Protokoll 9.7.2008

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FSU Jena, SS 2008
HS: Literatur und Philosophie
Seminarleiter: Prof. Matuschek, Prof. Gabriel
Protokollanten: Anja Oertel, Juliane Gyra, Claudia Genßler
16.07.2008
Protokoll zur Sitzung am 09.07.2008 „Ludwig Wittgenstein: Tractatus logicophilosophicus“
„Alle Philosophie ist Sprachkritik (aber nicht im Sinne Mauthners).“
Obwohl der Tractatus eine sehr wissenschaftstheoretisch angelegte Schrift ist, gibt es ein
Anliegen Wittgensteins, über den wissenschaftstheoretischen Gehalt hinaus etwas
auszusagen. So zeigen sich Abweichungen zur sonst streng analytischen Form zum Beispiel
durch die Verwendung der Leitermetapher am Ende des Werkes.
Auffallend bei der Lektüre ist, dass viele zentrale Philosophische Begriffe dargestellt, jedoch
nicht weiter expliziert werden. Es handelt sich vielmehr um prägnante, kategoriale
Erläuterungen in aphoristischer Form.
Im Werk gibt es nur wenige intertextuelle Bezüge bzw. Anspielungen, wie sie etwa bei
Schlegel zu finden sind. Dies bildet eine Differenz zur Frühromantik. Durch seinen
verdichteten Charakter ist es aber dennoch nötig, ein geeignetes Maß an Wissen, nicht aber
eine bestimmte Autorenkenntnis, mitzubringen. Wittgenstein vertritt einen „Pathos des
Selbstdenkens“. Er gibt (in einer antiakademischen Art und Weise) keine Fußnoten oder
Quellen an, da es ihm egal zu sein scheint, ob seine Gedanken schon einmal vor ihm gedacht
wurden. Im Vorwort nennt er lediglich Frege und Russel.
Wittgenstein unterscheidet im Tractatus zwischen sinnvollen und unsinnigen Sätzen. Der
Begriff der sinnvollen Sätze ist bei ihm sehr eng. Zu ihnen zählen nur diejenigen, die
Sachverhalte abbilden. Der Sinn des Satzes ist damit der Sachverhalt selbst. Logische Sätze
hingegen sind unsinnige Sätze, da sie keine Einzeltatsachen wiedergeben. „Unsinnig“ ist
dabei nicht negativ besetzt, sondern besitzt eine wesentliche Bedeutung: Denken, Sprache und
Welt sind die Bedingungen von der Möglichkeit der Erkenntnis und haben dieselbe Struktur.
Es besteht eine Isomorphie zwischen der Struktur des Denkens, der Struktur der Sprache
sowie der Struktur der Welt. Die Sätze der Logik garantieren für Wittgenstein die Möglichkeit
der Erkenntnis und sind darum transzendental. Wittgenstein bezieht sich auf die formale
Logik, die er von Frege und Russell übernimmt. Sie ist das Instrument der Sprachkritik im
Tractatus.
Beschäftigt man sich mit dem Verhältnis des Tractatus zur Literatur, kann man schon im
Vorwort lesen, dass „über das Wichtigste geschwiegen wird“. Das Wichtigste muss daher aus
der Form abgeleitet werden, es steht „zwischen den Zeilen“. In dem er darstellt, wie weit man
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mit Sprache kommen kann, zeigt er gleichzeitig ihre Grenze auf. Er zieht damit eine Grenze
des Wissens. Die Idee der indirekten Mitteilung ist keine neue Auffassung Wittgensteins,
sondern von Kirkegaard entlehnt. Das Eigentliche spricht man nicht aus, sondern wird
indirekt mitgeteilt.
Über Wittgensteins literarisch verwendete Form wurden verschiedene Vorschläge gemacht.
So könne man die Darstellungsweise als Art von Aphorismus (Gabriel) oder als Fragment
(Frank) verstehen. Beide Theorien versuchen zu berücksichtigen, dass Wittgenstein zu etwas,
was gesagt werden kann, immer auch ein implizites Unaussprechliches mitdenkt.
Wittgenstein stellt im Tractatus den sagbaren Bereich dar und macht deutlich, dass
komplementär zum Gesagten immer das Unsagbare steht.
Das erwähnte Unaussprechliche ist für Wittgenstein die Ethik. Er lehnt diese als Disziplin,
nicht aber das Ethische „an sich“ ab. Demzufolge kann die Ethik nicht in Abhandlungen zum
Ausdruck kommen, sondern lediglich in der Dichtung. So dienen z.B. Romane dazu, ethische
Kontroversen durchzuspielen. Wer dagegen ethische Abhandlungen schreibt, könne dies laut
Wittgenstein höchstens aus Privatvergnügen tun. Ähnlich wie bei Mauthner zeigt sich eine
Wertschätzung der Literatur, die mehr leistet als jede Theorie. Sprache zeigt hier etwas, dass
direkt (durch Worte) nicht gesagt werden kann. Wittgenstein vertritt allerdings die
Auffassung, dass alles, was gezeigt werden kann, auch gesagt werden kann. Das Ethische
zeigt sich selbst also indirekt. Man kann das Ethische nicht direkt in einem sinnvollen
empirischen Satz formulieren, sondern nur in einem „sinnlosen“.
Philosophie ist für Wittgenstein nur in der Dichtung, das heißt, wir können sie nur auf
literarische Weise ausdrücken. Im Seminar stellten wir die These auf, dass Ethik der
Übergang von der Philosophie zur Literatur sei.
In der heutigen Zeit wird der Tractatus manchmal als ein dekonstruktives Werk verstanden.
So zum Beispiel von James F. Conant, der behauptet Wittgensteins Sätze müssten tatsächlich
als unsinnig aufgefasst werden, und die Grundintention des Tractatus bestünde tatsächlich
darin zu zeigen, dass der Versuch, eine Grenze zwischen Sinn und Unsinn zu ziehen, selbst
wieder in Unsinn endet. Doch diese Auffassung stößt (verständlicherweise) kaum auf
Zustimmung.
Die erste Rezeption erfuhr Wittgensteins Tractatus im Wiener Kreis. Allerdings stand hier nur
die formale Logik im Vordergrund. Das wichtigste wurde damit übersehen.
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