Mittel-,
Ost- und Süd-Ost-Europas weiterhin bestehenden erheblichen Lohngefälle zu finden.
Die Zahl der aufgegriffenen Verdachtsfälle hat sich auf hohem Niveau verfestigt (ca. 70.000 Fälle pro
Jahr, davon etwa 10.000 Fälle mit Straftatverdacht). Zuverlässige Schlüsse auf den Gesamtumfang der
illegalen Ausländerbeschäftigung können hieraus nicht gezogen werden.
39
4.2.
Umgehungs-/Verschleierungsmethoden
Seit Jahren stoßen die Arbeitsämter bei ihren Prüfungen und Ermittlungen auf eine Vielzahl von
Umgehungsversuchen, die die Ermittlungsarbeit erheblich erschweren. Zu beobachten ist in diesem
Zusammenhang zunehmend ein geplantes und aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken von
Arbeitgebern und illegal beschäftigten Ausländern. In letzter Zeit war häufiger zu beobachten, dass
ohne Arbeitsgenehmigung angetroffene Ausländer angaben, als (selbständige) Subunternehmer tätig zu
sein. Vielfach werden auch Ausnahmetatbestände nach der Arbeitsgenehmigungsverordnung oder der
Anwerbestoppausnahmeverordnung nur vorgetäuscht, um widerrechtlich ausländische Arbeitskräfte in
Deutschland einsetzen zu können. Daneben gibt es mehr und mehr deutsche Unternehmen, die in
osteuropäischen Staaten Scheinfirmen gründen, um dort eingestellte Arbeitnehmer angeblich zu
Einarbeitungs- bzw. Aus- und Fortbildungszwecken durch ein deutsch- ausländisches
Gemeinschaftsunternehmen in Deutschland tätig werden zu lassen.
Gegenüber früheren Jahren werden wesentlich häufiger Personen angetroffen, die sich mit ge- bzw.
verfälschten Ausweisdokumenten und/oder Arbeitsgenehmigungen ausweisen. Dabei finden
insbesondere Ausweisdokumente aus EU-Staaten Verwendung, mit denen eine EU-Zugehörigkeit
vorgetäuscht wird, um u.a. die arbeitsgenehmigungsrechtlichen Vorschriften umgehen zu können.
4.3
Schwerpunkte in der Wirtschaft
Von illegaler Ausländerbeschäftigung sind unverändert nahezu alle Wirtschaftszweige betroffen.
Die Schwerpunkte liegen mit unterschiedlicher regionaler und saisonaler Gewichtung im Bau- und
Baunebengewerbe, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Industrie- und Gebäudereinigung, der
Land- und Forstwirtschaft, bei der Nahrungs- und Genussmittelherstellung, bei der Personen- und
Güterbeförderung und im metallbe- und -verarbeitenden Bereich. Verstöße werden in erster Linie in
Klein- und Mittelbetrieben festgestellt, seltener in Großunternehmen. Unerlaubt beschäftigt werden
überwiegend Hilfs- und Aushilfskräfte, daneben werden in einigen Branchen, z.B. im
Pflegebereich, verstärkt Fachkräfte eingesetzt.
4.4.
Ahndung von Verstößen - Welche Sanktionen erfolgen, wenn Verstöße aufgedeckt werden?
Zunächst ist zu unterscheiden, ob eine Ordnungswidrigkeit vorliegt oder Straftatverdacht besteht; bei
Straftatverdacht erfolgt eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft oder es wird Strafanzeige erstattet.
Beispiele: Beschäftigung von gleichzeitig mehr als 5 Ausländern ohne Genehmigung für mindestens 30
Tage oder ausbeuterische Beschäftigung von Ausländern ohne Arbeitsgenehmigung (jeweils
arbeitgeberbezogene Straftat). Seitens des ausländischen Arbeitnehmers: unerlaubter Aufenthalt in
Deutschland.
Wenn eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, erfolgt eine Ahndung durch das Arbeitsamt, entweder durch
Verwarnung (bei geringfügigeren Verstößen) oder durch Bußgeldbescheid.
Die Bußgeldandrohung durch den Gesetzgeber beträgt bei illegaler Tätigkeit von Ausländern bei
Arbeitgebern bis
500.000 DM,
Arbeitnehmern bis
10.000 DM.
Im Bereich der illegalen Ausländerbeschäftigung sind von den Arbeitsämtern im Jahre 2000 über
73.000 Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Zur Art der Erledigung siehe Anlage 2.
40
5.
Jahresergebnisse BA für 2000
Die Jahresergebnisse von BA und Bundeszollverwaltung sind zu Beginn dieses Jahres in einer
gemeinsamen Pressekonferenz von BA und BMF der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
Auszugsweise seien einige Kerndaten der BA-Ergebnisse genannt:
In 250.000 Fällen wurden Geldbußen in Höhe von 310 Millionen DM festgesetzt; betroffen sind die
vier Kernbereiche unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung, illegale Ausländerbeschäftigung,
Leistungsmissbrauch bzw. und Verstöße nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Der Trend zu
strafbaren Verhalten hat sich fortgesetzt: In 64.000 Fällen lagen Hinweise auf Straftaten vor.
Es erfolgten 165.000 Prüfungen bei Arbeitgebern, dabei wurden 420.000 Personen befragt und 780.000
Geschäftsunterlagen eingesehen.
6.
Wünsche/Anregungen
Zur weiteren Verbesserung der Effektivität und Effizienz des Verwaltungshandelns bei der
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch seien drei Anregungen genannt, die
insbesondere im politisch/gesetzgeberischen Raum umzusetzen wären:
es sollte die grenzüberschreitende Vollstreckung von Bußgeldentscheidungen ermöglicht
werden; bisher kann eine derartige Vollstreckung nur in Bezug auf Österreich erfolgen;
die Bildung von sog. Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung
hat sich bewährt (Bündelung von Fachkompetenz); von dieser Möglichkeit sollte noch mehr Gebrauch
gemacht werden;
Übertragung von Strafverfolgungskompetenzen bei Delikten nach dem SGB III und dem AÜG an die
BA; ihre Dienststellen haben eine große Sachnähe und würden bei entsprechender Ausdehnung ihrer
Kompetenzen die Staatsanwaltschaften entlasten.
Anlage
Illegale Ausländerbeschäftigung - Ergebnisse 2000
gegen
gegen
Arbeitnehmer Arbeitgeber
erledigte Verfahren
33.920
39.674
darunter durch
Verwarnungen
Geldbußen
8.802
5.560
8.643
18.018
Strafanzeigen
5.165
5.537
Summe der festgesetzten 3.461.178
Verwarnungsgelder und
Geldbußen in DM
55.120.604
41
8.
UMGANG MIT „ILLEGALITÄT“ – zusammenfassender Überblick zum rechtlichen und
politischen Stand in Deutschland Cornelia Bührle rscj
Beauftragte für Migrationsfragen des Erzbischofs von Berlin
1.
Generell
Im politischen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kirchlichen Bereich besteht über die
Ausgangslage Konsens.
1.1
Generelles Resumé über Tatsachen
Unstreitig ist:
1.1.1.
Existenz
In Deutschland lebt aus unterschiedlichen Gründen eine unbestimmte Vielzahl von Menschen ohne
Aufenthaltsrecht und ohne Duldung und folglich auch ohne Arbeitserlaubnis; diverse Schätzungen
gehen von 500.000 und 1 Million Menschen aus. Die Dauer ihres jeweiligen Aufenthalts bewegt sich in
einem Spektrum zwischen Kurzzeitigkeit und Langzeitigkeit.
1.1.2.
Arbeitsmarkt
Auf dem Schattenarbeitsmarkt ist ihre Arbeitskraft gesucht, es werden mündlich Verträge geschlossen,
vor allem: in der Baubranche, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der kleingewerblichen (auch
Zulieferer-) Produktion, in der Landwirtschaft, in Dienstleistungsbetrieben resp. -bereichen, wie z.B.
Speditionsunternehmen, Reinigungsfirmen, besonders auch in Privathaushalten.
1.1.3.
Menschliche Notlagen
Die Menschen werden zu Niedrigstlöhnen beschäftigt, die zudem häufig entweder gar nicht oder nur
teilweise ausbezahlt werden.
Hierdurch entstehen finanzielle Notlagen: hinsichtlich der Wohnverhältnisse, der Sicherung des
täglichen Lebensunterhalts, bei Krankheit und Schwangerschaft.
Hinzu treten Probleme bei: der Beschulung der Kinder, der Geltendmachung und Durchsetzung von
Lohnforderungen.
In diesen Notsituationen suchen sie lagespezifische Hilfe bei Vertretern bestimmter Berufsgruppen,
z.B. bei: Ärzten, Apothekern, Sozialarbeitern, Schulleitern, Seelsorgern; wenden sie sich an andere
humanitär motivierte, hilfsbereite Private, nehmen zuweilen auch Unterstützer-Angebote aus
autonomen Kreisen wahr, rekurrieren zwecks Eintreibung ausstehenden Lohns manchmal auf mafiöse
und quasi-mafiöse Strukturen.
1.2.
Generelles Resumée über Rechtslagen
Auch im rechtlichen Bereich besteht Übereinstimmung der Rechtsmeinungen wie folgt:
42
1.2.1.
Aufenthaltsrecht
Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung haben keine legale oder rechtlich geduldete
Berechtigung sich in Deutschland aufzuhalten.
1.2.2.
Strafrecht
Ihr Aufenthalt ist gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG strafbar:
Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (...) sich ohne
Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung (...) besitzt.
Wer ihnen in menschlicher Notlage hilft, ohne hieraus selber einen Vermögensvorteil zu ziehen, setzt
sich gemäß § 92 a Abs. 1 Nr. 2 AuslG einem hohen Strafbarkeitsrisiko aus: Mit Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (einem anderen zur Tat gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1
AuslG) (...) Hilfe leistet und (...) wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt.
1.2.3.
Materiell-rechtliche Ansprüche respektive Rechte
Gleichwohl haben auch Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung materiell-rechtliche Ansprüche
resp. Rechte:
auf Zahlung des (zumindest) vereinbarten Lohns
auf Leistungen des staatlichen Gesundheitswesens
(Kinder) auf Beschulung.
1.2.4.
Durchsetzbarkeit rechtlicher Ansprüche
Diese Ansprüche resp. Rechte werden aber von den Anspruchsinhabern in der Regel nicht geltend
gemacht resp. nicht im Rahmen der Rechtsordnung durchgesetzt, weil sie angesichts gesetzlicher
Übermittlungspflichten fürchten, hierdurch entdeckt und abgeschoben zu werden.
§ 76 AuslG statuiert weitgehende Übermittlungspflichten für öffentliche Stellen:
§ 76 „Übermittlungen an Ausländerbehörden“:
(1)
Öffentliche Stellen haben auf Ersuchen (§ 75 Abs. 1) den mit der Ausführung dieses Gesetzes
betrauten Behörden ihnen bekannt gewordene Umstände mitzuteilen.
Öffentliche Stellen haben unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde zu unterrichten, wenn sie
Kenntnis erlangen von dem Aufenthalt eines Ausländers, der weder eine erforderliche
Aufenthaltsgenehmigung noch eine Duldung besitzt (...)
Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen ist nach den Absätzen 1 und 2 zu
Mitteilungen (...) nur verpflichtet, soweit dadurch die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben nicht gefährdet
wird. (...)
1.2.5.
Konsens im Rechtsempfinden
In Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kirchen besteht Konsens, dass diese Gesamtsituation (von
Tatsächlichem und Rechtlichem) unbefriedigend ist. Vor allem:
Unbefriedigend ist, dass so viele Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung in Deutschland leben.
Unbefriedigend ist, dass sie auf dem Schattenarbeitsmarkt zu Niedrigstlöhnen ausgebeutet werden
(können).
Unbefriedigend ist, dass sich Menschen, die ihnen in Erfüllung ihrer beruflichen Aufgaben in Notlagen
43
helfen, strafbar machen (können).
1.3.
Generelles politisches Resumée
Trotz allen Konsenses wird der Problemkomplex aufenthaltsrechtlicher "Illegalität" auch weiterhin von
politisch Verantwortlichen weitestgehend in der Öffentlichkeit tabuisiert, auch nicht konzeptionellsubstantiell bearbeitet, wenngleich er an versteckten Stellen immer wieder benannt wird. Ich zitiere
auszugsweise aus einem Vortrag von Kardinal Sterzinsky an der Freien Universität Berlin am 14. Mai
2001:
„Warum wird aber in dieser Debatte der Problemkomplex der Illegalität so erfolgreich ausgeklammert?
Hat ein so bedeutsamer Teil der Wählerinnen und Wähler etwas gegen Änderungen in diesen
Bereichen, weil sie von der Arbeit der „Illegalen“ wirtschaftlich und finanziell profitieren?
Und gehen die Politikerinnen und Politiker deshalb dieses Phänomen nicht an aus Angst vor dem
Verlust von Wählerstimmen?
Mancher – auch unter den politisch Verantwortlichen – versucht sich noch damit heraus zu reden, er
habe nichts gewusst und es sei nichts bekannt.
Deshalb erinnere ich an Hinweise, die regierungsamtlichen Texten zu entnehmen sind.
Im ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der kürzlich veröffentlicht worden ist,
steht im Berichtsteil „Entwicklung der Zuwanderung“, dass „zur Zahl der Menschen ohne
Aufenthaltsstatus (...) keine zuverlässigen Daten vorliegen. Einen Einblick in die Lebenswelt dieser
Gruppen geben lediglich Erfahrungsberichte von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften.“
Schon im dritten Bericht der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung über die Lage der Ausländer
in der Bundesrepublik Deutschland, aus dem Jahr 1997, also vor 4 Jahren, war von „ausbeuterischer
Beschäftigung“ die Rede.
Im vierten Bericht der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung vom letzten Jahr ist ein eigener
Punkt „Ausländer ohne legalen Status“ aufgeführt.
Im sechsten Familienbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2000 unterstützt die Bundesregierung
ausdrücklich „zentrale Forderungen des Berichts“. Dazu „gehört auch die Forderung, Kindern ohne
legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland einen Schulbesuch zu ermöglichen“
Das Bundesministerium des Innern teilte mit, es sei „unstreitig, dass die Lebensumstände der
betroffenen Menschen in vielerlei Hinsicht unbefriedigend“ seien; gewürdigt wird das „humanitäre
Engagement der Kirchen und Hilfsorganisationen für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht“ als „wertvolles
Beispiel für notwendiges Bürgerengagement in einem funktionierenden Gemeinwesen“.
Was nutzt die Erstellung neuer „Regelwerke“ für legale Zuwanderung, wenn diese nicht auch die
irreguläre Zuwanderung mitberücksichtigen? Deutschland hat weniger ein Problem bei der legalen
Zuwanderung als vielmehr bei der illegalen Zuwanderung und den Lebensumständen dieser
Zuwanderer.“
2.
Spezifika: Akute und aktuelle Handlungsfelder
Lösungen können nur konzeptionell erarbeitet werden, und zwar in einem Koordinatengeflecht von
Aufenthaltsrecht, Arbeitserlaubnisrecht und sozialen Mindeststandards. Entsprechende Vorschläge
liegen vor, es gibt hierzu einen informellen Arbeitskreis von Vertretern der Politik, der Kirchen und
ihrer Wohlfahrtsverbände, der Gewerkschaften und Wissenschaft.
Im übrigen wird in Kürze eine Arbeitshilfe "Leben in der Illegalität" der Migrationskommission der
Deutschen Bischofskonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt werden, Kardinal Sterzinsky sprach am 14.
Mai 2001 an der FU Berlin erstmalig öffentlich hierüber. Ich zitierte hieraus:
„Für soziale Mindeststandards
Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung. Die schulische und berufliche Bildung ist wegen ihrer
44
unverzichtbaren Bedeutung für die persönliche Zukunft der Kinder unabhängig vom Aufenthaltsstatus
sicherzustellen und darf nicht durch die Erhebung und Weitergabe von Daten und deren
ausländerrechtliche Konsequenzen gefährdet werden.
Jeder Ausländer muss unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus und seiner finanziellen
Leistungsfähigkeit Zugang zu den erforderlichen medizinischen Leistungen des Staates erhalten. Es ist
zu gewährleisten, dass Ausländer ohne Aufenthaltsrecht und Duldung nicht befürchten müssen, vom
Personal der medizinischen Einrichtung angezeigt zu werden.
Auch Menschen, die weder ein Aufenthaltsrecht noch eine Duldung besitzen und demzufolge trotz
Fehlens einer Arbeitserlaubnis Arbeitsleistungen erbringen, haben Anspruch auf den vereinbarten
Lohn, der dann, wenn er teilweise oder vollständig vom Arbeitgeber vorenthalten wird, gerichtlich
dergestalt einklagbar sein muss, dass für den Kläger dahingehend Rechtssicherheit besteht, dass er nicht
befürchten muss, von der Justiz wegen des Fehlens eines Aufenthaltsrechtes oder einer Duldung
angezeigt zu werden.
Zur Verhütung von Obdachlosigkeit müssen Notaufnahmeeinrichtungen auch Menschen ohne
Aufenthaltsrecht und Duldung offen stehen und die Belegungsplätze bei Bedarf aufgestockt werden.“
2.2.
Im Asyl- und Ausländerrecht
Das verfassungsrechtlich verankerte Asylrecht ist zu bewahren... Es muss dem tatsächlichen
Schutzbedürfnis politisch Verfolgter Rechnung tragen.
Bestehende Mängel des Asylverfahrens sind zu beseitigen. Das Asylverfahren muss politisch
unvoreingenommen, zügig und sprachlich einwandfrei durchgeführt werden.
Im Ausländerrecht bedarf es zur Verminderung und Verhinderung von Illegalität einer größeren
Berücksichtigung von menschlichen Härtefällen. Dies betrifft vor allem folgende Personengruppen:
Traumatisierte, Kranke und Behinderte, Opfer von Menschen- bzw. Frauenhandel, Kinder und Frauen
in prekärer Lage.
Gerade diese Personengruppen haben im Vergleich zu gesunden erwachsenen und uneingeschränkt
arbeitsfähigen Ausreisepflichtigen kaum bzw. gar keine Perspektiven auf ein menschenwürdiges Leben
in der Heimat.
In der ausländerrechtlichen Praxis des Umgangs mit Menschen in der Illegalität ist eine stärkere
Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nötig.
Hier ist die Frage einer großzügigen Altfallregelung akut. Dabei sollten vor allem Menschen
berücksichtigt werden, die durch den Aufbau persönlicher Bindungen an Deutschland und
nachgewiesene Sprachkenntnisse ihre Bereitschaft zur Integration gezeigt und sich gesetzestreu
verhalten haben.
Ebenso wird eine neue Härtefallregelung immer dringender. Eine effektive Berücksichtigung
menschlicher Härtefälle wird derzeit vor allem von den Bestimmungen der §§ 55, 30 AuslG verhindert.
Sie bedürfen dringend einer Novellierung.
Von den Übermittlungspflichten nach §§ 75, 76 AuslG müssen alle öffentlichen Stellen ausgenommen
werden, zu deren Aufgabenerfüllung es nicht gehört, Kenntnis über den Aufenthaltsstatus zu erlangen
bzw. Kenntnis hiervon zu nehmen.
Frauen, die als Zeuginnen in Strafprozessen gegen Zuhälter wegen Zwangsprostitution oder
Menschenhandel aussagen wollen, sollte ein entsprechender Abschiebeschutz auch nach Beendigung
des Prozesses gewährt werden. Für aussagebereite Prostituierte und sonstige aussagewillige Opfer eines
Abhängigkeitsverhältnisses, etwa aus illegaler Beschäftigung, sollte eine Kronzeugenregelung
geschaffen werden.
Eines besonderen Schutzes bedarf es von Ehe und Familie. Artikel 6 GG und Artikel 8 der
Europäischen Menschenrechtskonvention schützen das Recht auf Achtung eines bestehenden
Familienlebens. Der Schutz der gelebten Lebensgemeinschaft von Ehe und Familie ... darf nicht
durch zu restriktive ausländerrechtliche Regelungen ausgehöhlt werden.
45
2.3.
Arbeitsmarkt
Wenn der Arbeitgeber Subunternehmer auswählt, die Menschen in der Illegalität beschäftigen, dann
sollte er im Wege einer Durchgriffshaftung nicht nur für sein eigenes Verhalten, sondern auch für das
Verhalten der Subunternehmer haften.
Auch ein schwebend wirksames oder befristetes Arbeitsverhältnis für beispielsweise sechs Wochen
oder drei Monate, bis sich ein bevorrechtigter Arbeitnehmer findet, verbunden mit einem
Aufenthaltsrecht, wäre für viele eine Hilfe.
2.4.
Rechtssicherheit für unterstützende Berufe
Es muss auch dahingehend Rechtssicherheit hergestellt werden, dass Menschen, die in Ausübung ihres
legalen Berufes sich nicht strafbar machen, wenn sie durch Ausübung ihres Berufs Menschen in der
Illegalität, die in Not sind, helfen.
3.
(Gesellschafts-) politische Ebenen und ihre (Nicht-) Positionierungen
Politische Parteien
PDS
Die PDS positioniert sich sowohl auf Bundesebene als auch auf unterschiedlichen Landesebenen am
offensivsten. Sie tendiert zu einer Lösung "Legalisierung aller Illegalen". Dies halte ich für keine
nachhaltige Lösung, und ich will mich hierzu auch nicht näher äußern, weil ich persönlich kein
politisch geklärtes Verhältnis zur PDS habe.
CDU/CSU
Beide Parteien/Fraktion im Bundestag haben das Thema ausgeklammert, abgesehen von Herrn Dr.
Schwarz-Schilling (MdB).
F.D.P.
Gleiches gilt für die F.D.P.
SPD
Auch die SPD scheint nach mutigen öffentlichen Vorstößen von Herrn Wiefelspütz zurückgerudert zu
haben. (Entsprechendes gilt für den einschlägigen Arbeitskreis der SPD-Bundestagsfraktion unter
Vorsitz von Herrn Stiegler.)
Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Nach einer Fachtagung der Bundestagsfraktion, initiiert von Frau Nickels, im Sommer 2000 an der
Katholischen Akademie in Berlin, bleiben die Grünen offen, scheinen aber aus verschiedenen Gründen
gesetzgeberisch und koalitionspolitisch zu kneifen.
Landesministerien (z.B.)
Berlin: Senatsverwaltung für Inneres
Beim Senat von Berlin ist der Problembereich bekannt, aber ein konzeptioneller politische
Handlungswille scheint nicht zu bestehen.
Brandenburg: Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen
Gleiches gilt für Brandenburg. (Zum Innenministerium pflege ich keine Kontakte.)
46
Übrige (Justiz, Kultus etc.)
Darüber hinaus scheinen alle anderen Ressorts auf Bundes- und Landesebene froh zu sein, den
Problemkomplex an die Innenbehörden abgeben zu können, obwohl doch die eigenen Ressorts hiervon
unmittelbar auch betroffenen sind.
Bundesregierung
Hierüber sprach ich bereits.
Bundestag
Beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages ist seit November 2000 eine Petition anhängig,
die auf eine Anhörung von Fachleuten dringt. Das Schicksal dieser Petition ist ungewiss. Unerklärlich
bleibt, warum sich Bundestagsabgeordnete von der Einsetzung der Unabhängigen Kommission
Zuwanderung z.T. parlamentarisch entmündigt fühlen, sich gleichwohl in den Anliegen dieser Petition
nicht engagieren wollen.
Unabhängige Kommission Zuwanderung (UKZ)
Im Rahmen einer Anhörung hat sich die UKZ auch Fragen zum Problemkomplex "Illegalität"
gewidmet. Wie die UKZ hier entscheidet, wird sich am 4. Juli 2001 zeigen.
Bundesverband der Deutschen Industrie
Interessant sind die Positionierungen des BDI. Dort vertritt Herr (Robert) Henkel die Ansicht, dass 50
% der "Illegalen" legalisiert werden könnten.
4.
Ausgewählte zentrale rechtspolitische Fragen
4.1. Warum bedarf es bei § 92 a AuslG der Herstellung von Rechtssicherheit dahin gehend, dass sich
Menschen, die in Erfüllung ihrer beruflichen Aufgaben Illegalen in Notlagen helfen, nicht rechtswidrig
verhalten ?
Es käme einer Aufhebung des individuellen beruflichen und sozialen Ethos gleich, wenn
Ärzte und Apotheker ihren Dienst an Leben und Gesundheit von Menschen von aufenthaltsrechtlichen
Normen anhängig machen müssten, Sozialarbeiter staatlicher Einrichtungen und Einrichtungen
privater, vor allem kirchlicher Wohlfahrtsverbände ihren Dienst am Gelingen der sozialen Existenz
einzelner Menschen von aufenthaltsrechtlichen Normen anhängig machen müssten, Seelsorger ihren
Dienst am ganzheitlichen Wohl von Menschen von aufenthaltsrechtlichen Normen anhängig machen
müssten, Lehrer, Schulleiter und Vertreter von Schulbehörden ihren Dienst am edukativ-pädagogisch
geführten Wachstum von Kindern und Jugendlichen von aufenthaltsrechtlichen Normen anhängig
machen müssten, Bedienstete im öffentlichen Gesundheits- und Sozialwesen ihren spezifisch
administrativen Dienst an Leben und Gesundheit resp. an der Sicherung minimaler sozialer
Lebensbedingungen von aufenthaltsrechtlichen Normen anhängig machen müssten, Richter nur noch
bedingt, i.e. unter Vorgaben aufenthaltsrechtlicher Normen, Recht sprechen dürften.
4.2. Warum muss insbesondere die Inanspruchnahme von Leistungen des staatlichen
Gesundheitswesens aus pragmatischen Gründen gewährleistet sein ?
Vor allem bei ansteckenden Krankheiten, z.B. Tuberkulose, Gelbsucht, Aids besteht ein hohes Interesse
47
der Allgemeinheit an deren Nicht-Weiterverbreitung.
Ehrenamtlich einzelne resp. organisiert gewährte Hilfe ist hier überfordert.
4.3. Wie kann der Staat solchen Menschen, die sich nicht rechtmäßig und auch nicht rechtlich
geduldet in Deutschland aufhalten, dennoch und gleichzeitig minimale Rechte und auch deren faktische
Durchsetzungsfähigkeit für die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts zusprechen:
Recht auf Beschulung
Recht auf Leistungen des staatlichen Gesundheitswesens
Recht auf Lohn für geleistete Arbeit ?
Diese grundsätzliche Frage ist unserer Rechtsordnung nicht fremd, z.B. darf ein Auto, das (zwar) in
einem absoluten Halteverbot abgestellt ist, nicht deshalb auch gleich beschädigt oder gestohlen werden,
denn ungeachtet des „aufenthaltsrechtlichen“ Rechtsverstoßes steht das Fahrzeug ungebrochen unter
dem Schutz der gesamten Rechtsordnung. Was nun für Sachen gilt, muss (im juristische „Erst-rechtSchluss“) erst recht für Menschen gelten.
Es stehen sich zunächst zwei Entscheidungskomplexe des Gesetzgebers gegenüber: zum einen die
aufenthaltsrechtlichen Regelungen im Ausländer- und Asylrecht, zum anderen die Gesetzgebung, die
Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung bestimmte materiell-rechtliche Rechte einräumt.
Beide zuvor genannten gesetzgeberische Entscheidungskomplexe sind - isoliert betrachtet - nicht
widersprüchlich, sondern - im Gegenteil - miteinander ausgesprochen vereinbar: Indiziert ist ein
staatliches Verbot von rechtswidrigem, auch ungeduldetem Aufenthalt, welches indessen nicht so weit
reicht, dass Menschen, die sich entgegen diesem Verbot in Deutschland aufhalten, elementare Rechte
vorenthalten werden; hier ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vor allem dem Schutz der
menschlichen Würde (Art. 1 GG) Rechnung getragen, wonach der Mensch als solcher nicht zum
Rechtsobjekt degradiert werden darf, sondern stets als Rechtssubjekt wahrgenommen muss.
„Der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“, hier noch präziser: der „Widerspruchsfreiheit der
Rechtssetzung“ ist insoweit Genüge getan.
Der „Widerspruch“ resp. das Dilemma entsteht präzise erst durch einen dritten Entscheidungskomplex
des Gesetzgebers: Mittels der statuierten Übermittlungspflichten nach
§ 76 AuslG bewirkt er selber, dass die Rechte, die er zuvor eingeräumt hat, faktisch hingegen nicht
geltend gemacht und durchgesetzt werden können.
4.4. Würde eine Modifikation des § 76 AuslG (Einschränkung der Übermittlungspflichten
öffentlicher Stellen) unrechtmäßiges Verhalten begünstigen, sei es seitens solcher Migranten, die
bereits in Deutschland sind, sei es seitens solcher Menschen im Ausland, die dies als pull-Faktor
wahrnehmen würden ?
Hierbei gilt es zunächst zu unterscheiden: „Um wessen ‚unrechtmäßiges Verhalten‘ geht es ?“
Es kann nicht übersehen werden, dass § 76 AuslG in seiner geltenden Fassung entscheidend
mitursächlich dafür ist, dass Arbeitgeber Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung auf dem
Schattenarbeitsmarkt zu Niedrigstlöhnen beschäftigen können und sogar den versprochenen Lohn
entweder gar nicht oder nur teilweise ausbezahlen (erst hierdurch entstehen die materiellen Notlagen
seitens der Betroffenen). Es ist dieses „unrechtmäßige Verhalten“, das von der bestehenden Fassung
des § 76 AuslG begünstigt wird. Verfestigt würde bei unveränderter Fassung des § 76 AuslG mithin
zunächst das unrechtmäßige Verhalten solcher Arbeitgeber.
Was nun die Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung anbelangt, so widerspricht es dem (auch
48
von mir) repräsentierten Erfahrungswissen, dass die Möglichkeiten gesundheitlicher Versorgung,
Beschulung und Einklagbarkeit von vorenthaltenem Lohn a priori einen pull-Faktor darstellen resp. zu
einer de facto „Verfestigung“ des Aufenthaltes ohne Aufenthaltsrecht und Duldung, i.e. zu einem
Daueraufenthalt führen, denn hier muss nach Gruppierungen unterschieden werden:
Die Gefahr einer „Verfestigung“ bestünde lediglich bei solchen Menschen, die in jedem Fall (auch jetzt
schon) einen Langzeit-Aufenthalt anstreben (z.B. Flüchtlinge, aber auch Familienangehörige
allgemein). Dies aber wäre genau jene Gruppierung, die von kriteriengeleiteten Legalisierungen resp.
angemessener Neuregelung der Zuwanderungsbestimmungen erfasst würde.
Alle übrigen Gruppierungen („Arbeitsmigranten“) haben keinerlei Interesse an Langzeit-Aufenthalten;
sie haben nach wie vor ihren Lebensmittelpunkt in der Heimat, in die sie auch (nach unterschiedlich
langen Arbeitsaufenthalten) zurückreisen.
Zudem: Würde § 76 AuslG nicht modifiziert werden, dann würden Menschen (ohne Aufenthaltsrecht
und Duldung) auf bloße Objekte im Rahmen einer konzeptionell verfassten
Zuwanderungssteuerungspolitik reduziert werden. Dies widerspräche gefestigter höchstrichterlicher
Rechtsmeinung zum Schutz der menschlichen Würde durch alle staatliche Gewalt (Art. 1 GG).
Angesichts der großen Nachfrage des Schattenarbeitsmarktes nach Menschen ohne Aufenthaltsrecht
und Duldung würden diese zum bloßen, faktisch rechtlosen „Mittel“, i.e. „Objekt“,
marktwettbewerblicher Interessen bleiben resp. gemacht.
4.5. Liefen kriteriengeleitete Legalisierungen von Härtefällen Gefahr, dass hierdurch z.B. „das
Asylrecht (...) von innen heraus ausgehöhlt“ würde resp. dass betroffene ausländische Staatsangehörige
- wie es zuweilen heißt - „(...) - quasi als Belohnung für den Missbrauch des Asylrechts - begünstigt“
würden und zudem „eine unverantwortliche Anreizwirkung auf Ausländer, die noch in ihrem
Heimatland sind“, ausüben könnten ?
Auf die Erhebung von Steuern wird in Deutschland nicht deshalb verzichtet, weil damit Missbrauch
getrieben werden kann. Insoweit geht es hier analog um die Regel, nicht um Ausnahmen, auch nicht
nur um Asylbewerber.
Wer das „Belohnungs-/Missbauchs-Argument“ im Munde führt, verkennt in Realität jeweilige
„Einzelfall-Situationen“ bei z.B.
unbegleitet eingereisten minderjährigen Flüchtlingen
traumatisierten Flüchtlingen
nichtstaatlicher, und dennoch politischer Verfolgung.
5.
Zusammenfassung (Thesen)
Der Problemkomplex "Illegalität" bedarf dringend seiner politischen Bearbeitung. Je länger er tabuisiert
wird, umso gravierender die Folgen. Diese Bearbeitung setzt den konzertierten, sachlichen Einsatz
kompetenter Kräfte in Staat und Gesellschaft voraus.
Ein Konzept aus den Reihen der katholischen Kirche liegt vor, es bedarf dessen Erörterung und dort,
wo notwendig, dessen Verbesserung.
Insoweit geht es hier begrifflich um das (gleiche) Phänomen, das von Christian Schwarz-Schilling als
„ungesetzliche Illegalität“ (im Gegensatz zur „gesetzlich geduldeten Illegalität“) bezeichnet wird (vgl.
Christian Schwarz-Schilling; Thesenpapier; Mai 2001, Seite 25 ff.).
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