Aufruf der überparteilichen Plattform „Gerechtes Geld“ Unser Geld erleichtert nicht nur den Austausch von Waren und Dienstleistungen, sondern bietet den Geldbesitzern zusätzlich die Möglichkeit, ohne eigene Arbeit aus ihrem überschüssigen Geld mehr Geld zu machen, indem sie es gegen Zins und Zinseszins verleihen. Diese Vorgangsweise halten die meisten Menschen heutzutage im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten für selbstverständlich, und sie ist vom Gesetzgeber rechtlich abgesichert. Angesichts dramatischer globaler und nationaler Wirtschaftskrisen mehren sich jedoch die Stimmen, die den Zinseszinsmechanismus in unserem Geldsystem kritisch hinterfragen, weil er der Allgemeinheit mehr schadet als nützt. Auch sind eine Reihe praktischer Initiativen entstanden, die sich einen solidarischeren Umgang mit Geld zum Ziel gesetzt haben. Die überparteiliche Plattform „Gerechtes Geld“ bemüht sich, österreichweit zinskritische Einzelpersonen und Gruppen zu vernetzen. Unter Zins bzw. Zinseszins verstehen die Kritiker nicht die Zahlung berechtigter Unkosten, die bei einer Kreditvergabe anfallen, sondern den Realzins, das reine, leistungslose Einkommen, das der Geldverleiher vom Schuldner erhält. Dadurch entsprechen sich Leistung und Gegenleistung nicht mehr. Wird nun ein solches Prinzip zum wesentlichen Bestandteil eines wirtschaftlichen Systems gemacht, muß es zu folgenschweren Gleichgewichtsstörungen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben kommen. Von den negativen Auswirkungen unserer auf Zinseszins basierenden Geldordnung erscheinen uns die folgenden besonders bedenklich: a) die Umverteilung von den Armen zu den Reichen Da jeder Betriebswirt die Kosten für Eigen- und Fremdkapital in seine Preiskalkulation einbringen muß, zahlen wir nicht nur Zinsen, wenn wir Geld borgen, sondern mit jedem Preis, den wir bezahlen. Bei der Kostenmiete im sozialen Wohnbau schnellt der Zinsanteil wegen des hohen Kapitaleinsatzes sogar bis auf 77 Prozent! Auf der anderen Seite erhalten wir über unser Spargeld auch Zinszahlungen, doch für ungefähr 80 % der Bevölkerung geht die Rechnung negativ aus; sie zahlen mehr an Zinsen, als sie aus ihren Sparguthaben erhalten. Erst wer etwa 2 Millionen Schillinge gut verzinst angelegt hat, steigt ohne Verlust aus. In den Händen von ungefähr 10 % der Bevölkerung sammeln sich jene Beträge an, die die ärmeren 80 % verlieren. Diese Tatsache ist mit ein Grund für die wachsende Kluft zwischen den ärmeren und reichen Bevölkerungsschichten und auch für das Sterben vieler Klein- und Mittelbetriebe. Die Konzentration von Geld und Produktionsmitteln in wenigen Händen ist eine demokratiepolitisch sehr bedenkliche Entwicklung. (Quelle: Margrit Kennedy, Geld ohne Zinsen und Inflation, Goldmann Verlag, München 1991) b) die Überschuldung der öffentlichen Haushalte Durch den Zinseszins verdoppeln sich die Schulden, die nicht bezahlt werden können, in regelmäßigen Zeitabständen: bei einem Zins von 6 % etwa alle 12 Jahre, bei 12 % sogar schon alle 6 Jahre. Können nur die Zinsen bezahlt werden, kommt es zum Fall des „ewigen Schuldners“, der ständig zahlt, während sich die Schuld dennoch nicht verringert. Aufgrund dieses exponentiellen Wachstumsmechanismus ist die Überschuldung der öffentlichen Haushalte weltweit zu einer der größten Herausforderungen für die Politik geworden, auch in den reichen Ländern, zu denen Österreich zählt. Innerhalb der einzelnen Volkswirtschaften nehmen nämlich die Schulden und Schuldenzinsen prozentuell schneller zu als die Einkommen, was früher oder später zum wirtschaftlichen Kollaps führen muß, wenn keine wirkungsvollen Maßnahmen ergriffen werden. Für die nicht industrialisierten Länder ist dieser Zustand längst eingetreten. Bislang begnügt man sich leider noch immer mit einer zwanghaften Ankurbelung des Wirtschaftswachstums als Allheilmittel - trotz seiner negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Im Interesse einer stabilen Volkswirtschaft, einer gesunden Umwelt und einer funktionierenden Demokratie fordern daher die unterzeichneten Einzelpersonen und Organisationen alle Verantwortlichen auf, die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und demokratiepolitischen Auswirkungen des Zinseszinsmechanismus in unserem Geldsystem einer offenen Diskussion zuzuführen und nicht länger zu tabuisieren, national wie international wissenschaftliche Aktivitäten anzuregen und zu fördern, die sich mit der Ausarbeitung von zinseszinsfreien Wirtschaftsmodellen befassen, sowie konkrete Modellprojekte zu starten und zu fördern, die weiterführende praktische Erfahrungen in Richtung einer Neuordnung unseres Geldsystems ermöglichen. Univ.-Doz. Dr. Erhard Glötzl, Technischer Leiter der SBL-Stadtbetriebe Linz GesmbH, Gruberstraße 40-42, 4020 Linz Univ.-Prof. Dr. Alfred Haiger, Universität für Bodenkultur Wien, privat: Eichfeldergasse 17/2/6, 1210 Wien Bischof Erwin Kräutler, Postfach 520, 1011 Wien, derzeit Altamira, Brasilien Alexander Anton Maly, Leiter der Schuldnerberatungsstelle der Stadt Wien, privat: Rußbachstraße 19, 2123 Unterolberndorf Dr. Alfred Racek, Stellvertretender Vorsitzender des Katholischen Familienverbandes der Erzdiözese Wien und Leiter des Wirtschaftsarbeitskreises, privat: Zwerngasse 53, 1170 Wien Pax Christi Österreich, Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung, Mengerstraße 23, 4040 Linz Sammlung Christlicher Alternativen in Österreich/SCA, Tannengasse 1, 3352 St. Peter/Au Hilfe für Alle / HIFA Austria und Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung / INWO, beide: Staudingergasse 11, 1200 Wien sowie mehr als 600 weitere ErstunterzeichnerInnen Dieser Aufruf wurde ab Februar 1995 an alle im Parlament vertretenen Parteien, an Gewerkschaften, an Kirchen, an den ORF und an zahlreiche Printmedien herangetragen, um die Diskussion zur staatlichen und privaten Überschuldungsproblematik zu vertiefen. Wegen der ungebrochenen Aktualität des Anliegens bemühen wir uns weiterhin um eine breite Unterstützung. Für zusätzliche Informationen wenden Sie sich bitte an die Koordinatorin der Aktion: Mag. Dr. Marianne Schallhas, Etzerstetten 26, 3261 Steinakirchen, Tel.: 07488/76680, E-mail: [email protected]