Willensfreiheit Pro und Contra Bericht und Kritik vom Symposium turmdersinne 2004 Freier Wille - frommer Wunsch? Gehirn und Willensfreiheit von Rudolf Sponsel, Erlangen (1) Das war ein grundsätzlich betrachtet sehr interessantes und vielfach lehrreiches Symposium zum Thema Willensfreiheit. Zusammenfassungen der Referate und Hinweise kann man der Homepage turmdersinne entnehmen. Der Schwerpunkt meines Berichts wird daher hauptsächlich kritischer Natur sein. Die Atmosphäre war gut, streckenweise scheinen rund 500 TeilnehmerInnen - interessierte Laien, Mediziner-, Physiker-, Psycholog-, Psychiater-, Psychotherapeut-, Neurobiolog-, Philosoph-, Jurist- Theolog- und KognitionswissenschaftlerInnen - aus dem ganzen deutschen Sprachenraum teilgenommen zu haben, was für ein großes Interesse spricht. Das Thema Willensfreiheit ist seit einiger Zeit wissenschaftlich sehr in Mode gekommen, was ein offensichtlich großer Teil der akademischen Psychologie verschlafen hat und nunmehr konsterniert feststellen muß, daß einige große psychologische Themen von anderen Wissenschaften aufgegriffen und ausgearbeitet werden. (2) Die Auswahl der überwiegend als hochkarätig bewerteten ReferentInnen - allesamt gute Redner- und PräsentierInnen - war etwas einseitig. So fehlten SoziologInnen, PraktikerInnen und wenigstens eine PsychotherapeutIn, aber auch methodenkritische ExperimentalpsychologInnen. (3) Und sehr enttäuschend war, daß keine einzige ReferentIn sich darum bemühte, "den" freien Willen operational zu definieren und auf dieser Basis experimentelle Entscheidungsversuchspläne zu entwickeln. Den Versuch von Libet kannten natürlich alle, niemand sah sich aber veranlaßt, diesen Versuch im Detail kritisch zu untersuchen. Zumindest von Prinz - "Kritik des freien Willens. Warum es ihn eigentlich nicht gibt, praktisch aber doch" - wäre dies zu erwarten gewesen. Wenn es Experimente gibt, die nach Auffassung der NeurobiologInnen gegen die Willensfreiheit sprechen, so sollten im Prinzip auch solche formulier- und konstruierbar sein, deren Ausgang für die Willensfreiheit spricht. Es scheint aber unter den NeuroscientistInnen niemanden zu geben, der zu klaren operationalen Definitionen und experimentellen Entscheidungsversuchsplänen willens oder in der Lage scheint. So wurschtelt man naturwüchsig irgendwie vor sich hin und verkauft das Ganze auch noch sehr erfolgreich als Wissenschaft. Am meisten verblüfft war ich vom Vortrag von Prinz, zwar glänzend gehalten, in mehrerlei Hinsicht: (3.1) freier Wille wurde nicht operational definiert, (3.2) es wurden keine Wahlexperimente thematisiert, obwohl eine klassische psychologische Definition ja bedeutet, frei heißt auswählen können. (3.3) Ja, Prinz behauptete sogar, der freie Wille sei kein Untersuchungsgegenstand der Wissenschaft Psychologie. Damit nimmt er dogmatisch vorweg, was er doch eigentlich kritisch untersuchen und belegen sollte. Ich konfrontierte ihn daher in der Diskussion mit einem 'Life-Experiment WAZ' (oBdA): WAZ-Experiment Linken Arm heben {ich zeige es und hebe den linken Arm}sei Wappen, rechten Arm heben {ich zeige es und hebe den rechten Arm}bedeute Zahl in Simulation Ich möchte nun einen Münzwurf simulieren, sagen Sie bitte Wappen oder Zahl." Professor Prinz entscheidet sich für "Zahl". Ich tue daraufhin gar nichts, und sage dies auch mit den Worten: "Ich habe meine Meinung geändert" und dies sei Ausdruck meiner Willensfreiheit. Prinz: "Schwer zu beurteilen. Da kann man viel dazu sagen." Prinz faßte seine Position in eine sehr eindrucksvolle Metapher, als er fragte: "Hat der Mensch Räder?" und antwortete: "Eigentlich nicht, praktisch aber doch." ... wenn man ans Rad, Fahrrad und Auto denkt. Das ist zugegebenermaßen eine sehr schöne rhetorische und metaphorische Figur, aber ist es auch eine zutreffende Analogie? Räder hat sich der Mensch technisch geschaffen, wie ein Werkzeug. Kann die Konstruktion des freien Willens auch als ein solches Werkzeug aufgefaßt werden? Die Analogie wäre dann wirklich überzeugend, wenn das Werkzeug tatsächlich zu freien Entscheidungen führte, wie ein Auto tatsächlich zum Fahren auf Rädern führt. Das meint Prinz aber nicht. Freier Wille wird nicht technisch erfunden und angeeignet, wie ein Rad, sondern bleibt, aus Prinzens wissenschaftlicher Perspektive gesehen eine Illusion, die aber, das gestehen fast alle zu, sehr nützlich und angenehm sein kann, vergleichbar etwa dem Glauben an Gott, an ein Weiterleben nach dem Tode, ans Paradies ... Anmerkung: Prinz Position 1995. (4) Ein ganz schlimmer und kaum verständlicher methodologischer Fehler, der von NeurowissenschaftlerInnen sehr gerne gemacht wird, wurde von Prof. Walkowiak eindrucksvoll demonstriert, wenn er etwa ohne weitere Erläuterung oder Begründung vom Begriff "freier Wille" zu "bewußter Wille" übergeht, als ob es eine nicht weiter begründbare, zu begründende oder ausgemachte Tatsache sei, daß freier Wille dem bewußten Willen gleich zu setzen ist. Freier Wille muß sich nicht zwingend im bewußten Erleben abspielen, das genau zu untersuchen, erfordert eben klare operationale Definitionen. Kritik in der Diskussion an diesem, seinen Vorgehen schien er nicht zu verstehen. Es ist eben keineswegs klar oder auch nur versuchsweise expliziert, daß "freier Wille" gleich "bewußter Wille" ist. Das ist erst recht gefordert, wenn man die Entscheidungen ins Unbewußte verlagert und das Bewußtsein als unbedeutendes und nachgeordnetes Epiphänomen sieht. Das Bewußtsein kann einerseits als letztes Glied in einem mentalen Ring (nicht zwingend Kette, wie man gerne nicht immer zweckmäßig metaphert) und andererseits aber auch wieder Ausgangs- und Anfangsglied für neue Prozesse in einer ständigen Rückkopplungsschleife [Modellveranschaulichung] des Seele-Geist-Körper[Umwelt, wie Tetens schön zeigte] Systems vorgestellt werden. Hier wären sorgfältige psychologische Begriffsunterscheidungen - wie etwa von Düker seine Willensexperimente konzipierte - Aufgabe, Entscheidungsprozeß, Entscheidung, Entschluß, Handlung nötig. NeurowissenschaftlerInnen haben aber im allgemeinen keine bis wenig Ahnung von der (experimentellen) Willens-, Entscheidungs- und Handlungs- Psychologie, was man auch an den nachgerade phantastischen Deutungen zu Libets Experiment sehen kann. Die nicht selten etwas laxe und vieldeutige metaphorische Ausdrucksweise einiger NeurowissenschaftlerInnen - etwa Singers Das Gehirn denkt sich; das Gehirn entscheidet und ähnlicher Unsinn - wurde auch von VerneinerInnen der Willensfreiheit zugestanden, allerdings bagatellisiert. Anmerkung: Ähnlicher Fehler bei Neumann & Prinz 1987. (5a) Die Problematik freier Wille und Bewußtheit schien auch Professor Engel weder einer kritischen Untersuchung noch einer Problematisierung würdig. Auf die Frage, ob er Studien kenne, die den freien Willen im unbewußten Bereich untersuchten, und falls nicht, ob es dann überraschend wäre, wenn man darüber eben nichts wüßte und auch nichts sagen könnte, gab er zu erkennen, daß er diese Möglichkeit für Unsinn halte. Dem halte ich entgegen, daß ich es für Unsinn halte, eine Meinung zu äußern über ein Gebiet, das man gar nicht untersucht hat. Denn bei so grundlegenden Fragen, ob, wie, wo der freie Wille im Gehirn etabliert sein könnte, wieso sollte hier ein dogmatisches Vorurteil das Geschäft der Wissenschaft ersetzen? Erst recht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß eines der Ergebnisse der neurobiologischen Hirnforschung das ist, daß die allermeisten Prozesse im Gehirn nicht bewußt ablaufen. Wie sollte der freie Wille nicht eine komplizierte Sequenz vielfach vernetzter bewußter und unbewußter neuronaler Repräsentationen sein? Wenn niemand sich einen Untersuchungsplan ausgedacht hat, zu erforschen, wie freier Wille unbewußt repräsentiert sein könnte, wieso sollte man dann einfach annehmen dürfen, etwas sei so, wie man es sich einfach so - vorurteilsmotiviert - denke? (5b) Sehr interessant für mich als auch forensisch tätigen Psychologen war die Darstellung der Versuche zur Aufmerksamkeitslücke, wobei auch die P300 Welle, die neuerdings zur Entwicklung einer Brain fingerprint Methode (Farwell) in den USA führte und die Mitteilung Professor Engels, daß die Ergebnisse der Aufmerksamkeitslückenmethode auch Raum gegen Farwells Brain fingerprint Methode ließen. (5c) Insgesamt fühlte ich mich bei diesem Vortrag Gehirn, Zeit und Bewusstsein. Zur funktionellen Rolle neuronaler Synchronisationsprozesse in eine Physiologievorlesung versetzt. Das war zwar alles ganz spannend und interessant, das Thema freier Wille wurde aber nur sehr bruchstückhaft zum Schluß berührt, so daß mir letztlich der Bezug zum Symposiumsthema nicht recht einsichtig war. (6) Einige sprachen gar nicht zu dem Thema, das ausgewiesen war. So wäre es etwa spannend gewesen, von Professor Wuketits zu erfahren, wie sich denn bei unserem Vetter, dem Affen, Willensfreiheit untersuchen und beurteilen ließe. Die Mehrzahl der ReferentInnen schien sich aber zu kennen und sie erweckten den Eindruck, als sei es vollkommen klar, daß es keinen freien Willen gäbe, so daß sogar hin wieder ein rhetorisches Klagen anhob, wann denn nun endlich einmal eine ReferentIn käme, die endlich - rhetorisch herbeigesehnt - den freien Willen verteidigen und vertreten würde. Das geschah dann erst am Sonntag einmal durch den Theologen Professor Schockenhoff, der zu meiner Überraschung wissenschaftstheoretisch mit die kritischste Position einnahm und zum anderen auch durch Professor Kettner mit seinem Referat Selbstbestimmung. Das latente Thema der Willensfreiheit. Die hübsche Metapher des Einhorns (gibt es das Einhorn? Eigentlich nicht, als Phantasie aber doch) von Professor Prinz scheint auf die - freiwillige oder wodurch determinierte? - ReferentInnenauswahl überwiegend zuzutreffen: man blies weitgehend in ein Horn, die Willensfreiheit sei nur eine nützliche Fiktion. Umso bedeutsamer erwiesen sich die gesellschaftskritisch realistischen und soziologisch nachvollziehbaren Bedenken, die Professor Kettner thematisierte, alle anderen ReferentInnen scheinen in einer anderen heilen Welt zu leben, obschon doch die Heftigkeit der öffentlichen Debatte nicht nur als ein Sturm im Wasserglas von KathederwissenschaftlerInnen bewertet werden sollte. Willensfreiheit ist 'in' und zwar auch, aber nicht nur eine Modeströmung in der Wissenschaft. Hier sind Weltanschauungen und Weltbilder, Ideologien und auch tiefgreifender das Selbstverständnis vieler Menschen berührt. (7) Zufall und Wahrscheinlichkeit spielte merkwürdigerweise keine besondere Rolle, obwohl die Chaostheorie des öfteren in der Diskussion ins Spiel gebracht wurde. Schon die bloße Tatsache, daß man sein Handeln nach außen verlagern und von Zufallsgeneratoren abhängig machen kann (Zufallsexperiment, WAZ-Experiment) aber auch das allgemeine Phänomen zufälliger (Un)- Bestimmtheit hätte eine Erörterung verdient, wobei eine Tagung natürlich nicht alles leisten kann. (8) Walde (Was ist Willensfreiheit? Freiheitskonzepte zwischen Determinismus und Indeterminismus) und Walter (Marionetten des eigenen Gehirns? Zur Neurophilosophie der Willensfreiheit) arbeiteten die verschiedenen philosophischen Positionen und Standpunkte übersichtlich heraus. Demnach gibt es im wesentlichen den Determinismus und seine Kombination mit der Willensfreiheit. Der Deterministische Standpunkt, der Willensfreiheit zuläßt, heißt Kompatibilismus (verträglich), die Variante, die Willensfreiheit ausschließt, Inkompatiibilismus (unverträglich). Die philosophischen Positionen und Debatten führen aber sicher nicht weiter, deshalb kann man sie im Prinzip vernachlässigen. Sofern Positionen Kriterien enthalten, die grundsätzlich nicht erfüllbar sind wie z.B. "unter identischen Bedingungen", sind solche Debatten sinnlos. Willensfreiheit kann überhaupt nur sinnvoll durch empirisch-experimentelle Wissenschaften untersucht werden und hierzu können PhilosophInnen keine originär sachdienlichen Beiträge leisten, aber mit kritischer Reflexion helfen. (9) Prof. Tetens wollte uns mit seinem sehr interessanten Vortrag - Freiheitsbegriff und Lebenspraxis. Ändert sich etwas für uns, wenn wir nicht frei sind? - glauben machen, daß sich im Grunde ja gar nichts verändert, wenn die Menschheit das Postulat der Willensfreiheit fallen ließe. Obwohl auch er in der Podiumsdiskussion einräumt, daß wir heute vor großen und bedeutsamen Veränderungen in der Wissenschaft stehen. Viele NeurowissenschaftlerInnen sprechen sogar davon, daß die - angebliche - "Widerlegung" der Willensfreiheit nach Kopernikus, Darwin und Freud als die vierte große und letzte Kränkung und Desillusionierung des Menschen angesehen werden kann. Siehe: Konsequenzen, wenn es keine Willensfreiheit gibt. (10) Nicht beurteilen kann ich Professor Kanitscheiders Referat (Was können wir tun? Willens- und Handlungsfreiheit in naturalistischer Perspektive) weil ich es weitgehend nicht verstanden habe. So blieb für mich offen, was wir tun können, obschon es mich sehr interessiert. (11) Sehr interessant, besonders die weitreichenden historischen Ausführungen zur Ratgeberliteratur, speziell in Sachen Willen war das Referat von Frau Professor Maasen (Entscheiden Sie sich! Wie Ratgeber den Willen trainieren - gestern und heute) wobei aber nicht so recht klar wurde, wozu die Ratgeber gut sein sollen, wenn es doch keinen freien Willen gibt. Hier wäre es doch sehr interessant gewesen, zu untersuchen, in welcher Weise Willensratgeber und Selbstmanagement nutzen können, wenn man sich im Lichte der Neurowissenschaft doch gar nicht selber managen kann. (12) In meiner forensischen Funktion war ich auf den Vortrag - Willensfreiheit und Schuld. Konsequenzen für das Strafrecht? - von Professor Merkel besonders gespannt. Auch er vertrat die Position, daß es keine Willensfreiheit gibt und daher auch keine vorwerfbare Schuld. Das Schuld- und damit das Sühneprinzip entfiele, sonst könne alles beim Altem bleiben. Das Frankfurt-Gedankenexperiment, wonach ein betrunkener Autofahrer einen Fußgänger notwendig töten muß, weil ein gedachter Dämon, wenn er bremste, die Bremsen außer Kraft setzen könnte, hinkt insofern, weil er ja, wenn er bremste, keine Tötungsabsicht hätte und die Tötung dem Dämon anzulasten wäre. Der Fahrer hätte also allenfalls wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt werden können. (13) Podiumsdiskussion: Zwischen Freiheit und Determiniertheit: Wo steht der Mensch? (Zusammenfassung) Podium: Prof. Dr. Bernulf Kanitscheider, Prof. Dr. Matthias Kettner, Prof. Dr. Reinhard Merkel, Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff, Prof. Dr. Holm Tetens, Dr. Dr. Henrik Walter. Moderation: Dr. Carsten Könneker (Chefredakteur Gehirn und Geist). In der Diskussion zeigten sich die Positionen sehr schnell klar. Das Ergebnis läßt sich einfach, kurz und dicht durch die Reaktionen der Podiumsteilnehmer auf die Frage von Irmgard Rathsmann-Sponsel darstellen. Sie fragte: "Wir haben gestern und heute sehr viel darüber gehört, wer von Ihnen wann, wo und in welchem Zug auf welchen Knopf gedrückt hat. Das hat in mir eine Frage ausgelöst, auf die ich gerne von Ihnen allen ein kurzes Signal als Antwort hätte: Hatten Sie die Wahl, die Einladung zu diesem Symposium anzunehmen oder abzulehnen? Mir genügt als Signal, wenn Sie alle mit dem Kopf nicken." Es nickten deutlich die Prof. Schockenhoff und Kettner. Die Prof. Merkel, Tetens und Walter zeigten eine klare Steife und Nickhemmung. Bei Prof. Kanitscheider hatten Rudolf Sponsel und Irmgard Rathsmann-Sponsel einen selektiven Wahrnehmungskonflikt. Sponsel meinte, Prof. Kanitscheider habe nicht genickt, Rathsmann-Sponsel meinte, er habe genickt. Eine Mailnachfrage, ob er denn nun genickt habe oder nicht, blieb bislang unbeantwortet. Nachtrag: Am 12.10.4 bestätigt Prof. Kanitscheider per Mail sein Nicken. *** Eine besondere Köstlichkeit am Samstag Abend war ohne Zweifel das Kabarett Abendprogramm Oliver Tissot (Freier Wille - frommer Wunsch? Viele Freier ... wünschen Fromms!). Wir haben wirklich sehr gelacht. Nach-Gedanken ... Welten und Perspektiven unter denen ein Sachverhalt betrachtet werden kann Das Perspektivenproblem wurde auf dieser Tagung sehr unzulänglich und wenig problembewußt erörtert. Möglicherweise sahen die meisten ReferentInnen hier aber auch kein Problem bzw. ein leicht aufklärbares, wenn man sich denn präzisierte. Grundbedingungen einer vernünftigen Untersuchung der Willensfreiheit Klärung und experimentell verwertbare Operationalisierungen solcher Begriffe wie "Ich", "mich", "Selbst", "wir", "uns", "reflektieren", "entscheiden, "entschließen", "handeln", "frei", "absichtlich", "unabsichtlich", "bewußt", "unbewußt", "unterbewußt", "nicht bewußt", "kausal", "Kausalkette", "vergleichbare Bedingungen" u.a.m. Im Grunde funktioniert das nur mit einer psychologischen und neurobiologischen Theorie der Psyche und des Menschen. Hierbei sind die Termini streng zu unterscheiden, unter welcher Perspektive [Perspektiven, Welten, Terminologie] ein Sachverhalt und Terminus betrachtet wird. Damit möglichst wenig kommunikative Verwirrung und Unklarheiten entstehen, sollten die Begriffe bezüglich ihrer Perspektive auch indiziert werden, z.B. für Angst oder Wahn. Willensfreiheit und Psychotherapie am Beispiel der Bewußtseinslenkung Mentales Training, Gedankenstopp, Selbstreflexion, Selbstkontrolle, Selbstlenkung, Selbstmanagement Die Idee der Willensfreiheit ist optimistisch und fördert die Möglichkeiten der Selbstbestimmung, ja ermöglicht überhaupt erst so etwas wie Kontrollüberzeugungen in Bezug auf sich selbst. So gesehen ist Holm Tetens' Phantasie, es änderte sich gar nichts, wenn man das Konzept der Willensfreiheit aufgäbe, ziemlich sicher nicht nur sehr naiv und ganz falsch, sondern auch destruktiv und fatal jedenfalls für die Psychotherapie. Nehmen wir zum Beispiel die kognitive Verhaltenstherapie bei Zwangskranken. Sie beruht im Kern auf zwei Therapieprinzipien: Konfrontation und Reaktionsverhinderung. Inwiefern ist hier gleich zweimal die praktische Version der Willensfreiheit erforderlich? Die Therapie setzt voraus, daß die Zwangskranke die Wahl hat, sich (1) so oder so zu konfrontieren oder nicht und (2) daß sie ihre übliche, als unerwünscht bewertete Reaktion verhindern kann. Die Idee dahinter ist simpel: es wird ein Regelkreis - therapeutisch meist Teufelfskreis genannt unterbrochen. Was bedeutet das im neuronalen Modell? Bestimmte Verknüpfungen, PhysiologInnen könnten von Bahnung besprechen, werden durch verminderte Inanspruchnahmen mehr und mehr gehemmt, bis die quasi automatisierten Verknüpfungen verhaltenstherapeutisch gesprochen - "gelöscht" sind. Die Rolle des Glaubens auf der Metaebene Glauben heißt für wahr halten, ohne zu wissen, eine unverzichtbare Funktion im Leben. Glaube ich an die Wirkung meiner Handlung, dann tue ich sie oft auch. Glaube ich nicht daran, werde ich in den meisten Fällen nicht handeln. So betrachtet führen Überzeugungen und Glauben zu gewissen Handlungen oder nicht. Unser Tun und Lassen, ist sehr vom Glauben bestimmt. So betrachtet kann man sagen: wer viel glaubt, erweitert seine Freiheitsgrade, möglicherweise aber auch seine Möglichkeiten zum Mißerfolg, woran er aber seinen Glauben korrigieren könnte. Konsequenzen, wenn es keine Willensfreiheit gibt Willensanstrengungen erscheinen sinnlos. Entscheidungsfinden macht keinen Sinn. Sich selbst organisieren wird überflüssig. Selbskontrolle erscheint als Fiktion, Selbstmanagement im Grunde aussichtslos. Vorwerfbare Schuld entfällt. Verantwortung gibt es nicht mehr. Fatalismus und Schicksalsglauben wird der Boden bereitet. Das Selbstverständnis des Menschen wird in seinen Grundlagen zutiefst erschüttert, wenn ihm die Idee der Autonomie und Selbstbestimmung genommen wird. Wohlgemerkt: Das darf auch ruhig sein, wenn es wirklich gut begründet ist. Was die NeurobiologInnen und DeterministInnen anzubieten haben, ist allerdings alles andere als gut begründet, da scheint sich eher eine neue szientistische Religion zu etablieren. Und da, meine ich, ist die alte besser. Die Aufgabe der Zukunft: einen Automaten oder Roboter mit freiem Willen bauen Am besten entscheidet man das Problem zur Willensfreiheit, indem man einen Roboter oder Automaten baut, der Modelle der Willensfreiheit repräsentieren kann. Anmerkungen und Endnoten ___ Libet Versuch. Die Deutsche Gesellschaft für Verhaltensmedizin und Verhaltensmodifikation – DGVM in Zusammenarbeit mit der Deutschen Ärztlichen Gesellschaft für Verhaltenstherapie stellt zu ihrem Aufruf "Call for Papers" für ihren 10. Kongress, hier zum Thema "Freier Wille und Biologische Regulation" Materialien zum freien Willen zur Verfügung und führt zum Libet-Experiment aus: "Ein immer wieder zitiertes Experiment wurde von Benjamin Libet in den 1980er Jahren durchgeführt. Die Probanden wurden gebeten, zu einem beliebigen Moment das Handgelenk zu bewegen, während gleichzeitig die Gehirnaktivitäten aufgezeichnet wurden. Libet fand heraus, dass die Gehirnaktivität, die dazu führte, dass die Person ihr Handgelenk bewegt, etwa eine halbe Sekunde vor dem Moment einsetzte, in dem die Person angaben, sich bewusst dazu entschlossen zu haben. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Entscheidung in Wirklichkeit auf einer unbewussten Ebene stattfindet und erst später in eine "bewusste Entscheidung" übersetzt wird. Ein damit zusammenhängendes Experiment wurde später von Alvaro Pascual-Leone durchgeführt, bei dem die Probanden gebeten wurden, zufällig die rechte oder die linke Hand zu bewegen. Er fand heraus, dass durch die Stimulation der verschiedenen Hirnhälften mittels magnetischer Felder die Wahl der Person stark beeinflusst werden konnte. Genau genommen zeigen diese Experimente nicht, dass es keinen freien Willen gibt. Das wäre nur dann der Fall, wenn Entscheidungen singuläre, zeitlich genau bestimmbare Ereignisse wären. Aber auch aus der alltäglichen Erfahrung weiß man, dass Entscheidungsprozesse durchaus komplex und langwierig sein können. Die "bewusste Entscheidung" könnte einfach als die letzte Stufe eines Entscheidungsprozesses gesehen werden, der wesentlich früher begonnen hat. Genauso zeigen die Experimente von Alvaro Pascual-Leone lediglich, dass eine Beeinflussung möglich ist. Normalerweise wählen Rechtshänder die rechte Hand in ca. 60% aller Fälle. Wurde jedoch die rechte Hirnhälfte stimuliert, wurde die linke Hand in 80% aller Fälle ausgewählt (die rechte Hemisphäre des Hirns ist im wesentlichen für die linke Körperhälfte zuständig und umgekehrt). Trotz dieses nachweislichen Einflusses von außen berichteten die Probanden weiterhin, dass sie der Überzeugung waren, die Wahl frei getroffen zu haben." Kritisch zu den neurobiologischen Experimenten: Ansgar Beckmann: http://www.uni-bielefeld.de/philosophie/personen/beckermann/wille2_v2.pdf RS: Aus dem Zeitpunkt der Bewußtwerdung folgt überhaupt nichts für den freien Willen. Und aus den Libet'schen Experimenten folgt das schon zweimal nicht, da die Entscheidung, die Aufgabe als Versuchsperson zu erfüllen, ja nach der Instruktion, die ja bei dieser Art Experimente bewußt wahrgenommen werden muß, getroffen wird. Es folgt dann der Handlungsentschluß, der der Bewußtwerdung natürlich vorausgeht. ___ Life-Experiment WAZ. [W=Wappen, A=Anderes, Z=Zahl]. Eine vereinfachte und verschärfte Variante des Experiments hier. Das 'Experiment' hat es insofern in sich, weil eine Entscheidung an eine äußere Zufallsinstanz delegiert wird. Wo bleibt hier der Determinismus, zumindest dann, wenn die Zufallsentscheidung korrekt befolgt wird? Hier wird ja nicht konkret entschieden, sondern über eine Menge sich ausschließender Alternativen. Eine Versuchsperson hat insgesamt folgende Möglichkeiten oBdA: (1) den richtigen Arm heben, (2) den falschen Arm heben, (3) etwas ganz anderes tun. Jede Variante ist willenfreiheitspsychologisch interessant. Die Tatsache, daß wir unser Verhalten an äußere Zufallsgeneratoren abgeben können, aber nicht müssen, kann als eine operationale Definition für Willensfreiheit mit Indizierung genau dieses 'Experiments' dienen, also WFWAZ. ___ forensisch. 60% meiner Tätigkeit ist psychotherapeutisch, 20% wissenschaftlich und publizistisch, 15% forensisch (Familienrecht, Aussagepsychologie) und 5% verkehrspsychologisch. ___ Ähnlicher Fehler bei Neumann & Prinz 1987. In der auch psychologiegeschichtlich sehr interessanten Arbeit "Kognitive Antezedenzien von Willkürhandlungen" (in), wonach sich sogar schon Hugo Münsterberg (1889, S. 173) kritisch gegen die Willensfreiheit äußerte ("Wenn wir den Reiz appercipieren, haben wir für gewöhnlich schon auf denselben zu reagieren begonnen"), schreiben Neumann & Prinz (S. 206; kursiv-fette Hervorhebung von RS): "Wenn, wie die berichteten Befunde es vermuten lassen, der Schritt von der Informationsaufnahme zur Auslösung der motorischen Handlung ohne das Dazwischentreten eines bewußten Willensaktes erfolgen kann, dann liegt es nahe, das alltagspsychologische Modell aufzugeben und die Mechanik dieser Vorgänge ganz ohne Rückgriff auf das Konstrukt des Willens zu analysieren - als eine einfache Sequenz von Vorgängen zwischen Reiz und Reaktion." Hier wird ohne weitere Begründung vom bewußten Willensakt zum Willen übergegangen, als ob dies von vorneherein das Gleiche wäre. Solche Übergänge kommen in der Erörterung der Willensfreiheit ständig vor - aber deshalb werden sie auch nicht gerechtfertigter und sinnvoller. ___ Danke an Ingo-Wolf Kittel für Literatur- und Linkweise. Literatur (Auswahl) siehe bitte auch die Hompages der ReferentInnen. [danke] Bennett, Max R. & Peter M. S. Hacker (2003): Philosophical Foundations of Neuroscience. Oxford: Blackwell - Rez.: 1, 2 (weiter u.i.Text) o. 3; s.a. 4 - zum Hintergrund: 5 o. 6. Engel, Andreas K. & Peter König (1998). Das neurobiologische Wahrnehmungsparadigma - Eine kritische Bestandsaufnahme. [samt 'Skizze einer Alternative'] In: Gold, P. u. A. K. Engel (Hrsg.): Der Mensch in der Perspektive der Kognitionswissenschaften. Frankfurt: Suhrkamp stw 1381, S. 156-194; online hier [1] Keil, Geert (2003): Homunkulismus in den Kognitionswissenschaften. In: Köhler, W. R. und H.-D. Mutschler (Hrsg.): Ist der Geist berechenbar? Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 77112 [1] Hartmann, Dirk (1988). Philosophische Grundlagen der Psychologie. Darmstadt: WBG - s.d.. S. 242f u. 257- 328: III. Das Leib-Seele-Problem in der Analytischen Philosophie [1] Hartmann, Dirk (2000). Willensfreiheit und die Autonomie der Kulturwissenschaften. Handlung, Kultur, Interpretation 1: 66-103 - online hier (zu Libet s. Abschnitt 4.1). [1] Janich, Peter (1993). Über den Einfluss falscher Physikverständnisse auf die Entwicklung der Neurobiologie. In: Breidbach, O. u. E. Florey (Hrsg.): Das Gehirn - Organ der Seele? Berlin: Akad. Verlag, S. 309-326. [1] Janich, Peter (1993). Das Leib-Seele-Problem als Methodenproblem der Naturwissenschaften. In: Elepfandt, A. u. G. Wolters (Hrsg.): Denkmaschinen? Interdisziplinäre Perspektiven zum Thema Geist und Gehirn. Konstanz: Universitätsverlag, S.39-59. [ 1] Janich, Peter (1994). Hirnforschung als philosophisches Problem. Ann Anat 176: 497-503. [1] Janich, Peter (1998). Zwischen natürlicher Disposition und kultürlicher Lebensbewältigung. Kongnitionswissenschaften und Menschenbild im Streit der Wissenschaftsverständnisse. In: Gold, P. u. A. K. Engel (Hrsg.): Der Mensch in der Perspektive der Kognitionswissenschaften. Frankfurt/M: Suhrkamp, stw 1381, S. 373-394. [ 1] Libet, Benjamin (1981). Timing of cerebral processes relative to concomitant conscious experience in man. In: Adam, G., I. Meszaros & E. I. Banyai (Eds.): Advances in Physiological Sciences. New York: Pergamon Press Libet, Benjamin, C.A.Gleason, E.W.Wright & D.K.Pearö (1983): Time of conscious intention to act in relation to onset of cerebal activities (readiness-potential); the unconscious initiation of a freely voluntary act. Brain 106: 623-642. Libet, Benjamin (1985): Unconscious cerebral initiative and the role of conscious will in voluntary action. Behavioral and Brain Sciences 8: 529-566. Libet, Benjamin (1993). Neurophysiology of Conciousness. Selected Papers and New Essays by Benjamin Libet. [22 Arbeiten von 1964 bis 1992b und zwei Epilogen]. Boston: Birkhäuser. Libet, Benjamin, Anthony Freeman & Keith Sutherland (1999, Eds.): The Volitional Brain. Towards a neuroscience of free will. Exeter: Imprint Academic (repr. 2004) Markowitsch, H.J. (2004). Warum wir keinen freien Willen haben. Der sog. freie Wille aus Sicht der Hirnforschung. Psychologische Rundschau, 55, 163-168. Mayer, H.(2003): Ach, das Gehirn. Neue Rundschau 114: 172-180 online hier Olivier, R. (2003): Wonach sollen wir suchen? Hirnforscher tappen im Dunkeln. FAZ v. 13.Dez., S. 35. Roth, Gerhard (2001, ²2003): Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt.: Suhrkamp – Rez. hier. Roth, Gerhard (2003): Wir sind determiniert. Die Hirnforschung befreit von Illusionen. FAZ v. 1.Dez., S. 11. Singer, Wolf (2004): Keiner kann anders, als er ist. Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu reden. FAZ v. 8.Jan., S. 33. __ Links (Auswahl) [danke] o o o o o o Beweis der Willensfreiheit. http://de.wikipedia.org/wiki/Freier_Wille. http://www.rp-online.de/news/wissenschaft/2001-1115/wille.html. Franz Mechsner in GEO 01/03. Quantenphysik und freier Wille: [1,2,] Der Spiegel (8.10.4.) zum Stand der Forschung der Neurobiologie: "Was man sicher weiß, ist eigentlich trivial. Alles andere steht erst am Anfang." Änderungen - kleine Änderungen werden nicht extra dokumentiert, wird gelegentlich überarbeitet. 03.10.06 Link zum Beweis der Willensfreiheit. 29.03.05 Link: Methodologie Freie Willensforschung. Kritik der Libet-Experimente und ihrer Interpretation. Wie kann, wie soll der freie Wille erforscht werden und inwiefern ist hier besondere psychologische Kompetenz vonnöten? 02.02.05 Nachtrag Literatur Libet 1993. 17.10.04 Link zu Quantenphysik und freier Wille: [1,] 15.10.04 Korrekturen Literaturliste. 12.10.04 Nachtrag: Prof. Kanitscheider bestätigt "nicken". 1:0 für die Wahrnehmung meiner Frau ;-). 09.10.04 Literaturergänzungen auf Vorschlag von Wolf-Ingo Kittel. Spiegelzitat. 06.10.04 Nachtrag: Ähnlicher Fehler bei Neumann & Prinz 1987. Lit. Hartmann und Keil.