Ambulante Versorgung

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Psychotherapie –
Was sie leisten kann und was nicht?
Timo Harfst
Bundespsychotherapeutenkammer
Fachtagung „Psychische Belastungen und Gesundheit im Beruf“
Bad Münstereifel, 23. – 24. Mai 2013
Übersicht

Prävalenz und Krankheitslast psychischer Erkrankungen in der
Arbeitswelt

Überblick (psychotherapeutische) Behandlungsmethoden bei
psychischen Erkrankungen

Ambulantes und stationäres Versorgungssystem

Evidenzbasierte Leitlinien im Bereich psychischer
Erkrankungen

Grenzen und Barrieren der Behandlung
1
Psychische Erkrankungen – Herausforderungen für
eine leitliniengerechte Versorgung
Psychische Erkrankungen – eine Volkskrankheit:
 Mehr als jeder vierte Erwachsene leidet pro Jahr an einer
psychischen Erkrankung (DEGS 2012: Bevölkerungsprävalenz von
26,9% )
 Versorgungsprävalenz: 31% der GKV-Versicherten erhielten 2009
eine ambulante Diagnose "Psychische oder Verhaltensstörung"
(BARMER GEK Arztreport 2011)
 AU-Zeiten: 12% aller AU-Tage wegen psychischer Erkrankungen
 Krankengeld: 2 Milliarden € pro Jahr wegen psychischer
Erkrankungen (Anteil von 25%)
 EU-Berentungen: 41 % der Neuberentungen wegen psychischer
Erkrankungen  jährliche Kosten von 4 Milliarden €
3
Neuberentungen wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit nach
Krankheitsgruppen von 1993 bis 2011
90.000
Psychische
Störungen
80.000
Muskeloskelettal
e Erkrankungen
70.000
Herz‐Kreislauf‐
Erkrankungen
60.000
Neubildungen
50.000
sonstige
Erkrankungen
40.000
30.000
20.000
10.000
0
1993199419951996199719981999200020012002200320042005200620072008200920102011
4
Quelle: DRV, 2012
2
12-Monats-Prävalenz psychischer Störungen in
Deutschland (im Alter von 18-79 Jahren) –
Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1 MH, 2009-2011)
Gesamtprävalenz
26,9
Angststörungen
15,3
Unipolare Depression
7,9
Alkoholstörungen
4,3
Zwangsstörungen
3,6
Somatoforme Störungen
3,5
Mögl. Psychotische Störung
2,6
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
2,3
Medikamentenmißbrauch/abh.
1,8
Bipolare Störungen
1,5
Körperlich bed. psychische Störung
1,2
Essstörungen
0,9
0
5
10
15
20
25
30
12‐Monats‐Prävalenz (%)
5
Quelle: Jacobi et al. (in press)
Geschlechtsunterschiede:
Frauen haben eine deutlich höhere Prävalenz als Männer
Ausnahmen: Alkohol, Zwang und bipolare Störungen
1,1
Anorexia Nervosa
0,3
Frauen: 32,4% (95% KI: 30,3-34,6)
Männer: 21,4% (95% KI: 19,5-23,4)
1,2
1,2
Körperlich bed. PS
2
1,7
Medikamentenst.
3,6
PTBS
0,9
3
Psychot. Störungen
2,1
Bipolare Störungen
1,8
1,3
Somatoforme St.
1,7
5,2
4
3,3
Zwangsstörungen
10,9
Unipolare Depression
4,9
1,7
Alkoholstörungen
6,9
21,3
Angststörungen
9,3
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
22
24
6
Quelle: Jacobi et al. (in press)
3
Altersunterschiede:
Psychische Störungen sind am häufigsten bei Jungen (1834) und weniger häufig bei Älteren
12-MonatsPrävalenz (%)
7
Quelle: Jacobi et al. (in press)
Welche Behandlungsmethoden existieren bei
psychischen Erkrankungen?

Psychotherapie

Pharmakotherapie
- Antidepressiva
- Antipsychotika
- Phasenprophylaktika
- Sedativa, Anxiolytika, Hypnotika
- Psychostimulanzien
- Anti-Craving-Substanzen

Nicht-medikamentöse somatische Behandlungsmethoden
- Elektrokonvulsive Therapie
- Wachtherapie (Schlafentzugstherapie)
- Lichttherapie
- Körperliches Training

Sonstige nicht-medikamentöse Behandlungsmethoden
- Soziotherapie
- Ergotherapie
4
Wissenschaftlich anerkannte
Psychotherapieverfahren und -methoden
Wissenschaftlich anerkannte Psychotherapieverfahren

Psychodynamische Psychotherapie
- tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
- analytische Psychotherapie

Verhaltenstherapie

Gesprächspsychotherapie

Systemische Therapie
Indikationsspezifisch anerkannte Psychotherapiemethoden

Neuropsychologische Therapie (Organisch bedingte psychische Störungen (F0))

Interpersonelle Psychotherapie

EMDR (Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1))

Hypnotherapie
(Affektive Störungen, Essstörungen)
(Raucherentwöhnung, F54)
Welche Psychotherapieverfahren werden von den
Krankenkassen bezahlt?
Psychotherapieverfahren der Psychotherapie-Richtlinie:

Psychoanalytisch begründete Verfahren
- tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
- analytische Psychotherapie

Verhaltenstherapie
Richtlinie Methoden der vertragsärztlichen Versorgung:

Neuropsychologische Therapie (indikationsbezogen)
Abgelehnt:

Gesprächspsychotherapie
(„Nutzen nur belegt für unipolare Depression)
Aktuell im Bewertungsverfahren:

EMDR bei Erwachsenen

Systemische Therapie bei Erwachsenen
5
Behandlung psychischer Erkrankungen

Welche Patientengruppen werden von wem behandelt?
- im ambulanten Sektor?
- im stationären Sektor?
Ambulante Versorgung





auf das Bundesgebiet bezogen werden in einem Quartal
circa 1 Million Patienten in der GKV psychotherapeutisch
(nach Psychotherapie-Richtlinie) behandelt.
Niedergelassene Psychologische Psychotherapeuten behandeln
ca. 2,5 Mio. Quartalsfälle pro Jahr
Niedergelassene Psychiater behandeln
circa 2,6 Mio. Quartalsfälle pro Jahr
Fachärzte für Psychosomatische Medizin behandeln
circa 406.000 Quartalsfälle und sonstige ärztliche
Psychotherapeuten circa 360.000 Quartalsfälle pro Jahr
zusätzlich psychosomatische Grundversorgung vor allem über
Hausärzte
6
Diagnosespektrum der Behandlergruppen in der ambulanten
fachärztlichen/psychotherapeutischen Versorgung
13
Aktuelle Behandlungsrate bei den jeweiligen
12-Monats-Diagnosen einer psychischen Störung
Bulimie
12
mögl. psychotische Störung
41
Panikstörung
42
Generalisierte Angststörung
43
Soziale Phobie
48
Bipolare Störung
37
Dysthymie
43
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
31
Medikamentenmißbrauch/abh.
34
Depression
35
Somatoforme Störungen
27
Alkoholabhängigkeit
10
0
Quelle: Wittchen (2013). Vortrag auf dem 22. Deutschen Psychotherapeutentag am 20. April 2013
10
20
30
40
50
60
Behandelte (in %)
14
7
Stationäre Versorgung
Fallzahlen in der stationären Versorgung von Menschen mit
psychischen Erkrankungen

Krankenhaus
Psychiatrie:
746.260 Behandlungsepisoden
Psychosomatik:
48.050 Behandlungsepisoden
Kinder-Jugend-Psych: 39.042 Behandlungsepisoden
Andere Abteilungen: 294.619 Behandlungsepisoden

Rehabilitation
Psychiatrie
inkl. Suchtreha:
Psychosomatik:
88.660 Behandlungsepisoden
104.750 Behandlungsepisoden
Quelle: Statistisches Bundesamt, 2009
Differenzielles Diagnosespektrum stationäre Versorgung
100%
90%
5%
5%
0%
1%
4%
4%
80%
2%
7%
7%
8%
11%
andere
3%
1%
6%
Persönlichkeitsstörungen
Essstörungen
70%
21%
12%
14%
7%
Somatoforme Störungen
60%
50%
6%
Anpassungsstörungen
18%
30%
40%
Unipolare Depressionen
10%
49%
30%
Angststörungen einschl.
F43.0 und F43.1
1%
Schizophrene Erkrankungen
10%
20%
25%
andere substanzbezogene
Störungen
10%
19%
1%
3%
3%
0%
Psychiatrie (KH)
Psychosomatik (KH)
Alkoholstörungen
Dementielle Erkrankungen
Rehabilitation
Psychiatrie: 412 Abteilungen / Krankhäuser; 53061 Betten; 746.000 Behandlungsepisoden
Psychosomatik: 158 Abteilungen; 6228 Betten; 48.050 Behandlungsepisoden
Rehabilitation: auf der Basis der Daten des DRV Bund
16
Quelle: Statistisches Bundesamt 2008
8
Wer wird wo weshalb stationär behandelt?

Das Diagnosespektrum der verschiedenen
Sektoren/Einrichtungstypen überlappt sich stark

Klare Zuständigkeiten für die stationäre Versorgung von Menschen
mit psychischen Störungen bestehen vor allem in den Bereichen
Demenz, Schizophrenie und bipolare Störungen (ganz überwiegend
in der Psychiatrie)

und in der Suchtbehandlung (Entzug: psychiatrische
Krankenhausbehandlung; Entwöhnung in der Rehabilitation)

Wesentliche Indikation in allen Bereichen ist die unipolare
Depression, wobei differenzielle Indikationskriterien weitgehend
fehlen
Behandlung psychischer Erkrankungen –
State of the art

Was empfehlen die evidenzbasierten Leitlinien für die Behandlung
psychischer Störungen?
9
Evidenzbasierte Leitlinien
S3/NVL Unipolare Depression
Behandlungsempfehlungen sind
orientiert an Schweregrad, Verlauf und
Komorbiditäten
19
Evidenzbasierte Leitlinien
S3/NVL Unipolare Depression
Zentrale Behandlungsempfehlungen

Leicht: beobachtendes Abwarten (Kann-Empfehlung), alleinige
Psychotherapie (A)

Mittelgradig: Psychotherapie oder Pharmakotherapie (jeweils
Monotherapie) als gleichwertige Alternativen (A)

Schwer: Kombinationsbehandlung aus Psychotherapie und
Pharmakotherapie (A)

Dysthymie, Double Depression, chronische depressive Störung:
Kombinationsbehandlung (A)

Psychotherapie als Erhaltungstherapie und zur Rückfallprophylaxe (A)
10
Therapeutische Leistungen bei depressiven Störungen nach
Schweregrad und Chronizität
40%
keine Behandlung
35%
vorrangig Pharmakotherapie
30%
niederschwellige Leistungen
25%
Psychotherapie
20%
Psychotherapie und
Pharmakotherapie
15%
10%
5%
0%
depressive Störung, depressive Störung, depressive Störung,
schwer (F32.2,
leicht (F32.0, F33.0; mittelgradig (F32.1,
F33.1; N=84.346) F32.3, F33.2, F33.3;
N=28.977)
N=71.405)
Dysthymie (F34.1;
N=25.055)
Double Depression
(Dysthymie + depr.
Episode; N=25.918)
Quelle: KVB, 2007
21
Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung der
unipolare Depression
Wirkungen einer evidenzbasierten Behandlung

Symptomreduktion bzw. Remission, Verringerung der
Funktionsbeeinträchtigungen

Rückgewinnung der Leistungsfähigkeit

Verkürzung der Episodendauer

Senkung des Rückfall- bzw. Rezidivrisikos
Grenzen

15-20% der depressiven Erkrankungen verlaufen chronisch (mind. 2 J.)

Rezidivrisiko für die ersten zwei Jahre liegt bei 40-50%

Rezidivrisiko steigt mit der Episodenhäufigkeiten und –dauer
(70% nach zwei Episoden, 90% nach drei Episoden)
11
Angststörungen – Diagnostische Kriterien GAS bzw. PS
Generalisierte Angststörungen (F41.1)

Übermäßige und unkontrollierbare Angst und Sorge bezüglich mehrerer
Ereignisse oder Tätigkeiten

Mindestdauer sechs Monate

Mind. 3 von 6 weiteren Symptomen: Ruhelosigkeit, leichte
Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit,
Muskelspannung, Schlafstörung
Panikstörung (F41.0)

Wiederkehrende unerwartete schwere Panikanfälle

Nicht auf spezifische Situationen beschränkt

Erwartungsangst, Sorgen über die Bedeutung der Anfälle oder ihre
Konsequenzen
Evidenzbasierte Leitlinien
NICE-Guideline Angststörungen (Generalisierte Angststörung)
“For people with GAD and marked functional
impairment, or those whose symptoms have
not responded adequately to step 2
interventions offer either
 an individual high-intensity psychological
intervention (CBT) or
 drug treatment (SSRI).
“Base the choice of treatment on the
person’s preference as there is no evidence
that either mode of treatment (individual
high-intensity psychological intervention or
drug treatment) is better.”
12
Evidenzbasierte Leitlinien
NICE-Guideline Angststörungen (Panikstörung)
„In the care of individuals with panic
disorder, any of the following types of
intervention should be offered and the
preference of the person should be taken
into account. The interventions that have
evidence for the longest duration of effect, in
descending order, are:
• psychological therapy
• pharmacological therapy
(antidepressant medication)
• self-help.“
Evidenzbasierte Leitlinien
S3-Leitlinie Essstörungen

Anorexia nervosa

Bulimia nervosa

Binge Eating Störung
13
Evidenzbasierte Leitlinien
S3-Leitlinie Essstörungen
Diagnostische Kriterien Anorexia nervosa (F50.0)





Gewichtsverlust oder fehlende Gewichtszunahme.
 BMI von 17,5 kg/m2 oder weniger.
 10. BMI Altersperzentile (DGKJP).
Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt und aufrechterhalten
(durch Vermeidung hochkalorischer Speisen, selbst induziertes
Erbrechen, Abführen, übertriebene körperliche Aktivität, Appetitzügler)
Selbstwahrnehmung als “zu fett” verbunden mit einer sich
aufdrängenden Furcht, zu dick zu werden. Die Betroffenen legen für
sich selbst eine sehr niedrige Gewichtsschwelle fest.
Amenorrhoe bei Frauen, Interesseverlust an Sexualität und
Potenzverlust bei Männern.
Wachstumshemmung bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät.
Evidenzbasierte Leitlinien
S3-Leitlinie Essstörungen
Behandlungsempfehlungen zu Anorexia nervosa (Auszug)
Das ambulante Verfahren sollte eine evidenzbasierte Psychotherapie
sein (B).
Psychopharmakologische Behandlung oder Ernährungsberatung
sollten nicht als alleinige Behandlung angeboten werden;
Bislang konnte für kein Psychopharmakon eine eindeutige Wirkung
für die Behandlung der AN sicher nachgewiesen werden.
14
Evidenzbasierte Leitlinien
S3-Leitlinie Essstörungen
Diagnostische Kriterien Bulimia nervosa (F50.2)

Andauernde Beschäftigung mit Essen und Heißhungerattacken, bei
denen große Mengen Nahrung in kurzer Zeit konsumiert werden.

Versuche, dem dick machenden Effekt des Essens durch verschiedene
Verhaltensweisen entgegenzusteuern, z.B. selbstinduziertes
Erbrechen, Laxanzienabusus, restriktive Diät etc.

Krankhafte Furcht, zu dick zu werden

Häufig Anorexia nervosa in der Vorgeschichte
Evidenzbasierte Leitlinien
S3-Leitlinie Essstörungen
Behandlungsempfehlungen zu Bulimia nervosa (Auszug)





Erwachsene und Jugendliche mit BN soll als Behandlungsverfahren der ersten
Wahl eine Psychotherapie angeboten werden (A)
KVT stellt das meist beforschte Psychotherapieverfahren mit der höchsten
Evidenz dar, daher sollte die KVT Patientinnen mit BN als Methode der Wahl
angeboten werden (B).
Andere Psychotherapieverfahren sind verfügbar und kommen beispielsweise
in Frage, wenn KVT nicht zur Verfügung steht, sich im Einzelfall als nicht
wirksam erweist oder nicht gewollt wird. Als Alternative zu KVT können
psychodynamische Therapie und Methoden der Interpersonellen Therapie (IPT),
modifiziert für BN, empfohlen werden (B).
Psychotherapeutische Behandlungen sind wirksamer als alleinige
Pharmakotherapie (A).
Nur Fluoxetin ist in Deutschland in Kombination mit Psychotherapie für die
Indikation der BN zugelassen. SSRIs stellen bezogen auf Symptomreduktion,
Nebenwirkungsprofil und Akzeptanz die medikamentöse Therapie der ersten
Wahl in der Behandlung der BN dar (B).
15
Evidenzbasierte Leitlinien
S3-Leitlinie Essstörungen
Diagnostische Kriterien Binge Eating Störung (DSM IV)



Wiederkehrende Episoden von Essanfällen. Eine Episode von
Essanfällen ist durch beide folgenden Merkmale charakterisiert:
Es wird in einer umschriebenen Zeitspanne (z.B. innerhalb von 2
Stunden) eine Nahrungsmenge aufgenommen, die wesentlich größer
ist, als die meisten Leute innerhalb einer vergleichbaren Zeitspanne
und unter ähnlichen Umständen essen würden;
Kontrollverlust über das Essverhalten (z.B. das Gefühl, nicht mit dem
Essen aufhören zu können oder nicht kontrollieren zu können, was
oder wie viel gegessen wird).
Evidenzbasierte Leitlinien
S3-Leitlinie Essstörungen
Behandlungsempfehlungen zu Binge Eating Störung (Auszug)
•
Als Therapie der ersten Wahl zur Behandlung der Essstörung soll Patientinnen
mit BES eine Psychotherapie angeboten werden (A).
•
Die KVT verfügt über die sichersten Wirksamkeitsbelege bei erwachsenen
Patientinnen mit BES, daher sollte sie diesen Patientinnen als Therapie
angeboten werden (A).
•
Auch besteht Evidenz, dass die IPT ebenfalls wirksam ist (B).
•
Es besteht auch begrenzte Evidenz, dass die tiefenpsychologisch fundierte
Psychotherapie ebenfalls wirksam ist, daher kann sie Patientinnen mit BES
ebenfalls empfohlen werden (O).
•
SSRI und SSNI sind bei BES wirksam; allerdings ist derzeit kein Medikament
zur Behandlung der BES zugelassen. Sie können jedoch im Rahmen eines
Therapieversuchs eingesetzt werden, wenn eine Psychotherapie nicht möglich
ist (B). Dabei muss der Patient über den Umstand des Off-Label-Uses
aufgeklärt werden.
16
Möglichkeiten und Grenzen der psychotherapeutischen
Behandlung von Essstörungen
Bulimie - Behandlungsergebnisse:
Ungefähr die Hälfte der Patienten ist zwei bis zehn Jahre nach einer
Psychotherapie symptomfrei, wobei sich die Studienlage in erster Linie auf die
kognitive Verhaltenstherapie bezieht.
 Etwa 20% aller Patienten erfüllten weiterhin die Kriterien der BN.
 Der Krankheitsverlauf von ungefähr 30% zeichnet sich entweder durch Episoden
von Rückfällen und Remissionen aus oder durch eine atypische BN
Anorexie – langfristige Ergebnisse:

(Übersicht Steinhausen, 2002, mit 119 Studien mit insgesamt 5590 Patientinnen)




Heilungsraten von knapp 50 %.
30 % der Patientinnen besserten sich bzw. mit Restsymptomatik
20 % Patientinnen mit chronischem Verlauf.
60 % erreichten langfristig ein angemessenes Gewicht. Je länger die
Katamnesezeiträume waren, desto mehr remittierte Patientinnen
(nach mehr als zehn Jahren 73 %), aber auch höhere Sterberate
NICE-Guideline Schizophrenie
Behandlungsempfehlungen im Bereich
Psychotherapie:
• „Offer cognitive behavioural therapy (CBT) to
all people with schizophrenia. This can be
started either during the acute phase or later,
including in inpatient settings.“
• „Offer CBT to assist in promoting recovery in
people with persisting positive and negative
symptoms and for people in remission.
Deliver CBT as described in
recommendation.“
• „CBT should be delivered on a one-to-one
basis over at least 16 planned sessions“
34
17
Schizophrenie – Grenzen der Behandlung
Pharmakotherapie:
Zwischen 30 – 60 Prozent der Patienten zeigen
eine ausreichende Response auf eine
antipsychotische Medikation
Relapse-Raten nach Entlassung aus dem
Krankenhaus (Klingberg, 2009):
Circa 30 Prozent innerhalb von 6 Monaten bei
TAU vs. circa 15 Prozent bei CBT
35
Borderline-Persönlichkeitsstörung –
NICE-Guideline
Empfehlungen:
• Patienten Zugang zur Versorgung verschaffen!
• Keine kurzen psychotherapeutischen
Behandlungen
• Strukturierter spezifischer Therapieansatz
• Vom Behandlungsteam und den
Psychotherapeuten gemeinsam getragen und
mit dem Patienten geteilt.
• Supervision der Psychotherapeuten
• Pharmakotherapie nicht zur Behandlung der
borderlinespezifischen Symptomatik
36
18
Empfehlungen aus nationalen und internationalen S3Leitlinien (NICE) zur Therapie psychischer Erkrankungen
Generalisierte Angsterkrankung
Panikstörung/Agoraphobie
Zwangsstörungen
Posttraumatische Belastungsstörung
unipolare Depression, mittelgradig
Psychotherapie
Pharmakotherapie
++
++
++
+
++
++
++
x
++
++
(Erwachsene)
unipolare Depression, schwer
++: Kombination Psycho-/Pharmakotherapie
(Erwachsene)
unipolare Depression
++ Empfehlung erster Wahl
++
-
(Kinder und Jugendliche)
Bipolare Störungen
(Erwachsene)
+
(ergänzend/bei Ablehnung von
Pharmakotherapie)
++
Bipolare Störungen
++: Kombination Psycho-/Pharmakotherapie
(Kinder und Jugendliche)
Schizophrenie
Anorexie
Bulimie
++
+
Empfehlung
x
Option, wenn explizit gewünscht
0
kann erwogen werden;
nicht als alleinige Therapie
-
keine Empfehlung
++
++
0
++
+
-
Borderline-Persönlichkeitsstörung
Alkohol: schädlicher Gebrauch, leichte
Abhängigkeitsformen
Alkohol: schwere Abhängigkeitsformen
++
++
(nur zur Behandlung
komorbider Störungen)
x
++: Kombination Psycho-/Pharmakotherapie
37
Behandlung psychischer Erkrankungen - Zwischenfazit
• Die Wirksamkeit der Psychotherapie ist bei einem breiten Spektrum
psychischer Erkrankungen gut belegt
• Psychotherapie wird bei fast allen psychischen Erkrankungen als
Behandlungsmethode der Wahl empfohlen
(als gleichwertige oder überlegene Alternative zur Pharmakotherapie
bzw. als Teil der Kombinationsbehandlung)
• Die Empfehlung einer psychotherapeutischen Behandlung gilt auch
für psychische Erkrankungen, die häufig mit schweren
Beeinträchtigungen einhergehen (u.a. Schizophrenie, BorderlinePersönlichkeitsstörung, Anorexie)
• Trotz wirksamer psychotherapeutischer und pharmakologischen
Behandlungsoptionen profitiert ein Teil der Patienten nicht bzw. nicht
ausreichend
 chronische oder rezidivierende Verläufe
38
19
Barrieren einer leitliniengerechten Versorgung
39
Strukturelle Barrieren bei der leitliniengerechten Versorgung von
Menschen mit psychischen Erkrankungen




Quelle: BPtK, 2010
„Geplante“ Versorgungsdichte
variiert zwischen Kernstädten
und ländlichen Regionen um
den Faktor neun
Real variiert die
Versorgungsdichte zwischen 3
PT/ 100.000 Einwohner in
Anhalt-Zerbst und 131 PT /
100.000 Einwohner in
Heidelberg
Besonders schlecht versorgte
Regionen zeichnen sich
zusätzlich durch geringe
Versorgungsdichte in der
Arztgruppe der Nervenärzte
aus
Auch keine Kompensation der
Versorgungsdefizite über
Angebote von PIA
40
20
12-Monatsprävalenz psychischer Störungen und Verhältniszahlen nach
Planungskategorie der Bedarfsplanungsrichtlinie
45
40
35
Psychotherapeuten pro
100.000 Einwohner
38,8
35,7
32,9
33,3
31,5
31,2
28,3
30
32,1
12 Monatsprävalenz
psychischer Störungen
30,9
28,1
25,9
25
22,5
20
15
12,3
11,9
9,9
10
6,4
5
11,4
9,7
6
4,3
0
41
(Wittchen und Jacobi, 2001, eigene Analysen, Bundesgesundheitssurvey 1998)
Barrieren bei der Implementierung von Leitlinien für die Versorgung
von Menschen mit psychischen Erkrankungen

Strukturelle Barrieren aufgrund regionaler Diskrepanzen hinsichtlich der
vorhandenen Ressourcen

Zugang für bestimmte Patientengruppen erschwert
 Menschen im höheren Lebensalter
 Menschen mit spezialisiertem oder komplexen Versorgungsbedarf

Kein „feedback on performance“ des Versorgungssystems bei zum Teil
fehlendem Konsens über geeignete Indikatoren

Geringer Differenzierungsgrad oder zu geringe Detailtiefe der
Leitlinienempfehlungen (z.B. im Sinne von Modellen gestufter Versorgung)
 auch bedingt durch mangelnde Anknüpfungspunkte im
Versorgungssystem (niederschwellige Angebote, Gruppenpsychotherapie)
 und bedingt durch fehlenden Konsens über geeignete
Versorgungsstrukturen und Versorgungspfade
42
21
Herzlichen Dank
für Ihre
Aufmerksamkeit!
Timo Harfst
Bundespsychotherapeutenkammer
Klosterstraße 64
10179 Berlin
Email: [email protected]
Homepage: www.bptk.de
43
22
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