Gryphius

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Aus: Gryphius, Leo Armenius:
Die Erste Abhandelung
Reyen der Höfflinge
Satz
4
Recl. S.29
Das Wunder der Natur / das überweise Thier
Hat nichts das seiner zungen sey zugleichen
510
Ein wildes Vieh' entdeckt mit stummen zeichen
Deß innern hertzens sinn; mit worten herrschen wir!
Der Türme Last / vnd was das Land beschwert.
Der Schiffe baw' / vnd was die See durchfährt /
Der Sternen grosse krafft /
515
Was Lufft vnd flamme schafft /
Was Chloris läst in jhren gärtten schawen /
Was das gesetzte Recht von allen V8ldiern wil.
[17] Was Gott der well lies von sich selbst vertrawen;
Was in der blühe steht was durch die zeit verfiel
Wird durch diß werckzeug nur entdecket.
Freundschafft / die todt vnd ende schrecket /
Die Macht / die wildes Volck zu Sitten hat gezwungen /
Deß Menschen leben selbst; beruht auf seiner zungen.
Gegensatz.
Doch / nichts ist das so scharf f / als eine zunge sey!
525
Nichts das so tief vns arme stürtzen könne.
O daß der Himmel stumm zu werden gönne!
Dem / der mit worten frech; mit reden / viel zu frey;
Der Städte grauß / das Leichen volle feldt /
Der schiffe brandt / das Meer durch blutt verstellt.
530
Die Schwartze Zauberkunst /
Die macht durch gifft /den Parcen vorzukommen:
Der Völcker grimmer haß / der vngehewre Krieg.
Der zanck der Kirch' vnd Seelen eingenommen /
535
Der Tugend vntergang / der grimmen Laster sieg /
Ist durch der zungen macht gebohren:
Durch welche Lieb vnd trew verlohren.
Wie manchen hat die Zung' in seine grufft gedrungen!
Deß Menschen Todt beruht auff jedes Menschen zungen.
540
Zusatz.
Lernt / die jhr lebt / den zaum in ewre Lippen legen!
In welchen heil vnd schaden wohnet /
Vnd was verdammt / vnd was belohnet.
Wer nutz durch wortte sucht / sol jedes wort erwegen.
Die Zung ist dieses Schwerdt 545
So schützet vnd verletzt.
Die flamme so verzehrt
Vnd eben wol ergetzt.
Ein Hammer welcher bawt vnd bricht /
Ein Rosenzweig / der reucht vnd sticht /
550
Ein strom der träncket vnd erträncket:
[18] Die Artzney welch' erquickt vnd kräncket.
Die bahn: auf der es offt gefehlet vnd gelungen.
Dein Leben / Mensch / vnd todt hält stäts auf deiner Zungen.
Zu Vers 524
Vgl. Sprüche 18, 21: Tod und Leben stehen in der Zunge Gewalt; wer sie liebt, wird
ihre Frucht essen.
Schiller über die Arbeit an Wallenstein AN GOETHE, am 2. OKTOBER 1797, (zitiert nach NA 29,
Nr. 143, S.141)
...das Ganze ist poetisch organisiert und ich darf wohl sagen, der Stoff ist in eine reine
tragische Fabel verwandelt. Der Moment der Handlung ist so prägnant, daß alles was zur
Vollständigkeit derselben gehört, natürlich ja in gewißem Sinn nothwendig darinn liegt,
daraus hervor geht. Es bleibt nichts blindes darinn, nach allen Seiten ist es geöfnet. Zugleich
gelang es mir, die Handlung gleich von Anfang in eine solche Praecipitation (Hervorhebung
von mir F.H.) und Neigung zu bringen, daß sie in steetiger und beschleunigter Bewegung zu
ihrem Ende eilt. Da der Hauptcharacter eigentlich retardierend ist, so thun die Umstände
eigentlich alles zur Crise und dieß wird, wie ich denke, den tragischen Eindruck sehr erhöhen.
Ich habe mich dieser Tage viel damit beschäftigt, einen Stoff zur Tragödie aufzufinden, der
von der Art des Oedipus Rex wäre und dem Dichter die nehmlichen Vortheile verschaffte.
Diese Vortheile sind unermeßlich, wenn ich auch nur des einzigen erwähne, daß man die
zusammengesetzteste Handlung, welche der Tragischen Form ganz widerstrebt, dabey zum
Grunde legen kann, indem diese Handlung ja schon geschehen ist, und mithin ganz jenseits
der Tragödie fällt. Dazu kommt, daß das Geschehene, als unabänderlich, seiner Natur nach
viel fürchterlicher ist, und die Furcht daß etwas g e s c h e h e n s e y n möchte, das Gemüth
ganz anders affiziert, als die Furcht, daß etwas geschehen möchte.
Der Oedipus ist gleichsam nur eine tragische Analysis. Alles ist schon da, und es wird
nur herausgewickelt. Das kann in der einfachsten Handlung und in einem sehr kleinen
Zeitmoment geschehen, wenn die Begebenheiten auch noch so compliciert und von
Umständen abhängig waren. Wie begünstiget das nicht den Poeten.
Heinrich von Kleist
(1777 –1811)
VON DER ÜBERLEGUNG
(Eine Paradoxe)
Man rühmt den Nutzen der Überlegung in alle Himmel; besonders der kaltblütigen und
langwierigen, vor der Tat. Wenn ich ein Spanier, ein Italiener oder ein Franzose wäre: so
möchte es damit sein Bewenden haben. Da ich aber ein Deutscher bin, so denke ich meinem
Sohn einst, besonders wenn er sich zum Soldaten bestimmen sollte, folgende Rede zu halten.
„Die Überlegung, wisse, findet ihren Zeitpunkt weit schicklicher nach, als vor der Tat. Wenn
sie vorher, oder in dem Augenblick der Entscheidung selbst, ins Spiel tritt: so scheint sie nur
die zum Handeln nötige Kraft, die aus dem herrlichen Gefühl quillt, zu verwirren, zu hemmen
und zu unterdrücken; dagegen sich nachher, wenn die Handlung abgetan ist, der Gebrauch
von ihr machen läßt, zu welchem sie dem Menschen eigentlich gegeben ist, nämlich sich
dessen, was in dem Verfahren fehlerhaft und gebrechlich war, bewußt zu werden, und das
Gefühl für andere künftige Fälle zu regulieren. Das Leben selbst ist ein Kampf mit dem
Schicksal; und es verhält sich auch mit dem Handeln wie mit dem Ringen. Der Athlet kann, in
dem Augenblick, da er seinen Gegner umfaßt hält, schlechthin nach keiner anderen Rücksicht,
als nach bloßen augenblicklichen Eingebungen verfahren; und derjenige, der berechnen
wollte, welche Muskeln er anstrengen, und welche Glieder er in Bewegung setzen soll, um zu
überwinden, würde unfehlbar den kürzeren ziehen, und unterliegen. Aber nachher, wenn er
gesiegt hat oder am Boden liegt, mag es zweckmäßig und an seinem Ort sein, zu überlegen,
durch welchen Druck er seinen Gegner niederwarf, oder welch ein Bein er ihm hätte stellen
sollen, um sich aufrecht zu erhalten. Wer das Leben nicht, wie ein solcher Ringer, umfaßt
hält, und tausendgliedrig, nach allen Windungen des Kampfs, nach allen Widerständen,
Drücken, Ausweichungen und Reaktionen, empfindet und spürt: der wird, was er will, in
keinem Gespräch, durchsetzen; viel weniger in einer Schlacht.
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