11. Die Galois Gruppe einer allgemeinen Gleichung.

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11. Die Galois Gruppe einer allgemeinen
Gleichung.
Wir wissen einiges über Permutationsgruppen und wir
wissen einiges über Körpererweiterungen. Jetzt wollen
wir dieses Wissen nutzen, um (in den nächsten beiden
Kapiteln) zu zeigen, dass Gleichungen 5. Grades im
allgemeinen nicht auflösbar sind.
Sei also
p(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn = 0,
ai ∈ Q, eine Gleichung.
Definition.
Q(p) :=Körper der Gleichung
:=der kleinste Körper K ⊂ C, der alle
Lösungen von p(x) = 0 enthält.
Aut(Q(p)) :=Galois Gruppe der Gleichung.
:=die Gruppe aller Körper Automorphismen ϕ : Q(p) → Q(p).
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I. Elementare Mathematik 1
Diese Definition de Gruppe einer Gleichung kann man
noch wie folgt verallgemeinern, um etwas mehr Flexibilität zu bekommen.
Definition. Seien K, L Körper mit L ⊂ K. Dann
definiere
Aut(K,L)
:={ ϕ | ϕ : K → K ist Körper Automorphismus
mit ϕ(x) = x, für alle x ∈ L }.
={ ϕ | ϕ : K → K ist Körper Automorphismus
mit ϕ|L = id }.
Bemerkung. Man schreibt Gal(K, L) = Aut(K, L)
und bezeichnet diese Gruppe als die Galois Gruppe
der Körper Erweiterung K ⊃ L. Wir bleiben aber bei
der Bezeichnung Aut(K, L), um nicht zu viele neue
Bezeichnungen einzuführen.
Beobachtung.
Aut(Q(p), Q) = Aut(Q(p))
= Galois Gruppe der Gleichung p(x) = 0.
Aut(Q(p), Q(p)) = {id} = triviale Gruppe
denn wir wissen, dass Körper Automorphismen alle
rationalen Zahlen festlassen.
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§11 Die Gruppe einer Gleichung
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Beispiele für Galois Gruppen.
Im allgemeinen ist es sehr schwer, die Galois Gruppe
einer Gleichung wirklich auszurechnen. Wir werden
deshalb nur einfache Beispiele ansehen können.
Beispiel 1. Die Gleichung p(x) = x2 − a = 0.
Die beiden
dieser Gleichung sind gegeben
√ Lösungen √
durch + a und − a. Der Körper Q(p) der
Gleichung p(x) = 0 ist gegeben durch
√
Q(p) = {b + c a | b, c ∈ Q }.
Man rechnet schnell nach, dass durch die Vorschrift
√
√
ϕ(b + c a) = b − c a
√
der√einzige Körper Automorphismus ϕ : Q( a) →
Q( a) gegeben ist. Nun ist ϕ ◦ ϕ = id und somit
Aut(Q(p)) = Z2
Damit ist die Gruppe Aut(Q(p)) der Gleichung x2 −
a = 0 berechnet. ♦
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Beispiel 2. Die Gleichung p(x) = xn − 1 = 0.
Wir müssen zunächst die n verschiedenen Lösungen
von p(x) − 1 = 0 finden. Natürlich ist 1 eine Lösung.
Aber es gibt noch mehr. Um dies zu sehen betrachte
man die spezielle komplexe Zahl:
2π
+
i
·
sin
ω := cos 2π
n
n
Man nennt sie eine n-te Einheitwurzel, da
n
ω =
=
cos 2π
n
cos 2πn
n
+ i · sin
+ i · sin
2π n
n
2πn
n
= cos 2π + i · sin 2π
=1
Ebenso sind aber auch alle Potenzen
ω, ω 2 , . . . , ω n−1 , ω n = 1
Einheitswurzeln. Da es genau n Lösungen gibt,
ist dies die vollständige Liste aller Lösungen der Gleichung xn − 1 = 0. Der Körper Q(p) der Gleichung
p(x) = 0 ist somit gegeben durch
Q(p) =Q(ω) =
{a1 ω + a2 ω 2 + . . . + an ω n | a1 , . . . , an ∈ Q }.
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§11 Die Gruppe einer Gleichung
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Durch die Vorschrift
ϕi (ω) = ω i , 1 ≤ i ≤ n,
ist ein Körper Automorphismus, ϕi : Q(p) → Q(p),
gegeben, nämlich
ϕi (a1 ω+a2 ω 2 +. . .+an ω n ) = a1 ω i +a2 ω i2 +. . .+an ω in
(beachte, dass ϕi , als Körper Automorphismus, jede
rationale Zahl auf sich abbilden muß). Man rechnet
schnell nach, dass die ϕi , 1 ≤ i ≤ n, die vollständige
Liste aller Körper Automorphismen von Q(p) darstellt und somit die Gruppe, Aut(bf Q(p)), der Gleichung p(x) = 0 aus der endlichen Menge
Aut(Q(p)) = { ϕ1 , ϕ2 , . . . , ϕn }
besteht.
Beh. Aut(Q(p)) ist abelsch, wenn p(x) = xn − 1.
Bew. Es ist
(ϕj ◦ ϕi )(ω) =ϕj (ω i ) = (ω i )j = ω ij = ω ji = (ω j )i
=(ϕ(ω))i = ϕi (ϕj (ω) = (ϕi ◦ ϕj )(ω)
Daraus folgt ϕi ◦ ϕj (α) = ϕj ◦ ϕi (α), für alle α ∈
Q(p), und so ϕi ◦ ϕj = ϕj ◦ ϕi . Damit ist gezeigt,
dass die Gruppe Aut(Q(p)) der Gleichung p(x) =
xn − 1 = 0 abelsch ist. ♦
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Beispiel 3. Die Gleichung p(x) = xn − a = 0.
Wir müssen zunächst die n verschiedenen
Lösungen
√
bestimmen. Natürlich ist die Wurzel n a eine Lösung.
Aber es gibt noch mehr. Um dies zu sehen, brauchen
wir die Einheitswurzel ω vom Bespiel 2. Mit Hilfe
von ω können wir die folgenden komplexen Zahlen
bilden
√
√
√
√
√
2 n
n−1 n
n n
n
ω a, ω a, . . . , ω
a, ω
a = n a.
Alle diese Zahlen sind Lösungen der Gleichung xn −
a = 0, und da es genau n Lösungen gibt, bilden die
obigen Zahlen eine vollständige Liste aller Lösungen.
Beh. Aut(Q(ω), Q) ist abelsch.
Bew. Q(ω) = Q(p)
Beispiel 2.
und so folgt die Beh. aus
Beh. Aut(Q(p), Q(ω))
ist abelsch.
Bew. Q(p) ist Körper der Gleichung
p(x) = xn − a = 0,
aber diesmal betrachtet als eine Gleichung über dem
Körper Q(ω) (und nicht als Gleichung über dem
Körper Q).
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§11 Die Gruppe einer Gleichung
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Q(ω) enthält die Einheitswurzel ω
(im Gegensatz zu Q).
Seien σ, τ ∈ Aut(Q(p), Q(ω). Dann gilt also:
(1) σ(ω) = ω und τ (ω) = ω)
(nach Definition von Aut(Q(p), Q(ω))).
(2) Weiter werden die Wurzeln
√
√
√
n−1
a, ω a, . . . , ω
a
von σ und τ vertauscht.
Also gilt für jede Wurzel
ζ=ω
k
√
a
von p(x) = xn − a = 0 das Folgende:
(στ )(ζ) = σ(τ (ζ)) = σ(ω j ζ) = ω j σ(ζ) = ω j ω i ζ
= ω ij ζ = ω ji ζ
= ω j ω i ζ) = ω j σ(ζ) = τ (σ(ζ)) = (τ σ)(ζ)
Wie im Beispiel 2 folgt daraus, dass στ (α) = τ σ(α),
für alle α ∈ Q(p).
Also ist στ = τ σ.
Somit ist Aut(Q(p), Q(ω)) abelsch. ♦
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Beispiel 4. Die Gleichung p(x) = x5 − 6x + 2 = 0.
Nach dem Eisenstein Kriterium ist das Polynom
p(x) = x5 − 6x + 2 irreduzibel.
Der Graph der Funktion y = p(x) sieht wie folgt aus:
Der Graph von
y = x5 − 6x + 2
Die Gleichung p(x) = 0 hat also 3 reelle und eine konjugiert komplexe Nullstelle (denn sie hat ja insgesamt
5 Nullstellen).
Beh.
Aut(Q(p)) ≃ S5 ,
wenn p(x) = x5 − 6x + 2 = 0.
Bew. Wir werden gleich sehen (siehe die nächsten
beiden Sätze), dass Aut(Q(p)) ⊂ S5 .
Es genügt dann zu zeigen, dass Aut(Q(p)) sowohl
einen 2-Zykel als auch einen 5-Zykel hat.
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§11 Die Gruppe einer Gleichung
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Dann muss nämlich Aut(Q(p)) = S5 sein
(nach Satz über Permutationsgruppen aus Kap. 10).
Konstruktion eines 2-Zykels.
Die Permutation a + bi → a − bi lässt sich als Körper
Automorphismus realisieren.
Also hat Aut(Q(p)) einen 2-Zykel.
Konstruktion eines 5-Zykels.
Sei α irgendeine Lösung von p(x) = 0. Dann ist:
(1) 5 = grad(p(x)) = grad(Q(α)),
(denn p(x) ist irreduzibel).
(2) grad(Q(α)) teilt grad(Q(p))
(denn Q(p) = Q(α1 , . . . , α5 ), wenn α1 , . . . , α5 alle
Lösungen von p(x) = 0 bezeichnen).
(3) grad(Q(p)) = |Aut(Q(p))|
(siehe den 2. Satz dieses Kapitels).
⇒ 5 teilt die Zahl |Aut(Q(p))|.
⇒ Aut(Q(p)) hat einElement der Ordnung 5.
(nach Satz von Cauchy aus Anhang von Kap. 10).
⇒ Aut(Q(p)) hat einen 5-Zykel
(denn 5-Zykel sind die einzigen Permutationen aus S5 ,
die die Ordnung = 5 haben). ♦
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Eigenschaften von Galois Grupen.
Satz.
Aut(Q(p)) ≃ Sn ,
wobei Sn eine endliche Permutationsgruppe bezeichnet.
Beweis. Seien α1 , . . . , αn ∈ C alle Lösungen der
Gleichung p(x) = 0.
Beh. Die Zuordnung
α1
ϕ 7→ fϕ =
ϕ(α1 )
α2
ϕ(α2 )
...
...
αn
ϕ(αn )
definiert einen injektiven Homorphismus
Θ : Aut(Q(p)) → Sn .
(1) fϕ : {α1 , . . . , αn } → {α1 , . . . , αn } ist Abbildung.
p(α) = 0 ⇒ p(ϕ(α))
= a0 + a1 (ϕ(α)) + . . . + an (ϕ(ϕ(α))n
= ϕ(a0 + a1 α + . . . + an αn )
= ϕ(0)
= 0.
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§11 Die Gruppe einer Gleichung
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(2) fϕ ∈ Sn .
fϕ (αi ) = fϕ (αj ) ⇒ ϕ(αi ) = ϕ(αj ) ⇒ αi = αj
(da ϕ ein Körper Automorphismus ist).
Also
fϕ ist injektiv ⇒ fϕ ist bijektiv ⇒ fϕ ∈ Sn
(da injektive Abbildungen von endlichen Mengen immer bijektiv sind).
(3) Θ is injektiv.
Θ(ϕ) = Θ(ψ)
⇒fϕ = fψ ,
ϕ(αi ) = ψ(αi ), für alle αi .
ϕ = ψ.
(4) Θ ist ein Homomorphismus.
Θ(ϕ + ψ) =fϕ+ψ
=fϕ + fψ ,
da (ϕ + ψ(αi ) = ϕ(α) + ψ(α))
=Θ(ϕ) + Θ(ψ).
Damit ist alles bewiesen. ♦
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Satz.
| Aut(Q(p)) | = grad (Q(p)),
wenn p(x) ein irreduzibles Polynom ist.
Bem. | M | := Anzahl der Elemente der Menge M .
Beweis. (Induktion über grad p(x)).
Es geht darum, die Automorphismen ϕ : Q(p) →
Q(p) abzuzählen.
Induktionsanfang: trivial.
Induktionsschluss: (wir geben hier die Idee, ohne auf
genaue Einzelheiten einzugehen).
Sei α = α1 irgendeine der n = grad p(x) Lösungen
der Gleichung p(x) = 0. Dann ist
Q ⊂ Q(α) ⊂ Q(p).
Gegeben Q(α), definiere
Gα := { ϕ ∈ Aut(Q(p)) | ϕ|Q(α) = id },
Hα := { ϕ ∈ Aut(Q(p)) |ϕ|(Q(p) − Q(α)) = id }
Zu jedem Automorphismus ϕα ∈ Gα , gibt es |Hα |
viele Automorphismen ψα von Hα , die sich mittels
ϕ = ϕα ∪ ψα zu einem Automorphismus von Q(p)
ergänzen.
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§11 Die Gruppe einer Gleichung
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Umgekehrt, lässt sich jeder Automorphismus ϕ als
Vereinigung ϕ = ϕα ∪ ψα schreiben.
Hieraus folgt die Rechnung
|Aut(Q(p)| = |Gα | · |Hα |.
Es bleibt, |Gα | und |Hα | zu berechnen.
(1) Berechnung von |Gα |.
Beachte, dass α eine Lösung von p(x) war. Also
läßt sich p(x) schreiben als
p(x) = (x − α) · p1 (x)
für ein Polynom p1 (x) mit Koeffizienten, nicht unbedingt in Q, aber in Q(α). Die Gruppe der Gleichung
p1 (x) (über Q(α)) ist gegeben durch
Aut(Q(p), Q(α))
und, da grad p1 (x) < grad p(x), folgt nach Induktion,
dass diese Gruppe die Anzahl
|Aut(Q(p), Q(α)| = grad(Q(p), Q(α))
von Elementen hat.
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I. Elementare Mathematik 1
(2) Berechnung von |Hα |.
Beachte, dass Hα gleich der Menge aller Monomorphismen Q(α) → Q(p) ist. Jeder solche Monomorphismus ψ ist aber vollständig bestimmt durch den
Wert
ψ(α)
von α, denn
ψ(a0 + a1 α+ . . . + an−1 αn−1 )
= a0 + a1 ψ(α) + . . . + an−1 ψ(α)n−1 .
Aber die Automorphismen von Q(p) bilden Lösungen
von p(x) = 0 auf Lösungen von p(x) ab.
Weiter wissen wir, dass die Lösungen von p(x) = 0
paarweise verschieden sind, da p(x) irreduizibel ist.
Diese Anzahl ist gleich grad p(x).
Also ist
|Hα | = grad p(x) = grad(Q(α)) = grad(Q(α), Q).
Damit ist
|Aut(Q)| = grad(Q(p), Q(α)) · grad(Q(α), Q)
= grad(Q(p), Q) = grad(Q(p)).
(nach einem früher bewiesenen Satz über den Grad).
Dies beweist den Satz. ♦
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§11 Die Gruppe einer Gleichung
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Anhang. Das Eisenstein Kriterium.
Der Vollständigkeit wegen, führen wir hier noch das
Eisenstein Kriterium auf. Dieses Kriterium erlaubt es
oft die Irreduzibilität eines Polynoms aus den Koeffizienten des Polynoms abzulesen. Es wird sehr oft
verwendet, um zu zeigen, dass ein Polynom, wie etwa
unser Polynom p(x) = x5 − 6x + 2, irreduzibel ist.
Eisenstein Kriterium. Sei p(x) = a0 + a1 x +
. . . + an xn ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten. Dann ist p(x) irreduzibel (d.h. kein Produkt
von nicht-trivialen, ganzzahligen Polynomen), wenn es
eine Primzahl p gibt mit
(1) p teilt a0 , a1 , . . . , an−1
(2) p teilt nicht an .
(3) p2 teilt nicht a0 .
Beweis. Der Beweis ist nicht schwer. Man findet ihn
in fast jedem Buch über Algebra (z. B. [Rotmann,
p.188]). ♦
Literatur.
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I. Elementare Mathematik 1
Joseph J. Rotmann, A First Course Abstract Algebra,
Prentice Hall 1996
Thomas W. Hungerford, Algebra, Springer Verlag
1974
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