Workshop „Evidenzbasierte Medizin – Was haben Patienten eigentlich davon?“ 15.03.2003 von 11.00-13.00 Uhr ÜR 4, Univ. Bibliothek Seite - 1 - Programm: Moderation: Sylvia Sänger, Michael Fiene (Fachbereich Patienteninformation im DNEbM e.V.) Evidenzbasierte Medizin - Was erwarten Patienten hiervon? Gerhard Englert (Deutsche ILCO) Evidenzbasierte Medizin - Was muss der Arzt leisten? Rainer Wiedemann (Stuttgart) Evidenzbasierte Medizin - Was heißt das für die Krankenkassen? Elke Herz (VdAK) Evidenzbasierte Informationen für Patienten - Was ist vorhanden und was fehlt? Britta Lang (Deutsches Cochrane Zentrum Freiburg) Qualität – ein Thema? Was Krebspatienten von guter Information haben Birgit Hiller (KID, DKFZ Heidelberg) Ihr Ansprechpartner für Rückfragen: Dipl.-Ing. Sylvia Sänger, MPH Fachbereich Patienteninformation im DNEbM e.V. c/o Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin Aachener Straße 233-237, 50931 Köln Tel. 03641 47 19 72 Fax 03641 47 19 73 Mail [email protected] Workshop „Evidenzbasierte Medizin – Was haben Patienten eigentlich davon?“ 15.03.2003 von 11.00-13.00 Uhr ÜR 4, Univ. Bibliothek Seite - 2 - Evidenzbasierte Medizin Was erwarten Patienten hiervon? Gerhard Englert (Deutsche ILCO) Zur Person: Prof. Dr. rer.nat Gerhard Englert ist Diplomphysiker und außerplanmäßiger Professor für das Fachgebiet „Landtechnische Grundlagen“ an der TU München (a.D.). Er ist/war: seit 1975 Vorsitzender der Deutschen ILCO war von 1975-1997 Vorstandsmitglied der Internationalen Stomavereinigung IOA war von 1979-2000 Vorstandsmitglied des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (teilweise als stellvertretender Vorsitzender) ist Initiator und seit 1988 Sprecher des Forums chronisch kranker und behinderter Menschen im PARITÄTISCHEN seit 2001 Mitglied des Patientenforums gewähltes Kuratoriumsmitglied des Deutschen Krebshilfe Zusammenfassung des Vortrags Die Erwartungen von Patienten an die Behandlung durch Ärzte sind hoch. Nach einer Befragung in der Schweiz sind Fachkompetenz, Interesse am Menschen und Zeit besonders gefragt. Mehrere Studien bestätigen, dass Respekt, würdevolle Behandlung, gute Koordination der Versorgung, Information, Kommunikation und Hilfestellung, Unterstützung des körperlichen Wohlbefindens, emotionale Unterstützung, Einbeziehung von Familie und Freunden sowie Kontinuität im Wechsel Kriterien sind, an denen Patienten Qualität in der medizinischen Versorgung messen. Wie kann evidenzbasierte Medizin dazu beitragen, dass diesen Ansprüchen Rechnung getragen wird? Evidenzbasierte Medizin fördert die Fachkompetenz der Ärzte, wenn sie auf Evidenz begründete Vorgaben (Leitlinien) zu den Behandlungsmaßnahmen entwickelt. Patienten erwarten, dass derartige Leitlinien für die Behandlung aller Krankheiten vorliegen und dem jeweils neuesten Erkenntnisstand entsprechen, also aktualisiert werden. Evidenzbasierte Medizin fördert auch die Wirksamkeit der Behandlung, wenn sie Anforderungen an die Durchführung, d.h. die fachliche und zeitliche Koordination der Behandlungsprozesse definiert. Erwartet wird hier, dass sich die dafür benötigten Versorgungsstrukturen an den Bedürfnissen der Patienten orientieren. Um dies sicherzustellen, ist eine Beteiligung der Patientenselbsthilfe an der Entwicklung der Leitlinien notwendig. Die von Patienten geforderte und für den Heilungsprozess ebenso maßgebende Sozialkompetenz der Ärzte kann die evidenzbasierte Medizin jedoch nicht ersetzen. Fazit aus Vortrag und Diskussion: Workshop „Evidenzbasierte Medizin – Was haben Patienten eigentlich davon?“ 15.03.2003 von 11.00-13.00 Uhr ÜR 4, Univ. Bibliothek Seite - 3 - Evidenzbasierte Medizin - Was muss der Arzt leisten? Rainer Wiedemann (Stuttgart) Zur Person: PD Dr. Dr. Rainer Wiedemann, Frauenarzt und Endokrinologe erstellt u.a. am Christian-Lauritzen-Institut in Ulm evidenzbasierte Informationen für Patienten und Ärzte zu den vermeidbaren Volkskrankheiten Herz-Kreislauf-Erkrankung, Diabetes, Depression, Osteoporose. Er ist aktives Mitglied im Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin. Zusammenfassung des Vortrags Evidenzbasierte Medizin fordert vom Arzt und vom Patient, bei jeder medizinischen Entscheidung stets das beste Wissen mit gebührendem Respekt zu berücksichtigen – Nicht mehr und nicht weniger! EbM ist schlichtweg das auf die zuverlässigsten Forschungsergebnisse gestützte Gesundheitswesen. Für den Arzt sind 2 Dinge neu: 1. Er muss umdenken und die Beschwerden des Patienten so sortieren, dass sowohl dem Arzt wie auch dem Patient das oberste Gesundheitsziel klar wird. "Der Arzt lernt, sich an den Endpunkten zu orientieren": Das will und kann er erlernen; hier kann er seine in den Jahren der Tätigkeit erworbene Erfahrung ("clinical experience") einbringen. Beispiel: Für den Patient mit Herzinfarkt und hohen Blutfetten ist das oberste Gesundheitsziel Alles zu tun, um den erneuten Infarkt zu verhindern. Das Ziel darf nicht die Verbesserung von Cholesterinwerten oder einzelnen Symptomen (Krankheitszeichen) sein! 2. Er braucht abgesicherte Information, das "Topwissen" zur Erkrankung des Patienten. Denn: Das, was klar und bewiesen ist wird im Beratungsgespräch erörtert; der Arzt mit seiner klinischen Erfahrung und der Patient entscheiden dann letztendlich, ob und wie dieser beste Kenntnisstand im speziellen Fall angewandt wird. Um das zu erreichen, müssten weltweit alle "guten Studien" erfasst (auch unpublizierte), nach Qualität sortiert und statistisch ausgewertet werden. Am Ende muss der Arzt aussagen, wie zuverlässig untersucht (Evidenzgrad, Evidenzklasse) die vorhandenen Informationen für die geplante Behandlung sind. Dieses "Topwissen" selbst suchen und in der Qualität beurteilen traut sich kaum ein Arzt zu, es passt auch nicht in den geschäftigen Alltag des Arztes. Dennoch wollen die Ärzte ihr Handeln auf Evidenzbeine stellen.. Die Lösung: Die Allianz mit dem Patienten: Da Arzt und Patient das aktuellste und beste Wissen (Topwissen) zum speziellen GESUNDHEISPROBLEM des Patienten brauchen, sitzen sie im gleichen - im selben "EbM Boot". Sie brauchen einen verlässlichen "Evidenzrat", der schnell abrufbar ist mit "Gütesiegel" der Qualität und der Aktualität. "Info statt Meinung" ist der gemeinsame Slogan von Praktikern und Patienten und bedeutet nichts anderes als Evidenzbasierte Medizin aus der Theorie in die Praxis zu überführen. Denn der Diskussionspartner des "EbM Arztes" ist der "EbM Patient". Gemeint ist der gezielt informierte Patient, der dann mit Recht sagen kann: "Nothing about me without me". Keinesfalls meint das die Patienten, die kiloweise Papier mit ungefilterten Informationen bedrucken und vom Arzt eine Stellungnahme dazu einfordern. Bislang ist in Deutschland noch kein Modell realisiert, das den Wünschen von praktisch tätigen Ärzten und Patienten auch nur in Ansätzen Rechnung trägt. Workshop „Evidenzbasierte Medizin – Was haben Patienten eigentlich davon?“ 15.03.2003 von 11.00-13.00 Uhr ÜR 4, Univ. Bibliothek Seite - 4 - Evidenzbasierte Medizin Was heißt das für die Krankenkassen? Elke Hertz (VdAK) Zur Person: Frau Dr. med. Elke D. Hertz hat zunächst ein Studium der Germanistik und Geschichte an den Universitäten Würzburg, Tübingen und Berlin und danach ein Studium der Humanmedizin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn absolviert. Nach mehrjähriger klinischer Tätigkeit im Bereich der Allgemeinchirurgie im Krankenhaus Siegburg absolvierte sie eine Weiterbildung im nicht-kurativen Bereich. Weitere Schritte ihrer beruflichen Entwicklung waren die Wissenschaftliche Mitarbeit bei der Konzeptionierung und Gestaltung des Zertifizierungsprojektes für Krankenhäuser (KTQ) und die Weiterbildung zur ärztlichen Qualitätsmanagerin. Frau Hertz ist Referatsleiterin in der Abteilung „Grundsatzfragen der medizinischen Versorgung/Leistung“ im VdAK/AEV mit Schwerpunktthemen: Qualitätssicherung, medizinische Klassifikationssysteme (ICD, OPS, DRG), Leitlinien, Frauen und Gesundheit, Gesundheitsziele. Mit der Evidenzbasierten Medizin beschäftigt sie sich nicht nur beruflich sondern hat sie auch zum Gegenstand verschiedener Veröffentlichungen gemacht. Zusammenfassung des Vortrags Der Begriff der Evidenzbasierten Medizin (EbM) findet sich an verschiedenen Stellen des SGB V, das die gesetzlichen Grundlagen für unser Gesundheitssystem setzt. Die Gesundheitstrukturreform hat an den bisherigen Anspruch an Leistungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung angeknüpft, die dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnis entsprechen müssen. EbM steht in diesem Kontext neben den Kriterien der Notwendigkeit, Wirtschaftlichkeit und der ausreichenden Verfügbarkeit. Die Selbstverwaltungspartner im deutschen Gesundheitssystem setzen die gesetzlichen Grundlagen in Entscheidungsgremien um. Dabei findet auch der Anspruch an Evidenz in unterschiedlicher Ausprägung seinen Niederschlag (BUB-Richtlinien, Koordinierungsausschuss, Disease Management Programme).Angesichts einer nur relativ geringen Anzahl vorhandener Evidenz für die im System der Krankenversicherung angebotenen Leistungen bleibt die Frage berechtigt, von wieviel Evidenz wir innerhalb des bestehenden Leistungskataloges ausgehen können und wieviel EbM für zukünftige, neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gefordert wird. Für den betroffenen Patienten bzw. Versicherten ist die Frage der nachgewiesenen Wirksamkeit angebotener Leistungen von grundlegender Bedeutung. Er hat einen gesetzlich legitimierten Anspruch darauf und wird in den meisten Fällen auf die Güte des Systems „vertrauen“. Trotzdem wird in den letzten Jahrzehnten der Ruf nach mehr Transparenz der angebotenen Qualität, alternativen Behandlungsmethoden und Information laut. Ebenfalls wird seitens der Politik der mündige Patient und Versicherte hervorgehoben. Auch die GKV sieht im kritischen und informierten Patienten eine Chance für das zukünftige Gesundheitswesen. Sein Wissen und seine Kompetenz werden sowohl durch eine angemessene Patienteninformation gestärkt, die auf evidenzbasierten Aussagen beruht, wie auch durch eine systematische Berücksichtigung der Evidenz von Leistungen im gesetzlichen Leistungskatalog. Workshop „Evidenzbasierte Medizin – Was haben Patienten eigentlich davon?“ 15.03.2003 von 11.00-13.00 Uhr ÜR 4, Univ. Bibliothek Seite - 5 - Evidenzbasierte Informationen für Patienten - Was ist vorhanden und was fehlt? Britta Lang (Deutsches Cochrane Zentrum Freiburg) Zur Person: Dr. Britta Lang hat nach dem Studium der Altertumswissenschaften die Geschäftsstelle der Deutschen Transplantationsgesellschaft betreut. Seit 1999 ist sie Koordinatorin am Deutschen Cochrane Zentrum in Freiburg und dort vor dem Hintergrund des Consumer Network der Cochrane Collaboration zuständig für den Themenschwerpunkt 'Patienteninformation',. Zusammenfassung des Vortrags Während internationale Anstrengungen unternommen werden, evidenzbasierte Informationen für Ärzte, Wissenschaftler und die Träger des Gesundheitssystems verfügbar zu machen, ist die wissenschaftliche Verlässlichkeit und laienverständliche Aufbereitung von Gesundheitsinformationen für Patienten und Laien ('consumer') immer noch kein Standard. Der positiven Seite der freien Verfügbarkeit von Informationen im Internet steht der Mangel an Qualitätsstandards und strukturierter Abrufbarkeit gegenüber. Selbst die Veröffentlichungen staatlicher Stellen unterliegen nicht selten einer subjektiven Interessenpolitik. Wenige Initiativen bemühen sich bisher um eine Aufarbeitung dieses dringenden Bedarfs. Im angelsächsischen Raum ist hier das Consumer Netzwerk der Cochrane Collaboration (CC) zu nennen, das aus den wissenschaftlichen Systematischen Übersichtsarbeiten der CC laienverständliche Zusammenfassungen ('Synopsen') destilliert und frei im Internet zur Verfügung stellt. Aktuelle Themen werden in einem regelmäßig verfassten Überblick ('digest') vorgestellt und auch per Email zugesandt. Doch auch hier bleibt für viele Nutzer die Englischsprachigkeit der Informationen ein Problem. Im deutschen Sprachraum macht sich hier vor allem das Portal www.patienten-information.de um die Bereitstellung nutzergerechter, evidenzbasierter Informationen verdient, aber auch Initiativen wie www.evidence.de und www.patientenleitlinien.de der Universität Witten-Herdecke sind hier zu nennen. Nach wie vor aber fehlen z.B. laienverständliche deutschsprachige Datenbanken, in denen auf systematischer wissenschaftlicher Forschung basierende Fakten zur Effektivität einer medizinischen Therapie schnell abgefragt werden können wie auch eine einheitliche Regelung zur nachprüfbaren, transparenten Qualität solcher Informationen, der sich alle Informations-'Hersteller' unterziehen müssen. Workshop „Evidenzbasierte Medizin – Was haben Patienten eigentlich davon?“ 15.03.2003 von 11.00-13.00 Uhr ÜR 4, Univ. Bibliothek Seite - 6 - Qualität – ein Thema? Was Krebspatienten von guter Information haben Birgit Hiller (KID, DKFZ Heidelberg) Zur Person: Dr. Birgit Hiller ist Biologin und Wissenschaftsjournalistin. Sie arbeitet seit 1990 für den Krebsinformationsdienst KID im Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg. Dort ist sie verantwortlich für die Redaktion des Internetangebotes www.krebsinformation.de. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt den alternativen Methoden der Krebsmedizin. Seit 2001 vertritt sie den KID im Aktionsforum Gesundheitsinformationssysteme (afgis, www.afgis.de). Zusammenfassung des Vortrags Eine ganze Reihe von Untersuchungen zeigt auf, dass aktiv nach Information suchende Krebspatienten besser und möglicherweise sogar länger leben. Auf welche Weise sie an Informationen gelangen, spielt dabei kaum eine Rolle. Die meisten Betroffenen und auch ihre Angehörigen nutzen heute alle Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, vom Gespräch mit dem Arzt bis hin zum Internet. Angesichts der fülle von Möglichkeiten ist es häufig nicht leicht, unter den vielen angebotenen Informationen die Spreu vom Weizen zu scheiden. Wer will nur verkaufen, wer bietet seriöses Wissen? Wo ist Meinungsaustausch wichtig, wann kann man Empfehlungen guten Gewissens vertrauen? Der Krebsinformationsdienst „kid“ gibt Hilfestellung dabei, Informationen für die persönliche Situation sinnvoll nutzbar zu machen. Dazu gehört vor allem die Vermittlung von Hintergrundwissen über das Gesundheitssystem, die Strukturen in der Krebsforschung und manchmal auch rechtliche Rahmenbedingungen. Eine wachsende Rolle spielen Leitlinien zur Diagnose, Therapie und Nachsorge, die auf der Basis wissenschaftlich belegter Fakten Betroffenen wie ihren Angehörigen eine optimale Versorgung sichern sollen. Dabei unterwirft sich der Krebsinformationsdienst selbst strengen Qualitätsrichtlinien: Eigene Empfehlungen oder Stellungnahmen gibt der kid nicht ab, Entscheidungen Betroffener aus ihren persönlichen Motiven heraus respektiert der Dienst. Die Vorgehensweise bei der Recherche und Zusammenstellung des vermittelten Wissens erfolgt gemäß nachvollziehbarer Kriterien und unter Offenlegung der genutzten Quellen. Dies soll Betroffenen ermöglichen, die Strategien des Dienstes auch bei der eigenen Informationssuche nutzen zu können.