Der Einfluß Justus von Liebigs auf die ungarische Wissenschaft Von Prof. Dr. György Füleky und Dr. Gyula Walleshausen http://miau.gau.hu/gg/2003/liebig.doc Seine Karriere begann mit Knallsäure und setzte sich schnell in einer reihenweise Vorurteile sprengenden Zeit, in einer selbst auch explosiven Gesellschaft fort. In Ungarn herrschte zwar noch der Feudalismus, aber die wichtigen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft hatten sich schon herausgebildet. Besonders aktiv war die Ungarische Akademie der Wissenschaften (1825) (UAW), die Ungarische Landwirtschaftliche Gesellschaft (1836) (ULG) und die Königlich-Ungarische Naturwissenschaftliche Gesellschaft (1841). Ungarn hatte eine Universität (Pest). An dieser gründete Maria Theresia 1777 den Lehrstuhl für Landwirtschaft. Der erste Professor, der Ungar Ludwig Mitterpacher lehrte von 1773 bis 1777 am Wiener Theresianum, auch schon mit einem Versuchsgarten für Studienzwecke ausgestattet, die Landwirtschaft. Die jungen Leute jedoch, die eine Ausbildung zum Wirtschaftsbeamten anstrebten, besuchten lieber das 1797 von Graf György Festetics gegründete Georgikon in Keszthely oder ab 1818 die Lehranstalt in Magyaróvár. Diese war von Großherzog Albert Kasimir von Sachsen und Teschen gegründet worden. Die landwirtschaftliche Chemie war auch in ungarischen Fachkreisen nicht unbekannt: Der ungarische Vorreiter der Agrochemie, Ferenc Pethe (1763-1832) Lehrer an der landwirtschaftlichen Lehranstalt Georgikon in Keszthely (Redakteur, Fachautor) übersetzte 1815 die Arbeit von H. Davy: Elements of Agriculture Chemistry ins ungarische und veröffentlichte diese in mehreren Folgen in seiner Zeitschrift Nationaler Landwirt (Nemzeti Gazda). Der Name Liebig wurde 1840 in der ungarischen wissenschaftlichen Welt bekannt: Péter Vajda (1808-1848) Naturwissenschaftler und Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften machte in der Akademie-Zeitschrift auf die Abhandlung „Über das Studium der Naturwissenschaften” auf den Professor aus Gießen aufmerksam. „Wenn doch in jedem Land die Naturwissenschaft so geschätzt würde” wie in Hessen, wo Ärzte, Astronome, Physiker, Apotheker und „umfaßend gebildete Physiologielehrer ausgebildet werden” – stellt Vajda fest. Liebigs Epoche machende Arbeit die „Organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie” wird 1841 nicht nur von den Landwirten sondern gleichzeitig auch von einem Professor der Medizin, dem Redakteur der Fachzeitschrift Ärztliches Magazin (Orvosi Tár) entdeckt: Ferenc Flór (1809-1871) berichtete über „die neuesten Ansichten des ruhmreichen Liebigs über die Gifte”. (Hier sei angemerkt, dass den besten ungarischen Wissenschaftlern Liebigs Forschungen durchaus bekannt waren und seine Genialität ihre Anerkennung fand. Worauf sich das Attribut „ruhmreich” bezieht). Ein weiterer Arzt, József Török, Sekretär der Königlich-Ungarischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft schrieb 2 einen Artikel (1843) zu dem von Liebig herausgegebenen Handwörterbuch der Chemie über das Auftreten von Steinbildungen im Tier- und menschlichen Körper und noch ein Arzt, Tamás Kún berichtete über den Nahrungs- und Atmungsverlauf auf der Basis von Liebigs Forschungen (1844). Gleichfalls „entdeckten” die Interessenten der Nahrungsmittelchemie Liebig: auf der Sitzung der Königlich-Ungarischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft hält Lipót Pauer einen Vortrag über die Aufsätze von Liebig über das Kochen von Fleischsuppe und das Einsalzen von Fleisch (1847). Die Fachvereinigung der Landwirte (ULG) entfaltet in den 40er Jahren eine sehr rege Tätigkeit. Auf ihren Diskussionssitzungen werden die Neuigkeiten der modernen Bewirtschaftung bekanntgemacht und das 1841 gegründete Wochenblatt, der Ungarische Landwirt (Magyar Gazda), vermittelt auch dem Landwirt in der abgelegensten Provinz die neuesten Forschungsergebnisse. Für die Forschungen in der Chemie gibt die technologische Fachabteilung der ULG 1841 die Zeitschrift mit dem Namen „MŰIPAR” heraus, was wohl hauptsächlich dem Einfluß Liebigs zuzuschreiben ist, zur Verbreitung der Neuheiten auf dem Gebiet der agrochemischen (und mechanischen) Technologie. <ERNÄHRUNG UND DÜNGUNG DER PFLANZEN> In der ULG wurde Liebigs Name erstmals 1841erwähnt, auf jener Sitzung auf der über die Methoden zur Ergänzung der Bodenfruchtbarkeit beraten wurde. Man diskutierte darüber „ ob wohl in Gips Düngekraft enthalten sei?” Als Neuigkeit beeindruckte auch die Ansicht der Chemiker, wonach die hauptsächliche Ernährung der Pflanzen aus Kohlenstoff und Stickstoff besteht. Die fachlich gebildeten Landwirte kannten – und anerkannten – Liebigs Genialität und die Bedeutung seiner Entdeckung. Mehreren jungen Fachleuten – Wissenschaftsanwärtern – sei hier besondere Aufmerksamkeit gewidmet. 1. Gustáv Karafiat beendete sein Studium mit einem hervorragenden Ergebnis in Hohenheim und wurde mit dem „Verdienstgeld” des Königs von Württemberg ausgezeichnet (1842). Nach Hause zurückgegkehrt wird der junge Fachmann aufmerksam auf die Forschungen Liebigs zur Ernährung der Pflanzen und beginnt drei darauf bezogene unterschiedliche Theorien zu vergleichen: 1. die Humustheorie, 2. die nach Sprengel, 3. die nach Liebig (1843). 2. Die überaus schnelle Verbreitung von Liebigs Lehren zwischen 1843 und 1845 können in Alajos Mannó’s (1816-1846) Büchern beobachtet werden. Der begabte junge Mann beendet sein Studium an der Philosophischen Fakultät der Pester Universität (hier hört er auch die landwirtschaftliche Lehre!), dann immatrikuliert er sich an der Medizinischen Fakultät. Es sind schon zwei Bücher über Chemie von ihm erschienen, als er 1843 das Buch von Schlipf „Lehr- und Handbuch der gesammten Landwirtschaft” übersetzt. Darin ist zu lesen, dass die Mineralien nur vorbereitende „Reizmittel” zu einer schnelleren Assimilation der Humusdüngung sind. Der zweiten 3 ungarischen Auflage fügt Mannó 1845 einen „Anhang” an. Darin schreibt er, dass unter den Wissenschaftlern „Liebig wie ein Stern glänzt”. Seinen Forschungen sei es zu verdanken, dass die Landwirte Kenntnisse über die Pflanzendüngung erhalten und dieses wird von Mannó in kurzen Zügen dargestellt. 3. János Bartók (1816-1877) – Großvater des weltberühmten Komponisten Béla Bartók – studiert zwischen 1845-1848 als Lehramtsanwärter mit einem Stipendium die Landwirtschaft Westeuropas. Am 2. Mai 1847 erreicht er nach einem ausgedehnten Fußmarsch von Mainz kommend den blühenden Gutshof des Dr. Langen-Windheuser. Unter den Bücherstapeln auf dem Tisch des ausgezeichneten, experimentierfreudigen Autodidakt-Landwirts befand sich auch das von Liebig. 4. János Jób, der praktische Landwirt, der 1837 die berühmte Landwirtschatliche Lehranstalt in Magyaróvár beendet hat, untersucht im Oktober 1841 (in Alsóbalog, Komitat Gömör) noch im klassischen Sinne wieviel Nährstoffe die Kartoffel unter Stalldung und Fruchtwechselbedingungen dem Boden entzieht. Empfänglich für die neue Richtung kommt Jób 1844 nach Niederösterreich (Walterskirchen) und seine von dort übermittelten Artikel und Berichte spiegeln schon Liebigs Lehren wider. Er konstatiert je besser die Chemie in die Landwirtschaft eindringt um so mehr wird diese optimiert. Bis dahin hatten die Landwirte auf die Chemie herabgesehen und umgekehrt: die Chemiker hielten es für uninteressant sich mit der Lehre der Chemie der Landwirtschaft zu befassen. Ohne Kenntnisse der Planzenernährung ist eine Verbesserung der Landwirtschaft unvorstellbar – bekennt er, sich auf Liebig berufend (1846). Seit Jahrtausenden lebt der Irrglaube, dass sich die Pflanzen aus dem Humus ernähren. Diesen hat der „geniale” Liebig durchbrochen. Er weist das Gespött all jener zurück, die noch immer die überholten Thesen aus dem Buch von Hlubek „Statik des Landbaues” verkünden. Jób macht mit grosser Freude Liebigs Forschungsergebnisse populär. In seiner Artikelreihe von 1846 und 1847 verbreitet er alle wichtigen Kenntnisse über die Düngung. Er betont: diejenigen irren, die behaupten das alles eine „trügerische Theorie” sei, was der große Wissenschaftler lehrt. (1847) 5. Ignác Darányi (1811-1877) Anwalt und daneben auch ausgebildeter Landwirt (Georgikon), dessen Interesse für das Geheimnis der Pflanzenernährung geweckt wurde und der Monnier’s 1840 erschienene Studien übersetzte. Während der Übersetzungsarbeit erschien Liebigs Buch der Agrochemie. Jetzt wurde Darányi darauf neugierig: woraus besteht die Pflanze? Was entzieht sie dem Boden? Wie ist der Ackerboden und worin unterscheidet er sich vom unfruchtbaren? Welche Wirkung haben die unterschiedlichen (organischen) Dünger? Zum Schluß stellt er fest, dass der Landwirt vieles der Wissenschaft zu verdanken hat. Schade, dass die „gelehrtesten” Naturforscher, Forscher keine praktischen Landwirte und die „praktischsten Landwirte” gleichzeitig auch keine Forscher sind. 4 6. 1844 hatte Adolf Érkövy (1818-1883) Sekretär der ULG erfahren, dass in England von Liebig zusammengestellter Kunstdünger hergestellt wurde. Er bestellt davon und bot diesen dann zum halben Preis zu Versuchszwecken an. Jedoch die „gebildeten Landwirte weigerten sich Versuche durchzuführen …… sie verlangten diesen umsonst und zusätzlich auch noch den Dank des Vereins, und als die Düngemittel umsonst abgegeben wurden, blieben sie ungenutzt stehen.” Nach diesem Fiasko hielt es die ULG für wichtiger, dass eine breitere Menge mit den Kenntnissen über Liebigs Mineraldünger vertraut gemacht wurde: 1846 wird in ihrer Zeitschrift der Ungarische Landwirt (Magyar Gazda) mitgeteilt, dass der Mineraldünger von der Firma Mustpratt und Co in Liverpool hergestellt wird. In den beiden folgenden Jahren wiederholt der Ungarische Landwirt die Bekanntmachung der Firma Mustpratt, die nun schon patentierten chemischen Dünger herstellt. Für jede Pflanze werden immer wieder neu zusammengestellte Düngemittel verkauft: 1. Unter Weizen, Roggen, Gerste und Hafer, 2. Kartoffeln, Zuckerrüben, rote Rüben, Pasternaken und sonstige Zwiebelgewächse, 3. Gräser, 4. Klee, Luzerne, Erbsen, Bohnen, 5. Hanf. Liebig ist zweifellos ein ausgezeichneter Mensch, dem Dank und Lob gebührt. Wenn seine Düngemittel wirklich die von ihm angegebene Wirkung zeigen und er dieses nicht nur durch seine Forschungen der Pflanzenphysiologie beweist, dann verändert sich damit auch wesentlich die heutige Bewirtschaftung, – merkt der Redakteur Török János an. Auf der Wanderversammlung der deutschen Ärzte und Naturforscher 1843 in Graz ist auch Liebig zugegen und gibt Antworten auf diverse Fragen. Z.B. wie die Zusammensetzung des Ackerbodens untersucht werden muss: die üppig auf dem Ackerboden wuchernden Unkräuter müssen gesammelt und nach dem trocknen verbrannt werden. Die chemische Untersuchung der Asche klärt dann über die Zusammensetzung der Bodenkrume auf. (Das Unkraut, als Bodenindikator, erscheint hier zum ersten Mal.) 7. Über Liebigs Vorlesungen berichtet auch Károly Nendtvich (1811-1892) der an Chemie interessierte Arzt. Später gibt er als Chemielehrer an der Technischen Universität Liebigs Lehren weiter. 8. István Morócz (1816-1881) ebenfalls promovierter Arzt – mit Interesse an der Chemie – der dann doch die landwirtschaftliche Laufbahn wählte. Zeitungsredakteur, Sekretär des ULG, Fachautor und später UAW Mitglied. In seiner Artikelreihe „Stöbern auf dem Gebiet der Chemie,” die 1844 erscheint, beschäftigt er sich – inspiriert von Liebig – in einem Kapitel mit der Lebensmittelchemie (Mehl, Brot, Milch, Käse, Butter, Speisöl, Bier, Wein). Im nächsten Jahr beginnt die Artikelreihe unter der Überschrift: „Populäre Lektionen aus der landwirtschaftlichen Chemie.” 1844 plant die ULG eine landwirtschaftliche Hochschule ins Leben zu rufen. Auf den Lehrstuhl für Chemie wurde Morócz gewählt 5 und im Dezember 1846 auf eine dreijährige Studienreise geschickt. Er war schon unterwegs, als der Ungarische Landwirt begann seine Abhandlung „Skizzen der angewandten Chemie”, deren Motto unter einem Satz von Liebig stand: Die Kenntnis der Natur ist der Weg, sie liefert uns die Mittel zur geistigen Vervollkommnung” publizierte. Laut Reiseplan sollte er zwei Monate bei Liebig in Gießen verbringen, aber dazu kam es nicht mehr. Im Sommer 1848 kehrt er nach Hause zurück und nimmt als Armeearzt am Freiheitskampf teil. Liebigs Buch der Agrochemie wird auch von den Önologen, Winzern fleißig gewälzt. Ferenc Zöld der Winzer aus Keszthely schreibt über den Nutzen der Gründüngung. Diese Methode war zwar schon früher bekannt, aber jetzt endlich dringt Liebig in das Geheimnis des pflanzlichen Lebens ein und gibt eine Erklärung warum das Untergraben der abgeschnittenen Rebtriebe in den Ackerboden so nützlich ist. In den 1840er Jahren studieren mehrere Ungarn an der Landwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim. Unter ihnen nahmen Lajos Árkossy, Sándor Kapitány und János Vattay an der Tagung der deutschen Winzer 1846 in Heilbronn teil, wo sich in diversen Referaten auch mit Liebigs Forschungen beschäftigt wurde. Besonders zwei Fragen beschäftigten die Diskussionen: 1. Ob die Pflanze genügend Nitrogen aus der Luft aufnehmen kann? 2. Ob es nicht besser wäre, das Gefäß bis zur Reife des Weins offen stehen zu lassen? Auf Basis von Liebigs Rezept ist es möglich die Altweine in ihrem Säuregehalt zu verbessern. Er hatte dabei die Rheinweine vor Augen, aber auch für die ungarischen Weine kann sein „Rezept” angewendet werden (1849). József Péterfy, Stipendiat der Ungarischen Landwirtschaftlichen Gesellschaft, wird auf seiner Studienreise ins Ausland mit dem Namen Liebig bekannt. Er weist die ungarische Fachwelt darauf hin, dass man von Liebig viel lernen kann (1845). Liebigs 1842 erschienene Tierchemie gelangt auf großen Umwegen nach Ungarn. Zuerst wird diese von dem Arzt H.Ancell (1803-1863) ins englische übersetzt und mit Anmerkungen versehen, dann „Nach dem Englischen bearb. u. ins deutsche mit weiteren Anmerkungen übersetzt von A.W.Krug” und 1844 in Pest gedruckt: Liebig’s Thierchemie und ihre Gegner, ein vorzüglich für praktische Ärzte berechneter ausführlicher Commentar zu dessen physiologischen, pathologischen und pharmakologischen Ansichten. Der Ungarische Landwirt gibt basierend auf Liebigs Lehren nützliche Anweisungen zur Fütterung des Rindviehs (1847). Ein Siebenbürgener Fachblatt, der Naturfreund (Természetbarát), untersucht die Wirkung der verschiedenen Futtermittel auf die Fettbildung der Tiere. Es wird auch die Meinung von Beccaria (1742), dann die der zwei Thomson, Boussingault, Prout und Liebig vorgestellt und Liebigs Froschungen als annehmbar eingeschätzt, wonach die Butter- und Fettbildung hauptsächlich der Desoxidation von Mehl und Zucker zu verdanken ist (1846). 6 1845 wütet in ganz Europa die Kartoffelkrankheit und die Fachleute wenden sich an Liebig. Nach Ansicht des Gelehrten besteht der Fehler der 1845er Kartoffelernte darin, dass die Kartoffel aussergewöhnlich viel Casein enthält, was mit Säure herausgelöst werden könnte. Es ist für Liebigs Ansehen charakteristisch, dass einer der Autoren sogar noch über die Wichtigkeit des Kanalbaus schreibt und sich dabei – ausdrücklich – auf ihn beruft. Nach der Niederschlagung des Freiheitskampfes folgten in der 1850er Jahren harte Repressalien, die sich in allen Bereichen lähmend auf das fachlich-wissenschaftliche Leben und die Lehre auswirkten. Jedoch Liebigs Name glänzte: laut dem 5. Band des zwischen 1850-53 erschienenen Ungarischen Lexikons ist Liebig „einer der größten jetzt lebenden Chemiker.” István Morócz, der in den 40er Jahren Liebigs Lehren mit Sachverstand interpretiert hatte, trat 1855 erneut mit einer größeren Arbeit hervor. Das ungarische landwirtschaftliche Publikum benötigte dringend ein gutes Handbuch. So wurde von der ULG beschlossen das in der Praxis schon bewährte Buch von Henry Stephens „The book of the farm” übersetzen zu lassen, aber den die Grundlagen der Naturwissenschaften abhandelnden ersten Band von ungarischen Autoren schreiben zu lassen, um die neuesten Ergebnisse der Wissenschaft widerzuspiegeln. Das Kapitel über die Chemie erhielt István Morócz. Morócz stellt fest, dass Liebig eine „neue Ära” im Verhältnis von Chemie und Landwirtschaft eingeleitet hat. Er verbreitet und verteidigt unermüdlich jene Lehre, dass die Pflanzen ihr Dasein der Mineralernährung zu verdanken haben, oder sich von anorganischen Stoffen ernähren. Im weiteren: „der anorganische Stoff geht durch den pflanzlichen Organismus, nicht nur um diesen zu ernähren, sondern um sich auch noch zur Ernährung des Tierkörpers – als Endziel – umwandeln zu können.” Der neue Geist fand viele Gegner. Laut einer der Gegenparteien ist es nicht wahr, was Liebig verkündet, laut der anderen gibt es nichts neues in seinen Lehren, denn diese kannten auch andere schon sehr lange. Solange Liebig noch mit seinen Landsleuten diskutierte, machten die englischen Landwirte „elektrisiert durch die Ansichten des deutschen Professors, staunenswerte Fortschritte in einer rationalen Bewirtschaftung”. Das Buch beschäftigt sich über Längen mit den Gedanken Liebigs „eigene” Ernährung angepasst an jede Rasse, sei es für Pflanzen oder Tiere. In der Entwicklung der Agrarwissenschaften ist der Chemie, bedingt durch Liebigs Forschungen, eine entscheidende Rolle zugefallen. Die Chemie wurde zum Bestandteil des täglichen Lebens und Gegenstand des Interesses, fand sogar den Eingang in die Weltliteratur durch das unsterbliche, den Zeitgeist getreu widerspiegelnde Werk „Die Tragödie des Menschen”, geschrieben 1859/60 von dem großen ungarischen Dichter Imre Madách. Und was sagt vielleicht noch mehr über die „Macht” der Chemie aus, als der Refrain des Couplet’s, das von Pál Jancsó, dem sehr beliebten Komiker – früheren Inspektor– auf der Kabarettbühne gesungen wurde: 7 „Der Mensch, der Chemie nicht lernt, hat kein’ Meerschaumpfeife Wert!” In dieser Atmosphäre räumte die ULG in ihrer Zeitschrift Wirtschaftsblätter das Forum „Gedankenaustausch aus dem Kreis der Chemie und Physiologie” ein, in der Absicht, dass hier jeder Leser seine Meinung über diese beiden Themenkreise, die Liebigs Forschungen einheitlich zusammenfassen, ausdrücken kann. Darin erschienen hauptsächlich Meinungen, die Liebig bestätigten, die Reihe schloß jedoch mit einer Kritik, die betroffen machte. <AUF DEM WEG ZUR MITGLIEDSCHAFT DER AKADEMIE> Auch der kleine Irrtum eines großen Mannes ist groß: seine Gegner, seine Neider übertreiben auch das Kleinste. Dieses stammte von seinen englischen Gegnern Laws und Gilbert. Ihr 1856 erschienenes Buch: Entgegnung auf Baron Liebig’s Chemie, mit Rücksicht auf die in England angestellten Untersuchungen – war mehr als Kritik: ein Angriff auf das Genie und vielleicht auch ein Zeichen. Es schien, dass auch andere dadurch ermutigt wurden. Bis dahin wurden in Ungarn Liebigs Ergebnisse sachlich, mit großer Aufmerksamkeit und Sympathie aufgenommen, manchmal mit Zweifel, allerdings seine Genialität nie in Frage gestellt. Jetzt jedoch geht kein geringerer Gelehrter als Sámuel Brassai (1800?-1897), bekannt auch als der letzte ungarische Polyhistoriker, Mitglied der Akademie mit Elan zum Angriff über. In einem emotionalen Stil und schafer Sprache macht er sich an die schonungslose Kritik der 1855er Ausgabe von „Die Grundsätze der Agricultur-Chemie”. Brassai erkennt an, dass Liebig für ein Heer von Thesen aus der Praxis bekannte Verfahren eine wissenschftliche Erklärung gibt, aber danach läßt er sich von seinen Emotionen hinreißen. Beschimpft Liebigs „schlampigen Stil” und macht ihm zum Vorwurf, dass unter den 50 Grundsätzen die Chemie zukurz kommt; weiterhin, warum er die Landwirte zu Versuchen ermuntere, stattdessen sollte besser er ihnen unmittelbare Ratschläge, verläßliche Anweisungen erteilen. Hier unterlag Brassai einem großen Irrtum, denn die Landwirte in Ungarn nutzten schon viele von Liebigs Ratschlägen und Versuchen und stellten mehrere verschiedene Kunstdünger her, dafür ist auch das Buch von Béla Festetics „Vom Nutzen der chemischen Düngung” ein Beweis (1862). Mit Brassai’s scharfer Kritik waren viele nicht einverstanden und gaben ihrem Widerspruch Ausdruck. Ein unbekannter Leser bemerkt in den Wirtschaftsblättern, dass die Ungarn den großen Helden der Chemie gegenüber nicht undankbar sind und aus dem ihnen gebührenden Kranz für Liebig, dem „aus dem kleinen Gießen den ganzen Erdkreis erleuchtenden” Gelehrten auch ein Zweig zufällt. Ein weiterer Autor (namenlos) macht – sicher aus Trotz – Liebigs Chemische Briefe bekannt, die der Wissenschaftler selbst auch als sein Hauptwerk ansieht, denn darin faßt er den Kern der Physiologie und der landwirtschaftlichen Chemie zusammen. Der Artikelschreiber stellt fest, dass alles in allem auch ein großer epochaler Geist wie Liebig seine Feinde hat. 8 Aber, wie soll sich die Akademie verhalten, wenn eines ihrer angesehenen Mitglieder einen anerkannten, weltberühmten anderen Wissenschaftler angreift? Als Entschädigung bietet sich die einzige Lösung an: ihn zum Mitglied wählen! Und tatsächlich auf der Mitgliederversammlung der UAW am 16. Dezember 1858 wird Liebig zum auswärtigen ordentlichen Mitglied gewählt. (Gleichzeitig mit Th. Bell (London), R. Bunsen (Heidelberg) und Alexander von Humboldt (Berlin) sowie István Morócz zum korrespondierenden Mitglied). Nach den Wahlen der Akademie schreibt das angesehenste Wochenblatt die Sonntagszeitung (Vasárnapi Újság) „Gießen ist das Mekka der Chemiewissenschaftler.” Zum Studium gehen sehr viele Ausländer, Ärzte, Physiologen, Chemiker usw., dorthin. Und auch in Amerika gilt „Student bei Liebig gewesen zu sein” als guter Empfehlungsbrief. Inzwischen haben sich auch in Deutschland die Meinungsverschiedenheiten gelegt: von Professor Birnbaum aus Gießen erscheint in den Wirtschaftszeitungen eine Studie mit der Überschrift „Die Liebig- oder Aschentheorie” (1860), in der er komprimiert Liebigs diesbezügliche Forschungsergebnisse zusammenfaßt und feststellt, diese müssen im „Prinzip” anerkannt werden. <DIE PROPAGANDISTEN VON LIEBIGS LEHRE AB 1860> Die Entspannung im politischen Umfeld und später der Ausgleich brachten in Ungarn einen gleichzeitigen Aufschwung für die Wirtschaft und das wissenschaftliche Leben und verhalfen so Liebigs Lehren zu einer schnelleren Verbreitung. Das Institutionensystem der landwirtschaftlichen Fachausbildung wurde ausgebaut und auch die „neue” Chemie hielt ihren Einzug in die Fachbücher. Eine wesentliche Förderung erfuhr diese durch den von Liebig 1861 gehaltenen Vortrag an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: „Die moderne Landwirthschaft als Beispiel der Gemeinnützlichkeit der Wissenschaften”. So war es sicher kein Zufall, dass im folgenden Jahr der Lehrplan der Landwirtschaftlichen Akademie (damals noch Lehranstalt) in Magyaróvár als neues Lehrfach die „Chemie der Futtermittel” enthielt, die von Professor Károly Reitlechner gelesen wurde; später dann wurde der Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern überprüft und reformiert. In der wissenschaftlichen Fachwelt und auf den Seiten der Fachzeitschriften erschienen die Mitglieder der neuen Generation, die sich sofort als Anhänger Liebigs erwiesen. Unter ihnen auch der herausragende Pál Sporzon (1831-1917), junger Lehrer am Lehrstuhl für „Landwirtschaftslehre und Forstenzyklopädie” des Polytechnikums. Bis zum Ende verfolgt er mit Sympathie die Arbeit und den Kampf des großen Wissenschaftlers; gibt dessen Lehren vom Katheder weiter (seit 1867 schon an der Höheren Landwirtschaftlichen Lehranstalt in Keszthely, ab 1874 dann an der Landwirtschaftsakademie in Magyaróvár) und verbreitet sie in den Fachzeitschriften. 1861 faßt er in einer Artikelreihe „Liebigs Lehren und deren Einfluß auf den Ackerbau in Theorie und Praxis” die gesamten Ergebnisse der agrochemischen und 9 physiologischen Forschungen zusammen. Am Ende der Reihe stellt er fest, dass Liebigs Lehren eine große Spannung hervorgerufen haben zwischen der Wissenschaft und der Praxis, da sie über den Landwirt, die seit Jahrhunderten erworbenen Kenntnisse widerlegten. Sehr vielen konnte das nicht gefallen, als er aufklärte: die Geschicklichkeit des Landwirts allein reicht nicht aus um eine Steigerung der Erträge zu erzielen. Viele machten sich daran, die neuen Errungenschaften kennen zu lernen. Aber man kann auch auf solche treffen, die böswillig ihre Unwissenheit verschleiern. „Jeder Kutscher, der soviel von Chemie versteht wie seine Pferde oder Ochsen, fühlt sich berufen mit lauter Verachtung darüber zu urteilen, was Liebig lehrt”. Bei anderen wieder kamen die neuen Forschungen zum Einsatz – ohne zu wissen, dass diese von Liebig stammen – während sie seinen Namen schmälerten. Sporzon sucht nach einer Erklärung für diese Meinungen und findet mehrere Gründe: 1. Die Fachausbildung hatte bis dahin nur Rezepte bereit, aber keine Erklärungen und umfaßende Ansichten anzubieten. (Das war die Wirtschaftslehre an den landwirtschaftlichen Akademien). 2. Die primitiven Methoden der landwirtschaftlichen Forschungen und Versuche, die unterentwickelte Naturwissenschaft. 3. Für den Landwirt war es bequemer nach dem gewohnten Schema zu arbeiten, als sich die neuen Lehren anzueignen. Es war auch Sporzon, der als erster in der Fachpresse – unter Berufung auf Liebig – den Nutzen einer Versuchsstation schildert und dazu einen Betriebsplan vorlegt. (Der Aufbau der Versuchsstationen konnte erst ein Jahrzehnt später verwirklicht werden.) Sporzon wird in einem englischen Fachblatt auf einen Landwirt aus Cheshire aufmerksam, der Liebig für einen der größten Wohltäter auf dem Gebiet des Ackerbauwesens hält. Ihm sei es zu verdanken, dass sich die Dunkelheit, die auf der Ernährung von Pflanzen und Tieren lag, gelichtet hat. Er habe von Liebig gelernt, wie es möglich sei Knochen und das mineralische Apatit zu Milch, Käse, Lamm- und Rindfleisch zu verwandeln. Die Weiden in Cheshire produzieren mehr, ihm sei ihre Wiedergeburt zu verdanken. Auf dem Etikett des Käses aus Cheshire sollte auch Liebigs Name stehen. „Einmal wird die Zeit kommen, da werden die Landwirte dankbar sein und ihm ein Denkmal setzen.” Pál Sporzon fügt dem oben gesagten an: „In dieser Form denkt der nüchterne, praktische, der rechnerische Engländer über den großen Sohn der Wissenschaften, den berühmten Mann der Theorie” (1861). Über drei Jahrzehnte verbreitet Sporzon die Ergebnisse von Liebigs Forschungen. Die wichtigsten Artikel: „Über das Leben der Pflanzen und deren Bedingungen; Wieder ein kurzer Blick in die geheime Werkstatt der Natur, (Nachhaltigkeit der Produktivität des Bodens); Übersicht über die Mittel zur Bodenverbesserung und Fruchtbarmachung bei verschiedenen Völkern; Die moderne Landwirtschaft als Beispiel der Gemeinnützigkeit der Wissenschaften; Die Gesetze der Bodenbearbeitung auf den Grundlagen der Liebigschen Theorie.” Zusammenfaßend trifft er die Feststellung, dass Liebig „mit Langmut kämpft” und in seinen „heftigen Schlachten – in denen viel Tinte, aber kein Blut fließt, viele ruhmreiche Siege errungen hat.” 10 József Jágóczi Péterffy (1827-1888), der Organisator und Direktor der Bildungsanstalt für Winzer in Keszthely und Kálmán (sein Sohn?) übernahmen eine immense Aufgabe: die Übersetzung der 4. Auflage von Liebigs Briefe der Chemie und die Agrochemie. 1862 erschien der erste Band des großangelegten Werkes. In der Einführung erinnern sie daran, dass Liebig keine Rezepte vorgibt, sondern Grundlagen, denen sich der gebildete Landwirt anpassen muss. Den zweiten Band mit der Agrochemie sind sie allerdings schuldig geblieben. (Die Übersetzung der 9. Auflage von Liebigs Grundlagenwerk Organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie wurde 1996 vom Forschungsinstitut für Bodenkunde und Agrochemie der UAW unter der Redaktion von Imre Kádár herausgegeben.) Ein fleißiger Vermittler von Liebigs Lehren war Antal Kodolányi (1850-1910). Als Sohn eines Gutsverwalters lernte er schon im Elternhaus die Bedeutung von Liebigs Forschungsergebnissen kennen und verbreitete diese als Redakteur in mehreren Fachblättern sowie auch als Lehrer. Als Debüt – nach einigen kleineren Artikeln – übersetzt er aus den chemischen Briefen die Axiomen der Agrochemie im Gartenbauer (Kertészgazda), dem Presseorgan der Ungarischen Landesgartenbau Gesellschaft. Der Redakteur des Gartenbauers P. Ferenc Girokuti, der eine Verbreitung der Chemiekenntnisse für wichtig hielt, schreibt: „Meine Gartenbaukameraden, ob es nun gefällt oder nicht, endlich muss einmal in den sauren Apfel gebissen werden und man sich mit der Chemie anfreunden.” Zehn Jahre später, nach der Übersetzung, Verbreitung vieler, vieler Artikel Liebigs, fällt János Kodolányi als „ein bescheidener Verehrer des großen Mannes” die Aufgabe zu einen Nachruf auf Liebig im Ungarischen Landwirt zu schreiben. <LEBENSMITTELCHEMIE> Liebig gehörte zu den Wissenschaftlern, die auf ihrem Katheder mit dem Mythos der „reinen” Wissenschaft brachen und ihr Wissen in den Dienst zum Wohle der Menschheit stellten. So wurde Liebig der Gründer der Lebensmittelchemie: eine ganze Reihe Erfindungen und Entdeckungen zeigen seine Tätigkeit in dieser Richtung. Bis dahin hatte die Wissenschaft abgrundtief auf den Themenkreis „Küche” herabgesehen, auch Gay Lussac sprach noch verächtlich über den Italiener PellegrinySavigny, weil dieser Anweisungen zur Herstellung guter Suppen und Eis gegeben hatte. Die Unwissenheit über die Lebensmittel ist groß, der Gedanke einer gesunden Ernährung noch Utopie. Die heutige Hausfrau, die im Laden Suppenwürfel, Fleischsuppenextrakt, Konserven einkauft, weiss kaum, dass sie diese Liebigs Erfindung zu verdanken hat. 1854 stellt Liebig eine neue, kalte Fleischsuppe her, damit rettet er Agnes Muspratt, Tochter seines Freundes, das Leben. (Das wird später noch zur Sprache kommen). Die Fleischsuppe, der Fleischextrakt, die Suppe für Säuglinge, die Kaffeeherstellung, die Konservierung der Milch, das Brotbacken (was die Wissenschaft seit Jahrhunderten nicht angerührt hat) ist in den 50er, 60er Jahren für die landwirtschaftlichen, 11 medizinischen und Apotheken Fachblätter ein oft behandeltes Thema. Hier sei nur am Rande erwähnt, dass Liebig 1869 das ungarische Mehl untersucht hat. Nach den Mehlproben, die er von der Pester Mühle bekommen hatte, stellte er im Hinblick auf den Nährwert fest, „ dieses erhält den ersten Platz” im weiteren als Basis für die Brotbäckerei, „übertrifft es alle Mehlsorten, die bis dahin in seine Hände gelangten”. Schon in den sechziger Jahren ist das Zitieren Liebigs nicht mehr überschaubar: „sein Zitierungsindex” sollte hier sehr hoch sein. In den siebziger Jahren sind diese Kenntnisse „apriori” Bestandteil der Allgemeinbildung geworden, für die Liebig noch so hart hatte kämpfen müssen. Liebigs Tod 1873 gedenken zahlreiche Presseorgane. In der UAW verabschiedet Károly Than, Professor der Chemie, der sich auch international einen Namem gemacht hatte, den großen Gelehrten und würdigt seine Bedeutung in einer langen Trauerrede. Liebig konnte durch seine Größe hunderte-tausende von Forschern und Schaffenden in seinen Bann ziehen. (Das hat auch heute noch Gültigkeit, wenn man seine Arbeiten liest.) Man kann nicht behaupten, dass es eine gebildete Nation auf der Welt gibt, die Liebig keinen Dank schuldet – schreibt das Blatt der Geologie (Földtani Közlöny) in einem Nekrolog auf Liebig. Die sprunghafte Entwicklung der ungarischen Landwirtschaft in der 1880er Jahren ist nicht zuletzt Liebigs Lehren zu verdanken; um die Verbreitung der fachlich korrekten Düngung machten sich Tamás Kosutány, Professor für Chemie beziehungsweise Sándor Cserháti, Professor für Pflanzenproduktion sehr verdient. Zum Schluß sollte noch an zwei Hungaricum Ausgaben erinnert werden, von denen bis jetzt noch nicht die Rede war. Da ist zum einen: Das Buch von Remigius Fresenius „Einführung der chemischen qualitativen Analyse”, deren 12. überarbeitete Auflage von der Ungarischen Medizinischen Verlagsgesellschaft (Magyar Orvosi Könykiadó Társaság) herausgegeben wurde. (Der Autor führte an der Universität Gießen die Anfänger in die Methoden der Mineralanalyse ein.) Das Vorwort dazu schrieb Liebig für seinen damaligen Mitarbeiter. Das andere eine bibliophile Rarität, ein insgesamt 12,5 x 8,5 cm großes Büchlein, enthält Liebigs chemische Analyse über die Heilquellen in Kissingen. (Titel: „Ein kurzer Bericht über die Bestandteile, Heilwirkung und Nutzen der Heilquellen Rákoczy, Kissingen, Bocklet und Brückenau”…) Die Übersetzung der Analyse in den Annalen der Chemie wurde bei Otto Maas 1873 in Wien gedruckt. 1856 erklärt einer von Liebigs Verehrern: Die Ungarn sind nicht undankbar dem großen „Helden” gegenüber. Tatsächlich beweist das Leben dieses auch nach Liebigs Tod. Hundert Jahre nach dem Erscheinen seines Grundlagenwerkes „Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie” gedenkt im „Köztelek” dem angesehensten landwirtschaftlichen Fachblatt, Robert Ballenegger, Universitätsprofessor, in einer langen Studie Liebigs Ergebnissen. 12 Und jetzt sind wir hier von der Szent István Universität Gödöllő, der Partnerstadt von Gießen. Abschließend sollte nicht versäumt werden Liebigs Kontakt zu einer seiner „Studentinnen”, einer Bewohnerin aus Gödöllő, zu erwähnen. Liebig eroberte von Gießen aus das Weltreich der Chemie, aber auch in seiner Münchener Zeit ab 1852 war er nicht untätig. Für die Münchener Intelligenz veranstaltete er eine Vortragsreihe über die Ergebnisse seiner Forschungen. An diesen „Abendvorlesungen” nahmen auch königliche und herzogliche Mitglieder der Familie Wittelsbach teil. An einem dieser Vortragsabende, am 9. April 1853, kam es zu einem Unfall. Liebig führte einen beeindruckenden Versuch vor: Verbrennung von Schwefelkohlenstoff in Stickoxydgas, bei der stimmungsvolles hellblaues Licht aufflackerte. Das Publikum war von dem Versuch hingerissen und bat um eine Wiederhohlung. Dann geschah das Unglück. „Wenn… der Assistent… Liebig für den Versuch eine Flasche gereicht hatte, die statt mit Stickoxyd mit Sauerstoff gefüllt war, so erklärt sich die Explosion ja ohne weiteres” (Vollhard 1909). Liebig wurde an mehreren Stellen durch Glassplitter verletzt. Zum Glück wurden die gefährlichsten von seiner Tabaksdose abgefangen. Von den am nächsten sitzenden wurde die Königinmutter Therese im Gesicht verletzt, Prinz Leopold oben am Kopf. Unverletzt blieben die Töchter Herzog Max’: Helene und die erst 15 jährige Elise, die damals noch Sisi genannt wurde. Die Explosion löste keine Panik aus, alle bewahrten die Ruhe und niemand machte Liebig einen Vorwurf, stattdessen wurde er am Abend vom Leibarzt der Königinmutter besucht, am andern Tag erhielt er Besuch vom alten König und am 18. April saß er am Tisch der Familie von Herzog Max. Mit dieser Episode wird das von Liebig und Königin Elisabeth – als „Studentin” – bestehende Bild um einiges bereichert. An dieser Stelle sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass später auf dem Diätplan Königin Elisabeths Liebigs Fleischsuppen vertreten waren und es gab eine Zeit, in der die aus rohem Fleisch hergestellte kalte Suppe nach Muspratt an erster Stelle stand – sehr zum Grausen von Kaiser und König Franz Joseph.