Der Einfluß Justus von Liebigs auf die ungarische Wissenschaft

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Der Einfluß Justus von Liebigs auf die ungarische Wissenschaft
Von Prof. Dr. György Füleky und Dr. Gyula Walleshausen
http://miau.gau.hu/gg/2003/liebig.doc
Seine Karriere begann mit Knallsäure und setzte sich schnell in einer reihenweise
Vorurteile sprengenden Zeit, in einer selbst auch explosiven Gesellschaft fort. In
Ungarn herrschte zwar noch der Feudalismus, aber die wichtigen Grundlagen der
bürgerlichen Gesellschaft hatten sich schon herausgebildet. Besonders aktiv war die
Ungarische Akademie der Wissenschaften (1825) (UAW), die Ungarische
Landwirtschaftliche Gesellschaft (1836) (ULG) und die Königlich-Ungarische
Naturwissenschaftliche Gesellschaft (1841).
Ungarn hatte eine Universität (Pest). An dieser gründete Maria Theresia 1777 den
Lehrstuhl für Landwirtschaft. Der erste Professor, der Ungar Ludwig Mitterpacher
lehrte von 1773 bis 1777 am Wiener Theresianum, auch schon mit einem
Versuchsgarten für Studienzwecke ausgestattet, die Landwirtschaft. Die jungen Leute
jedoch, die eine Ausbildung zum Wirtschaftsbeamten anstrebten, besuchten lieber das
1797 von Graf György Festetics gegründete Georgikon in Keszthely oder ab 1818 die
Lehranstalt in Magyaróvár. Diese war von Großherzog Albert Kasimir von Sachsen
und Teschen gegründet worden.
Die landwirtschaftliche Chemie war auch in ungarischen Fachkreisen nicht
unbekannt: Der ungarische Vorreiter der Agrochemie, Ferenc Pethe (1763-1832)
Lehrer an der landwirtschaftlichen Lehranstalt Georgikon in Keszthely (Redakteur,
Fachautor) übersetzte 1815 die Arbeit von H. Davy: Elements of Agriculture
Chemistry ins ungarische und veröffentlichte diese in mehreren Folgen in seiner
Zeitschrift Nationaler Landwirt (Nemzeti Gazda).
Der Name Liebig wurde 1840 in der ungarischen wissenschaftlichen Welt bekannt:
Péter Vajda (1808-1848) Naturwissenschaftler und Mitglied der Ungarischen
Akademie der Wissenschaften machte in der Akademie-Zeitschrift auf die
Abhandlung „Über das Studium der Naturwissenschaften” auf den Professor aus
Gießen aufmerksam. „Wenn doch in jedem Land die Naturwissenschaft so geschätzt
würde” wie in Hessen, wo Ärzte, Astronome, Physiker, Apotheker und „umfaßend
gebildete Physiologielehrer ausgebildet werden” – stellt Vajda fest.
Liebigs Epoche machende Arbeit die „Organische Chemie in ihrer Anwendung auf
Agricultur und Physiologie” wird 1841 nicht nur von den Landwirten sondern
gleichzeitig auch von einem Professor der Medizin, dem Redakteur der
Fachzeitschrift Ärztliches Magazin (Orvosi Tár) entdeckt: Ferenc Flór (1809-1871)
berichtete über „die neuesten Ansichten des ruhmreichen Liebigs über die Gifte”.
(Hier sei angemerkt, dass den besten ungarischen Wissenschaftlern Liebigs
Forschungen durchaus bekannt waren und seine Genialität ihre Anerkennung fand.
Worauf sich das Attribut „ruhmreich” bezieht). Ein weiterer Arzt, József Török,
Sekretär der Königlich-Ungarischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft schrieb
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einen Artikel (1843) zu dem von Liebig herausgegebenen Handwörterbuch der
Chemie über das Auftreten von Steinbildungen im Tier- und menschlichen Körper
und noch ein Arzt, Tamás Kún berichtete über den Nahrungs- und Atmungsverlauf
auf der Basis von Liebigs Forschungen (1844).
Gleichfalls „entdeckten” die Interessenten der Nahrungsmittelchemie Liebig: auf der
Sitzung der Königlich-Ungarischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft hält Lipót
Pauer einen Vortrag über die Aufsätze von Liebig über das Kochen von Fleischsuppe
und das Einsalzen von Fleisch (1847).
Die Fachvereinigung der Landwirte (ULG) entfaltet in den 40er Jahren eine sehr rege
Tätigkeit. Auf ihren Diskussionssitzungen werden die Neuigkeiten der modernen
Bewirtschaftung bekanntgemacht und das 1841 gegründete Wochenblatt, der
Ungarische Landwirt (Magyar Gazda), vermittelt auch dem Landwirt in der
abgelegensten Provinz die neuesten Forschungsergebnisse. Für die Forschungen in
der Chemie gibt die technologische Fachabteilung der ULG 1841 die Zeitschrift mit
dem Namen „MŰIPAR” heraus, was wohl hauptsächlich dem Einfluß Liebigs
zuzuschreiben ist, zur Verbreitung der Neuheiten auf dem Gebiet der agrochemischen
(und mechanischen) Technologie.
<ERNÄHRUNG UND DÜNGUNG DER PFLANZEN>
In der ULG wurde Liebigs Name erstmals 1841erwähnt, auf jener Sitzung auf der
über die Methoden zur Ergänzung der Bodenfruchtbarkeit beraten wurde. Man
diskutierte darüber „ ob wohl in Gips Düngekraft enthalten sei?” Als Neuigkeit
beeindruckte auch die Ansicht der Chemiker, wonach die hauptsächliche Ernährung
der Pflanzen aus Kohlenstoff und Stickstoff besteht.
Die fachlich gebildeten Landwirte kannten – und anerkannten – Liebigs Genialität
und die Bedeutung seiner Entdeckung. Mehreren jungen Fachleuten –
Wissenschaftsanwärtern – sei hier besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
1. Gustáv Karafiat beendete sein Studium mit einem hervorragenden Ergebnis in
Hohenheim und wurde mit dem „Verdienstgeld” des Königs von Württemberg
ausgezeichnet (1842).
Nach Hause zurückgegkehrt wird der junge Fachmann aufmerksam auf die
Forschungen Liebigs zur Ernährung der Pflanzen und beginnt drei darauf bezogene
unterschiedliche Theorien zu vergleichen: 1. die Humustheorie, 2. die nach Sprengel,
3. die nach Liebig (1843).
2. Die überaus schnelle Verbreitung von Liebigs Lehren zwischen 1843 und 1845
können in Alajos Mannó’s (1816-1846) Büchern beobachtet werden. Der begabte
junge Mann beendet sein Studium an der Philosophischen Fakultät der Pester
Universität (hier hört er auch die landwirtschaftliche Lehre!), dann immatrikuliert er
sich an der Medizinischen Fakultät. Es sind schon zwei Bücher über Chemie von ihm
erschienen, als er 1843 das Buch von Schlipf „Lehr- und Handbuch der gesammten
Landwirtschaft” übersetzt. Darin ist zu lesen, dass die Mineralien nur vorbereitende
„Reizmittel” zu einer schnelleren Assimilation der Humusdüngung sind. Der zweiten
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ungarischen Auflage fügt Mannó 1845 einen „Anhang” an. Darin schreibt er, dass
unter den Wissenschaftlern „Liebig wie ein Stern glänzt”. Seinen Forschungen sei es
zu verdanken, dass die Landwirte Kenntnisse über die Pflanzendüngung erhalten und
dieses wird von Mannó in kurzen Zügen dargestellt.
3. János Bartók (1816-1877) – Großvater des weltberühmten Komponisten Béla
Bartók – studiert zwischen 1845-1848 als Lehramtsanwärter mit einem Stipendium
die Landwirtschaft Westeuropas. Am 2. Mai 1847 erreicht er nach einem
ausgedehnten Fußmarsch von Mainz kommend den blühenden Gutshof des Dr.
Langen-Windheuser. Unter den Bücherstapeln auf dem Tisch des ausgezeichneten,
experimentierfreudigen Autodidakt-Landwirts befand sich auch das von Liebig.
4. János Jób, der praktische Landwirt, der 1837 die berühmte Landwirtschatliche
Lehranstalt in Magyaróvár beendet hat, untersucht im Oktober 1841 (in Alsóbalog,
Komitat Gömör) noch im klassischen Sinne wieviel Nährstoffe die Kartoffel unter
Stalldung und Fruchtwechselbedingungen dem Boden entzieht. Empfänglich für die
neue Richtung kommt Jób 1844 nach Niederösterreich (Walterskirchen) und seine
von dort übermittelten Artikel und Berichte spiegeln schon Liebigs Lehren wider. Er
konstatiert je besser die Chemie in die Landwirtschaft eindringt um so mehr wird
diese optimiert. Bis dahin hatten die Landwirte auf die Chemie herabgesehen und
umgekehrt: die Chemiker hielten es für uninteressant sich mit der Lehre der Chemie
der Landwirtschaft zu befassen.
Ohne Kenntnisse der Planzenernährung ist eine Verbesserung der Landwirtschaft
unvorstellbar – bekennt er, sich auf Liebig berufend (1846). Seit Jahrtausenden lebt
der Irrglaube, dass sich die Pflanzen aus dem Humus ernähren. Diesen hat der
„geniale” Liebig durchbrochen.
Er weist das Gespött all jener zurück, die noch immer die überholten Thesen aus dem
Buch von Hlubek „Statik des Landbaues” verkünden. Jób macht mit grosser Freude
Liebigs Forschungsergebnisse populär. In seiner Artikelreihe von 1846 und 1847
verbreitet er alle wichtigen Kenntnisse über die Düngung. Er betont: diejenigen irren,
die behaupten das alles eine „trügerische Theorie” sei, was der große Wissenschaftler
lehrt. (1847)
5. Ignác Darányi (1811-1877) Anwalt und daneben auch ausgebildeter Landwirt
(Georgikon), dessen Interesse für das Geheimnis der Pflanzenernährung geweckt
wurde und der Monnier’s 1840 erschienene Studien übersetzte. Während der
Übersetzungsarbeit erschien Liebigs Buch der Agrochemie. Jetzt wurde Darányi
darauf neugierig: woraus besteht die Pflanze? Was entzieht sie dem Boden? Wie ist
der Ackerboden und worin unterscheidet er sich vom unfruchtbaren? Welche
Wirkung haben die unterschiedlichen (organischen) Dünger? Zum Schluß stellt er
fest, dass der Landwirt vieles der Wissenschaft zu verdanken hat. Schade, dass die
„gelehrtesten” Naturforscher, Forscher keine praktischen Landwirte und die
„praktischsten Landwirte” gleichzeitig auch keine Forscher sind.
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6. 1844 hatte Adolf Érkövy (1818-1883) Sekretär der ULG erfahren, dass in England
von Liebig zusammengestellter Kunstdünger hergestellt wurde. Er bestellt davon und
bot diesen dann zum halben Preis zu Versuchszwecken an. Jedoch die „gebildeten
Landwirte weigerten sich Versuche durchzuführen …… sie verlangten diesen
umsonst und zusätzlich auch noch den Dank des Vereins, und als die Düngemittel
umsonst abgegeben wurden, blieben sie ungenutzt stehen.”
Nach diesem Fiasko hielt es die ULG für wichtiger, dass eine breitere Menge mit den
Kenntnissen über Liebigs Mineraldünger vertraut gemacht wurde: 1846 wird in ihrer
Zeitschrift der Ungarische Landwirt (Magyar Gazda) mitgeteilt, dass der
Mineraldünger von der Firma Mustpratt und Co in Liverpool hergestellt wird. In den
beiden folgenden Jahren wiederholt der Ungarische Landwirt die Bekanntmachung
der Firma Mustpratt, die nun schon patentierten chemischen Dünger herstellt.
Für jede Pflanze werden immer wieder neu zusammengestellte Düngemittel verkauft:
1. Unter Weizen, Roggen, Gerste und Hafer, 2. Kartoffeln, Zuckerrüben, rote Rüben,
Pasternaken und sonstige Zwiebelgewächse, 3. Gräser, 4. Klee, Luzerne, Erbsen,
Bohnen, 5. Hanf.
Liebig ist zweifellos ein ausgezeichneter Mensch, dem Dank und Lob gebührt. Wenn
seine Düngemittel wirklich die von ihm angegebene Wirkung zeigen und er dieses
nicht nur durch seine Forschungen der Pflanzenphysiologie beweist, dann verändert
sich damit auch wesentlich die heutige Bewirtschaftung, – merkt der Redakteur Török
János an.
Auf der Wanderversammlung der deutschen Ärzte und Naturforscher 1843 in Graz ist
auch Liebig zugegen und gibt Antworten auf diverse Fragen. Z.B. wie die
Zusammensetzung des Ackerbodens untersucht werden muss: die üppig auf dem
Ackerboden wuchernden Unkräuter müssen gesammelt und nach dem trocknen
verbrannt werden. Die chemische Untersuchung der Asche klärt dann über die
Zusammensetzung der Bodenkrume auf. (Das Unkraut, als Bodenindikator, erscheint
hier zum ersten Mal.)
7. Über Liebigs Vorlesungen berichtet auch Károly Nendtvich (1811-1892) der an
Chemie interessierte Arzt. Später gibt er als Chemielehrer an der Technischen
Universität Liebigs Lehren weiter.
8. István Morócz (1816-1881) ebenfalls promovierter Arzt – mit Interesse an der
Chemie – der dann doch die landwirtschaftliche Laufbahn wählte. Zeitungsredakteur,
Sekretär des ULG, Fachautor und später UAW Mitglied.
In seiner Artikelreihe „Stöbern auf dem Gebiet der Chemie,” die 1844 erscheint,
beschäftigt er sich – inspiriert von Liebig – in einem Kapitel mit der
Lebensmittelchemie (Mehl, Brot, Milch, Käse, Butter, Speisöl, Bier, Wein). Im
nächsten Jahr beginnt die Artikelreihe unter der Überschrift: „Populäre Lektionen aus
der landwirtschaftlichen Chemie.” 1844 plant die ULG eine landwirtschaftliche
Hochschule ins Leben zu rufen. Auf den Lehrstuhl für Chemie wurde Morócz gewählt
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und im Dezember 1846 auf eine dreijährige Studienreise geschickt. Er war schon
unterwegs, als der Ungarische Landwirt begann seine Abhandlung „Skizzen der
angewandten Chemie”, deren Motto unter einem Satz von Liebig stand: Die Kenntnis
der Natur ist der Weg, sie liefert uns die Mittel zur geistigen Vervollkommnung”
publizierte.
Laut Reiseplan sollte er zwei Monate bei Liebig in Gießen verbringen, aber dazu kam
es nicht mehr. Im Sommer 1848 kehrt er nach Hause zurück und nimmt als Armeearzt
am Freiheitskampf teil.
Liebigs Buch der Agrochemie wird auch von den Önologen, Winzern fleißig gewälzt.
Ferenc Zöld der Winzer aus Keszthely schreibt über den Nutzen der Gründüngung.
Diese Methode war zwar schon früher bekannt, aber jetzt endlich dringt Liebig in das
Geheimnis des pflanzlichen Lebens ein und gibt eine Erklärung warum das
Untergraben der abgeschnittenen Rebtriebe in den Ackerboden so nützlich ist.
In den 1840er Jahren studieren mehrere Ungarn an der Landwirtschaftlichen
Akademie in Hohenheim. Unter ihnen nahmen Lajos Árkossy, Sándor Kapitány und
János Vattay an der Tagung der deutschen Winzer 1846 in Heilbronn teil, wo sich in
diversen Referaten auch mit Liebigs Forschungen beschäftigt wurde. Besonders zwei
Fragen beschäftigten die Diskussionen: 1. Ob die Pflanze genügend Nitrogen aus der
Luft aufnehmen kann? 2. Ob es nicht besser wäre, das Gefäß bis zur Reife des Weins
offen stehen zu lassen?
Auf Basis von Liebigs Rezept ist es möglich die Altweine in ihrem Säuregehalt zu
verbessern. Er hatte dabei die Rheinweine vor Augen, aber auch für die ungarischen
Weine kann sein „Rezept” angewendet werden (1849).
József Péterfy, Stipendiat der Ungarischen Landwirtschaftlichen Gesellschaft, wird
auf seiner Studienreise ins Ausland mit dem Namen Liebig bekannt. Er weist die
ungarische Fachwelt darauf hin, dass man von Liebig viel lernen kann (1845).
Liebigs 1842 erschienene Tierchemie gelangt auf großen Umwegen nach Ungarn.
Zuerst wird diese von dem Arzt H.Ancell (1803-1863) ins englische übersetzt und mit
Anmerkungen versehen, dann „Nach dem Englischen bearb. u. ins deutsche mit
weiteren Anmerkungen übersetzt von A.W.Krug” und 1844 in Pest gedruckt: Liebig’s
Thierchemie und ihre Gegner, ein vorzüglich für praktische Ärzte berechneter
ausführlicher Commentar zu dessen physiologischen, pathologischen und
pharmakologischen Ansichten.
Der Ungarische Landwirt gibt basierend auf Liebigs Lehren nützliche Anweisungen
zur Fütterung des Rindviehs (1847). Ein Siebenbürgener Fachblatt, der Naturfreund
(Természetbarát), untersucht die Wirkung der verschiedenen Futtermittel auf die
Fettbildung der Tiere. Es wird auch die Meinung von Beccaria (1742), dann die der
zwei Thomson, Boussingault, Prout und Liebig vorgestellt und Liebigs Froschungen
als annehmbar eingeschätzt, wonach die Butter- und Fettbildung hauptsächlich der
Desoxidation von Mehl und Zucker zu verdanken ist (1846).
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1845 wütet in ganz Europa die Kartoffelkrankheit und die Fachleute wenden sich an
Liebig. Nach Ansicht des Gelehrten besteht der Fehler der 1845er Kartoffelernte
darin, dass die Kartoffel aussergewöhnlich viel Casein enthält, was mit Säure
herausgelöst werden könnte.
Es ist für Liebigs Ansehen charakteristisch, dass einer der Autoren sogar noch über
die Wichtigkeit des Kanalbaus schreibt und sich dabei – ausdrücklich – auf ihn beruft.
Nach der Niederschlagung des Freiheitskampfes folgten in der 1850er Jahren harte
Repressalien, die sich in allen Bereichen lähmend auf das fachlich-wissenschaftliche
Leben und die Lehre auswirkten.
Jedoch Liebigs Name glänzte: laut dem 5. Band des zwischen 1850-53 erschienenen
Ungarischen Lexikons ist Liebig „einer der größten jetzt lebenden Chemiker.”
István Morócz, der in den 40er Jahren Liebigs Lehren mit Sachverstand interpretiert
hatte, trat 1855 erneut mit einer größeren Arbeit hervor.
Das ungarische landwirtschaftliche Publikum benötigte dringend ein gutes Handbuch.
So wurde von der ULG beschlossen das in der Praxis schon bewährte Buch von
Henry Stephens „The book of the farm” übersetzen zu lassen, aber den die
Grundlagen der Naturwissenschaften abhandelnden ersten Band von ungarischen
Autoren schreiben zu lassen, um die neuesten Ergebnisse der Wissenschaft
widerzuspiegeln. Das Kapitel über die Chemie erhielt István Morócz.
Morócz stellt fest, dass Liebig eine „neue Ära” im Verhältnis von Chemie und
Landwirtschaft eingeleitet hat. Er verbreitet und verteidigt unermüdlich jene Lehre,
dass die Pflanzen ihr Dasein der Mineralernährung zu verdanken haben, oder sich von
anorganischen Stoffen ernähren. Im weiteren: „der anorganische Stoff geht durch den
pflanzlichen Organismus, nicht nur um diesen zu ernähren, sondern um sich auch
noch zur Ernährung des Tierkörpers – als Endziel – umwandeln zu können.”
Der neue Geist fand viele Gegner. Laut einer der Gegenparteien ist es nicht wahr, was
Liebig verkündet, laut der anderen gibt es nichts neues in seinen Lehren, denn diese
kannten auch andere schon sehr lange. Solange Liebig noch mit seinen Landsleuten
diskutierte, machten die englischen Landwirte „elektrisiert durch die Ansichten des
deutschen Professors, staunenswerte Fortschritte in einer rationalen Bewirtschaftung”.
Das Buch beschäftigt sich über Längen mit den Gedanken Liebigs „eigene”
Ernährung angepasst an jede Rasse, sei es für Pflanzen oder Tiere.
In der Entwicklung der Agrarwissenschaften ist der Chemie, bedingt durch Liebigs
Forschungen, eine entscheidende Rolle zugefallen. Die Chemie wurde zum
Bestandteil des täglichen Lebens und Gegenstand des Interesses, fand sogar den
Eingang in die Weltliteratur durch das unsterbliche, den Zeitgeist getreu
widerspiegelnde Werk „Die Tragödie des Menschen”, geschrieben 1859/60 von dem
großen ungarischen Dichter Imre Madách. Und was sagt vielleicht noch mehr über die
„Macht” der Chemie aus, als der Refrain des Couplet’s, das von Pál Jancsó, dem sehr
beliebten Komiker – früheren Inspektor– auf der Kabarettbühne gesungen wurde:
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„Der Mensch, der Chemie nicht lernt,
hat kein’ Meerschaumpfeife Wert!”
In dieser Atmosphäre räumte die ULG in ihrer Zeitschrift Wirtschaftsblätter das
Forum „Gedankenaustausch aus dem Kreis der Chemie und Physiologie” ein, in der
Absicht, dass hier jeder Leser seine Meinung über diese beiden Themenkreise, die
Liebigs Forschungen einheitlich zusammenfassen, ausdrücken kann. Darin erschienen
hauptsächlich Meinungen, die Liebig bestätigten, die Reihe schloß jedoch mit einer
Kritik, die betroffen machte.
<AUF DEM WEG ZUR MITGLIEDSCHAFT DER AKADEMIE>
Auch der kleine Irrtum eines großen Mannes ist groß: seine Gegner, seine Neider
übertreiben auch das Kleinste. Dieses stammte von seinen englischen Gegnern Laws
und Gilbert. Ihr 1856 erschienenes Buch: Entgegnung auf Baron Liebig’s Chemie, mit
Rücksicht auf die in England angestellten Untersuchungen – war mehr als Kritik: ein
Angriff auf das Genie und vielleicht auch ein Zeichen. Es schien, dass auch andere
dadurch ermutigt wurden.
Bis dahin wurden in Ungarn Liebigs Ergebnisse sachlich, mit großer Aufmerksamkeit
und Sympathie aufgenommen, manchmal mit Zweifel, allerdings seine Genialität nie
in Frage gestellt. Jetzt jedoch geht kein geringerer Gelehrter als Sámuel Brassai
(1800?-1897), bekannt auch als der letzte ungarische Polyhistoriker, Mitglied der
Akademie mit Elan zum Angriff über. In einem emotionalen Stil und schafer Sprache
macht er sich an die schonungslose Kritik der 1855er Ausgabe von „Die Grundsätze
der Agricultur-Chemie”.
Brassai erkennt an, dass Liebig für ein Heer von Thesen aus der Praxis bekannte
Verfahren eine wissenschftliche Erklärung gibt, aber danach läßt er sich von seinen
Emotionen hinreißen. Beschimpft Liebigs „schlampigen Stil” und macht ihm zum
Vorwurf, dass unter den 50 Grundsätzen die Chemie zukurz kommt; weiterhin,
warum er die Landwirte zu Versuchen ermuntere, stattdessen sollte besser er ihnen
unmittelbare Ratschläge, verläßliche Anweisungen erteilen.
Hier unterlag Brassai einem großen Irrtum, denn die Landwirte in Ungarn nutzten
schon viele von Liebigs Ratschlägen und Versuchen und stellten mehrere
verschiedene Kunstdünger her, dafür ist auch das Buch von Béla Festetics „Vom
Nutzen der chemischen Düngung” ein Beweis (1862). Mit Brassai’s scharfer Kritik
waren viele nicht einverstanden und gaben ihrem Widerspruch Ausdruck. Ein
unbekannter Leser bemerkt in den Wirtschaftsblättern, dass die Ungarn den großen
Helden der Chemie gegenüber nicht undankbar sind und aus dem ihnen gebührenden
Kranz für Liebig, dem „aus dem kleinen Gießen den ganzen Erdkreis erleuchtenden”
Gelehrten auch ein Zweig zufällt. Ein weiterer Autor (namenlos) macht – sicher aus
Trotz – Liebigs Chemische Briefe bekannt, die der Wissenschaftler selbst auch als
sein Hauptwerk ansieht, denn darin faßt er den Kern der Physiologie und der
landwirtschaftlichen Chemie zusammen. Der Artikelschreiber stellt fest, dass alles in
allem auch ein großer epochaler Geist wie Liebig seine Feinde hat.
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Aber, wie soll sich die Akademie verhalten, wenn eines ihrer angesehenen Mitglieder
einen anerkannten, weltberühmten anderen Wissenschaftler angreift? Als
Entschädigung bietet sich die einzige Lösung an: ihn zum Mitglied wählen! Und
tatsächlich auf der Mitgliederversammlung der UAW am 16. Dezember 1858 wird
Liebig zum auswärtigen ordentlichen Mitglied gewählt. (Gleichzeitig mit Th. Bell
(London), R. Bunsen (Heidelberg) und Alexander von Humboldt (Berlin) sowie
István Morócz zum korrespondierenden Mitglied).
Nach den Wahlen der Akademie schreibt das angesehenste Wochenblatt die
Sonntagszeitung (Vasárnapi Újság) „Gießen ist das Mekka der
Chemiewissenschaftler.” Zum Studium gehen sehr viele Ausländer, Ärzte,
Physiologen, Chemiker usw., dorthin. Und auch in Amerika gilt „Student bei Liebig
gewesen zu sein” als guter Empfehlungsbrief.
Inzwischen haben sich auch in Deutschland die Meinungsverschiedenheiten gelegt:
von Professor Birnbaum aus Gießen erscheint in den Wirtschaftszeitungen eine Studie
mit der Überschrift „Die Liebig- oder Aschentheorie” (1860), in der er komprimiert
Liebigs diesbezügliche Forschungsergebnisse zusammenfaßt und feststellt, diese
müssen im „Prinzip” anerkannt werden.
<DIE PROPAGANDISTEN VON LIEBIGS LEHRE AB 1860>
Die Entspannung im politischen Umfeld und später der Ausgleich brachten in Ungarn
einen gleichzeitigen Aufschwung für die Wirtschaft und das wissenschaftliche Leben
und verhalfen so Liebigs Lehren zu einer schnelleren Verbreitung. Das
Institutionensystem der landwirtschaftlichen Fachausbildung wurde ausgebaut und
auch die „neue” Chemie hielt ihren Einzug in die Fachbücher. Eine wesentliche
Förderung erfuhr diese durch den von Liebig 1861 gehaltenen Vortrag an der
Bayerischen Akademie der Wissenschaften: „Die moderne Landwirthschaft als
Beispiel der Gemeinnützlichkeit der Wissenschaften”. So war es sicher kein Zufall,
dass im folgenden Jahr der Lehrplan der Landwirtschaftlichen Akademie (damals
noch Lehranstalt) in Magyaróvár als neues Lehrfach die „Chemie der Futtermittel”
enthielt, die von Professor Károly Reitlechner gelesen wurde; später dann wurde der
Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern überprüft und reformiert.
In der wissenschaftlichen Fachwelt und auf den Seiten der Fachzeitschriften
erschienen die Mitglieder der neuen Generation, die sich sofort als Anhänger Liebigs
erwiesen. Unter ihnen auch der herausragende Pál Sporzon (1831-1917), junger
Lehrer am Lehrstuhl für „Landwirtschaftslehre und Forstenzyklopädie” des
Polytechnikums. Bis zum Ende verfolgt er mit Sympathie die Arbeit und den Kampf
des großen Wissenschaftlers; gibt dessen Lehren vom Katheder weiter (seit 1867
schon an der Höheren Landwirtschaftlichen Lehranstalt in Keszthely, ab 1874 dann an
der Landwirtschaftsakademie in Magyaróvár) und verbreitet sie in den
Fachzeitschriften.
1861 faßt er in einer Artikelreihe „Liebigs Lehren und deren Einfluß auf den
Ackerbau in Theorie und Praxis” die gesamten Ergebnisse der agrochemischen und
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physiologischen Forschungen zusammen. Am Ende der Reihe stellt er fest, dass
Liebigs Lehren eine große Spannung hervorgerufen haben zwischen der Wissenschaft
und der Praxis, da sie über den Landwirt, die seit Jahrhunderten erworbenen
Kenntnisse widerlegten. Sehr vielen konnte das nicht gefallen, als er aufklärte: die
Geschicklichkeit des Landwirts allein reicht nicht aus um eine Steigerung der Erträge
zu erzielen. Viele machten sich daran, die neuen Errungenschaften kennen zu lernen.
Aber man kann auch auf solche treffen, die böswillig ihre Unwissenheit verschleiern.
„Jeder Kutscher, der soviel von Chemie versteht wie seine Pferde oder Ochsen, fühlt
sich berufen mit lauter Verachtung darüber zu urteilen, was Liebig lehrt”. Bei anderen
wieder kamen die neuen Forschungen zum Einsatz – ohne zu wissen, dass diese von
Liebig stammen – während sie seinen Namen schmälerten.
Sporzon sucht nach einer Erklärung für diese Meinungen und findet mehrere Gründe:
1. Die Fachausbildung hatte bis dahin nur Rezepte bereit, aber keine Erklärungen und
umfaßende Ansichten anzubieten. (Das war die Wirtschaftslehre an den
landwirtschaftlichen Akademien). 2. Die primitiven Methoden der
landwirtschaftlichen Forschungen und Versuche, die unterentwickelte
Naturwissenschaft. 3. Für den Landwirt war es bequemer nach dem gewohnten
Schema zu arbeiten, als sich die neuen Lehren anzueignen.
Es war auch Sporzon, der als erster in der Fachpresse – unter Berufung auf Liebig –
den Nutzen einer Versuchsstation schildert und dazu einen Betriebsplan vorlegt. (Der
Aufbau der Versuchsstationen konnte erst ein Jahrzehnt später verwirklicht werden.)
Sporzon wird in einem englischen Fachblatt auf einen Landwirt aus Cheshire
aufmerksam, der Liebig für einen der größten Wohltäter auf dem Gebiet des
Ackerbauwesens hält. Ihm sei es zu verdanken, dass sich die Dunkelheit, die auf der
Ernährung von Pflanzen und Tieren lag, gelichtet hat. Er habe von Liebig gelernt, wie
es möglich sei Knochen und das mineralische Apatit zu Milch, Käse, Lamm- und
Rindfleisch zu verwandeln. Die Weiden in Cheshire produzieren mehr, ihm sei ihre
Wiedergeburt zu verdanken. Auf dem Etikett des Käses aus Cheshire sollte auch
Liebigs Name stehen. „Einmal wird die Zeit kommen, da werden die Landwirte
dankbar sein und ihm ein Denkmal setzen.”
Pál Sporzon fügt dem oben gesagten an: „In dieser Form denkt der nüchterne,
praktische, der rechnerische Engländer über den großen Sohn der Wissenschaften, den
berühmten Mann der Theorie” (1861).
Über drei Jahrzehnte verbreitet Sporzon die Ergebnisse von Liebigs Forschungen. Die
wichtigsten Artikel: „Über das Leben der Pflanzen und deren Bedingungen; Wieder
ein kurzer Blick in die geheime Werkstatt der Natur, (Nachhaltigkeit der Produktivität
des Bodens); Übersicht über die Mittel zur Bodenverbesserung und
Fruchtbarmachung bei verschiedenen Völkern; Die moderne Landwirtschaft als
Beispiel der Gemeinnützigkeit der Wissenschaften; Die Gesetze der
Bodenbearbeitung auf den Grundlagen der Liebigschen Theorie.” Zusammenfaßend
trifft er die Feststellung, dass Liebig „mit Langmut kämpft” und in seinen „heftigen
Schlachten – in denen viel Tinte, aber kein Blut fließt, viele ruhmreiche Siege
errungen hat.”
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József Jágóczi Péterffy (1827-1888), der Organisator und Direktor der Bildungsanstalt
für Winzer in Keszthely und Kálmán (sein Sohn?) übernahmen eine immense
Aufgabe: die Übersetzung der 4. Auflage von Liebigs Briefe der Chemie und die
Agrochemie. 1862 erschien der erste Band des großangelegten Werkes. In der
Einführung erinnern sie daran, dass Liebig keine Rezepte vorgibt, sondern
Grundlagen, denen sich der gebildete Landwirt anpassen muss. Den zweiten Band mit
der Agrochemie sind sie allerdings schuldig geblieben. (Die Übersetzung der 9.
Auflage von Liebigs Grundlagenwerk Organische Chemie in ihrer Anwendung auf
Agricultur und Physiologie wurde 1996 vom Forschungsinstitut für Bodenkunde und
Agrochemie der UAW unter der Redaktion von Imre Kádár herausgegeben.)
Ein fleißiger Vermittler von Liebigs Lehren war Antal Kodolányi (1850-1910). Als
Sohn eines Gutsverwalters lernte er schon im Elternhaus die Bedeutung von Liebigs
Forschungsergebnissen kennen und verbreitete diese als Redakteur in mehreren
Fachblättern sowie auch als Lehrer. Als Debüt – nach einigen kleineren Artikeln –
übersetzt er aus den chemischen Briefen die Axiomen der Agrochemie im
Gartenbauer (Kertészgazda), dem Presseorgan der Ungarischen Landesgartenbau
Gesellschaft.
Der Redakteur des Gartenbauers P. Ferenc Girokuti, der eine Verbreitung der
Chemiekenntnisse für wichtig hielt, schreibt: „Meine Gartenbaukameraden, ob es nun
gefällt oder nicht, endlich muss einmal in den sauren Apfel gebissen werden und man
sich mit der Chemie anfreunden.” Zehn Jahre später, nach der Übersetzung,
Verbreitung vieler, vieler Artikel Liebigs, fällt János Kodolányi als „ein bescheidener
Verehrer des großen Mannes” die Aufgabe zu einen Nachruf auf Liebig im
Ungarischen Landwirt zu schreiben.
<LEBENSMITTELCHEMIE>
Liebig gehörte zu den Wissenschaftlern, die auf ihrem Katheder mit dem Mythos der
„reinen” Wissenschaft brachen und ihr Wissen in den Dienst zum Wohle der
Menschheit stellten. So wurde Liebig der Gründer der Lebensmittelchemie: eine
ganze Reihe Erfindungen und Entdeckungen zeigen seine Tätigkeit in dieser
Richtung. Bis dahin hatte die Wissenschaft abgrundtief auf den Themenkreis „Küche”
herabgesehen, auch Gay Lussac sprach noch verächtlich über den Italiener PellegrinySavigny, weil dieser Anweisungen zur Herstellung guter Suppen und Eis gegeben
hatte.
Die Unwissenheit über die Lebensmittel ist groß, der Gedanke einer gesunden
Ernährung noch Utopie.
Die heutige Hausfrau, die im Laden Suppenwürfel, Fleischsuppenextrakt, Konserven
einkauft, weiss kaum, dass sie diese Liebigs Erfindung zu verdanken hat.
1854 stellt Liebig eine neue, kalte Fleischsuppe her, damit rettet er Agnes Muspratt,
Tochter seines Freundes, das Leben. (Das wird später noch zur Sprache kommen). Die
Fleischsuppe, der Fleischextrakt, die Suppe für Säuglinge, die Kaffeeherstellung, die
Konservierung der Milch, das Brotbacken (was die Wissenschaft seit Jahrhunderten
nicht angerührt hat) ist in den 50er, 60er Jahren für die landwirtschaftlichen,
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medizinischen und Apotheken Fachblätter ein oft behandeltes Thema. Hier sei nur am
Rande erwähnt, dass Liebig 1869 das ungarische Mehl untersucht hat. Nach den
Mehlproben, die er von der Pester Mühle bekommen hatte, stellte er im Hinblick auf
den Nährwert fest, „ dieses erhält den ersten Platz” im weiteren als Basis für die
Brotbäckerei, „übertrifft es alle Mehlsorten, die bis dahin in seine Hände gelangten”.
Schon in den sechziger Jahren ist das Zitieren Liebigs nicht mehr überschaubar: „sein
Zitierungsindex” sollte hier sehr hoch sein. In den siebziger Jahren sind diese
Kenntnisse „apriori” Bestandteil der Allgemeinbildung geworden, für die Liebig noch
so hart hatte kämpfen müssen.
Liebigs Tod 1873 gedenken zahlreiche Presseorgane. In der UAW verabschiedet
Károly Than, Professor der Chemie, der sich auch international einen Namem
gemacht hatte, den großen Gelehrten und würdigt seine Bedeutung in einer langen
Trauerrede. Liebig konnte durch seine Größe hunderte-tausende von Forschern und
Schaffenden in seinen Bann ziehen. (Das hat auch heute noch Gültigkeit, wenn man
seine Arbeiten liest.) Man kann nicht behaupten, dass es eine gebildete Nation auf der
Welt gibt, die Liebig keinen Dank schuldet – schreibt das Blatt der Geologie (Földtani
Közlöny) in einem Nekrolog auf Liebig.
Die sprunghafte Entwicklung der ungarischen Landwirtschaft in der 1880er Jahren ist
nicht zuletzt Liebigs Lehren zu verdanken; um die Verbreitung der fachlich korrekten
Düngung machten sich Tamás Kosutány, Professor für Chemie beziehungsweise
Sándor Cserháti, Professor für Pflanzenproduktion sehr verdient.
Zum Schluß sollte noch an zwei Hungaricum Ausgaben erinnert werden, von denen
bis jetzt noch nicht die Rede war. Da ist zum einen: Das Buch von Remigius
Fresenius „Einführung der chemischen qualitativen Analyse”, deren 12. überarbeitete
Auflage von der Ungarischen Medizinischen Verlagsgesellschaft (Magyar Orvosi
Könykiadó Társaság) herausgegeben wurde. (Der Autor führte an der Universität
Gießen die Anfänger in die Methoden der Mineralanalyse ein.) Das Vorwort dazu
schrieb Liebig für seinen damaligen Mitarbeiter.
Das andere eine bibliophile Rarität, ein insgesamt 12,5 x 8,5 cm großes Büchlein,
enthält Liebigs chemische Analyse über die Heilquellen in Kissingen. (Titel: „Ein
kurzer Bericht über die Bestandteile, Heilwirkung und Nutzen der Heilquellen
Rákoczy, Kissingen, Bocklet und Brückenau”…) Die Übersetzung der Analyse in den
Annalen der Chemie wurde bei Otto Maas 1873 in Wien gedruckt.
1856 erklärt einer von Liebigs Verehrern: Die Ungarn sind nicht undankbar dem
großen „Helden” gegenüber. Tatsächlich beweist das Leben dieses auch nach Liebigs
Tod. Hundert Jahre nach dem Erscheinen seines Grundlagenwerkes „Die organische
Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie” gedenkt im „Köztelek”
dem angesehensten landwirtschaftlichen Fachblatt, Robert Ballenegger,
Universitätsprofessor, in einer langen Studie Liebigs Ergebnissen.
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Und jetzt sind wir hier von der Szent István Universität Gödöllő, der Partnerstadt von
Gießen. Abschließend sollte nicht versäumt werden Liebigs Kontakt zu einer seiner
„Studentinnen”, einer Bewohnerin aus Gödöllő, zu erwähnen.
Liebig eroberte von Gießen aus das Weltreich der Chemie, aber auch in seiner
Münchener Zeit ab 1852 war er nicht untätig. Für die Münchener Intelligenz
veranstaltete er eine Vortragsreihe über die Ergebnisse seiner Forschungen. An diesen
„Abendvorlesungen” nahmen auch königliche und herzogliche Mitglieder der Familie
Wittelsbach teil. An einem dieser Vortragsabende, am 9. April 1853, kam es zu einem
Unfall. Liebig führte einen beeindruckenden Versuch vor: Verbrennung von
Schwefelkohlenstoff in Stickoxydgas, bei der stimmungsvolles hellblaues Licht
aufflackerte. Das Publikum war von dem Versuch hingerissen und bat um eine
Wiederhohlung.
Dann geschah das Unglück. „Wenn… der Assistent… Liebig für den Versuch eine
Flasche gereicht hatte, die statt mit Stickoxyd mit Sauerstoff gefüllt war, so erklärt
sich die Explosion ja ohne weiteres” (Vollhard 1909). Liebig wurde an mehreren
Stellen durch Glassplitter verletzt. Zum Glück wurden die gefährlichsten von seiner
Tabaksdose abgefangen.
Von den am nächsten sitzenden wurde die Königinmutter Therese im Gesicht verletzt,
Prinz Leopold oben am Kopf. Unverletzt blieben die Töchter Herzog Max’: Helene
und die erst 15 jährige Elise, die damals noch Sisi genannt wurde.
Die Explosion löste keine Panik aus, alle bewahrten die Ruhe und niemand machte
Liebig einen Vorwurf, stattdessen wurde er am Abend vom Leibarzt der
Königinmutter besucht, am andern Tag erhielt er Besuch vom alten König und am 18.
April saß er am Tisch der Familie von Herzog Max.
Mit dieser Episode wird das von Liebig und Königin Elisabeth – als „Studentin” –
bestehende Bild um einiges bereichert. An dieser Stelle sollte auch nicht unerwähnt
bleiben, dass später auf dem Diätplan Königin Elisabeths Liebigs Fleischsuppen
vertreten waren und es gab eine Zeit, in der die aus rohem Fleisch hergestellte kalte
Suppe nach Muspratt an erster Stelle stand – sehr zum Grausen von Kaiser und König
Franz Joseph.
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