Paramecium

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Paramecium - Einzeller des Jahres 2007
Görtz H.-D.
Universität Stuttgart, Biologisches Institut
Das erste Mal gibt es 2007 einen Einzeller des Jahres. Die Deutsche Gesellschaft für Protozoologie
will damit aufmerksam machen auf die große Organismengruppe der Einzeller, die Protisten. Zwar
sind Einzeller klein, kaum einer kann mit bloßem Auge gesehen werden, jedoch sind sie für die
Ökosysteme der Erde wichtig. Grüne Protisten der Meere produzieren mit ihrer Photosynthese mehr
Sauerstoff als alle Landpflanzen. Viele Einzeller können Mensch und Tier als Parasiten gefährlich
werden. Der Malaria-Erreger, Plasmodium, ist ein Einzeller, der jährlich mehr als 2 Millionen Opfer
fordert. Bei den Einzellern gibt es eine große Vielfalt und die Arten sind in Aufbau, Stoffwechsel,
Genom-Organisation und Lebensstrategien sehr unterschiedlich. Sie sind deshalb auch für die
Forschung in der Zellbiologie, Genetik, Molekularbiologie, Ökologie, Evolutionsbiologie und selbst für
die Medizin und pharmazeutische Industrie enorm interessant. Auf dieser Website sind die
Wesensmerkmale von Paramecium und einzelne Aspekte aktueller Forschungsthemen mit
Paramecien in kleinen Kapiteln dargestellt.
Paramecium wurde als erster Einzeller des Jahres ausgewählt, weil es vielleicht der bekannteste
Einzeller ist, der oft schon im Biologie-Unterricht vorgestellt wird. Paramecium hat auch praktische
Bedeutung bei der Bewertung der Gewässergüte und ist überall auf der Welt ein intensiv untersuchtes
Forschungsobjekt. Von Paramecium tetraurelia wurde das Genom sequenziert und wird jetzt
untersucht. Man weiss nun, dass das Paramecium-Genom in der Evolution mehrfach verdoppelt
worden ist. Die erzeugten Gen-Duplikate könnten für neue Funktionen "genutzt" worden sein.
Paramecien, die Pantoffeltierchen, leben in Seen, Teichen und Flüssen. Sie gehören zu den Ciliaten,
den Wimperlingen. In einer einzigen Zelle vereinen sie alle Lebensfunktionen. Sie können sich durch
Teilung vermehren, sich sexuell fortpflanzen und sie altern. Große Paramecien kann man mit bloßem
Auge sehen. Sechs hintereinander messen einen Millimeter. Es gibt viele Paramecium-Arten, zum
Beispiel das große P. caudatum, das grüne P. bursaria und das im Brackwasser lebende P. calkinsi.
Manche sind nur in bestimmten Regionen der Erde zu finden. Im Meer und im Boden wurden keine
Paramecien gefunden.
Bauplan von Paramecium aurelia, Länge der Zelle etwa 0,15 mm (aus Berger,
Foissner & Kohmann 1997)
Paramecien ernähren sich von Mikroorganismen und dienen ihrerseits großen Einzellern, Fischbrut
und anderen kleinen Tieren als Nahrung. Sie sind wichtige Bioindikatoren bei der biologischen
Gewässeranalyse. Die "farblosen" Arten zeigen starke Verschmutzungen an, wenn sie in größeren
Mengen vorkommen, während das grüne Paramecium (P. bursaria) reines bis leicht verschmutztes
Wasser anzeigt. Paramecium bursaria beherbergt pro Zelle ca. 300 kleine Grünalgen der Gattung
Chlorella. Bei ausreichendem Licht geben die Algensymbionten soviel Maltose, einen Zucker, an die
Wirtszelle ab, dass die Paramecien notfalls ihren gesamten Energiestoffwechsel damit decken
können.
Paramecien sind ideale Objekte für den Biologieunterricht und relativ einfach in Kultur zu halten (*).
Zellbiologische Aspekte sind ebenso gut an ihnen darzustellen wie reizphysiologische, genetische,
ökologische und evolutionsbiologische Phänomene. Paramecien enzystieren sich nicht, obwohl das
vielfach behauptet wird. In einem Heuaufguss sind sie also nicht zu finden, es sei denn, es wird
Wasser aus einem natürlichen Gewässer zugesetzt.
Für speziell Interessierte wird jeweils eine Auswahl an Fachliteratur aufgeführt. Es sei darauf
hingewiesen, dass auf den Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Protozoologie immer auch
aktuelle Fragen zur Forschung an Paramecien vorgetragen und diskutiert werden.
In folgenden Lehrbüchern und Monographien finden Sie zusammenfassende Darstellungen zur
Biologie von Paramecium und anderen Ciliaten:
Berger H., Foissner W. & Kohamnn F. (1997): Bestimmung und Ökologie der Mikrosaprobien nach
DIN 38 410. G. Fischer, Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm.
Foissner W., Berger H. & Kohmann F. (1994): Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten
des Saprobiensystems. Band III: Hymensotomata, Prostomatida, Nassulida. Informationsberichte des
Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft, Heft 1/94.
Görtz H.-D. (ed.) (1988): Paramecium. Springer Verlag.
Hausmann K. & Bradbury P.S. (1996): Ciliates - cells as organisms. G. Fischer, Stuttgart.
Hausmann K., Hülsmann N. & Radek R. (2003): Protistology. E. Schweizerbart'sche
Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.
Janisch R. (1987): Biomembranes in the life and regeneration of Paramecium. Purkyne Univ. Brno.
Jurand A. & Selman G.G. (1969): The anatomy of Paramecium aurelia. Macmillan St. Martin's Press,
New Yourk.
Kalmus H. (1931): Paramecium - das Pantoffeltierchen. G. Fischer, Jena.
Nanney D.L. (1980): Experimental Ciliatology. J. Wiley & Sons, New York.
Plattner H. (2002): My favorite cell - Paramecium. Bio Essays 24: 649.
van Wagtendongk W.J. (1974): Paramecium - a current survey. Elsevier Sci. Publ. Amsterdam.
Wichterman R. (1986): The Biology of Paramecium, 2nd ed. Plenum Press, New York.
(*) Bezug und Kulturanleitung von Paramecien
1) Aus der Natur: Paramecien leben auf der ganzen Erde in Teichen und anderen Süßgewässern und
sogar im Brackwasser. Als Bakterien-Fresser leben sie bevorzugt benthisch, überwiegend im Eulitoral,
also innerhalb weniger Dezimeter Tiefe am Gewässerrand. Das grüne Paramecium, P. bursaria, ist
häufig in der freien Wassersäule anzutreffen. Die Zelldichten sind oft gering; deshalb sind in
Wasserproben nicht selten nur ein bis zwei Zellen pro hundert Milliliter anzutreffen.
2) Aus dem Labor: Eventuell kann es sinnvoll sein, Paramecien schon als Reinkultur zu beziehen.
Kulturansätze können gegen eine kleine Porto- und Bearbeitungsgebühr von Zoologischen Instituten
verschiedener Universitäten bezogen werden, zum Beispiel von
Prof. Dr. H.D. Görtz
Biologisches Institut
Universität Stuttgart
Pfaffenwaldring 57
70569 Stuttgart
[email protected] (unter Betreff bitte Paramecium angeben)
Mailen Sie 3 bis 4 Wochen, bevor Sie die Paramecien benötigen. Nach Terminabsprache und Zusage
schicken Sie bitte 3 € für Porto und Materialkosten in Briefmarken. Sie erhalten 25 ml einer P.
caudatum- oder P. bursaria-Kultur.
Kulturmedien:
Stammlösung:
80 g Wiesenheu-/Weizenstroh-Gemisch, mit 1 L Wasser 10 Min aufkochen, über ein Handtuch
filtrieren. Die Stammlösung kann eingefroren aufbewahrt werden.
Gebrauchslösung:
Stammlösung 1 : 25 mit Wasser verdünnen, auf 70 °C erhitzen oder autoklavieren, erkalten lassen.
Eventuell sollte der pH-Wert kontrolliert werden (pH 6,5 - 7,5). Mit dieser Gebrauchslösung wird die
Paramecien-Kultur verdoppelt.
Die Kultur kann man länger stehen lassen, wenn einige aufgekochte Strohhalme in dem Medium
belassen werden.
Paramecium: die Zelle
Görtz H.-D.
Universität Stuttgart, Biologisches Institut
Paramecium ist ein Einzeller. Paramecien sind auf der gesamten Zelloberfläche bewimpert. Die Zelle
ist von der Zellmembran umgeben, die damit auch die Cilien (Wimpern) umgibt. Die Zellmembran ist
Abgrenzung, aber auch Ort intensiver Kommunikation mit der Umgebung, das ist für Paramecium
nicht anders als für andere Zellen. Viele zellbiologische Erkenntnisse wurden und werden an
Paramecium gewonnen. Hier sei auf den Abschnitt 6 "Membrandynamik und Exocytose" verwiesen.
Unter der Zellmembran liegen die Alveolen, flache Vesikel, wie sie sich in ähnlicher Form auch bei den
anderen Alveolaten (dazu gehören neben den Ciliaten auch die Dinoflagellaten und die Apicomplexe)
finden. Bei Paramecium sind die Alveolen von H. Plattner und seiner Arbeitsgruppe als Ca++-Speicher
identifiziert worden. Die Cilienaxoneme, die parasomalen Säckchen und die Trichozystenspitzen
reichen durch das Alveolen-Netz hindurch bis zur Zellmembran. Über den kontraktilen Vakuolen ist
eine Lücke im Alveolen-System und auch im Bereich des Mundfeldes gibt es keine Alveolen.
Blockdiagramm des Zellcortex von Paramecium. Unter der Zellmembran und den Alveolen
spannen sich Netze verschiedener Cytoskelett-Elemente, in die Organellen wie Cilien mit ihren
Basalkörpern, Trichozysten, Mitochondrien eingebettet sind. kf - kinetodesmale Fibrillen; ps parasomales Säckchen; tr - Trichozyste. (Aus Hausmann, Hülsmann & Radeck, Protistology, 2003)
Unter den Alveolen liegt ein Mikrotubuli-Netzwerk, in das die Basalkörper (Kinetosomen) der Cilien
fest eingebunden sind. Weitere Strukturen des Cytoskeletts konnten insbesondere durch
Immunmarkierung unter den Alveolen lokalisiert werden. Die Außenschicht der Zelle mit den
Cytoskelett-Netzwerken und den dort eingebundenen Zellorganellen wie Trichozysten und
Mitochondrien wird auch als Kortex bzw. als Pellicula bezeichnet.
Die erwähnten Trichozysten sind Verteidigungsorganellen, die auf mechanische oder chemische
Reize hin exozytiert werden und sich strecken, also quasi abgeschossen werden. Diese Exozytose ist
ein äußerst schneller Vorgang, bei dem sich die Proteine der Trichozysten gleichzeitig zu einem
pfeilartigen Gebilde strecken. Exozytose und Streckvorgang werden durch Ca++--Ionen induziert.
Näheres zur Struktur und zum Exozytosevorgang findet sich auf dieser Website unter Kapitel 6
"Membrandynamik und Exozytose" sowie im Buch "Protozoology" von Hausmann, Hülsmann & Radek
(2003).
Gequetschte Paramecium-Zelle im Phasenkontrast, fokussiert auf die Cortexebene über der
kontraktilen Vakuole. Gut zu erkennen sind Cilien (C, am Rand) und Trichozysten (T, dunkel,
flaschenförmig). Die kleinen, blasseren Strukturen sollten überwiegend Mitochondrien sein.
Dominierendes Zellorganell ist der große Zellkern, der Makronukleus. Weitere Kerne sind die
Mikronuklei - bei einigen Paramecien nur einer, bei anderen zwei und bei einzelnen Arten mehr als
zwei. Über die Funktion des Makronukleus lesen Sie im Abschnitt 5 "Fortpflanzung, Sexualität und
Vererbung". Weitere Zellorganellen sind die bei Paramecium tubulären Mitochondrien, Peroxisomen
und verschiedene Vesikel, aber auch die kontraktilen Vakuolen, die das im Süßwasser kontinuierlich
in die Zelle strömende Wasser wieder hinaus pumpen. Weitere Details zur Paramecium-Zelle, zu den
Zellorganellen, zur Physiologie der Zelle und zur Vererbung finden Sie in der angegebenen Literatur.
Literatur
Görtz H.-D. (ed.) (1988): Paramecium. Springer Verlag.
Hausmann K. & Bradbury P.C. (1996): Ciliates - cells as organisms. G. Fischer, Stuttgart.
Hausmann K., Hülsmann N. & Radek R. (2003): Protistology E. Schweizerbart'sche
Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.
Paramecium: die Gattung
Fokin S.I.
Biological Institute, St. Petersburg Stage University, St. Petersburg, Russia
presently: Visiting Professor at the University of Pisa, Italy
[email protected]
Die phylogenetische Position von Paramecium wird wie folgt gesehen: Stamm Alveolata, Unterstamm
Ciliophora (mit den Schwester-Unterstämmen Dinozoa und Apicomplexa) gehört Paramecium zur
Klasse Oligohymenophorea de Puytorac et al., 1974, Ordnung Peniculia Fauré-Fremiet in Corliss,
1956 (siehe Adl et al. 2005).
Mehr als 40 Arten der Gattung Paramecium wurden beschrieben, jedoch ist die Zahl der validen Arten
geringer. Unlängst wurde vorgeschlagen - in Weiterführung der Vorschläge von Jankowski (1969) - die
Gattung Paramecium auf der Basis morphometrischer, biologischer und molekularer Unterschiede
(Abbildung) in vier Untergattungen zu unterteilen: Paramecium, Chloroparamecium, Helianter und
Cypriostomum.
Gattung Paramecium Müller, 1773
Untergattung Paramecium Müller, 1773. Typus-Art: Paramecium (Paramecium) caudatum
Ehrenberg, 1833 (Abbildung). Weitere Arten: P. aurelia-Komplex (Abbildung) 15 Arten; P.
multimicronucleatum Powers & Mitchel, 1910; P. jenningsi Diller & Earl, 1958; P. wichtermani
Mohammed & Nashed, 1968; P. africanum Dragesco, 1970; P. jankowskii Dragesco, 1972; P.
ugandae Dragesco, 1972; P. schewiakoffi Fokin et al., 2001.
Untergattung Chloroparamecium Fokin et al., 2004. Typus-Art: Paramecium (Chloroparamecium)
bursaria Focke, 1836 (Abbildung).
Untergattung Helianter Jankowski, 1969. Typus-Art: Paramecium (Helianter) putrinum Claparéde
& Lachman, 1858.
Weitere Art: P. duboscqui Chatton and Brachon, 1933 (Abbildung)
Untergattung Cypriostomum Fokin et al., 2004. Typus-Art: Paramecium (Cypriostomum) calkinsi
Woodruff, 1921. Weitere Arten: P. polycaryum Woodruff & Spencer, 1923 (Abbildung); P.
nephridiatum Gelei, 1925; P. woodruffi Wenrich, 1928; P. pseudotrichium Dragesco, 1970.
Im Augenblick können mindestens 17 Morphospezies in der Gattung erkannt werden. Dabei können
neue Arten mit größerer Wahrscheinlichkeit in abgelegenen und daher weniger untersuchten Gebieten
(Südamerika, Afrika, tropisches Asien) gefunden werden. Aus den letzten Jahren können eine weitere
Morphospezies und zwei eher kryptisch beschriebene europäische Paramecium-Arten - hauptsächlich
nach molekularen Daten - ergänzt werden (Fokin et al. 2006). Die geographische Verbreitung vieler
Paramecium-Arten unterstützt nicht die Vorstellung, dass alle Ciliaten Kosmopoliten sind. Wegen
einiger neuerer Funde ist zu erwarten, dass die Gattung Paramecium mehr Arten als bisher bekannt
enthält. Ausserdem müssen auch die europäischen Varietäten erneut untersucht werden.
Für die meisten Morphospezies von Paramecium sind genetische Arten nicht definiert (siehe die
Übersichtsartikel von D. Nyberg, Y. Tsukii and W.G. Landis in Görtz, H.D. [ed] 1988). Klar ist die
Situation für den P. aurelia-Artenkomplex. Sonneborn hat 16 Varietäten (früher als Syngens
bezeichnet) im P.aurelia - P. multimicronucleatum-Artenkomplex beschrieben. Nachdem die Syngens
als bona fide - Arten erkannt wurden, wurden 14 Arten mit binomialen Namen belegt (Sonneborn
1975): aus Syngen 1 wurde P. primaurelia, Syngen 2 - P. biaurelia, Syngen 3 - P. triaurelia, Syngen 4
- P. tetraurelia usw., bis Syngen 14 - P. quadecaurelia. 1983 wurde eine weitere Art, P. sonneborni,
gefunden (Aufderheide et al. 1983). Die sogenannten Syngens von P. bursaria, P.
multimicronucleatum and P. caudatum wurden nicht als Arten bezeichnet bzw. mit Binomen belegt,
zumal in verschiedenen Fällen Hybrisierungen mit lebensfähigen F2-Nachkommen gezeigt wurden.
Die Bestimmung der verschiedenen Paramecium-Arten des P. aurelia-Komplexes gelingt jetzt
zweifelsfrei mit der RAPD-Fingerprint-Analyse (Stoeck & Schmidt 1998).
Literatur
Adl S.A. et al. (2005): The New Higher Level Classification of Eukaryotes with Emphasis on the
Taxonomy of Protists. J. Eukaryot. Microbiol. 52: 399-451.
Fokin S. I. et al. (2004): Morphological and molecular investigations of Paramecium schewiakoffi sp.
nov. (Ciliophora, Oligohymenophorea) and current status of distribution and taxonomy of Paramecium
spp. Europ. J. Protistol. 40: 225-243.
Fokin S. I. et al. (2006): How many Paramecium species we can expect. Morphological and molecular
analysis. Abstr. Int. Meeting "Paramecium genomics" Dourdan, France. Without pagination.
Görtz H.D. (ed.) (1988): Paramecium, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg.
Jankowski A.W., 1969. Proposed classication of Paramecium genus Hill, 1752 (Ciliophora). Zool. J.
(Moscow) 48: 30-39 (in Russian with English summary).
Stoeck T. & Schmidt H.J. (1998): Fast and Accurate Identification of European Species of the
Paramecium aurelia Complex by RAPD-Fingerprints. Microb. Ecol. 35: 311-317.
Paramecium als Bioindikator
Berger H. & Foissner W.
Technisches Büro für Ökologie und Universität Salzburg
Drei Paramecium-Arten und ein Art-Komplex sind wichtige Indikatoren bei der biologischen
Gewässeranalyse. Die "farblosen" Arten zeigen starke Verschmutzungen an, wenn sie in größeren
Mengen vorkommen. Das grüne Paramecium (P. bursaria) indiziert dagegen reines bis leicht
verschmutztes Wasser. Paramecien fehlen in zeitweise austrocknenden Gewässern und in
terrestrischen Lebensräumen, da sie keine Dauercysten bilden. Die folgenden kurzen ökologischen
Charakterisierungen sind dem praktischen Bestimmungsbuch von Berger, Foissner & Kohmann
(1997) entnommen. Ausführliche Beschreibungen der Morphologie, Ökologie und Verbreitung dieser
Paramecium-Arten sowie vieler anderer in Fließgewässern weit verbreiteter Ciliaten-Arten finden Sie
im sogenannten Ciliaten-Atlas (Foissner et al. 1991, 1992, 1994, 1995).
Paramecium bursaria (Ehrenberg, 1831) Focke, 1836: Ganzjährig weit verbreitet im Aufwuchs,
Detritus und Plankton krautreicher, eutropher stehender (Tümpel, Uferzone von Seen) und langsam
fließender (Altarme, lenitische Bereiche eutropher Bäche und Flüsse) Gewässer; ausgeprägtes
Maximum von April bis Juni, hohe Abundanzen werden aber selten erreicht. Typisch für moorige und
anmoorige Gewässer. Sitzt meist regungslos mit abgespreizten Wimpern im Detritus oder zwischen
Algenfäden. Verträgt geringe Mengen an Fäulnisgiften und erreicht in sauerstoffreichen Gewässern
auch während intensiver Abbauprozesse mittlere Abundanzen. Selten im Belebtschlamm und in
Tropfkörpern. Oligo- bis meso-euryhalin. Kosmopolitisch.
Paramecium bursaria frißt Bakterien, Diatomeen und andere Algen, Hefen und Stärkekörner. Eine P.
bursaria enthält bis zu 1000 symbiotische Algen der Gattung Chlorella. Zoochlorellenfreie
Populationen wurden im Freiland bisher nicht beobachtet; bei erhöhter Temperatur (30°C),
Nährsalzmangel und guter Fütterung lassen sich jedoch algenfreie Stämme züchten. Bei
Nahrungsmangel ernährt sich P. bursaria von den Photosyntheseprodukten (überwiegend Maltose)
ihrer Symbionten. Generationszeit unter Laborbedingungen bei 8,5°C etwa 87 h, bei 15°C etwa 35 h
und bei 20°C etwa 20 h. Positiv phototaktisch, negativ geotaktisch. Reagiert empfindlich auf größere
pH-Schwankungen, niedrigen Sauerstoffgehalt und höhere Schwefelwasserstoffkonzentrationen.
Saprobiologische Einstufung: betamesosaprob bis alphamesosaprob; Saprobienindex = 2,5.
Paramecium aurelia-Komplex: Ganzjährig weit verbreitet und manchmal zahlreich (184 Individuen
pro cm2) im Detritus, gelegentlich auch im Pelagial (Freiwasser) stehender Gewässer (Tümpel,
Weiher, Seen, Stauseen, Altwässer, Moore). In Fließgewässern seltener als Paramecium caudatum
und bei geringer bis mittlerer Belastung meist nur sporadisch und mit niedriger Abundanz. Die
Schwesterarten haben ziemlich unterschiedliche ökologische Ansprüche, und sogar die Populationen
einer Schwesterart zeigen erhebliche Abweichungen, zum Beispiel in der Toleranz von
Schwermetallen. Es gibt mehrere Nachweise aus Belebtschlammanlagen, Tropfkörpern und
Klärteichen (bis 75000 Individuen pro ml). Auch im Brackwasser; oligo- bis meso-euryhalin.
Verbreitung des Komplexes kosmopolitisch, einzelne Arten endemisch.
Arten des P. aurelia-Komplexes fressen Bakterien und sind auch axenisch kultivierbar.
Generationszeit unter Laborbedingungen bei 8,5°C etwa 111 h, bei 15°C etwa 30 h, bei 20°C etwa 17
h und bei 27°C 5-6 h.
Saprobiologische Einstufung: alphamesosaprob bis betamesosaprob; Saprobienindex = 2,9.
Paramecium caudatum Ehrenberg, 1833: Ganzjährig zahlreich (120 Individuen pro cm2 und mehr)
in stehenden und fließenden Gewässern mit hohem Gehalt an leicht abbaubauren organischen
Substanzen und daher hohen Bakteriendichten. Typisches, mikroaerobes Mitglied der polysaproben
Ciliatengesellschaft Colpidietum colpodae. Zahlreich bis massenhaft in Sphaerotilus-, Cyanobakterien, Beggiatoa- und Leptomitus-Rasen, zwischen faulenden Algen und Makrophyten, in der
verschlammten Uferzone stark verunreinigter Fließgewässer, auf der Oberfläche von Faulschlamm
und im Pelagial stark verschmutzter stehender und fließender Gewässer. Verbreitet im Belebtschlamm
(zahlreich besonder während der Einarbeitungsphase und bei hoher Belastung und/oder permanenter
Sauerstoffarmut), in Emscherbrunnen, in Tropf- und Scheibentauchkörpern, in Stabilisierungsteichen,
Rieselfeldern und in der Kahmhaut von stehendem, grauschwarzem, stark nach H2S riechendem
Abwasser (bis 40000 Individuen pro ml). Sporadisch und mit geringer Abundanz auch in
bakterienreichen Mikrohabitaten reinerer Fließ- und eutropher Stehgewässer, in Thermal- und
Schwefelquellen und in Brunnen und Trinkwasserfiltern. Läßt man solche Proben einige Tage stehen
("Aufgüsse"), vermehrt es sich bei einsetzender Fäulnis meist sehr stark. Oligo- bis meso-euryhalin.
Kosmopolitisch.
Paramecium caudatum frißt überwiegend Bakterien, gelegentlich Algen und Hefe; auch axenisch
kultivierbar. Generationszeit bei 25°C etwa 10 h, bei 0°C erfolgt nur alle 19-20 Tage eine Teilung.
Paramecium caudatum ist negativ geotaktisch und negativ phototaktisch. Schwimmgeschwindigkeit
bei 15°C etwa 0,5 mm/s, bei 30° etwa 1,25 mm/s. Ziemlich unempfindlich gegenüber großen
Sauerstoff- und pH-Schwankungen.
Saprobiologische Einstufung: polysaprob bis alphamesosaprob; Saprobienindex = 3,6 (Foissner et al.
1994) bis 3,4 (Berger et al. 1997).
Paramecium putrinum Claparède & Lachmann, 1859: Besonders im Winterhalbjahr weit verbreitet
und manchmal massenhaft im Detritus stark bis sehr stark verschmutzter Gewässer aller Art (Tümpel,
Teiche, Altwässer, Bäche, Flüsse, Staugewässer). In Fließgewässern - besonders in stark strömenden
Bereichen - oft in größerer Dichte als P. caudatum. Paramecium putrinum bevorzugt bakterienreiche,
kühle Gewässer mit hoher Sauerstoffzehrung, fehlt aber bei höheren H2S-Konzentrationen.
Spärliches Vorkommen auch in der Oligosaprobie, dort wahrscheinlich in bakterienreichen
Mikrohabitaten. Typisches Mitglied der polysaproben Ciliatengemeinschaft Colpidietum colpodae und
daher charakteristisch für Sphaerotilus-, Beggiatoa- und Leptomitus-Rasen. Zahlreiche Nachweise
aus Emscherbrunnen, Belebtschlammanlagen (besonders bei hoher Belastung und/oder permanenter
Sauerstoffunterversorgung), Scheibentauchkörpern und Tropfkörpern (vor allem in der oberen, polybis alphamesosaproben Zone, bei schlecht arbeitenden Anlagen auch weiter unten). Auch in
Ästuaren; oligo- bis meso-euryhalin. Fehlt vermutlich in den Tropen, wo es durch andere Arten (z. B.
Paramecium pseudotrichium) vertreten wird.
Paramecium putrinum frißt Bakterien (Schwefelbakterien, Cyanobakterien, Rhodobakterien etc.),
kleine Grünalgen, Kieselalgen, Hefe, heterotrophe Flagellaten und Stärkekörner. Im Freiland ingestiert
ein Individuum etwa 48000 Bakterien pro Tag. Generationszeit im Freiland zwischen 15 und 336 h, im
Mittel bei 103 h. Fakultativ anaerob.
Saprobiologische Einstufung: polysaprob; Saprobienindex = 3,6.
Literatur
Berger H., Foissner W. & Kohamnn F. (1997): Bestimmung und Ökologie der Mikrosaprobien nach
DIN 38 410. G. Fischer, Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm. 291 Seiten. Restbestände noch erhältlich bei
www.protozoology.com.
Berger H. & Foissner W. (2003): Illustrated guide and ecological notes to ciliate indicator species
(Protozoa, Ciliophora) in running waters, lakes, and sewage plants. Handbuch Angewandte
Limnologie, 17. Erg. Lfg. 10: 1–160.
Foissner W., Blatterer H., Berger H. & Kohmann F. (1991): Taxonomische und ökologische
Revision der Ciliaten des Saprobiensystems - Band I: Cyrtophorida, Oligotrichida, Hypotrichia,
Colpodea. – Informationsberichte des Bayer. Landesamtes für Wasserwirtschaft, 1/91: 1–478.
Foissner W., Berger H. & Kohmann F. (1992): Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten
des Saprobiensystems - Band II: Peritrichia, Heterotrichida, Odontostomatida. – Informationsberichte
des Bayer. Landesamtes für Wasserwirtschaft, 5/92: 1–502.
Foissner W., Berger H. & Kohmann F. (1994): Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten
des Saprobiensystems - Band III: Hymenostomata, Prostomatida, Nassulida. – Informationsberichte
des Bayer. Landesamtes für Wasserwirtschaft, 1/94: 1–548 (enthält die Gattung Paramecium).
Foissner W., Berger H., Blatterer H. & Kohmann F. (1995): Taxonomische und ökologische
Revision der Ciliaten des Saprobiensystems - Band IV: Gymnostomatea, Loxodes, Suctoria. –
Informationsberichte des Bayer. Landesamtes für Wasserwirtschaft, 1/95: 1–540.
Paramecium - Fortpflanzung, Sexualität und Vererbung
Hans-Dieter Görtz
Universität Stuttgart, Biologisches Institut
Paramecien vermehren sich durch Zweiteilung. Das ist eine hochgeordnete Querteilung, der eine
Mitose des Mikronukleus vorausgeht (eine geschlossene Mitose, d.h. die Kernhülle bleibt erhalten, die
Spindel wird an der Innenseite der Kernhülle gebildet) und ebenso eine amitotische MakronukleusTeilung. Im Verlauf der Kernteilungen beginnt eine komplexe Morphogenese, die in der Cytokinese,
der eigentlichen Zellteilung, ihren Abschluß findet. In die Cilienreihen, die sogenannten Kineten,
werden dabei zu beiden Seiten der Teilungsebene neue Basalkörper eingereiht. Ein neues,
zusätzliches Mundfeld wird gebildet, was nur möglich ist, wenn das alte Mundfeld nicht durch
irgendeine Störung verloren gegangen ist. Auch die kontraktilen Vakuolen und andere Organellen
werden verdoppelt.
Paramecium tetraurelia, die Zellkerne (DAPI-Färbung. Aufnahme: M. Simon)
Paramecien haben ein begrenztes Klonalter. Manche P. aurelia-Arten haben nur eine
Lebenserwartung von ca. 250 Teilungen, P. bursaria altert erst mit ca. 6000 Teilungen. In der
unterschiedlichen Lebenserwartung offenbaren sich die unterschiedlichen Lebensstrategien der Arten.
Einige sind sogenannte "inbreeder" und r-Strategen, andere sogenannte "outbreeder" und KStrategen.
Die spezifische Form der sexuellen Fortpflanzung von Paramecium ist die Konjugation (Abbildung 1,
Abbildung 2). Dabei macht der Mikronukleus eine Meiose durch. Eines der Meioseprodukte (haploid)
teilt sich dann mitotisch und eines der Teilungsprodukte wird dabei in die Konjugationspartnerzelle
hinüber geschoben. Die Partnerzelle ihrerseits liefert auch einen solchen Wanderkern (entspricht dem
männlichen Vorkern). Der jeweils zweite aus diesen Mitosen hervorgehende Kern (Ruhekern,
weiblicher Vorkern) bleibt in seiner Zelle. Die beiden Vorkerne (ein Ruhekern und der Wanderkern der
Partnerzelle) verschmelzen zum Synkaryon. Jede Zelle produziert also einen männlichen und einen
weiblichen Vorkern, ist damit quasi zwittrig. Dennoch kann nicht jedes Paramecium einer Art mit
jedem anderen konjugieren. Es gibt vielmehr stets zwei oder mehr Paarungstypen, deren Zellen nur
mit Zellen eines jeweils anderen Paarungstyps konjugieren können.
Das Synkaryon (diploid) teilt sich zweimal mitotisch. Zwei der resultierenden vier Kerne werden neue
Mikronuklei, zwei entwickeln sich zu Makronuklei. Die Zelle teilt sich dann und ihre Tochterzellen
haben wieder die normale Ausstattung von einem Mikronukleus und einem Makronukleus. Bei einigen
Arten gibt es zwei Mikronuklei oder sogar mehr pro Zelle. Nach einer Konjugation sind die Zellen
wieder jung und Ausgang eines neue Klons.
Paramecium aurelia, Exkonjugant (DAPI-Färbung). Die Mikronuklei durchlaufen
eine Meiose, der alte Makronucleus fragmentiert
Manche Arten, typischerweise die Inbreeder unter den Paramecien mit geringer Lebenserwartung,
können die sexuelle Fortpflanzung notfalls auch ohne Partner durchführen. Man nennt das Autogamie.
Dabei teilt sich wie bei der Konjugation eines der Meioseprodukte, mangels einer Partnerzelle bleiben
aber Ruhe- und Wanderkern in einer Zelle und verschmelzen direkt zum Synkaryon. Die interessante
genetische Konsequenz der Autogamie ist, dass damit alle Gene gleichzeitig homozygot werden. Da
ja Ruhe- und Wanderkern aus demselben haploiden Meioseprodukt hervorgehen, sind nach der
Synkaryonbildung jeweils beide Allele eines Gens identisch.
Übrigens: Paramecium kann sich nicht enzystieren. Es gibt also keine Paramecien im Heuaufguss.
Das Genom von Paramecium tetraurelia
Wie alle Ciliaten hat Paramecium einen oder mehrere generative Mikronuklei, die das gesamte
Genom im diploiden Satz enthalten, und einen somatischen Makronukleus, der nicht alle Sequenzen
des Mikrounkleus besitzt, dessen Gene aber in hoher Kopienzahl, also hoch amplifiziert, vorliegen.
Der Makronukleus wird im Zuge der sexuellen Fortpflanzung, der Konjugation, aus dem neuen
Mikronukleus aufgebaut (siehe Sexualität). Im Zuge der Makronukleus-Entwicklung wird das
Mikronukleus-Genom durchgreifend umstrukturiert, kurze sogenannte intervening eliminated
sequences, IES-Elemente, aus den Genen heraus geschnitten ebenso wie das meiste
Heterochromatin.
Paramecium tetraurelia ist das genetisch am besten untersuchte Paramecium. Ein großes
europäisches Konsortium (The European Group of Research, bzw. Groupement de Recherches
Européen or GDRE, "Paramecium Genomics") hat unlängst das Genom von P. tetraurelia sequenziert
(Aury et al. 2006) und seine Untersuchung begonnen. Schon jetzt zeigen sich interessante
Ergebnisse. So hat Paramecium mehr Gene als der Mensch, aber viel weniger Proteine; es gibt
anscheinend bei Paramecium kein differentielles splicing. Anscheinend hat Paramecium mehrere
Genomverdopplungen erlebt, die letzte wohl vor nicht allzu langer Zeit. Dadurch doppelt vorliegende
Gene werden vermutlich als "Spielwiese der Evolution" genutzt und so möglicherweise neue
Genfunktionen gefunden. Man darf gespannt sein, was noch alles gefunden wird, zumal in der
Vergangenheit ja viele genetische Phänomene bei Ciliaten entdeckt wurden - so z.B. die Ribozyme
und die Telomerasen. Schon seit längerem weiß man, dass Paramecium nur das Stoppkodon TGA
nutz. TAA und TAG werden als Kodon für Glutamin genutzt.
Detaillierte und aktuelle Informationen über das Paramecium-Genom-Projekt sind zu finden unter:
http://www.genoscope.cns.fr/externe/English/Projets/Projet_FN/organisme_FN.html
Literatur
Aury et al. (2006): Nature 444:171-178
Nanney D.L (1980): Experimental Ciliatology. J. Wiley & Sons, New York.
Endo- und Exocytose: Membrandynamik in Paramecium
Plattner H.
Universität Konstanz
Paramecium tetraurelia ist ein sehr komplex organisierter Einzeller (Ciliat), dessen (makronukleäres)
Genom soeben von einem europäischen Forscherkonsortium unter französischer Federführung mit
deutscher Beteiligung sequenziert wurde (Aury et al. 2006, Nature 444:171-178). Mehrfache
Duplikationen des Gesamtgenoms könnten eine der Voraussetzungen beispielsweise für die äusserst
differenzierten Interaktionen von Membranvesikeln darstellen, wovon sich bei diesem Zelltyp leicht
einige Dutzend ausmachen lassen. Beispiele sind die Komponenten des sekretorischen Apparates
(namentlich die Exocytose von Trichocysten) und des unvergleichlich komplexen Phagocytose-Zyklus
- mit seinen Verbindungen zu Endocytose-Abläufen und zum lysosomalen System sowie mit einem
distikten Ort der Exocytose am Ende des Verdauungszyklus (Cytoproct) und Recycling-Vesikeln. Um
die Spezifität der einzelnen Membraninteraktionen bei diesen komplexen biogenetischen Prozessen
zu gewährleisten, braucht es u.a. jeweils komplexe Kombinationen spezifischer "SNARE"-Proteine,
monomerer GTP-Bindeproteine ("G-Proteine", GTPasen), variabler Komponenten einer heterooligomeren H+-ATPase ("Protonenpumpe"') etc. Das europäische Genomprojekt bietet nun die
Möglichkeit, die einmalige Vielfalt solcher Interaktionen und ihrer Steuerung molekular
aufzuschlüsseln.
Einen sehr aktuellen Aspekt bietet auch die nahe Verwandtschaft zu Parasiten aus der Gruppe der
Apicomplexa, wie Plasmodium und Toxoplasma (Erreger der Malaria bzw. der Toxoplasmose), welche
mit den Ciliaten zu den Alvolata zusammengefasst werden. Es bleibt zu sehen, wieviel sich von der
komplexen Calcium-Signalgebung (und der daran beteiligten Moleküle) von Paramecium auf die
weniger leicht analysierbaren Parasiten übertragen lässt, bei denen Calcium-Signale die Penetration
der Wirtszellen begleiten. Daneben finden sich bei Paramecium Beispiele zur Ausbildung neuer
Funktionen duplizierter Gene ("Neofunktionalisation"), aber auch solche, bei denen Mutationen keinen
Effekt auf die Translationsprodukte (Proteine) haben. Man kann an diesem Zelltyp buchstäblich der
Evolution beim Spielen zuschauen…
Endo- und Exozytosewege in Paramecium tetraurelia. Farbig unterlegt sind jeweils: gelb das System der kontraktilen Vakuole; grün - die Exozytose der Trichozysten und
Endozytose an parasomalen Säckchen (parasomal sacs); rosa - der Phagozytoseweg. Für
Details sei auf Übersichtsartikel verwiesen (s. Literaturliste).
Literatur
Aury J-M, Jaillon O, Duret L, Noel B, Jubin C, Porcel B M, Ségurens B, Daubin V, Anthouard V,
Aiach N, Arnaiz O, Billaut A, Beison J, Blanc I, Bouhouche K, Camara F, Duharcourt S, Guigo R,
Gogendeau D, Katinka M, Keller A-M, Kissmehl R, Klotz C, Koll F, Le Mouel A, Lepère G,
Malinsky S, Nowacki M, Nowak J, Plattner H, Poulain J, Ruiz F, Serrano V, Zagulski M, Dessen
P, Bétermier M, Weissenbach J, Scarpelli C, Schächter V, Sperling L, Meyer E, Cohen J,
Wincker P (2006) Global trends of whole genome duplications revealed by the genome sequence of
the ciliate Paramecium tetraurelia. Nature 444, 171-178.
Kissmehl R, Schilde C, Wassmer T, Danzer C, Nuehse K, Lutter K, Plattner H. (2007) Molecular
identification of 26 syntaxin genes and their assignment to the different trafficking pathways in
Paramecium. Traffic 8 (in press)
Plattner H (2002) My favorite cell - Paramecium. BioEssays 24: 649-658.
Plattner H, Kissmehl R (2003) Molecular aspects of membrane trafficking in Paramecium. Int Rev
Cytol 232, 185-216.
Schilde C, Wassmer T, Mansfeld J, Plattner H, Kissmehl R (2006) A multigene family encoding RSNAREs in the ciliate Paramecium tetraurelia. Traffic 7, 440-455.
Wassmer T, Kissmehl R, Cohen J, Plattner H (2006) Seventeen a-subunit isoforms of Paramecium
V-ATPase provide high specialization in localization and function. Mol Biol Cell 17, 917-930.
Wassmer T, Froissard M, Plattner H, Kissmehl R, Cohen J (2005) The vacuolar Proton-ATPase
plays a major role in several membrane bounded organelles in Paramecium. J Cell Sci 118, 28132825.
Die Oberflächenantigene:
der variable Proteinmantel von Paramecium
Simon M.
Universität Kaiserslautern
Obwohl ein Paramecium bei oberflächlicher Betrachtung sehr einfach gebaut wirkt, so gehört der
Organismus dennoch zu den am höchst entwickelten Zellen überhaupt. Neben zahlreichen
cytoplasmatischen Differenzierungen, wie z.B. das osmoregulatorische System oder auch der
Kerndimorphismus, sind sicherlich die Cilien eines der charakteristischsten Merkmale.
Jedoch ist Paramecium nicht "nackt": auf der kompletten Oberfläche, d.h. auf der extrazellulären Seite
der Plasmamembran die alle Cilien überzieht, befindet sich eine Proteinschicht. Diese umgibt quasi
die ganze Zelle wie ein Mantel und überaus interessant ist dabei, dass Paramecium diesen Mantel
wechseln kann!
Dieses Phänomen, genannt "Antigenic Variation", ist ein weit verbreiteter Mechanismus, nicht nur bei
Protisten: der HI-Virus, der pathogene Pilz Pneumocystis, der Erreger der Malaria Plasmodium und
der Erreger der Schlafkrankheit Trypanosoma sind sehr prominente Vertreter von Organismen die
wechselnde Protein (Antigen-) Strukturen aufweisen. Sehr unterschiedlich sind dabei die
Mechanismen wie dies realisiert wird, d.h. wie insbesondere Genexpression und Antigenwechsel
reguliert werden. Dabei sind dies ganz essentielle Fragen, ermöglichen die Antigene, oder genauer
gesagt der Wechsel der Antigene doch diesen Parasiten dem Immunsystem der Wirte zu entkommen.
Werden von der Immunantwort des Säugers Antikörper gegen die Oberflächenproteine des Einzellers
gebildet, führt der Wechsel des Oberflächenmantels dazu, dass diese Antikörper funktionslos werden.
Somit ist Antigenic Variation ein Mechanismus der Einzellern die Möglichkeit verleiht chronische
Infektionen hervorzurufen.
Paramecium bietet ein ideales Testsystem um den gezielten Antigenwechsel zu erforschen und
welche Möglichkeiten eine Zelle überhaupt hat, dies zu realisieren. Das Genom von Paramecium
tetraurelia weist ca. 100 verschiedene Gene für Oberflächenproteine auf. Diese sind leicht zu
identifizieren haben sie doch eine sehr konservative Struktur:
Sie besitzen interne Wiederholungen, welche die immunologische Information tragen, d.h. dort findet
die Erkennung der Proteine statt. Deswegen bilden sie auch eine spezielle tertiär Struktur die genau
diese Bereiche dem umgebenden Medium exponiert. Neben dem N-terminalen ER
(Endoplasmatisches Retikulum) Translokationssignal besitzen die Peptide eine C-terminale
Signalsequenz die für Anheftung einer GPI-(Glykosylphosphatidylinositol) Ankerstruktur verantwortlich
ist. Auf diese Weise werden die einzelnen Proteine in der äußeren Membran befestigt; es sind keine
Transmebranproteine.
Sehr eindrucksvoll kann man den Antigenwechsel sichtbar machen indem man Antikörper mit
Fluoreszenzmarkierungen verwendet:
In der Abbildung erkennt man deutlich, wie das alte Antigen (Antigen 51A, grün markiert) sich im
Zwischenstadium nur noch auf den Cilien befindet, jedoch das neu synthetisierte Antigen schon auf
dem Kortex erscheint. Schon nach wenigen Zellteilungen, also innerhalb von 24 Stunden, wird
exklusiv das neue Antigen (hier 51D) präsentiert.
Paramecium reagiert auf wechselnde Umwelteinflüsse mit gezielten Antigenwechseln. In über 100
Jahren Forschung wurden viele Auslöser beschrieben, die diesen komplizierten
Genregulationsmechanismus initiieren können darunter z.B. starke Temperaturwechsel, aber auch,
was zunächst für einen nicht Parasiten überraschend erscheint, die Anwesenheit von
Oberflächenprotein spezifischen Antikörpern. Der frei lebende Ciliat regiert also in vergleichbarer
Weise wie die parasitischen Protisten und macht sich selbst auf diese Weise zum geeigneten
Modellorganismus den gezielten Antigenwechsel zu studieren.
Neben vielen Faktoren betreffend der Regulation der Genexpression, die schon identifiziert wurden,
bietet nun das Genom Projekt eine extrem gute Arbeitsgrundlage um weitere "Cofaktoren" zu
identifizieren, die Antigenregulation mit kontrollieren.
Literatur
Capdeville Y. (2000): Paramecium GPI proteins: variability of expression and localization. Protist.
151:161-169.
Craig A. & Scherf A. (2003) (ed.): Antigenic variation. Elsevier Books, Oxford.
Simon M.C. & Schmidt H.J. (2007) Antigenic variation in ciliates. J. Euk. Mikrobiol. 54: 1-7.
Simon M. C., Marker S. & Schmidt H. J. (2006b): Post-transcriptional control is a strong factor
enabling mutual exclusive expression of surface antigens in Paramecium tetraurelia. Gene Expr. 13:
167-178.
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