Abschlussbericht fra(X)-Ringversuch 2006

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Abschlussbericht über den Ringversuch 2006 zur Sicherung der Qualität der
molekulargenetischen Diagnostik beim fra(X)-Syndrom
Dieter Gläser, GML, 89231 Neu-Ulm, Deutschland
Peter Steinbach, Humangenetik, Universitätsklinium, 89070 Ulm, Deutschland
An dem Ringversuch haben 25 Institutionen teilgenommen. Das sind (nur) 68 % aller
Einrichtungen, die zusammen mit den beiden Referenzlaboren (Neu-Ulm und Ulm)
auf dieser Webseite molekulargenetische Diagnostik beim fra(X)-Syndrom anbieten.
Primäres Anliegen eines Ringversuches ist es, die Qualität der Diagnostik zu sichern
und im Falle der Aufdeckung qualitativer Mängel bei deren Beseitigung zu helfen.
Unsere Ringversuchsergebnisse werden wie international üblich einer
Punktewertung unterzogen (Tabelle 1), die eine statistische Analyse erlauben soll, u.
a. mit dem Ziel, Verbesserungen der diagnostischen Qualität im Vergleich zu den
Vorjahren aufzuzeigen (Tabelle 2). Die Bewertung der eingereichten Unterlagen
erfolgte von den Autoren dieses Berichtes. Erstmals führten Tippfehler bei
Patientenname, - vorname und/oder Geburtstag, aufgrund derer der Befundbericht in
EDV-gestützten Dokumentationssystemen später u. U. nicht mehr aufgefunden
werden kann, zur Punktminderung. Entsprechend wurde im Falle eines Tippfehlers
bei der Befundung des (korrekt bestimmten) Genotyps verfahren. Vor der Abfassung
dieses Abschlussberichtes wurden alle Teilnehmer über die sie betreffende
Punktbewertung informiert – ggf. mit Kommentar - und sie hatten Gelegenheit,
Einspruch gegen die Bewertung zu erheben. Einsprüche wurden im Sinne des oben
genannten primären Anliegens behandelt.
Zusammenfassung
Bei drei Fällen sollten die Teilnehmer das FMR1-Gen auf das Vorliegen einer
Expansion des CGG-Repeats oder anderer, mit den gleichen Gentests
normalerweise ebenfalls zu entdeckenden Normabweichungen untersuchen und den
ermittelten Genotyp korrekt befunden sowie angemessen interpretieren. Bei den
Fällen 2 und 3 war – wie in den Vorjahren – eine Prä- bzw. Vollmutation
nachzuweisen, was mit einer Ausnahme allen Teilnehmern gelang. Bei der
Befundinterpretation hat aber nicht jeder den Untersuchungsauftrag und die darin
konkret formulierten Fragestellungen aufmerksam gelesen.
Das im Vergleich zum Vorjahr etwas schlechtere Gesamtresultat (Tabelle 2) beruht
auf Schwierigkeiten weniger Teilnehmer in einer neuen, bei früheren Ringversuchen
noch nicht simulierten, im täglichen Laborbetrieb aber hin und wieder auftretenden
diagnostischen Situation, dem Vorliegen einer bislang unentdeckten Xchromosomalen Aberration (Fall 1). Hier handelte es sich um eine Frau mit einer
Deletion im langen Arm des X-Chromosoms, einschließlich des FMR1-Gens, wobei
eine vorzeitige Ovarialinsuffizienz (POF) Veranlassung für den FMR1-Gentest war.
Die meisten Teilnehmer haben den Verlust eines der beiden FMR1-Allele entdeckt
und dieses Resultat richtig interpretiert. Manche haben zusätzliche Untersuchungen
zur Befundbestätigung und/oder weiteren Klärung durchgeführt. Die meisten
Beanstandungen gab es, weil die Patientin ohne Klärung/Kenntnis des Ausmaßes
der detektierten Deletion als Überträgerin des fra(X)-Syndroms eingestuft wurde.
Das wichtigste Resultat des diesjährigen Ringversuches hat sich eher zufällig
ergeben und betrifft den bis 2002 von PE Biosystems vertriebenen “Fragile X Size
Polymorphism Assay” zum Nachweis normaler, prämutierter und vollmutierter
Allele: Dieser Test - der mit einer Lizenz der Firma Applied Biosystems bis heute
weiter angewendet wurde - kann bei beliebigen Personen und verschriftsmäßiger
Anwendung falsch-positive Signale im Vollmutationsbereich hervorbringen und zu
entsprechenden Fehldiagnosen führen (siehe unten). Schon vor 2002 hatten sich bei
unseren Ringversuchen deutliche Verdachtsmomente ergeben, die sich nunmehr
endgültig bestätigt haben.
Die drei Fälle
Fall 1
Bei Frau Adelinde Adler, geb. 09. März 1972, die einen gesunden Sohn hat,
bestehen Zyklusstörungen bislang unklarer Ursache. Ein Onkel mütterlicherseits ist
geistig beeinträchtigt. Frau Adler kommt zur Humangenetischen Beratung, weil sie
sich weitere Kinder wünscht. Dort wird zur Klärung einer möglichen Überträgerschaft
für das fra(X)-Syndrom, die auch mit (kommender) vorzeitiger Ovarialinsuffizienz
assoziiert sein kann, eine molekulargenetische Untersuchung des FMR1-Gens
veranlasst.
Untersuchungsmaterial: Leukozyten-DNA einer Frau mit dem Karyotyp
46,X,del(X)(q26.3q28).
Aufgabe: Erkennen einer Deletion, die zumindest das FMR1-Gen umfasst, anhand
deutlich verminderter Intensität des FMR1-Signals im Southernblot sowie anhand der
Abwesenheit eines methylierten FMR1-Allels bei einer weiblichen Patientin.
Interpretation unter Berücksichtigung der bekannten Assoziation vorzeitiger
Ovarialinsuffizienz (POF) mit der Prämutation des FMR1-Gens plus Empfehlung
weiterer Tests zur abschließenden Klärung des Ausmaßes der mindestens ein Xchromosomales Gen umfassenden Deletion (z.B. Chromosomenanalyse).
Korrekte Genotypisierung: 22 Teilnehmer (88%)
Zwei Teilnehmern ist die in den Southernblots deutlich verminderte lntensität des
FMR1-Signals nicht aufgefallen und die Deletion wurde nicht befundet. In einem
dieser Labore wurde ausdrücklich ein homozygot normaler FMR1-Genotyp
diagnostiziert.
Trotz der Abwesenheit eines maternalen FMR1-Allels detektierte und befundete ein
Teilnehmer mit dem “Fragile X Size Polymorphism Assay” (PE Biosystems) den
Genotyp einer Überträgerin mit normalem und vollmutiertem FMR1-Allel.
Einwandfreie Interpretation: 13 Teilnehmer (52%)
Mehrere Teilnehmer haben den Namen der Patientin oder den Geburtstag falsch
wiedergegeben. Von vielen Teilnehmern wurde der korrekte Genotyp erheblich
überinterpretiert: Die Patientin wurde als Überträgerin des fra(X)-Syndroms
eingestuft, teilweise einschließlich der Angabe eines Risikos für das Auftreten eines
Knaben mit dem fra(X)-Syndrom. Ein Teilnehmer erklärt die vorzeitige
Ovarialinsuffizienz (POF) der Patientin mit einer heterozygoten FMR1-Deletion und
der damit verbundenen Überträgerschaft des fra(X)-Syndroms. Ein Teilnehmer führte
nach korrektem Ausschluß einer Prämutation in der Befundinterpretation
Informationen über ausschließlich prämutations-assoziierte Phänotypen an (POF,
FXTAS). Drei Befundberichte blieben ohne Bewertung.
Fall 2
Gertrud Gayer, geb. 10. April 1976, ist in der 9. Woche schwanger. Sie kommt zur
Genetischen Beratung, weil sie einen geistig behinderten Bruder hat. Frau Gayer
möchte wissen, ob diese geistige Behinderung bei ihrem ungeborenen Kind auftreten
kann, wie hoch das Risiko dafür ist und ob die Behinderung ggf. vorgeburtlich
diagnostiziert werden kann.
Untersuchungsmaterial: Leukozyten-DNA einer Überträgerin mit normalem und prämutiertem FMR1-Gen.
Anfgabe: Nachweis beider FMR1-Allele mittels PCR und/oder Southernblot.
Interpretation mit konkreter Beantwortung aller vom Auftraggeber an den
Untersucher weitergegeben Fragen der Ratsuchenden, einschließlich der
Abschätzung des Erkrankungsrisikos des ungeborenen Kindes anhand der
ermittelten Größe des prämutierten CGG-Repeats.
Korrekte Genotypisierung: 24 Teilnehmer (96%)
Einmal wurde ein korrekt ermittelter Genotyp im Befundbrief inkorrekt (mit
Schreibfehler) wiedergegeben.
Einwandfreie Interpretation: 19 Teilnehmer (76%)
Mehrere Teilnehmer haben den Namen der Patientin oder ihren Geburtstag falsch
wiedergegeben. Letzteres wurde aber nur dann „moniert“, wenn - anstelle des von
uns erst in einem nachträglichen Rundschreiben korrigierten Geburtstages - der
10.04.96 angegeben wurde, ohne Feststellung der Unvereinbarkeit mit der
Schwangerschaft der Ratsuchenden. Manche Teilnehmer gingen überhaupt nicht
oder nur unzureichend auf die aktuelle Situation der Ratsuchenden und ihre
konkreten, das ungeborene Kind und die Möglichkeit der vorgeburtlichen Diagnostik
betreffenden Fragestellungen ein.
Fall 3
Sven Sperber, geb. 17. Juni 2002, wurde wg. deutlicher Entwicklungsverzögerung
entsprechend IQ-Werten zwischen 50 und 70 im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ)
vorgestellt. Im vertrauten häuslichen Umfeld kann sich Sven mit wenigen Worten
verständigen. Sein Sprachverständnis ist dort besser. Im SPZ hingegen spricht Sven
kein Wort. Sein Verhalten ist unruhig und „flippig“. Er wirkt umtriebig und unstet, zeigt
gelegentlich ein stereotypes Handkreisen. In der frühpädagogischen Förderung ist er
wenig an seinem Umfeld interessiert, kann einfache Aufforderungen häufig nicht
umsetzen und braucht ständige Aufsicht. Zusätzlich zeigt Sven ein längliches Gesicht
und
große,
ungleich
abstehende
Ohren
(faziale
Dysmorphie).
Zur
differentialdiagnostischen Abklärung wird eine molekulargenetische Untersuchung
des FMR1-Gens veranlasst.
Untersuchungsmaterial: Leukozyten-DNA eines Knaben mit vollmutiertem,
hypermethyliertem FMR1-Gen und vielen phänotypischen Merkmalen des fra(X)Syndroms.
Lernziele: Nachweis des vollmutierten Allels mittels Southernblot und/oder methylierungssensitiver
PCR.
Interpretation
mit
Bestätigung
der
klinischen
Verdachtsdiagnose sowie dem (konkreten) Angebot einer fachlich qualifizierten
Humangenetischen Beratung.
Korrekte Genotypisierung: 24 Teilnehmer (96%)
Ein Teilnehmer konnte aufgrund nicht interpretierbarer Befunddokumente keinen
Genotyp diagnostizieren.
Einwandfreie Interpretation: 23 Teilnehmer (92 %)
Ein Teilnehmer verzichtete auf die „Bestätigung der klinischen Verdachtsdiagnose“.
Ein Befundbericht blieb ohne Bewertung.
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