13_Gamm_Unbestimmtheit.doc Version 15.2.2007 Ähnlichkeit & Unschärfe Quelle der Zitate: (GA) Gerhard Gamm / Flucht aus der Kategorie – Die Positivierung des Unbestimmten als Ausgang aus der Moderne Die Studie wurde 1992-94 realisiert und stellt das perfekte Buch zum Ausgang der Postmoderne dar (PM als 2. Moderne). In Österreich kann das Ende der Postmoderne ca. mit 1992 datiert werden. „Lernen von der Postmoderne“ wäre also auch ein passender Untertitel für dieses Buch. Dieser „Ausgang aus der Moderne“ ist wiederum im höchsten Maße von den Ansätzen Ludwig Wittgensteins bestimmt (so wie auch der Anfang der philosophischen Postmoderne mit einer Schrift von Lyotard zu Wittgenstein datiert werden kann). (GA/009) Bereits in den frühen dreißiger Jahren (1931) veröffentlichte der Mathematiker K. Gödel einen Aufsatz, in dem er den gleichsam >blinden Fleck< eines jeden formalen, deduktiven Systems aufdeckte. Der Hang der Diagrammatik zu formalen/deduktiven Ansätzen (GA/009) Ein anderes wissenschaftliches Datum – Heisenbergs Unschärfe- oder Unbestimmtheitsprinzip – hat eine nicht minder verstörende Wirkung gehabt. … Je genauer man den Ort misst, desto ungenauer wird die Messung des Impulses und umgekehrt. (GA/010) Gegen den Laplaceschen Traum einer streng deterministischen Vorhersage zukünftiger Naturverläufe, … revoltierte auch die Chaostheorie. (GA/011) Semantiken des Unbestimmten Vergleiche all jene Bewegungsmuster und Formen, die sich der verbalen Beschreibung fast vollständig entziehen. (GA/011) … R. Musil – Der Mann ohne Eigenschaften als eine Art Programmschrift des Unbestimmten (GA/011) Überhaupt scheint Heidegger derjenige Autor zu sein, der in seinen Spekulationen über die ontologische Differenz das philosophische Selbstverständnis am Nachdrücklichsten von Sein als Bestimmtsein (Seiendes) und Sein als Unbestimmtsein konfrontiert hat. Die Ordnungsansätze der Diagrammatik sind in der Regel Beiträge zur „Bestimmung“. Selbst komplexe Zusammenhänge/Vorgänge/Abläufe sollen systemisch gefasst und nachgezeichnet werden. Mit der Graphematik eröffnet sich die Möglichkeit das „Unbestimmtsein“ in graphematischen Standbildern (oder dynamischen Simulationen) zu fassen. (GA/015) M. Serres: Schwankungen, Unordnung, Unschärfe und Rauschen sind keine Niederlagen der Vernunft, sind es nicht mehr. Der erste Satz in der Habil von Gamm ist ein Zitat von Serres! Serres bietet also nicht nur das Fundament einer Diagrammatik (für Deleuze, Foucault und Latour) sondern auch das Fundament für eine AnDiagrammatik. Siehe u.a. das Buch „Atlas“ Die Diagrammtik ist die Sammlung aller denkbaren Ordnungsansätze – Die AnDiagrammatik bietet Instrumente um Formen der (scheinbaren) Unordnung zu fassen. Fragen der Unschärfe sind in einigen Bereichen der bildenden Kunst von zentraler Bedeutung. Die Texte von Gamm bilden dabei einen wichtigen Bezugspunkt. (GA/015) Es geht um Unbestimmtheit, die nicht durch Zuwachs an Wissen kleingearbeitet werden oder durch hinreichende Kenntnis bzw. Prüfung der relevanten Umstände eine eindeutige Entscheidung zwischen wahr/richtig und falsch motivieren kann. So wie in der Diagrammatik, geht es auch in der AnDiagrammatik um strukturelle Fragen, um Formfragen und nicht um Wissensinhalte (auch nicht um eine formale Semantik). (GA/016) Mit einer Metapher könnte man sagen, das Unbestimmte stehe in diesem Zusammenhang für ein Zwischenreich, das auf der einen Seite an das Chaos angrenzt, um auf der anderen in Form einer gleichsam schwachen Bestimmtheit >fliehender Gestalten< mit der vertrauten Welt wohldefinierter Dinge verbunden zu bleiben. Die flüchtige Natur der Dinge und das Zwischensein spielen im Umkreis des Unbestimmtheitsthemas eine bedeutende Rolle. Genau genommen können allen komplexen Bewegungsmuster, den fliehenden Gestalten zugeordnet werden (Vergl. Filmanalyse zu Hero). Auch kann man an den 4 Elementen (mit H. und G. Böhme) zeigen, dass 3 der 4 Elemente von flüchtiger Natur sind, bzw. als fliehende Gestalten aufzufassen sind. Die Sicht der wohldefinierten/statischen Dinge ist also nur von sehr beschränkter Reichweite. (GA/019) Allgemein gesagt ist die Unbestimmtheit das Indiz für eine „Lücke“ im kohärenten Begründungszusammenhang, die gebietet, von der Identitäts- oder Bestimmungslogik Abstand zu nehmen. (GA/021) Wenn aus einer Mehrzahl möglicher Autoren zwei – H. Schmitz und C. Castoriadis – ausgewählt wurden, dann nicht aus dem Grunde, weil Unbestimmtheitssemantiken nirgends sonst präsent oder virulent wären, sondern weil beide – unabhängig voneinander – die Bestimmtheits-/ Unbestimmtheits-Schnittstelle philosophischen Denkens ausdrücklich zum Gegenstand ihrer Untersuchungen machen und sie zu einem systematischen Begriff des Unbestimmten verdichten. Der differenzierten Einstellung gegenüber dem vorprädikativen Sein trägt auch der Umstand Rechnung, dass beide die Phänomenologie bzw. Semantik des Unbestimmten wohldefiniert zur philosophischen Tradition in Beziehung setzen. Die Leibansätze bei H. Schmitz (und Plessner) sind ja auch das Fundament der atmosphärischen Studien von Gernot Böhme! (der diese Habil auch betreut hat) Das vorprädikative Sein, wird auch im Rahmen der atmosphärischen Wahrnehmung thematisiert. Auf jeden Fall hat die Phänomenologie für das Unbestimmtheitsthema etwas zu bieten. (GA/071) Am Leitfaden der Prädikation lässt sich die Struktur der Welt nicht aufklären. (GA/023) Unbestimmtheiten erfüllen unsere Handlungen, Ideen und Interpretationen, sie konstituieren unsere Welt. (GA/023) Die Wege, die das Denken im Labyrinth der Moderne gebahnt hat, markieren Fluchtlinien aus der Kategorie. „Fluchtlinien“ natürlich mit Deleuze & Guattari … Wie oben angesprochen, geht es um die Grenzen des formalen/deduktiven Denkens, um das erstarrte System von Kategorien. Die AnDiagrammatik, muß sich also auch sprachlich neu orientieren. Die Verwendung von Verben scheint eine Möglichkeit zu sein, der performativen Herangehensweise an Fragen der Verflüssigung und Unschärfe gerecht zu werden. (GA/067) Der Titel Flucht aus der Kategorie zielt summarisch auf diese den philosophischen Diskursen der Moderne gemeinsame Tendenz, nach der die durch die Kategorie befestigte Synthesis von Sein und Selbst endgültig zersprengt ist. Eine Metapherntheorie wie die Nietzsches ließe sich gar nicht verstehen ohne die Annahme einer im Untergrund des 19. Jahrhunderts wirksamen Dekonstruktionsenergie, welche die Entmachtung der kategorialen Synthesis betreibt. Erst danach können die Zeichen frei flotieren; referenzlose Zeichen, die gegen jede semantische Eindeutigkeit von Dauer revoltieren. Für Foucaults Programm eines >Denken des Außen< - jenseits des Repräsentationismus – gilt das nämliche. Die Überschusspotentiale von Sein und Selbst lassen sich unter keinen Umständen mehr kategorial abarbeiten. Die AnDiagrammatik beschäftigt sich also mit (energetischen, atmosphärischen, emotionalen) Überschusspotentialen, die sich kategorial schwer fassen lassen. Wie die Hybridsicht auf die Diagrammsammlung zeigt, geht es dabei nicht (nur) um frei flotierende Zeichen (einer der Schreckfiguren der Philosophie), sondern um komplexere Ordnungsansätze, die sich nur mit stilisiert „reinen“ Gebilden abgeben. (GA/068) Das Urteil selbst ist Nietzsche zufolge ein Zurechtmachen identischer Fälle, und die Logik stamme nicht aus dem Willen zur Wahrheit. Nietzsche kündigt dem Glauben der Metaphysik in dem Punkt die Gefolgschaft, wo diese unterstellt, die Struktur der Welt über die Struktur des Urteils aufschließen zu können. Dabei bestreitet Nicht >Wahrheit< schlechthin, seine Argumentation richtet sich zunächst gegen ein bestimmtes Wahrheitsverständnis, das entlang dem unreflektierten Gebrauch der Grammatik philosophiert und behauptet, dem Anspruch der adaequatio rei et intellectus nachkommen zu können. Seine These lautet: „Die Forderung einer adäquaten Ausdrucksweise ist unsinnig.“ Die Diagrammatik kann den strukturellen Bezug zur Grammatik (bzw. Topologie) nicht verleugnen. Grammatische Strukturen bedienen sich diagrammatischer Komponenten. Die (atmosphärische) AnDiagrammatik hat einen eigenen „Formenschatz“ der in der Regel von Wahrnehmungssystemen auch semantisch besetzt wird. Diese „Ausdrucksformen“ unterscheiden sich in der Regel von diagrammatischen Ordnungsformen, können diese aber auch (als Duktus) überlagern. Mit der Graphematik und ihren Glättungen scheint nun ein Zugang zur AnDiagrammatik möglich zu sein (Vergl dazu die Schlüsseltext von Mersch). (GA/069) Das irreführende Element der Sprache besteht darin, dass sie uns mittels der grammatischen Kategorien (Substantive, Adjektive, Verben) zu der Fiktion verleitet, als entspräche den sprachlichen Strukturierungsprinzipien etwas Analoges außerhalb der Sprache, als nähmen die sprachlichen Kategorien auf gleichlaufende Entitäten in der Welt >da draußen< Bezug. Das ist mir etwas zu hart formuliert, wenn auch für die kategorisierenden Ansätze gültig. Die Verben scheinen jedoch eine sehr gute Verankerung in Leiblichkeit und gestischen Grundbewegungen zu haben. Und gerade das Potential der Verben ist noch in keiner Weise ausgeschöpft (was es auch in der Studie zu den >atmosphärischen Gestaltungen< zu zeigen gilt). Vergl. dazu auch die Ansätze von Saussure. (GA/070) Nietzsche folgt der richtigen Intuition, wenn er gegen die Metaphysik und ein Wahrheitsverständnis aus dem Geist der Adäquation zu bedenken gibt, dass wir unter der Führung der Grammatik nichts über die Struktur der Welt erfahren können, es sei denn, wir unterstellen dem Universum eine nach sprachlichen oder grammatischen Einheiten geordnete Struktur. In diesem Sinne geht die Diagrammatik (mit ihren topologiebestimmten Denk- und Ordnungsfiguren) und gerade auch die AnDiagrammatik weit über die Grammatik (der Verbalsprache) hinaus. In diesem Zusammenhang ist auch das Einführungsbuch zum Strukturalismus von J. Piaget spannend. Er schlüsselt unterschiedlichste Strukturbegriffe auf, ohne aber zu einer Art Diagrammatik zu kommen. Er ist so stark der Mathematik und Logik verpflichtet, daß ein „alltäglicher“ Zugang (der durchschnittlich erfahrenen Wahrnehmungssysteme) eher vernebelt bzw. logisch deduktiv zugedeckt wird. (GA/072) Die Macht der designativen Theorie der Dingabbildung bleibt auch in den neueren Theorien der Repräsentation ungebrochen, die die Bedeutung eines Wortes oder sprachlichen Ausdrucks über das, was es bezeichnet, erfassen möchten. … (GA/072) Erst Wittgenstein und Heidegger werden in unserem Jahrhundert die Theorie einer Repräsentation nachhaltig erschüttern. Siehe dazu auch alle fundierten Ansätze zur KI-Kritik. (GA/073) Zu den wenigen zeitgen. Autoren, die das Unbestimmte nachdrücklich zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht haben, gehört H. Schmitz. (GA/073) Mit der letzteren (einer allgemeinen Mannigfaltigkeitslehre) verknüpfte Schmitz die Aufgabe, „eine Logik zu entwickeln, die der Unbestimmtheit, Uneindeutigkeit, Veränderlichkeit der Phänomene gemäß ist.“ (GA/074) Um die Logik eines chaotischen Mannigfaltigen entwickeln zu können, muß Schmitz mit dem von Kant so genannten Grundsatz der durchgängigen Bestimmung der Dinge brechen. Auch hier wird (wie bei J. Piaget) das Wort Logik noch immer als relevant aufgefaßt. Es scheint für die Hoffnung der Mathematisierbarkeit und informatischen Programmierbarkeit und Simulierbarkeit zu stehen. Ich denke, daß graphematische Visualisierung u.a. in der Teilchenphysik (und diverse statische Methoden) längst über diese Logik-Auffassung hinaus gelangt sind. (GA/075) Gerinnung, Verdichtung (GA/082) Seine (Schmitz´s) Phänomenologie verfügt über ein „standhaltendes Prinzip“; es geht am Abgrund der Vernunft, in den uns etwa Schelling und Nietzsche blicken lassen, nicht zugrunde. Das Unbestimmte ist der Schmitzen Phänomenologie kein Zeichen für die Abgründigkeit des Vernunftdiskurses, sondern nur Hinweiszeichen für eine Art Kategorienfehler, dessen sich die Philosophie seit Demokrit und Aristoteles schuldig gemacht hat, als sie mittels Introjektion und sensualistischer Reduktion die Zonen unbestimmter Erfahrung wegrationalisiert hat. Anders gesagt - Die Entfaltung der Phänomenklasse des chaotisch Mannigfaltigen macht das System der Philosophie nicht brüchig, alles Gegebene liegt in einer fest gefügten, kategorial umfänglich ausgetesteten Ordnung der Welt vorgezeichnet; etwas wirklich Neues kann sich im Rahmen dieses Entwurfes nicht ereignen. An dieser Stelle sollte man mehr darüber erfahren, wie es gelingen kann, diese komplexen Ausformungen in die „eine Ordnung“ zu integrieren. Denn immerhin ist einem beträchtlichen Anteil der konkreten Ausformungen mit starren Kategorien nicht relevant beizukommen (siehe all die hybriden Ordnungskombinationen). (GA/093) Zu Castoriadis: Die ontologische Kategorie des Magmas (der Bedeutungen) beweist eine erstaunliche Verwandtschaft mit der des chaotisch Mannigfaltigen von Schmitz. Der Magmastrom wird als >Vielheit< verstanden, aber nicht im üblichen Sinn, >dass wir tatsächlich oder potentiell abzählen können, was sie enthält< (Nichtabzählbarkeit). Dennoch können Terme/Wahrnehmungen/Bedeutungen unterschieden werden, die >nicht vollends ineinander verschwimmen< (geringer Grad an Bestimmtheit). Sie können >obendrein noch changieren<, das heißt, sie zeigen sich zeitlichen Veränderungen gegenüber offen und in höchstem Maße reaktiv (erhöhte Zeitsensitivität) und werden >nur durch eine fakultative Prä-Relation – die Verweisung – zusammengehalten<. Viele graphematischen Simulationen beziehen sich auf (thermo)dynamische Strömungen und diverses Fließverhalten. Sei es in der Wettersimulation, der Beobachtung tektonischer Verschiebungen, Brennraumstudien, .... etc. (GA/098) Unentschiedenheit hinsichtlich Identität und Verschiedenheit lautet der Vorbegriff des Unbestimmten, wie er sich in der Auseinandersetzung mit der Phänomenologie von Schmitz und der Gesellschaftstheorie von Castoriadis ergeben hat. (GA/099) …. Was bedeutet, dass Nichtidentität weiter ist als Verschiedenheit oder Differenz oder Andersheit nicht in Verschiedenheit (Differenz) aufgeht. Mit bipolaren Begriffsoppositionen kommt man nicht wirklich weiter. Man muß dazu übergehen die Realweltausformungen zu studieren. Dort finden sich Beispiele, die sich zu einfach gestrickter Differenzierung verschließen. Durch die Realisierung von FormenReihen lassen sich auch komplexe Hybridformen nach diversen Aspekten diskutieren und auch in mehrdimensionalen Kategorienschemen verorten. (GA/114) Die Frage nach der Bedeutung des Unbestimmten in einer Welt (scheinbar) bestimmter Dinge hat Merleau-Ponty ein Leben lang beschäftigt. Nicht nur der Zusammenhang epistemologischer Überlegungen, sondern auch im Blick auf jenes dichte und verschlungene >Gewebe< von Wahrnehmung, Leib und menschlicher Existenz. Und es ist keineswegs übertrieben, zu behaupten, das Denken Merleau-Pontys bewege sich sehr eng entlang dem semantischen Dispositiv unbestimmter Bestimmtheit. (GA/114) Es ist ein Leitgedanke der Philosophie Merleau-Pontys, wenn er schreibt: „ Wir müssen uns entschließen, die Unbestimmtheit als positives Phänomen anzuerkennen.“ (GA/114) Die empirisch-experimentellen Wissenschaften … sind stets in Gefahr, die Unbestimmtheitsdimension zu verleugnen und >das Unbestimmte als solches … aus der Wesensbestimmung des Geistes< zu entfernen. Merleau-Ponty ist nach wie vor einer der relevantesten Wahrnehmungstheoretiker. Gerade mit seinen Schriften läßt sich nachvollziehen, wie unser Leib mit all den Unschärfen zurecht kommen kann, ja muß, um nicht in jeder Sekunde der wahrnehmenden Realweltanalyse unter zu gehen. Unser „Schwimmen“ in der Welt, darf gerade nicht ein analytisches Zerpicken und Geometrisieren sein. (GA/117) Es (das Auge) sieht das nicht, was bewirkt, dass es sieht, und das ist seine Bindung an das Sein, seine Leiblichkeit, die Existenzialien, durch die die Welt sichtbar wird, das ist das Fleisch, in dem das Objekt entsteht. (GA/117) Über die Kritik der Reflexion aus dem Geist des Cartesianismus entwickelt er (MerleauPonty) die Idee einer nicht-propositionalen Öffnung zur Welt. (GA/119) Es geht Merleau-Ponty freilich nicht um die Ersetzung der Reflexion durch einen vorreflexiven „Wahrnehmungsglauben“, auch nicht um ihre Disqualifikation zugunsten eines Unmittelbaren oder Intuitiven, sondern um die (systematische) Vergegenwärtigung der „verschwiegene(n) Beziehung zur Welt, … die immer schon besteht, wenn die reflexive Rückkehr einsetzt“. (GA/121) Die Unbestimmtheit des Horizonts erfährt eine Positivierung; … Seine paradoxe Semantik setzt den Horizont in eine von anderen Dingen verschiedene Seinsart: „Husserls Rede vom Horizont der Dinge … muß ernst genommen werden; der Horizont ist ebenso wenig wie der Himmel oder die Erde eine Ansammlung fester Dinge, eine Klassenbezeichnung, eine logische Möglichkeit des Begreifens oder ein System der Potentialität des Bewusstseins: Er ist ein neuer Seinstypus, ein Sein der Durchlässigkeit, der Trächtigkeit (prégnance) oder der Generalität; und derjenige, vor dem der Horizont sich öffnet, ist in ihn einbezogen und eingeschlossen. Sein Leib und die Fernen partizipieren an derselben generellen Leiblichkeit oder Sichtbarkeit, die zwischen ihnen und ihm und sogar noch über den Horizont hinaus herrscht, diesseits seiner eigenen Haut und bis in den tiefsten Grund des Seins.“ Eingefaltet sein, Eingetaucht in den Atmosphären, … (GA/121) Die Gedanken, die Merleau-Ponty unter dem Stichwort einer „Hyperdialektik“ versammelt, haben den gleichen Richtungsvektor einer Kritik des methodischen Denkens, das die konstitutive Ambiguität der Dinge in einem Satz formaler Denkregeln zu verdinglichen sucht. (GA/122) „Hyperdialektik“ ist – um Adornos Ausdruck zu benutzen – ein Denken in Konstellationen, das „ohne Einschränkung die Vielzahl der Bezüge ins Auge fasst“ und weiß, „dass jede These eine Idealisierung darstellt, dass das Sein nicht aus Idealisierungen oder dem Gesagten besteht, wie noch die alte Logik glaubte, sondern aus verbundenen Ganzheiten, wo die Bedeutung immer nur als Tendenz vorhanden ist, wo die Trägheit des Inhalts es niemals erlaubt, den einen Begriff als positiv und den anderen als negativ zu definieren“. Auf welchem Weg auch immer man Merleau-Ponty folgt, er führt auf eine Welt des Zwischen, <Surreflexion<, >Konstellation<, >Selbstbewegung des Inhalts<, >Chiasmus<, >Hyperreflexion< sind Namen für eine Denkbewegung zur Charakterisierung des paradoxen Orts, von dem aus die >indirekte Ontologie< spricht. Die mit dem >Horizont< angesprochenen Zusammenhänge sind so etwas wie eine Parabel über das Niemandsland der Philosophie. Vergleiche die feldorientierten Repräsentationsansätze – eingespannt in eine Vielzahl bedeutsamer Beziehungen. An dieser Stelle ist es auch sprachlich machbar, von einer „netzorientierten“ Diagrammatik zu einer „feldorientierten“ (fluidalen) AnDiagrammatik überzugehen. Der leiblichen Einbettung kann durchaus auch eine semantische Einbettung zur Seite gestellt werden. Eingestülpt in diese komplexen Faltungen schwimmen wir in diesen Horizonten (bzw. Atmosphären). (GA/123) Zusammenfassend lassen sich in Le visible et l´invisible zwei bzw. drei miteinander verbundene Dsipositive des Unbestimmten unterscheiden: (a) die Präsenz einer konstitutiven Leere; sie verbindet sich mit der Kategorie des Horizonts und dem punctum caecum des Bewusstseins; (b) die vorpropositionale (>anfängliche<) Öffnung zur Welt, Merleau-Ponty spricht auch von einem >vorprädikativen Kontext<; auf die nämliche Unbestimmtheitsstruktur stößt man, wenn entlang des >Fragens ins Zentrum< (c) die Aporien der Begründungslogik transparent werden. Vor allem (b) deckt sich mit den Ansätzen von Böhme und Schmitz. Wir sind leiblich in vorprädikative Kontext (Atmosphären) eingebettet. (GA/126) zu Derrida: Die Supplementierung geschieht immer im Zeichen der anwesenden Abwesenheit des Zentrums. (GA/126) >Différance< ist das Synonym für ein Projekt zur Wiederherstellung der Vieldeutigkeit der Lektüren. Diese Multiperspektivische Sicht kann genauso auch auf Ordnungsmuster angewendet werden (Siehe Matrix der Diagrammatikstudie). (GA/129) „Ich habe Bewusstsein“ ist nach Wittgenstein ein Satz ohne jeglichen Sinn. (GA/134) Das System selbst oder das Ganze, auf das der Weltbildbegriff anspielt, lässt sich nicht über seine Darstellung im Medium propositionalen Satzwissens rekonstruieren. Genaugenommen ist es nicht sprachlich. (GA/135) Die Uneinholbarkeit des Weltbild-Vorwissens in die propositionale Form ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass der Kreis, in dem Argument und System sich wechselseitig stützen, nicht diskursiv geschlossen werden oder die Dialektik nicht alle Erfahrung in die Form reiner Logik aufzehren kann. Vergl. zur Weltbild-Frage Eva Schürmann ! (GA/147) Durch geschickte Explikation von Bruchstücken lässt Wittgenstein den Zusammenhang des Ganzen durchblicken. …. Einzig diese Form der Darstellung scheint dem, was Wittgenstein zu sagen und zu zeigen beabsichtigt, angemessen zu sein: Sein Diskurs muß Leerstellen lassen, weil das Verständnis, auf das er abzielt, nicht per logischer Ableitung erzwungen werden kann. Dazu müssen die Gedanken in der Schwebe gehalten werden – möglichst in der Weise, wie Hegel gesagt hat, dass sie alle gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind. … (GA/147) Wie jedes Bild Stellen grundsätzlicher Unbestimmtheit aufweist, so auch Wittgensteins Argumentation. Anders gesagt, es gibt Stellen, wo es argumentativ nicht weitergeht bzw. das Bild einspringen muß, damit etwas verstanden wird … Vergl. zu Gewissheit und Ungewissheit auch die Texte von Jullien Vergl. Konzeption der Gedächtnistheater (GA/152) Analog zur Definition erreicht auch der Kontext, dass das, worum es geht, in Grenzen eingeschlossen wird. … (GA/152) Das Eindeutige des Kontextes lässt sich wesentlich nicht über die Aufzählung von propositional gegliedertem Wissen erschöpfen. Sein Verständnis ist nicht eindeutig im Sinne einer diskreten Ontologie. Besser lässt es sich im Sinne von Wittgenstein als Familie von Verwandtschafts- oder Nachbarschaftsbeziehungen erläutern, die über >Ähnlichkeit<, >Nähe< usf. gleichwohl relative Urteils- und Handlungssicherheit erzeugen. …. (GA/153) >Kontext< hat genau genommen keinen Umfang, einen trennscharf zu bestimmenden schon gar nicht. Propositionalisierbarkeit ist daher letztendlich ausgeschlossen. (GA/163) Alles, was sich nicht wohlfeil über bestimmte funktionale Leistungsklassen, binäre Codes und Programme ausdifferenzieren lässt, zieht die systemtheoretische Verachtung auf sich: In jenen Phänomenklassen ist der Teufel der Entdifferenzierung am Werk. Die funktionale Systemtheorie ist also primär dem Bereich der Diagrammatik zuordenbar. (GA/163) Das Alltagsbewusstsein trifft nicht keine oder unzureichende Unterscheidungen, es trifft einfach andere, die von der funktionalen Leistungslogik aus systematischen Gründen nicht erfasst werden können. (GA/196) Alle Bestimmtheit oder Differenzierung, die durch die eine Beobachtung/Beschreibung eingeführt wird, hat die Unbestimmtheit der jeweils höherstufigen zur notwendigen Voraussetzung. Das Unbestimmte ist präsent, ohne dass es sich fassen ließe. Es existiert notwendig als Voraussetzung jeglicher Objektdifferenzierung, ohne selbst je zur differenzierten Erscheinung gebracht werden zu können. Die auf diese Weise demonstrierte Unbestimmtheit ist, um mit M. Serres zu sprechen, der Parasit als der eingeschlossene Ausgeschlossene Dritte: abwesend ist er zugleich anwesend. (GA/230) Vor dem Hintergrund der Semantik unbestimmter Bestimmtheit und der ihr eingeschriebenen Logik doppelter Referenz lässt sich Schellings Kritik der Prädikation ohne Verständnisschwierigkeiten entfalten. Vergl. Repräsentationstechnik der impliziten/gerichteten Semantik in semant. Netzen (GA/259) Merleau-Ponty zielt mittels de Unsichtbaren inmitten des Sichtbaren auf das Unbestimmte des „rohen Sein“ oder des „rohen Fleisches“; … (GA/287) Die Sprachanalyse Wittgensteins, Heideggers Andenken des Seins und Adornos Denken in Konstellationen kehren das diskursive Denken gegen sich selbst, um die Erinnerung an das, was in der propositional bestimmten Rede nicht aufgeht, wachzuhalten. … (GA/288) Wie Habermas richtigt sieht, wollen Wittgenstein, Heidegger und Adorno „Effekte erzielen, die am ehesten ästhetischen Erfahrungen gleichen. … Alle drei sind unterwegs zum Ästhetischwerden der Theorie selbst.“ Vergl. dazu auch die Überlegungen von D. Mersch zu den Grenzen der Diskursivität. Ich bin mir nicht sicher, ob das Andere des Diskurses (das was sich zeigt) zwingend ästhetisch zu lesen ist. Auch wenn die Wahrnehmung (Aisthesis) eine zentrale Rolle bei wenig verbalisierbaren Erscheinungen spielt, sind ästhetische „Entscheidungen“ nicht primär der relevante Zugang. (GA/313) Zur Familienähnlichkeit: Es ist gegenüber dem philosophischen Denken der Tradition in Kategorien von Identität und Verschiedenheit gleichsam bloß eine >schwache Kraft<, welche die Merkmale der Begriffe aufeinander bezieht. Um den Ähnlichkeitsaspekt herauszustellen oder das Charakteristische, das manchmal eine Familie verbindet, spricht Wittgenstein auch von der >Physiognomie< oder der >Gestalt< von Begriffen. Gerade im Bereich der Physiognomien (von Gesichtern, Landschaften, Karosserien, …) Versagen die verbalen Begriffe in hohem Maße. Nur in anschaulichen Vergleichsreihen schaffen wir bestimmte (gestalterische) Aspekte nachvollziehbar zur Sprache zu bringen. Ohne Abbildungen und zeigende Bezugnahmen sind nur wenige Aspekte vermittelbar. (GA/314) Quine schreibt sehr schön, dass dem Ähnlichkeitskonzept „etwas logisch Abstoßendes“ anhafte. Zugleich aber ist das Gefühl für Ähnlichkeit oder natürliche Arten von Bedeutung. Nicht nur was Lernen und induktives Verallgemeinern betrifft, sondern, worauf Quine nachdrücklich verweist, auch im Blick auf die Wissenschaften … Zusammengefaßt, die Bildung prototypischer Begriffe vollzieht sich über die Herstellung von Ähnlichkeitsbeziehungen, welche intersubjektiv relevant und für Denken und Handeln fundamental sind, aber dennoch nicht vollständig auf logische Zusammenhänge zurückgeführt werden können. Unter rein logischen Gesichtspunkten sind Prototypen „primitive“ (?) Induktionen mit hohem Anpassungswert. (GA/317) Zur Logik der Repräsentativität Ihre Operation mit unscharf gezogenen Grenzen macht es leicht, neue Erfahrungen oder neue Gegenstände zu assimilieren, auch dann, wenn sie nicht genau passen sollten. (GA/318) Die Repräsentativitätslogik ist gleichsam die >Theorie< der Praktiker. Vergl. Konzept der Hybridität: Wir brauchen Anknüpfungspunkte, um etwas Neues in unser Weltbild zu integrieren. Produktives (kreatives) Denken kann auch als hybridisierender Vorgang aufgefasst werden. Vergl. Überlegungen zu Kommunikationsformen der Gestalter/TechnikerInnen (Bild und Diagramm). Die Unmöglichkeit ein Großraumflugzeug nach Prosa-Anweisungen zu bauen. (GA/330) Ob Heidegger oder Wittgenstein, Adorno oder Foucault, Quine oder Goodman, sie erklären willig oder widerwillig, das, was unbestimmt über Begriff und Urteil hinausgeht, für philosophisch bedeutsam, wenn nicht für das Wesentliche überhaupt. (GA/343) Wittgenstein sieht Begriffe bzw. Bedeutungen über „Familienähnlichkeiten“ miteinander verbunden. Nicht universell gültige (transzendentale, logische, linguistische etc.) Gesetze verknüpfen Vorstellungen und Begriffe, vielmehr stehen diese in einem losen Verbund, der sie je nach Kontext oder Situation aufeinander verwiesen sein lässt. (GA/344) Begriffe in natürlichen Sprachen besitzen nicht nur keine scharf umgrenzten Ränder, sondern je nach Kontext oder Sprachgebrauch kann ihre Bedeutung erheblich variieren; (GA/345) Sie (die Philosophie) muß sich fragen lassen, wie das allgemeine oder wesentliche Merkmal eines Begriffs dingfest gemacht werden kann, wenn nur ein situativ bestimmtes, kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten die Bedeutung des Begriffs erhellt, das heißt, keine universell gültige Logik die Bestimmtheit des Begriffs über Identität und Verschiedenheit definiert? Vergleiche Ordnungsansätze in der Diagrammstudie (GA/345) Die philosophische Leitidee des Sprachspiels setzt an die Stelle des rationalen Verfahrens, das über Identität und Verschiedenheit die logische Bestimmtheit des Begriffs zu erreichen trachtet, das ästhetische Konzept der Familienähnlichkeit. (GA/347) Ohne die Interpretation en détail weiter ausführen zu können: was sich abzeichnet, ist eine Wiederermächtigung von Grundbegriffen, auf denen die Rhetorik beruht: Zuletzt steht Eindeutigkeit gegen Verwandtschaft, Wahrheit gegen Wahrscheinlichkeit, Logik gegen Metaphorik, Identität gegen Ähnlichkeit, logische Bestimmtheit gegen kommunikative Unterbestimmtheit, Unbedingtheit gegen Zustimmungserwünschtheit. Die Fragen der Ähnlichkeit sind also nicht nur als Episteme der Renaissance von Interesse. (GA/352) Nietzsche behauptet nicht nur eine untilgbare Restmetaphorik auf dem Grunde aller Begriffe, seine These lautet vielmehr, dass es überhaupt Metaphern sind, die im Erkenntnisprozeß Regie führen. Erkennen beruhe auf einer Reihe von Metaphernbildungen. Verl. Metapher und Hybridität Verben als Angstgegner der streng kategorialen Denker: verschwimmen, verfließen, entgleiten, übergehen, changieren, verdichten, öffnen, … verflüssigen, vermischen, verschmelzen, schweben, … entdifferenzieren, auflösen, entgrenzen, zersetzen, zerstreuen, … Siehe: Verben-Netz zur Hybridität ars electronica 2005