Ergebnisse des HearCom-Projektes

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Buschermöhle et al.: Richtungshörtests: Ergebnisse des HearCom-Projektes
Richtungshörtests für die rehabilitative Audiologie –
Ergebnisse des HearCom-Projektes
Buschermöhle, Michael1; van Esch, Thamar2; Lyzenga, Johannes3; Wagener,
Kirsten4; Kollmeier, Birger5
1HörTech
gGmbH Oldenburg; 2Department of Clinical and Experimental Audiology, Academisch
Medisch Centrum Amsterdam; 3KNO/Audiologie, Vrije Universiteit Medisch Centrum Amsterdam;
4Hörzentrum Oldenburg GmbH; 5AG Medizinische Physik, Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg
Einleitung
Schalllokalisation ist eine alltagsrelevante Aufgabe des auditorischen Systems. Das Richtungshören wird nicht
nur im Straßenverkehr, sondern auch zum Verfolgen von wechselnden Gesprächspartnern in Gruppen oder bei
der Unterdrückung von Störlärm benötigt. Nicht zuletzt unterstützt das Richtungshören auch unser ästhetisches
Empfinden, wenn es zum Beispiel um Stereo- oder Surroundklangeindrücke geht [Byrne und Noble 1998].
Im Rahmen des von der Europäischen Union geförderten Forschungsprojekts HearCom (www.hearcom.eu)
sollen Screening-Tests und diagnostische Tests etabliert werden, mit denen unter anderem auch das
Richtungshörvermögen untersucht werden kann.
Screening-Tests und Auditorisches Profil
Als Screening-Test wird der so genannte MAA-Test (Minimum Audible Angle) per Internet zur Verfügung
gestellt. Bei diesem Test wird mit entsprechend positionierten handelsüblichen PC-Lautsprechern und einem
Crosstalk-Cancellation-Verfahren der kleinste Winkel ermittelt, für den die untersuchte Person gerade noch zwei
Rauschpulse voneinander unterscheiden kann [Lyzenga und Berg 2007]. Bei Normalhörenden liegt der in
diesem Test ermittelte minimale Winkel bei etwa 1,6°. Falls das individuelle Testergebnis bei diesem ScreeningTest von dem Wert für Normalhörende abweicht, wird das Aufsuchen einer HNO-Praxis oder eines
Hörgeräteakustikerfachgeschäfts empfohlen. Für diese Anlaufstellen sollten daher diagnostische Testverfahren
zur Verfügung stehen, mit denen das Richtungshörvermögen eingehender untersucht werden kann.
Für den diagnostischen Bereich wurde im HearCom-Projekt das so genannte Auditorische Profil
zusammengestellt [Dreschler et al., 2006]. Dabei handelt es sich um eine Batterie von diagnostischen Tests, die
von den Projektpartnern als Best Practice angesehen werden und sich gegenseitig so ergänzen, dass jeder
einzelne Test einen bestimmten Teilaspekt des Hörvermögens abdeckt, ohne dass die verschiedenen
Untersuchungen redundante Ergebnisse liefern. Die gesamte Testbatterie soll so eine umfassende und letztlich
europaweit standardisierte Diagnose des Hörvermögens ermöglichen. Die Testverfahren sind in zwei Stufen
eingeteilt. Tests der Stufe I werden standardmäßig mit jedem Patienten durchgeführt. Tests der Stufe II sind
detailliertere Tests, die im Bedarfsfall durchgeführt werden sollten.
Für die Untersuchung des räumlichen Hörens sind im Auditorischen Profil drei Testverfahren vorgesehen: Die
Messung der ILD (Stufe I) bestimmt die Intelligibility Level Difference und somit den Einfluss der räumlichen
Trennung von Nutzschall und Störschall auf die Sprachverständlichkeit. Als speziellere Tests der Stufe II werden
die Messung der BILD (Binaural Intelligibility Level Difference) und des MAA (Minimum Audible Angle)
empfohlen. Der MAA-Test wird dabei nicht mit dem Setup für den Screening-Test durchgeführt, sondern in
seiner audiologischen Variante, die mittels Kopfhörerdarbietung mit virtueller Akustik durchgeführt wird
[Wagener et al., 2006].
Vorläufige Ergebnisse der Evaluation des MAA-Screening-Tests
Der MAA-Screening-Test wird zurzeit evaluiert. Bei dem Test werden pro Darbietung zwei bandpassgefilterte
Rauschpulse aus dem Frequenzbereich von 300 Hz bis 3400 Hz dargeboten. Mittels virtueller Akustik wird der
erste der Rauschpulse in der Horizontalebene um einen bestimmten Winkel in eine Richtung verschoben zur
Mittelposition dargeboten und der zweite Rauschpuls um den gleichen Winkel in die entgegengesetzte Richtung
verschoben. Der Proband hat die Aufgabe, die daraus resultierende wahrgenommene Bewegung der Rauschpulse
anzugeben (entweder von links nach rechts oder von rechts nach links). In diesem 2AFC-Verfahren wird nun
adaptiv mittels einer two-down, one-up Prozedur derjenige Winkel bestimmt, bei dem in 70,7% der Fälle die
Richtung korrekt angegeben wird. Die Audiodateien werden im MP3-Format übertragen. Der maximal
dargebotene Winkelunterschied zwischen den Rauschpulsen beträgt 32°, der minimale Winkelunterschied liegt
bei 1°. Zur Bestimmung des MAA wird über die letzten acht Umkehrpunkte des adaptiven Verfahrens gemittelt,
bei denen die Schrittweite jeweils 1° beträgt. Der Aufbau der Lautsprecher und der Ablauf des Tests sind auf der
HearCom-Internetseite detailliert beschrieben.
Buschermöhle et al.: Richtungshörtests: Ergebnisse des HearCom-Projektes
Buschermöhle et al.: Richtungshörtests: Ergebnisse des HearCom-Projektes
An den Evaluationsmessungen zu diesem Test nahmen bisher 12 normalhörende Personen teil. Der ermittelte
MAA liegt bei 1,6° ± 0.8° (Mittelwert ± Standardabweichung). Falls der individuell ermittelte MAA im späteren
Screening-Test mehr als zwei Standardabweichungen über dem Mittelwert für Normalhörende liegt, wird dies
als ein Hinweis auf mögliche Schwierigkeiten beim Richtungshören gewertet und ein entsprechender Text als
Testergebnis angezeigt. Anstelle der ermittelten MAA-Werte wird den Benutzern nur eine von drei möglichen
Kategorien als Testergebnis angezeigt („Bei diesem Test schneiden Sie genauso gut ab wie die meisten
Menschen.“, „Bei diesem Test schneiden die meisten Menschen etwas besser ab als Sie.“, „Bei diesem Test
schneiden die meisten Menschen deutlich besser ab als Sie.“).
Ergebnisse einer Multi-Center-Studie zum Auditorischen Profil
Zu den verschiedenen Testverfahren des Auditorischen Profils wurden in einer Multi-Center-Studie
Evaluationsmessungen mit normalhörenden und schwerhörigen Versuchspersonen durchgeführt [Dreschler et al.,
2007]. Die audiologische Variante des MAA-Tests wurde in den Zentren Academisch Medisch Centrum
Amsterdam (NL), Hörzentrum Oldenburg (D), Institute of Sound and Vibration Research Southampton (UK),
Universität Linköping (S) und Vrije Universiteit Medisch Centrum Amsterdam (NL) mit insgesamt 41
Normalhörenden und 62 Schwerhörigen durchgeführt. Als Stimuli wurden drei verschiedene Varianten von
Rauschen verwendet: Tiefpassrauschen, Hochpassrauschen und Breitbandrauschen. Alle Versuchspersonen
führten den Test mit Kopfhörern und ohne Hörsysteme durch. Die Ergebnisse dieser Studie sind in Abb. 1
dargestellt. Man kann erkennen, dass sich die Gruppen Normalhörende und Schwerhörige in den
Testergebnissen unterscheiden.
Kleinster hörbarer Winkel (MAA) [°]
a
Tiefpass-Rauschen
b
Hochpass-Rauschen
c
Breitband-Rauschen
30
25
20
15
10
5
0
NH
SH
Gruppe
NH
SH
Gruppe
NH
SH
Gruppe
Abb. 1: MAA-Ergebnisse für normalhörende (NH) und schwerhörige (SH) Versuchspersonen für drei verschiedene RauschStimuli: (a) Tiefpass, (b) Hochpass, (c) Breitband. Die vertikalen Achsen stellen den kleinsten hörbaren Winkel in Grad dar.
Dargestellt sind der Median (schwarzer Balken), der Interquartilabstand (zweites und drittes Quartil im Kasten, erstes und
viertes Quartil in den Whiskers), sowie Ausreißer (Kreise) und extreme Ausreißer (Sternchen). Aus [Dreschler et al., 2007].
Schlussfolgerungen
Der HearCom-Screening-Test im Internet zum Richtungshören soll auf mögliche Beeinträchtigungen des
Lokalisationsvermögens im auditorischen System aufmerksam machen. Falls das Richtungshörvermögen von
Patienten oder Kunden in HNO-Praxen oder Hörgeräteakustikerfachgeschäften untersucht werden soll, bietet das
von HearCom propagierte Auditorische Profil für diesen Zweck als Testverfahren unter anderem die Messung
des MAA. Im Rahmen einer Multi-Center-Studie erhobene Daten demonstrieren, dass man ein eingeschränktes
Richtungshörvermögen mit diesem audiologischen MAA-Test erkennen kann. Somit lässt sich gegebenenfalls
bei der Rehabilitation besonderes Augenmerk auf das Lokalisationsvermögen richten.
Byrne, D. und Noble, W. (1998) „Optimizing Sound Localization with Hearing Aids“, Trends in Amplification,
Vol 3, No 2, pp 51-73
Dreschler, W.A., van Esch, T., Lyzenga, J., Wagener, K., Larsby, B., Lutman, M. and Vliegen, J. (2006)
„Procedures for the tests included in the auditory profile in four languages”, HearCom Public Report D-2-2
Dreschler, W.A., van Esch, T., Lyzenga, J., Vormann, M., Wagener, K., Larsby, B., Hällgren, M. und Athalye,
S. (2007) „Report about the results of the multi-centre evaluation of the Auditory Profile“, HearCom
Restricted Report D-2-3
Lyzenga, J. und Berg, D. (2007) „First version of Internet screening tests for localisation discrimination
(Demonstrator)“, HearCom Public Report D-1-5
Wagener, K., Vormann, M., Berg, D., van Esch, T., Vliegen, J., Dreschler, W. und Lyzenga, J. (2006) „Demo
version of the preliminary test set for auditory impairments“, HearCom Public Report D-2-1b
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