Michel_Serres.doc Dank an Peter Leisch, Boris Nieslony, Attila Kosa, Adrian Faber, Sabine Zimmermann, Hans Kropshofer, Wolfgang Preisinger, Ulf Langheinrich, Wolfgang Georgsdorf, Georg Ritter, Andrea Pesendorfer, Christian Bartel [email protected] Aus einem Interview mit Dietmar Kamper: .... Dieser Satz ist natürlich bewußt paradox formuliert ... Anfang der 70er Jahre war die Paradoxie noch kein Ausdrucksmittel. Heute dürfte dafür ein gewisser Sinn existieren. Ein Wissen zu installieren, das sein Nicht-Wissen mitträgt. ... Selbstverständlich hat diese Einsicht zunehmend Rückwirkungen auf die Wissenschaftstheorie, Wissenstheorie und Epistemologie. Einer, der bereits im Schattenwurf dieser Einsicht arbeitet, ist Michel Serres. In seinen Texten wird bei einer Aussage immer schon die Gegenkontur dieser Aussage mitgesagt. Diese „Logik der Unschärfe“, wie er sie nennt, ist ein Grenzgang, die Gemische und Gemenge zulassen, die nicht aufzuklären bzw. nicht definitiv erforscht werden können. Auszüge aus dem Buch: Atlas / Michel Serres Denkfiguren: Autobahnkreuz (025), Schlingen (025), Rosetten (025), Knoten (027), Verkehrsknotenpunkt (027), Mischung (027), Legierung (027), Kreuzung (027), Membran (040), Zelle (040), .... etc. (014) Statt über die verlorene Welt zu trauern oder mit viel Lärm die erstaunliche Neuartigkeit der kommenden Dinge zu verkünden, verbanden unsere wahren Lehrer nach Art der Penelope stets die Geduld der Alten mit der Ungeduld der Neuankömmlinge, verwoben den Kettenfaden des uralten, schwerfälligen Universums mit dem leichteren Schussfaden der neuen Zeit und klebten die Blätter des aktuellen Atlas auf den Karton des archaischen. Die nachfolgenden Pläne, Karten und Weltkarten vernähen, verweben, verknüpfen, vermalen darum diese Geflechte und Fortsätze miteinander; sie vermischen und verbinden das Gedächtnis mit der Morgenfrühe oder, ganz schnörkellos gesagt, die Kultur mit der Technik. Nichts verändert sich, aber alles wird anders. Vergl. Textilansatz in der Entwicklung des Gefügeschemas (textile Verben) Vergl. Textiler Ursprung der Ordnungsmuster (016) Der neue Atlas zeigt, dass diese Geographie den härtesten alten Naturwissenschaften gleichkommt. Und da die Philosophie einst diese Wissenschaften nachahmte, wirkt sie plötzlich alt. GeoPhilosophie (030) Ich suche nach Tauschoperatoren, nach Universalwerkzeugen, die durch ihre Konstruktion und Form für einen Übergang sorgen und eine Transformation ermöglichen, und hier haben wir den échangeur, den Austauscher, Wechsler, Verkehrsknotenpunkt, in einfachster Form. Trans-Phänomene (033) Übergang und Austausch kennen zwei Universalsprachen. Die eine stark, kinderleicht und repititiv, erzeugt den chaotischen Lärm der tödlichen Gewalt; die andere, schwach, selten, schwierig und immer wieder neu, widmet sich ganz der kulturellen Schöpfung, die auch die Schöpfung des selbst und der Anderen umfasst, also jener Bildung, die ihrerseits die Welt neu schafft und damit für Wohlstand sorgt. Die starke tötet, die schwache erzeugt. Vergleiche Vattimo (schwaches Denken) und Jullien (042) Wenn Steine ins Wasser fallen, entstehen zeitweilig Wellen, deren Ausbreitung dem Flattern eines Segels oder Mantels ähnelt. Solche Festkörper und Flüssigkeiten waren es, deren Konsistenz und Fluktuationen der Philosophie und Naturwissenschaft als regelmäßige und sukzessive Vorbilder für Systeme dienen. Man sagt heute noch „stabil“ oder „fließend“, „streng“ oder „verschwommen“. Früher einmal habe ich das die metaphorische Materie der Philosophie genannt: fest, flüssig, luftig, in absteigender Reihenfolge. Vergl. erstarren /vs/ in Fluß halten Vergl. stabil/streng /vs/ fließend/verschwommen Vergl. Vier Elemente (042) Doch zwischen der strengen Härte des geometrisch geordneten Kristalls und der fließenden Beschaffenheit weicher, gleitender Moleküle gibt es ein materielles Zwischenreich, das traditionell den Frauen überlassen und von den Philosophen mit Ausnahme vielleicht des Lukrez nur wenig beachtet wurde: Tuch, Stoff, Gewebe, Hadern, Flies, die Haut von Ziegen oder Lämmern, die man als Pergament bezeichnet, das geschabte Leder gehäuteter Kälber, das man Velin nennt, geschmeidiges, empfindliches Papier, Woll oder Seidenstoffe, ebene oder schräg im Raum angeordnete Mannigfaltigkeiten aller Art, Körperhüllen oder Schriftträger, die wie ein Vorhang fließen können, die weder flüssig noch fest sind, aber an beiden Aggregatzuständen teilhaben. faltbar, zerreißbar, dehnbar …, topologisch. Vergl. Vergl. Vergl. Vergl. Gefügefragen und textile Studien zum neuen Schema „Falte“ als Übersetzung zwischen glatt & gekerbt (topologische Grenzform) Faszien (Rolfing-Techniken) Kristalline ansätze (der Diagrammatik) und geometrischen Ornamentik (043) Die unbeweglichen oder vergänglichen Buckel und Risse im Marmor oder die kräuselnden Wellen im Wasser verhalten sich in Raum und Zeit nicht wie die Falten eines Vorhangs, der im Wind weht, sondern wie die eines Vorhangs, der einen Augenblick stillsteht. Vergl. Texturen, aus Faltungen Vergl. Warburg - Ausdrucksgesten (Haare, Falten, …) (043) Als zögerte das menschliche Fleisch, das hart und sanft, fest und weich ist, zwischen flüssigem und festen Zustand, so benutzt man in den Wissenschaften vom Leben den Ausdruck „Gewebe“. Vergl. Eigenschaften der Faszien (043) In de Falten wohnen … Aushöhlungen, Rillen, Vorsprünge, Ränder und Achsen aller Art – das sind die bei Festkörpern genau umrissenen Falten, die ihnen jene Form verleihen, welche wir an ihnen wahrnehmen, und deren Größe uns zuweilen erlaubt, in ihrer geschwungenen Weite zu wohnen. Vergl. Cache, Lynn (045) Wo bin ich? Wer bin ich? Ist das möglicherweise eine einzige Frage, die nur eine Antwort erfordert? Ich wohne in Falten, ich bin nur eine Ansammlung von Falten. Es ist erstaunlich, dass die Embryologie so wenig von der Topologie, ihrer Mutter- oder Schwesterwissenschaft, übernommen hat. Vergl. Gespräch mit Adrian Faber (Rolfing) (045) Denn Morula, Blastula, Gastrula, unbestimmte und zugleich präzise Menschenkeime, die man zu Recht als Gewebe bezeichnet, falten sich seit den frühesten Stadien meiner Embryonalentwicklung ein Mal, hundert Mal, millionen Mal in einer Weise, die man in anderen Sprachen ganz buchstäblich als Faltung bezeichnet. Sie verbinden sich, trennen sich, stülpen sich ein wie unter dem Einfluß einer Topologie, um schließlich das volle und leere Volumen, die Masse, den Zwischenraum aus Fleisch zwischen der winzigen Zelle und der umgebenden Welt zu bilden … (046) Wie also können wir das Glatte definieren oder eher noch konstituieren? Durch die Taylor-Entwicklung, deren unendliche Reihe so viele Differentiale zunehmender Ordnung aneinander reiht, wie man nur mag. Es bedarf also einer unendlichen Vielzahl von Hobeln, Raspeln, Feilen und Schleifscheiben, von Schmirgelleinen, Schleifpapier, Sandpapier und feinstem Leder zum Polieren, das alles in sämtlichen Abstufungen, vom Gröbsten und Aggressivsten bis hin zum Feinsten, um schließlich einen kleinen glatten Weg zu schaffen. Descartes ahnte noch nicht, dass es des Unendlichen bedarf, um geradeaus zu gehen. (047) Das klassische Zeitalter oder die Barockzeit entdeckt mit Leibniz und seiner Infinitesimalrechnung also den infinitesimalen Keim der Form, das topologische Atom der Falte, neben dem algebraischen Atom oder dem Element der Mengenlehre. Seither und seit dieser Philosophie ist alles Falte, da hat Gilles Deleuze vollkommen Recht. Falt als Übergangsform (zw. glatt und gekerbt) Glatten Falten und gekerbte Falten (067) Topologie: Ein durch Faulheit geprägtes Verhältnis zur Mathematik führt zu der Ansicht, in der Geometrie sei der Raum stets mit einer Metrik oder gar einem Maß gebunden. Bergson und Heidegger wiederholen diesen Fehler ohne Unterlaß und drängen ihre Anhänger, es ihnen gleich zu tun, ohne zu erkennen, daß um sie herum die Topologen und wie so oft noch vor den Gelehrten Künstler wie Maupassant die Umgebung und ihre Nachbarschaft längst zu zeichnen verstanden, ohne auf Entfernungen oder Größen zu deren Messung angewiesen zu sein. ... Die Topologie erfaßt den Raum anders und besser. Dazu benutzt sie Geschlossenes (in), Offenes (außerhalb), Zwischenräume (zwischen), Richtung und Ausrichtung (zu, vor, hinter). Nachbarschaft und Angrenzenddes (bei, auf, an, unter, über), Eintauchen (inmitten), Dimensionen usw., sämtlich Realitäten ohne Maß, aber mit Relationen. Die Toplogie, die Leibniz einst als Analysis situs bezeichnete, beschriebt die Lage von dingen und benutzt dazu bestenfalls Präpositionen. Siehe: verengen/schließen /vs/ weiten/öffnen & verbinden (in der Mittenlage) (068) Fluida: Kohärent, streng und widerspruchsfrei müsse gute Erkenntnis sein, heißt es immer wieder. ... Dagegen tauchen wir nur widerwillig in Flüssiges, Wässriges oder Dunstiges ein – einen Gedanken, der uns nicht gefällt, nennen wir vage, konfus oder wirr -, also ins Reich der Fluida, in dem die Abstände ständig wechseln und verfließen, Schrift verlöscht und jedes Maß sich verliert. In „Der Horta“ nimmt Maupassant Bergson vorweg, indem er mutig ins Fließende eintaucht, und geht zugleich theoretisch über ihn hinaus. ... Durchscheinende und transparente, also insgesamt lichtdurchlässige Nebelschwaden öffnen und schließen sich zugleich. Und auch die intime, nahe, unruhige, aus der Ruhe gebrachte Seele weiß nichts davon, daß innen und außen, hors und lá sich wechselseitig ausschließen. (069) Durch Nebel und Nachbarschaften löst die Topologie der Fluida das Fantastische auf und löst dessen Probleme. Als Kapitel unmittelbar nach der Topologie !!! Vergl.: AnDiagrammatik – der Nutzen der Verflüssigung Vergl. Unschärfe-Konzepte bei Gamm (070) Die metrische Geometrie kanonisiert die vom Gesichtssinn wahrgenommenen Abstände, während der hier ständig angesprochene und der Topologie näherstehende Tastsinn vor allem auf Nachbarschaft verweist. Ich wohne in der Geometrie, während die Topologie mich heimsucht. Siehe optische Wahrnehmung /vs/ haptisch/taktiler Blick (079) Hat die Philosophie sich darauf beschränkt, das >über< in der Transzendenz, das >unter< in Substanz und Subjekt, das >in< in der immanenten Welt und im immanenten Subjekt zu erkunden? Wäre das nun zu generalisieren? Wäre nun fortzufahren mit dem >mit< der Kommunikation und des Vertrags, dem >hinüber< und >herüber< der Übersetzung, dem >zwischen< der Interferenzen und Störungen, dem >durch< der Durchgänge, die Hermes und die Engel benutzen, dem >neben< des Parasiten, dem >außerhalb< der Ablösung – also mit all den raum-zeitlichen Mannigfaltigkeiten, die in Präpositionen, Deklinationen oder Flexionen angelegt sind? Der Tanz der Flammen, die das Haus verzehren, wird sie uns vor Augen führen. Vergleiche das oben/unten der Architektonik Vergleiche: Als Freud das Meer sah (Sprachlichkeit der Psychoanalyse) aufrichten /vs/ ausflachen nimmt nur noch eine untergeordnete Rolle im Schema ein Siehe im Schema: „zwischen“ an die Stelle des „verbinden“ (als Kante und dynamische Mitte) zu setzen (081) Mechanik und Wetter Niemand weiß, daß er (Le Verrier) am 19. Februar 1855 die erste Wetterkarte zeichnete, und zwar dank der kurz zuvor zwischen den Großstädten hergestellten telegrafischen Verbindungen ... . Wer ein Schiff steuert, kann Wetterberichte und Sturmwarnungen empfangen. Auch das hat Le Verrier erfunden ... Als der berühmte Astronom von der Astronomie des Sonnensystems zum Klima überging, wechselte er von der kanonischen Vernunft der rationalen Mechanik in einen Bereich, in dem es nur Singularitäten gibt und man sich damit begnügen muß, Karten zu zeichnen. Kurz gesagt, von der Deduktion zu den Atlanten. Vergleiche Diagrammatik-Schema Singularitäten Deduktion Mechanisierung Karten Schemen Pläne Atlanten Determinismen Konstruktionen (086) Noch unsere Generation hatte die Schule von Gaston Bachelard gelernt, daß man die Bestandteile des Klimas unter den Elementen Luft, Feuer, Erde und Wasser den Träumereien einer unnützen Poesie überlassen müsse: auf der einen Seite das kanonisierte Wissen, die Epistemologie, die wache Vernunft bei der Arbeit, auf der anderen die Fantasie, die geduldet wird, sofern sie draußen bleibt, im Bereich des Traums und der als träumerisch empfundenen Geisteswissenschaften. ... (086) Hätte man in beiden Fällen das Ungewusste der Vernunft besser beschreiben können? Aber aus diesem Nichtwissen hinsichtlich des Wetters, der Elemente, der weichen Erde und der erwärmten Flüssigkeiten oder Gase geht das kommende System hervor wie Aphrodite aus dem Schaum des Meeres. Vergl. die 4 Elemente bei Böhme (u. sicht der Katastrophen) (086) Nochmals Festkörper und Fluida Doch Determinismus und fromme Ehrfurcht vor der Ordnung der Welt reichen zur Erklärung dieser Aufteilung noch nicht aus. Dazu müssen wir auch die Epistemologie selbst lesen, deren nicht beherrschte Sprache Strenge und Widerspruchsfreiheit in einen Gegensatz zu den unscharfen, diffusen, konfusen, wolkigen flatus vocis bringt, die nichts anderes als Winde seien. Die festen Grundlagen widerspruchsfreier Beweisführung widerstehen dem Vagen, Nebulösen oder gar dem schrecklichen, weil nicht analysierten Gemisch. ... (087) In den Metaphern, die in der Erkenntnistheorie oder in den Kognitionswissenschaften benutzt werden, funktioniert die Unterscheidung zwischen fest und flüssig oder gasförmig und die zwischen separiert und vermischt etwas so, wie einst die Unterscheidung zwischen Licht und Schatten oder zwischen rein und unrein, allerdings auf eher verborgene Weise und damit wirkungsvoller. Der Epistemologe mag kein weiches oder gar viskoses System. fest | flüssig separiert | vermischt Licht | Schatten rein | unrein Schärfe | Unschärfe Gewißheit | Ungwißheit (087) Die Zeit der rationalen Mechanik triumphiert auf dem Gebiet der Voraussicht, sofern sie im Reich der Festkörper bleibt. Die schwierigere, subtilere, aber, wie wir bei Lukrez sehen, auch ältere Mechanik der Fluida vermag in der Epoche der Aufklärung und des triumphierenden Weltsystems noch nicht zu beweisen, daß Vögel fliegen können. (088) „Rhythmus“ und „Welle“ bedeuten im Griechischen und Lateinischen ursprünglich „ein Fließen“ ... Die Faltung der Wellen ist also in dieser Hinsicht (auch musikalisch) die Übersetzung zwischen „glatten“ atmosphärischen Sounds und „gekerbten“ harten Rhythmen. (094) Ja, die Flüsse, die Zeit, das Wetter, die Welt und das Leben perkolieren (werden heraus gezogen), sie sickern ein und durch, und ganz gewiß gilt das auch für unsere Seele, diese unerwartete Mischung aus poröser Erinnerung und der Wiederkehr von Vergessenem, für unsere Liebe und unsere Träume und auch für die Geschichte, deren entzifferbare Karte sich nun abzeichnet. (099) Ihr Philosophen, wußte eure Hand, was euer Verstand nicht wußte? Den Hermesstab, einen von Wirbeln umrankter Rührstab in Händen, geht Hermes, der Engel der Antike, den man sich wirbelnd vorstellen muß, vorüber und beschreibt dabei zweifellos eine ebenso erratische und kapriziöse Bahn wie die Punkte dieser Mischung. Und wenn die Engel, diese Störenfriede, wie Fliegen oder Atome umherstreichen, weben sie damit das Universum der göttlichen Allgegenwart. Auf welchen Wegen tragen sie die Botschaft überall hin? Auf den Wegen des Chaos. So webt denn die Gesamtheit der Körner durch Mischung sowohl die einzelnen Orte als auch des Universum. (103) Der Planet gleicht der Teigkugel, die der Bäcker knetet. Aus diesem weichen und variablen, fluiden und flüchtigen, unvorhersagbaren und dennoch recht stabilen Ton, ja dieser Modellierpaste entsteht das schönste und wahrste aller Modelle. (104) Die Information fließt ihrerseits; sie läuft, strömt, sickert durch, vereinigt sich. (105) Das fließende, zähflüssige, instabile, chaotische Wetter bietet also den Philosophen stärkere und feinere Modelle als die alte Architektonik, die auf Solides, Festes, Schweres, Armes und Dummes baute. Zuweilen genügt der kleinste Erdstoß, um sie zum Einsturz zu bringen. Aber welchen Sinn hätte es, vom Einstürzen der Meteorologie zu sprechen, da sie doch Erdbeben, Wirbelstürme und Flutwellen umfasst und voraussetzt? Welcher gigantischer Bäcker schlägt, rührt, knetet ihren Teig? Vergl. Ulf Langheinrich (Druck & Temperatur), Attila Kosa Vergl. 4 Elemente & Katastrophen-Sicht (108) Welche Philosophie ließe sich absehen, wenn sie (die Meteore) erneut darin brummen, donnern, wehen und umschmeicheln, fließen und sickern, eine Welt modellieren und die Wege einer Methode in den Atlas der Zeit einzeichnen ? (114) Eine letzte Verzweigung überraschte meine Generation, die in ihrer Hingabe an Prometheus die Ankunft des Hermes übersah: Kommunikation, Interferenz, Übergänge, Übersetzung, Verteilung, Störung, Rauschen ..., Übertragungen und Netze. Die Zeit der statischen Träger ist vorüber. Nach ihrer zunächst kalten, dann warmen Transformation beginnt die Herrschaft der Information. Im Detail siehe: Diagrammatik-Studie (114) Vom Festen zum Flüchtigen Als Träger oder Bauleute trugen oder bearbeiteten die ersten Arbeiter unveränderliche, feste Formen; dann verwandelten und verflüssigten sie die Dinge durch Hitze, woraus durch Diffusion auch die Verschmutzung resultiert; und unsere heutige Welt ist flüssig, fließend, fluktuierend und flüchtig. Das Entwicklungsgesetz der Arbeit in drei Aggregatzuständen oder Phasenübergängen: fest, flüssig, gasförmig. (116) Die Geschichte ist also das Drama der Arbeiten und Werke, und zwar in drei Akten: Tragen, Erhitzen, Übertragen; mit drei Arten von Figuren oder Akteuren: Atlas und Herkules, Prometheus oder Maxwells Dämon, Hermes und die Engel; in drei Aggregatzuständen der Materie: fest, flüssig, flüchtig; in drei Worten, die letztlich nur eines sind: Form, Transformation, Information; mit drei Zeiten: reversibel, entropisch und negentropisch .... Vergleiche Leitthese Sloterdijks: Das Leben ist eine Formsache (Sphären III) (117) Doch beim Erhitzen und Schmelzen kann es vorkommen, daß manche Ausflüsse sich unserer Kontrolle entziehen. Wer kann schon voraussagen, wohin der Rauch, die zahllosen Funken, die Ausdünstungen, Gerüche, Abfälle, Ascheteilchen fliegen werden? (121) Delphine, Wale, Bienen, Termiten und Ameisen kommunizieren ohne Zweifel, doch dasselbe hören wir auch von Luft- und Meeresströmungen, von Winden und Flüssigkeiten, von Kontinentalplatten der Erde und dem Feuer, das sie trägt und dessen größere oder geringere Zähflüssigkeit oder Flüchtigkeit Informationen in fernste Regionen übermittelt. Wie die Lebewesen, so erklingen nun auch all die unbelebten Dinge unermüdlich, so daß es gar keine Welt gäbe ohne dieses verflochtene Gewebe aus in sich verschlungenen Beziehungen. Siehe; Selbsttätigkeit des Materials (121) Buch, Leinwand und Bildschirm lassen die Fantasie aufflammen, verlöschen, versiegen. Die Panflöte zirpt, die Klarinette singt, die Geige weint, das Fagott schluchzt – Empfindsamkeit des Kupfers, der Saite, des Holzes. Erhebt euch ihr Winde und laßt die Bäume erklingen! Nein, wir sind nicht so außergewöhnlich.