5A - 33. Unterrichtseinheit, am 31.1.´14 Die Formenvielfalt der Pflanzen Das Pflanzenreich Lebewesen können in 4 Lebensreiche (Organismengruppen) eingeteilt werden. Es werden die Reiche der Bakterien, der Pilze, der Tiere und der Pflanzen unterschieden. Das Pflanzenreich besteht aus Algen-, Farn-, Moos- und Samenpflanzen. Pflanzen bestehen aus Pflanzenzellen (Bild 1). Diese Zellen enthalten die üblichen Zellbestandteile Zellkern, Zellmembran, Zellplasma und Mitochondrien. Im Unterschied zu den anderen Organismengruppen sind in den Pflanzenzellen zusätzlich Chloroplasten mit dem Chlorophyll (grüner Farbstoff), raues und glattes endoplasmatisches Retikulum, Ribosomen, Dictyosomen, Vakuolen und Zellwände ausgebildet. Die Samenpflanzen werden auch Blütenpflanzen genannt, da sie Blüten und Samen ausbilden. Dagegen sind Algen-, Moos- und Farnpflanzen blütenlose Pflanzen, da sie weder Samen noch Blüten ausbilden. Zu den Algenpflanzen werden die Geißel-, Braun-, Rot- und Grünalgen gezählt. Bei den Algen gibt es Einzeller (z.B. Chlorella) und Vielzeller (z.B. Volvox). Lebensraum der Algen ist das Wasser. Die vielzelligen Moospflanzen bevorzugen feuchte Standorte auf dem Land und werden in Laubmoose (z.B. Torfmoos) und Lebermoose (z.B. Brunnenlebermoos) eingeteilt. Farnpflanzen werden in die Klassen Urfarne, Bärlappe (z.B. Keulen-Bärlapp), Schachtelhalme (z.B. Acker-Schachtelhalm) und Farne (z.B. Adlerfarn) unterteilt. Am höchsten sind die Samenpflanzen entwickelt. Sie bevorzugen das Landleben. Es werden die Nacktsamer (z.B. Eibe) und die Bedecktsamer unterschieden. Die Bedecktsamer können weiter in die Klassen Einkeimblättrige (z.B. Tulpe) und Zweikeimblättrige (z.B. Gänseblümchen) eingeteilt werden. Farn- und Samenpflanzen bestehen aus Wurzel, Sprossachse und Laubblatt. Ernährung der grünen Pflanzen Fotosynthese Die Pflanzen ernähren sich von anorganischen, energiearmen Stoffen (Kohlendioxid, Wasser) und wandeln diese in organische, energiereiche Stoffe (Glukose, Sauerstoff) um. Dabei werden äußere Lichtquellen (Sonnenlicht oder künstliche Lichtquellen) genutzt. Dieser Stoff- und Energiewechselvorgang wird als autotrophe Assimilation bezeichnet. 1 Dieser Vorgang wird als Fotosynthese bezeichnet und lässt sich in folgender Summengleichung zusammenfassen: 6 CO2 + 12 H2O + Lichtenergie C6H12O6 + 6 H2O + 6 O2 Dabei wird Lichtenergie in chemische Energie (Glukose) umgewandelt. Die Fotosynthese ist wegen des produzierten Sauerstoffs Voraussetzung für das pflanzliche, tierische und menschliche Leben auf der Erde. Die Pflanzen sind außerdem Bestandteile jeder Nahrungskette und bilden somit für die Menschen und Tiere eine Hauptnahrungsquelle. Die Leistung der Fotosynthese ist u.a. abhängig von der Temperatur (Bild 1). Bild 1: Abhängigkeit der Fotosynthese von der Temperatur Laubblatt Pflanzen nehmen über die Laubblätter, in deren Zellen Chloroplasten mit Chlorophyll enthalten sind, Kohlendioxid auf und wandeln diesen mit Hilfe des Wassers in Stärke und Sauerstoff um. Der entstandene Sauerstoff wird an die Umwelt abgegeben. Grüne Pflanzen, die im Wasser leben, geben den produzierten Sauerstoff an das Wasser ab (Bild 2). Das Laubblatt besteht aus Kutikula, Epidermis, Palisadengewebe, Schwammgewebe, Interzellularräumen, Blattadern und Spaltöffnungen (Bild 3). Die Blattadern dienen u.a. als Leitbündel, in denen Wasserleitungsbahnen und Siebröhren unterschieden werden. Bild 2: Fotosynthese Bild 3: Querschnitt eines Blattes Wurzel und Sprossachse Über die Wurzel (Bild 4) wird das Wasser mit darin gelösten Nährstoffen aufgenommen. Die Wurzel besteht aus Haupt- und Nebenwurzel. Die Wurzelspitze unterteilt sich in Wurzelhaube (Kalyptra), meristematische Zone, 2 Zellstreckungs- und Wurzelhaarzone. An den Spitzen haben die Wurzeln die schützenden Wurzelhauben; dort wächst die Wurzel. Hinter den Wurzelhauben befinden sich die Wurzelhaare, welche die wasseraufnehmende Oberfläche der Wurzel vergrößern. Die dünne Zellwand des Wurzelhaares nimmt das Wasser mit den gelösten Nährstoffen auf und transportiert es durch die Wurzelrinde in das Kontrollgewebe. Dieses lässt bei Bedarf Wasser in den Zentralzylinder durch, oder es verhindert die Wasseraufnahme. Über den Zentralzylinder wird das Wasser durch die Leitbündel der Sprossachse bis zu den Laubblättern transportiert. Im Querschnitt lassen sich folgende Bestandteile unterscheiden: Rhizodermis, Exodermis, Endodermis und Zentralzylinder, welcher das Xylem und das Phloem beinhaltet. Die Sprossachse besteht aus Festigungsgewebe und Grundgewebe mit Leitbündeln. In den Leitbündeln werden die Wasserleitungsbahnen und die Siebröhren unterschieden. In den Siebröhren werden die von der Pflanze produzierten Stoffe zu den Speicherorganen transportiert. Stofftransport Der Stofftransport in der Pflanze erfolgt durch Diffusion, Osmose und Transpirationssog. Die Wasseraufnahme aus dem Boden durch die halbdurchlässige Membran (dünne Zellwand) wird als Osmose bezeichnet. Diese basiert auf dem Prinzip der Diffusion. Auf Grund der Eigenbewegung der Moleküle durchdringen sich angrenzende Flüssigkeiten. Dadurch kommt es zum Konzentrationsausgleich (Druckausgleich) zwischen den Stoffen. Wenn in den Wurzelzellen eine geringere Konzentration an Wassermolekülen herrscht als im Erdreich, dann diffundieren die Moleküle in die Wurzelzellen. Die Diffusion ist abgeschlossen, wenn die Konzentrationen gleich stark sind. Durch die Spaltöffnungen wird an die Umwelt Wasserdampf abgegeben (Transpiration). Das hat zur Folge, dass der Druck (Turgor) im Zellinneren absinkt. Es entsteht ein Transpirationssog, der Wasser aus den umgebenden Zellen und Gefäßen durch Osmose heranzieht. Stoffspeicherung Bei der Fotosynthese können Pflanzen normalerweise mehr Traubenzucker herstellen, als zum sofortigen eigenen Bedarf verwendet wird. Der überschüssige Traubenzucker kann in verschiedene Stoffe (Stärke, Fett, Eiweiß) umgewandelt werden. Diese energiereichen Stoffe werden mit Hilfe der Siebröhren in spezielle Speicherorgane (z.B. Knollen, Zwiebeln) geleitet und dort gespeichert. Um Glukose, Stärke, Fett und Eiweiß in den Pflanzenteilen nachzuweisen, bedarf es einfacher Experimente Stärkenachweis Um Stärke nachzuweisen, bedarf es eines einfachen Experimentes (Bild 5): Ein stärkehaltiges Pflanzenteil wird in eine Glasschale gegeben und 2-3 Tropfen IodKaliumiodid-Lösung dazugegeben. Die Probe färbt sich violett bis braun. 3 Bild 4: Wurzelaufbau Bild 5: Stärkenachweis Die Atmung der grünen Pflanzen Atmung Pflanzen benötigen zur Aufrechterhaltung der grundlegenden Lebensprozesse Energie. Diese wird durch die Fotosynthese bereitgestellt. Um diese Energie nutzen zu können, bedarf es deren Umwandlung. Die Umwandlung energiereicher, organischer Stoffe in energiearme, anorganische Stoffe erfolgt in den Zellen, speziell in den Mitochondrien (Bild), und wird deshalb innere Atmung oder Zellatmung genannt. Dieser Vorgang ist eine Form der Dissimilation. Die Atmung wird auch als die Umkehrung der Fotosynthese bezeichnet. Beide Prozesse bedingen aber auch einander. Die in der Stärke enthaltene Energie wird in Traubenzucker umgewandelt. Des Weiteren werden Sauerstoff und Wasser benötigt. Es entstehen bei dieser Umwandlung Kohlendioxid und Wasser. Dieser Vorgang lässt sich in folgender Summengleichung zusammenfassen: C6H12O6 + 6 H2O + 6 O2 6 CO2 + 12 H2O. Bild: Mitochondrium Die Atmung der Pflanze ist von verschiedenen äußeren und inneren Faktoren abhängig (u.a. Temperatur, Wassergehalt der Zellen, Kohlendioxidgehalt der Luft, Aktivität, Entwicklungszustand). Erbsen beispielsweise keimen im Dunkeln und benötigen viel Energie. Diese Energie ist in den Speicherstoffen der Samen enthalten. Reizbarkeit bei Samenpflanzen Reizbarkeit Pflanzen verfügen über keine Sinnesorgane. Die Reize aus der Umwelt werden normalerweise durch verschiedene Bewegungen beantwortet. Bei Samenpflanzen können diese Bewegungen als Wachstumsvorgang oder als Druckänderung erfolgen. Bewegungen, die durch eine Änderung des Druckes hervorgerufen werden, können schnell ablaufen. Enthalten Organgewebe unterschiedliche Saugspannungen, kann es zur Turgorbewegung kommen. 4 Wächst eine Pflanze, so krümmt sie sich. Die sogenannten Krümmungsbewegungen vollziehen sich sehr langsam und nur an wachsenden Pflanzenteilen. Die Bewegung kann unabhängig davon erfolgen, aus welcher Richtung der Reiz kommt, z.B. beim sich Öffnen und Schließen von Blüten. Die Krümmung kann aber auch in Richtung des auslösenden Reizes erfolgen; so beim Tropismus. Dabei spielt der Wuchsstoff Auxin eine entscheidende Rolle. Krümmungsbewegungen Wächst eine Pflanze, so krümmt sie sich. Die sogenannten Krümmungsbewegungen vollziehen sich sehr langsam und nur an wachsenden Pflanzenteilen. Die Bewegung kann unabhängig davon erfolgen, aus welcher Richtung der Reiz kommt, z.B. beim sich Öffnen und Schließen von Blüten. Die Krümmung kann aber auch in Richtung des auslösenden Reizes erfolgen, z.B. beim Photo- und Geotropismus. Dabei spielt der Wuchsstoff Auxin eine entscheidende Rolle. Phototropismus ist das Vermögen der Pflanzen, dem Licht entgegen zu wachsen. Auxin wird vermehrt an die Schattenseite transportiert, woraufhin diese stärker, als die der Lichtquelle zugewandten Seite wächst. Geotropismus ist das Vermögen der Pflanzen, sich in Richtung der Schwerkraft zu orientieren. Bei dieser Wachstumsbewegung tritt das Auxin vermehrt an der Unterseite der Pflanze auf. Das bewirkt die Förderung des Sprosswachstums und die Hemmung des Wurzelwachstums. Arbeitsblatt „Aufbau des Pflanzenblattes“ a. Beschriften Sie die linke Abbildung! 1___________________________________ 6___________________________________ 2___________________________________ 7___________________________________ 3___________________________________ 8___________________________________ 4___________________________________ 9___________________________________ 5___________________________________ 10__________________________________ 5 b. Welche jeweiligen klimatischen Bedingungen erwarten Sie für die Standorte beider Pflanzen? Begründen Sie Ihre Meinung. ___________________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________________ Erwartungen: zu a: 1: obere Kutikula, 2: obere Epidermis, 3: Palisadengewebe, 4: Interzellularraum, 5: Schwammgewebe, 6: Atemhöhle, 7: untere Epidermis, 8: untere Kutikula, 9: Schließzelle, 10: Spaltöffnung zu b: links Trockengebiet (dicke Kutikula, versenkte Spaltöffnung, dicke Assimilationszone), rechts Standort mit hoher Luftfeuchtigkeit (dünnes Blatt, vorgewölbte Spaltöffnung) RGT-Regel aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Wechseln zu: Navigation, Suche Die RGT-Regel (Reaktionsgeschwindigkeit-Temperatur-Regel, auch van-’t-Hoff’sche Regel) ist eine Faustregel der chemischen Kinetik und erlaubt die Abschätzung vieler Phänomene der Chemie, Biochemie und Ökologie. Sie besagt, dass chemische Reaktionen bei einer um 10 K erhöhten Temperatur doppelt bis viermal so schnell ablaufen. Der Faktor, um den die Reaktionsgeschwindigkeit konkret steigt, wenn die Temperatur um 10 K erhöht wird, heißt Q10-Wert: , worin R jeweils für die Reaktionsgeschwindigkeit steht. Bei größeren Temperaturdifferenzen wird die RGT-Regel zunehmend ungenau und gilt hier deswegen im Allgemeinen nicht mehr. Die RGT-Regel wurde 1884 von dem niederländischen Chemiker van ’t Hoff aufgestellt und 1889 von Arrhenius zur Arrhenius-Gleichung, der exakten Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Temperatur, ausgebaut. bis hierher, am 10.5. Warum Sex? Exzerpt aus Falter.at, Mai.´11 6 oder oder doch Sex ist zur Vermehrung nicht unbedingt notwendig, wie ein Blick zurück in die Evolutionsgeschichte zeigt: Viele Organismen schaffen es, sich ohne den Austausch von Körperflüssigkeiten fortzupflanzen. Warum sich in der Natur die sexuelle Reproduktion durchsetzte, ist nach wie vor nicht restlos geklärt. Insbesondere die Existenz des männlichen Geschlechts gibt nach wie vor Rätsel auf. Am Anfang war kein Sex. Natürlich würde uns ohne Sex einiges abgehen: Hätte ihn die Natur nicht erfunden, so würden viele der schönsten Dinge des Lebens - einmal abgesehen vom Sex selbst - nicht existieren: Pflanzen würden nicht blühen, Vögel nicht singen, der Pfau würde kein Rad schlagen und Hirsche kein Geweih tragen. Männer würden keine Sportwagen fahren und Frauen keine Miniröcke tragen. Der enorme Aufwand, der in der Natur und beim Menschen für Sex betrieben wird, wirkt - gemessen am scheinbar geringen Nutzen - paradox. Zudem würde ohne Sex und ohne zwei Geschlechter einiges einfacher werden: Es gäbe keine Nebenbuhler mehr und keinen Liebeskummer, kein sinnloses Protzen und keine dummen Lügen. Dass Leben ohne Sexualität auch bestehen kann, beweist ein Blick zurück in die Evolutionsgeschichte. Die ersten Lebewesen wie Bakterien und Blaualgen, die vor vier bis fünf Milliarden Jahren entstanden, vermehrten sich asexuell. Und sie machen es bis heute so. Die Vorteile sind unübersehbar: Ein einziger elterlicher Organismus kopiert seine Erbinformation, teilt sich und gibt seine Baupläne vollständig an den Nachwuchs weiter. Somit ist die gesamte Nachkommenschaft genetisch identisch. Die mühsame Suche und Wahl eines Partners wird überflüssig. Evolutionäre Weiterentwicklung ist freilich auch auf diese Weise möglich: Gelegentlich kommt es zu einer zufälligen Veränderung im Erbmaterial. Ist eine solche "Mutation" vorteilhaft, kann dieser Klon - durch erhöhte Kältetoleranz etwa - einen neuen Lebensraum besiedeln oder sich an andere Veränderungen anpassen. Die Bakterien fuhren mit ihrer Strategie jedenfalls äußerst gut, und so kam es, dass kaum ein Ort der Erde frei von ihnen blieb. Ein Grund dafür ist ihre kurze Generationsdauer: Manche dieser einfachen Organismen können sich alle zwanzig Minuten teilen. 99-prozentige Sexualisierung. Mittlerweile jedoch vermehren sich aber über 99 Prozent aller existierenden Tier- und Pflanzenarten sexuell, das heißt, sie kombinieren ihre DNA mit der eines 7 Sexpartners ihrer Art und erzeugen dadurch genetisch neuartigen Nachwuchs. Warum aber kam es vor ein bis zwei Milliarden Jahren dazu, dass Bakterien begannen, ihre Körpersäfte bzw. ihre DNA über Zytoplasmabrücken auszutauschen? Warum also etablierte sich nach und nach die Rekombination von Erbinformation zweier Organismen, also die sexuelle Fortpflanzung? So unbestritten der Erfolg der sexuellen Vermehrung evolutionsgeschichtlich auch sein mag, so uneinheitlich und umstritten sind die Begründungen der Biologie. Was möglicherweise auch damit zu tun hat, dass in der Biologie die Bedeutung der sexuellen Selektion lange Zeit unterschätzt wurde. Vor allem deshalb, weil männliche Biologen des 19. Jahrhunderts nicht glauben konnten, dass weibliche Tiere sich ihre Sexualpartner aktiv auswählen, blieben evolutionstheoretische Erklärungen der Sexualität lange Zeit Mangelware. Und bis heute ist der Glaube weit verbreitet, dass die einzige Triebkraft der Evolution die natürliche Selektion im engeren Sinn - also das "Survival of the fittest" - sei. Konkurrenz der Theorien. Mittlerweile ist die Evolutionsbiologie längst zu einem zentralen Forschungsgebiet der Wissenschaften vom Leben avanciert. Und entsprechend gibt es heute mehr als zwanzig verschiedene und zum Teil widersprüchliche Theorien darüber, warum sich Sex in der Natur durchgesetzt hat - widersprüchlich auch deshalb, weil die experimentellen Daten bislang noch eher karg sind. Doch längst arbeiten die Evolutionsbiologen daran, ihre Theorien mithilfe der Molekularbiologie und komplizierten Computersimulationen zu überprüfen. Beobachtungen an lebenden Organismen sind die Ausnahme von der Regel, was in der Natur der Sache liegt: "Evolution in the making" ist ein extrem langwieriger Prozess; nur wenige Modellorganismen vermehren sich so rasch, dass ein Forscherleben ausreicht, um Einblicke in langfristige Evolutionsprozesse zu erhaschen. Ein solcher Organismus ist die Bäckerhefe, die die amerikanischen Forscher Clifford Zeyl und Graham Bell genauer auf ihr Sexual- bzw. NichtSexualleben hin untersucht haben. Sie kamen zu dem Schluss, dass sich im Laufe der Zeit in den sich sexuell vermehrenden Populationen nur wenige schädliche Mutationen ansammeln, während die asexuellen immer mehr degenerieren. Den schädlichen Veränderungen ergeht es wie im Fegefeuer. Schlechte Mutationen würden ausgemerzt, bevor sie in einer Population die Überhand gewinnen. Sind Männer überflüssig? Der deutsche Zoologe Manfred Milinski ist einer jener Forscher, die mithilfe von komplizierten Computersimulationen der Evolution des Lebens bzw. der Sexualität auf die Spur kommen wollen. Auf die Frage, warum sich Tiere und Menschen sexuell 8 fortpflanzen, weiß auch er keine Antwort, wie er unumwunden zugibt: "Im Besonderen können wir nicht erklären, weshalb es das männliche Geschlecht gibt. Theoretisch gäbe es kein Problem mit Weibchen, die sich asexuell, also durch Parthenogenese fortpflanzen", erklärt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Limnologie. Zu diesem für ihn und seine Geschlechtsgenossen - zumindest theoretisch - existenzgefährdenden Befund kamen Evolutionsbiologen dadurch, dass sie Computersimulationen durchspielten, die von einer bestimmten Anzahl "genetisch" unterschiedlicher Individuen ausgehen, die sich unter bestimmten Umwelt- und Konkurrenzbedingungen vermehren sollten. Nach einigen virtuellen Generationen ließ sich beobachten, welche der ursprünglichen Individuen in der vorbestimmten Umgebung den größeren Erfolg - das heißt: mehr überlebensfähige Nachkommen - haben. Das überraschende Ergebnis: Es waren die Asexuellen, die sich in den computergenerierten Stammesgeschichten durchsetzten. Im direkten Vergleich dauerte es kaum mehr als zehn Generationen, bis die auf Zweisamkeit bedachten Lebewesen von den sich mittels Jungfernzeugung vermehrenden Einzelgängern zahlenmäßig bei weitem übertroffen wurden. Und wenig später waren jene Individuen endgültig ausgestorben, die zur Fortpflanzung Paare bildeten. Sex als Anpassungsstrategie? Nun ist aber offensichtlich, dass die tatsächliche Evolution die virtuelle Lügen straft. Warum aber versagte dann das Computermodell? Es war schlicht zu wenig realitätsnahe, sprich: Man hatte bei der Computersimulation die sich verändernden Lebensbedingungen zu wenig berücksichtigt. Also wurden die virtuellen Umweltbedingungen, zum Beispiel das Klima, über mehrere Generationen langsam geändert. Und siehe da: Je schneller die Veränderungen, desto länger überlebte die Gruppe der sich sexuell Fortpflanzenden - um früher oder später indes doch irgendwann auszusterben und den Einzelgängern das Feld zu überlassen. Einzige Ausnahme: Bei drastischen Veränderungen von einer Generation auf die andere hatten die Asexuellen plötzlich keine Chance mehr. Doch wo finden sich ähnlich drastische Umbrüche außerhalb wohl definierter Computersimulationen? Wo herrscht in einer Generation Tropenklima und in der nächsten Polarwetter? Es ist natürlich nicht das Klima, das sich quasi von heute auf morgen verändert. Unglaublich vielseitig und rasant schnell wandelbar sind aber Viren und Bakterien - all die Erreger von Infektionskrankheiten. Der britische Biologe William Hamilton war es, dem bereits in den Sechzigerjahren dieser zündende Gedanke gekommen war: Gefragt ist also ein hochflexibles Immunsystem, das Fremdes - und also auch neues Fremdes - schnell als fremd erkennt und vernichtet, bevor es im Körper Schaden anrichten kann. Die Antwort auf sich ändernde Umweltbedingungen und flexible Parasiten heißt also 9 Rekombination: die Durchmischung und zufällige Neukombination des Erbgutes zweier Individuen. Sex eben. Genetischer Rüstungswettlauf. Ein ganz ähnlicher Erklärungsansatz ist die so genannte RedQueen-Hypothese, die in den Siebzigerjahren vom Evolutionsbiologen Leigh Van Valen formuliert wurde. Eltern mit jeweils einer "guten" Mutation bekommen "superfitte" Nachkommen, die beide Vorteile in sich vereinen. Der Erfolg eines Individuums hängt auch hier davon ab, wie gut es Krankheitserreger und Parasiten abwehren kann. Da die Strategien der Angreifer immer raffinierter werden, muss das Immunsystem ebenfalls flexibel sein. Zwischen Parasiten und ihren Wirten herrscht ein verbissener Rüstungswettlauf. Lebewesen, die durch genetische Neuerungen besser gegen Krankheitserreger gerüstet sind, haben daher höhere Überlebens- und Fortpflanzungschancen. Dadurch wird ein anfangs seltenes Abwehrmuster immer häufiger, und die Krankheitserreger finden wieder einen Weg, es zu überlisten. Die Hypothese über das genetische Wettrüsten einer Art und ihrer Angreifer hat ihren Namen von der Roten Königin aus "Alice im Wunderland": Im legendären Land der Roten Königin muss man laufen, um am gleichen Ort zu bleiben. Will man weiterkommen, muss man doppelt so schnell sein. Organismen, die sich sowohl sexuell als auch asexuell fortpflanzen können - wie zum Beispiel die Blattläuse -, sind für die Klärung der Frage "Warum Sex?" naturgemäß von besonderem Interesse. Neuseeländische Süßwasserschnecken jedenfalls stützen die Annahmen der Parasitentheorie: In dicht besiedelten Seen vermehren sie sich sexuell und produzieren so immer neue Varianten des Immunsystems. Wenn sie hingegen in parasitenarmen Gewässern leben, verlassen sie sich auf asexuelle Reproduktion. Immungene zum "Erschnuppern". Ein anderer Beleg dafür, dass die Entwicklung der sexuellen Reproduktion etwas mit der Ausbildung eines hochflexiblen Immunsystems zu tun hat, lieferte die Entdeckung der MHC-Moleküle, benannt nach dem so genannten "major histocompatibility complex". Diese Moleküle werden von rund einem Dutzend Genen programmiert, und je bunter zusammengesetzt diese Genvarianten sind, desto breiter ist auch das Spektrum an Krankheitserregern, auf das reagiert werden kann. Wenn Weibchen also wüssten, welche Genvarianten sie selbst tragen, könnten sie bei ihrer Partnerwahl gezielt, evolutionsbiologisch erfolgversprechend vorgehen. Und scheinbar tun sie das auch immer schon wie automatisch. Erste Hinweise darauf lieferten US-amerikanische Forscher in Versuchen an Mäusen, bei denen sich zeigen ließ, dass man Immungene "riechen" kann. Mäuseweibchen 10 "erkennen" an Duftstoffen die MHC-Gen-Varianten der Männchen, und irgendwie "wissen" sie offenbar auch, welche sie selbst tragen. Das erleichtert die - evolutionstheoretisch günstigste Partnerwahl ungemein. Wie genau dieses Riechen, Erkennen und Wissen funktioniert, ist allerdings noch weitgehend unbekannt. 11