1 - Die Lippische Rose schmückt uns alle Ein Portrait Von Hilmar

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Die Lippische Rose schmückt uns alle
Ein Portrait  Von Hilmar Lotz, Oberkreisdirektor 1964 – 1985
Der
Verbindung
von
Außergewöhnliches
Lippe
an.
mit
Nordrhein-Westfalen
Nordrhein-Westfalen
war
haftete
kein
in
schon
etwas
Jahrhunderten
gewachsenes Staatsgebilde, wie es zahlreiche Länder in Deutschland sind, sondern
die Zusammenfügung zweier alter geschichtlicher Einheiten, von geradezu
gegensätzlicher Eigenart. Da sind "die Rheinländer" und da sind "die Westfalen",
zwei Volksschläge von vitalen Kontrasten, miteinander verzahnt durch das
Industriegebiet. Zu dem Zusammenschluss dieser beiden alten preußischen
Provinzen kam nun 1947 der Freistaat Lippe hinzu, dessen politische Geschichte in
den voraufgegangenen 100 Jahren zunächst von dem Kampf um die Erhaltung der
Selbständigkeit und ab 1918 von der Anschlussfrage geprägt war. Wir wollen
zunächst ein paar Lichtstrahlen auf diese Zeit werfen.
Der Reichsdeputationshauptschluss (1803) hatte Lippe zwar unangetastet gelassen.
Aber dann kamen Mediatisierungsüberlegungen Preußens und Annektionswünsche
Hessen – Kassels auf, die man in Detmold fürchten musste. Um die staatliche
Selbständigkeit Lippes zu erhalten, betrieb die Fürstin Pauline die Aufnahme in den
Rheinbund. Diese Absicht rief natürlich den Unwillen Preußens hervor, das alle
norddeutschen Staaten im Norddeutschen Bund zusammenschließen wollte. Am 18.
April 1807 wurde Lippe in den Rheinbund aufgenommen. Napoleon ließ das
Fürstentum unangetastet, während er vielen anderen deutschen Kleinstaaten die
Selbständigkeit nahm.
Am 16./19. Oktober 1813 fand die Völkerschlacht von Leipzig statt, am 03.
November ritt eine Vorhut der russischen Armee (eine Kosakenpatrouille) in Detmold
ein. Erst am 05. November, als auch preußische Truppen in Detmold einrückten, gab
die Fürstin bekannt, dass der Rheinbund aufgelöst sei und auch sie ihm entsagt
habe. Lippe wurde als feindliches Land besetzt, kam aber doch glimpflich aus der
Misere heraus. Das Fürstentum behielt seine Selbständigkeit. Es bestand auch die
nächste große Existenzprobe, die Revolution 1848/49; die Nationalversammlung
behandelte die Mediatisierungsfrage nicht abschließend.
In Lippe wuchs nun aber die Ansicht immer mehr, dass aus der geopolitischen Lage
heraus das Fürstentum seinen Platz nur an der Seite Preußens haben könne. Das
75900800/b
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lippische Militär zog 1866 an der Seite Preußens in den Krieg, nach dessen Ende
sich das Fürstentum dem Norddeutschen Bund anschloss.
Nach dem erzwungenen Verzicht Leopolds IV. auf den Fürstenthron nach dem
Ersten Weltkrieg war es allgemeine Auffassung, dass die Selbständigkeit des Landes
nicht aufrecht erhalten werden könne. Ein erheblicher Teil der Souveranitätsrechte
war nach dem Beitritt zum Norddeutschen Bund und der Gründung des Deutschen
Reiches ohnehin auf den Bund übergegangen: Das Freizügigkeits-, Heimat- und
Niederlassungsrecht, das Zoll- und Handelsrecht, das Post- und Fernmeldewesen;
die Preußische Armee hatte die militärischen Verpflichtungen des Fürstentums und
damit die Tradition des alten lippischen Füsilierbataillons mit dem viel besungenen
lippischen Soldaten übernommen. Der Weimarer Republik gelang es aber nicht, eine
grundlegende Lösung, die Eingliederung der Kleinstaaten in größere Einheiten, zu
erreichen, trotz vieler Versuche.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging alles um so schneller. Die britische Militärregierung
setzte im April 1945 Heinrich Drake wieder als Landespräsidenten ein. Sehr bald
begannen aber die Verhandlungen über die Gliederung des von der britischen
Militärregierung verwalteten Gebietes. Der Zonenbeirat, ein den Militärgouverneur
beratendes deutsches Gremium ohne Exekutivbefugnisse, berief im Juli 1946 einen
Sonderausschuss zur Neugliederung der Länder in der britischen Zone. Ihm wurde
die Bildung von höchstens 5 Ländern vorgegeben, davon war die des Landes
Nordrhein-Westfalen vom britischen Kabinett am 21. Juni 1946 bereits beschlossen.
Die sich im Alliierten Kontrollrat abzeichnenden Probleme hatten zu dieser schnellen
Entscheidung gegen die Vorstellungen aus Paris und Moskau geführt, einen
selbständigen "Ruhr-Staat" zu schaffen und diesen einer Viermächtekontrolle zu
unterstellen. Im Zonenbeirat erhielt von mehreren Vorschlägen nur der Vorschlag
des Oberpräsidenten der Provinz Hannover und späteren niedersächsischen
Ministerpräsidenten, Hinrich Wilhelm Kopf, die erforderliche Zweidrittelmehrheit; er
sah vor, die britische Zone in die Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen,
Schleswig Holstein und die Stadtstaaten Hamburg und Bremen aufzuteilen. Für
Lippe stand damit nur noch die Frage des Anschlusses an Nordrhein-Westfalen oder
Niedersachsen zur Diskussion.
Mitten in den anhaltenden Meinungsprozess platzte am 17. Juli 1946 die Nachricht,
die britische Militärregierung habe den Anschluss Lippes an Niedersachsen verfügt.
Der Landtag protestierte. Die britische Militärregierung setzte daraufhin die
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Verfügung aus; die Meldung trieb aber zu Verhandlungen an. Drake nahm Kontakt
mit
dem
neuernannten
Ministerpräsidenten
von
Nordrhein-Westfalen,
Dr.
Amelunxen, auf. Mehrere Gespräche führten zur Übereinstimmung in allen
wesentlichen Fragen. In den sogenannten "Punktationen" wurden die Bedingungen
für einen Anschluss Lippes an Nordrhein-Westfalen festgelegt. Damit begann die
Schlussphase einer hundertjährigen Entwicklung, nun die Eingliederung Lippes als
Dritter Landesteil in das neu gebildete Land Nordrhein-Westfalen.
Das geschah natürlich nicht sang- und klanglos. Dafür stand Heinrich Drake, eine
imponierende Persönlichkeit, mit der ich als Oberkreisdirektor die letzten 6 Jahre
seines Lebens vertrauensvoll zusammengearbeitet habe: Als von uns entsandtes
Aufsichtsratsmitglied bei Wesertal, als stellvertretendes Ausschussmitglied des
Kreises Detmold, als Verbandsvorsteher bis 1966; und "Seit' an Seit'" haben wir
beide uns im Fremdenverkehrsverband Teutoburger Wald engagiert.
Das Ergebnis der neuen Partnerschaft: Die Lipper bewahrten ihren alten stattlichen
Domanialbesitz (etwa 9/10 des ehemaligen fürstlichen Besitzes), der es ihnen
ermöglichte, einer Fülle kultureller und sozialer Aufgaben gerecht zu werden. Die
Grenzen Lippes blieben unangetastet; Detmold wurde Sitz der Bezirksregierung. Den
Lippern wurde als einzigem Bevölkerungsteil das Recht zugestanden, auf Antrag
eine selbständige landschaftliche Kulturpflege durchzuführen. Auch in der äußeren
Repräsentanz erhielt Lippe einen ihm gebührenden Platz: Im Landeswappen steht
die
Lippische
Rose.
Der
Landschaftsverband
Westfalen-Lippe
führt
seine
Doppelbezeichnung in Anerkennung der Rechte und historischen Eigenständigkeit
des in ihm aufgegangenen lippischen Landesteils. Die Doppelbezeichnung hat bald
viele weitere Lebensbereiche erfasst, bis hin zu Verbänden oder der abendlichen
Nachrichtensendung im WDR III.
So ist Lippe in Nordrhein-Westfalen mehr als ein historischer Akzent, mehr als der
Ausdruck der zähen Beharrlichkeit von Heinrich Drake und mehr als das
menschliche
Zusammengehören
einer
über
Jahrhunderte
gewachsenen
Lebensgemeinschaft. Lippe ist eine Realität, die auch in unserer Zeit ihre
Eigenberechtigung hat, wenn ihre Aufgaben im größeren Verband des Landes
Nordrhein-Westfalen immer klar erkannt und angepackt werden.
Als Treuhänder des lippischen Domaniums verwaltet der Landesverband Lippe einen
bedeutenden Wirtschafts- und Kulturbesitz, zu dem neben den Forsten, den
Domänen und dem Staatsbad Meinberg als Kultureinrichtungen die Lippische
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Landesbibliothek, das Weserrenaissance-Museum, das Institut für Lippische
Landeskunde, der Sitz des Landestheaters - der größten Wanderbühne Europas -,
das Lippische Landesmuseum und wir wollen hinzufügen: die Externsteine, das
Hermannsdenkmal und zahlreiche Schlösser gehören. Und Lippe ist ein Zentrum für
Bildung und Kunst. Grabbe, Freiligrath, Lortzing und Werth sind weithin bekannte
Namen.
Von Politikern und Historikern ist Deutschland oft wegen seiner früheren Neigung zur
Kleinstaaterei
gescholten
worden.
Sie
galt
weitgehend
als
Zufallsprodukt
dynastischer Hauspolitik. Man hat dabei offenbar nie daran gedacht, dass soziale
und kulturelle Arbeit im engen Raum des Kleinstaates das Leben in einer Weise
intensiviert hat, wie das in den weiten Räumen eines Großstaates kaum möglich war.
Dass das kleine und finanzschwache Reichsland Lippe im alten deutschen Reich von
allen Ländern das dichteste Verkehrsnetz hatte, mag nur ein äußeres Symptom sein.
Deutschlands besondere Eigenart liegt gerade in der Vielzahl der Kulturzentren, die
ihre Existenz den ehemaligen Kleinstaaten verdanken. Lippe – Detmold befindet sich
da auf gleicher Ebene wie die Städte Weimar, Gotha, Meiningen oder Altenburg. Sie
alle haben ein Theater, eine Bibliothek, ein Museum, ein Archiv. Und dann suche
man einmal vergleichsweise Städte der Größenordnung von Detmold in unseren
westlichen Landesteilen, die eine solche Fülle alter Kultureinrichtungen aufweisen!
Ich erinnere mich, dass in den 60er Jahren ein Westfale Lippe – Detmold als "das
westfälische Weimar" bezeichnete. Ein bisschen schmeichelhaft, ein typischer
Wesenszug der ehemaligen lippischen Residenz war damit aber getroffen!
Die Lebenskraft der alten Residenz Detmold hat diese Stadt zu einer nicht zu
übersehenden Kulturbasis für ganz Ostwestfalen-Lippe geformt. Und diese
Lebenskraft hat so stark in die Gegenwart hineingewirkt, dass Lippe – Detmold zu
einem Magnet für weitere Kultureinrichtungen wurde, die nach dem 2. Weltkrieg hier
entstanden
sind.
Ich
nenne
die
Nordwestdeutsche
Musikakademie
(heute
Hochschule für Musik), die sich seit Prof. Martin Stephani den Ruf erworben hat, eine
der besten und schönsten der Welt zu sein; die Bundesforschungsanstalt für
Getreideverarbeitung (heute Zentrum für Getreide- und Kartoffelforschung), die unter
Prof. Pelshenke zum "Mekka der Getreidechemie" wurde, wie ausländische
Professoren Detmold nannten; ich nenne das Westfälische Freilichtmuseum, eines
der drei größten Europas, und mit ihm Prof. Schepers; die Fachhochschule Lippe
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und Höxter, die sich einen großartigen Ruf erworben hat, und schließlich den Ausbau
des alten lippischen Landesarchivs zum dritten Staatsarchiv Nordrhein-Westfalens.
Mit vollem Recht dürfen wir sagen: Lippe hat unter den Landschaftsbereichen
Nordrhein-Westfalens sein eigenes Profil, das nicht nur Ausdruck einer langen
historischen Tradition, sondern auch das Ergebnis einer vitalen landschaftlichen
Kulturpflege ist.
Die Vitalität des Dritten Landesteils zeigt sich auch in der Wirtschaft. Lippe ist eine
Region der Industrie und des produzierenden Gewerbes. Phoenix und Weidmüller
sind Weltmarktführer ihrer Branche in der Elektrotechnik; ich nenne Lenze und
Isringhausen im Maschinenbau; Brasseler ist eines der führenden Unternehmen
weltweit im Bereich der Instrumente für Zahnarzt und Dentaltechniker mit der
Zentrale in Lemgo, Hanning Elektrobau ist ebenso wie Hanning und Kahl
Bremssysteme
für
Nahverkehr
und
Windenergie,
Oerlinghausen,
eine
Nachkriegsgründung; in der Möbel- und Holzindustrie ist Lippe nach wie vor führend
in Deutschland.
Die optimale Krankenversorgung war mir stets ein besonderes Anliegen. In den 60er
Jahren haben wir das Krankenhaus Detmold zu einem Schwerpunktkrankenhaus
ausgebaut und das medizinische Angebot in den folgenden Jahren durch immer
stärkere Differenzierung bis zur höchsten Versorgungsstufe erweitert.
Die kommunale Neugliederung war – von vielen so genannt – ein Jahrhundertwerk.
Die Reform war eine Herausforderung unserer Zeit, meiner Generation als Aufgabe
gestellt, die wir lösen mussten, um die Aufgaben der Zukunft meistern zu können.
Sie hat große Opfer verlangt, sie hat uns aber auch große Chancen eröffnet. Die
Reform hat sich bewährt. Die neu geschaffenen 16 Städte und Gemeinden in Lippe
sind mit Leben erfüllt; beim Kreis wird mit Phantasie und Weitblick geplant und
gehandelt. Auch die Kreisreform forderte uns noch einmal "alles ab". Wir hatten –
mein Kollege Krüger in Lemgo und ich – am 19./20. Dezember 1968 Beschlüsse der
Kreistage zur Zusammenlegung der Kreise herbeigeführt. Aber auch sie musste in
großen Zusammenhängen gesehen werden. In einer Besprechung auf dem Lüttfeld
am 12. März 1971 über die Neugliederung in Ostwestfalen-Lippe betonte Heinz
Köstering
als
Sprecher
der
beim
Innenminister
gebildeten
Neugliederungskommission "dass sich der Großkreis Lippe in die Gesamtkonzeption
in Ostwestfalen-Lippe einfüge sei wichtiger als sich auf die Punktationen zu berufen".
Wir haben diese Auffassung bejaht und mitgetragen. Es ging dabei zugleich um die
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richtige Lösung für Bielefeld und damit auch um die Zuordnung von Oerlinghausen
und Leopoldshöhe. Hinsichtlich Schlangen mussten wir bis zum Paderborn-Gesetz
warten; ich konnte die Gemeinde im gesetzgeberischen Vorfeld gerade noch am
letzten Tag für Lippe retten.
Heinrich Drake hatte mich Mitte Dezember 1968 noch einmal zu einem Gespräch
über die Kreisreform zu sich nach Hause eingeladen. Am 18.12.1968 schickte er mir
einen langen Vermerk mit einer "Antwort auf unser Gespräch". Es ging um die Frage,
was für die Menschen in Lippe die bessere Lösung sei, ein Kreis oder zwei Kreise. Er
hatte sich noch nicht entschieden! In anderen Fragen, die wir besprochen haben,
waren wir uns einig; so auch darin, "dass man die Punktationen nicht immer
erwähnen soll". Mein letztes Gespräch in seinem Hause hatte ich mit Heinrich Drake
am Samstag vor seiner Einlieferung in das Krankenhaus im Mai 1970. Ich werde
später einmal über das Gespräch berichten oder einen Vermerk hinterlegen.
Nach der kommunalen Gebietsreform war die nächste "Herkules-Aufgabe" die
Bildung einer neuen Kreisverwaltung, die in der Lage war, die Aufgaben der Zukunft
zu lösen.
Unser größtes Kapital sind die fleißigen, zuverlässigen und treuen Menschen in
Lippe, die mit großer Aufgeschlossenheit das Land vorangebracht haben. Ihr
Gemeinsinn ist ihre Stärke im täglichen Zusammenleben. Sie haben die Flüchtlinge
und Vertriebenen mit großer Menschlichkeit aufgenommen. Vor den Bürgermeistern
der damaligen 168 Städte und Gemeinden in Lippe ziehe ich heute noch den Hut! Und das andere große Kapital ist die Landschaft unseres schönen Lipperlandes.
Das ist Lippe! Würde es nicht zu Nordrhein-Westfalen gehören, fehlte dem Land ein
wichtiger Teil für die Gegenwart und für die Zukunft. Mit Stolz blicken die Lipper
deshalb auf das Wappen des Landes, dem sie seit 60 Jahren angehören, das seine
Stärke aus dem Bewusstsein für das Gemeinsame, vor allem aber aus der Vielfalt
seiner Regionen gewinnt.
Die Lippische Rose schmückt uns alle. Wer sich dem Dritten Landesteil verbunden
fühlt, darf daher auch sagen: Das ist mein Lippe!
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