1 Fachtagung „Illegal in Deutschland“ am 16. / 17. Mai 2001 in Erfurt 1. BEGRÜßUNG Eckehard Peters Ausländerbeauftragter der Thüringer Landesregierung Meine Damen und Herren, illegal in Deutschland – man muss unter einem solchen Problem leiden, zumindest mitleiden, um es angemessen diskutieren und beurteilen zu können. Angemessen, das heißt, nicht spielerisch, nicht intellektualistisch, nicht ideologisch aufgeladen, wie es bei gesellschaftspolitischen Themen nicht selten geschieht. Es darf einem ad 1 bis ins tiefste Lebensgefühl hinein nicht egal sein, dass auf den Grenzen Europas ein Wanderungsdruck lastet – ausgelöst durch Armut und Perspektivlosigkeit – und uns wenig mehr einfällt, als Abwehrstrategien zu perfektionieren - Strategien, für die es durchaus gute innenpolitische Gründe gibt. Aber reichen diese Gründe aus, um das politische Gewissen zu beruhigen? Es stimmt nicht optimistisch, dass diejenigen, die bis 1998 in Bonn in der Opposition permanent Fluchtursachenbekämpfung gefordert haben, nunmehr in Berlin in Regierungsverantwortung einen Etat für Entwicklungszusammenarbeit vorgelegt haben, der durchaus mager genannt werden darf – jedenfalls keinen Fortschritt darstellt. Von der auswärtigen Kultur- und Informationspolitik – Stichwort „Deutsche Welle“ – mag ich gar nicht erst reden. Die Dinge hängen miteinander zusammen. Es darf einem ad 2 bis ins tiefste Lebensgefühl hinein nicht egal sein, dass die Verhältnisse, so wie sie auch in Europa sind, Menschen dazu verleiten, ohne Rücksicht auf gesetzliche Bestimmungen nach Deutschland einzureisen, sich hier niederzulassen, und versuchen, irgendwie ihr Leben zu fristen, irgendwie durchzukommen. Abenteurer dürften die wenigsten sein. Wer und was sie sind, welche Motive ihr Handeln bestimmen, welcher Logik sie folgen bzw. zu folgen sich gezwungen sehen, dem sollte – und ich bin zuversichtlich – dem wird unsere zweitägige Beratung nachgehen. Illegalität von Ausländern – so wie sie sich den meisten darbietet – hat ihrem Wesen nach kein Gesicht. Und das Gesichtslose, das Anonyme, das Verborgene wirkt immer irgendwie bedrohlich. Vielleicht gelingt es dem einem oder anderen Konferenzbeitrag einigen Anschauungsunterricht vom Leben in der Illegalität zu vermitteln, an Stelle einer diffusen Gesichtslosigkeit Konturen vor Augen zu führen und so dem Thema seinen bedrohlichen Charakter zu nehmen. Das wäre ein erster Schritt. Sie sehen, meine Damen und Herren, ich gehe, ganz meiner Rolle als Ausländerbeauftragter folgend, bei der Intention für diese Konferenz vom Ombudsgedanken, von der Funktion des Fürsprechers für Ausländer aus, auch für solche, die sich unerlaubt hier aufhalten. Aber lassen sie mich auch dieses sagen: Ich habe noch immer Respekt vor dem 28 jährigen Polizisten, der den Auftrag erfüllt, mit Sachlichkeit und vermutlich zwiespältigen Gefühlen das gleichaltrige ausländische Ehepaar mit Kleinkind auf dem Arm ins Polizeiauto zu führen und zum Abschiebeflughafen zu fahren, wenn die rechtlichen Konsequenzen der politischen Grundentscheidungen nichts anderes zulassen. Abschiebevollzug dürfte noch immer zu den unangenehmsten Vollzugsaufgaben gehören, die ein Innenminister zu vergeben hat. Es muss uns also um die politischen Grundentscheidungen und ihre rechtlichen Konsequenzen und praktischen Auswirkungen gehen und nicht um Polizei- oder Vollzugsschelte. 2 Diese Konferenz verfehlt ihr Ziel, wenn sie zum Entrüstungsritual verkommt. Sich das Schild mit dem Spruch „Kein Mensch ist illegal“ vor den Bauch zu binden, bedient nur das moralin–wohlige Gefühl in eben diesem Bauch. Moralisieren ist eine schlimme Zeitkrankheit. Moralin – das Heroin des Betroffenheitsbürgers und Entrüstungsjournalisten! Das ist unpolitisch. Mit Sentimentalität kommen wir eben so wenig weiter wie mit Brutalität. Wer in Europa den nächsten Bürgerkrieg will, der braucht bloß die vermeintliche „Festung Europa“ zu schleifen (auch so ein Slogan!) und den BGS in Urlaub zu schicken. Diese Konferenz verfehlt aber auch ihr Ziel, wenn sie – aufruhend auf dem politischen und rechtlichen status quo – lediglich der Effizienzverstärkung der behördlichen Illegalitätsbekämpfung dient. Sie sollte sich vielmehr der Humanisierung unserer Lebensverhältnisse verpflichtet fühlen. Dabei ist die effektive Bekämpfung von Verstößen gegen Einreise-, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisbestimmungen durchaus ein Teilaspekt der Humanisierung, aber eben nur die eine Seite. Bei der Durchsetzung gesetzlicher Vorschriften sollte nie die Rolle der eigentlichen Nutznießer des unerlaubten Aufenthaltes und der unerlaubten Beschäftigung von Ausländern aus den Augen verloren werden. Das sind selten die irregulären Immigranten selbst, oder sie sind es nur zum Teil. Ich bin nicht sicher, ob das in der Praxis hinreichend beachtet wird. Den anderen Aspekt bilden die realen Lebensbedürfnisse der meist reichlich unterprivilegierten Ausländer, die oft in erbärmlichen Lebensverhältnissen, nicht selten ausgebeutet, gelegentlich desinformiert oder verführt, bisweilen verzweifelt, mitunter mit krimineller Energie behaftet oder Opfer derselben versuchen, ohne Papiere ein Leben im Schatten zu führen. Es wird eine Menge Fantasie nötig und Sachverstand zusammenzutragen sein, um – ohne den Rechtsstaat auszuhebeln – Spielräume für humanes soziales Handeln auszuloten. Der Rechtsstaat kann naturgemäß mit der Unordnung des Illegalen, des Unregulierten, des Informellen wenig anfangen. Aber jeder, der den Rechtsstaat bejaht und verteidigt – und davon gehe ich für unsere Veranstaltung aus – weiß auch, dass das Leben immer listiger ist als die Summe aller Gesetze und Verwaltungsvorschriften und dass sich so manche Lebenslagen nur mit Bauchschmerzen oder Atemnot unter das gültige Paragrafenwerk subsumieren lassen. Und schließlich sollte die Rolle derjenigen erörtert werden, die in informellen Netzwerken tätig sind, um irregulären Immigranten das Leben erträglicher zu machen, die sich mit ihnen solidarisieren, nach Auswegen suchen und sich dabei in dem ethischen Dilemma befinden, das ich bereits im Einladungsschreiben zu dieser Konferenz zitiert habe: Es kann nicht das Ziel sein, Illegalität zu stabilisieren. Gleichwohl ist nach Wegen zu suchen, dass Arbeitende nicht ausgebeutet, Menschen mit bedrohlichen Krankheiten versorgt werden und Kindern nicht jegliche Zukunft verbaut wird. Ich sage es noch einmal: Man muss unter diesem Problem leiden, zumindest mitleiden, um es angemessen bearbeiten zu können. Wir sollten es uns in unseren Beratungen nicht leicht machen. 2. MOTIVE UND MECHANISMEN ILLEGALER MIGRATION - Gemeinsamkeit und Unterschiede in den Erkenntnissen empirischer Feldforschung bzw. der Polizei- und Sicherheitsdienste Jörg Alt SJ Jesuiten-Flüchtlingsdienst 3 Vorbemerkung Bei der Vorbereitung für den heutigen Abend hatte ich zwei Probleme: Zum einen kann ich mich selbst nicht mehr über diese Themen reden hören, und zum anderen wurden wichtige Punkte, die auch ich vortragen wollte, bereits kürzlich vom SPIEGEL [18/2001:22-25] allgemein verbreitet: Er veröffentlichte wesentliche Inhalte aus dem Lagebericht des Bundesnachrichtendiensts (BND) vom Januar 2001 zur "Illegalen Migration nach Europa", obwohl das Dokument als "vertrauliche, amtlich geheimgehaltene Verschlußsache" klassifiziert war. Viele Aussagen aus diesem Papier kann ich nur unterschreiben. Freilich setzen ich und der BND andere Schwerpunkte in der Datenauswertung und bei den Schlußfolgerungen. Also, dachte ich mir, wäre es vielleicht interessant, meine Sicht der Dinge, die auf empirisch qualitativer Feldforschung meinerseits bzw. meiner KollegInnen im In- und Ausland beruht, mit den Aussagen deutscher Sicherheitsdienste zu vergleichen. Neben dem im SPIEGEL zitierten Papier beziehe ich mich dabei auf einen anderen geheimen BND-Bericht aus dem Jahr 1998, einen noch viel geheimeren BGS-Projektgruppenbericht zur Einschleusung irakischer Staatsangehöriger und einige "Lagebilder zur Organisierten Kriminalität" des Sächsischen Landeskriminalamts. Ich möchte gleich darauf verweisen, daß das, was ich nachfolgend sage, auch aus Gesprächen mit Beamten aus dem Polizei-, Sicherheits- und Justizbereich erwachsen ist bzw. daß meine Schlußfolgerungen in Gesprächen mit solchen Gesprächspartnern verifiziert wurden. In der Tat haben diese Gesprächspartner mich auf viele Dinge hingewiesen, auf die ich so nicht gekommen wäre. Diese Offenheit in jeder Beziehung (nach der Zusicherung von Anonymität und Informantenschutz) ist für mich Anzeichen eines hohen Frustrationsgrades in dieser Berufsgruppe, die zunehmend das Gefühl zu haben scheint, mit ungeeigneten Mitteln gegen Windmühlen zu kämpfen. Freilich würden diese Gesprächspartner dies nie in der Öffentlichkeit zugeben (können), wenn sie ihren Job behalten wollen. Ein Indiz jedoch, wie ernst die Lage offensichtlich gesehen wird, ist für mich auch, daß meine bisher publizierten Texte von keiner Stelle in irgendeiner Weise auch nur ansatzweise kritisiert worden sind. Einführung Meine Hauptinformationsgrundlagen sind jedoch die Aussagen derjenigen Gesprächspartner unter den 'illegalen' Migranten, denen ich während meiner Feldstudien in Leipzig begegnet bin. Diese Studien waren Teil eines umfassenden Forschungsprojektes des Jesuiten - Flüchtlingsdiensts in Europa, welches empirische Feldstudien in Deutschland, Großbritannien und Spanien ebenso umfaßte wie eine in Oxford erarbeitete und im vergangenen Dezember veröffentlichte Synthese aus den Ergebnissen der drei Teilstudien. Hauptinteresse seitens des Auftraggebers war anfänglich das Schicksal von Flüchtlingen nach der europaweiten Einführung des Konzepts der Sicheren Dritt- und Herkunftsländer seit 1992/1993. Ich selbst bekam im Verlauf meiner Datensammlung Kontakt zu 51 'illegalen' Migranten, wobei hier die Familienangehörigen der jeweiligen Gesprächspartner mitgezählt werden. Diese Gesprächspartner kamen aus all den Ländern, die auch in den Berichten von BND und BGS behandelt werden. Durch diese Kontakte kamen jedoch eine Reihe anderer Personengruppen und Typen in den Blick, die schnell deutlich machten, wie komplex das "Milieu" insgesamt ist. Mir scheint, daß es wichtig ist, eine Kenntnis aller Personengruppen und Typen mit ihren unterschiedlichen Migrationsmotiven und -strategien zu haben, wenn man effiziente Lösungen für den wachsenden Problemkomplex der Illegalität suchen und implementieren will. Migrationsmotivationen Den "typischen Illegalen" gibt es nicht. Vielmehr war eine Erkenntnis des Forschungsprojekts, daß es eine große Bandbreite an Typen und Karrieren im "Illegalenmilieu" gibt, die sich in Migrationsmotivation und Migrationsverlauf ebenso unterscheiden wie in ihren Erwartungen an den Aufenthalt in Deutschland. Eine besonders wichtige Unterscheidung ist, ob sich der Migrant auf Dauer 4 in Deutschland niederlassen will, oder ob er zwischen Deutschland und seinem Herkunftsland pendelt. NEUER LEBENSMITTELPUNKT IN DEUTSCHLAND Es waren besonders die Flüchtlinge, die Deutschland als neuen Lebensmittelpunkt betrachteten. Als Flüchtling wurden in meiner Studie Personen bezeichnet, die "aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung" ihr Herkunftsland verlassen haben bzw. dieses verlassen mußten (vgl. Artikel 1 A Nr. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention), weil dort ihr "Leben" oder ihre "Freiheit ... bedroht sein würde" (Artikel 33). Das Selbstverständnis der meisten Gesprächspartner, die sich als 'Flüchtling' betrachteten, war im Einklang mit diesem Flüchtlingsbegriff in einer großzügigen Auslegung, wie sie in der internationalen Rechtsprechung auch anzutreffen ist. Die von den Gesprächspartnern angegebenen Fluchtgründe können wie folgt zusammengefaßt werden: - Bedrohung durch eine Zentralregierung oder durch militant - religiöse Fundamentalisten, - Unterdrückung wegen Zugehörigkeit zu einer nicht tolerierten Religion oder ethnischen Minderheit, - Bedrohung durch Anarchie, Bürgerkrieg oder wegen einer sexuellen Orientierung. Diese Gesprächspartner stellten in ihrer Vielfalt einen bunten Querschnitt der bekannten Krisenregionen Asiens und Afrikas dar. Die meisten Gesprächspartner waren unverheiratet, die verheirateten hatten ihre Familien mit nach Deutschland gebracht. Von den Gesprächspartnern sind neun Personen vor, und drei Personen nach bereits erlittenen Verfolgungstatbeständen geflohen. Unter den Verfolgungstatbeständen befanden sich Inhaftierung und physische Gewaltanwendung gegen die Betroffenen selbst sowie in einem Fall zusätzliche Inhaftierung, Gewaltanwendung und Tötung eines Familienangehörigen. Diejenigen Personen, die vor dem Erleiden akuter Sanktionen flohen, schilderten detailliert, warum sie für sich eine 'begründete Furcht vor bevorstehender Verfolgung' geltend machen, z.B. zunehmende Feindseligkeit und Repression durch staatliche Organe und/oder religiös - fundamentalistische Gruppen, konkrete Gewalttaten gegen das Leben von Personen in der näheren Umgebung (Familie, Nachbarschaft) oder Angst vor dem bevorstehenden Wehrdienst. Eine Reihe von ihnen stellte keinen Asylantrag, da sie von der Ergebnislosigkeit dieses Bemühens – etwa aufgrund der Sicheren Drittstaatenregelung oder der bekannten Entscheidungspraxis zu ihrem Herkunftsland - Kenntnis hatten. Andere wiederum entzogen sich nach der Ablehnung ihres Antrags der Abschiebung durch Untertauchen. Wenig überraschend, erachten Flüchtlinge eine Rückkehr ins Herkunftsland als ausgeschlossen, weil sie dort für sich keine Zukunftsperspektive sehen. Entsprechend groß ist ihre Angst vor Entdeckung und Ausweisung, und entsprechend bemüht sind sie, ihren Aufenthalt versteckt und unauffällig zu gestalten. Eine auffällig hohe Zahl der Gesprächspartner litt unter gesundheitlichen Problemen, zum Teil noch vorfluchtbedingt (v.a. Foltertraumata), ansonsten aus den für sie generell besonders harten Lebensumständen in der Illegalität (dauernde Angst vor Enttarnung, Isolation bzw. sehr wenig Sozialkontakte, Armut, ungesunde Ernährung, schlechte Wohn- und Arbeitsbedingungen). Ebenso gehen jene Migranten von einem dauerhaften Verbleib in Deutschland aus, die zur Herstellung der Familieneinheit illegal nach Deutschland kamen bzw. sich illegal in Deutschland aufhalten. Hier handelt es sich etwa um Familien, bei denen ein Familienmitglied in Deutschland nur einen prekären Status hat (z.B. eine Duldung), der nicht zum Familiennachzug berechtigt oder um Familienmitglieder, die bereits illegal in Deutschland leben und sukzessive andere Familienmitglieder nachholen, weil sie die Lebenssituation für sich und ihre Kinder in Deutschland insgesamt als besser einschätzen als im Herkunftsland - vor allem dann, wenn sie dort über keine berufliche Perspektive verfügen und keine Verwandte haben, die sie (mit-)versorgen können. 5 Dies traf beispielsweise auf eine alleinerziehende Mutter zu, die mit dem älteren ihrer zwei minderjährigen Kinder aus Kurdistan zu Verwandten nach Deutschland floh. Da sie seinerzeit nicht genügend Geld hatte, um die Reise auch für das jüngste Kind zu zahlen und zunächst in Deutschland Fuß fassen wollte, ließ sie dieses Kind in der Obhut von Verwandten zurück. Bevor sie aber genügend Geld beisammen hatte, trat die deutsche Kindervisumsregel in Kraft, die in diesem Fall nicht in Anspruch genommen werden konnte. Seither ist die Familie getrennt: Die Verwandten haben kaum genug Geld, um die eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen, geschweige denn eine Schulbildung zu finanzieren, die Mutter würde rund 10 000 DM benötigen, um eine illegale Familienzusammenführung zu ermöglichen. Bis zum Abbruch des Feldkontakts konnte dieses Geld jedoch nicht aufgebraucht werden. Bezüglich des Familienverständnisses vieler 'Illegaler' muß jedoch darauf geachtet werden, daß dieses im Falle vieler Migranten eben nicht nur Eltern und minderjährige Kinder umfaßt, sondern, kulturell bedingt, auch andere Angehörige. Eine hier zu erwähnende Gruppe, die bislang kaum im Blick ist, sind Menschen, die aufgrund von Umweltveränderungen zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen werden. Hier entwickeln sich aber Größenordnungen. Der BND geht, Bezug nehmend auf das United Nations Environmental Programme davon aus, daß "allein die zunehmende Erwärmung der Erdatmosphäre bis zum Jahr 2050 mindestens 150 Millionen Menschen zur Migration bewegen dürfte" [BND 2001:95]. LEBENSMITTELPUNKT UNVERÄNDERT IM HERKUNFTSLAND Die meisten Gesprächspartner nannten materielle Bedürftigkeit und Perspektivlosigkeit als Motiv zum Verlassen ihres Herkunftslands. Diese Migranten kamen vor allem aus den Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas, die meisten von ihnen waren verheiratet, ihre Angehörigen lebten noch im Herkunftsland. Hierunter fallen zunächst Personen, die im Herkunftsland zwar Arbeit hatten, deren Verdienstmöglichkeiten aber nicht oder kaum zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausreichten. Die permanente Unsicherheit im persönlichen Lebenskontext der Gesprächspartner wurde durch die allgemeine wirtschaftliche Situation in ihrem Herkunftsland verstärkt: Manche Betriebe, die unter Absatzschwierigkeiten litten, schickten die Belegschaft monatelang in unbezahlte Betriebsferien. Andere Betriebe ließen die Belegschaft zwar arbeiten, zahlten aber monatelang keinen Lohn. Wieder andere Betriebe zahlten keinen Lohn, überließen aber statt dessen ihren Mitarbeitern betriebsspezifische Produkte (z.B. Schnaps, Zucker oder Stahlplatten), die diese dann selbst zu verkaufen suchten. Der Erlös aus einer solchen Transaktion erreichte aber selten die Höhe eines regulären Gehalts. Traten unvorhergesehene Notfälle (z.B. Krankheit oder gar ein Krankenhausaufenthalt) ein oder entstanden Sonderausgaben (z.B. durch Geburten, die Einschulung von Kindern oder durch Todesfälle), dann konnte eine Familie in größte Schwierigkeiten geraten. Einige Gesprächspartner waren gezwungen, sich zur Absicherung des eigenen bzw. familiären Überlebens zu verschulden. Die Situation verschärfte sich nochmals im Falle von Arbeitslosigkeit, die durch einen neuen Job weder in der regulären, noch in der Schattenwirtschaft beendet werden konnte. In Verbindung mit der materiellen Bedürftigkeit ließen sich sodann Spannungen mit dem Ehepartner feststellen. Die Kumulation verschiedenster Gründe wird in nachfolgendem Beispiel deutlich: Der Gesprächspartner hatte vor dem Kommen nach Deutschland in seinem Herkunftsland bereits fünf Jahre gearbeitet. Dort verdiente er ungefähr 40 bis 50 DM im Monat, das reichte kaum für die Wohnung. Danach arbeitete er in Moskau und Sibirien, das reichte zunächst, aber dann wurden die Löhne nicht mehr ausgezahlt, und er hatte ein halbes Jahr kein Geld. Insgesamt dreimal war er in Moskau als Gastarbeiter. Die Frau studierte an einer Uni, die 120 km weit weg (vom Wohnort) war, sie benötigte deshalb alleine umgerechnet 10 DM für die Fahrtkosten im Monat. Am Anfang halfen ihnen noch seine Eltern, aber dann hörte auch das auf. Schließlich kam es zum Ehekrach. Die Frau machte ihm Vorwürfe, daß andere (Männer) ihre Familien besser versorgten. Der Krach war derart, daß sie drei 6 Tage nicht mehr miteinander sprachen. Dann sagte er sich: Ich beweise es dir jetzt. ... Viele Bekannte aus seinem Stadtbezirk in „xxx“ waren schon in Deutschland (gewesen), hatten dort gearbeitet und Autos gekauft. Also machte auch er sich auf den Weg. Ähnlich gelagert sind Fälle von Heranwachsenden (17-21 Jahre), die vereinzelt Spannungen mit ihren Eltern als Emigrationsgrund angeben. Bei näherem Hinsehen sind aber auch bei ihnen materielle Bedürftigkeit und berufliche Perspektivlosigkeit oder Abenteuerlust und Neugier wichtigere Motive für Emigrationsentscheidungen. Wie ernst die Lage hier ist, wird im BND Bericht drastisch verdeutlicht. Dort steht: Offiziellen Schätzungen zufolge wächst die Bevölkerung in den Maghrebstaaten trotz tendenziell abnehmender Geburtenzahl bis zum Jahr 2025 um 60 bis 90%. Dementsprechend wird die Zahl der erwerbsfähigen Bevölkerung um 20 bis 30% zunehmen. Nach Angaben der Weltbank ist die Zahl der Personen, die in Marokko unterhalb der Armutsgrenze leben, in den letzten 10 Jahren um 50% gestiegen und beträgt zur Zeit ca. 20% der Gesamtbevölkerung. 1999 lag die Arbeitslosigkeit in den Städten bei ca. 20%. Besonders Jugendliche sind hiervon stark betroffen (Jugendarbeitslosigkeit ca. 40 bis 50%). Ein jährliches Wirtschaftswachstum von 6 bis 8% (entspricht ca. 200 000 Arbeitsplätzen pro Jahr) wäre erforderlich, um die bestehende Arbeitslosigkeit langfristig abbauen zu können. Aufgrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums wird die Arbeitslosigkeit in Marokko nach Schätzungen der Weltbank im Jahr 2005 voraussichtlich auf rund 30% anwachsen. Diese Perspektivlosigkeit dürfte der illegalen Migration aus dem Maghreb auch künftig kräftig Vorschub leisten [BND 2001:24]. Dieser Analyse und Schlußfolgerung kann ich auf Grund meiner Gespräche mit 'Illegalen' aus Tunesien und Algerien voll und vorbehaltlos zustimmen. Eine beachtliche Gruppe unter den Gesprächspartnern gab schließlich an, nur vorübergehend nach Deutschland gekommen zu sein, um hier Geld zur Finanzierung eines größeren Vorhabens, z.B. zum Hausbau oder für eine Existenzgründung, zusammenzusparen. Ähnliches gilt für Migranten, die aus dem Wunsch nach Verbesserung der eigenen Lebensqualität ihr Herkunftsland verließen, d.h. die im Herkunftsland zwar nicht unter Verfolgung und Bedürftigkeit litten, ihre Lebenssituation aber als derart unbefriedigend empfanden, daß sie sich von einer Emigration eine Sicherung oder Verbesserung ihres (wirtschaftlichen und sozialen) Status versprachen oder ein unabhängigeres und selbstbestimmteres Leben. Diese Gesprächspartner kamen aus allen Teilen der Welt. Der Werdegang einer dieser Personen folgt als Beispiel: 1991/1992 begannen die wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten im Herkunftsland. Das Lebensniveau sank drastisch, die Gehälter stagnierten, die Preise stiegen. Es war kaum möglich, von dem Gehalt zu leben. Er hatte Arbeit in einem staatlichen Betrieb, das Gehalt reichte aber nicht aus. Zu dieser Zeit begannen auch die Privatisierungen. Er wollte in eine GmbH einsteigen, ohne den sicheren Job beim Staatsbetrieb ganz aufzugeben. Also ging er auf Halbtagsarbeit in beiden. Durch die Halbtagsarbeit bei der GmbH gewann er finanziell. Ihm wurde klar: das Gehalt beim Staatsbetrieb ist derart niedrig, daß es sich nicht lohnt, dort zu bleiben. Er wollte nicht mehr abhängig sein. Aber er hatte kein Startkapital, um sich selbständig zu machen. Er überlegte, wie er dazu kommen könne. Er hörte von ehemaligen Offizieren und Mannschaften der Roten Armee, daß diese immer alte Autos aus Deutschland mitgebracht, sie weiterverkauft und dabei Gewinn gemacht hatten. Da auch er Autos mochte, schien ihm dies ein interessanter Weg zu sein. Außerdem wollte er nebenher in Deutschland ein Studium beginnen, zum einen, um sich weiterzubilden, zum anderen, damit er mit einem Studienplatz eine Aufenthaltsbewilligung bekommen und mit Hilfe dieses Papiers mit den angekauften Autos zwischen Deutschland und seinem Herkunftsland problemlos hin- und herfahren könne. Bei Migranten aus dieser Gruppe betrachteten die meisten Gesprächspartner Deutschland nicht bzw. noch nicht als ihren (neuen) Lebensmittelpunkt. Diesen sehen sie nach wie vor im Herkunftsland, wo ihre Familienangehörigen leben. Je nach finanziellen Möglichkeiten pendeln sie anlaßbezogen (Familienfeiern, Weihnachten, Urlaub) zwischen Herkunftsland und Arbeitsort hin und her. Sie haben 7 auch weniger Angst vor Entdeckung und Abschiebung, denn aus verschiedensten Gründen ist ihnen eine Wiedereinreise nach Deutschland wesentlich leichter möglich als Flüchtlingen. Allerdings ist immer häufiger zu beobachten, daß sich bei einer Reihe von diesen Personen der zunächst als befristet gedachte Aufenthalt immer weiter verlängert. Entweder, weil eine Rückkehr und Wiedereingliederung im Herkunftsland bei zunehmender Abwesenheit immer schwieriger wurde (z.B. weil ihre früheren Arbeitsplätze nicht mehr existierten), weil sie das selbstgesteckte Migrationsziel nicht erreicht hatten und sich deshalb schämen, weil ihnen schlicht das Geld für die Heimreise fehlte oder weil sie das Leben in der Illegalität zunehmend als attraktiver erleben als ein 'legales' Leben im Herkunftsland. Eine mir oft gestellte Frage an dieser Stelle lautet, ob man denn sagen könne, wie sich der Anteil an Flüchtlingen und Personen darstelle, die aus wirtschaftlichen Gründen unerlaubt nach Deutschland kommen. Diese Frage ist allein deshalb schwer zu beantworten, weil eine Grenzziehung diesen beiden Gruppen nur schwer möglich ist. Immer wieder verweist beispielsweise UNHCR auf diesen Punkt. Hierzu sagte mir einst ein Richter, der im Grenzbereich Strafverfahren bearbeitet, die nach dem unerlaubten Grenzübertritt eingeleitet werden, daß die ihm vorgeführten Gruppen ziemlich gleichmäßig in drei Gruppen fallen würde: Ein Drittel der Personen sind Flüchtlinge, ein Drittel komm auf der Suche nach Arbeit, das letzte Drittel zur Begehung von Straftaten, wobei darunter natürlich auch die aufgegriffenen Schleuser fallen. Was das Dunkelfeld betrifft, so kann man mit Sicherheit annehmen, daß der Anteil von Flüchtlingen und Arbeitssuchenden den Anteil an Personen mit Bereitschaft zur Straftatbegehung weit übersteigt. Migrationslösende und migrationslenkende Faktoren Im Folgenden sollen einige Beispiele für das komplexe Ineinander von migrationsauslösenden und migrationslenkenden Faktoren gebracht werden. Starke migrationsauslösende Faktoren sind zweifelsohne Verfolgung und Armut – wobei das eine das andere bedingen kann: Verfolgte sind arm, Arme haben kaum eine Möglichkeit sich gegen zugefügtes Unrecht zu wehren – ein Teufelskreis. Solche Menschen verlassen in einer bedrohlichen Situation ihr Herkunftsland auch ohne ein direktes Ziel, einfach weil sie keine Alternative zum Verbleib im Herkunftsland sehen. Hier trifft man viele Flüchtlinge und Arbeitsmigranten an, die zunächst in Ländern, die ihrem Herkunftsland benachbart sind, eine Lösung für ihre Probleme suchen und die erst nach mehreren Zwischenstufen irgendwann irgendwo in Ländern der Europäischen Union 'ankommen' und dort Fuß fassen. Ein bedeutsamer migrationslenkender Faktor bei allen Menschen, die unter größerem oder geringerem Druck mit dem Gedanken spielen, ihr Herkunftsland zu verlassen, sind Familienmitglieder, Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen etc., die sich bereits in Ländern der Europäischen Union aufhalten. Über sie gelangen zunächst Informationen über die Lebensumstände in die Herkunftsländer. Darüber hinaus jedoch, wenn eine (illegale) Migration beschlossen wird, werden über diese Kanäle auch Tips und Informationen über die Organisation der Reise weitergegeben – falls die Ansprechpersonen nicht ohnehin persönlich kommen und dem 'Migrationskandidaten' (aufgrund ihres eigenen Wissens bezüglich eines illegalen Grenzübertritts) zu einer illegalen Einreise verhelfen. Das Vorhandensein solcher Erstanlaufstellen, von denen sich Migranten eine Erstversorgung, Orientierungshilfe und Eingliederungshilfe im Zielland versprechen, kann in seiner Bedeutung nicht überschätzt werden. Gerade weil das abstrakte Konzept von staatlicher Sozialhilfe vielen Migranten fremd ist, hat das traditionelle Verständnis gegenseitiger 'sozialer Hilfe' besonderes Gewicht in (E)Migrationsüberlegungen. Eine migrationslenkende Funktion haben auch Anwerbungen, d.h. die aufgrund der Nachfrage nach 'illegalen' Billigarbeitern in den Ländern der Europäischen Union besteht. Hier kann es vorkommen, daß Personen, die ursprünglich überhaupt nicht von zu Hause weg wollten, auf einmal eine große persönliche Chance sehen und sich auf den Weg in eine allzuoft gar nicht glänzende Zukunft machen. 8 Netzwerke im Migrationsgeschehen Dies bringt mich nun zu einem ganz zentralen Punkt: Netzwerken. Das Forschungsprojekt untermauerte die bereits seit langem in der Wissenschaft diskutierte Bedeutung von Netzwerken im Migrationsgeschehen insgesamt und im illegalen Migrationsgeschehen insbesondere. Zwar gaben zehn der Gesprächspartner zunächst an, ihre Erstemigration 'alleine' und ohne Hilfe durchgeführt zu haben. Allerdings erwies sich diese Behauptung in der Regel als Versuch, Unterstützer- und Ermöglichungsstrukturen zu schützen, bzw. waren sie Ausfluß der Annahme, daß bestimmte 'Selbstverständlichkeiten' erst gar nicht berichtenswert seien. Aus einem Interview mit osteuropäischen 'Illegalen': „A. Wir sind hierhergekommen, um ehrlich zu sein, wie die Katzenjungen im Sack. Wir wußten nicht wohin wir fahren, warum wir fahren ... Naja, irgendwo wußten wir, warum wir fahren. Aber wohin wir fahren, wußten wir nicht. F. Und hat irgend jemand den Sack getragen, oder...? A. Nein, wir selbst." Aber wenig später hieß es dann doch ein klein wenig anders: „A. F. A. F. A. So sind wir gefahren, na, wir hatten Adressen, ein paar Leute waren schon hier. Adressen hatten Sie? So ungefähre. Das heißt, Sie hatten Adressen von irgendwelchen Leuten, die schon hier sind? Ja." Die meisten Gesprächspartner wiesen jedoch von Anfang an bereitwillig auf die Bedeutung von Netzwerken für ihre Migration. NETZWERKTYPEN Es gibt unterschiedliche Netzwerke, die auf dem Hintergrund verschiedener Motivationen und Interessen agieren. Ich unterscheide inzwischen folgende Typen: Private Netzwerke umfassen Familie, Verwandte, Bekannte, Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen, die einem Migranten mehr oder weniger uneigennützig helfen oder lediglich Aufwandsentschädigungen oder Beiträge zur Abdeckung eigener Unkosten verlangen. Kommerzielle Netzwerke umfassen zentrale Strukturen einer Schattenwirtschaft, also Agenturen, Organisationen und Personen mit einer großen Angebotspalette relevanter Dienstleistungen für eine illegale Einreise zu marktüblichen Preisen, d.h. Preisen, die sich an Parametern wie Angebot, Nachfrage, gewünschtem Komfort und Risikozulagen orientieren. Die Palette der Dienstleistungen reicht vom einfachen illegalen Grenzübertritt bis hin zur Abwicklung einer Paketreise vom Herkunftsland bis zum Zielort. Im Vordergrund der Geschäftsbeziehungen steht die 'Zufriedenheit' des Kunden - in der Hoffnung auf 'Weiterempfehlung' bzw. Fortdauer der Beziehung. Die Leistungen und Zusagen werden in einem hohen Grad eingehalten, bzw. eine Nichteinhaltung liegt nicht in der Kontrolle der Agenturen. Die Zwangsmaßnahmen gegen zahlungssäumige Personen bewegen sich im Rahmen dessen, was auch 'seriöse' Kreditinstitute unternehmen, um an ihre Gelder heranzukommen (z.B. Pfändungen). Kriminelle Netzwerke ähneln den kommerziellen Netzwerken auf den ersten Blick weitgehend. Im Vordergrund stehen hier jedoch die Interessen von Agentur, Organisation oder Hintermännern, d.h. die Preise sind z.T. überhöht, versprochene Leistungen werden durch eigenes Zutun nicht erbracht, Kunden bereits im Anfangsstadium der 'Geschäftsbeziehung' bewußt über Aspekte der Anwerbung oder Angebote getäuscht, indem z.B. wider besseres Wissen legale Beschäftigungsverhältnisse versprochen 9 oder Prostituierte als 'Gesellschaftsdamen' angeworben werden. Zwangsmaßnahmen gegen zahlungssäumige Personen schließen hier auch Drohungen (und Aktionen) gegen Leib und Leben der Betreffenden und ihrer Familienangehörigen mit ein. Hinzu kommen vereinzelt politische Netzwerke, d.h. vor allem Personen mit gleichem politischem Hintergrund zu einer unerlaubten Einreise verhelfen (von mir z.B. bei kurdischen PKK-Mitgliedern beobachtet), oder humanitäre Netzwerke, d.h. Gruppen, die durch ihre Fluchthilfe beispielsweise Migranten einen Zugang zu einem Asylverfahren ermöglichen wollen oder sie innerhalb der Europäischen Union in das Aufnahmeland ihrer Wahl transportieren. All diese Netzwerke können sich, je nach Person, Kontext oder Migrationsabschnitt, mehr oder weniger überlappen. Dies wird bei folgendem Beispiel deutlich, welches mir ein 'illegaler' Arbeitsvermittler berichtete. Hier geht es um die Anwerbung und Vermittlung von Arbeitskräften, indem private Beziehungen mit kommerziellen und kriminellen Momenten ein komplexes Geflecht bilden. „XXX sagte mir, daß er Arbeiter bräuchte - ob ich helfen könne. Damals fuhr ich ca. alle zwei Monate nach Polen, und so fuhr ich wieder und fragte innerhalb der Verwandtschaft meiner Mutter und deren Bekannten, ob sie Interesse hätten, in Deutschland zu arbeiten. 42 Mann bekundeten die Bereitschaft, wollten aber, daß alles legal sei. Es waren hauptsächlich Maurer und Fliesenleger. XXX sagte: "Natürlich wird das alles legal sein, aber erst müssen sie auf Probe arbeiten, damit wir sehen können, ob sie auch gut sind". XXX besorgte aber schon mal die Formulare zu An- und Abmeldung vom Arbeitsamt, gab sie mir. Ich nahm sie wiederum nach Polen mit und ließ meine Freunde diese ausfüllen und mit Paßbildern versehen. Die Polen meldeten sich ordnungsgemäß in Polen ab und kamen nach Deutschland. Zwei Tage später wurden sie auf verschiedene Baustellen aufgeteilt ... Die ganze Zeit dachten die Polen, sie seien legal in Deutschland. Ich allein wußte, daß dies nicht der Fall war, da das Arbeitsamt dies nie akzeptieren würde. Um die Polen legal beschäftigen zu können, hätte ich oder XXX mindestens eine Tarnfirma in Polen haben müssen, über die wir die Arbeitnehmer hierher hätten holen können, z.B. auf Werkvertragsbasis.“ Hier angekommen, stellen sich uns zwei wichtige Fragen. Welchen Rolle haben diese Netzwerke nun genau im illegalen Migrationsgeschehen? Welchen Anteil haben Personen und Organisationen mit kriminellem Hintergrund an diesem Migrationsgeschehen? Hier weichen nun meine Einschätzungen beträchtlich von denen der Polizei- und Sicherheitsbehörden ab. Zunächst zur Frage nach der Rolle von Netzwerken am Migrationsgeschehen. ROLLE VON NETZWERKEN IM MIGRATIONSGESCHEHEN Die Bedeutung der Netzwerke für das Gelingen einer illegalen Migration ist sehr unterschiedlich. Sie reicht von mündlichen oder schriftlichen Tips und Tricks von Angehörigen über hochprofessionelle Luxusschleusungen von Wohnort im Herkunftsland direkt zum Zielort im Zielland mithilfe eines perfekt gefälschten Passes bis hin zu Lug, Trug und Versklavung. Zunächst einmal halte ich die in meinem Buch geäußerte und begründete Einschätzung aufrecht, daß es unverändert einer beachtlichen Zahl von Personen gelingt, einen unerlaubten Grenzübertritt mit minimaler Hilfe (Briefe mit Wegbeschreibungen o.ä.) alleine durchzuführen. Auch der BND berichtet etwa davon, daß von allen Aufgegriffenen im tschechischen Grenzgebiet lediglich 24% "die Hilfe von Schlepperorganisationen genutzt" haben [BND 2001:49], eine Schätzung, die auch von anderen Quellen bestätigt wird. "Paketreisen" – so meine Analyse, denen auch die Aussagen der mir vorliegenden internen BGS und BND Papieren nicht widersprechen - sind unterm Strich eher die Ausnahme als die Regel, allein weil sie zu teuer sind. Unvermindert versuchen die allermeisten Migranten mit eigenen Mitteln, so nahe wie 10 möglich an die Grenze der EU zu kommen. Somit behaupte ich: Im Migrationsbusiness dominiert die abschnittsweise Inanspruchnahme von Dienstleistungen, vor allem Hilfe bei der alles entscheidenden illegalen Grenzüberschreitung. Und hier werden, aufgrund der zunehmenden "Kontrolldichte" an der Grenze, private Netzwerke mit den ihnen eigenen Möglichkeiten zum Grenzübertritt mehr und mehr überfordert. Hier ist eine wachsende Inanspruchnahme von lokal ansässigen Einzelpersonen, aber auch (kommerziellen und kriminellen) Organisationen wenigstens für Etappen der Reise festzustellen, da diese die nötige Expertise hierfür mitbringen (z.B. genaue Ortskenntnis, 'Beziehungen' zu Grenztruppen oder Behörden wegen falscher Papiere etc.). Der Kontakt zwischen Kunde und Grenzübertrittshelfer wird oftmals auch telefonisch oder schriftlich zwischen bereits in Deutschland lebenden Migranten und Verwandten und Bekannten im Herkunftsland vermittelt. Generell kommt hier der örtlich ansässigen Bevölkerung eine große Bedeutung zu. An der Peripherie eines Staates gelegene Regionen weisen oft eine hohe Arbeitslosenrate auf, des weiteren ist dort Armut, Unterentwicklung und Langeweile weit verbreitet: Ein idealer Ausgangspunkt für die dort ansässige Bevölkerung, sich ein Zubrot durch Unterbringung von Migranten oder Grenzübertrittshilfen zu verdienen. Diese Aktivitäten setzen aber noch keine Mitgliedschaft in kommerziellen oder kriminellen Organisationen voraus. Oft werden solche 'Experten vor Ort' ad-hoc angeheuert, manchmal auch als 'Bauernopfer' der Polizei überlassen. Freilich: So gut wie die örtliche Bevölkerung muß man aber die Grenze gar nicht kennen, um Menschen dort im "Ameisenverkehr" rüberzuschleusen. Am Ende meiner Studie, auf dem Hintergrund meiner Einblicke in Schleusungspraktiken an der deutschen Ostgrenze, fragte ich einen hochrangigen Gesprächspartner beim BGS: "F. Wenn ich mit Ihnen wetten würde, daß ich jeden weißhäutigen Illegalen über die Grenze rüberbringe, würden Sie die Wette annehmen oder nicht? A. Meinen Sie jetzt über die grüne Grenze oder über einen Grenzübergang? F. Egal, was für eine Methode ich wähle. Ich wette mit Ihnen, ich bringe jeden rüber. A. Ich möchte nicht dagegen wetten." [Alt 1999b: Anlage 5-1 ("Interview mit einem hochrangingen BGS-Beamten"): Frage 24f.] STELLENWERT UND BEDEUTUNG KRIMINELLER GRUPPEN Dies führt zum zweiten Punkt: Welchen Anteil haben Personen und Organisationen mit "wirklich kriminellem" Hintergrund an diesem Migrationsgeschehen? Meiner Ansicht nach kann nicht gesagt werden, daß kriminelle Gruppen das illegale Migrationsgeschehen "im großen Umfang steuern" [vgl. BND 2001:7]. Für einen eher marktwirtschaftlichen, an den Parametern von Angebot und Nachfragte orientierten Charakter des Migrationsbusiness spricht aus meiner Sicht schon die große Bandbreite an Angeboten und Tarifen, die von 80 DM für einen einfachen Grenzübertritt an der Ostgrenze bis hin zu 40-50 000 $ für eine Luxusschleusung von Asien nach Westeuropa reichen. All dies ist für mich eine Bestätigung dafür, daß hier rege Konkurrenz und Wettbewerb herrscht und zumindest derzeit keinesfalls einer von einer Dominanz mafiöser Monopolkartelle ausgegangen werden kann. Darüber hinaus scheint mir, daß, solange Konkurrenz in diesem Milieu existiert, selbst kriminelle Gruppen sich zumindest teilweise dem Marktgeschehen anpassen und Ware gegen Bezahlung liefern. Schließlich wollen sie im jetzigen Stadium nicht riskieren, daß zahlungskräftige Kunden zu der Konkurrenz überlaufen bzw. erst gar nicht mehr bei ihnen anklopfen, weil ihre kriminellen Praktiken sich herumsprechen werden. Warum aber malen Sicherheitsdienste dann stets ein so dramatisches Bild vom Einfluß krimineller Akteure im Feld der internationalen Migration? Folgende Gründe sehe ich: Zum einen wird meiner Meinung nach der quantitative Anteil krimineller Netzwerke auf diesem 11 Gebiet von ihnen deshalb überschätzt, weil Sicherheitsdienste sich schon von Berufswegen (hauptsächlich) mit kriminellen Personen und Organisationen beschäftigen. Was sich außerhalb ihrer Hellfeld-erkenntnis im abgeschotteten Dunkelfeld abspielt, entzieht sich somit nicht nur ihrer Kenntnis, sondern auch ihrer Aufmerksamkeit. Zum anderen haben die Sicherheitskräfte Recht, was die qualitative Gefährlichkeit der hier zu nennenden mafiösen Gruppen betrifft: Es gibt organisiert-arbeitsteilig zusammenarbeitenden kriminellen Gruppen; es gibt auch das, was man gemeinhin mit Mafia oder Organisierter Kriminalität bezeichnet. Wenngleich ich die Bedeutung dieser Gruppen am quantitativen Geschehen relativiere, möchte ich deren Bedeutung für die Gefährdung unseres Rechtsstaates, unserer Demokratie, unseres Wirtschafts- und Finanzsystems ausdrücklich betonen. Daß die breite Öffentlichkeit von der Existenz dieser Gruppen in unserem Land wenig mitbekommt, ist Ausdruck der von diesen Gruppen erfolgreich gefahrenen "Politik": Mafiöse OK-Gruppen schrecken vor Tätlichkeiten bis hin zu Mord an den eigenen Leuten nicht zurück, wenn diese durch Unachtsamkeit Schuld daran wären, daß Existenz und Operationen dieser Gruppe zur Kenntnis der deutschen Sicherheitskräfte oder Öffentlichkeit kämen. In den Worten eines meiner 'illegalen' Gesprächspartner: "Ich weiß, daß sie [die Mafia] die einheimische Bevölkerung nicht anrühren... Sie sind sehr bemüht, sich zu benehmen. Sie brauchen einfach hier eine Basis, so habe ich es verstanden, um ihr Geld von den Drogen zu waschen". Zu Recht warnt das Sächsische Landeskriminalamt in seinem "Lagebild zur Organisierten Kriminalität" aus dem Jahr 1997: "Eine direkte Korrelation zwischen OK (=organisierte Kriminalität) und dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist nicht festzustellen. Die mittlerweile schon und noch vorwiegend in den Medien erfolgende, inflationäre Verwendung des Begriffs ... OK ... ist nicht geeignet, sich sachlich und sachgerecht mit OK auseinanderzusetzen" (Hieraus erwächst die Gefahr) "Hinweise der Polizei auf tatsächlich bestehende Bekämpfungsdefizite damit abzutun, daß hier lediglich empfindliche Eingriffsermächtigungen ohne tatsächliches Erfordernis erlangt werden sollen." [S. 4] Ergebniß ILLEGALE MIGRATION UND SCHLEUSER: VERWECHSLUNG VON URSACHE UND FOLGE Was in der Diskussion von illegaler Migration und der Bedeutung der kriminellen Schleusergruppen (allzuoft) durcheinandergeworfen wird, ist folgendes: Es wird Ursache und Wirkung verwechselt. Illegale Migration findet zum überwiegenden Teil nicht WEGEN der Schleuser statt, sondern Schleuser gewinnen an Bedeutung, WEIL Migration stattfindet. Anders gesagt: Kein Flüchtling läßt sich durch die Sichere Drittstaatenregelung abhalten, wenn er in Deutschland einen Asylantrag stellen will. Kein Cousin wird sich davon abhalten lassen, seinen in Deutschland lebenden Verwandten als Erstanlaufstelle anzupeilen, wenn er dort Arbeit sucht, nur weil das deutsche Recht für einen solche Fall keine Familiennachzugsregelungen vorsieht. Kein Arbeitsmigrant wird sich von Grenzkontrollen abschrecken lassen, wenn er weiß (oder hofft), daß er in Deutschland Arbeit findet wird. Ist aber ein Grenzübertritt nicht möglich, wird er sich nach Leuten und Organisationen umschauen, die ihm dabei helfen bzw. die ihm Hilfe anbieten. 12 KANN STRAFBARES HANDELN DENNOCH LEGITIM SEIN? Sie werden nun einwenden, daß das, was diese Personen und Gruppen anbieten, doch trotzdem kriminell ist. Ich finde, hier muß man unterscheiden: zwischen Straftatbeständen, die ein nationaler Gesetzgeber definiert, zwischen Taten, die sich dennoch auf eine Legitimationsgrundlage beziehen können, und Taten, die eindeutig kriminell sind. Unerlaubter Grenzübertritt und Beihilfe dazu stehen per Beschluß des deutschen Gesetzgebers eindeutig unter Strafe, wie dies auch im Ausländergesetz (§ 92a) nachzulesen ist. Daran gibt es nichts zu rütteln. Aber ist es denn ein Verbrechen, wenn man Menschen einen Weg zu Asyl und Sicherheit, zur Wiederherstellung der Familieneinheit, zu Obdach und Arbeit eröffnet? Das sind doch alles Werte, die auch wir gut heißen. Und wenn wir es nicht gut heißen, so gibt es eine Fülle von Menschenrechtsdeklarationen und –konventionen, die ein solches Tun legitimieren. Stehen Menschenrechte und Menschenwürde nicht über dem Ausländerrecht? Eindeutig kriminell sind in diesem Kontext nach meinem Verständnis vor allem solche Handlungen, die auf die vorsätzliche Täuschung und Schädigung eines Anderen ausgerichtet sind, d.h. die Menschen z.B. wider besseres Wissen von zu Hause weglocken, die trotz gezahlten Geldes die entsprechende 'Dienstleistung' nicht erbringen, die beim Grenzübertritt den Tod von Menschen billigend in Kauf nehmen, die Menschen, die sich vertrauensvoll in ihre Hand begeben haben, erpressen und in sklavenähnlichen Abhängigkeitsverhältnissen halten. Ein heikles Feld für Gesetzgebung und Ethik, welches ich an dieser Stelle nur anreißen möchte. GRENZEN HERKÖMMLICHER BEKÄMPFUNGSANSÄTZE GEGENÜBER 'SCHLEUSERGRUPPEN' Der Möglichkeit von Sicherheitskräften, migrationsermöglichende Netzwerke (die sogenannten "Schleusergruppen") mit ausschließlich repressiven Mitteln erfolgreich zu bekämpfen, sind vor allem durch folgende Punkte klare Grenzen gesetzt: Deren ethnisch homogene Zusammensetzung: zum Teil kommen die entscheidenden Drahtzieher aus der selben Familien oder dem selben Clan; jeder Versuch, diese Strukturen zu infiltrieren, wird sofort bemerkt und entsprechend abgewehrt. Zentrale Stellen vieler Organisationen sind in Staaten, wo Arrangements mit den dortigen Sicherheitskräften ein ungehindertes, allseits profitables Miteinander garantieren. Der grenzübergreifenden polizeilichen Zusammenarbeit sind viele rechtliche und verfahrenstechnische Hürden gesetzt, während die international arbeitsteiligen Gruppen bei ihrer Zusammenarbeit von solchen Hindernissen frei sind. NEBENFOLGEN DES HERKÖMMLICHEN REPRESSIVEN BEKÄMPFUNGSANSATZ Ein 'bloßes' (kostspieliges) Weiter-Hochrüsten der Grenzen sowie der Polizei- und Sicherheitsdienste als (alleiniges) Mittel zur Verhinderung illegaler Zuwanderung ist nicht nur von fragwürdiger Effizienz, es zeitigt auch Nebenfolgen, die im höchsten Maße bedenklich sind: die Schwere des Grenzübertritts und dem damit verbundenen Risiko korreliert mit einer hohen Zahl an Toten und Verletzten im Zusammenhang mit einem unerlaubten Grenzübergang; bei zunehmender 'Hochrüstung' der Grenze nimmt die Bedeutung von den kommerziellen und kriminellen Organisationen zu, die sich ihrerseits mit modernster Technik ausrüsten können und es ist 13 anzunehmen, daß genau hier der Einfluß krimineller Organisationen zunimmt; mit dem Ansteigen der Preise für illegale Grenzübertritte nimmt die Angst vor einer Enttarnung des Status im Inland mit nachfolgender Ausweisung zu. Wo man bis ca. 1996 nach einer Abschiebung noch problemlos zu Hause einen neuen Paß kaufen konnte, und somit 48 Stunden nach Abschiebung wieder seine Arbeit aufnehmen konnte, ist dies inzwischen nicht mehr so leicht möglich. Entsprechend steigt die z.B. von Kontrolleuren der Arbeitsämtern festgestellte Aggressivität der Migranten dem Kontrollpersonal gegenüber. Je besser die Grenze abgeschottet ist, desto größer werden auch die Schwierigkeiten für Migranten, nach Hause zu reisen. In Gesprächen, die der Veröffentlichung meines Forschungsberichts folgten, haben sich Anzeichen erhärtet, die zur damaligen Zeit nur andeutungsweise deutlich wurden: Die Zahl von 'Illegalen' nimmt zu, die gerne das Land verlassen würden, dies aber nicht tun z.B. aus Mangel an Geld oder Papieren oder aus Angst, zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr einreisen zu können. Am besten verdienen die Schleusergruppen an der zunehmenden Grenzsicherung. Während der BND 1998 noch davon ausging, daß der Umsatz dieser Gruppen weltweit bei ca. 10 Milliarden DM lag [BND 1998: 6], geht er in seinem neuesten Bericht bereits davon aus, daß dies die Höhe der Profite allein für den europäischen Raum darstellt – "Tendenz steigend." [BND 2001: 8] PRINZIPIELLE GRENZEN DER BEKÄMPFBARKEIT ILLEGALER MIGRATION MIT REPRESSIVEN MITTELN Der wichtigste Punkt für mich ist aber, daß illegale Migration mit ihren operativen Mechanismen mit (ausschließlich) repressiven Mitteln prinzipiell nicht bekämpfbar ist. Der BND-Bericht enthält in Bezug auf die Effizienz von Polizei und Grenschutztruppen fast aller Migrationsherkunfts- und Transitstaaten düstere Einschätzungen. Oftmals ist es niedrige Bezahlung, manchmal Gewinnstreben und Korruption, manchmal 'nur' mangelhafte technische Ausstattung, die zum Schluß kommen läßt, daß die Überwindung nahezu aller entscheidenden Grenzen östlich und südöstlich von Deutschland für die gut ausgerüsteten Schleusergruppen kein nennenswertes Hindernis darstellen. Diese Schlußfolgerung kann ich vor allem nach meinen Gesprächen mit ost- und südosteuropäischen 'Illegalen' bestätigen. Der BND-Bericht bestätigt auch folgende Erkenntnis empirischer Forschungsarbeit: Polizei, Sicherheitsdienste und Grenztruppen haben keine Möglichkeit, potentiell unkontrollierbare Grenzen effizient kontrollieren zu können. Sei es das waldreiche Dreieck zwischen Kroatien, Slowenien und Italien, sei es die tschechisch-deutsche Grenze, seien es die Küsten der Meere. Überall wird zugegeben, daß die Kontrolle prinzipiell Lücken hat. Ist aber eine Grenze gut zu kontrollieren (wie z.B. die polnisch-deutsche Grenze), wird dort mit gut gefälschten Papieren gearbeitet, die wiederum die Grenzorgane aus Kapazitätsgründen nur lückenhaft kontrollieren können. Man kann die Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage nicht mit Polizei und Grenzschutz bekämpfen. Die Nachfrage nach Einreisen besteht trotz Verbote? Also gibt es Anbieter, die diese Nachfrage bedienen. Die Zielländer errichten höhere Barrieren mit Visabestimmungen und High-Tech Grenzsicherungen? Die Dienstleister werden erfinderischer, teurer, risikobereiter. Ganze neue Industriezweige sprießen und florieren: Hehlerei von Nachtsichtgeräten, Diebstahl von Visastempel, Hinterhofdruckereien für Ausweise usw. Auch hier bin ich dem SPIEGEL zum Dank verpflichtet, weil er nicht nur eine der typischen Preislisten dieses Dienstleistungssektors veröffentlichte, sondern darüber hinaus auch noch einen ehemaligen Schleuser interviewte [18/2001:24], der genau in dieses von mir skizzierte Bild der kommerziellen Grenzübertrittsbranche der Schattenwirtschaft hineinpaßt: Alles hat seinen Preis, aber die Ware wird auch geliefert. Hier gewinnt auch der Ausdruck "Garantieschleusung" seine Bedeutung: Der Erfolg wird garantiert - und wenn es fünfmal und mehr Anläufe braucht. Das ist keine verbrecherische Ausbeutung, das ist fairer Business – wie viele andere geschäftliche Transaktionen in unserem Leben, nur eben Marktwirtschaft unter besonders schweren Bedingungen, 14 mit seinen eigenen Gesetzen. Entsprechend werden sich für jede Gruppe, die von Polizei und Sicherheitskräften zerschlagen wird, zwei neue bilden, die deren Platz in diesem lukrativen Business einnehmen werden. Abschließend sei nochmals an die Nachfrage erinnert, die in den Industrieländern nach 'illegalen' Billigstarbeitern besteht, etwa in der Bauindustrie, Landwirtschaft, Gastronomie sowie dem privaten und kommerziellen Reinigungsgewerbe. Wir täuschen uns über Ausmaß und Normalität, den illegale Ausländerbeschäftigung bereits in unserem Land hat, eben weil diese Beschäftigung weitestgehend unsichtbar ist und ganz natürliche (und strafrechtliche) Hemmschwellen bestehen, darüber offen zu sprechen. Kurz und knapp brachte es einer meiner 'illegalen' Gesprächspartner auf den Punkt: "Wo Geld verdient werden kann, sucht man Wege, da dran zu kommen. Wir wollen Arbeit, die deutschen Chefs wollen Gewinne, und die Mafia vermittelt zwischen uns." Sowohl empirische Forschungsergebnisse als auch Sicherheitsdienste kommen also zu der Schlußfolgerung, daß es unverändert eine Fülle von Möglichkeiten gibt, selbst die Grenze mit der "höchsten Kontrolldichte" in Europa zu überwinden. Denn: Repressive Ansätze in der Bekämpfung illegaler Zuwanderung werden das Migrationsverhalten der Menschen vor allem VERÄNDERN, nicht aber VERHINDERN. Daß die illegale Zuwanderung trotz aller Bemühungen nach wie vor hoch ist, ist bekannt. Mir scheint aber, daß sie, vor allem aufgrund der 'Umstellung' auf die Verwendung von gut gefälschten Papieren, noch höher ist als die Statistiken des BGS und die PKS nahelegen. Daraus folgt: Solange ordnungspolitische Maßnahmen zur 'Zuwanderungskontrolle' die faktischen Migrationsmechanismen bzw. die 'marktwirtschaftlichen' Angebots- und Nachfragestrukturen nicht angemessen berücksichtigen, werden mehr und mehr Akteure in die Illegalität abgedrängt, und um so mehr vergrößert sich der rechtsfreie Raum, der sich staatlicher Kontrollbemühungen entzieht. Wie leicht ein unerlaubter Grenzübertritt nach wie vor ist, formulierte mir gegenüber eine Sozialarbeiterin aus Polen im Januar 2000: 'Ich wundere mich jedes Mal, wie einfach es immer noch ist, über die Grenze zu kommen. Wenn sich beispielsweise eine Familie von mir verabschiedet, bin ich immer noch total aufgeregt. Ob das denn wohl klappt? Und es klappt. Sie gehen um vier Uhr früh und ich bekomme um zehn Uhr vormittags einen Anruf von ihnen aus Berlin. Sicher, es kostet inzwischen bis zu 500 DM pro Person, was vor allem für Familien teuer ist. Aber es klappt.' Höchste Zeit, sich bezüglich alternativer Ansätze Gedanken zu machen. Ausblick Es wird viel zu oft übersehen, daß 'Illegale' ihre Heimat ebenso ungern verlassen wie Deutsche und daß viele, die hier leben, gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Für folgenden Gesprächspartner etwa wäre es das Höchste: "die Heimat aufzubauen, die Ukraine. Nicht irgendwo hinzufahren und andere Länder aufzubauen, sondern das eigene Land. Die besten Fachleute sind im Ausland. Auf der ganzen Welt. Zu Hause sitzen nur die Alkoholiker." [Alt 1999a: 230] Was sollte man also tun, um internationale illegale Migration zu verhindern? Dem BND ist bei seinen Schlußfolgerungen aus meiner Seite vollauf zuzustimmen: Die Hauptursachen der weltweiten Wanderungsbewegungen werden auch in nächster Zukunft bestehen bleiben. ... Angesichts solcher Perspektiven sind die europäischen Staaten aufgerufen, ein umfassendes multilaterales Migrationskonzept zu entwickeln. Die Verstärkung der Grenzsicherung kann nicht die einzige Antwort auf den wachsenden Migrationsdruck sein. Über die bloße Abschottung hinaus muß die Zuwanderung so weit wie möglich gesteuert werden. ... Ohne den Abbau der Push-Faktoren ist die Bekämpfung der weltweiten Wanderungsbewegungen ... zum Scheitern verurteilt. Armut, Unterdrückung in den 15 Ausgangsländern müssen schrittweise verringert, (Bürger-)Kriege möglichst verhindert oder beendet werden. Verstärkte humanitäre Maßnahmen und Entwicklungshilfe sowie eine weitere Öffnung der EU-Märkte und Zollerleichterungen können dazu einen Beitrag leisten. Die globale Dimension der Migrationsproblematik erfordert darüber hinaus eine verstärkte Kooperation der Industriestaaten weltweit. [BND 2001:95f., Herv.i.T.] Die Sache hat aber dann einen Haken, wenn wir nach der Kosten fragen, die mit einer Umsetzung dieser Schlußfolgerungen verbunden sind. Und dann werden wir sehr schnell feststellen, daß wir alle für diese Kosten aufkommen müssen: Wir alle sind Nutznießer eines Systems, welches nicht nur zivilisatorisch-demokratisch einen hohen Entwicklungsstand hat, sondern auch eines Systems, welches auf Kosten anderer produziert und konsumiert. In einer zunehmend vernetzten Welt kann man nicht verhindern, daß sich dieses Schlaraffenland herumspricht und daß sich mehr und mehr Menschen auf den Weg machen, um an diesem Wohlstand teilzuhaben. Diese Menschen werden vor allem dann in ihrem Herkunftsland bleiben, wenn wir mit dazu beitragen, daß vorhandene schlechte Entwicklungen gestoppt werden – Krieg, Menschenrechtsverletzung, Unterentwicklung, Umweltverschmutzung – und wenn wir dazu beitragen, daß ihre Heimatländer in absehbarer Zeit eine realistische Entwicklungschance haben, damit sich auch dort Wohlstand entwickelt. Wollen wir das, ist es nicht mit Spenden und Kollekten am Sonntag getan – auch nicht mit strukturellen Umschichtungen vorhandener Haushaltsbudgets oder gar Steuererhöhungen. Nein, wir müssen nach gerechten Kriterien teilen und von unserem Wohlstand abgeben: Wir müssen verzichten. Genau so etwas steckt beispielsweise in der harmlos klingenden Forderung nach "Öffnung der EUMärkte und Zollerleichterung". Aber genau so etwas ist unpopulär in unserem Land. Dann ist doch auch der mitfühlende Gutmensch eher geneigt, nach mehr Polizei und mehr Grenzsicherung zu rufen, damit er seinen Wohlstand auch weiterhin allein genießen kann. Dies wird aber, wie ich hoffentlich aufzeigen konnte, auf Dauer nicht gelingen. Es ist die Aufgabe von uns allen, der Bevölkerung in unserem Land – Politikern und 'Normalverbrauchern' – klarzumachen: Daß man nicht in einer sich globalisierenden Welt leben und nur die guten Dinge genießen kann. Man muß auch die negativen Folgen akzeptieren und auf diese Herausforderungen eine glaubwürdige Antwort finden. Daß materieller Reichtum, auf den unser Gesellschaft allzuviel Aufmerksamkeit verwendet, nicht alles ist: Auch andere Gesellschaften haben Werte, von denen wir lernen können. Man erinnere sich nur an die Begeisterung, mit der deutsche Bürger oft aus Urlauben in anderen Weltgegenden kommen - wie sie über die dort erfahrene Freundlichkeit, das Zeitgefühl, den sozialen Zusammenhalt, die hochstehende geistige Kultur etc. schwärmen. Meine These ist: Wenn wir von unserem Wohlstand abgeben, dann werden auch wir beschenkt werden. Darüber hinaus ist in Deutschland und auf der Ebene der Europäischen Union dringend über folgendes nachzudenken: Wie kann ein Asyl- und Familienrecht, wie eine Zuwanderungsregelung gestaltet werden, die dem faktischen Migrationsverhalten bestmöglich entspricht und deshalb in der Lage ist, Illegalität von vorneherein zu vermindern? Wie können ganz pragmatisch die Rahmenbedingungen für hier 'illegal' lebende Menschen verbessert werden, ohne daß diesen deswegen automatisch daraus ein Anspruch auf Aufenthalt erwachsen würde? Dadurch würde sowohl der Würde dieser Menschen Rechnung getragen, aber auch der Regelungshohheit, die ein souveräner Staat im Hinblick auf Zuwanderung hat. 16 Beides ist deshalb nötig, weil illegale Migrationsbewegungen anhalten werden, solange es weltweit Menschenrechtsverletzungen und Wohlstandsgefälle geben wird. Den Traum von einem besseren Leben anderswo kann man Menschen nicht verbieten. Auch hierin weiß ich mich mit MitarbeiterInnen deutscher Polizei- und Sicherheitsdiensten völlig einig. Da ich zu den vorstehenden Punkten aber bereits andernorts Darlegungen veröffentlicht habe [Alt 2001] und dies auch nicht der spezifische Gegenstand meines Referats ist, werde ich hier innehalten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. 3. ILLEGALITÄT VON AUSLÄNDERN – Praxisbericht aus Thüringen Jose Manuel Paca Ausländerbeirat Erfurt Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste! Zu Beginn möchte ich Sie herzlich auf dieser Veranstaltung begrüßen. Ich bin Mitglied des Ausländerbeirates Erfurt. Ich kann aber auch aus eigenen Erlebnissen über Auswirkungen von illegaler Beschäftigung berichten. Diese Erfahrungen sammelte ich bei meinem Einsatz für von diesem Problem betroffene Ausländer. Sehr geehrte Damen und Herren, in diesem neuen Jahrhundert sollte es die Pflicht für jeden Menschen sein, sich für die Bewahrung der Menschenwürde einzusetzen. Denn wir wissen genau, wie schrecklich und grausam Sklaverei ist. Aber leider, sehr geehrte Damen und Herren, muss heutzutage der Mensch nicht selten unter gleichen schrecklichen Methoden leiden. Mit kurzen Worten kann ich sagen, illegale Beschäftigung ist auch eine moderne Form der Sklaverei. Und wenn Sklaverei ein grausames Verbrechen gegen die Menschenwürde ist, muss der Kampf gegen diese letztlich kriminellen Machenschaften eine Pflicht für die gesamte moralische, zivilisierte Menschheit sein. Es ist inakzeptabel, wenn ein Mensch gezwungen wird, 18 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, zu arbeiten. Ohne Lohn, mit nur einer Mahlzeit pro Tag, ohne eine würdige Gelegenheit zum Wohnen. Das heißt zum Beispiel, dass auf 8 qm vier Personen leben müssen. Ohne eine Chance auf Urlaub oder andere Form der Erholung. Ohne eine medizinische Betreuung. Und das Schlimmste ist, wenn der Betroffene sich beschwert, wird er meistens von organisierten Schlägertrupps brutal verprügelt. Und das alles sind Tatsachen, meine Damen und Herren, die wir in letzter Zeit in unserer Stadt erleben mussten. Als ich im vorigen Jahr einem solchen Fall der Missachtung der Menschenwürde nachging, wurde mein leben bedroht und ich entging nur knapp einem Mordversuch. An den Folgen dieser Tat leide ich und meine gesamte Familie noch heute. 17 Die Opfer von sogenannter illegaler Beschäftigung oder besser gesagt „moderne Sklaven“, sind mit falschen Versprechungen hierher gelockt worden. Viele Portugiesen wurden Opfer dieser verbrecherischen Ausbeutungsmethoden. Sie wussten nicht, dass sie eine eigene Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis besitzen müssen. Außerdem sind die meisten Opfer vom Land und sie haben nicht viele Erfahrungen mit dem komplizierten Arbeitsrecht. Natürlich auch nicht mit dem deutschen Ausländergesetz. In vielen Fällen wird auch der Reisepass dieser Leute entzogen, um zu vermeiden, dass sie entkommen können. In Krankheitsfällen gab es keine Möglichkeit der medizinischen Behandlung, da die Zahlung von Sozialbeiträgen in solchen Fällen ein Fremdwort ist. Verantwortlich dafür sind die sogenannten Arbeitgeber und ihre Komplizen. Sehr geehrte Damen und Herren, wie ist es möglich, wenn jemand seine rechte Hand gebrochen hat, dass von ihm gefordert wird, mit der linken Hand weiter zu arbeiten? Sonst verliert er seine Unterbringung und auch die einzige Mahlzeit am Tag. Trotz alledem kann der Betroffene von Lohn nur träumen. Selbst bei schweren Verletzungen erhält der Mann höchstens eine ambulante, erste Hilfe. Danach wird der Betroffene mit allen Mitteln bedroht, um die Behandlung zu beenden. Oder er wird sogar gezwungen, aus dem Krankenhaus zu fliehen. Meine Damen und Herren, das haben wir in unserer Stadt Erfurt erlebt. Auch in dem Fall, wenn der Betroffene entschlossen ist, die Behandlung beenden zu lassen, kommt später die Bezahlung der Kosten auf ihn zu. Durch das fehlende Geld kommt er in eine Art täglichen Überlebenskampf. Er hat zum Beispiel auch keine Möglichkeit, ein Ticket zur Fahrt in seine Heimat zu kaufen. Hinzu kommt die ständige Angst von seinem ehemaligen Ausbeuter gejagt zu werden, aber auch weil er keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Und am Ende kommt noch das sprachliche Verständigungsproblem, wenn er um Hilfe bitten will. Im eigenen Heimatland werden ihn Schuldgefühle verfolgen, weil er von der Familie oft als Versager betrachtet wird. Zum Beispiel viele dieser Opfer müssen hohe Schulden machen, um einen Vermittler oder Informanten für eine Arbeit in Deutschland zu finden. Doch gerade diese Informanten locken die Opfer mit falschen Versprechungen. Beispielsweise wird oft ein Lohn von 3000 bis 4000 Markt im Monat genannt. Typisch für diese Methoden sind zwei Bereiche, das Baugewerbe und die Gastronomie. Auch jeder illegale Beschäftigte oder moderne Sklave ist ein rechtloser Mensch in einem fremden Land, weil er über keine Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis verfügt. Und viele Arbeitgeber oder Ausbeuter verstehen es sehr gut, mit den Gesetzten umzugehen. Es werden niemals schriftliche Arbeitsverträge mit den Opfern abgeschlossen. Keine Lohnzettel verteilt. Und immer wird mit Strafen gedroht, wenn man jemanden als Zeugen mit dem Problem bekannt macht. Der mir bekannteste Fall betrifft einen 56-jährigen Portugiesen. Er wollte sich auf Gesetze berufen und wurde durch seine Ausbeuter mit einem Messer am Kopf schwer verletzt. Es gab 300 andere Opfer, die fast fünf Jahre ohne Lohn in dieser Stadt unter unwürdigen Bedingungen gearbeitet haben. Und nur einer hat nach einer durch die Arbeit bedingten Krankheit versucht, seine Rechte vor Gericht einzuklagen. Wegen Unkenntnis der deutschen Arbeitsgesetze wurde die Beschwerde als ungültig erklärt, nur weil er den Beschwerdetermin nach den Tarifverträgen in der Baubranche versäumt hatte. Leider ist so dieses Musterbeispiel schief gegangen. Daher ist auch die Möglichkeit geplatzt, dass sich mehr äußern konnten. 18 An dieser Stelle sei mir der Aufruf an die Gesetzgeber erlaubt, in solchen Fällen einzig den Menschen in den Vordergrund zu stellen. Also nicht irgendwelche Termine, sondern die vorgefallene Tat. Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, diese Probleme, diese Schande ist nicht nur gegen die Menschenwürde, sondern sie vergiftet sogar auch die Verständigung mit den Deutschen und behindert die Akzeptanz von Ausländern in der Gesellschaft. Denn illegale Beschäftigung ist – und das will ich hier ganz deutlich sagen – auch die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Nun möchte ich Ihnen noch eines erzählen. Als ich in Portugal war, um mich auch von den Folgen des Anschlages auf mein Leben zu erholen, bemerkte ich dort die gleichen verbrecherischen Beschäftigungspraktiken. Nur sind in Portugal vor allem Menschen aus Osteuropa und Brasilien von der modernen Sklaverei betroffen. Zum Beispiel verdiente ein Russe auf dem Bau 228 Escudos. Das sind umgerechnet zwei Mark am Tag. Bei den gleichen unerträglichen Arbeitsbedingungen wie in dem aus Erfurt geschilderten Fall. Am Ende meines Erfahrungsberichtes will ich Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, noch eines sagen: Es ist für uns ein bedeutender Fakt, dass in den USA die Abschaffung der Sklaverei 1865 in die Verfassung aufgenommen wurde und die UNO-Menschenrechtskonvention von 1948 jede Form der Sklaverei und des Menschenhandels verurteilt. Die Sklaverei war und ist ein grausames Verbrechen gegen die Menschheit. Ich möchte hier fast das Jahr 2000 anfügen. Denn, seitdem mir das Berichtete passiert ist, hat sich die Situation in unserer Stadt stark verbessert. Ich bin dankbar für die Entwicklung im Bereich der Gastronomie. Hier gibt es nun – nach meinen Erkenntnissen – zum Glück nicht mehr die bis vor kurzem noch gängige Praxis der Ausbeutung. Dennoch muss es eine Pflicht für jeden sein, sich dafür einzusetzen, dass diese Form der Ausbeutung in der modernen und zivilisierten Welt ein Ende hat. 4. DIE BESONDERE SITUATION VON FRAUEN IN DER ILLEGALITÄT - ein Fallbeispiel Barbara Eritt In Via e.V. Berlin Ich bedanke mich sehr für die Einladung zu dieser Tagung und freue mich, als seit langem in dem Problematik engagierte Sozialarbeiterin hier ein kurzes Gesprächsimpuls geben zu können. Ich danke Ihnen allen für Ihre Bereitschaft, sich diesem so komplexen Phänomen zu widmen. Es ist äußerst schwierig, in diesem Bereich Menschen zu begegnen und ihnen zu helfen. Unsere Möglichkeiten sind durch das restriktive Ausländergesetz auf das Minimum eingeschränkt. Die meisten Debatten um Illegalität und Migration werden durch angstmachenden „Migrationsdruck“ bestimmt. Aus meiner Erfahrung geht jedoch hervor, dass nicht nur die lang ersehnte Reisefreiheit alleine die Zahlen der neuen Migrantinnen steigert. Oft werden in den osteuropäischen Ländern die Frauen geradezu erst auf die Idee auszureisen gebracht. Dies geschieht durch direkte Anwerbung oder Zeitungsinserate. Es gibt inzwischen ein gut funktionierendes Netz zwischen Deutschland und osteuropäischen Ländern, das für „gute Arbeitskräfte“ für Deutschland sorgt. Um die schwierige Situation mancher Frauen zu veranschaulichen, erlaube ich mir hier anonymisiert Ihren ein wahres Schicksal vorzustellen: 19 Lena kam nach Berlin im Sommer 2000 aus einem osteuropäischen Staat. Sie ist nach Berlin mit Visum nach Österreich eingereist. Unsere Beratungsstelle hat sie erst Anfang Oktober aufgesucht. Sie wandte sich an uns in einem Moment ihres Lebens, wo sie selbst keinen Ausweg mehr aus ihrer sehr komplizierten Lebenslage wusste. Lena spricht sehr gutes Deutsch. Die Sprache lernte sie in Berlin. Denn sie hält sich zum zweiten Mal in Berlin auf. Das erste Mal kam sie nach Berlin vor etwa 3 Jahren. Sie wollte damals eine kurze Zeit in Berlin bleiben – ein bis zwei Monate ein bisschen Geld verdienen. Man versprach ihr einen guten Job als Kellnerin. Doch schon bei der Ankunft in Berlin erfuhr sie, dass sie hier als Prostituierte arbeiten wird. Sie wurde damals zu Prostitution gezwungen und stand unter ständiger Kontrolle. Nach einigen Monaten gelang es ihr, aus den Fängen der Menschenhändler zu fliehen. Sie hielt sich über ein Jahr lang in Berlin illegal auf. Sie konnte nicht ausreisen, sie hatte keinen Pass mehr. Dieser wurde von den Menschenhändlern einbehalten. Sie fand in Berlin einen Freund, der ihr die Heirat versprach. Zusammen mit ihm bezog sie eine Wohnung. Versuchte, trotz aller Widrigkeiten, ein normales Leben zu führen. Lena war verliebt und glaubte ihrem Freund. Zufällig traf sie auf der Straße eine Bekannte. Eine Frau, die sie hier in Berlin kennen gelernt hat. Eine Frau, die ähnlich wie sie zu Prostitution gezwungen wurde. Diese Bekannte eröffnet Lena, dass sie eine Anzeige gegen die Menschenhändler erstattet hat und dass Lena dies auch machen sollte. Sie nahm Lena die Angst vor der Polizei. Lena machte Aussagen. Sie erklärte sich auch bereit, als Zeugin vor Gericht auszusagen. Sie war erleichtert – endlich die Wahrheit gesagt zu haben. Sie bekam bis zum Abschluss des Prozesses eine Duldung. Im März letzten Jahres wurden die Täter aufgrund auch ihrer Aussage zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Gleich im April musste sie Deutschland verlassen. Die Duldung für Opferzeuginnen im Menschenhandelverfahren wird lediglich bis zum Abschluss eines Prozesses erteilt. Lena fuhr zurück in ihr Heimatland nicht ohne Angst. Sie sagte gegen die Männer aus, die aus dem gleichen Ort wie sie kamen. Die Täter unterhalten weiterhin Kontakte zu ihren Komplizen. Lena fuhr nach Hause, weil sie musste. Sie fuhr jedoch in der Hoffnung bald wieder zurückzukommen, denn sie wollte ihren Freund heiraten. Sie wollte so schnell wie möglich alle nötigen Dokumente für eine Heirat beschaffen und mit einem Pass und klaren Perspektiven in Berlin wieder ankommen. In ihrer Heimatstadt angekommen erfuhr sie, dass ihre Familie bereits Drohungen seitens der Täter ausgesetzt war. Lena traut sich beinah drei Monate nicht aus dem Haus. Wenn sie irgend welche Formalitäten persönlich erledigen musste, fuhr sie immer mit ihren Verwandten zusammen. Schnell merkte sie, dass sie dort für längere Zeit kein normales Leben mehr führen kann, zumal einer der Täter, der aus dem gleichen Ort wie sie kommt, im Dezember entlassen und abgeschoben werden sollte. Lena musste also schnell wieder nach Berlin zu ihrem Freund. Sie wollte auch deswegen zu ihm, denn sie erwartete ein Kind von ihm. Doch der Freund scheint Schwierigkeiten mit einer Einladung zu haben. Lena versuchte es also alleine und reiste nach Berlin mit einem Visum für das Land, für das sie ein Visum problemlos erhalten konnte. Im Sommer kam Lena wieder nach Berlin. Mit einem Visum für Österreich. Sie kam zu ihrem Freund, der heiraten wollte. Erst jetzt erfährt sie jedoch, dass der Mann noch verheiratet ist und sich keine Kinder wünscht. Nach kurzer Zeit befindet sie sich wieder in der „Illegalität“. Lena ist unverschuldet das erste Mal in die Illegalität geraten. Das zweite Mal hatte sie schlicht keine andere Wahl. Ich hoffe, es wird möglich sein, in ähnlichen Fällen Frauen bei Gefährdung im Heimatland in Deutschland eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. 20 5. RECHTSSICHERHEIT UND KONFLIKTFÄHIGKEIT STÄRKEN - Ein arbeitsmarktbezogener Ansatz zur sozialen Arbeit mit Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Berlin Norbert Cyrus Polnischer Sozialrat e.V. Berlin (Aus der Erfahrung der praktischen Beratungsarbeit des Polnischen Sozialrat e.V. in Berlin wird dargestellt, dass auch illegal beschäftigte ausländische Arbeitnehmer Lohn einklagen können. Darüber hinaus wird begründet, warum es aus einer menschenrechtlichen und sozialen, aber auch gesamtgesellschaftlichen Perspektive sinnvoll ist, dass Beratungsstellen der Migrationssozialarbeit die Konfliktfähigkeit und Rechtssicherheit aller Arbeitnehmer unabhängig vom Aufenthaltsstatus stärken. Plädiert wird für eine Ausweitung der Zuständigkeitsbereiche der Beratungsstellen der Migrationssozialarbeit, um auf die veränderten Anforderungen „transnationaler Migration“ zu reagieren.) Mit der Entstehung „transnationaler sozialer Räume“ wird auch die Ausweitung und Verstetigung mobiler Formen der Zuwanderung verbunden, denn die über Grenzen hinweg bestehenden sozialen Netzwerke ermöglichen und organisieren die Zunahme räumlicher Mobilität (Pries 1997). Auch in Deutschland bestehen inzwischen neben der dauerhaften Zuwanderung vielfältige Formen zeitlich befristeter Aufenthalte von Zuwander/innen, die teils aus eigenem Kalkül oder auch teils auf Grund rechtlicher Einschränkungen keinen Daueraufenthalt in Deutschland haben. Ein beträchtlicher Teil dieser mobilen Formen der Migration verstößt gegen aufenthalts- und/oder arbeitserlaubnisrechtliche Bestimmungen (Cyrus 2000). In den letzten Jahren hat das Problem der illegalen Zuwanderung und der statuslosen Aufenthalte an Umfang und an Aufmerksamkeit gewonnen (Alt 1999; Cyrus 1997 a und b; Eichenhofer 1999). Viele Beratungsstellen sind inzwischen ganz praktisch vor die Aufgabe gestellt, Menschen ohne Aufenthaltsstatus zu helfen. Bisher wird die soziale Arbeit mit Menschen ohne Aufenthaltstatus überwiegend stillschweigend „nebenher“ und zusätzlich im Rahmen der bestehenden Angebote der Migrationssozialarbeit, aber auch allgemeiner niedrigschwelliger sozialer Dienste geleistet. Die Mitarbeiter/-innen der Beratungsstellen, dies zeigte sich auch bei einer Fortbildungsveranstaltung der Berliner Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände im Juni 2000, sind oftmals überfordert, auf sich allein gestellt und von Zweifeln geplagt, ob sie vielleicht im Einzelfall Hilfemöglichkeiten übersehen und nicht vielleicht doch mehr hätten tun können. Gleichzeitig bestehen Unsicherheiten, wann man sich durch den sozialen Dienst an Menschen ohne Aufenthaltsrechte selber strafbar macht. Schließlich bleibt auch unklar, ob und wie diese Arbeit vom Träger letztlich akzeptiert wird. Vor diesem Hintergrund bietet die im April 1999 von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. veröffentlichte Erklärung „zur rechtlichen Situation der Ausländer ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland“ einen wichtigen Rückhalt. In der Präambel heißt es, dass die sozialen Dienste und Beratungsstellen immer wieder von Menschen ohne Aufenthaltsstatus aufgesucht werden. Auch für solche Fälle gilt das grundlegende Selbstverständnis : „Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege bieten Menschen in Not ihre Hilfe an, ohne Rücksicht auf Geschlecht, Herkunft, Religion oder Aufenthaltsstatus. Allein die Bedürftigkeit ist für sie Kriterium der Hilfeleistung. (...) Sie werden deshalb sicherstellen, dass Mitarbeiter(innen), die statuslosen Ausländern zur Linderung und Beseitigung ihrer Notlagen helfen, diesen Dienst ausüben können. Die Verbände werden jedem Versuch einer Kriminalisierung dieser Tätigkeiten entgegensteuern.“ Diese eindeutige Standortbestimmung der ethischen Grundlagen der Migrationssozialarbeit bildet eine erste Antwort der Wohlfahrtsverbände auf eine veränderte, transnationale Zuwanderungssituation nach Deutschland. Weiterhin ungeklärt bleibt jedoch, wie die „Hilfe in Not“ konkret aussehen soll. Einerseits geht es 21 perspektivisch darum, durch politische Einflußnahme die Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Ressourcen für diese Hilfe zu verbessern. Andererseits steht die praktische Migrationssozialarbeit aktuell vor dem Problem, unter den gegebenen Bedingungen Hilfe zu leisten: In Fällen, in denen eine Legalisierung des Einzelfalles nicht möglich ist, geht es oft schlicht darum, zumindest menschenrechtliche und soziale Mindeststandards zu halten. Dabei kommt es auf das Engagement, das Wissen, die Erfahrung und die Beziehungen der einzelnen Mitarbeiter/innen der Beratungsstellen an, ob eine ärztliche Behandlung organisiert werden kann, ob eine Schule für das Kind statusloser Eltern gefunden werden kann, ob das vorenthaltene Arbeitsentgelt für geleistete Arbeit mit Erfolg eingefordert werden kann. Bereits entwickelte pragmatische Konzepte für die Arbeit mit statuslosen Menschen in den Bereichen Schulbildung für Kinder oder Gesundheitsversorgung und die damit zusammenhängenden Forderungen sind kaum bekannt. Nur zögernd werden Konzepte der sozialen Arbeit mit Statuslosen unter den Bedingungen ihrer rechtlichen Ausgrenzenzung öffentlich vorgestellt (Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen 2000). Dies gilt auch für das Problem, dass illegal beschäftigte ausländische Arbeitnehmer um den Lohn für ihre Arbeitsleistung geprellt werden. Vor dem Hintergrund der praktischen Erfahrungen aus der Beratungsarbeit soll in diesem Beitrag dargestellt werden, dass auch illegal beschäftigte ausländische Arbeitnehmer ihren Lohn einklagen können. Darüber hinaus werde ich eine Argumentation vorstellen, warum es aus einer menschenrechtlichen und sozialen, aber auch gesamtgesellschaftlichen Perspektive sinnvoll ist, dass Beratungsstellen der Migrationssozialarbeit die Konfliktfähigkeit und Rechtssicherheit aller Arbeitnehmer unabhängig vom Aufenthaltsstatus stärken. Damit plädiere ich für eine Ausweitung der Zuständigkeitsbereiche der Beratungsstellen der Migrationssozialarbeit, um auf die veränderten Anforderungen „transnationaler Migration“ zu reagieren. Ausweitung der Schattenwirtschaft trotz verstärkter Gegenmaßnahmen Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur von den weltweit wirksamen Folgen der ökonomischen Globalisierung betroffen, sondern in exponierter Weise auch von den ökonomischen, sozialen und politischen Transformationsprozessen in Europa. Mit dem Wegfall der Migrationsbarrieren ist die Zahl der legal und illegal beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer/innen sowohl aus MOE-Staaten als auch aus den Mitgliedsstaaten der EU stark angestiegen. Das bestehende Wohlstandsgefälle macht die Erwerbstätigkeit für diese Arbeitskräfte auch zu unterdurchschnittlichen Lohnbedingungen zu einer attraktiven Angelegenheit. Inländische Auftrag- und Arbeitgeber nutzen die Bereitschaft dieser Wanderarbeitskräfte, auch ungünstigere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, in ungesetzlicher Art aus. Trotz intensiver und zunehmender Bemühungen konnten staatliche Stellen in den letzten 25 Jahren eine Zunahme schattenwirtschaftlicher Aktivitäten nicht verhindern: Der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttosozialprodukt hat sich in der Bundesrepublik Deutschland von 5,8 Prozent im Jahr 1975 auf 14,7 Prozent im Jahr 1998 fast verdreifacht. Durch schattenwirtschaftliche Aktivitäten wurden, so die Einschätzung des Ökonom Friedrich Schneider, im Jahr 1998 insgesamt 580 Milliarden DM erwirtschaftet (Tagesspiegel vom 4. September 1999). An dieser Stelle sollte allerdings betont werden, dass die illegale Ausländerbeschäftigung nur einen kleineren Anteil an der Schattenwirtschaft hat. Es gibt keine seriösen Zahlen, aber die Statistiken der Aufgriffe illegal beschäftigter Arbeitnehmer durch die Kontrollbehörden zeigen, dass der Anteil ausländischer Arbeitnehmer irgendwo zwischen einem Drittel und zehn Prozent liegen könnte, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Branchen gibt. In vielen Branchen, etwa bei Honorartätigkeiten für Nachhilfe, wird der Ausländeranteil auf Grund der besonderen geforderten Anforderungsprofile noch niedriger liegen. Friedrich Schneider schätzt, dass etwa zwei Drittel des Umsatzes in der Schattenwirtschaft durch Arbeitnehmer getätigt wird, die nebenbei arbeiten. Mit Sicherheit läßt sich nur sagen: Das Anwachsen der Schattenwirtschaft ist kein „Ausländerproblem“, doch mit dem Anwachsen der Schattenwirtschaft entstehen auch für ausländische Arbeitskräfte mehr informelle Jobs. Bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung konzentrieren sich die Behörden überproportional auf die illegale Ausländerbeschäftigung: In regelmäßig veröffentlichten Presseerklärungen über die Ergebnisse von Baustellenüberprüfungen wird einseitig über die Aufgriffe ausländischer Arbeitnehmer berichtet. Damit entsteht in der Öffentlichkeit 22 ein verzerrtes und unangemessenes Bild der Schattenwirtschaft. Ausgeblendet wird dabei, dass die Ausbreitung der Schattenwirtschaft vor allem ein Ausdruck der schwindenden Legitimität der Arbeitsmarktordnung ist und eine Bekämpfung der Schatttenwirtschaft weniger an den Symptomen ansetzen müßte als vielmehr an den Ursachen, nämlich der schwindenden Akzeptanz der Steuer- und Sozialabgabenpflicht (Schneider und Ernste 2000; Lamnek u.a. 2000; Jahn 1999). Trotz hohem und immer höherem Einsatz von Kontrollpersonal und der Ausweitung von Kontrollbefugnissen konnte diese Entwicklung nicht gestoppt werden. Im Gegenteil bestehen, wie ich aufzeigen möchte, sogar einige kontraproduktive Effekte, wodurch die schattenwirtschaftliche Aktivitäten ungewollt begünstigt werden kann: Durch die Verfolgung abhängig beschäftigter ausländischer Arbeitskräfte wird ihre Rechtsicherheit und Konfliktfähigkeit eingeschränkt. Damit entsteht eine ungeschützte Situation, die von unseriösen Arbeitgebern und Arbeitsermittlern bewußt ausgenutzt wird. Damit eröffnen sich durch Lohnvorenthaltung zusätzliche Profitaussichten, denn die illegal beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer sehen keine Möglichkeit, sich zu wehren, sie sind verletzlich und ausbeutbar. Illegal beschäftigte ausländische Arbeitskräfte ohne Aufenthaltsstatus werden häufig ganz oder teilweise um den versprochenen Lohn geprellt werden, eine inzwischen mehrfach dargestellte Situation (Alt 1999, Lederer und Nickel 1997). Damit bin ich bei einem weiteren wichtigen Punkt angelangt, der in der Diskussion um die Schattenwirtschaft bisher nicht berücksichtigt wird: Die Schattenwirtschaft hat nicht nur eine quantitative Dimension, das Ausmaß schattenwirtschaftlicher Aktiviäten, sondern auch eine qualitative Dimension: die Arbeits- und Lebensbedingungen sowie zivilgesellschaftlichen Verkehrsformen der Beziehungen zwischen den Akteuren der Schattenwirtschaft. Wenn man die Schattenwirtschaft nicht verhindern kann, dann muß man sich zumindest mit den sozialen und rechtlichen Mißständen beschäftigen. Menschenrechtlich bedenkliche Ausweitung rechtsfreier Räume In den letzten Jahren läßt sich eine alarmierende Ausweitung rechtsfreier Räume mit der Rechtlosigkeit, Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit abhängig beschäftigter Arbeitskräfte ohne Aufenthaltsrechte feststellen (vgl. auch Erzbischöfliches Ordinariat 2000, Cyrus 1999). Bei der illegalen Ausländerbeschäftigung wird nicht nur gegen gesetzliche Bestimmungen zur Regelung von Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsansprüchen verstoßen. Auch strafrechtliche, die Arbeitgeber betreffende Straftatbestände wie illegale Ausländerbeschäftigung in erheblichem Umfang, ausbeuterische Beschäftigung und betrügerische Lohnvorenthaltung sind im Milieu der ungeschützten Arbeitsverhältnisse zu verzeichnen. Jörg Alt (1999) hat in einer empirischen Studie dargestellt, dass einige betrogene ausländische Arbeitnehmer zur Erlangung ausstehender Löhne Sachbeschädigungen begehen, Diebstähle durchführen oder sogar kriminelle Banden mit dem "Eintreiben" von Forderungen beauftragen. Diese Arbeitnehmer sehen keinen anderen, rechtmäßigen Weg, um den Rechtsanspruch auf Entgelt der von ihnen erbrachten Leistungen in faktischen Arbeitsverhältnissen durchzusetzen. Insgesamt zeichnet sich ein Bild ab, wonach die bisherigen ausschließlich repressiven Ansätze der Bekämpfung illegaler Beschäftigung nicht nur relativ erfolglos bleiben, sondern auch kontraproduktive Effekte haben können. Aufgrund des vermeintlich fehlenden Schutzes durch rechtsstaatliche Institutionen besteht die Gefahr, dass betrogene Arbeitnehmer zur Durchsetzung der Auszahlung von vorenthaltenen Löhnen in Zukunft noch häufiger zu Mitteln jenseits des gesetzlich Erlaubten greifen werden, als dies jetzt schon der Fall ist. Zusammengefaßt stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Dem staatlichen Gemeinwesen werden Steuereinnahmen entzogen Den Systemen der sozialen Sicherung werden obligatorische Beiträge vorenthalten Für die betroffenen Arbeitnehmer entstehen grund- und menschenrechtlich bedenkliche Situationen der Schutzlosigkeit und tendenziellen Rechtlosigkeit Die Ausbreitung informeller Beschäftigungsverhältnisse geht mit der Ausbreitung rechtsfreier Räume einher 23 Neue Ansätze in der Bekämpfung der Schattenwirtschaft Die sozialen und rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der Wanderarbeit sind seit langem hinlänglich bekannt, notwendig sind neue Ansätze. Es besteht die dringende Notwendigkeit, neue Ansätze der Bekämpfung der Schattenwirtschaft zu entwickeln und zu erproben, die rechtsstaatliche Prinzipien, grundrechtliche Vorgaben, menschenrechtliche Normen und pragmatische Erwägungen angemessen berücksichtigen. Inzwischen wird die Notwendigkeit eines Perspektivenwechsels bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung von Ausländern in Richtung Stärkung der Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit der Arbeitnehmer zunehmend gesehen. So begründen Friedrich Schneider und Dominik Ernste in ihrem 2000 erschienenem Buch „Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit“ aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive die Auffassung, dass mit höheren Strafen und intensiveren Kontrollen nur die Symptome der Schattenwirtschaft bekämpft werden. Diese seien „teuer und aufwendig und führen nicht zum gewünschten Erfolg“ (S. 192). Und weiter heißt es: „Eine weitere Erhöhung der Strafen, (...) eine Intensivierung der Kontrolle und damit Steigerung der Entdeckungswahrscheinlichkeit würde nicht zu der gesamtgesellschaftlich wünschenswerten Kostenreduktion führen, sondern nur zu einer Verstärkung der Verheimlichung auf Seiten der Betroffenen“ (S. 161f). Der Politikwissenschaftler und Migrationsforscher Jochen Blaschke hat in einer 1998 für die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ausgearbeiteten Stude darauf hingewiesen, dass die Kriminalisierung der illegal beschäftigten Ausländer ihre Verletzlichkeit erhöht und zu einer verstärkten Schutz- und Rechtlosigkeit dieser Personengruppe führt, die für ausbeuterische Arbeitgeber zu einem zusätzlichen Anreiz führt, illegale Beschäftigung anzubieten und zu organisieren: „Es wäre auch sinnvoll, mehr Aufmerksamkeit auf den Schutz der ausgebeuteten Arbeitnehmer als auf ihre Bestrafung zu legen“ (S. 30). Auch Axel Nickel und Harald Lederer kommen in ihrer 1997 für die Friedrich Ebert Stiftung verfaßten Expertise zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Ansätze nicht ausreichen, um die Schattenwirtschaft einzudämmen. Sie empfehlen: „Deshalb sollte nicht die Gruppe der illegal Beschäftigten kriminalisiert werden, sondern die Institutionen der illegalen Beschäftigung, die es ohne die Beteiligung und den Profit der Einheimischen nicht geben würde“ (S. 47). Schließlich betont auch Jörg Alt in seiner 1999 veröffentlichten voluminösen Untersuchung „Illegal in Deutschland“ die kontraproduktiven Auswirkungen eines ausschließlich repressiven Vorgehens und empfiehlt die Unterstützung betrogener Arbeitnehmer. Burkhard von Seggern, Mitarbeiter im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hat aus verfolgungspragmatischen Erwägungen vorgeschlagen, die Lohnansprüche aufgegriffener illegal beschäftigter Ausländer auch mit staatlicher Hilfe durchzusetzen: „Es ist sehr die Frage, ob der ermittlungstechnisch erste Zugriff gegenüber dem Arbeitnehmer auch bedeuten darf, dass die Arbeitnehmer als erste von Strafe ereilt werden. Bei der illegalen Beschäftigung kumulieren ja gleich eine ganze Menge von Sanktionen. Zum Bußgeld kommt die Abschiebung und die Erschwerung der Wiedereinreise. Durch diese Situation wird aber in Wirklichkeit die Verfolgung der Delikte erschwert. Sie begründet auch bei den Arbeitnehmern ein Verschleierungsinteresse. Um sich selbst zu schützen, sind sie auch gezwungen, die illegalen Praktiken des Arbeitgebers zu decken. Es sollten rechtliche Konstrukte entwickelt werden, die dieses Zusammenspiel aufbrechen. Dazu gehört es, die Drohung mit Geldbußen gegenüber den Beschäftigten zurückzunehmen. Soweit der Staat auf Arbeitgeber und Auftraggeber mit Geldbußen oder Strafen zurückgreift, sollte in den zu zahlenden Betrag gleich noch das offene Entgelt der betroffenen Arbeitnehmer einbezogen werden. Der Staat würde es dann mittels des Verwaltungszwangs einziehen. Selbstverständlich hätte er es den Arbeitnehmern dann zu überweisen. Würde eine solche Praxis rechtlich verankert und praktiziert, würde es wesentlich häufiger zur Aufdeckung illegaler Beschäftigung kommen“ (von Seggern 1997: 271). Bei diesem Vorschlag wird darauf gesetzt, dass durch eine Art „Kronzeugenregelung“ die Aussagebereitschaft aufgegriffener illegal beschäftigter Arbeitnehmer vergrößert wird. Mit diesem Ansatz soll das Problem gelöst werden, dass sich ohne Beweise weder das Ausmaß noch die Hinterleute der illegalen Beschäftigung ermitteln lassen. Im "Achten Bericht der Bundesregierung über 24 Erfahrungen bei der Anwendung des ‚Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes‘ - AÜG - sowie über die Auswirkungen des ‚Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung‘ - BillBG -" wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es bisher kaum zu Sanktionen gegen „hauptverantwortliche“ Arbeitgeber kommt, bei denen der Rahmen der Strafandrohung voll ausgeschöpft wird: „Sowohl Arbeitgeber als auch ausländische Arbeitnehmer sind wegen ihres illegalen Handelns mit nachteiligen Rechtsfolgen bedroht. Sie haben deshalb ein gemeinsames Interesse an der Verschleierung des wahren Sachverhaltes. (...) Die Arbeitgeber nehmen das Risiko der Entdeckung immer häufiger in Kauf, weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß die Prüfbehörden oft nicht in der Lage sind nachzuweisen, daß die illegale Beschäftigung über einen längeren Zeitraum erfolgt ist. Da die Bußgeldhöhe unter anderem von der Schwere des Verstoßes abhängt und damit von der Dauer der illegalen Beschäftigung, kann die Ahndung im Einzelfall zu niedrig und deshalb nicht mehr angemessen sein“ (Bundesregierung 1996: 48) Mit dem Ansatz der „Kronzeugen-Regelung“ könnte hier für die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden tatsächlich Abhilfe geschaffen werden. Aber die Reichweite bleibt beschränkt, denn unberührt bleiben damit alle Arbeitsverhältnisse, die nicht kontrolliert werden. Auch bei dem von von Seggern vorgeschlagenem Ansatz bleiben grundlegende Mängel des repressiven Ansatzes bestehen: Durch die Überprüfung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsplätzen durch Außendienstmitarbeiter der zuständigen Behörden wird nur ein kleiner Ausschnitt des Arbeitsmarktes tatsächlich kontrolliert. In vielen Wirtschaftsbereichen finden überhaupt keine Kontrollen statt. Um mehr Arbeitsverhältnisse zu erreichen, müßte der von Burkhard von Seggern vorgeschlagene Ansatz daher konsequent ausgeweitet werden. In diesem Sinne vielversprechend wären Maßnahmen zur Stärkung der Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit aller abhängig beschäftigten Arbeitnehmer unabhängig von Staatsangehörigkeit und Status. Alle Beschäftigten sollten danach die Möglichkeit haben, sich gegen Diskriminierung und Lohnbetrug am Arbeitsplatz zivilrechtlich wehren zu können. Angesprochen werden insbesondere diejenigen Arbeitnehmer/innen, die Opfer unseriöser und ausbeuterischer Arbeitgeber oder Arbeitsvermittler werden. Und genau diese Personengruppe hat Unterstützung und Schutz auch tatsächlich am nötigsten und kann durch das Angebot davor bewahrt werden, bei kriminellen Netzwerken Hilfe zu suchen. Voraussetzung dafür ist der Verzicht auf Statusfeststellung in Notlagen, eine der zentralen Forderungen der „Erklärung der Berliner Verbände der Freien Wohlfahrtspflege“ (2000) zur rechtlichen und sozialen Situation der Ausländerinnen und Ausländer ohne legalen Aufenthaltstatus in Berlin. Dass der Verzicht auf Statusfeststellung Hilfemöglichkeiten tatsächlich eröffnet, belegen aktuelle Erfahrungen aus Berlin. Erfahrungen mit dem Projekt :ZAPO: Seit 1989 betreibt der Polnische Sozialrat e.V. eine Anlaufstelle für dauerhaft und rechtmäßig in Berlin lebende Zuwanderer aus Polen in polnischer Sprache. Seit Anfang der neunziger Jahre haben wir zusätzlich zu den satzungsmäßigen Aufgaben in Einzelfällen Werkvertragsarbeitnehmer und informell Beschäftigte aus Polen beraten und dazu beigetragen, dass Verstöße gegen gesetzliche und tarifliche Bestimmungen aufgedeckt und geahndet wurden. Seit dem 1. Juni 1997 betreiben wir im Rahmen von Arbeitsförderungsmaßnahmen das Projekt :ZAPO: (Zentrale integrierte Anlaufstelle für Pendlerinnen und Pendler aus Osteuropa). Beraten werden Zuwander/innen aus verschiedenen Staaten Mittel- und Osteuropas, die sich nur befristet in Deutschland aufhalten und dabei in prekäre Situationen geraten. Neben der Betreuung von polnischen Jugendlichen und der Betreuung von Frauen aus Osteuropa, die freiwillig oder von Menschenhändlerringen gezwungen in der Prostitution arbeiten, ist die Betreuung prekär beschäftigter Arbeitnehmer/innen aus MOE-Staaten ein Schwerpunkt der Arbeit. Auch diese Arbeitnehmer können vorenthaltenen Lohn einklagen, selbst wenn sie illegal beschäftigt waren. Die juristische Grundlage bildet die (allerdings nicht unumstrittenen) Rechtsauffassung, wonach auch eine illegale Beschäftigung ein faktisches Arbeitsverhältnis begründet. In der Rechtsprechung wird daraus eine rechtliche Verpflichtung zur Entgeltzahlung auch für Arbeitsleistungen ohne erforderliche Arbeitsund Aufenthaltserlaubnis abgeleitet: Eine fehlende Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erlaubt dem 25 Arbeitgeber zwar die fristlose Kündigung, nicht aber die Verweigerung der Lohnzahlung für bereits faktisch geleistete Arbeit, die ja nicht zurückerstattet werden könne (Wollenschläger 1994, McHardy 1994, Hildebrand 1998, Hofherr 1999). Somit steht im Falle von Lohnbetrug auch illegal beschäftigten ausländischen Arbeitnehmern prinzipiell der Rechtsweg offen. Skeptiker werden nun einwenden, dass diese Möglichkeit doch nur de jure bestehe, denn de facto würde die Inanspruchnahme des Rechtsweges doch unweigerlich zu einer Aufdeckung des „illegalen Aufenthaltsstatus“ und damit zur Ausweisung führen. Damit aber wird die Rechtsgarantie praktisch „entwertet“. Doch bei zivilrechtlichen Arbeitsgerichtsverfahren muß sich dieser Zusammenhang nicht zwangsläufig einstellen: Da es aus sachlichen, organisatorischen, rechtlichen und auch formalen Erwägungen üblich ist, sich bei Arbeitsgerichtsverhandlungen auf einen vorgebrachten Klagegegenstand wie Kündigung oder Lohnvorenthaltung zu beschränken, muß dem entsprechend auch die aufenthalts- und arbeitserlaubnisrechtliche Dimension nicht erörtert werden (vgl. auch Fodor 2001). Durch die somit begründete Aussicht auf einen Verzicht auf Statusfeststellung durch die Arbeitsgerichte - der allerdings nicht garantiert werden kann - wurden einige unserer Klienten dazu ermutigt, betrügerische Arbeitgeber zu verklagen. Tatsächlich habe wir in den letzten Jahren mehrfach Lohnansprüche durch Gütevereinbarungen und auch Gerichtstitel durchsetzen können - und damit die Rechtlosigkeit und Willkür auf den informellen Arbeitsmärkten wenigstens ein Stückchen zurückgedrängt. Aufgrund der Ansprache in der Muttersprache und dem klientenzentrierten Ansatz wird das Angebot zur Beratung und Unterstützung nach anfänglicher Zurückhaltung erstaunlich gut angenommen. Täglich rufen betroffene Wanderarbeiter/innen aus ganz Deutschland bei der Anlaufstelle an und erbeten Informationen über grundlegende Rechte und Ansprüche. Auch briefliche Anfragen aus Polen, Bulgarien oder der Ukraine werden bearbeitet. Oft handelt es sich um Gruppen. In persönlichen Beratungsgesprächen oder auf der Grundlagen brieflicher und fernmündlicher Kommunikation werden die Fälle intensiv betreut. Ziel des Angebotes ist es, die Betroffenen über ihre Pflichten und Rechte bei einer Beschäftigung in Deutschland zu informieren. Im Falle ungünstiger oder ausbeuterischer Beschäftigung wird über Ansprüche und Rechte im Einzelfall aufgeklärt und Handlungsmöglichkeiten zur Durchsetzung verbindlicher Ansprüche werden aufgezeigt. Die Betroffenen werden ermutigt, ihre Rechte wahrzunehmen und Ansprüche einzufordern. In einem ersten Schritt wird der Kontakt mit dem Arbeitgeber aufgenommen. In einigen Fällen kann in diesem Stadium erreicht werden, daß der Rechtsverstoß zurückgenommen wird und die vorgeschriebenen Standards eingehalten werden. Wird keine gütliche Einigung erzielt, dann wird den Klient/innen das Einreichen einer Klage beim Arbeitsgericht empfohlen. Die Projektmitarbeiter/innen weisen in diesen Fällen darauf hin, daß Fristen und Formen eingehalten und dem Arbeitsgericht alle erforderlichen Dokumente und Angaben zugänglich gemacht werden. Bei Bedarf wird die Beantragung von Prozesskostenhilfe und die Hinzuziehung von Rechtsanwälten empfohlen. Nach anfänglicher Zurückhaltung der Klient/innen gelingt es zunehmend, diese davon zu überzeugen, daß der Weg der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung für ausländische Werkvertragsarbeitnehmer, Saisonarbeitskräfte und auch für informell beschäftigte Arbeitnehmer/innen möglich, sinnvoll und erfolgversprechend ist. In den letzten Jahren haben Betroffene nach Aufsuchen der Anlaufstelle vermehrt diesen Weg eingeschlagen und damit eigene Ansprüche gerichtlich durchsetzen können. Die bisherigen Erfahrungen verdeutlichen, daß die Beratung und Unterstützung befristet und prekär beschäftigter Arbeitnehmer/innen nicht nur erfolgreich erfolgen kann, sondern dass gerade die erfolgreichen Fälle der Durchsetzung von Ansprüchen sich herumsprechen. Somit wird eine eigendynamische Entwicklung der Stärkung von Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit in Gang gesetzt, die zur Zurückdrängung vorschriftswidriger und illegaler Beschäftigung maßgeblich beitragen kann. Zur Zeit sind mehrere Verfahren bei Arbeitsgerichten in Deutschland und Polen anhängig. Die Einleitung weiterer Verfahren wird vorbereitet. In Absprache mit den Klienten wurden wiederholt Behörden über Ordnungswidrigkeiten und Straftaten informiert, in einigen Fällen wurde Strafanzeige gegen Arbeitgeber oder illegale Arbeitsvermittler erstattet. Damit bewährt sich die verfolgte Strategie des Empowerment (Herriger 1995). 26 Neue Aufgabenfelder für die Migrationssozialarbeit Der mit dem Projekt :ZAPO: verfolgte „Unterstützende Ansatz“ bildet eine wichtige Ergänzung zu den bisher ausschließlich verfolgten repressiven Ansätzen und kann grundlegende strukturelle Mängel des repressiven Ansatzes ansatzweise „ausgleichen.“ Durch das Angebot werden nicht allein die direkt kontrollierten abgedeckt, sondern tendenziell alle Arbeitsverhältnisse angesprochen. Es bestehen keine Möglichkeiten, dass Arbeitgeber vor Kontrollen gewarnt werden können. Vorschriftswidrige Beschäftigungsbedingungen und/oder illegale Arbeitgeber können beweissicher und gerichtsverwertbar aufgedeckt werden. Aufgrund der - durch die Kooperation mit Arbeitnehmern verbesserten Beweislage - können Sanktionen gegen hauptverantwortliche Arbeitgeber gezielt verhängt werden. Das Risiko der vorschriftswidrigen oder illegalen Beschäftigung erhöht sich für die Arbeitgeber und der Anreiz zur illegalen Beschäftigung wird dadurch verringert. Die Profite aus vorschriftswidriger und illegaler Beschäftigung können durch die Verpflichtung zur Lohnzahlung und eventuell durch Bußgelder und Gewinnabschöpfung verringert werden. Die sozialen und tariflichen Standards und die Rechte aller Arbeitnehmer werden somit gestärkt. Insgesamt besteht eine demokratietheoretische Stärkung zivilgesellschaftlicher Verhältnisse (vgl. Cyrus 1998). Da das Projekt :ZAPO: befristet und die Fortführung ungesichert ist, besteht in der bisherigen Regelversorgung eine deutliche Lücke bei einer derart gezielten Bekämpfung illegaler Beschäftigung durch die Stärkung von Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit von Arbeitnehmern: Die gewerkschaftlichen Ausländerberatungsstellen sind auf die Bedürfnisse der informell beschäftigten Wanderarbeitnehmer nicht eingestellt und haben zudem Akzeptanzprobleme, da die Gewerkschaften aufgrund ihrer Rolle als Sozialpartner und Ordnungsfaktor von prekär beschäftigten ausländischen Arbeitnehmern nicht aufgesucht werden. Diese sind in der Regel auch keine Gewerkschaftsmitglieder. Auch durch die Behörden der Herkunftsländern erfolgt keine Unterstützung, denn die Einreisen erfolgen oft ohne Kenntnis der Behörden. Zudem sind die Behörden der Herkunftsländer überfordert, über die komplizierten aufenthalts- und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften in der Bundesrepublik Deutschland zu informieren. Somit besteht eine deutliche Lücke bei der präventiven Information und konkreten Intervention im Bereich der prekären Ausländerbeschäftigung. Auch die Beratungs- und Anlaufstellen der Sozialen Dienste der Migrationssozialarbeit sind mit den speziellen Problemen, die sich im Zusammenhang mit der prekären Beschäftigung ergeben, nur unzureichend vertraut und mit der komplizierten Materie überfordert. Inzwischen hat :ZAPO: für Beratungsstellen ein Informationsblatt über Schritte zum Geltendmachen vorenthaltenden Lohnes ausgearbeitet. Der Polnische Sozialrat e.V. plant, beim Bundesministerium für Arbeit die Finanzierung eines Modellprojektes zur systematischen Erprobung des „unterstützenden Ansatzes“ zu beantragen. Das vorgeschlagene Modellprojekt baut auf den bisherigen Erfahrungen mit dem Projekt :ZAPO: auf und will mit einem Multiplikatorenansatz eine flächendeckende Wirkung erzielen, indem die bestehenden (muttersprachlichen) Beratungsstellen der Migrationssozialarbeit in das Arbeitsfeld der Lohndurchsetzung eingeführt werden sollen. Der „Unterstützende Ansatz“ soll perspektivisch auf den drei Elementen der allgemeinen Information und Prävention, der konkreten Intervention und der gezielten Sanktion aufbauen. Schluß Der "Unterstützende Ansatz" bildet eine sinnvolle Ergänzung zu den bisherigen Bemühungen der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und entspricht zudem den substanziellen Regelungen internationaler Abkommen zum Schutz von Wanderarbeitnehmern, etwa dem IAO-Übereinkommen Nr. 143 von 1975 und dem UNO-Übereinkommen zum Schutz aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen von 1990 (vgl. Böhning 1997, Hildebrand 1997). Nicht nur bei arbeitsrechtlichen Streitfällen, sondern auch im Falle von Krankheit oder Unfall bildet der Verzicht auf Statusfeststellung in Notsituationen die Grundlage für einen humaneren Umgang mit Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Der hier vorgestellte „Unterstützende Ansatz“ erfaßt vor allem die zivilrechtliche Seite der illegalen Beschäftigung von Ausländern und vermag damit rechtsstaatliche Prinzipien, grundrechtliche Vorgaben, menschenrechtliche Normen und pragmatische Erwägungen angemessen zu berücksichtigen. Es ist nicht zu erwarten, dass durch eine Realisierung des „Unterstützenden Ansatzes“ die illegale Ausländerbeschäftigung zunehmen wird. Im Gegenteil, insbesondere für betrügerische und 27 ausbeuterische Arbeitgeber wird der Anreiz für die illegale Beschäftigung entschieden reduziert. Damit wird der erzwungenen Unterbietungskonkurrenz Einhalt geboten, die sozialen und tariflichen Standards werden gestützt. Auch mit dem „Unterstützenden Ansatz“ wird es weiterhin eine Schattenwirtschaft geben - denn auch hier werden nur die Symptome und nicht die Ursachen angegangen - aber die Arbeits- und Lebensbedingungen werden durch die Intervention der Stellen der Migrationssozialarbeit für die unmittelbar Betroffenen nicht mehr so brutal und willkürlich sein, wie es zur Zeit möglich ist. Die Sicherung menschenrechtlicher, rechtsstaatlicher, sozialer, und tariflicher Standards sollte für die Bundesrepublik Deutschland ein eigenständiges und politisch wertvolles Ziel darstellen. 6. UNERLAUBTE EINREISE UND SCHLEUßUNGSKRIMINALITÄT - aus Sicht des Bundesgrenzschutzes Klaus Severin Direktor der Grenzschutzdirektion Verehrte Damen, meine Herren, 1. Allgemeine Bemerkung nach dem erklärten Willen der Staaten der Europäischen Union soll ganz Europa ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts werden. Schengen steht als Synonym und erlebbare Freizügigkeit dieser Idee. Auch Staaten außerhalb der Europäischen Union haben in den letzten zehn Jahren ihre Grenzen geöffnet und gewähren ihren Staatsangehörigen die Freiheit der Reise. Aber auch in einer Demokratie findet Freiheit Grenzen. Freiheit ohne Grenzen endet in Anarchie und Chaos und dies wäre das Ende der Freiheit. Mit dieser Aussage will ich natürlich nicht behaupten, daß unerlaubte Einreise, nicht genehmigter Transit und Schleusungskriminalität einen stabilen Staat in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte. Aber negative Erscheinungsformen aufgrund neuer Reisemöglichkeiten verbunden mit illegaler Migration und die damit einhergehende Kriminalität können auch gefestigten Demokratien Probleme bereiten. Westeuropa ist seit Jahren betroffen von unerlaubter Einreise und Schleusungskriminalität. Deutschland ist für viele Menschen Zielland der unerlaubten Einreise. Aufgrund dessen hat in Deutschland die Konferenz der Innenminister der Länder und des Bundes 1992 beschlossen, eine "Zentralstelle zur Bekämpfung der unerlaubten Einreise und Schleusungskriminalität" bei der Grenzschutzdirektion einzurichten.Die Aufgaben dieser Zentralstelle sind vielfältig, so hat sie unter anderem auch Lageberichte zu erstellen. Der nachfolgende Lagebericht gibt nicht nur die Erkenntnisse des Bundesgrenzschutzes wieder. Er ist das Ergebnis von Informationen zahlreicher deutscher, ausländischer und internationaler Behörden und Organisationen. Es sind auch Presseinformationen und Aussagen unerlaubt Eingereister, Geschleuster oder Schleuser verarbeitet worden. Sehr verehrte Damen, meine Herren, aufgrund der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich das Thema natürlich nur anreißen und Daten und Fakten nur punktuell zur Verfügung stellen und erläutern. 28 Im Lagebild "Organisierte Kriminalität Bundesrepublik Deutschland" für das Jahr 1999 hat das Bundeskriminalamt 816 OK-Verfahren erfaßt, davon waren 70 Verfahren aus dem Bereich Schleusungskriminalität. 22 von den 70 Schleuserverfahren wurden durch Dienststellen des Bundesgrenzschutzes geführt. Diese Zahlen zeigen die Bedeutung von unerlaubter Einreise und Schleusungskriminalität im Bereich der Organisierten Kriminalität. Im August 1998 wurden durch Änderung des ‚Bundesgrenzschutzgesetzes‘ dem BGS neue Befugnisse zur Verhinderung oder Unterbindung der unerlaubten Einreise und Bekämpfung der Schleusungskriminalität gegeben. Der Bundesgrenzschutz kann nunmehr verdachtsunabhängig, aber lageabhängig, zur Erfüllung des vorgenannten Auftrages nicht nur Personen und Sachen im Grenzraum bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern überprüfen, sondern er kann auch im Rahmen seiner Bahn- und Luftsicherheitsaufgaben in Zügen, auf dem Gebiet der Bahnanlagen sowie auf Anlagen und Einrichtungen von Verkehrsflughäfen Personen anhalten und überprüfen. Bei diesen Kontrollen wurden im Jahr 2000 insgesamt 7.603 unerlaubt Eingereiste aufgegriffen, das sind 24 Prozent aller festgestellten unerlaubten Einreisen in die Bundesrepublik Deutschland. Es kann festgestellt werden, daß sich die Erweiterung der Befugnisse des BGS als äußerst effizient zur Bekämpfung von unerlaubter Einreise und Schleusungskriminalität darstellen. Damit wäre ich bereits beim eigentlichen Lagebericht: 2. Lagebericht 2.1 Gesamtentwicklung Wie hat sich im Jahre 2000 die Lage entwickelt? Der Bundesgrenzschutz und die mit der grenzpolizeilichen Kontrolle beauftragten Behörden der Landespolizei Bayern, der Wasserschutzpolizeien Hamburg und Bremen sowie der Zollverwaltung haben im Jahr 2000 insgesamt 31.485 unerlaubt eingereiste Ausländer aufgegriffen. Dies stellt einen Rückgang um ca. 17% dar. Insgesamt wurden hierbei 10.320 Personen geschleust. Im Jahr 2000 wurden insgesamt 2.740 Schleuser an den deutschen Grenzen festgenommen. Die rückläufigen Zahlen sind in erster Linie auf den erheblichen Rückgang der illegalen Reisetätigkeiten von Staatsangehörigen aus der Bundesrepublik Jugoslawien, insbesondere KosovoAlbaner, zurückzuführen. Dieses wird anschaulich an Hand der nachfolgenden Übersicht. Bei der Auswertung der Jahre seit 1996 (mit 2.667 unerlaubten Einreisen) bis 1998 (mit 13.047 unerlaubten Einreisen) ist ein stetiger Anstieg von unerlaubt eingereisten jugoslawischen Staatsangehörigen zu verzeichnen. Im Jahr 2000 können Sie einen starken Rückgang der Feststellungen (2.882) ablesen. Insgesamt ist aber ein deutlicher Rückgang festzustellen. Nun einige Bemerkungen zur unerlaubten Einreise. 2.2 Unerlaubte Einreise Die im Jahr 2000 festgestellten unerlaubten Einreisen liegen - wie bereits dargestellt - mit 31.485 Aufgriffen unter dem Niveau des Jahres 1999. 29 Wie hat sich die deutsche Schengen-Außengrenze entwickelt? Schengen-Außengrenzen An den Ostgrenzen wurden mit 15.032 Personen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum annähernd gleich viele Personen nach unerlaubten Grenzübertritten aufgegriffen (1999: 15.642). Auf sehr hohem Niveau liegen die Feststellungen weiterhin an der tschechisch-deutschen Grenze. Hier war noch im 1. Halbjahr ein Anstieg um + 1,5 % zu verzeichnen. Im 2. Halbjahr 2000 sind die Aufgriffszahlen an dieser Grenze unter das Vorjahresniveau gefallen, so daß für das gesamte Jahr 2000 insgesamt ein Rückgang um + 8,6 % auf 11.739 Aufgriffe zu verzeichnen ist (1999: 12.846) In den letzten Jahren waren die Aufgriffszahlen im Bereich der deutsch-polnischen Grenze stark rückläufig. Sie hatten sich jährlich nahezu halbiert. So waren im 1. Halbjahr 2000 die unerlaubten Einreisen um 8,3 % gefallen (Gesamtzahl 1.240). Ab dem 2. Halbjahr 2000 war jedoch ein auffälliger Anstieg der Aufgriffszahlen zu verzeichnen. So wurden im Jahr 2000 an dieser Grenze insgesamt 3.293 (1999: 2.796) unerlaubt eingereiste geschleuste Personen festgestellt. Insbesondere bei den an dieser Grenze am stärksten auftretenden Staatsangehörigen der Russischen Föderation, der Republik Moldau und der Ukraine waren erhebliche Steigerungen bei den unerlaubten Einreisen zu verzeichnen. Mögliche Ursache für den Anstieg der Aufgriffe an der polnischen Grenze könnte auch die bereits erfolgte Einführung der Sichtvermerkspflicht in der Tschechischen Republik für ukrainische (ab 28.06.2000), russische/weißrussische (29.05.2000) sowie moldauische und kasachische (22.10.2000) Staatsangehörige sein, was zu einer verstärkten Nutzung der Republik Polen als Transitland für die Anreise nach Deutschland geführt haben könnte. Vorgenannte Staatsangehörige waren im Jahr 2000 in Polen nicht visumspflichtig. An den übrigen Schengen-Außengrenzen ist gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein erheblicher Rückgang der unerlaubten Einreisen festzustellen. Dem gegenüber wurden an den Flughäfen ein Anstieg der unerlaubten Einreisen um 115,3 % verzeichnet (2000: 437; 1999: 203). Schengen-Binnengrenzen Auch an den deutschen Schengen-Binnengrenzen ist mit 12.725 festgestellten unerlaubten Einreisen ein Rückgang um – 18,5 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum (15.616 Personen) erkennbar. Eindeutig rückläufige Aufgriffszahlen wurden festgestellt an der luxemburgisch-deutschen Grenze mit (-) 42 % (2000: 140; 1999: 241) und an der österreichisch-deutschen Grenze mit (-) 33 % (2000: 7.404; 1999: 10.980). Dem gegenüber sind die unerlaubten Einreisen an der französisch-deutschen um (+) 9 % (2000: 1.965; 1999: 1.811), an der niederländisch-deutschen um (+) 20 % (2000: 1.761;1999: 1.467) und besonders deutlich an der belgisch-deutschen Grenze um über (+) 30 % gestiegen (2000: 1.455; 1999: 1.117). Eine Auswertung der vorliegenden Zahlen hat folgendes ergeben. Der starke Rückgang der Aufgriffszahlen an der österreichisch-deutschen Grenze ist fast ausschließlich auf den Rückgang der Aufgriffe von Kosovo-Albanern zurückzuführen. So wurden im Jahr 2000 4.396 weniger Jugoslawen nach einem unerlaubten Grenzübertritt festgestellt. Das heißt aber, daß ohne Kosovo-Albaner die Aufgriffe gestiegen sind. 30 Im Bereich der Grenzen zu Belgien, den Niederlanden und zu Frankreich waren die lageabhängigen Kontrollen des BGS im grenznahen Raum zum Vergleichsjahr 1999 verstärkt worden. Es ist zu vermuten, daß auch die Intensivierung der Einsätze der Grund der erheblichen Steigerungen ist. Verläßliche Aussagen können zur Zeit noch nicht gemacht werden, hier wird noch ausgewertet. Eines ist sicher, die hohen Aufgriffszahlen im Bereich der Binnengrenzen zeigen die Notwendigkeit der lageabhängigen Kontrollen im Grenzraum. Nun zum Inland: Inland Der Bundesgrenzschutz hat im Jahr 2000 im Inland 2.247 Ausländer aufgegriffen.Insgesamt 18 % weniger als im Vorjahr (2.749). Hauptnationalitäten der unerlaubt Eingereisten Die nach unerlaubter Einreise aufgegriffenen Personen stammten überwiegend aus Rumänien (3.456), Afghanistan (3.231) und der Bundesrepublik Jugoslawien (2.822). Diese drei Nationalitäten stellten 30 % aller unerlaubt eingereisten Ausländer. Staatsangehörige aus Moldawien folgen mit 2.415 Personen an vierter Stelle. Nun einige Worte zu Schleusungen: 2.3 Schleusungen Bevor ich die Statistik und unsere Erkenntnisse über Geschleuste und Schleuser Ihnen vorstelle, einige Vorbemerkungen. Die nachfolgenden Zahlen über Schleuser und Geschleuste erscheinen niedrig im Verhältnis zu den enorm hohen der unerlaubt Eingereisten. In unserer Statistik werden allerdings nur die Personen aufgenommen, denen die Beamten auch tatsächlich eine Schleusung nachweisen konnten. Betrachten wir die Nationalitäten, die die Masse der unerlaubt Eingereisten bildet, wird es aber offensichtlich. Kaum einer wäre ohne fremde Hilfe wohl bis in die Anrainerstaaten Deutschlands und anschließend über die Grenze gelangt. Nun einige Ausführungen zu geschleusten Ausländern. 2.3.1 Geschleuste Im 1. Jahr 2000 wurden nachweislich insgesamt 10.320 Personen nach Deutschland geschleust. Dies stellt gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang um 7 % dar (1999: 11.101). Die Situation an den deutschen Schengen-Außengrenzen: Schengen-Außengrenzen Geographischer Schwerpunkt für die Einschleusungen nach Deutschland ist der deutsch-tschechische Grenzabschnitt. Hier wurden im Jahr 2000 4.777 Personen geschleust. Dies bedeutet gegenüber dem Vorjahreszeitraum (mit 4.412 Geschleusten) eine Zunahme um 8,3 %. An der Grenze zu Polen ist mit 1.424 geschleusten Personen gegenüber dem Vorjahr (mit 1.086 Personen ) ebenfalls ein Anstieg um 31,1 % festzustellen. Hierbei waren - wie bei den unerlaubten Einreisen - im 1. Halbjahr 2000 an dieser Grenze noch gegensätzliche Tendenzen zu verzeichnen. 31 An den übrigen Land-Außengrenzen ist ein Rückgang zu erkennen gewesen. An deutschen Flughäfen ist allerdings ein Anstieg um + 20 % bei den festgestellten geschleusten Personen zu verzeichnen (2000: 402;1999: 336). Schengen-Binnengrenzen An den Schengen-Binnengrenzen ist im Jahr 2000 gegenüber dem Vorjahr mit 2.362 geschleusten Personen ein deutlicher Rückgang um 46 % zu verzeichnen (1999: 4.381). Der zahlenmäßig größte Rückgang war dabei an der deutsch-österreichischen Grenze. Inland Im Inland konnte der Bundesgrenzschutz mit 1.150 geschleusten Personen (1999: 491) wesentlich mehr Geschleuste als im Vorjahreszeitraum aufgreifen. Der Anteil der Inlandsaufgriffe geschleuster Personen ist dabei von 4,4 % im Jahr 1999 auf 11,1 % im Jahr 2000 gestiegen. Hauptnationalitäten der Geschleusten Die nach Deutschland geschleusten Personen stammten überwiegend aus Afghanistan (1.960), dem Irak (917), Indien (838), Rumänien (780), Sri Lanka (684) und aus der Bundesrepublik Jugoslawien (614). Mit Ausnahme der jugoslawischen Staatsangehörigen, bei denen ein Rückgang der Feststellungen um 84 % registriert werden konnte, war bei allen anderen Nationalitäten eine beachtliche Zunahme der Aufgriffe feststellbar. Was können wir über Schleuser aussagen? 2.3.2 Schleuser Der Bundesgrenzschutz war bei der Bekämpfung der Schleuser auch im Jahr 2000 sehr erfolgreich. Jedoch stellt der Aufgriff von 2.740 Schleusern gegenüber dem Jahr 1999 (mit 3.410 Schleusern) insgesamt einen Rückgang von 20 % dar. Auf den deutschen Flughäfen wurden dagegen mehr als doppelt so viele Schleuser aufgegriffen. Auch an der tschechischen Grenze wurden trotz einer Zunahme der festgestellten Geschleusten weniger Schleuser als im Jahr 1999 festgenommen. Für diesen Bereich hat unsere Auswertung auch einen plausiblen Grund gefunden. Über diesen Grenzabschnitt erfolgte die Masse der Großschleusungen, d. h. Schleusungen von Gruppen mit 10 und mehr Personen. Von insgesamt 168 Großschleusungen im Jahr 2000 wurden 124 über die deutschtschechische Grenze durchgeführt. Im Rahmen dieser Großschleusungen wurden 193 Schleuser aufgegriffen und insgesamt 2.428 Geschleuste entdeckt. Das bedeutet, daß pro Großschleusung durchschnittlich 20 Geschleuste aufgegriffen wurden. Hauptnationalitäten der Schleuser Bei den Schleusern handelte es sich insbesondere um Staatsangehörige aus der Tschechischen Republik (542), Deutschland (344), Polen (224), der Bundesrepublik Jugoslawien (210) und der Türkei (168). Wie bei den Feststellungen zu den unerlaubt eingereisten und geschleusten Personen ist auch bei den jugoslawischen Schleusern ein deutlicher Rückgang um 75 % erkennbar gewesen. 32 Die meisten Schleuser sind somit Deutsche, sind Staatsangehörige der Anrainerstaaten, leben oder haben Beziehungen zu Deutschland oder seine Anrainerstaaten. 3. Bewertung der Situation an den Grenzen 3.1 Grenzpolizeiliche Brennpunkte Bei der Betrachtung der einzelnen Grenzabschnitte wird deutlich, daß die Landgrenze zur Tschechischen Republik der grenzpolizeiliche Brennpunkt ist. An dieser Grenze werden ca. 37 % aller festgestellten unerlaubten Einreisen und ca. 46 % aller festgestellten Geschleusten registriert. Aber wie die Feststellungen im Grenzraum zu Österreich belegen, ist auch dieser Grenzabschnitt mit ca. 24 % der unerlaubten Einreisen und mit ca. 19 % der Schleusungen nach Deutschland von großer Bedeutung. An der Landgrenze zu Polen sind im Jahr 2000 ca. 10,5 % der unerlaubten Einreisen und ca. 13,8 % der aufgegriffenen Geschleusten registriert worden. Nun zu den Schleusungsrouten. 4. Schleusungsrouten Hauptrouten für Schleusungen nach Deutschland sind wie bisher die Ostroute, die SüdosteuropaRouten und in geringerem Umfange die Maghreb-Route. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit werde ich nur einige Ausführungen zur Ostroute machen. Ostroute: Rußland ist ein bedeutendes Transitland der unerlaubten Migration nach Westeuropa. Ein besonderer Brennpunkt soll dabei der Flughafen Moskau sein, der ein Drehkreuz von und zu problematischen Herkunftsländern ist. Genaues statistisches Zahlenmaterial über das tatsächliche Ausmaß der unerlaubten Einreisen und Schleusungen über Rußland bzw. Moskau liegt der Grenzschutzdirektion nicht vor. Erkenntnisse konnten durch Aussagen von aufgegriffenen Personen erlangt werden. Des weiteren liegen der Grenzschutzdirektion gesicherte Erkenntnisse vom russischen Grenzschutz, aber auch von Grenzschutzbehörden der Anrainerstaaten Rußlands vor. Aufgrund dieser Informationen ist die Bedeutung Rußlands als Transitland und hierbei insbesondere der Raum Moskau als Transitgebiet jedoch hinreichend gesichert. Eine große Anzahl der nach Deutschland geschleusten Staatsangehörigen aus Afghanistan, Bangladesch, Pakistan, Sri Lanka, Vietnam, Indien, aber auch Staatsangehörige aus afrikanischen Staaten, sollen nach Angaben und den Feststellungen des Russischen Föderalen Grenzdienstes Rußland als Transitland mit dem Ziel der unerlaubten Einreise bzw. Einschleusung nach Deutschland genutzt haben. Afrikanische Staatsangehörige gelangen in der Regel visafrei nach Moskau. Hier müssen sie sich selbst um die Weiterschleusung bemühen. Sie geben in ihren Befragungen an, daß sich im Moskauer Flughafen Schleuser aufhalten. Diese bieten gezielt ihre Schleuserdienste an. Zur unerlaubten Einreise und Schleusung nach Westeuropa und hier insbesondere nach Deutschland wird dann überwiegend der Landweg genutzt. Weiterhin habe ich Ihnen die Nationalitäten genannt, die alleine 30 % der unerlaubt Eingereisten stellen: Rumänien, Afghanistan, Jugoslawien. Auch hier kann ich Ihnen aufgrund der Zeit nur eine Nationalität - Afghanistan - darstellen. 5. Afghanistan Seit 1996 war ein stetiger Anstieg der unerlaubten Einreisen von afghanischen Staatsangehörigen zu 33 verzeichnen. Mit insgesamt 3.231 unerlaubt eingereisten afghanischen Staatsangehörigen wurde im Jahr 2000 erneut das hohe Niveau von 1999 erreicht (1999: 3.236; = - 5 Personen). Im Jahr 2000 wurden allerdings mit 1.960 insgesamt 12,4 % mehr afghanische Staatsangehörige gegenüber dem Vorjahreszeitraum geschleust (1999: 1.744). Auch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl), bei dem die Asylanträge bearbeitet werden, hat festgestellt, daß die Erstanträge afghanischer Staatsangehöriger im Jahr 2000 auf 5.380 gestiegen sind. Brennpunkt der unerlaubten Einreise von afghanischen Staatsangehörigen nach Deutschland ist nach wie vor die Grenze zur Tschechischen Republik. Hier wurden 1.720 der insgesamt 3.231 unerlaubt eingereisten afghanischen Staatsangehörigen aufgegriffen. Das entspricht einem Anteil von 53 %. Vielfach werden diese Personen über diesen Grenzabschnitt in Großgruppen zu Fuß über die grüne Grenze oder versteckt in LKW bzw. Kleintransportern über die Grenzübergänge geschleust. So wurden im Jahr 2000 an der deutsch-polnischen Grenze (mit 462 Aufgriffen) 23 % weniger (1999: 599) und an der deutsch-österreichischen Grenze (mit 534 Aufgriffen) insgesamt 67 % mehr (1999: 320) afghanische Staatsangehörige nach unerlaubter Einreise aufgegriffen. Es ist offensichtlich, daß hier eine Verdrängung von Norden nach Süden erfolgt ist. Wie reisen oder wie werden Afghanen geschleust? Benutzte Routen durch afghanische Staatsangehörige: Die Hauptroute für unerlaubte Einreisen und Schleusungen von afghanischen Staatsangehörigen nach Westeuropa verläuft weiterhin über die fünf südlichen GUS - Staaten Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan und Kasachstan nach Rußland und von dort hauptsächlich über die Ukraine, die Slowakische Republik und die Tschechische Republik nach Deutschland. Von dieser Hauptroute aus gibt es Abzweigungen von Rußland aus über Weißrußland - Polen nach Deutschland oder von der Slowakischen Republik aus über Polen nach Deutschland sowie neuerdings in stärkerem Maße von der Slowakischen Republik über Österreich nach Deutschland. Der Luftweg wird von afghanischen Staatsangehörigen lediglich zur Anreise bis in die Transitstaaten genutzt. Dabei spielen die Städte Moskau und Prag eine wesentliche Rolle als Drehkreuze für die Weiterschleusungen nach Deutschland. Direktflugverbindungen nach Deutschland werden von afghanischen Staatsangehörigen nicht genutzt. Nach Aussagen von Geschleusten dauern die Reisen nach Deutschland zwischen zwei Wochen und drei Monaten. Bemerkenswert dabei ist, daß afghanische Staatsangehörige überwiegend im Rahmen von Großschleusungen nach Deutschland verbracht werden. Prognose: Mit einer grundlegenden Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Lage in Afghanistan ist nicht zu rechnen. Aufgrund der hohen Anzahl der bereits in Deutschland lebenden afghanischen Staatsangehörigen (Pull-Faktor) ist davon auszugehen, daß auch weiterhin Afghanen in starkem Maße unerlaubt nach Deutschland einreisen werden. Nach uns vorliegenden Informationen: - soll die russische Regierung die Anzahl der illegalen Einwanderer verschiedener Nationalitäten, die ihre Grenzen 1999 überquerten, auf über eine Million schätzen. - wollen türkische Vertreter einer deutsch-türkischen Arbeitsgruppe erfahren haben, daß ca. 1 ½ Millionen im Iran aufhältige Afghanen in ihre Heimat zurückgeführt werden sollen. 34 Beide Informationen können von der Grenzschutzdirektion natürlich nicht verifiziert werden. Keiner kann sagen, wie viele der nach Rußland unerlaubt Eingereisten weiter nach Westen wandern oder ob tatsächlich eine nennenswerte Anzahl der im Iran aufhältigen Afghanen Richtung Westeuropa reisen werden. Die Informationen zeigen aber auch, daß in diesem Feld ständig neue Herausforderungen zu bewältigen sind. 6. Wie wird es weitergehen? Die westeuropäischen Staaten, und insbesondere Deutschland, sind trotz des starken Rückgangs der Aufgriffszahlen von jugoslawischen Staatsangehörigen weiterhin in beachtlichem Umfange von unerlaubten Einreisen und der Schleusungskriminalität betroffen. Staatliche Kontroll- und Überwachungssysteme werden beobachtet, erkannte Schwachstellen konsequent ausgenutzt und gesetzliche Bestimmungen in den Transit- und Zielstaaten umgangen bzw. unterlaufen. Es darf jedoch nicht verkannt werden, daß mit einem wirtschaftlichen Aufschwung auch bisherige Transitstaaten - wie Polen oder Ungarn - zu Zielländern werden. Neben anderen Gründen haben die effektiven grenzpolizeilichen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen an den Schengener Außengrenzen auch im Jahr 2000 dazu geführt, daß eine Vielzahl (ca. 30 %) der nach Deutschland unerlaubt eingereisten Ausländer nachweislich geschleust wurde. Allerdings lassen Staatsangehörigkeit, gewählte Reiserouten als auch die Art der Reisedurchführung die Schlußfolgerung zu, daß sich auch die überwiegende Anzahl der unerlaubt Eingereisten – zumindest in Teilabschnitten ihrer Reise - der Hilfe Anderer auf ihrem Weg nach Deutschland bedient haben. Wobei nicht immer die organisierte Kriminalität beteiligt war. Eine Reihe von südost- und osteuropäischen Staaten, aber auch die Türkei werden weiterhin als Ausgangspunkte bzw. wesentliche Transitländer internationaler Schleuseraktionen von Bedeutung bleiben. Die Tschechische Republik stellt von den deutschen Anrainerstaaten weiterhin das bedeutendste Transitland für die unerlaubte Einreise und Einschleusung von Ausländern dar. Insbesondere chinesische, vietnamesische, moldauische, rumänische, indische und srilankische Staatsangehörige reisen zum überwiegenden Teil über die Tschechische Republik unerlaubt nach Deutschland ein bzw. werden von dort aus eingeschleust. 63% bis 82 % der vorgenannten Staatsangehörigen reisen unerlaubt über die deutsch-tschechische Grenze ein bzw. werden über sie nach Deutschland eingeschleust. Sehr verehrte Damen, meine Herren, ich kann Ihnen in der Kürze der Zeit nicht alle Strategien und Maßnahmen darstellen, die durch den Bundesgrenzschutz und natürlich auch durch das Bundeskriminalamt, die Polizeien der Länder und den Zoll durchgeführt werden. Durch die bisherigen Vorträge ich bestimmt deutlich geworden, unerlaubte Einreise und Schleusungskriminalität ist kein nationales, kein europäisches, es ist ein globalen Phänomen. Ernstzunehmende Fachleute schätzen, daß z. B. durch Schleusungen weltweit von kriminellen Organisationen der gleiche Profit erwirtschaftet werden soll, wie im illegalen Rauschgifthandel. Daher wird auch, wie Beispiele zeigen, keine Rücksicht auf die Gesundheit, bis hin zum Leben, der zu Schleusenden, von kriminellen Organisationen genommen. Andererseits gibt es auch die Garantieschleusung. Das heißt, bei entsprechend hoher Bezahlung wird 35 durch die kriminelle Organisation garantiert, daß beim Scheitern der unerlaubten Einreise, diese wiederholt und bis zum Gelingen durchgeführt wird. Hauptziel muß es sein, kriminelle Schleuserorganisationen zu bekämpfen. Dies geschieht nicht nur an der Grenze im Inland, sondern auch mit Partnern auf der anderen Seite der Grenze. Dies reicht allerdings nicht, um insbesondere Schleuser der Organisierten Kriminalität zu bekämpfen. Hier ist die internationale Zusammenarbeit gefragt, allerdings nicht nur im polizeilichen Bereich. 7. BEKÄMPFUNG ILLEGALER BESCHÄFTIGUNG Bernhard Weber Bundesanstalt für Arbeit 1. Einleitung Illegale Beschäftigung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen stellt eine erhebliche Bedrohung für einen fairen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt dar, zu Lasten der legal tätigen Unternehmen. Leistungsmissbrauch ist unsolidarisches Verhalten zu Lasten der ehrlichen Beitragszahler. Die BA, der eine hohe Verantwortung für einen stabilen Arbeitsmarkt zukommt, hat den gesetzlichen Auftrag, illegale Beschäftigung und Leistungsmissbrauch zu bekämpfen. Die rechtlichen Grundlagen hierfür sind insbesondere im SGB III (dem früheren AFG), dem AÜG und im AEntG verankert. Die Dienststellen der BA verfolgen und ahnden insbesondere die arbeitsmarkt- bzw. sozialschädlichen Deliktsformen illegale Ausländerbeschäftigung, unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung, Verstöße gegen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sowie Leistungsmissbrauch. 2. Schattenwirtschaft Schattenwirtschaft ist ein – schillernder – Oberbegriff, unter den sich verschiedene arbeitsmarktschädliche bußgeld- und strafbewehrte Verhaltensweisen subsumieren lassen. 2.1 Schwarzarbeit Die „eigentliche“ Schwarzarbeit im engeren Sinne ist im ‚Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit‘ geregelt. Haupttatbestände hier sind die Ausübung eines Gewerbes ohne die entsprechende Erlaubnis und die fehlende Eintragung in die Handwerksrolle. Häufig wird der Begriff Schwarzarbeit als Synonym für Schattenwirtschaft gebraucht. 2.2 Illegale Beschäftigung Illegale Beschäftigung ist in Bezug auf Umfang und Schädlichkeit der Hauptkomplex der Schattenwirtschaft. Er ist äußerst facettenreich und reicht von der Verletzung von Meldepflichten über die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen, illegale Ausländerbeschäftigung, unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung, Steuerhinterziehung bis hin zu Verstößen nach dem ArbeitnehmerEntsendegesetz. 2.3 Leistungsmissbrauch Leistungsmissbrauch ist die unrechtmäßige Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die dem Bezieher nicht, nicht mehr oder nicht in vollem Umfang zustehen. Bei den Sozialleistungen, die die BA gewährt, geht es hier in erster Linie um die Lohnersatzleistungen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. 36 2.4 Umfang und Entwicklung Weder zum Umfang noch zur Entwicklung der Schattenwirtschaft liegen gesicherte Erkenntnisse vor. Die BA beteiligt sich hier nicht an Berechnungen oder Schätzungen. Sie betrachtet die aufgedeckten Fälle quasi als die sichtbare „Spitze eines Eisbergs“, ohne hinreichend sicher einschätzen zu können, was sich darunter verbirgt. Es gibt allerdings Schätzungen, die beim Umfang der Schattenwirtschaft von ca. 10 % des Bruttosozialprodukts oder 600 Milliarden DM ausgehen. Die jährliche Wachstumsrate wird mit ca. 10 % jährlich geschätzt. 2.5 Folgen für den Arbeitsmarkt Die Folgen der genannten rechtswidrigen Verhaltensweisen für den Arbeitsmarkt sind gravierend: illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit führen zu existenzbedrohender Wettbewerbsverzerrung. Arbeitgeber, die sich an die Gesetze halten, sind gegenüber illegal arbeitenden Konkurrenten im Nachteil; sie haben es z.B. schwer, bei Ausschreibungen konkurrenzfähige Angebote abzugeben; es werden legale Arbeitsplätze gefährdet und die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindert; das System der sozialen Sicherung wird bedroht, denn Beiträge werden zu Unrecht nicht abgeführt oder es werden Leistungen zu Unrecht in Anspruch genommen; häufig ist illegale Beschäftigung der Nährboden für die Ausbeutung von Arbeitskräften; Illegale fühlen sich rechtlos und haben oft nicht den Mut oder die Fähigkeit, sich zur Wehr zu setzen. Der BA kommt gerade als Arbeitsmarktbehörde eine besondere Verantwortung zu: sie schützt durch wirksame Bekämpfung illegaler Beschäftigung legal tätige Arbeitnehmer, Deutsche ebenso wie erlaubt tätige Ausländer, und auch gleichermaßen legal tätige Arbeitgeber. Als Hüterin fairer Ausgleichsprozesse am Arbeitsmarkt ist sie gerade in diesem Spektrum ihrer vielfältigen Aufgaben in hohem Maße gefordert. 2.6 Wertung in Gesellschaft und Politik In der Gesellschaft werden Verstöße in den geschilderten Bereichen unterschiedlich bewertet, teilweise werden sie als „Kavaliersdelikt“ abgetan. Erfreulich ist aber doch eine gewisse Tendenz dahin, dass immer mehr Bürger die Gemeinschädlichkeit solcher Rechtsverstöße erkennen und eine konsequente Verfolgung und Ahndung der Behörden befürworten. Die Politik nimmt sich der Sache zunehmend an; dies ist äußerst positiv zu werten. Mehrfach wurden in den letzten Jahren die rechtlichen Mechanismen verstärkt, die ein gezieltes und erfolgreiches Einschreiten gegen Gesetzesverletzungen ermöglichen. Weitere Verbesserungen sind zu erwarten; jüngst wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages ein weiteres Bündel entsprechender Maßnahmen erörtert (sog. Eckpunktepapier), beispielhaft sie hier eine weiter verbesserte Zusammenarbeit der jeweils nur für Teilbereiche zuständigen Behörden genannt. 3. Auftrag der BA 3.1 Prüfauftrag Die Arbeitsämter – wie auch die Hauptzollämter als Dienststellen der Bundeszollverwaltung -haben insbesondere den gesetzlichen Auftrag zu prüfen, ob Sozialleistungen zu Unrecht bezogen werden und ob ausländische Arbeitnehmer mit einer erforderlichen Genehmigung und nicht zu ungünstigeren 37 Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden. Weitere Prüfbereiche sind das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und die Abgabe der Meldungen zur Sozialversicherung. 3.2. Maßnahmen der BA zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch Die BA bedient sich zur Aufdeckung und Verfolgung der einzelnen Erscheinungsformen illegaler Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs verschiedener Instrumente: Datenabgleich Eine wichtige Erkenntnisquelle für die Feststellung von Leistungsmissbrauch ist das sog. DALEBVerfahren, ein maschineller Datenabgleich zwischen Zeiten des Bezugs von Lohnersatzleistungen und den von den Arbeitgebern an die Einzugsstellen gemeldeten Beschäftigungszeiten. Wird ein ganz oder teilweise unrechtmäßiger Bezug von Leistungen der BA festgestellt, wird der ursprüngliche Bewilligungsbescheid, soweit er rechtswidrig ist, aufgehoben. Die zu Unrecht erbrachten Leistungen werden zurückgefordert. Besteht darüber hinaus der Verdacht ordnungswidrigen oder strafbaren Verhaltens des Leistungsempfängers, wird ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet oder der Vorgang an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Mit dem Datenabgleichsverfahren können Fälle nichtangezeigten (Neben-)Einkommens lückenlos erkannt werden, wenn die Arbeitgeber ihren Meldepflichten nachkommen. Kontospiegel Einen Beitrag zur Aufdeckung von illegaler Ausländerbeschäftigung leistet der sogenannte Kontospiegel. Bei diesem Verfahren wird durch einen maschinellen Abgleich der Genehmigungs- mit den Beschäftigungsdaten geprüft, ob für die ausländischen Arbeitnehmer eine gültige Arbeitsgenehmigung vorliegt. Das zuständige Arbeitsamt erhält einen maschinellen Ausdruck, den sog. Kontospiegel, wenn eine Arbeitsgenehmigung nicht vorliegt. Anhand dieses Kontospiegels wird über das weitere Vorgehen, ggf. Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens, entschieden. Außenprüfungen Die wohl wichtigste und sicherlich öffentlichkeitswirksamste Maßnahme der BA zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch ist die Durchführung von Außenprüfungen bei Arbeitgebern. Die Arbeitsämter (wie auch die Hauptzollämter) können im Rahmen einer Außenprüfung bei einem Arbeitgeber Ermittlungen führen, die u.a. zur Feststellung erforderlich sind, ob für den Arbeitgeber Arbeitnehmer oder Selbständige während einer Zeit tätig sind oder waren, für die diese Lohnersatzleistungen beantragt haben, beziehen oder bezogen haben. Außerdem wird geprüft, ob bei den betreffenden Arbeitgebern tätige ausländische Arbeitnehmer im Rahmen der erteilten Arbeitsgenehmigung beschäftigt werden. Die Prüfkräfte sind berechtigt, zu diesem Zweck Unterlagen einzusehen und die Personalien der in diesem Betrieb tätigen Personen zu überprüfen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer dieses Betriebes haben diese Maßnahme zu dulden und bei der Außenprüfung mitzuwirken. Außenprüfungen können ohne konkreten Anfangsverdacht durchgeführt werden; in der Mehrzahl der Fälle sind jedoch interne Erkenntnisse oder Hinweise von Dritten der Anlass, entsprechende Prüfungen vorzunehmen. Die Außenprüfungen werden im Regelfall ohne vorherige Ankündigung durchgeführt, um die Verschleierung von Verstößen zu erschweren. 38 3.3 Verfolgung und Ahndung Stoßen die Arbeitsämter auf entsprechende Delikte, verfolgen und ahnden sie diese, soweit es sich dabei um Ordnungswidrigkeiten handelt; d.h. sie erheben ein Verwarnungsgeld oder sie erlassen einen Bußgeldbescheid. Die vom Gesetzgeber angedrohte Bußgeldhöhe ist je nach Deliktform unterschiedlich, sie reicht bis zu 1 Million DM bei Verstößen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz. 3.4 Abgabe an die zuständige Behörde oder die Staatsanwaltschaft Stößt das Arbeitsamt auf Zuwiderhandlungen, für deren weitere Verfolgung andere Behörden zuständig sind, informiert es diese Stellen. Stößt das Arbeitsamt auf Fälle mit Straftatverdacht, erstattet es Strafanzeige oder gibt die Sache an die Staatsanwaltschaft ab, z.B. beim Verdacht unberechtigten Aufenthalts von Ausländern. 3.5 Koordinierung Die Arbeitsämter (und Hauptzollämter) arbeiten bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung mit zahlreichen anderen Stellen zusammen, wie z.B. den Schwarzarbeitsbehörden, den Krankenkassen, Rentenversicherungsträgern, Finanzbehörden oder Ausländerbehörden. Diese Behörden unterstützen die Arbeitsämter und Hauptzollämter bei ihren Prüfungen. Dabei kommt den Arbeitsämtern eine wichtige gesetzlich fixierte Schlüsselstellung zu, denn sie koordinieren einvernehmlich die Ermittlungen der betreffenden Behörden. 3.6 Organisation Jedes Arbeitsamt verfügt über eine Organisationseinheit, die für die Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und von Leistungsmissbrauch zuständig ist. Damit ist eine ortsnahe Verfolgung von Verstößen sichergestellt. Die betreffenden Organisationseinheiten sind, je nach Größe und Struktur des Arbeitsamtsbezirks, personell unterschiedlich ausgestattet. Bundesweit sind in diesem Bereich knapp 3000 Mitarbeiter angesetzt. Die Zahl der Bediensteten der Hauptzollämter, die – wie schon erwähnt – einen ähnlichen Prüfauftrag haben, wird von derzeit mehr als 1000 auf 2500 im Jahre 2002 erhöht. Arbeitsämter und Hauptzollämter arbeiten bei der Verfolgung von Rechtsverstößen eng zusammen. 4. Illegale Ausländerbeschäftigung Ausländische Arbeitnehmer dürfen eine Beschäftigung grds. nur mit Genehmigung des Arbeitsamtes ausüben; Arbeitgeber dürfen ausländische Arbeitnehmer grds. nur dann beschäftigen, wenn diese eine Genehmigung besitzen. Es bestehen gesetzlich fixierte Ausnahmen, z.B. für Staatsangehörige aus der EU. Verstöße sind, soweit nicht sogar Straftatbestände verwirklicht werden, mit Geldbußen bis zu 10.000,DM bei ausländischen Arbeitnehmern, bis zu 500.000,- DM bei Arbeitgebern bedroht. 4.1. Umfang/Entwicklung Die Problematik der illegalen Ausländerbeschäftigung hat sich in den letzten Jahren nicht verringert. Die Ursachen hierfür sind nach wie vor zu einem wesentlichen Teil in dem zu den Ländern Mittel-, Ost- und Süd-Ost-Europas weiterhin bestehenden erheblichen Lohngefälle zu finden. Die Zahl der aufgegriffenen Verdachtsfälle hat sich auf hohem Niveau verfestigt (ca. 70.000 Fälle pro Jahr, davon etwa 10.000 Fälle mit Straftatverdacht). Zuverlässige Schlüsse auf den Gesamtumfang der illegalen Ausländerbeschäftigung können hieraus nicht gezogen werden. 39 4.2. Umgehungs-/Verschleierungsmethoden Seit Jahren stoßen die Arbeitsämter bei ihren Prüfungen und Ermittlungen auf eine Vielzahl von Umgehungsversuchen, die die Ermittlungsarbeit erheblich erschweren. Zu beobachten ist in diesem Zusammenhang zunehmend ein geplantes und aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken von Arbeitgebern und illegal beschäftigten Ausländern. In letzter Zeit war häufiger zu beobachten, dass ohne Arbeitsgenehmigung angetroffene Ausländer angaben, als (selbständige) Subunternehmer tätig zu sein. Vielfach werden auch Ausnahmetatbestände nach der Arbeitsgenehmigungsverordnung oder der Anwerbestoppausnahmeverordnung nur vorgetäuscht, um widerrechtlich ausländische Arbeitskräfte in Deutschland einsetzen zu können. Daneben gibt es mehr und mehr deutsche Unternehmen, die in osteuropäischen Staaten Scheinfirmen gründen, um dort eingestellte Arbeitnehmer angeblich zu Einarbeitungs- bzw. Aus- und Fortbildungszwecken durch ein deutsch- ausländisches Gemeinschaftsunternehmen in Deutschland tätig werden zu lassen. Gegenüber früheren Jahren werden wesentlich häufiger Personen angetroffen, die sich mit ge- bzw. verfälschten Ausweisdokumenten und/oder Arbeitsgenehmigungen ausweisen. Dabei finden insbesondere Ausweisdokumente aus EU-Staaten Verwendung, mit denen eine EU-Zugehörigkeit vorgetäuscht wird, um u.a. die arbeitsgenehmigungsrechtlichen Vorschriften umgehen zu können. 4.3 Schwerpunkte in der Wirtschaft Von illegaler Ausländerbeschäftigung sind unverändert nahezu alle Wirtschaftszweige betroffen. Die Schwerpunkte liegen mit unterschiedlicher regionaler und saisonaler Gewichtung im Bau- und Baunebengewerbe, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Industrie- und Gebäudereinigung, der Land- und Forstwirtschaft, bei der Nahrungs- und Genussmittelherstellung, bei der Personen- und Güterbeförderung und im metallbe- und -verarbeitenden Bereich. Verstöße werden in erster Linie in Klein- und Mittelbetrieben festgestellt, seltener in Großunternehmen. Unerlaubt beschäftigt werden überwiegend Hilfs- und Aushilfskräfte, daneben werden in einigen Branchen, z.B. im Pflegebereich, verstärkt Fachkräfte eingesetzt. 4.4. Ahndung von Verstößen - Welche Sanktionen erfolgen, wenn Verstöße aufgedeckt werden? Zunächst ist zu unterscheiden, ob eine Ordnungswidrigkeit vorliegt oder Straftatverdacht besteht; bei Straftatverdacht erfolgt eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft oder es wird Strafanzeige erstattet. Beispiele: Beschäftigung von gleichzeitig mehr als 5 Ausländern ohne Genehmigung für mindestens 30 Tage oder ausbeuterische Beschäftigung von Ausländern ohne Arbeitsgenehmigung (jeweils arbeitgeberbezogene Straftat). Seitens des ausländischen Arbeitnehmers: unerlaubter Aufenthalt in Deutschland. Wenn eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, erfolgt eine Ahndung durch das Arbeitsamt, entweder durch Verwarnung (bei geringfügigeren Verstößen) oder durch Bußgeldbescheid. Die Bußgeldandrohung durch den Gesetzgeber beträgt bei illegaler Tätigkeit von Ausländern bei Arbeitgebern bis 500.000 DM, Arbeitnehmern bis 10.000 DM. Im Bereich der illegalen Ausländerbeschäftigung sind von den Arbeitsämtern im Jahre 2000 über 73.000 Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Zur Art der Erledigung siehe Anlage 2. 40 5. Jahresergebnisse BA für 2000 Die Jahresergebnisse von BA und Bundeszollverwaltung sind zu Beginn dieses Jahres in einer gemeinsamen Pressekonferenz von BA und BMF der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Auszugsweise seien einige Kerndaten der BA-Ergebnisse genannt: In 250.000 Fällen wurden Geldbußen in Höhe von 310 Millionen DM festgesetzt; betroffen sind die vier Kernbereiche unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung, illegale Ausländerbeschäftigung, Leistungsmissbrauch bzw. und Verstöße nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Der Trend zu strafbaren Verhalten hat sich fortgesetzt: In 64.000 Fällen lagen Hinweise auf Straftaten vor. Es erfolgten 165.000 Prüfungen bei Arbeitgebern, dabei wurden 420.000 Personen befragt und 780.000 Geschäftsunterlagen eingesehen. 6. Wünsche/Anregungen Zur weiteren Verbesserung der Effektivität und Effizienz des Verwaltungshandelns bei der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch seien drei Anregungen genannt, die insbesondere im politisch/gesetzgeberischen Raum umzusetzen wären: es sollte die grenzüberschreitende Vollstreckung von Bußgeldentscheidungen ermöglicht werden; bisher kann eine derartige Vollstreckung nur in Bezug auf Österreich erfolgen; die Bildung von sog. Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung hat sich bewährt (Bündelung von Fachkompetenz); von dieser Möglichkeit sollte noch mehr Gebrauch gemacht werden; Übertragung von Strafverfolgungskompetenzen bei Delikten nach dem SGB III und dem AÜG an die BA; ihre Dienststellen haben eine große Sachnähe und würden bei entsprechender Ausdehnung ihrer Kompetenzen die Staatsanwaltschaften entlasten. Anlage Illegale Ausländerbeschäftigung - Ergebnisse 2000 gegen gegen Arbeitnehmer Arbeitgeber erledigte Verfahren 33.920 39.674 darunter durch Verwarnungen Geldbußen 8.802 5.560 8.643 18.018 Strafanzeigen 5.165 5.537 Summe der festgesetzten 3.461.178 Verwarnungsgelder und Geldbußen in DM 55.120.604 41 8. UMGANG MIT „ILLEGALITÄT“ – zusammenfassender Überblick zum rechtlichen und politischen Stand in Deutschland Cornelia Bührle rscj Beauftragte für Migrationsfragen des Erzbischofs von Berlin 1. Generell Im politischen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kirchlichen Bereich besteht über die Ausgangslage Konsens. 1.1 Generelles Resumé über Tatsachen Unstreitig ist: 1.1.1. Existenz In Deutschland lebt aus unterschiedlichen Gründen eine unbestimmte Vielzahl von Menschen ohne Aufenthaltsrecht und ohne Duldung und folglich auch ohne Arbeitserlaubnis; diverse Schätzungen gehen von 500.000 und 1 Million Menschen aus. Die Dauer ihres jeweiligen Aufenthalts bewegt sich in einem Spektrum zwischen Kurzzeitigkeit und Langzeitigkeit. 1.1.2. Arbeitsmarkt Auf dem Schattenarbeitsmarkt ist ihre Arbeitskraft gesucht, es werden mündlich Verträge geschlossen, vor allem: in der Baubranche, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der kleingewerblichen (auch Zulieferer-) Produktion, in der Landwirtschaft, in Dienstleistungsbetrieben resp. -bereichen, wie z.B. Speditionsunternehmen, Reinigungsfirmen, besonders auch in Privathaushalten. 1.1.3. Menschliche Notlagen Die Menschen werden zu Niedrigstlöhnen beschäftigt, die zudem häufig entweder gar nicht oder nur teilweise ausbezahlt werden. Hierdurch entstehen finanzielle Notlagen: hinsichtlich der Wohnverhältnisse, der Sicherung des täglichen Lebensunterhalts, bei Krankheit und Schwangerschaft. Hinzu treten Probleme bei: der Beschulung der Kinder, der Geltendmachung und Durchsetzung von Lohnforderungen. In diesen Notsituationen suchen sie lagespezifische Hilfe bei Vertretern bestimmter Berufsgruppen, z.B. bei: Ärzten, Apothekern, Sozialarbeitern, Schulleitern, Seelsorgern; wenden sie sich an andere humanitär motivierte, hilfsbereite Private, nehmen zuweilen auch Unterstützer-Angebote aus autonomen Kreisen wahr, rekurrieren zwecks Eintreibung ausstehenden Lohns manchmal auf mafiöse und quasi-mafiöse Strukturen. 1.2. Generelles Resumée über Rechtslagen Auch im rechtlichen Bereich besteht Übereinstimmung der Rechtsmeinungen wie folgt: 42 1.2.1. Aufenthaltsrecht Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung haben keine legale oder rechtlich geduldete Berechtigung sich in Deutschland aufzuhalten. 1.2.2. Strafrecht Ihr Aufenthalt ist gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG strafbar: Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (...) sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung (...) besitzt. Wer ihnen in menschlicher Notlage hilft, ohne hieraus selber einen Vermögensvorteil zu ziehen, setzt sich gemäß § 92 a Abs. 1 Nr. 2 AuslG einem hohen Strafbarkeitsrisiko aus: Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (einem anderen zur Tat gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) (...) Hilfe leistet und (...) wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt. 1.2.3. Materiell-rechtliche Ansprüche respektive Rechte Gleichwohl haben auch Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung materiell-rechtliche Ansprüche resp. Rechte: auf Zahlung des (zumindest) vereinbarten Lohns auf Leistungen des staatlichen Gesundheitswesens (Kinder) auf Beschulung. 1.2.4. Durchsetzbarkeit rechtlicher Ansprüche Diese Ansprüche resp. Rechte werden aber von den Anspruchsinhabern in der Regel nicht geltend gemacht resp. nicht im Rahmen der Rechtsordnung durchgesetzt, weil sie angesichts gesetzlicher Übermittlungspflichten fürchten, hierdurch entdeckt und abgeschoben zu werden. § 76 AuslG statuiert weitgehende Übermittlungspflichten für öffentliche Stellen: § 76 „Übermittlungen an Ausländerbehörden“: (1) Öffentliche Stellen haben auf Ersuchen (§ 75 Abs. 1) den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden ihnen bekannt gewordene Umstände mitzuteilen. Öffentliche Stellen haben unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde zu unterrichten, wenn sie Kenntnis erlangen von dem Aufenthalt eines Ausländers, der weder eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung noch eine Duldung besitzt (...) Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen ist nach den Absätzen 1 und 2 zu Mitteilungen (...) nur verpflichtet, soweit dadurch die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben nicht gefährdet wird. (...) 1.2.5. Konsens im Rechtsempfinden In Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kirchen besteht Konsens, dass diese Gesamtsituation (von Tatsächlichem und Rechtlichem) unbefriedigend ist. Vor allem: Unbefriedigend ist, dass so viele Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung in Deutschland leben. Unbefriedigend ist, dass sie auf dem Schattenarbeitsmarkt zu Niedrigstlöhnen ausgebeutet werden (können). Unbefriedigend ist, dass sich Menschen, die ihnen in Erfüllung ihrer beruflichen Aufgaben in Notlagen 43 helfen, strafbar machen (können). 1.3. Generelles politisches Resumée Trotz allen Konsenses wird der Problemkomplex aufenthaltsrechtlicher "Illegalität" auch weiterhin von politisch Verantwortlichen weitestgehend in der Öffentlichkeit tabuisiert, auch nicht konzeptionellsubstantiell bearbeitet, wenngleich er an versteckten Stellen immer wieder benannt wird. Ich zitiere auszugsweise aus einem Vortrag von Kardinal Sterzinsky an der Freien Universität Berlin am 14. Mai 2001: „Warum wird aber in dieser Debatte der Problemkomplex der Illegalität so erfolgreich ausgeklammert? Hat ein so bedeutsamer Teil der Wählerinnen und Wähler etwas gegen Änderungen in diesen Bereichen, weil sie von der Arbeit der „Illegalen“ wirtschaftlich und finanziell profitieren? Und gehen die Politikerinnen und Politiker deshalb dieses Phänomen nicht an aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen? Mancher – auch unter den politisch Verantwortlichen – versucht sich noch damit heraus zu reden, er habe nichts gewusst und es sei nichts bekannt. Deshalb erinnere ich an Hinweise, die regierungsamtlichen Texten zu entnehmen sind. Im ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der kürzlich veröffentlicht worden ist, steht im Berichtsteil „Entwicklung der Zuwanderung“, dass „zur Zahl der Menschen ohne Aufenthaltsstatus (...) keine zuverlässigen Daten vorliegen. Einen Einblick in die Lebenswelt dieser Gruppen geben lediglich Erfahrungsberichte von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften.“ Schon im dritten Bericht der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, aus dem Jahr 1997, also vor 4 Jahren, war von „ausbeuterischer Beschäftigung“ die Rede. Im vierten Bericht der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung vom letzten Jahr ist ein eigener Punkt „Ausländer ohne legalen Status“ aufgeführt. Im sechsten Familienbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2000 unterstützt die Bundesregierung ausdrücklich „zentrale Forderungen des Berichts“. Dazu „gehört auch die Forderung, Kindern ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland einen Schulbesuch zu ermöglichen“ Das Bundesministerium des Innern teilte mit, es sei „unstreitig, dass die Lebensumstände der betroffenen Menschen in vielerlei Hinsicht unbefriedigend“ seien; gewürdigt wird das „humanitäre Engagement der Kirchen und Hilfsorganisationen für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht“ als „wertvolles Beispiel für notwendiges Bürgerengagement in einem funktionierenden Gemeinwesen“. Was nutzt die Erstellung neuer „Regelwerke“ für legale Zuwanderung, wenn diese nicht auch die irreguläre Zuwanderung mitberücksichtigen? Deutschland hat weniger ein Problem bei der legalen Zuwanderung als vielmehr bei der illegalen Zuwanderung und den Lebensumständen dieser Zuwanderer.“ 2. Spezifika: Akute und aktuelle Handlungsfelder Lösungen können nur konzeptionell erarbeitet werden, und zwar in einem Koordinatengeflecht von Aufenthaltsrecht, Arbeitserlaubnisrecht und sozialen Mindeststandards. Entsprechende Vorschläge liegen vor, es gibt hierzu einen informellen Arbeitskreis von Vertretern der Politik, der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände, der Gewerkschaften und Wissenschaft. Im übrigen wird in Kürze eine Arbeitshilfe "Leben in der Illegalität" der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt werden, Kardinal Sterzinsky sprach am 14. Mai 2001 an der FU Berlin erstmalig öffentlich hierüber. Ich zitierte hieraus: „Für soziale Mindeststandards Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung. Die schulische und berufliche Bildung ist wegen ihrer 44 unverzichtbaren Bedeutung für die persönliche Zukunft der Kinder unabhängig vom Aufenthaltsstatus sicherzustellen und darf nicht durch die Erhebung und Weitergabe von Daten und deren ausländerrechtliche Konsequenzen gefährdet werden. Jeder Ausländer muss unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus und seiner finanziellen Leistungsfähigkeit Zugang zu den erforderlichen medizinischen Leistungen des Staates erhalten. Es ist zu gewährleisten, dass Ausländer ohne Aufenthaltsrecht und Duldung nicht befürchten müssen, vom Personal der medizinischen Einrichtung angezeigt zu werden. Auch Menschen, die weder ein Aufenthaltsrecht noch eine Duldung besitzen und demzufolge trotz Fehlens einer Arbeitserlaubnis Arbeitsleistungen erbringen, haben Anspruch auf den vereinbarten Lohn, der dann, wenn er teilweise oder vollständig vom Arbeitgeber vorenthalten wird, gerichtlich dergestalt einklagbar sein muss, dass für den Kläger dahingehend Rechtssicherheit besteht, dass er nicht befürchten muss, von der Justiz wegen des Fehlens eines Aufenthaltsrechtes oder einer Duldung angezeigt zu werden. Zur Verhütung von Obdachlosigkeit müssen Notaufnahmeeinrichtungen auch Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung offen stehen und die Belegungsplätze bei Bedarf aufgestockt werden.“ 2.2. Im Asyl- und Ausländerrecht Das verfassungsrechtlich verankerte Asylrecht ist zu bewahren... Es muss dem tatsächlichen Schutzbedürfnis politisch Verfolgter Rechnung tragen. Bestehende Mängel des Asylverfahrens sind zu beseitigen. Das Asylverfahren muss politisch unvoreingenommen, zügig und sprachlich einwandfrei durchgeführt werden. Im Ausländerrecht bedarf es zur Verminderung und Verhinderung von Illegalität einer größeren Berücksichtigung von menschlichen Härtefällen. Dies betrifft vor allem folgende Personengruppen: Traumatisierte, Kranke und Behinderte, Opfer von Menschen- bzw. Frauenhandel, Kinder und Frauen in prekärer Lage. Gerade diese Personengruppen haben im Vergleich zu gesunden erwachsenen und uneingeschränkt arbeitsfähigen Ausreisepflichtigen kaum bzw. gar keine Perspektiven auf ein menschenwürdiges Leben in der Heimat. In der ausländerrechtlichen Praxis des Umgangs mit Menschen in der Illegalität ist eine stärkere Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nötig. Hier ist die Frage einer großzügigen Altfallregelung akut. Dabei sollten vor allem Menschen berücksichtigt werden, die durch den Aufbau persönlicher Bindungen an Deutschland und nachgewiesene Sprachkenntnisse ihre Bereitschaft zur Integration gezeigt und sich gesetzestreu verhalten haben. Ebenso wird eine neue Härtefallregelung immer dringender. Eine effektive Berücksichtigung menschlicher Härtefälle wird derzeit vor allem von den Bestimmungen der §§ 55, 30 AuslG verhindert. Sie bedürfen dringend einer Novellierung. Von den Übermittlungspflichten nach §§ 75, 76 AuslG müssen alle öffentlichen Stellen ausgenommen werden, zu deren Aufgabenerfüllung es nicht gehört, Kenntnis über den Aufenthaltsstatus zu erlangen bzw. Kenntnis hiervon zu nehmen. Frauen, die als Zeuginnen in Strafprozessen gegen Zuhälter wegen Zwangsprostitution oder Menschenhandel aussagen wollen, sollte ein entsprechender Abschiebeschutz auch nach Beendigung des Prozesses gewährt werden. Für aussagebereite Prostituierte und sonstige aussagewillige Opfer eines Abhängigkeitsverhältnisses, etwa aus illegaler Beschäftigung, sollte eine Kronzeugenregelung geschaffen werden. Eines besonderen Schutzes bedarf es von Ehe und Familie. Artikel 6 GG und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention schützen das Recht auf Achtung eines bestehenden Familienlebens. Der Schutz der gelebten Lebensgemeinschaft von Ehe und Familie ... darf nicht durch zu restriktive ausländerrechtliche Regelungen ausgehöhlt werden. 45 2.3. Arbeitsmarkt Wenn der Arbeitgeber Subunternehmer auswählt, die Menschen in der Illegalität beschäftigen, dann sollte er im Wege einer Durchgriffshaftung nicht nur für sein eigenes Verhalten, sondern auch für das Verhalten der Subunternehmer haften. Auch ein schwebend wirksames oder befristetes Arbeitsverhältnis für beispielsweise sechs Wochen oder drei Monate, bis sich ein bevorrechtigter Arbeitnehmer findet, verbunden mit einem Aufenthaltsrecht, wäre für viele eine Hilfe. 2.4. Rechtssicherheit für unterstützende Berufe Es muss auch dahingehend Rechtssicherheit hergestellt werden, dass Menschen, die in Ausübung ihres legalen Berufes sich nicht strafbar machen, wenn sie durch Ausübung ihres Berufs Menschen in der Illegalität, die in Not sind, helfen. 3. (Gesellschafts-) politische Ebenen und ihre (Nicht-) Positionierungen Politische Parteien PDS Die PDS positioniert sich sowohl auf Bundesebene als auch auf unterschiedlichen Landesebenen am offensivsten. Sie tendiert zu einer Lösung "Legalisierung aller Illegalen". Dies halte ich für keine nachhaltige Lösung, und ich will mich hierzu auch nicht näher äußern, weil ich persönlich kein politisch geklärtes Verhältnis zur PDS habe. CDU/CSU Beide Parteien/Fraktion im Bundestag haben das Thema ausgeklammert, abgesehen von Herrn Dr. Schwarz-Schilling (MdB). F.D.P. Gleiches gilt für die F.D.P. SPD Auch die SPD scheint nach mutigen öffentlichen Vorstößen von Herrn Wiefelspütz zurückgerudert zu haben. (Entsprechendes gilt für den einschlägigen Arbeitskreis der SPD-Bundestagsfraktion unter Vorsitz von Herrn Stiegler.) Bündnis 90/DIE GRÜNEN Nach einer Fachtagung der Bundestagsfraktion, initiiert von Frau Nickels, im Sommer 2000 an der Katholischen Akademie in Berlin, bleiben die Grünen offen, scheinen aber aus verschiedenen Gründen gesetzgeberisch und koalitionspolitisch zu kneifen. Landesministerien (z.B.) Berlin: Senatsverwaltung für Inneres Beim Senat von Berlin ist der Problembereich bekannt, aber ein konzeptioneller politische Handlungswille scheint nicht zu bestehen. Brandenburg: Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen Gleiches gilt für Brandenburg. (Zum Innenministerium pflege ich keine Kontakte.) 46 Übrige (Justiz, Kultus etc.) Darüber hinaus scheinen alle anderen Ressorts auf Bundes- und Landesebene froh zu sein, den Problemkomplex an die Innenbehörden abgeben zu können, obwohl doch die eigenen Ressorts hiervon unmittelbar auch betroffenen sind. Bundesregierung Hierüber sprach ich bereits. Bundestag Beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages ist seit November 2000 eine Petition anhängig, die auf eine Anhörung von Fachleuten dringt. Das Schicksal dieser Petition ist ungewiss. Unerklärlich bleibt, warum sich Bundestagsabgeordnete von der Einsetzung der Unabhängigen Kommission Zuwanderung z.T. parlamentarisch entmündigt fühlen, sich gleichwohl in den Anliegen dieser Petition nicht engagieren wollen. Unabhängige Kommission Zuwanderung (UKZ) Im Rahmen einer Anhörung hat sich die UKZ auch Fragen zum Problemkomplex "Illegalität" gewidmet. Wie die UKZ hier entscheidet, wird sich am 4. Juli 2001 zeigen. Bundesverband der Deutschen Industrie Interessant sind die Positionierungen des BDI. Dort vertritt Herr (Robert) Henkel die Ansicht, dass 50 % der "Illegalen" legalisiert werden könnten. 4. Ausgewählte zentrale rechtspolitische Fragen 4.1. Warum bedarf es bei § 92 a AuslG der Herstellung von Rechtssicherheit dahin gehend, dass sich Menschen, die in Erfüllung ihrer beruflichen Aufgaben Illegalen in Notlagen helfen, nicht rechtswidrig verhalten ? Es käme einer Aufhebung des individuellen beruflichen und sozialen Ethos gleich, wenn Ärzte und Apotheker ihren Dienst an Leben und Gesundheit von Menschen von aufenthaltsrechtlichen Normen anhängig machen müssten, Sozialarbeiter staatlicher Einrichtungen und Einrichtungen privater, vor allem kirchlicher Wohlfahrtsverbände ihren Dienst am Gelingen der sozialen Existenz einzelner Menschen von aufenthaltsrechtlichen Normen anhängig machen müssten, Seelsorger ihren Dienst am ganzheitlichen Wohl von Menschen von aufenthaltsrechtlichen Normen anhängig machen müssten, Lehrer, Schulleiter und Vertreter von Schulbehörden ihren Dienst am edukativ-pädagogisch geführten Wachstum von Kindern und Jugendlichen von aufenthaltsrechtlichen Normen anhängig machen müssten, Bedienstete im öffentlichen Gesundheits- und Sozialwesen ihren spezifisch administrativen Dienst an Leben und Gesundheit resp. an der Sicherung minimaler sozialer Lebensbedingungen von aufenthaltsrechtlichen Normen anhängig machen müssten, Richter nur noch bedingt, i.e. unter Vorgaben aufenthaltsrechtlicher Normen, Recht sprechen dürften. 4.2. Warum muss insbesondere die Inanspruchnahme von Leistungen des staatlichen Gesundheitswesens aus pragmatischen Gründen gewährleistet sein ? Vor allem bei ansteckenden Krankheiten, z.B. Tuberkulose, Gelbsucht, Aids besteht ein hohes Interesse 47 der Allgemeinheit an deren Nicht-Weiterverbreitung. Ehrenamtlich einzelne resp. organisiert gewährte Hilfe ist hier überfordert. 4.3. Wie kann der Staat solchen Menschen, die sich nicht rechtmäßig und auch nicht rechtlich geduldet in Deutschland aufhalten, dennoch und gleichzeitig minimale Rechte und auch deren faktische Durchsetzungsfähigkeit für die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts zusprechen: Recht auf Beschulung Recht auf Leistungen des staatlichen Gesundheitswesens Recht auf Lohn für geleistete Arbeit ? Diese grundsätzliche Frage ist unserer Rechtsordnung nicht fremd, z.B. darf ein Auto, das (zwar) in einem absoluten Halteverbot abgestellt ist, nicht deshalb auch gleich beschädigt oder gestohlen werden, denn ungeachtet des „aufenthaltsrechtlichen“ Rechtsverstoßes steht das Fahrzeug ungebrochen unter dem Schutz der gesamten Rechtsordnung. Was nun für Sachen gilt, muss (im juristische „Erst-rechtSchluss“) erst recht für Menschen gelten. Es stehen sich zunächst zwei Entscheidungskomplexe des Gesetzgebers gegenüber: zum einen die aufenthaltsrechtlichen Regelungen im Ausländer- und Asylrecht, zum anderen die Gesetzgebung, die Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung bestimmte materiell-rechtliche Rechte einräumt. Beide zuvor genannten gesetzgeberische Entscheidungskomplexe sind - isoliert betrachtet - nicht widersprüchlich, sondern - im Gegenteil - miteinander ausgesprochen vereinbar: Indiziert ist ein staatliches Verbot von rechtswidrigem, auch ungeduldetem Aufenthalt, welches indessen nicht so weit reicht, dass Menschen, die sich entgegen diesem Verbot in Deutschland aufhalten, elementare Rechte vorenthalten werden; hier ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vor allem dem Schutz der menschlichen Würde (Art. 1 GG) Rechnung getragen, wonach der Mensch als solcher nicht zum Rechtsobjekt degradiert werden darf, sondern stets als Rechtssubjekt wahrgenommen muss. „Der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“, hier noch präziser: der „Widerspruchsfreiheit der Rechtssetzung“ ist insoweit Genüge getan. Der „Widerspruch“ resp. das Dilemma entsteht präzise erst durch einen dritten Entscheidungskomplex des Gesetzgebers: Mittels der statuierten Übermittlungspflichten nach § 76 AuslG bewirkt er selber, dass die Rechte, die er zuvor eingeräumt hat, faktisch hingegen nicht geltend gemacht und durchgesetzt werden können. 4.4. Würde eine Modifikation des § 76 AuslG (Einschränkung der Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen) unrechtmäßiges Verhalten begünstigen, sei es seitens solcher Migranten, die bereits in Deutschland sind, sei es seitens solcher Menschen im Ausland, die dies als pull-Faktor wahrnehmen würden ? Hierbei gilt es zunächst zu unterscheiden: „Um wessen ‚unrechtmäßiges Verhalten‘ geht es ?“ Es kann nicht übersehen werden, dass § 76 AuslG in seiner geltenden Fassung entscheidend mitursächlich dafür ist, dass Arbeitgeber Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung auf dem Schattenarbeitsmarkt zu Niedrigstlöhnen beschäftigen können und sogar den versprochenen Lohn entweder gar nicht oder nur teilweise ausbezahlen (erst hierdurch entstehen die materiellen Notlagen seitens der Betroffenen). Es ist dieses „unrechtmäßige Verhalten“, das von der bestehenden Fassung des § 76 AuslG begünstigt wird. Verfestigt würde bei unveränderter Fassung des § 76 AuslG mithin zunächst das unrechtmäßige Verhalten solcher Arbeitgeber. Was nun die Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung anbelangt, so widerspricht es dem (auch 48 von mir) repräsentierten Erfahrungswissen, dass die Möglichkeiten gesundheitlicher Versorgung, Beschulung und Einklagbarkeit von vorenthaltenem Lohn a priori einen pull-Faktor darstellen resp. zu einer de facto „Verfestigung“ des Aufenthaltes ohne Aufenthaltsrecht und Duldung, i.e. zu einem Daueraufenthalt führen, denn hier muss nach Gruppierungen unterschieden werden: Die Gefahr einer „Verfestigung“ bestünde lediglich bei solchen Menschen, die in jedem Fall (auch jetzt schon) einen Langzeit-Aufenthalt anstreben (z.B. Flüchtlinge, aber auch Familienangehörige allgemein). Dies aber wäre genau jene Gruppierung, die von kriteriengeleiteten Legalisierungen resp. angemessener Neuregelung der Zuwanderungsbestimmungen erfasst würde. Alle übrigen Gruppierungen („Arbeitsmigranten“) haben keinerlei Interesse an Langzeit-Aufenthalten; sie haben nach wie vor ihren Lebensmittelpunkt in der Heimat, in die sie auch (nach unterschiedlich langen Arbeitsaufenthalten) zurückreisen. Zudem: Würde § 76 AuslG nicht modifiziert werden, dann würden Menschen (ohne Aufenthaltsrecht und Duldung) auf bloße Objekte im Rahmen einer konzeptionell verfassten Zuwanderungssteuerungspolitik reduziert werden. Dies widerspräche gefestigter höchstrichterlicher Rechtsmeinung zum Schutz der menschlichen Würde durch alle staatliche Gewalt (Art. 1 GG). Angesichts der großen Nachfrage des Schattenarbeitsmarktes nach Menschen ohne Aufenthaltsrecht und Duldung würden diese zum bloßen, faktisch rechtlosen „Mittel“, i.e. „Objekt“, marktwettbewerblicher Interessen bleiben resp. gemacht. 4.5. Liefen kriteriengeleitete Legalisierungen von Härtefällen Gefahr, dass hierdurch z.B. „das Asylrecht (...) von innen heraus ausgehöhlt“ würde resp. dass betroffene ausländische Staatsangehörige - wie es zuweilen heißt - „(...) - quasi als Belohnung für den Missbrauch des Asylrechts - begünstigt“ würden und zudem „eine unverantwortliche Anreizwirkung auf Ausländer, die noch in ihrem Heimatland sind“, ausüben könnten ? Auf die Erhebung von Steuern wird in Deutschland nicht deshalb verzichtet, weil damit Missbrauch getrieben werden kann. Insoweit geht es hier analog um die Regel, nicht um Ausnahmen, auch nicht nur um Asylbewerber. Wer das „Belohnungs-/Missbauchs-Argument“ im Munde führt, verkennt in Realität jeweilige „Einzelfall-Situationen“ bei z.B. unbegleitet eingereisten minderjährigen Flüchtlingen traumatisierten Flüchtlingen nichtstaatlicher, und dennoch politischer Verfolgung. 5. Zusammenfassung (Thesen) Der Problemkomplex "Illegalität" bedarf dringend seiner politischen Bearbeitung. Je länger er tabuisiert wird, umso gravierender die Folgen. Diese Bearbeitung setzt den konzertierten, sachlichen Einsatz kompetenter Kräfte in Staat und Gesellschaft voraus. Ein Konzept aus den Reihen der katholischen Kirche liegt vor, es bedarf dessen Erörterung und dort, wo notwendig, dessen Verbesserung. Insoweit geht es hier begrifflich um das (gleiche) Phänomen, das von Christian Schwarz-Schilling als „ungesetzliche Illegalität“ (im Gegensatz zur „gesetzlich geduldeten Illegalität“) bezeichnet wird (vgl. Christian Schwarz-Schilling; Thesenpapier; Mai 2001, Seite 25 ff.).