IGAV – Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung www.allergenvermeidung.org Telefon-Hotline: 01/212 60 60 Univ.-Prof. Dr. Reinhart JARISCH Floridsdorfer Allergiezentrum (FAZ), Wien 22. Februar 2006 Oft übersehen: Histamin-Intoleranz Anders als bei Allergien macht bei der Intoleranz die Menge das „Gift“ Intoleranzen sind zahlenmäßig ebenso bedeutsam wie allergisch bedingte Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten: maximal 10% der Menschen, die Nahrungsmittel nicht vertragen, leiden an einer „echten“ Nahrungsmittelallergie, 40% reagieren kreuz mit anderen Allergenen und bei 50% sind vorwiegend Fructose-, Histamin- oder LaktoseIntoleranz schuld an den Beschwerden. Von einer Nahrungsmittel-Allergie spricht man, wenn das Immunsystem bei Kontakt mit einem Lebensmittel-Eiweiß überreagiert. Beim ersten Kontakt ortet das Immunsystem den vermeintlich gefährlichen Stoff und beginnt Abwehrstoffe (Antikörper Typ IgE) zu bilden. Schon beim nächsten Kontakt erkennt der Körper den Stoff wieder, ist sozusagen gerüstet und veranlasst bestimmte Zellen große Mengen Histamin und andere Gewebshormone freizusetzen und die Eindringlinge abzuwehren. Bereits kleinste Mengen des Allergens reichen aus, um heftige Beschwerden auszulösen. Anders bei nicht-allergischen Unverträglichkeitsreaktionen, wie etwa der HistaminIntoleranz. Hier entscheidet die Dosis, ob biologisch wirksame Substanzen (z.B. Histamin, Tyramin, Serotonin, Phenylethylamin) gut oder schlecht auf den Organismus wirken. Sie sind also nicht grundsätzlich schlecht, sondern die Menge macht das „Gift“. Enzymdefekte (Laktose-Intoleranz) führen ebenfalls häufig zu Verdauungsstörungen wie Bauchschmerzen, Völlegefühl, Blähungen, Durchfall und Übelkeit. Durch das Fehlen bzw. die unzureichende Produktion des Verdauungsenzyms kann der Milchzucker nicht verwertet und ins Blut aufgenommen werden. Die Fructose-Malabsorption ist eine Resorptionsstörung. Symptome sind neben Verdauungsproblemen zudem Heißhunger auf Süßes und depressive Verstimmungen. Die Zuckerstoffe gelangen unverdaut in den Dickdarm und dienen den dort angesiedelten Bakterien als Nahrung und produzieren große Mengen an Gasen und organischen Säuren, die zu den beschriebenen Symptomen führen. Auch hier können kleine Mengen durchaus vertragen werden. Schließlich können auch pflanzliche oder von Bakterien produzierte Gifte und psychische Faktoren (Aversion) zu Unverträglichkeitsreaktionen führen. Eine Sonderstellung nimmt die Gluten-Unverträglichkeit (Zöliakie) ein. Bei der Unverträglichkeit des GetreideBestandteils sind nicht wie bei einer Allergie IgE- sondern IgG-vermittelte Immunprozesse für die Beschwerden verantwortlich. Immer häufiger: Histamin-Intoleranz Histamin ist eine biologisch hochpotente Substanz, die im Organismus eine Fülle von erwünschten aber auch unerwünschten Reaktionen auslöst. So ist es z.B. an der Magensäure-Produktion beteiligt, erweitert die Gefäße, hat Einfluss auf den Wach-SchlafRhythmus und wird mit verbesserter Lernfunktion in Zusammenhang gebracht. Beim Auftreten allergischer Reaktionen spielt Histamin als wichtigster Entzündungsstoff jedoch auch eine zentrale Rolle. Histamin wird vom Menschen selbst produziert, in Blut- und Gewebszellen gelagert und steht zur sofortigen Freisetzung jederzeit zur Verfügung. Es kann aber auch von außen in den Körper gelangen, wie etwa durch die Aufnahme von Speisen und Getränken. Histamin ist in fast jedem Lebensmittel enthalten, v.a. in jenen, an deren Erzeugung und Reifungsprozess Mikroorganismen beteiligt sind. Der Histamingehalt kann je nach Sorte, Reifegrad, Haltbarmachung und Lagerdauer stark schwanken. Frische Lebensmittel (mit Ausnahme von Früchten) enthalten in der Regel weniger Histamin. Interessant ist eine Untersuchung des FAZ: Einzelne Stichproben österreichischer Weine (Jahrgang 2003 und 2004) weisen darauf hin, dass der Histamingehalt in den letzten Jahren tendenziell abgenommen hat. Dies trifft insbesondere für trockene Weißweine zu und könnte als Qualitätskriterium gewertet werden. Ungleichgewicht Diamin-Oxidase und Histamin Histamin wird im Organismus durch das Enzym Diamin-Oxidase (DAO) abgebaut, das vom gesunden Menschen kontinuierlich produziert wird. Liegt nun ein Mangel der Histamin abbauenden Diamin-Oxidase oder ein Missverhältnis zwischen Histamin und DAO vor, spricht man von einer Histamin-Intoleranz, einer Unverträglichkeit von Histamin. Symptome treten auf, wenn der Organismus mit mehr Histamin belastet wird, als er abbauen kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob der erhöhte Histaminspiegel aus Nahrungsmitteln stammt oder vom Körper selbst gebildet wird. Schlimme Auswirkungen kann ein Zusammentreffen einer echten Allergie und einer Histamin-Intoleranz haben: Histamin wird im Rahmen der Allergie produziert, kann aber auf Grund der Histamin-Intoleranz nicht abgebaut werden. 2 IGAV – Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung www.allergenvermeidung.org Telefon-Hotline: 01/212 60 60 „Pseudoallergie“: Allergie-ähnliche Symptome Frauen sind 4-mal häufiger betroffen als Männer. Vier von fünf Betroffenen sind Frauen in der Altersgruppe um die 40. Bei überempfindlichen Personen kann die Aufnahme großer Histaminmengen mit der Nahrung zu Allergie-ähnlichen Symptomen führen, die anders als bei einer allergischen Erkrankung nicht unbedingt sofort, sondern oft Stunden nach dem Essen auftreten, was die Diagnostik verständlicherweise erheblich erschwert. Während Histamin auf der Haut zu relativ harmlosen Beschwerden wie Juckreiz oder Quaddelbildung führt, kann in die Blutbahn gelangtes Histamin fatale Folgen haben – im Extremfall sogar einen Kreislaufschock (anaphylaktischer Schock) mit Herzstillstand. Häufigste Beschwerden eines zu hohen Histaminspiegels sind Kopfschmerzen, Hitzegefühl, Gesichtsrötung, verlegte oder rinnende Nase, Magen-Darm-Beschwerden (z.B. flauer Magen, Magenschmerzen, Blähungen, weicher Stuhl, Durchfall), Müdigkeit, niedriger Blutdruck (Hypotonie), Herzrhythmusstörungen, Atembeschwerden und Asthmaanfälle. Die häufigsten Auslöser dieser Symptome sind: alkoholische Getränke (insbes. Rotwein), Käse (insbes. Hartkäse wie Emmentaler), Schokolade (Kakao-hältige Nahrungsmittel), Salami und andere Rohwürste, Nüsse, Tomaten, Sauerkraut, Spinat, Erdbeeren, Zitrusfrüchte, Fisch. An der viel zitierten Fischvergiftung oder wenn Manchen beim Heurigen „die Nase zugeht“ ist häufig eine Histamin-Intoleranz schuld. Behandlung: Diät und Medikamente Histamin ist hitzestabil und kann weder durch Kochen, Braten, Backen oder Mikrowellen und auch nicht durch Tiefkühlen zerstört werden. Therapeutisch steht die Diät an erster Stelle. Histaminreiche, unverträgliche Nahrungsmittel werden vom Speiseplan gestrichen – was nicht immer leicht ist, vor allem wenn man im Restaurant speist oder bei Freunden eingeladen ist. Vor allem Patienten mit eher leicht ausgeprägten Symptomen wollen zudem nicht immer auf ein Stück Käse, Schokolade oder auf einen Schluck Rotwein verzichten oder Sekt statt Champagner trinken. Die Diät kann deshalb auch durch Medikamente, wie der Einnahme von Antihistaminika vor dem Essen, unterstützt werden. Außerdem kann versucht werden, das Enzym DiaminOxidase als Nahrungsergänzungsmittel 2x täglich, also vor den Hauptmahlzeiten einzunehmen (für dessen Wirksamkeit allerdings noch keine wissenschaftlichen Belege vorhanden sind). Kontakt für Patienten & Informationsmaterial 3 IGAV – Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung www.allergenvermeidung.org Telefon-Hotline: 01/212 60 60 IGAV (Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung) Tel: 01/212 60 60 www.allergenvermeidung.org Kontakt für Journalisten-Rückfragen: Univ.-Prof. Dr. Reinhart JARISCH Floridsdorfer Allergiezentrum, Wien T: 01/ 270 25 30 E: [email protected] © FAZ, Abdruck honorarfrei Text und Foto von Prof. Jarisch in Printqualität gibt’s bei Elisabeth Leeb, ikp, T: 01/524 77 90, E: [email protected] und auf www.allergenvermeidung.org (Presse-Ecke, aktuelle Downloads). __________________________________________ Literaturhinweis: Jarisch R et al., „Histamin-Intoleranz“, Histamin und Seekrankheit“, 2004, Georg Thieme Verlag Stuttgart-New York 4 IGAV – Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung www.allergenvermeidung.org Telefon-Hotline: 01/212 60 60