Krankheit des Arbeitnehmers – Ein Thema zwischen Betrug und Menschenwürde „Krank feiern“, „krank machen“! Wer kennt diese Begriffe nicht? Regelmäßig verbindet man damit einen Arbeitnehmer, der offiziell krankheitsbedingt der Arbeit fern bleibt, obwohl er nicht wirklich krank ist. Die Erfahrung lehrt, dass es leider solche Arbeitnehmer gibt. Dagegen kann man seitens der Arbeitgeber relativ wenig tun. Es ist vom Bundesarbeitsgericht für zulässig erachtet worden, dass ein Arbeitgeber sich für jede Erkrankung des Arbeitnehmers eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen lassen kann. Damit wird das Problem, nämlich zu entscheiden, ob ein Arbeitnehmer tatsächlich krank ist, auf den Arzt verlagert. Allerdings darf man von dieser Maßnahme keine Wunder erwarten. Denn einmal ist der den Arzt aufsuchende Patient auch dessen Kunde. Des weiteren droht jedem Arzt bei falscher Diagnose eine Arzthaftung. Allein diese beiden Phänomene führen dazu, dass man nicht zu große Erwartungen an die Bereitschaft eines Arztes hegen sollte, seine Patienten als Simulanten zu entlarven. Das heißt in der Praxis, legt ein Arbeitnehmer eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, hat der Arbeitgeber diese grundsätzlich zu akzeptieren. Es wird ihm nur ausnahmsweise gelingen, die Unrichtigkeit der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachzuweisen. Auf eine ganz andere Art problematisch ist der Umgang eines Arbeitgebers mit tatsächlich erkrankten Arbeitnehmern. Das Spektrum möglicher Erkrankungen ist riesengroß. Je nach Art der Erkrankung und abhängig von den sonstigen Lebensumständen können hier auf Seiten des Arbeitnehmers gewaltige Belastungen entstehen. Für den Betrieb, in welchem der erkrankte Arbeitnehmer beschäftigt ist, hat dies zunächst einmal nur zur Folge, dass der Arbeitnehmer fehlt. Des weiteren hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach Maßgabe des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kennt das deutsche Arbeitsrecht seit Jahrzehnten. Sie dürfte inzwischen gesellschaftlich als soziale Kulturleistung anerkannt sein. Jenseits der Entgeltfortzahlung kann aber das Thema Krankheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer problematisch werden. Zu nennen sind hier folgende Bereiche: So ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitsplatz so einzurichten, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht geschädigt wird. Des weiteren kann die Krankheit eines Arbeitnehmers die Berufs- und Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben. Und außerdem können häufige bzw. längerfristige krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten eine Kündigung des Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber rechtfertigen. Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, zu jedem dieser Themenbereiche ausführlich Stellung zu nehmen. Zu zwei Themenbereichen sind aber in den letzten Jahren höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, die für die Praxis weitreichende Folgen haben. Diese sollen nachfolgend kurz dargestellt werden. 1. Betriebliches Eingliederungsmanagement bei krankheitsbedingter Kündigung Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es zulässig, dass ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers wegen Krankheit 2 kündigen darf. Hierbei haben sich drei Arten von Kündigungsgründen wegen Krankheit herausgebildet: Die Kündigung wegen lang andauernder Krankheit, die Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankung und die Kündigung wegen krankheitsbedingter Leistungsminderung. Die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung wird in drei Stufen geprüft: Zunächst ist eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit erforderlich. Des weiteren müssen erhebliche Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen vorliegen. Abschließend hat auf der dritten Stufe eine Interessenabwägung zu erfolgen. Bei der Prognose über die künftige Arbeitsunfähigkeit ist zu entscheiden, ob der Arbeitnehmer wieder gesund wird oder wenigstens in absehbarer Zeit mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit zu rechnen ist. Ist dies zu bejahen, kommt eine Kündigung wegen Krankheit nicht in Frage. Ist die Frage hingegen zu verneinen, ist die Zukunftsprognose bezüglich der zukünftigen Arbeitsunfähigkeit negativ. In diesem Fall muss auf der zweiten Stufe geprüft werden, ob erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen vorliegen. Dies können Betriebsablaufsstörungen sein, als auch wirtschaftliche Belastungen, wie z.B. außerordentlich hohe Lohnfortzahlungskosten. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12.04.2002 (Az.: II AZR 148/01) ist von einer Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen in aller Regel auch ohne weitere Darlegung auszugehen, wenn bei Ausspruch der Kündigung für die nächsten 24 Monate nicht mit einer günstigeren Prognose zu rechnen ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose ist der Ausspruch der Kündigung. Davor liegende Krankheitszeiten bleiben in diesem Zusammenhang außer Betracht. Auf der dritten Stufe der Prüfung ist dann eine Interessenabwägung vorzunehmen. Hier ist zu prüfen, ob die durch Krankheit verursachten Belastungen betrieblicher Interessen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls vom Arbeitgeber noch hinzunehmen sind oder ein solches Ausmaß erreicht haben, dass sie nicht mehr zugemutet werden können. Dabei gilt, dass eine Kündigung immer nur das letzte Mittel sein soll. Danach ist eine Kündigung erst dann erforderlich, wenn sie nicht durch mildere Mittel zu vermeiden ist. Eine Kündigung ist daher nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. An dieser Stelle kommt nun das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement ins Spiel. Geregelt ist das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement in § 84 Abs. 2 SGB IX. Es wurde überhaupt erst durch Gesetzesänderung im Jahre 2004 erstmalig in das SGB eingeführt. Formell angesiedelt ist das betriebliche Eingliederungsmanagement im Schwerbehindertenrecht. Danach ist ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement erforderlich, wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig krank ist. In einem solchen 3 Fall hat der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung (sofern es sie gibt) und mit dem betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneute Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Nach Einführung ins SGB IX stellte sich sehr schnell die Frage, inwieweit dieses Wiedereingliederungsmanagement nicht nur für erkrankte schwerbehinderte Arbeitnehmer durchzuführen ist, sondern für alle Arbeitnehmer. Mit Urteil vom 07.12.2006 (Az.: II AZR 182/06) entschied das Bundesarbeitsgericht, dass die Durchführung eines betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung. Das heißt, eine Kündigung wegen Krankheit ist grundsätzlich nicht deswegen unwirksam, weil ein Präventionsverfahren nicht durchgeführt wurde. Andererseits stellte das Bundesarbeitsgericht klar, dass § 84 SGB IX keine reine Ordnungsvorschrift ist, deren Missachtung auf jeden Fall folgenlos bleibt. Mit Urteil vom 12.07.2007 (Az.: II AZR 716/06) konkretisierte dann das Bundesarbeitsgericht seine Haltung. Danach gilt das Erfordernis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements für alle Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen sind, und nicht nur für die behinderten Arbeitskräfte. Durch die dem Arbeitgeber gem. § 84 Abs. 2 SGB IX auferlegten besonderen Verhaltenspflichten soll möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines kranken Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden. Erforderlich ist aber, dass durch Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements überhaupt die Möglichkeit bestanden hat, den erkrankten Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen. Liegt eine solche alternative Beschäftigungsmöglichkeit nicht vor, muss auch kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt werden. Daher besteht keine Pflicht zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements, wenn dadurch die Kündigung auch nicht hätte verhindert werden können. Ob nun ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden ist oder nicht, hat allerdings Folgen für die Darlegens- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess. Nach bisheriger Rechtsprechung war es Sache des Arbeitnehmers darzulegen und zu beweisen, ob eine anderweitige Beschäftigung bestanden hat. Der Arbeitgeber brauchte nur pauschal zu behaupten, es bestehe keine andere Beschäftigungsmöglichkeit. Seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12.07.2007 (Az.: II AZR 716/06) gilt dies so nun nicht mehr. Hat nämlich der Arbeitgeber bei einer Kündigung wegen Krankheit vorher kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, darf er sich durch seine dem Gesetz widersprechende Untätigkeit keine Vorteile bei der Darlegungs- und Beweislast verschaffen. In diesem Fall kann er sich nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine freien Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer aufgrund seines Erkrankung noch ausfüllen könnte. Vielmehr bedarf es nun eines umfassenden konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz. Er muss auch darlegen und beweisen, warum eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen und der Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Dies zwingt den Arbeitgeber, sich mit jedem 4 längere Zeit erkrankten Arbeitnehmer auseinanderzusetzen, will er langfristig keine rechtlichen Nachteile erleiden. Umgekehrt führt im Idealfall die Auseinandersetzung dazu, dass Arbeitsplätze bedarfsgerecht eingerichtet bzw. geschaffen werden. Und dies wäre zweifelsohne ein beachtenswerter Beitrag zum menschenwürdigen Umgang mit erkrankten Arbeitnehmern. 2. Erhaltung des Urlaubsanspruchs eines erkrankten Arbeitnehmers Viele Arbeitgeber blieben in der Vergangenheit bei auf lange Zeit erkrankten Arbeitnehmern sowohl bezüglich der betrieblichen Wiedereingliederung als auch bezüglich eines Ausspruchs einer Kündigung untätig, weil sie sich von diesen Arbeitnehmern kostenmäßig nicht sonderlich belastet fühlten. War ein Arbeitnehmer erst einmal länger als sechs Wochen krank, fiel er aus der Entgeltfortzahlung heraus. Anschließend hatte er zeitlich befristet Anspruch auf Krankengeld. War der Arbeitnehmer anschließend immer noch krank, konnte dies zu erheblichen finanziellen Nachteilen auf Seiten des Arbeitnehmers führen. Er war nämlich nun mit der Frage konfrontiert, von welcher Stelle er jetzt noch Geld zum Lebensunterhalt bekommt. Der Arbeitgeber jedenfalls musste den Arbeitnehmer weder beschäftigen noch bezahlen. Mit Urteil vom 29.10.1998 (Az.: II AZR 666/97) entschied das Bundesarbeitsgericht, dass ein Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, einem Arbeitnehmer Arbeitsentgelt zu zahlen, der objektiv aus gesundheitlichen Gründen außerstande ist, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Mit dieser Untätigkeit könnte es nun vorbei sein. Mit Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20.01.2009 (Az.: C 350/06 und C 520/06) entschied dieser, dass Arbeitnehmern bei Vertragsende deren Urlaub finanziell abzugelten ist, wenn diese wegen Krankheit keinen bezahlten Jahresurlaub bekommen haben. Das Urteil erging zwar konkret zum Urlaubsrecht, hat aber weitreichende Folgen hinsichtlich der Behandlung kranker Arbeitnehmer. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat sich inzwischen auch das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 24.03.2009 (Az.: 9 AZR 983/07) angeschlossen. Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes lag ein Fall zugrunde, wonach ein Arbeitnehmer im Juni 2006 einen Schlaganfall erlitten hatte, aufgrund dessen er bis Ende August 2007 ununterbrochen arbeitsunfähig krank war. Das Arbeitsverhältnis endete wirksam durch Kündigung des Arbeitgebers. Nach altem Recht wären nach § 7 Abs. 3 Satz 2 Bundesurlaubsgesetz die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers aus dem Jahre 2006 spätestens am 31.03.2007 erloschen. Ein derartiges Erlöschen hält der Europäische Gerichtshof mit Europarecht für unvereinbar. Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht angeschlossen. Danach gilt folgendes: Der Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Voll- oder Teilurlaubs erlischt nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist und deshalb der Urlaub nicht mehr genommen werden kann. Dies hat nun weitreichende Folgen für das Arbeitsverhältnis von Langzeitkranken. Konnte bis jetzt der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die Urlaubsansprüche bei einem Langzeiterkrankten spätestens am 31.03. des Folgejahres erlöschen, gilt dies nun nicht mehr. Vielmehr baut der langzeiterkrankte Arbeitnehmer nun jährlich Urlaubsansprüche auf, und zwar unabhängig davon, ob er zwischenzeitlich auch nur einen Tag im Betrieb seines Arbeitgebers gearbeitet hat. 5 Kostete in der Vergangenheit der langzeiterkrankte Arbeitnehmer nichts, erlangt er nun jährlich Urlaubsansprüche wenigstens in Höhe des gesetzlich vorgeschriebenen Mindesturlaubs. Bisher ergingen nur Urteile zur Urlaubsabgeltung, dass heißt zur Bezahlung von Urlaubsansprüchen bei Ausscheiden des Arbeitnehmers. Noch völlig ungeklärt ist im Moment, was mit den Urlaubsansprüchen von langzeitkranken Arbeitnehmern passieren soll, deren Arbeitsverhältnis noch besteht. Bis wann muss der übertragene Urlaub in Anspruch genommen werden? Ist der Urlaubsanspruch Ausschluss- und Verjährungsfristen unterworfen? Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Ein Arbeitgeber muss sich daher bei einem Langzeitkranken darauf einstellen, dass er auf jeden Fall für drei Jahre mit Urlaubsansprüchen rechnen muss. Sollten die Verjährungsfristen nicht gelten, könnte dies sogar noch zu weit höheren Urlaubsansprüchen führen. Arbeitgeber werden also zukünftig sich mit der Frage beschäftigen müssen, wie sie mit langzeiterkrankten Arbeitnehmern verfahren wollen. Fazit: Wie oben dargestellt reicht das Thema Krankheit vom Betrug bis zur Menschenwürde. Erstaunlich dabei ist, dass man selbst bei scheinbar ausgereizten Rechtsfragen nicht vor Überraschungen gefeit ist. P.S.: Bitte beim Autorenlogo bei mir folgendes ändern: Bitte bei der Zulassung die Angabe Bayer.Oberstes Landesgericht streichen. Dieses Gericht gibt es Dank Herrn Stoiber nicht mehr. Des weiteren meine Homepageadresse ändern in www.ra-stemke.de