FSU Jena, SS 2008 HS: Literatur und Philosophie Seminarleiter: Prof. Matuschek, Prof. Gabriel Protokollanten: Anja Oertel, Juliane Gyra, Claudia Genßler 16.07.2008 Protokoll zur Sitzung am 09.07.2008 „Ludwig Wittgenstein: Tractatus logicophilosophicus“ „Alle Philosophie ist Sprachkritik (aber nicht im Sinne Mauthners).“ Obwohl der Tractatus eine sehr wissenschaftstheoretisch angelegte Schrift ist, gibt es ein Anliegen Wittgensteins, über den wissenschaftstheoretischen Gehalt hinaus etwas auszusagen. So zeigen sich Abweichungen zur sonst streng analytischen Form zum Beispiel durch die Verwendung der Leitermetapher am Ende des Werkes. Auffallend bei der Lektüre ist, dass viele zentrale Philosophische Begriffe dargestellt, jedoch nicht weiter expliziert werden. Es handelt sich vielmehr um prägnante, kategoriale Erläuterungen in aphoristischer Form. Im Werk gibt es nur wenige intertextuelle Bezüge bzw. Anspielungen, wie sie etwa bei Schlegel zu finden sind. Dies bildet eine Differenz zur Frühromantik. Durch seinen verdichteten Charakter ist es aber dennoch nötig, ein geeignetes Maß an Wissen, nicht aber eine bestimmte Autorenkenntnis, mitzubringen. Wittgenstein vertritt einen „Pathos des Selbstdenkens“. Er gibt (in einer antiakademischen Art und Weise) keine Fußnoten oder Quellen an, da es ihm egal zu sein scheint, ob seine Gedanken schon einmal vor ihm gedacht wurden. Im Vorwort nennt er lediglich Frege und Russel. Wittgenstein unterscheidet im Tractatus zwischen sinnvollen und unsinnigen Sätzen. Der Begriff der sinnvollen Sätze ist bei ihm sehr eng. Zu ihnen zählen nur diejenigen, die Sachverhalte abbilden. Der Sinn des Satzes ist damit der Sachverhalt selbst. Logische Sätze hingegen sind unsinnige Sätze, da sie keine Einzeltatsachen wiedergeben. „Unsinnig“ ist dabei nicht negativ besetzt, sondern besitzt eine wesentliche Bedeutung: Denken, Sprache und Welt sind die Bedingungen von der Möglichkeit der Erkenntnis und haben dieselbe Struktur. Es besteht eine Isomorphie zwischen der Struktur des Denkens, der Struktur der Sprache sowie der Struktur der Welt. Die Sätze der Logik garantieren für Wittgenstein die Möglichkeit der Erkenntnis und sind darum transzendental. Wittgenstein bezieht sich auf die formale Logik, die er von Frege und Russell übernimmt. Sie ist das Instrument der Sprachkritik im Tractatus. Beschäftigt man sich mit dem Verhältnis des Tractatus zur Literatur, kann man schon im Vorwort lesen, dass „über das Wichtigste geschwiegen wird“. Das Wichtigste muss daher aus der Form abgeleitet werden, es steht „zwischen den Zeilen“. In dem er darstellt, wie weit man 1 mit Sprache kommen kann, zeigt er gleichzeitig ihre Grenze auf. Er zieht damit eine Grenze des Wissens. Die Idee der indirekten Mitteilung ist keine neue Auffassung Wittgensteins, sondern von Kirkegaard entlehnt. Das Eigentliche spricht man nicht aus, sondern wird indirekt mitgeteilt. Über Wittgensteins literarisch verwendete Form wurden verschiedene Vorschläge gemacht. So könne man die Darstellungsweise als Art von Aphorismus (Gabriel) oder als Fragment (Frank) verstehen. Beide Theorien versuchen zu berücksichtigen, dass Wittgenstein zu etwas, was gesagt werden kann, immer auch ein implizites Unaussprechliches mitdenkt. Wittgenstein stellt im Tractatus den sagbaren Bereich dar und macht deutlich, dass komplementär zum Gesagten immer das Unsagbare steht. Das erwähnte Unaussprechliche ist für Wittgenstein die Ethik. Er lehnt diese als Disziplin, nicht aber das Ethische „an sich“ ab. Demzufolge kann die Ethik nicht in Abhandlungen zum Ausdruck kommen, sondern lediglich in der Dichtung. So dienen z.B. Romane dazu, ethische Kontroversen durchzuspielen. Wer dagegen ethische Abhandlungen schreibt, könne dies laut Wittgenstein höchstens aus Privatvergnügen tun. Ähnlich wie bei Mauthner zeigt sich eine Wertschätzung der Literatur, die mehr leistet als jede Theorie. Sprache zeigt hier etwas, dass direkt (durch Worte) nicht gesagt werden kann. Wittgenstein vertritt allerdings die Auffassung, dass alles, was gezeigt werden kann, auch gesagt werden kann. Das Ethische zeigt sich selbst also indirekt. Man kann das Ethische nicht direkt in einem sinnvollen empirischen Satz formulieren, sondern nur in einem „sinnlosen“. Philosophie ist für Wittgenstein nur in der Dichtung, das heißt, wir können sie nur auf literarische Weise ausdrücken. Im Seminar stellten wir die These auf, dass Ethik der Übergang von der Philosophie zur Literatur sei. In der heutigen Zeit wird der Tractatus manchmal als ein dekonstruktives Werk verstanden. So zum Beispiel von James F. Conant, der behauptet Wittgensteins Sätze müssten tatsächlich als unsinnig aufgefasst werden, und die Grundintention des Tractatus bestünde tatsächlich darin zu zeigen, dass der Versuch, eine Grenze zwischen Sinn und Unsinn zu ziehen, selbst wieder in Unsinn endet. Doch diese Auffassung stößt (verständlicherweise) kaum auf Zustimmung. Die erste Rezeption erfuhr Wittgensteins Tractatus im Wiener Kreis. Allerdings stand hier nur die formale Logik im Vordergrund. Das wichtigste wurde damit übersehen. 2