Funktionsverbgefüge im Deutschen: eine Frage des Stils oder doch

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Gemma Paredes Suárez
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15701 Santiago de Compostela
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FUNKTIONSVERBGEFÜGE IM DEUTSCHEN: EINE FRAGE DES STILS ODER
DOCH ETWAS MEHR?
GEMMA PAREDES SUÁREZ
Universidad de Santiago de Compostela
ABSTRACT: Die Funktionsverbgefüge der deutschen Sprache, die bereits seit Ende des
19. Jh. im Mittelpunkt heftiger Kritik von Sprachplege und Sprachkritik standen, waren lange Zeit
von der semantischen und syntaktischen Beschreibung der germanistischen Sprachwissenschaft
ausgeschlossen. Erst in den 60er Jahren begann man damit, diese tendentielle Entwicklung zum
Substantivstil, die sich vor allem in akademischen, amtssprachlichen und technischen Textsorten
bemerkbar machte, linguistisch zu analysieren.
Ziel dieses Beitrags ist es, anhand einer detaillierten linguistischen Analyse die
Charakteristika der Funktionsverbgefüge bzw. ihrer Komponenten aufzuzeigen, um diese im
darauffolgenden Kapitel als Grundlage für die semantische und syntaktische Herausarbeitung der
Leistungen innerhalb der von mir ausgewählten sprachwissenschaftlichen Bereiche benutzen zu
können. Es wird sich herausstellen, dass es sich bei den Funktionsverbgefügen um eine
heterogene Gruppe handelt, die als Teilsystem im Zwischenbereich zwischen Syntax, Semantik,
Wortbildung und Phraseologie einzuordnen ist.
PARAULES CLAU: ???????????????????
1. DIE BEURTEILUNG DER FVG AUS DER PERSPEKTIVE DER SPRACHKRITIK
Die Funktionsverbgefüge1 im Deutschen sind erst relativ spät in den Blickpunkt
syntaktischer und semantischer Untersuchungen getreten. Der Grund für die späte
Aufdeckung liegt in der Abwertung dieser Nominalgruppen, die bis in die 60er Jahre fast
ausschließlich unter stilistischem Aspekt betrachtet und als negativ bewertet wurden.
Zahlreiche Benennungen wie "Substantivitis" (cf. Rothkegel 1968:7), "Hauptwörterseuche",
"Sprachbeulen", "Papieridiome" oder "Bürokratenwort" (cf. von Polenz 1964:17) legen ein
Zeugnis davon ab.
Wie bereits an diesen kritischen und negativen Bezeichnungen erkennbar ist, befasste
man sich weniger mit den Substantiv-Verb-Konstruktionen an sich als mit dem zunehmenden
Gebrauch des Nominalstils im Allgemeinen. Dieser verbreitete sich vor allem in
fachsprachlichen Texten, in denen sich die Informationskomprimierung mit Hilfe des
Substantivstils zu einem schon fast inhärenten Charakteristikum derselben entwickelt hat.
Meine Frage ist, ob die negative Beurteilung der Funktionsverbgefüge aus der Sicht der
Sprachpflege
und
der
Sprachkritik,
den
Wissenschaften
also,
die
sich
mit
"Modeerscheinungen", "Sprachverderb", "Entartung", etc. (cf. von Polenz 1963a:7)
beschäftigen, gerechtfertigt ist, oder ob es nicht doch notwendig ist, die Charakteristika der
FVG aufzuzeigen und sie anschließend als Grundlage für die Herausarbeitung der Leistungen
zu verwenden. Denn bereits bei der Beschreibung werden wir merken, dass die FVG nicht
nur Stilvarianten einfacher Verben sind, sondern sogar unersetzbare und notwendige
Bestandteile der deutschen Sprache.
Die häufige Verwendung von Funktionsverbgefügen lässt sich vor allem dadurch
erklären, dass immer mehr Vorgänge in der Alltagssprache in substantivischer Form
bezeichnet werden und so dem Verb nur noch seine funktionelle Seite überlassen bleibt. Der
Substantivstil fordert also nicht etwa spezifische Verben zum Ausdruck eines Vorgangs,
eines Zustands, einer Tätigkeit, etc., sondern eine relativ geringe Anzahl an praktischen
Funktionsverben, die im Stande sind, in Verbindung mit einem Nomen actionis den
Verbalausdruck zu bilden. Nun erscheint diese Nominalfügung, wenn der syntaktische und
der semantische Gesichtspunkt nicht berücksichtigt werden, als simple Stilvariante, deren
Beurteilung sicher ganz unterschiedlich sein kann. In vielen Texten (literarische und
philosophische z.B.) werden die Simplexverben den Nominalfügungen vorgezogen.
Rhetoriklehrbücher dagegen fordern gerade den Gebrauch von FVG. Auf Grund dieser
unterschiedlichen Auffassungen erschien es Sprachwissenschaftlern wie Peter von Polenz
(1963, 1964, 1987), Karl-Heinz Daniels (1963), Herbert Kolb (1962; 1965/66), Hans-Jürgen
Heringer (1968), etc.2 wichtig, die Substantiv-Verb-Verbindungen genauer zu analysieren, da
sie immer wieder und gerade von gebildeten Schreibern in vorwiegend wissenschaftlichen
Texten verwendet wurden.
Funktionsverbgefüge sollten nunmehr nicht nur als stilistische Varianten einfacher
Verben
angesehen
werden,
sondern
als
ein
Konstrukt,
das
wesentliche
Bedeutungsunterschiede auszudrücken vermag. Unter diesem neuen Gesichtspunkt wurden
die Gefüge auf ein konkretes Ziel hin untersucht: die syntaktische und semantische Analyse
der Funktionsverben und Funktionsverbgefüge zur Aufstellung ihrer Kriterien, Leistungen
und Funktionen.
2. DIE CHARAKTERISTIKA
DER
FVG
UND IHRE
ABGRENZUNG
ZU ANDEREN
SUBSTANTIV-
VERB-KONSTRUKTIONEN
Die semantischen und syntaktischen Merkmale der Funktionsverbgefüge sind in der
umfangreichen Literatur zu diesem Thema bereits ausführlich behandelt worden. Ich möchte
sie dennoch kurz nach eigenen Gesichtspunkten zusammengefasst und angeordnet aufführen,
da sie als Grundlage für die anschließende Betrachtung der Leistungen dienen. Mit der von
mir getroffenen Auswahl der Kriterien soll keineswegs Vollständigkeit angestrebt werden; es
wird lediglich versucht, eine Reihe von Merkmalen systematisch zu gliedern, um die
Charakteristika der Funktionsverbgefüge zu verdeutlichen und dabei gleichzeitig die
Abgrenzung dieser Verbindungen gegenüber syntaktisch gleichen Konstruktionen, wie die
Nominalisierungsverbgefüge des Typs "einen Besuch abstatten" oder phraseologischen
Einheiten wie "zur Strecke bringen", aufzuzeigen.
2.1. Semantische Merkmale
Die folgende Beschreibung der semantischen Merkmale geht von der Bedeutung der
Funktionsverbgefüge als Ganzheit über die Beschreibung des Substantivs und des Verbs bis
hin zu der in den meisten FVG auftretenden Präposition.3
1. FVG bilden eine semantische Einheit, deren Hauptbedeutung im Substantiv liegt.
2. Das Substantiv im FVG ist ein Nomen actionis und bezeichnet satzsemantisch ein
Prädikat, das eine Handlung, eine Tätigkeit, einen Vorgang, ein Ereignis oder einen Zustand
ausdrückt. Es ist referenzlos und bildet den prädikativen Kern des Gefüges. Die
Referenzlosigkeit des Nomens ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen
Gefügen wie "zu Papier bringen" oder "zur Stelle sein", in denen das Substantiv keinen
deverbativen oder deadjektivalen Charakter hat, sondern ein einfaches konkretes Nomen
darstellt.
3. Das Verb, oder Funktionsverb, hat im Gegensatz zum Nomen actionis seinen
semantischen Gehalt weitgehend eingebüßt und ist somit dem entsprechenden Vollverb
semantisch entfremdet. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es nur Träger der verbalen
Kategorien Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus verbi ist; es leistet außerdem einen
bestimmten Beitrag zur prädikativen Gesamtbedeutung aller FVG. Denn als Träger von
semantischen Funktionen sehr allgemeiner Art, wie sie sich etwa in der Bedeutung des
Zustands, der Zustandsveränderung und des Bewirkens einer Zustandsveränderung
ausdrücken, ist es in der Lage, unterschiedliche Aktionsarten semantisch zu differenzieren.
Auch dies ist ein wichtiges Kriterium, das in anderen Nomen-Verb-Konstruktionen nicht
erkennbar ist. Die Gegenüberstellung zweier Beispiele, d. h. eines FVG und einer
phraseologischen Einheit, zeigt dies sehr deutlich: das FVG zur Einsicht bringen kann
umschrieben werden mit "x bewirkt, dass y einsichtig wird", der Ausdruck zu Papier bringen
dagegen bedeutet lediglich "schreiben". Bei der idiomatischen Wendung liegt zwischen dem
Verb bringen und dem Substantiv Papier kein Zusammenhang vor, den man mit Hilfe einer
aktionellen Relation bezeichnen könnte.
4. Der semantische Gehalt der Präposition ist ebenfalls stark reduziert. Sie hat nur noch
eine kasusartige Funktion, da die ursprüngliche räumliche Bedeutung bei der Verbindung mit
dem abstrakten Nomen eingebüßt worden ist.
2.2. Syntaktische Merkmale
Parallel zu den semantischen Merkmalen können auch im Bereich der Syntax
charakteristische Besonderheiten der Funktionsverbgefüge erkannt werden.
1. Funktionsverbgefüge sind komplexe Prädikatsausdrücke, die obligatorisch aus einem
Nomen actionis und einem Funktionsverb bestehen und eine Satzklammer bilden. In den
meisten Fällen tritt zum Substantiv ein Fügemittel, eine Präposition, hinzu.
2. Das Gefüge kann oft durch ein entsprechendes Vollverb ersetzt werden.
3. Vor allem die FV aber auch die Substantive stehen in deutlich erkennbaren
Kommutationsreihen (in Bewegung bringen / kommen / sein / bleiben / halten bzw. zur
Sprache / zu Besinnung / zur Aufführung kommen). Bei phraseologischen Einheiten wie "zu
Papier bringen" ist dies nicht möglich. Ausdrücke wie *zum Blatt oder zur Schrift bringen
oder *zu Papier schicken oder machen ergeben keinen Sinn und müssen als falsch angesehen
werden.
4. Der Hauptvalenzträger im Funktionsverbgefüge ist das Substantiv, während das FV
seine ursprüngliche Valenz verliert. Dies zeigen die sowohl qualitativen (in Bezug auf die
grammatische Form oder die semantischen Merkmale) als auch quantitativen (hinsichtlich der
Anzahl der Leerstellen) Abweichungen, die die Valenz des Funktionsverbgefüges gegenüber
der der Funktionsverben präsentiert.4
5. Das Nomen actionis steht meist im Singular, ist referenzlos und kann demnach weder
anaphorisiert noch unmittelbar erfragt werden. Ihm fehlt meist der Artikel, oder dieser ist mit
der Präposition verschmolzen. Ebenso ist die Erweiterung des Substantivs durch
adjektivische Attribute oder einen attributiven Relativsatz sehr eingeschränkt, sowie auch die
gewöhnliche Negation eines Nomens durch "kein". Funktionsverbgefüge werden meist als
Ganzes mit "nicht" negiert.
3. DIE LEISTUNGEN DER FVG INNERHALB EINIGER LINGUISTISCHER GEBIETE
Mit Hilfe der aufgezeigten Kriterien können, wie zu Beginn dieser Arbeit angedeutet
worden ist, die semantischen und syntaktischen Leistungen der FVG aufgestellt werden. Sie
sollen im Folgenden innerhalb der von mir ausgewählten Bereiche Stilistik, Semantik, Syntax
und Textlinguistik herausgearbeitet werden (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu
erheben), um auf diese Weise und mit Hinzunahme von konkreten Beispielen die Signifikanz
der Funktionsverbgefüge für die deutsche Sprache aufzeigen zu können.
3.1. Stilistik
Eine erste Leistung der FVG ist zweifellos die stilistische. Gelegentlich begegnet man
Texten, in denen Gefüge aus stilistischen Gründen mit ihren verbalen Entsprechungen
wechseln (cf. G. Starke 1975:158). Diese Verwendung lässt sich vor allem in solchen Texten
finden,
in
denen
ein
bestimmter
Sachverhalt
oder
bestimmte
Prozesse
in
überdurchschnittlichem Maße auftreten. Ein Beispiel aus dem BGB, der Paragraph 244, zeigt
ein typisches Satzgefüge bestehend aus einem Bedingungssatz und einem sich
anschließenden Folgesatz, in denen das Prädikat wiederholt wird.
Ist eine in ausländischer Währung ausgedrückte Geldschuld im Inlande zu zahlen, so
kann die Zahlung in Reichswährung erfolgen.
Die Konstruktion aus Nomen actionis und Funktionsverb in diesem konkreten
Gebrauch hat lediglich die stilistische Funktion, das bereits genannte einfache Vollverb im
darauffolgenden Satz zu ersetzen, so dass eine wörtliche Wiederholung vermieden wird und
ein Ausdruckswechsel erfolgt.
Die stilisitischen Leistungen der Funktionsverbgefüge dürfen keineswegs unterschätzt
oder minder gewertet werden, da sie auf Grund ihrer Kombinationsmöglichkeiten die
Fähigkeit "vielfältiger Differenzierung in Stilschichten und Stilfärbungen" (cf. G. Starke
1975:159) besitzen und somit sehr bedeutend für die Variation des sprachlichen Ausdrucks
sind.
3.2. Semantik
Auch innerhalb der Semantik werden die Leistungen der Funktionsverbgefüge deutlich.
Sie sind nämlich in der Lage, Mängel und Lücken im Verbalsystem des Deutschen
auszugleichen, wie die Gegenüberstellung von einfachem Verb und nominaler Umschreibung
zeigt (vgl. Daniels 1963:32; Persson 1981:28; Günther / Pape 1976:120). So ist zwar eins der
wichtigsten Merkmale der Funktionsverbgefüge, dass sie durch ein äquivalentes Vollverb
ersetzt werden können, aber die folgenden Beispiele zeigen, dass sie oft genau dann
gebraucht werden, wenn die verbale Entsprechung fehlt.
in Betrieb nehmen
(*betreiben)
zur Sprache bringen (*sprechen)
in Rechnung stellen
(*rechnen)
Das deverbative Substantiv hat in diesen Beispielen nicht mehr die Bedeutung des
zugrunde liegenden Verbs, sondern eine feste, eigene Bedeutung. Demzufolge kann in diesen
Fällen keinesfalls, wie es früher von der Sprachkritik getan worden ist, von Verbaufspaltung
(vgl. von Polenz 1963) oder Streckform des Verbs (cf. Schmidt 1968; Tuchel 1982:5)
gesprochen werden, da diese Funktionsverbgefüge selbständig und nicht austauschbar sind.
Demzufolge sind in der deutschen Sprache anhand analytischer Wortbildungsmethoden
Nomina-Verb-Konstrukte entstanden, die durch die neue, inhärente Bedeutung eine "Lücke
im grammatischen System" (cf. von Polenz 1963b:200) zu schließen vermögen.
Neben dieser Neuschöpfung von Prädikaten weisen die FVG aber eine zweite
semantische Leistung auf, die sich auf die Bedeutungsmodifikation des Prädikatsausdrucks
auf Grund kleiner Wechsel innerhalb der Gefüge bezieht. Die Rede ist von der Funktion der
aktionellen Abstufung, von der Fähigkeit also, die Anfangsphase, die Endphase, das
plötzliche Einsetzen, das langsame, allmähliche Beginnen eines Vorgangs, das unabsichtliche
Beginnen und Fortführen einer Tätigkeit, etc. zu betonen (vgl. I. Starke 1989:80).
Die Funktionsverben reduzieren ihre Bedeutung auf generelle semantische Merkmale,
wie kausativ, inchoativ und durativ, und gewinnen dadurch eine neue Qualität, die ihre
spezifische Leistung ausmacht und die freie Verbindbarkeit mit Nomina actionis zulässt. Die
folgenden Beispiele sollen diese Eigenschaften der Markierung der Kausativität und der
Aktionsartdifferenzierung der FVG widerspiegeln.
In dem Satz Der Frieden brachte alles in Ordnung wird das Prädikat P, das einen
Zustand ausdrückt, durch das Nomen actionis Ordnung realisiert, während das FV bringen
das Kausativ-Prädikat "Bewirken" bezeichnet.
Die Grundstruktur des Satzes ist demzufolge: "x bewirkt, dass es dazu kommt, dass y P
tut oder dass ein Zustand P eintritt", wobei x und y nicht identisch sind (vgl. von Polenz
1987). Funktionsverben wie bringen, setzen, versetzen, stellen, geben oder ziehen sind im
Stande solche "analytischen Kausativbildungen" (cf. G. Starke 1975:158) zu formen und
damit gleichzeitig einem empfindlichen Mangel der verbalen Wortbildung abzuhelfen, da in
diesen Fällen kein entsprechendes Vollverb vorhanden ist, sondern auf umständliche
Umschreibungen zurückgegriffen werden müsste: anstelle des FVG zum Stillstand bringen
stünde zum Beispiel veranlassen, dass etwas stillsteht, statt in Bewegung setzen würden wir
auf periphrastische Ausdrücke des Typs machen, dass sich etwas bewegt zurückgreifen
müssen.
Neben der Fähigkeit, kausative Prädikate auszudrücken, ist ein FVG aber auch in der
Lage, den Beginn oder das Zustandekommen einer Handlung, einer Tätigkeit, etc. zu
bezeichnen. Es handelt sich hierbei um die nach der entsprechenden Aktionsart benannten
Inchoativ-FVG, die dann entstehen, wenn man die Kausativ-Komponente x bewirkt, dass ...
streicht. Die Grundstruktur, die somit übrig bleibt, lautet: "es kommt dazu, dass y eintrifft".
Beispiele für die Funktionsverbgefüge dieser Gruppe mit den entsprechenden FV kommen,
geraten, gelangen, gehen oder treten sind zum Beispiel in Bedrängnis kommen, in
Vergessenheit geraten, zu Ansehen gelangen, in Druck gehen oder in Erscheinung treten.
Wird schließlich von den Inchoativ-FVG wiederum die Aktionsart weggestrichen, so
bleibt lediglich die Dauer des Prädikats übrig, die bereits in der durativen Bedeutung des
Nomen actionis enthalten ist. Die Funktionsverben sein, sich befinden, bleiben, stehen, haben
oder liegen liefern keine eigene Zusatzbedeutung zum Gefüge und fungieren demnach nur als
Verstärkung der durativen Aktionsart in Opposition zu entsprechenden Kausativ- bzw.
Inchoativ-FVG (in Abhängigkeit bringen / geraten / sein). Sie lassen sich auch auf Grund des
möglichen synonymen Ersatzes durch das einfache Vollverb oder Adjektiv (die Ausdrücke
abhängig sein und sich bewegen sind gleichbedeutend) von den anderen beiden Klassen
unterscheiden. I. Starke (1989:85) spricht bezüglich der durativen FVG von Funktionsverben
mit statischem Charakter, die sich sowohl mit Nomina, die einen Zustand bezeichnen,
verbinden können, z.B. im Besitz haben, als auch mit solchen, die einen Prozess ausdrücken,
z.B. im Sterben liegen.
Betrachtet man nun die verschiedenen Realisierungen der kausativen, inchoativen und
durativen Funktionsverbgefüge, so fällt auf, dass trotz der syntaktisch gleichen Strukturen
einige eine aktivische, andere eine passivische Bedeutung haben können, z.B.:
x bringt y in Verlegenheit = x bewirkt, dass y verlegen ist
x bringt y zur Abstimmung = x bewirkt, dass über y abgestimmt wird
Wären alle FVG so konstruiert, dass das FV immer eine Aktionsart festlegt und dass
die Gefüge als Ganzes aktivisch oder passivisch umschrieben werden können, dann bedürfte
dieses Thema keiner näheren Betrachtung mehr. Es gibt allerdings einen speziellen Typ von
Funktionsverbgefügen, der weder kausativ, noch inchoativ oder durativ ist, sondern nur
Passivität ausdrückt. Gemeint sind hiermit solche Ausdrücke wie Anerkennung finden oder
eine Veränderung erfahren. Die Verben finden und erfahren drücken, wenn sie als
Vollverben gebraucht werden, ein Tun aus (ich finde meine Schlüssel und ich erfahre eine
Neuigkeit). Wenn allerdings jemand Anerkennung findet, so geht die Handlung des
Anerkennens nicht von ihm aus, sondern wirkt auf ihn ein. "Es liegt somit die
Vorgangsrichtung des Passivs vor" (cf. Kolb 1965/66:174). Der Unterschied zwischen den
FVG und dem normalen Passivausdruck liegt lediglich im zweiten Teil des Konstrukts, der
beim normalen Passiv ein Partizip II sein muss, während das FV ein Nomen actionis fordert.
Der Gebrauch dieser passivischen Funktionsverbgefüge tritt vor allem in wissenschaftlichen
Texten zum Vorschein, in denen zum einen häufig Kräfte auf ein Subjekt einwirken und zum
anderen die Begrifflichkeit, die Nominalisierung also, ein wesentliches Merkmal der
Fachsprache darstellt.
Bei einer semantischen Analyse der Leistungen und Funktionen sollte demnach nicht
nur die Fähigkeit zur Aktionsartdifferenzierung berücksichtigt werden, sondern auch das
Merkmal der FVG als Ersatzform eines gewöhnlichen Passivausdrucks.
Eine letzte semantische Leistung, die unter diesem Kapitel noch genannt werden sollte,
ist die der Vergröerung des Funktionsbereiches durch die "Inhaltsentleerung der Verben"
(cf. Stötzel 1965:23). Diese sind als FV wie bringen, kommen, finden, tun, geben, etc. in der
Lage, sich mit einer viel gröeren Anzahl von Substantiven zu verbinden als die inhaltlich
eindeutigeren Vollverben, die bestimmten semantischen Restriktionen bezüglich der
obligatorischen Argumente unterliegen.
Diese freie Verbindbarkeit, die als sprachökonomischer Vorgang im Verbalbereich zu
verstehen ist (vgl. Günther / Pape 1976; Dyhr 1981), wirkt sich allerdings nicht nur auf den
Bereich der Semantik aus, sondern auch auf den der Syntax, da sie auch auf die Valenz des
Funktionsverbs und des Funktionsverbgefüges im Ganzen Einfluss nimmt.
3.3. Syntax
Es ist bereits bei der Beschreibung der syntaktischen Merkmale gesagt worden, dass der
Hauptvalenzträger im FVG das Nomen bzw. das zugrunde liegende Basisverb ist. Das stimmt
zunächst einmal sicherlich für die semantische Valenz, wenn man bedenkt, dass die
Hauptbedeutung des Gefüges vom Nomen actionis ausgeht. Bezüglich der syntaktischen
Fügungspotenz muss allerdings berücksichtigt werden, dass der Stellenplan des Satzes
eigentlich vom Funktionsverb festgelegt wird (cf. Abramov 1978:3; Sommerfeldt 1980). Es
können nur die Ergänzungen auftreten, die auch in der Valenz des Funktionsverbs enthalten
sind. Die Unterschiede ergeben sich aber hinsichtlich des Status der Leerstellen, ob sie also
im FVG obligatorisch oder fakultativ gebraucht werden. Das hat vor allem damit etwas zu
tun, dass eine syntaktische Leerstelle bereits vom Nomen actionis besetzt wird, dem
allerdings auf der semantischen Ebene kein Argument entspricht. Es herrscht demzufolge
keine 1:1 Beziehung zwischen der syntaktischen Oberflächenstruktur und der semantischen
Tiefenstruktur (vgl. Lehmann 1983). Anhand eines Beispiels soll diese Relation einmal vor
Augen geführt werden. In dem Satz Das Thema steht zur Diskussion stellt das Thema
syntaktisch gesehen das Subjekt oder die Nominativergänzung dar und semantisch das
Patiens. Der Präpositionalausdruck zur Diskussion dagegen besetzt zwar eine obligatorische
Leerstelle (der Satz wäre ohne die Ergänzung grammatisch falsch), aber weist keine
semantische Relation des Typs Agens, Patiens, Adressat, etc. auf.
Diese Tatsache ermöglicht es dem FVG, zum einen semantische Argumente zu
reduzieren und damit konkrete zu spezifizieren, und zum anderen auch die syntaktische
Valenz zu verändern, denn wichtige Ergänzungen können zum Beispiel in die
Subjektposition rücken und somit besonders thematisiert werden. Statt zu sagen Man muss
das Thema diskutieren heit es Das Thema steht zur Diskussion.6
Die "Entpersönlichung" (cf. Yuan 1982:8) in diesen Konstruktionen ist unschwer zu
erkennen: die Sache bzw. der Vorgang tritt in den Vordergrund, indem sie von ihrer Funktion
als Objektergänzung zu der des Subjekts übergeht. Dabei wird der Stellenplan des Verbs um
eine Leerstelle reduziert, was vor allem für bestimmte Textsorten von groer Wichtigkeit ist,
in denen die Thematisierung von Begriffen, die Versachlichung der Sprache also, ein
typisches Charakteristikum ist.
3.4. Textlinguistik
Zahlreiche Corpus-Sammlungen einzelner Sprachwissenschaftler innerhalb der letzten
dreißig Jahren haben bewiesen, dass Funktionsverbgefüge gerne in der "Gebrauchsprosa" (cf.
von Polenz 1963:11), vor allem in offiziellen Erklärungen, in der Presse und in Fachtexten
(akademische, amtssprachliche und technische Textsorten) gebraucht werden, also in genau
den Texten, die "durch Funktionalität geprägt sind" (cf. Götze 1973:58). Das ist für die
Textlinguistik natürlich ein sehr wichtiger Befund, da die Funktionsverbgefüge genauso wie
verschachtelte Satzgefüge, komplizierte Partizipialkonstruktionen oder einfach nur bestimmte
Anredeformeln als typische Merkmale bestimmter Textsorten analysiert werden.
Den bisher angesprochenen Leistungen möchte ich als letzte textlinguistische Funktion
die "satzintonatorisch hervorgehobene Endstellung des inhalttragenden Substantivs" (cf.
Daniels 1963:93) im Aussagesatz hinzufügen. Es ist von der Thema-Rhema-Struktur her
bekannt, dass wichtige Satzglieder bzw. die vom Sprecher für wichtig gehaltenen und
demnach auch besonders betonten Satzglieder dazu tendieren, so weit rechts wie möglich,
also hinten im Satz, zu stehen. Durch die charakteristische Struktur der FVG, die an ein
trennbares Verb erinnert, gelingt es dem Sprecher oder Schreiber, das Rhema zu betonen,
ohne dafür auf umständliche oder der normalen Satzfolge entgegenlaufenden Anordnungen
der Satzglieder zurückgreifen zu müssen. Wie das folgende Beispiel Morgen bringt er
endlich im Betriebsrat seine Besorgnisse zum Ausdruck veranschaulicht, können zwischen
das Funktionsverb und das dazugehörige Substantiv mehrere Ergänzungen oder Angaben
treten. Die Hauptintonation liegt weiterhin auf dem Nomen actionis, das im Hauptsatz immer
am Ende steht, und im Gliedsatz dementsprechend unmittelbar vor dem Finitum.
4. FAZIT
Wie bereits die anzweifelnde Fragestellung im Titel dieser Arbeit angezeigt hat, sollte
anhand meines Beitrages gezeigt werden, dass Funktionsverbgefüge durchaus mehr als nur
stilistische Varianten eines einfachen Prädikats, eines Vollverbs, darstellen und deshalb als
"Teilsystem
im
Zwischenbereich
zwischen
Syntax,
Semantik,
Wortbildung
und
Phraseologie" (cf. von Polenz 1987:169) einzuordnen sind. Sowohl die semantischen und
syntaktischen Merkmale als auch die im Anschluss daran aufgezeigten Leistungen der FVG
haben das, denke ich, bewiesen.
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6. ANMERKUNGEN
1. Der Begriff wurde zum ersten Mal 1968 von Bernhard Engelen geprägt.
2. Die konkreten bibliographischen Angaben können der Literaturliste entnommen werden.
3. Ich folge in meinen Ausführungen den von Helbig (1979) und Helbig / Buscha (1994) aufgestellten
Charakteristika zum Wesen der Funktionsverbgefüge.
4. Bei kausativen Gefügen wird die Valenz des dem Nomen actionis zugrunde liegenden Verbs um eine
Stelle erhöht, wie z. B. bei abschließen (die Rede schließt mit diesen Worten ab) und dem
entsprechenden Funktionsverbgefüge zum Abschluss bringen (er brachte seine Rede mit diesen Worten
zum Abschluss).
5. Bezüglich dieses Kriteriums können eine Reihe von Ausnahmen angeführt werden, die diesen Punkt in
seinem Geltungsbereich erheblich einschränkt. Helbig / Buscha (1994:95) unterscheiden deshalb
zwischen lexikalisierten und nicht-lexikalisierten FVG und beschränken dieses letzte Kriterium auf die
erste Gruppe (meist mit Präposition).
6. Die Umkehrung dieses Verfahrens ist natürlich auch möglich, wie anhand der kausativen
Funktionsverbgefüge, bei denen die Valenz um eine Stelle erhöht wird, deutlich wird.
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