178 20 Die Halogene (= Salzbildner, 7. HG) ausgeprägte Nichtmetalle Halogen X Element- Valenzelektronensymbol konfiguration Fluor Chlor Brom Iod Astat (radioaktives Halbmetall) F Cl Br I At Elektronenaufnahme (Elektronenaffinität) ist exotherm X (g) + e - ns2 np5 Halogenid Elektronenoktett (Edelgaselektronenkonfiguration) Reaktivität F Cl Br I X (g) HEA = - (vergl. S. 41) reaktivste Element sehr starke Oxidationsmittel r(X) [pm] 4 (elektronegativste stark Element) elektronegativ 2,8 2,7 2,2 r(X-) [pm] 64 133 99 114 133 181 196 220 Elementare Vorkommen: diatomare Moleküle F Cl Br I 2 X X X unpolare Atombindung zwischen unpolaren Molekülen sind nur schwache London – Kräfte (Dispersionskräfte) wirksam Sdp.[°C] F2 -188 Cl2 -34 Br2 59 I2 184 (Schmp.114) Farbe fast farblos gelb-grün rot-braun violett-schwarz London-Kräfte oder Dispersionskräfte (vergl. S. 106) Bei der Erklärung der London-Kräfte oder Dispersionskräfte wird die Bewegung der Elektronen betrachtet. Die Elektronenwolke eines Moleküls kann zu einem gegebenen Zeitpunkt verformt sein, wobei ein momentanes Dipol im Molekül entsteht, bei dem ein Teil des Moleküls etwas negativer ist als der Rest. Einen Augenblick später hat sich durch die Bewegung der Elektronen die Orientierung des Dipols geändert. Die Richtungsänderung der momentanen Dipole erfolgt sehr schnell (Elektronen haben eine hohe Beweglichkeit); im zeitlichen Mittel heben sie sich auf, so dass ein unpolares Molekül kein permanentes Dipolmoment hat. Die fluktuierenden, momentanen Dipole eines Moleküls induzieren genauso ausgerichtete Dipole in benachbarten Molekülen. Die entsprechende Bewegung der Elektronen zwischen benachbarten Molekülen erfolgt synchron. Die Anziehungskräfte zwischen den momentanen Dipolen machen die London-Kräfte aus. 179 Momentane, fluktuierende Dipole benachbarter Teilchen Die stärksten London-Kräfte treten zwischen großen, vielatomigen Molekülen auf, die ausgedehnte und leicht polarisierbare Elektronenwolken besitzen. Da alle Moleküle über Elektronen verfügen, treten die London-Kräfte immer auf, auch zwischen polaren Molekülen. Bei nichtpolaren Molekülen sind die London-Kräfte die einzigen vorhandenen zwischenmolekularen Kräfte. 180 20.1 Die Elemente a) Fluor Vorkommen: Flussspat (Fluorid) Kryolith (Eisstein) Fluorapatit CaF2 Na3AlF6 Ca5F(PO4)3 Calciumfluorid Natriumhexafluoroaluminat Calciumfluoridphosphat Fluor ist von den Halogenen das Element mit der größten Häufigkeit in der Erdkruste. Darstellung: - Aufschluss von schwerlöslichem Flussspat im Drehrohrofen CaF2 + 2H2SO4 (konz.) 200-250°C 2HF + Ca(HSO4)2 Fluorwasserstoff Sdp.: 20°C - Elektrolyse (= Zerlegung einer Verbindung mittels des elektrischen Stromes) einer wasserfreien KF · 2HF-Schmelze (Smp.: 72 °C) α) reiner Fluorwasserstoff leitet praktisch nicht den elektrischen Strom Autoprotolyse: 3HF H2F+ + HF2K <= 10-11 mol2 / l2 Fluorenium-Ion Hydrogendifluorid β) Zusatz von Kaliumfluorid (erhöht die Zahl der Ladungsträger, wirkt als Base) HF + KF K+ + HF2- γ) es muss wasserfrei gearbeitet werden, weil sonst an der Anode Sauerstoff gebildet wird 1 E° (2OH-/ 2 O2) = 0,82V Regeln: An der Anode wird zuerst das Anion oxidiert, das das negativste Redoxpotential besitzt. An der Kathode wird zuerst die Kationensorte mit dem positivsten Potential entladen.(Je edler ein Metall ist, um so leichter sind seine Ionen reduzierbar). 181 Elektrolysebedingungen: T = 75 - 130°C U = 8 - 12 V (Zersetzungsspannung) Anodenraum und Kathodenraum getrennt (Verhinderung der Reaktion von F2 mit H2) Anode aus graphitfreiem Koks Gefäße aus Monelmetall (Ni/Cu-Legierung, auf der Oberfläche bildet sich eine festhaftende Fluoridschicht „Passivierung“) Anode: Kathode: 2HF22H2F+ + 2e- F2 ↑ + 2HF + 2eH2↑ + 2HF 2HF H2↑ + F2↑ In einem Galvanischen Element wird chemische Energie in elektrische Energie umgewandelt. z. B. Daniell-Element (∆E° = EMK= 1,1 V): Zn + Cu2+ (aq) Zn2+ (aq) + Cu Bei einer Elektrolyse wird elektrische Energie in chemische Energie umgewandelt. Will man die Reaktion im Daniell-Element umkehren, muss eine Spannung angelegt werden (positiver Pol an Cu-Elektrode, negativer Pol an Zn-Elektrode) mit einer Spannung größer als 1,1 V. Cu + Zn2+ (aq) Cu2+ (aq) + Zn Cu2+ (aq) und Zn sind energiereicher als Cu und Zn2+ (aq). Chemische Eigenschaften: - reaktionsfähigste aller Elemente und abgesehen von wenigen endothermen Fluorverbindungen (KrF2) das stärkste chemische Oxidationsmittel überhaupt reagiert mit allen Elementen (außer He, Ne, Ar) direkte Reaktion mit Edelgasen (Xe) Xe + 3F2 - XeF6 Xenonhexafluorid Elemente werden in höchste Oxidationsstufen überführt: +II 2F2 + 2OH- 2F- + OF2 + H2O +II 2F + OF2 + H2O Sauerstoffdifluorid - 2F2 + 2OH UO2 182 - + 4HF +IV + F2 UF4 - 2H2O +VI UF6 +VI SF6 1 S + 3F2 8 8 Uranhexafluorid Sdp.: 56°C (sublimiert) (Anreicherung von 235Uran) Schwefelhexafluorid Gas, Schmp.: -51°C sehr gute Isolatoreigenschaften, fast so indifferent wie N2 (Dielektrikum in Hochspannungsanlagen, in Isolierglasscheiben, Schutzgas über Metallschmelzen) Die hohe Reaktivität von Fluor im Vergleich zu Chlor hat u. a. seine Ursache in der vergleichsweise niedrigeren Dissoziationsenergie (die kleinen elektronenreichen Fluoratome stoßen sich im Difluormolekül ab). 2X- (aq) X2 + 2e- E°[V] 2I- (aq) I2 + 2e- 0,54 HDiss. HEA HHydr [kJ/mol] [kJ/mol] [kJ/mol] 151 -295 -307 - 1,07 193 - 325 -351 1,36 244 -349 -384 2,87 158 -328 -458 - 2Br (aq) - 2Cl (aq) - 2F (aq) Br2 + 2e Cl2 + 2e- F2 + 2e 2X- (aq) X2 (g) + 2e- H = + (Hinreaktion) H = - (Rückreaktion) X2 (g) 2X- (g) HDiss = + X (g) + e X (g) HEA = X- (g) + aqua X- (aq) HHydr = - - Je kleiner die Dissoziationsenthalpie (∆HDISS) und je negativer die Elektronenaffinität (∆HEA) und die Hydrationsenthalpie (∆HHydr.) sind, um so negativer ist ∆H (Rückreaktion) und damit um so positiver E°. Physiologisches: Fluor ist von sehr hoher Giftigkeit (MAK-Wert 0,2 mg/m3 bzw. 0,1 ppm) und wirkt auf die Haut gebracht, verbrennend und ätzend. Es kann noch in sehr kleiner Konzentration von etwa 0,001 % am Geruch erkannt werden, der dem eines Gemisches von O3 und HF ähnelt. Essentiell für den Menschen ist Fluorid F- (Fluorid-reich sind die Zähne mit 0,1 –0,7 g/kg und die Knochen mit 0,9 – 2,7 g/kg). 183 b) Chlor Vorkommen: Steinsalz Sylvin Carnallit NaCl KCl KCl · MgCl2 · 6H2O In Ozeanen je Liter: Natriumchlorid Kaliumchlorid Kaliumchlorid-Magnesiumchlorid-Hexahydrat 18,1 g Cl1,4 mg F68 mg Br0,06 mg I- Gewinnung: Labor Versuche: - Auftropfen von konzentrierter Salzsäure auf Kaliumpermanganatkristalle +VII -I 2 KMnO4 + 16 HCl +II 0 MnCl2 + 2 KCl + 5 Cl2↑ + 8 H2O - Einwirken von Salzsäure auf Hypochlorit +I -I NaOCl + 2 HCl 0 NaCl + Cl2↑ + H2O (Synproportionierung) Chemische Eigenschaften: - nach Fluor reaktivste Element (reagiert außer mit Edelgase (He, Ne, Ar), O 2, N2 und C mit allen Elementen meist schon bei niedrigen Temperaturen) - feuchtes Chlor ist reaktiver als trockenes Chlor 0 in H2O: Cl2 + H2O HOCl +I -I HOCl + HCl Disproportionierung von Cl2 unterchlorige Säure Chlorwasserstoff 1 O2) 2 Unterchlorige Säure zerfällt in Chlorwasserstoff und nascierenden Sauersrtoff (reaktiver als Cl2) HCl + Onasc ( Versuche: - ein mit Tinte gefärbter feuchter Leinenlappen wird in Cl2-Gas gebleicht - eine feuchte Blume verliert ihre Farbe 184 - bildet mit allen Metallen Chloride (heftige Reaktion mit feinverteiltem erwärmten Eisen [Eisenspäne]) 2Fe + 3Cl2 ∆H = -800 kJ/mol 2FeCl3 - Chlor besitzt eine große Affinität zu Wasserstoff (Ein mit Terpentinöl [= α-Pinen, C10H16] getränkter Lappen wird in Cl2-Gas gebracht, Reaktion läuft unter Feuererscheinung und Bildung einer Rußwolke ab) C10H16 + 8Cl2 10C ∆H = stark exotherm + 16HCl Nachweis von I- und Br- mit Cl2-Wasser (Br-/I--Lösung mit CHCl3 unterschichtet): Cl2 + 2I- 2Cl- I2 10HCl + 2HIO3 + 5Cl2 + 6H2O + I2 violett farblos I2 + 3Cl2 2ICl3 Cl2 + 2Br- 2Cl- Br2 + Cl2 2BrCl Iodtrichlorid + Br2 braun Bromchlorid gelb Herstellung (Technik): „Chloralkali-Elektrolyse“ (Elektrolyse wässeriger konz. Kochsalz-Lösungen) Eine wässerige NaCl-Lösung Standardredoxpotentiale betragen: enthält Na+(aq), H3O+(aq), Cl-(aq) und OH-(aq). E°[V] Na 2H2O + H2 2OH2Cl- Na+ + e- 2H3O+ + 2e1 O 2 2 Cl2 -2,71 -0,41 (pH = 7) + H2O + 2e- 0,80 (pH = 7) + 2e- 1,36 Die 185 Bei einer Elektrolysespannung (Zersetzungssprung) von 3-4 V laufen an Anode und Kathode folgende Reaktionen ab: 2Cl- Cl2 + 2e- Kathode: 2H3O+ + 2e- H2 + 2H2O 2NaCl (aq) + 2H2O Cl2 + Anode: *) *) H2 + 2NaOH (aq) an der Anode werden Cl--Ionen oxidiert und nicht OH-, da α) die Bildung von Sauerstoff eine Überspannung erfordert (die Bildung von O2 und anderen Gasen ist an vielen Elektroden kinetisch gehemmt), dadurch wird E (2OH-/0,5O2) größer als 1,36 V, und β) die c (NaCl) 5 mol/l ein E(2 Cl-/Cl2) von < 1,36 V verursacht (vgl. Konzentrationsabhängigkeit des Redoxpotentials, Nernst-Gleichung). Die Bruttogleichung der Chloralkali-Elektrolyse zeigt, dass neben Cl2 auch die wichtigen Industriechemikalien H2 und Natronlauge gebildet werden. Bei der Elektrolyse muss verhindert werden, dass sich Chlorknallgas (Gemisch aus H2 und Cl2) bildet und Cl2 mit Natronlauge unter Disproportionierung reagiert: 0 Cl2 + 2NaOH (aq) +I -I NaOCl(aq) + NaCl(aq) + H2O Beim Diaphragma-Verfahren und Membran-Verfahren werden Kathoden- und Anodenraum durch eine nur für Ionen durchlässige Scheidewand getrennt. Beim Amalgam-Verfahren erfolgt die Bildung von Cl2 und von H2 und NaOH in getrennten Zellen. 186 Diaphragma-Verfahren Membran-Verfahren 187 Amalgam-Verfahren Amalgambildner: Anode: Kathode: 2ClxNa+ + xe- Hg Cl2 + 2eNaxHg Natriumamalgam (0,2-0,4 % Na) Amalgame (von arab. al-malgam= erweichende Salbe) Bez. für die flüssigen oder festen Legierungen des Quecksilbers mit Metallen Warum werden Na+(aq) und nicht H3O+(aq) an der Hg-Kathode reduziert? E (Na/Na+) = -2,71 + c(Na+) 0,059 lg 1 c(Na) Vergrößerung c (NaCl) = 5 mol/l Verkleinerung Na im Hg gelöst >> -2,71 V E (H2/2H3O+) = -0,41 (pH = 7) - Überspannung (> 0,78V, H2-Bildung an Hg-Elektrode kinetisch stark gehemmt) < -1,19 V E (Na/Na+) > E (H2/2H3O+) 188 Amalgamzersetzer: NaxHg + xH2O 1 xNaOH + x 2 H2 + Hg H = stark exotherm Verfahren Vorteile Nachteile Amalgam- reines Cl2 Verwendung von Hg Diaphragma- - dünne, feinporige und nur für Ionen durchlässige Scheidenwand aus Asbest - Rückdiffusion von OHin Anodenraum wird durch höheren hydrostatischen Druck im Anodenraum verhindert Natursole kann verwendet werden O2 in Cl2 Lauge enthält noch 1 % ClVerwendung von Asbest Membran- reines Cl2 Cl--arme Lauge keine Verwendung von Asbest und Hg aufwendige Solereinigung sehr dünne Kationenaustauschermembran, nur durchlässig für Na+(aq) Verwendung: Die Bedeutung von Chlor für eine hochentwickelte Chemiewirtschaft lässt sich daran ermessen, dass nach Angaben des VCI 1995 ca. 60 % des Umsatzes der deutschen Chemiebranche auf Produkte entfielen, bei denen die Chlorchemie eine Rolle spielt. z. B. - Polyvinylchlorid (PVC) für Chlorierungsreaktionen mit reaktionsträgen Kohlenwasserstoffverbindungen Oxidations-, Bleich- und Desinfektionsmittel Physiologisches Cl2 ist sehr giftig MAK 1,5 mg/m3 Gebundenes Cl und Cl für Menschen essentiell (1,4g pro kg Gewebe) 0,3 – 0,4 % Chlorwasserstoff im Magensaft (entspricht einer c(HCl) = 0,1 mol/l) c) Brom (viele Analogien mit Cl2, etwas schwächere Reaktionsfähigkeit) Vorkommen: - Bromargyrit AgBr Silberbromid - gemeinsam mit Cl- in analog zusammengesetzten Verbindungen, aber in kleineren Konzentrationen 189 Darstellung: Labor (Einwirkung von Schwefelsäure und Braunstein auf Kaliumbromid) -I +IV 4 HBr + MnO2 +II 0 MnBr2 + 2H2O + Br2 E° [V] - Br2 + 2e 1,1 2Cl- Cl2 + 2e- 1,36 2KCl + Br2 2Br 2KBr + Cl2 - Das gebildete flüchtige Brom wird mit einem Luftstrom aus der Reaktionsmischung ausgetrieben. Verwendung: z. B. AgBr, synthetische organische Chemie Chemische Eigenschaften: (denen des Chlors analog, Brom reagiert nur weniger energisch) Versuch: 3Br2 + 2Sb 2SbBr3 H = stark exotherm Physiologisches: Br2 Br- MAK = 0,7 mg/m3 nicht essentiell für den Mensch d) Iod Vorkommen (seltenste Element unter den Halogenen): - ist in der Natur wie das Brom in Gebirgen, Seen, Mineralwassern sowie im Meer weit verbreitet, es tritt aber jeweils nur in kleiner Konzentration auf und zwar zum Unterschied von Fluor, Chlor und Brom nicht nur als Halogenid, sondern auch als Halogenat - Chilesalpeter enthält vergleichsweise viel Iod (0,02-1 %) in Form des Lautarits Ca(IO3)2 Darstellung (technisch): +V +IV 2HIO3 + 5H2SO3 +VI 0 5H2SO4 + H2O + I2 190 Verwendung: z. B. NaI/NaIO3 (Zusatz Speisesalz) AgI (Photographie) Iodtinktur (desinfizierende Pinselungen): 7 % I2 (+ 3% KI) in 90%igem Ethanol in Halogenlampen (als z.B. Methyliodid) Physiologisches: essentiell für den Mensch, 60-80 mg gebunden, insbesondere als Bestandteil der Schilddrüsenhormone z. B. Triiodthyronin (T3) I I OH O H CH2 COOC H NH3+ I Löslichkeit: I2-Dampf enthält unpolare violette I2-Moleküle Lösungsmittel Farbe* CCl4 (unpolar) violett Benzen Ethanol H2O -Elektronendonator Elektronenpaardonatoren weinrot gelb-braun I2 + ID schwach Lewis- Lewis** bräunlich-gelb Säure Base h.v I2 ID I2 s chwacher LewisSäure-Base-Komplex: LadungsübertragungsKomplex (Charge-Transfer Komplex = CT-Komplex) absorbieren Licht D+ Die Bildung der CT-Komplexe ist im allgemeinen nur mit einer relativ geringen Ladungsübertragung vom Donor auf den Akzeptor verbunden. Durch Licht lassen sich aber die Komplexe in einem angeregten Molekülzustand mit mehr oder minder vollständigem Übergang einer Elektronenladung auf das Akzeptormolekül überführen. Charge-Transfer-Komplexe zeichnen sich deshalb ganz allgemein durch intensive Farben, d. h. starke Lichtabsorption im Sichtbaren aus. Solvatochromie: Bezeichnung aus der Spektroskopie für die Abhängigkeit der Bandenlage und Bandenintensität eines Chromophors (farbtragende Atomgruppierung) vom gewählten Lösemitteln 191 In Wasser löst sich Iod in nur sehr geringen Mengen (0,0013 mol/l). Leicht löslich ist es dagegen mit dunkelbrauner Farbe in wässerigen Lösungen von KI. I2 + I- I3- Triiodid (lineares Molekül) Chemische Eigenschaften: I2 ist das schwächste Oxidationsmittel in der Reihe der Halogene. Die korrespondierende reduzierte Form, das Iodidion I-, besitzt bereits reduzierende Eigenschaften: 2I- I2 + 2e- E° = 0,54 V Die oxidierende Wirkung des Iods und die reduzierende Wirkung der Iodidionen können bei Redoxtitrationen genutzt werden (Iodometrie). Es ergeben sich zwei Möglichkeiten für den Einsatz der Iodometrie: ) Bestimmung von Reduktionsmittel mit I2 +IV 0 SO32- + I2 (Überschuß) + H2O ) +VI -I SO42- + 2H+ + 2I- von Oxidationsmittel mit angesäuerter KI-Lösung +III -I 3+ 2Fe + 2I- 0 +II I2 + 2Fe2+ +V -I Versuch: IO3 + 5I- + 6H+ 0 3I2 + 3H2O (Lösung färbt sich braun: I3-) Synproportionierung: Zwei Substanzen, die das gleiche Element in verschiedenen Oxidationsstufen enthalten, bilden ein Produkt, in dem das Element eine dazwischenliegende Oxidationszahl aufweist. Überschüssiges I2 () bzw. gebildetes I2 () werden in neutraler bis schwach saurer Lösung mit Thiosulfat (S2O32-) reduziert: +II 0 22S2O3 + I2 blau (Iod-Stärke) +2,5 -I 2S4O6 + 2ITetrathionat farblos 192 20.2 Verbindungen a) Halogenide Löslichkeiten: s. l. (schwer löslich) l. l. (leicht löslich) Fluoride MF2 (M: Mg, Ca, Sr, Ba, Pb) z. B. AgF, Alkalimetallfluoride AgX, PbX2, Hg2X2, CuX, TIX größte Zahl ist l.l. Chloride Bromide Iodide X- Ionische Halogenide und Halogenide mit hohem kovalenten Bindungsanteil: Mn+, n = 1,2 z. B. Mn+ n > 2 NaCl, CuCl2 hohe Smp. z. B. FeCl3 sublimiert ab 120 °C TiCl4 (l) Sdp.: 136,5 °C b) Halogenwasserstoffe HX Darstellung: HF CaF2 + 2H2SO4 (konz.) 200-250°C schwerflüchtige Säure 2HF + Ca(HSO4)2 leichter flüchtige Säure Die schwerflüchtige Säure treibt die leichter flüchtige aus ihrem Salz. HCl - 2NaCl + H2SO4 (konz.) - H2 + Cl2 800°C 2HCl + Na2SO4 2HCl im Quarzbrenner (Prinzip Daniellscher Hahn) - Nebenprodukt bei der Chlorierung organischer Verbindungen HBr - KBr + H2SO4 (konz.) HBr + KHSO4 und -I - 2HBr +VI 0 +IV + H2SO4 (konz.) Br2 + SO2 + 2H2O Oxidationsmittel Schwefeldioxid konz. Schwefelsäure oxidiert teilweise HBr zu Br2 Verwendung einer schwerflüchtigen und nichtoxidierenden Säure (H3PO4-Phosphorsäure) - H2 + Cl2 2HCl im Quarzbrenner (Prinzip Daniellscher Hahn) - Nebenprodukt bei der Chlorierung organischer Verbindungen HBr - KBr + H2SO4 (konz.) HBr + KHSO4 und -I - 2HBr +VI + H2SO4 (konz.) Oxidationsmittel 0 Br2 + +IV SO2 + 2H2O Schwefeldioxid konz. Schwefelsäure oxidiert teilweise HBr zu Br2 Verwendung einer schwerflüchtigen und nichtoxidierenden Säure (H3PO4-Phosphorsäure) - KBr + H3PO4 HBr + KH2PO4 (für HI KI + H3PO4) HI KI + H2SO4 (konz.) HI + KHSO4 und -I +VI 6HI + H2SO4 0 3I2 + 1 8 0 S8 + 4H2O Iodwasserstoff ist ein stärkeres Reduktionsmittel als Bromwasserstoff, konz. H2SO4 wird bis zum Schwefel reduziert. Hydrolyse von PI3 PI3 + 3H2O (für HBr 3HI + H3PO3 Phosponsäure PBr3 + H2O) Eigenschaften: HF(l) Sdp.[°C] 20 HCl(g) -85 Wasserstoffbrückenbindungen (z. B. Zickzackketten) F HBr(g) -67 HI(g) -35 H F H H F H F 193 194 Alle Halogenwasserstoffe lösen sich leicht in Wasser: H3O+ + X- HX + H2O pKS HF HCl HBr HI 3,19 -6,1 -8,9 -9,3 schwache Säure Die Ursache für die vergleichsweise geringe Acidität der Flusssäure steht in Verbindung mit dem hohen Energieaufwand der Protonenabspaltung aus HF, der durch die Hydratation von H+ und von Fin Wasser nicht kompensiert werden kann. Flusssäure Die charakteristischste Eigenschaft der Flusssäure ist ihre Fähigkeit, Glas anzugreifen (Ätzen von Glas): SiO2 + 4HF SiF4 + 2H2O Siliciumtetrafluorid Zwei Drittel des Fluorwasserstoffs werden für die Herstellung organischer Fluorverbindungen verwende: z. B. Teflon = (Handelsname)-Herstellung: CHCl3 + 2HF Trichlormethan (Chloroform) CHClF2 + 2HCl Chlordifluormethan 700 °C 1 2 HCl-Abspaltung F F C C F F (g) Tetrafluorethylen Polymerisation F F C C F F x (Kette von rund 100 000 Atomen) Polytetrafluorethylen (Teflon) - wärmebeständiger und chemisch sehr widerstandsfähiger Kunststoff (Antihaft-Beschichtung für Bratpfannen, Gerätschaften für F2-Chemie werden mit Teflon beschichtet) 195 Salzsäure Die konzentrierte (rauchende) Salzsäure des Handels enthält 38% Chlorwasserstoff. Chlorwasserstoff löst sich sehr gut in Wasser. 507 Volumenteile lösen sich bei 0 °C in einen Volumenteil Wasser (Springbrunnenversuch). c) Chlor-Sauerstoff -Verbindungen Oxidationszahl Chlor Oxide Säure Anion (Salze) +I Cl2O Dichloroxid HClO Unterchlorige Säure (Hypochlorige) ClO- HClO2 Chlorige Säure ClO2Chlorit +V HClO3 Chlorsäure ClO3Chlorat +VII HClO4 Perchlorsäure ClO4Perchlorat +III +IV Hypochlorit ClO2 Chlordioxid Chlorsauerstoffverbindungen sind alle Oxidationsmittel (Träger von Sauerstoff) 196 OZ Chlor Struktur der Anionen (Lewis-Formel) Zahl der mesomeren Grenzformeln +I 0 O Cl Cl +III O Cl O O 2 O gewinkelt Cl +V O Cl O O O Cl O O O 3 O O trigonal pyramidal O +VII O Cl O Cl O O O O O Cl Cl O O O O O O O 4 O tetraedrisch Mit zunehmender Zahl von Sauerstoffatomen im Anion wird die negative Ladung auf mehr Sauerstoffatome verteilt (delokalisiert). Dadurch werden die Anionen stabiler und die entsprechenden Säuren acider (bei der Reaktion mit Wasser kann zunehmend leichter das Anion gebildet werden). Zur zunehmenden Acidität trägt außerdem die zunehmende Polarität der H─O-Bindung bei (vergl. S. 142). Säurestärke HOCl HOClO HOClOn + H2O HOClO2 HOClO3 ClOn+1 + H3O+ n=0-3 pKs ~ -10 Perchlorsäure ist eine der stärksten Säuren 197 Hypochlorige Säure und Hypochlorite Cl2-Wasser (0,1 mol/l Cl2): Cl2 + HOH HOCl + H+ + Cl- Cl2 disproportioniert in Wasser, wobei das Gleichgewicht weitgehend auf der Seite der Edukte liegt. Das Gleichgewicht kann nach rechts mit Hydroxiden verschoben werden, wobei nicht nur die starke Salzsäure, sondern auch die schwache Hypochlorige Säure neutralisiert werden. Einleiten von Cl2 in eine kalte basische Lösung: ) Cl2 + 2NaOH(aq) NaCl(aq) + NaOCl(aq) + H2O Natriumhypochlorit ) Cl2 + Ca(OH)2 Ca(OCl)Cl(aq) + H2O Chlorkalk wässerige Lösungen "Chlorbleichen" (enthalten kein Chlor) Hypochlorite wirken oxidierend und basisch: OCl- HOCl + OH- + H2O Die Oxidationswirkung in wässeriger Lösung beruht auf der großen Neigung der gebildeten Hypochlorigen Säure zur Sauerstoffabgabe (HClO HCl + O). Hypochlorite befinden sich in Haushaltsreinigern. Solche Reiniger dürfen nicht mit Kalkentfernern (NH4Cl oder verd. HCl) in Kontakt gebracht werden, weil sich dann Chlor bildet: Ca(OCl)Cl + 2HCl CaCl2 + Cl2 + H2O Chlorate Beim Einleiten von Chlor in heiße Natronlauge bildet sich Natriumchlorat (Labor-Darstellung): 3Cl2 + 6NaOH(aq) NaClO3(aq) + 5NaCl(aq) + H2O Hypochlorit disproportioniert unter diesen Bedingungen zu Chlorid und Chlorat: +I 3ClO- +V -I ClO3 + 2Cl- 198 In der Technik wird eine heiße Kochsalzlösung ohne Trennung von Anoden- und Kathodenraum elektrolysiert (vgl. Chlor-Alkali-Elektrolyse): NaCl(aq) + 3H2O NaClO3(aq) + 3H2 Aus Natriumchlorat (hygroskopisch) erhält man durch doppelte Umsetzung Kaliumchlorat (nicht hygroskopisch): NaClO3 + KCl KClO3 + NaCl mäßig in Wasser löslich Chlorate sind kräftige Oxidationsmittel. Im Gemisch mit oxidierbaren Substanzen (P, S, organische Substanzen) sind sie explosiv. Verwendung: KClO3 - O2-Quelle im Labor KClO3 (MnO2) 150°C KCl + 0,5O2 - Sicherheitshölzer (im Zündkopf als O-Quelle) -in der Feuerwerkerei, Sprengstoffindustrie Versuche: KClO3 + konz. H2SO4 Explosion KClO3 + H2SO4(konz.) HClO3 + KHSO4 Chlorsäure +V 3HClO3 +IV +VII 2ClO2 + HClO4 + H2O ClO2 0,5Cl2 + O2 H = -103kJ/mol KClO3 - O2-Quelle im Labor KClO3 (MnO2) 150°C KCl + 0,5O2 199 - Sicherheitshölzer (im Zündkopf als O-Quelle) -in der Feuerwerkerei, Sprengstoffindustrie Versuche: KClO3 + konz. H2SO4 Explosion KClO3 + H2SO4(konz.) HClO3 + KHSO4 Chlorsäure +V 3HClO3 +IV +VII 2ClO2 + HClO4 + H2O ClO2 0,5Cl2 + O2 H = -103kJ/mol Bei der Umsetzung von Kaliumchlorat mit der schwerflüchtigen konz. Schwefelsäure wird Chlorsäure freigesetzt. Die Chlorsäure disproportioniert anschließend zu Chlordioxid und Perchlorsäure, weil die konz. Schwefelsäure durch die Bindung des Wassers das Gleichgewicht dieser Disproportionierungsreaktion nach rechts verschiebt (konz. H2SO4 ist stark hygroskopisch). Das gebildete Chlordioxid explodiert unter den gewählten Darstellungsbedingungen (indirekter qualitativer Nachweis von Chlorat). Zündhölzer (Zündholzkopf: KClO3 + Sb2S3-Gemisch) werden durch eintauchen in konz. H2SO4 entzündet Buntfeuer Gemische aus KClO3, Glucose und Sr(NO3)2 bzw. Ba(NO3)2 werden durch einen Tropfen konz. H2SO4 entzündet NaClO3 -Ausgangsprodukt zur Herstellung von Chlordioxid und Perchloraten -Herbizid (Unkrautvernichtungsmittel, Entlaubungsmittel) Chlordioxid ClO2 -Bleichmittel in der Zelluloseindustrie, Desinfektionsmittel Darstellung (Technik): +V +IV 2NaClO3(aq) + SO2(g) + H2SO4(aq, verd.) +VI +IV 2NaHSO4(aq) + 2ClO2(g) gelbrot Versuch: In ein Reagenzglas mit wenig KClO3 lässt man vorsichtig etwas konz. H2SO4 fließen. Bildung von ClO2 (Gleichungen siehe oben). Das ClO2 sammelt sich im Reagenzglas. Beim gelinden Erwärmen zerfällt es sofort. ClO2 ist eine endotherme Verbindung. 200 Perchlorate, Perchlorsäure NaClO4 wird durch anodische Oxidation von NaClO3 in der Technik erhalten: +V ClO3- +VII ClO4- + 2H+ + 2e- + H2O Durch Umsetzung mit HCl (konz.) erhält man Perchlorsäure: NaClO4 + HCl(konz.) NaCl + HClO4 Perchlorsäure wird für die Darstellung von Ammoniumperchlorat (Bestandteil von festem Raketentreibstoff) verwendet: NH3 + HClO4 NH4ClO4 Der Startschub beim Space Shuttle erfolgt durch folgende Reaktion: 3NH4ClO4(s) + 3Al(s) Kat. (Fe2O3) Al2O3(s) + AlCl3(s) + 6H2O + 3NO(g) H = sehr stark exotherm Die Perchlorsäure gehört zu den stärksten Säuren, die es gibt (Ks = 1010). Ihre Salze, die Perchlorate, sind die beständigsten Sauerstoffsalze des Chlors (trotzdem ist sehr vorsichtiger Umgang angeraten) und von fast allen Metallen bekannt. Die meisten von ihnen sind in Wasser leicht löslich. Ziemlich schwerlöslich in kaltem Wasser sind Kalium- und Ammoniumperchlorat. KClO4 wird für Feuerwerkskörper verwendet. Die konz. Perchlorsäure ist ein sehr starkes Oxidationsmittel. Mit vielen Stoffen kommt es schon bei Raumtemperatur zu explosionsartigen Reaktionen. In verdünntem Zustande ist die Perchlorsäure beständiger. In den Handel gelangt eine 72 %ige wässerige Lösung. 201 20.3 Pseudohalogene NC-CN HCN CNBrCN Dicyan Cyanwasserstoff Cyanid Bromcyan Pseudohalogen Pseudohalogenwasserstoff Pseudohalogenid (Interhalogenverbindung) Disproportionierung in alkalischer Lösung: (CN)2 + 2OH- CN- + OCN- + H2O Cyanat Schwerlösliche Ag(I)-, Hg(I)- und Pb(II)-Salze: AgCN, Hg2(CN)2, Pb(CN)2 Argentat(I)-Komplexe: [Ag(CN)2]- Weitere Pseudohalogene: SCN-, OCN-, N3- Thiocyanat Cyanat Azid