U N G A R N – J A H R B U C H Zeitschrift für interdisziplinäre Hungarologie Herausgegeben von ZSOLT K. LENGYEL In Verbindung mit Gabriel ADRIÁNYI (Bonn), Joachim BAHLCKE (Stuttgart) Gyula BORBÁNDI (Budapest), János BUZA (Budapest) Holger FISCHER (Hamburg), Lajos GECSÉNYI (Budapest) Horst GLASSL (München), Ralf Thomas GÖLLNER (Regensburg) Tuomo LAHDELMA (Jyväskylä), István MONOK (Budapest) Joachim von PUTTKAMER (Jena), Harald ROTH (Potsdam) Andrea SEIDLER (Wien), Gábor UJVÁRY (Budapest) András VIZKELETY (Budapest) Band 31 Jahrgang 2011–2013 Verlag Ungarisches Institut Regensburg 2014 Ungarn–Jahrbuch Zeitschrift für interdisziplinäre Hungarologie Redaktion Zsolt K. Lengyel mit Krisztina Busa, Ralf Thomas Göllner, Mihai Márton, Adalbert Toth Der Druck wurde vom ungarischen Nationalen Kulturfonds (Nemzeti Kulturális Alap, Budapest) gefördert Redaktion, Verlag: Ungarisches Institut an der Universität Regensburg, Landshuter Straße 4, D-93047 Regensburg, Telefon: [0049] (0941) 943 5440, Telefax: [0049] (0941) 943 5441, [email protected], http://www.ungarisches-institut.de. Beiträge: Die Autorinnen und Autoren werden gebeten, ihre Texte weitzeilig und ohne Formatierungen zu setzen und mit den eventuellen Beilagen sowohl im Papierausdruck als auch elektronisch einzusenden. Publikationsangebote, welche die Kriterien einer Erstveröffentlichung erfüllen, sind willkommen. Für unverlangt zugegangene Schriften und Rezensionsexemplare wird keinerlei Gewähr übernommen. Die zur Veröffentlichung angenommenen Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber und Redaktion wieder. Für ihren Inhalt sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Größere Kürzungen und Bearbeitungen der Texte erfolgen nach Absprache mit den Autorinnen und Autoren. Bezugsbedingungen: Der umsatzsteuerfreie Jahresabonnementpreis ist der jeweilige Bandpreis (z. Zt. EUR 45,–/SFr 100,–), zuzüglich Porto- und Versandkosten. Ein Abonnement verlängert sich, wenn es nicht drei Monate vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag gekündigt wird. Bestellungen zur Fortsetzung oder von früheren Jahrgängen nehmen der Buchhandel oder der Verlag entgegen. Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar © Ungarisches Institut München e. V. 2014 Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen Satz: Ungarisches Institut an der Universität Regensburg Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978–3–929906–67–7 (Buchnummer) · ISSN 0082–755X (Zeitschriftennummer) ZOLTÁN PÉTER BAGI, SZEGED Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen, die Reichstage und die Türkensteuer während des Langen Türkenkrieges In einer 1595 veröffentlichten Predigt schrieb der Wittenberger Theologieprofessor Georg Mylius Folgendes nieder: »Thuet der türck einen einfall, so wird man es gmeinglich dann erst gewahr, wann er schon etliche meil wegs weit und breit gestreifet und gebrennet […]. Wann dann nun mehr ein starcker schade geschehen ist und es möchte bald das Wasser uber die körbe gehn, so schreiben wir erst reichstäg, kreistäg, landtäg und stettäge aus, unnd wann man zuhauffe kommet, tretten wir erst zusammen in die rathstuben zu deliberieren unnd rath schlagen.« 1 Jene Institutionen des Heiligen Römischen Reiches – Reichstag und Kreistag –, die dem Außenstehenden ungeschmeidig und umständlich vorgekommen sein mögen, sind zwar vom Prediger ziemlich ironisch und spöttisch behandelt worden, aber der Kaiser seinerseits war auf die Unterstützung der Reichsstände im Interesse des erfolgreichen Kampfes gegen die Osmanen angewiesen. Durch die Gefahr eines Vorstoßes des Osmanischen Reiches und den daraus resultierenden finanziellen und militärischen Anstrengungen zu dessen Abwehr war das Reich nach 1576 dazu gezwungen, in immer größerem Maße am Ausbau der Verteidigung Ungarns teilzunehmen. Auf dem in diesem Jahr abgehaltenen Reichstag wurde die Türkenfrage zum ersten und wichtigsten Punkt der kaiserlichen Proposition.2 Nötig wurde dies für den Kaiserhof allein schon deshalb, da die Einkünfte der österreichischen Erbländer und der Königreiche Ungarn und Böhmen seit den 1560er Jahren für die Finanzierung des Grenzgebiets nicht mehr genügten. 3 1 2 3 Zitiert von Winfried Schulze: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung. München 1978, 191-192. Schulze 77-80; Géza Pálffy: A török elleni védelmi rendszer szervezetének története a kezdetektől a 18. század elejéig. In: Történelmi Szemle 2-3 (1996) 163-219, hier 192-195; Peter Rauscher: Kaiser und Reich. Die Reichstürkenhilfe von Ferdinand I. bis zum Beginn des »Langen Türkenkriegs« (1548-1593). In: Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert. Hgg. Friedrich Edelmayer [u. a.]. München 2003, 43-83, hier 45-46; Thomas Winkelbauer: Österreichische Geschichte 1522-1699. Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. I. Wien 2003, 512. Zu den Einkünften Ungarns im 16. Jahrhundert Bálint Hóman – Gyula Szekfű: Magyar történet. III. Budapest 1935, 134, 137; Pálffy: A török elleni védelmi rendszer, 193; Ders.: Der Preis für die Verteidigung der Habsburgermonarchie. Die Kosten der Türkenabwehr in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Finanzen und Herrschaft 20-44, hier 30-31; 120 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) Im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts war die kaiserliche Kriegsleitung wegen des ausgebrochenen Langen Türkenkrieges (1593-1606) vor neue Herausforderungen gestellt und musste die bisherige defensive Strategie überdenken. Bereits zur Mitte des 16. Jahrhunderts wurde der Hofkriegsrat durch die sich entfaltende Revolution im Heereswesen, das heißt, durch die Verbreitung von Handfeuerwaffen, das Überangebot an Söldnern im Heiligen Römischen Reich und die im Kampf gegen das Osmanische Reich bereits angesammelten Erfahrungen dazu veranlasst, einen offenen Krieg als Reaktion auf einen osmanischen Angriff mit Aussicht auf Erfolg aufzunehmen.4 Karl von Mansfeld, Giorgio Basta, Adolf von Schwarzenberg und Philippe-Emmanuel Mercoeur sind jene herausragenden Namen von Heerführern, die zu dieser Zeit vom Hofkriegsrat bestallt wurden und bereits in mehreren Kriegen – wie in Frankreich und den Niederlanden – gekämpft hatten. Außerdem wurden auch die kriegserfahrenen wallonischen und französischen Truppen neben den deutschen, ungarischen und böhmischen Einheiten unter Sold genommen. Der Unterhalt dieser einige zehntausend Mann starken kaiserlichen Feldarmee stellte den Kaiserhof, neben der Besoldung der Grenzsoldaten, vor gewaltige Probleme.5 4 5 István Kenyeres: Die Finanzen des Königreichs Ungarn in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Finanzen und Herrschaft 84-122. Michael Roberts: The Military Revolution 1560-1660. Belfast 1956; Geoffrey Parker: The Military Revolution. Military Innovation and the Rise of the West 1500-1800. Cambridge 1988; József Kelenik: A hadügyi forradalom és hatása Magyarországon a tizenötéves háború időszakában. Tények és megjegyzések a császári-királyi sereg valós katonai értékéről. In: Hadtörténelmi Közlemények 103 (1990) 3, 85-95; Ders.: A kézi lőfegyverek jelentősége a hadügyi forradalom kibontakozásában. A császári-királyi hadsereg fegyverzetének jellege Magyarországon a tizenötéves háború éveiben. In: Hadtörténelmi Közlemények 104 (1991) 3, 80-122; Ders.: A kézi lőfegyverek jelentősége a hadügyi forradalom kibontakozásában. A magyar egységek fegyverzete a tizenötéves háború időszakában In: Hadtörténelmi Közlemények 104 (1991) 4, 3-52; Ders.: The Military Revolution in Hungary. In: Ottomans, Hungarians and Habsburgs in Central Europa: The Military Confines in the Era of the Ottoman Conquest. Hgg. Géza Dávid, Pál Fodor. Leiden 2000, 117-159; György Domokos: Egy itáliai várfundáló mester Magyarországon a XVI. század második felében. Ottavio Baldigara élete és tevékenysége In: Hadtörténelmi Közlemények 111 (1998) 4, 767867. Alfred H. Loebl.: Zur Geschichte des Türkenkrieges von 1593-1606. I: Vorgeschichte. Prag 1899; Johannes Müller: Der Anteil der schwäbischen Kreistruppen an dem Türkenkrieg Kaiser Rudolfs II. von 1595 bis 1597. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 28 (1901) 155-262; Ders.: Zacharias Geizkofler 1560-1607. Des Heiligen Römischen Reiches Pfennigmeister und Obrister Proviantmeister im Königreich Ungarn. Baden bei Wien 1938; Eugen Heischmann: Die Anfänge des stehenden Heeres in Österreich. Wien 1925; Jan Paul Niederkorn: Die europäischen Mächte und der „Lange Türkenkrieg“ Kaiser Rudolfs II. (1593-1606). Wien 1993; Pálffy: Der Preis, 26-27; Zoltán Péter Bagi: A Német-Római Birodalom és a Magyar Királyság kapcsolatai a XVI-XVII. század fordulóján. Különös tekintettel a birodalmi gyűlésekre és a császári-királyi haderő szervezetére a tizenöt éves háború időszakában. Budapest 2005, 164-234 [Dissertation]. Z. P. Bagi: Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen 121 Der kaiserliche Hof versuchte im Verlauf des Langen Türkenkrieges jede mögliche Einkommensquelle zur Deckung der Kriegskosten zu mobilisieren und auszunutzen. Kaiser Rudolf II. rief daher im Zeitraum von 1593 bis 1606 dreimal bei den Reichständen um Unterstützung an. Nachfolgend wird aufgezeigt, wie der Vorstoß des Osmanischen Reiches und der Kampf gegen die Türken in den einleitenden Teilen der Propositionen geschildert wurden. Proposition und Türkenbild Drei wesentliche Faktoren bestimmten in diesem Zeitraum die Arbeit der Reichstage. Zum einen schwanden kontinuierlich Macht und Einflussmöglichkeit des Kaisers, weiterhin prägte die sich im ersten Drittel des Jahrhunderts entfaltende Reformation die Arbeit und die Wirkungsweise der Reichsinstitution und zum dritten stellte die zu eben dieser Zeit auftauchende und immer größer werdende Bedrohung durch das Osmanische Reich ein Problem dar. Im Hinblick auf diese Konstellation wird die problematische Stellung des Kaisers deutlich: Einerseits war ihm ex officio die Pflicht auferlegt, das Reich vor jeglichen äußeren Angriffen zu verteidigen, andererseits verfügte der Herrscher jedoch nicht über die nötigen Steuern, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Nach der Wahlkapitulation konnte der Kaiser nur bei einer direkten Bedrohung des Reichsgebietes durch einen äußeren Angriff mit der freiwilligen Hilfe der Reichsstände rechnen. Das kam jedoch nur in außergewöhnlichen Fällen vor, so bei der Belagerung von Wien (1529) und zur Zeit des Feldzugs von Süleyman I. (1520-1566) im Jahre 1532 – wenngleich dieser nicht bis vor die Tore der Stadt getragen wurde. Zwar bot die Wahlkapitulation die Hilfe gegen das Osmanische Reich im Allgemeinen an, es fehlte jedoch an eindeutigen rechtlichen Bestimmungen für die konkrete Verwirklichung. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nahmen jedoch auch die Reichsstände, wie erwähnt, immer stärker am Ausbau und an der Finanzierung des ungarischen, kroatischen und slawonischen Grenzgebiets teil.6 Es gab zwei mögliche Formen der Unterstützung: einerseits den Gemeinen Pfennig,7 andererseits den Römermonat oder Romzug. 8 6 7 8 Schulze 69-85. Der Gemeine Pfennig war eine Kombination aus Kopf- und Vermögenssteuer. Zu seiner Geschichte Heischmann 64; Leopold Koller: Studien zur Reichskriegsverfassung des Heiligen Römischen Reiches in der Neuzeit. Wien 1990, 316-325 [Dissertation]; Hermann Wiesflecker: Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches. München 1991, 264-265; Winkelbauer 509; Bagi: A Német-Római Birodalom, 15. Der Reichstag hatte im Jahre 1521 eine Reichsmatrikel mit dem Inhalt erstellt, die Truppenkontingente festzulegen, die jeder Reichsstand für den Zug Karls V. zur geplanten 122 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) Der Kaiser hatte aber auch eigene Möglichkeiten, die Unterstützung der Reichsstände zu erlangen. So konnte sich der Kaiserhof auf noch aus dem Mittelalter überkommene Rechte berufen, welche die Arbeit des Reichstages wesentlich beeinflussten, wie die Ausschreibung des Reichstages, die Bestimmung von Ort und Zeit, die Zusammenstellung der Proposition und einschlägiger Beilagen, die Festlegung der Tagesordnung und die Veröffentlichung der Beschlüsse.9 Suchen wir nach Unterstützern der kaiserlichen Politik auf Seiten der Reichsstände, so können wir diese beispielsweise im lutherischen Kurfürsten von Sachsen,10 im Herzog von Bayern11 oder im Erzbischof von Salzburg12 finden. Obwohl die Unterstützung des Kaisers im Laufe des 16. Jahrhunderts an das Glaubensbekenntnis der jeweiligen Landesherren geknüpft war, spielte auch die geographische Lage eines Herrschaftsgebietes eine wichtige Rolle, fühlten sich doch die Landesherrn in den östlichen Regionen des Heiligen Römischen Reiches durch die Eroberungen der Osmanen unmittelbar bedroht. Rudolf II. (1576-1612) hat die Reichsstände in seiner Regierungszeit nur viermal einberufen, da er in erster Linie auf die Unterstützung seiner Erbländer und der Kreistage zählte. Dieser Umstand erklärt sich dadurch, dass er den drängenden, aber nur schwer lösbaren Fragen, wie jene nach dem Religionsfrieden, der Freistellung, der Ungültigkeitserklärung der Mehrheitsbeschlüsse bei der Bewilligung der Türkenhilfe und der Libertät ausweichen wollte, die vorwiegend von den protestantischen Ständen herangetragen wurden. Die Reichshilfe wurde damit nur in Zeiten wirklich großer Gefahren in Anspruch genommen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Ausschreibungen der Reichstage durch Rudolf II. mit der kon- 9 10 11 12 Kaiserkrönung nach Rom aufstellen sollte. Ein Römermonat hatte nach der Wormser Matrikel eine Truppenstärke von 4.000 Reitern und 20.000 Landsknechten, die rein rechnerisch insgesamt 128.000 fl. pro Monat an Sold kosteten. Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurde dieser durch verschiedene Moderationen allerdings abgeändert und vermindert. Nach 1606 betrug ein Römermonat im Durchschnitt nur noch 57.338 fl. (vgl. Maximilian Lanzinner: Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. [1564-1576]. Göttingen 1993, 399; Peter Claus Hartmann: Der Bayerische Reichskreis [1500 bis 1803]. Strukturen, Geschichte und Bedeutung im Rahmen der Kreisverfassung und der allgemeinen institutionellen Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches. Berlin 1997, 58; Johannes Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517-1617. Stuttgart 2002, 194; Rauscher 55; Bagi: A Német-Római Birodalom, 15-17). Schulze 83; Rosemarie Aulinger: Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Göttingen 1980, 207. Schulze 133-134; Niederkorn 52. Felix Stieve: Die Politik Bayerns 1591-1607. 1. und 2. Hälfte. Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher. Hg. Historische Kommission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften. IV-V. München 1878-1883. Josef Karl Mayr: Die Türkenpolitik Erzbischof Wolf Dietrichs von Salzburg. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 52 (1912) 181-244. Z. P. Bagi: Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen 123 kreten Bedrohung und dem Vorstoß durch das Osmanische Reich zeitlich eng zusammenfielen.13 Diese Reichspolitik und die stark begrenzte kaiserliche Macht erforderten jedoch in gleicher Weise, dass der kaiserliche Hof bei der Zusammenstellung der Reichstagsproposition nicht nur seine eigene finanzielle Lage, sondern auch den Willen und die Absichten der Stände in Betracht zog. Daneben war der Herrscher stets bemüht, den Anwesenden die Bedrohung durch den Vormarsch des Osmanischen Reiches, das heißt, die bedrohliche Lage für das ganze Heilige Römische Reich vor Augen zu halten. Diese propagandistischen Elemente waren im einleitenden Teil der Proposition enthalten. Bei jedem einzelnen Schriftstück fällt auf, wie Karl Vocelka bereits festhielt, dass dort ausschließlich die negativen Seiten, also Niederlagen, Verluste und die Treulosigkeit der Türken hervorgehoben wurden.14 Im Folgenden werden jene Punkte der drei während des Langen Türkenkrieges abgehaltenen Reichstage untersucht, in denen die Versammelten von der Notwendigkeit der Türkenhilfe überzeugt werden mussten. »Thuet der Turgg in Zeit der Friedtstandt Ye sovil, wo nit mehr, als bey offenem Krieg schaden«15 – Die Proposition von 1594 Der Kaiser sah sich zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs mit einer schwierigen finanziellen16 und innenpolitischen17 Lage konfrontiert. Nach dem 13 14 15 16 17 Karl Vocelka: Die politische Propaganda Kaiser Rudolfs II. (1576-1612). Wien 1981, 146-147. Im 16. Jahrhundert galten die Osmanen der christlichen Welt als treulos, weil sie Verträge missachteten (vgl. Schulze 54; Vocelka 149). Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien. Mainzer Erzkanzler Archiv, Reichstagsakten [im Folgenden: HHStA MEA RA]. Fasc. 91, Fol. 28r. Im Jahre 1564 machten die Schulden des Kaiserhofes 2,9 Million fl. aus. Diese Summe war bereits 1577 auf 10,7 Million fl. gestiegen. Zu Beginn des Langen Türkenkrieges 1593 war der Kaiserhof an den Rand des Bankrotts geraten. Hinzu kam, dass der letzte Zahltermin der Türkenhilfe im Herbst 1587 bereits vergangen war, der noch vom Reichstag des Jahres 1582 bewilligt wurde (vgl. Schulze 88; Lanzinner: Friedenssicherung, 178; Pálffy: Der Preis, 34). Für den Kaiser gestaltete sich die innenpolitische Lage des Reiches am Anfang der 1590er Jahre außerordentlich kompliziert. Nach dem letzten Reichstag 1582 flammten die konfessionellen Auseinandersetzungen wieder auf. Im gleichen Jahr war der Magdeburger Sessionsstreit ausgebrochen, und die Städte hatten sich drei Jahre lang geweigert, die Türkenhilfe in der bewilligten Höhe zu bezahlen, weil sie eine Änderung der kaiserlichen Politik gegenüber der Stadt Aachen erzwingen wollten. Hinzu kam, dass sich die lutheranisch-kalvinistische Auseinandersetzung kurzzeitig zu konsolidieren schien. 1591 beschlossen die Führer der sich wegen der zweiten Reformation bekämpfenden protestantischen Parteien auf dem Tag von Torgau, dem französischen König Heinrich IV. gegen das spanische Königreich Hilfe zu leisten. Die sich abzeichnende Einheit zerbrach aber, als die vertragschließenden Parteien im gleichen und im folgenden Jahr starben (vgl. Stieve V, 372-377; Schulze 89-90; Heinrich Lutz: Das Ringen um deutsche Einheit 124 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) Ausbruch des Krieges, insbesondere nach der Schlacht von Sissek (Sisak) am 22. Juni 1593 konnte Rudolf II. die Ausschreibung eines neuen Reichstages nicht mehr verzögern, da dem Hof durch die stetig steigenden Kosten der finanzielle Bankrott drohte. Am 25. August 1593 leitete der Kaiser zusammen mit den Mitgliedern des Geheimen Rates die notwendigen Schritte zur Kriegsvorbereitung ein. Am 2. Juni 1594 wurde vor den Ständen die Proposition verlesen, in welcher Rudolf II. um die Bewilligung zur Aufstellung eines aus 60.000 Soldaten bestehenden Reichsheeres bat. In der 1594 eingereichten kaiserlichen Proposition lässt sich zunächst eine ausführliche Auflistung jener Ursachen finden, die zum Ausbruch des Krieges geführt hatten. In erster Linie versuchten die Verfasser die Treulosigkeit des Osmanischen Reiches herauszustellen und sie mit verschiedenen Beispielen zu belegen. So ist es nicht überraschend, dass der Kriegsausbruch im Schriftstück wie folgt begründet wurde: »Der yezt regierende Turckh Sulthan Anmurathes [Murad III., Z. P. B.], der im negst abgelauffnen Ainundneunzigisten Jahr, mit Ime durch Irer Kay[serlichen] M[ajestä] t zu Constantinapol gewesenen Oratoren vnd Reichshof Rath, doctor Barthlmo Pezzen von newen erhasndelten ratificirten, vnd Irer M[ajestä]t mit daruber verfasten fridtsbrieuen alberait Zuerfertigten Achtjährigen fridtstandt, ganz vnuerstehener vnd vnuerursachter ding schendlicher vnd Barbarischer weis Violiert vnd gebrochen« hat.18 Der osmanische Herrscher ließ nämlich zu, dass seine grenznahen Truppen in das Gebiet der Königreiche von Ungarn und Kroatien einfielen. Unter ihnen tat sich auch der »blutgierige« Beglerbeg von Bosnien, Hassan, hervor, der in Kroatien mehrere Grenzhäuser (beispielsweise Repetic, Vihitic, Dresnik und Hrastovic) »mit Geschuz vnd höreskrafft belagert, beschlussen vnd eingenommen« hatte. Mit der Eroberung von Petrinja fügte er den kroatischen und windischen Ländern einen außergewöhnlichen Schaden zu, da die Osmanen über 35.000 Leute aus diesem Gebiet herausführten.19 Als Reaktion wurde am kaiserlichen Hof eine Auflistung der Streifzüge und Verwüstungen durch osmanische Truppen für den Zeitraum von 1582 – dem Jahr des letzten Reichstages – bis 1593 zusammengestellt, die man den Reichsständen an die Hand gab.20 18 19 20 und kirchliche Erneuerung. Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden. 1490 bis 1648. IV. Frankfurt am Main [u. a.] 1983, 349; Niederkorn 52; Hans-Jürgen Goertz: Deutschland 1500-1648. Eine zertrennte Welt. Paderborn 2004, 208; József Kelenik: Lazarus von Schwendi emlékiratai a török elleni védelmi rendszer magyarországi kiépítéséről [1576]. In: Századok 139 [2005] 975). HHStA MEA RA, Fasc. 91, Fol. 23v.; Bagi: A Német-Római Birodalom, 30. HHStA MEA RA, Fasc. 91, Fol. 24r.; Bagi: A Német-Római Birodalom, 30. HHStA Turcica I, Karton 81, Fol. 223-262; Sándor László Tóth: A mezőkeresztesi csata és a tizenöt éves háború. Szeged 2000, 73-74; Bagi: A Német-Római Birodalom, 35. Z. P. Bagi: Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen 125 Der kaiserliche Orator Friedrich von Krekwitz erhob vergeblich Einspruch bei der Hohen Pforte gegen den schweren Friedensbruch, weil »das entgegen gedachter Hassan Bassa vil mehr von Sultano, wie die Kundschafften geben, anstatt woluerdienter bestraffung, mit Sabeln vnd Klaiden von Guldenen stecken vnd ehret, vnd hiedurch seine Thatten vnd handlungen dermassan confirmiert gestarckt vnd belobt werden«.21 Hinzu kam, dass er gleichermaßen von der Pforte mit berittenen und infanteristischen Truppen für den Feldzug ausgestattet wurde.22 Nach der erlittenen Schlappe von Sissek am 22. Juni 1593 hatte der Sultan auch die osmanische Hauptarmee in Bewegung gesetzt, die in jenem Jahr die Grenzfestungen Sissek, Palota und Wesprim (Veszprém) erobern sollte. In der Schrift ist auch erwähnt, dass der kaiserliche Hof Ladislav Lobkowitz von Poppel »biß gehn Comorn auf die frontiern furen lassen, So ist doch dessen vngeachtet der Turgg mit nichten von dem vorhaben abzuwenden gewesen«.23 Die Proposition verschweigt jedoch, dass die Kriegsstimmung an der Pforte schon im Februar 1593 dadurch geschürt worden war, dass das dem Sultan zustehende Geschenk verspätet abgeschickt wurde.24 Das Schicksal des kaiserlichen Orators war schnell besiegelt, wie es der Proposition zu entnehmen ist: Zuerst wurde er unter Hausarrest gesetzt, dann vom Großwesir Sinan in Ketten abgeführt und in Griechisch-Weißenburg (Beograd) in einem Turm eingeschlossen, wo Krekwitz noch im selben Jahre starb.25 In der Schrift wird weiterhin erwähnt, dass die Erfolge der kaiserlichen Waffen (Entsatz von Sissek, Schlacht bei Stuhlweißenburg [Székesfehérvár], Winter- und Frühlingsfeldzug der Jahre 1593/1594) teils durch die finanzielle Abschöpfung der Erbländer, des Königreiches und der Kammergüter, teils »mittels ettlicher Churfursten, fursten und Stendt des Heiligen Römischen Reiches guetherzig dargeraichten eylenden freywilligen Hulffen« verwirklicht werden konnten.26 Trotzdem werde die ganze »Teutsche Nation« ohne weitere Hilfe der anwesenden Stände in höchste Gefahr geraten: »Nun hat sich seithero solche gefahr nit geringert, Sondern ist vilmehr des Vheindts macht vnnd gewalt aller Ortten gestigen, Ja den Nider Östereichen Teutschen Landen also nahend kommen, das Er dieselben Boden in ainem Tag erraichen kan.«27 Mit dem Ziel, die Stände von der Notwendigkeit einer größtmöglichen Unterstützung zu überzeugen, behauptete der 21 22 23 24 25 26 27 HHStA MEA RA, Fasc. 91, Fol. 24r.-v.; Bagi: A Német-Római Birodalom, 30. HHStA MEA RA, Fasc. 91, Fol. 24v. Ebenda, Fol. 25r.; Tóth: A mezőkeresztesi csata, 71. Tóth: A mezőkeresztesi csata, 82-83. HHStA MEA RA, Fasc. 91, Fol. 25v.; Alfred H. Loebl: Der Schlesier Friedrich von Kreckwitz als kaiserlicher Gesandter bei der Hohen Pforte. In: Verein für die Geschichte Schlesiens 18 (1914) 160-173. HHStA MEA RA, Fasc. 91, Fol. 25v.-26r. Ebenda, Fol. 27v. 126 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) kaiserliche Hof, dass »Vezier Sinan Bassa sich vermessen vnd erpieten dörffen, auf sein Vncossten ganz Hungarn vnd Österreich Zu erobern, Vnnd wann Er nur das Thor zum Teutschlandt (die Statt Wienn also nennedt) an sich bringen vnd bewälttigen mocht, bald hernach ain mehrers seinem herrn dem Sultano Zuliefern«.28 Eine solche Darstellung war jedoch mehr als ein einfacher Propagandatrick oder bloße Rhetorik. Den Forschungen von Sándor László Tóth lässt sich entnehmen, dass Großvesir Sinan plante, den Krieg in drei Phasen durchzuführen: Nach der Eroberung des Königreiches Ungarn sollten die Einnahme von Wien und später der Angriff auf die übrigen deutschen Länder folgen.29 In der vor den Ständen verlesenen Proposition wurde betont, dass Ungarn nicht nur als Vormauer der Österreichischen Erbländer und des Heiligen Römischen Reiches, sondern auch als Brotkammer gelte, welche die eben genannten Gebiete mit Vieh, Wein und Getreide versorge. 30 Deswegen bat der Herrscher die Anwesenden, »wider disen Vheindt vil mit leidenlichen ansehenlichen hulffen an gelt vnnd Volck, auch yeweils selbst mit Irer furstlichen vnd anderer furnemmen Personen aigenem Zuezug guetherzig bewilliget vnnd gelaistet« zu vermögen. 31 »Ain Herscher der ganzen welt aufgang der sonnen biß zum nidergang werde« – Die Proposition von 1597 Die Auszahlung der von den Reichsständen 1594 bewilligten Reichshilfe hatte kaum begonnen, als der kaiserliche Hof aufgrund erlittener Niederlagen und Verluste – wie der von Mezőkeresztes (1596) oder den der beiden Schlüsselfestungen Erlau (Eger) und Raab (Győr) – und wegen Geldmangels gezwungen war, eine weitere Türkenhilfe zur Fortsetzung des Krieges zu erbitten. Der Hof versuchte noch vor der Ausschreibung des Reichstages klarzustellen, dass nur die Beratung der Türkenfrage und der damit eng zusammenhängenden Themen bei den Verhandlungen zur Disposition stehen sollten. Die kaiserliche Seite bot deshalb an, innenpolitische Fragen an einem später zu veranstaltenden Deputationstag auf die Tagesordnung zu setzen. Dementsprechend bezog sich die vor den Ständen am 20. Dezember 1597 verlesene Proposition nur auf die Türkenfrage. Der Kaiser bat, wie drei Jahre davor, um die Entrichtung des Gemeinen Pfennigs zur Aufstellung und zur Unterhaltung eines Heeres. Im Falle einer Ablehnung 28 29 30 31 Ebenda, Fol. 27v.-28r. Sándor László Tóth: A mezőkeresztesi csata története (1596. október 26.) In: Hadtörténelmi Közlemények 30 (1983) 4, 553-573. HHStA MEA RA, Fasc. 91, Fol. 29r.-v; Schulze 97. HHStA MEA RA, Fasc. 91, Fol. 30r.-v. Z. P. Bagi: Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen 127 dieser Steuer durch die Stände wollte der Kaiser deren Zustimmung zu einer großzügigen Hilfe in Bezug auf den Romzug gewinnen. In diesem Zusammenhang veränderte sich die Verhandlungsstrategie der kaiserlichen Seite. Zuvor war der Umfang der erwarteten oder erhofften Unterstützung vom Kaiser und seinen Gesandten erst im zweiten Zug der Verhandlungen thematisiert worden, wohingegen im ersten nur die grundsätzliche Bereitschaft der Stände zur Hilfeleistung getestet wurde. Im Dezember 1597 jedoch wurde diejenige Summe, um welche man die versammelten Stände bitten wollte, vom Hof bereits in der Proposition genannt: 150 Römermonate zu fünf Jahren, also 30 Monate pro Jahr. Der kaiserliche Hof brachte dem Mainzer Erzkanzler seine Absicht, einen neuen Reichstag einzuberufen, am 23. August 1597 zur Kenntnis. In diesem Brief spielten bereits diejenigen Elemente der Argumentation eine Rolle, die später auch in der Proposition erscheinen sollten. Die Osmanen könnten nach der Eroberung der zwei Hauptfestungen Raab und Erlau – besonders hervorgehoben wurde die persönliche Beteiligung des Sultans bei der Belagerung dieser Burgen – leicht durch die ungeschützten Länder nach Mähren, Schlesien und Brandenburg bis zum »Teutschen Möhr« vordringen und damit das Reichsterritorium unmittelbar bedrohen.32 In der kaiserlichen Proposition wurde auf die aus dem Brief an den Mainzer Erzkanzler bereits wohlbekannten Ereignisse nur kurz hingewiesen. Die Erfolge der kaiserlichen Truppen – beispielsweise bei der Eroberung von Gran (Esztergom) am 2. September 1595 – wurden in diesem Schriftstück sogar ganz verschwiegen.33 Die kaiserliche Argumentation betrachtete den Verlust der zwei Festungen als Hauptargument, um in diesem Fall den Mangel an Geld und die Erschöpfung der eigenen Erbländer und Königreiche in den Mittelpunkt zu rücken, anstatt die Treulosigkeit der Türken herauszustellen. Die Verfasser dieses Schriftstückes machten deutlich, dass die finanzielle Unterstützung der Reichsstände zur Finanzierung des Krieges nicht ausreichte, obschon Jahr für Jahr Gelder aus dem Reich wie auch aus den Erbländern des Kaisers geflossen waren. Konkret verdeutlichten sie diesen Umstand damit, dass der Hof, neben der Versorgung des ungarischen Grenzverteidigungssystems, »mit vnglaublichen Costen Järlich drey Veldtläger, ains in Ober: das ander Nider Hungern d[a]ß dritt an Ihrer Kay[serlichen] M[ajes]t[ä]t freundtlichen lieben Vettern Erzherzog Ferdinandj zu Österreich vnd in Crabatischen vnd Windischen Landen vnterhaltten« 34 habe und die kaiserliche Administration außerdem auch durch andere Ausgaben belastet worden sei. So hatte Rudolf II. am 28. Ja- 32 33 34 Ebenda, Fasc. 94, Fol. 1r.-2r.; Vocelka 150; Bagi: A Német-Római Birodalom, 46-47. HHStA MEA RA, Fasc. 95.a., Fol. 70v.-71r. Ebenda, Fol. 71r. 128 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) nuar 1595 in Prag mit dem siebenbürgischen Fürsten Sigismund Báthory einen Vertrag geschlossen, 35 woraufhin in der Proposition herausgestellt wurde, dass der Kaiser im Zuge dieser Übereinkunft eine »nit schlechte Anzahl Volcks« als Unterstützung sowohl dem Fürsten von Siebenbürgen als auch dem Woiwoden der Walachei, Michael, geschickt habe. 36 Daneben wurde im Schriftstück betont, dass der Kaiserhof »auß allerley Nationen sich vmb geübts straittbars Kriegsvolck Zu Krieg bemühet, Zu den hohen Ämptern kriegserfahrene Personen erford[er]t vnd gebraucht« hat.37 In den ersten Kriegsjahren hat der Hofkriegsrat die wichtigsten Truppenkontingente bestallt. Aus einem Verzeichnis vom November 1595 geht beispielsweise hervor, dass ein ansehnliches Heer mit 23.330 Mann zu Pferd und 39.915 zu Fuß für beide Kriegsschauplätze, das heißt, für Oberund Niederungarn, aufgestellt worden war, welches von solchen erfahrenen Befehlshabern wie Karl von Mansfeld oder Johann t’Serclaes von Tilly befehligt wurde.38 Wurden in der kaiserlichen Proposition vor allem die anhaltende Bedrohung durch die Osmanen, welche die Reichsstände auch unmittelbar selbst tangierte, und die anhaltenden Kosten für den Kaiserhof betont, so fanden die Stände in einer ersten Replik und im Reichstagsabschied von 1594 durchaus Ansätze für eine Gegenargumentation. Vor allem betonten sie, dass der Kaiser nicht nur sie, sondern auch andere Herrscher um Hilfe zur Türkenabwehr bitten sollte. In der Proposition wurde herausgestellt, dass der Kaiser von einigen diesen »mitleidenlichen nit gering[en] beystandt erlangt« hat.39 So hatte beispielsweise der Heilige Stuhl im Jahre 1595 zur Belagerung von Gran päpstliche Hilfstruppen in einer Größenordnung von insgesamt 12.000 Mann zu Fuß und 1.000 zu Ross geschickt.40 Die kaiserliche Argumentation wies diese ständische Pointierung zurück, indem sie ihrerseits betonte, dass trotz des Beistands der ausländischen Mächte, addiert mit den Einkünften der Erbländer und Königreiche des Kaisers, die 35 36 37 38 39 40 Nicolae Bălcescu: A románok Vitéz Mihály idejében. Bukarest 1963, 23-237; Kálmán Benda: Erdély végzetes asszonya. Báthory Zsigmondné Mária Krisztierna. Budapest 1986; Tóth: A mezőkeresztesi csata, 165-280. In Wirklichkeit unterstützte der Kaiser den siebenbürgischen Fürsten Sigismund Báthory mit etlichen schwachen Truppen. Zum Beispiel schickte er dem Fürsten lediglich 1.200 schlesische Soldaten (Tóth: A mezőkeresztesi csata, 182). HHStA MEA RA, Fasc. 95.a., Fol. 71v. HHStA Hungarica, Allgemeine Akten, Fasc. 128, 1595: Diarium Bellicum N(icolaus) G(abelmann) Folio: 317r.-324v.; Zoltán Péter Bagi: Az 1595-ben Esztergom ostromára rendelt császári hadsereg szervezete és felépítése. In: Hadtörténelmi Közlemények 114 (2001) 2-3, 391-445, hier 398, 410-416; Ders.: A Német-Római Birodalom, 108-110, 144. HHStA MEA RA, Fasc. 95.a., Fol. 71v. Zur Geschichte der päpstlichen Hilfstruppen im Jahr 1595 vgl. Florio Banfi: Gianfrancesco Aldobrandini magyarországi hadivállalatai. In: Hadtörténelmi Közlemények 40 (1939) 1-33; Niederkorn 73-76. Z. P. Bagi: Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen 129 Verteidigung Ungarns und des Reiches nicht sichergestellt werden könne.41 Hinzu kamen die außerordentlichen Belastungen dieser Gebiete durch die Auswirkungen des Bauernaufstandes,42 durch die stets steigenden Kriegsausgaben infolge der Verheerungen durch osmanische sowie tatarische Truppen und durch das Unwesen der kaiserlichen Soldaten.43 Weiterhin wurde die bedrohliche Lage der deutschen Nation und der ganzen Christenheit in jener Darstellung hervorgehoben, nach der mit den Osmanen nicht über Frieden verhandeln werden könne, solange sie die zwei Hauptfestungen Raab und Erlau innehaben.44 Auch das Schreckensszenario einer osmanischen Eroberung wurde den Ständen affektiv ausgemalt, und zwar mit deutlichem Hinweis darauf, wie die Türken in jenen Ländern und Königreichen, die bereits erobert worden waren, die Adligen mit deren Frauen und Kindern vernichtet und deren Habe verheert hätten.45 Die Verfasser der Proposition forderten mit Nachdruck die alte Form der Hilfeleistung von den Ständen. So war auf dem Reichstag zu Speyer im Jahre 1542 beschlossen worden, dass die fünf benachbarten Kreise, also der Fränkische, Schwäbische, Bayerische, Nieder- und Obersächsische Kreis, den österreichischen Erbländern im Falle eines osmanischen Einfalls mit Truppen zu Hilfe eilen sollten. Dies war der Nachzug.46 Dementsprechend wurde in der Schrift von 1597 behauptet, dass der Sultan persönlich ins Feld gerückt sei, um Wien zu belagern. »So ersuchen Ihre Kay[serliche] M[ajes]t[ä]t Churfürsten fürsten vnd Stendt Sy wollen sich mit einer Anzahl geüebter Reutter vnd Knecht, der gestallt, in beraitschaff stellen, daß da es wie abgehört die eüsserste nott erforderte, alßdann auß allen Craissen ohne weittere deren Zusammenbeschraibung vnderhandlung Ihrer Kay[serlichen] M[ajes]t[ä]t auf dero gesinnen vnd erinnerung ain erster starcker nachzug Zum wenigsten Zwölff Tausent wohl bewöhrter Mann Zu fueß vnd vier Taußent Pferdt Zugeschickt auch alle zugleich vor Ende des Monats Juny gemusstert mitainander alßbaldt nach hungarn od[er] Österreich an den Ortt wo sich die gefahrerzaigen wirdet dem Veldt General Zuegeführt vnd daselbst biß Zu Außgang des Monats Novembris von 41 42 43 44 45 46 HHStA MEA RA, Fasc. 95.a., Fol. 71v. Ebenda, Fol. 74r.; Rudolf Brozek: Der niederösterreichische Bauernkrieg 1597. Sankt Pölten 1940; Winkelbauer 48-52. HHStA MEA RA, Fasc. 95.a., Fol. 74r.-v. Am 19. November 1596 arbeitete der Geheime Rat im Einverständnis mit den Räten der Hofkammer und Bartholomäus Pezzen eine neue Proposition aus, nach welcher der Krieg zu diesem Zeitpunkt unmöglich beendet werden konnte, da das Osmanische Reich die beiden Schlüsselfestungen Erlau und Raab besetzt hielt. Zur Fortsetzung des Kampfes hielten die Verfasser der Schrift die Beschaffung einer neuen Türkenhilfe für notwendig (Heischmann 99; Stieve V, 270). HHStA MEA RA, Fasc. 95.a., Fol. 73r.-v.; Schulze 58-60. Schulze 213. 130 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) des Reichs Craissen (ohne kürzung hievor begerter geldthülff) besoldet vnd vnterhaltten werden.«47 Ob es sich in diesem Fall um eine bewusste Falschmeldung oder um eine versehentliche Fehlinformation handelte, ist nicht sicher feststellbar.48 »Wider hochbeteuerten Verspruch, mitt einer grossen anzahl Turcken vnd Tatarn, in Irer May[es]t[ä]t Christliche Landt […] angegriffen«49 – Die Proposition von 1603 Vier Jahre nach dem letzten Reichsabschied brachte der Kaiser in seinem an den Mainzer Erzkanzler geschriebenen Brief vom 2. August 1602 zum Ausdruck, dass er die Stände wegen der stets wachsenden Türkengefahr und anderer Problemstellungen wieder einberufen wolle. Der kaiserliche Hof setzte als Ort wieder Regensburg und als Zeitpunkt den 1. Dezember 1602 an. Den Akten zufolge wurde die aus fünf Punkten zusammengestellte Proposition erst vier Monate später, am 21. März 1603 verlesen. Die Verhandlungen nahmen dennoch erst Mitte April ihren Anfang. Zur Fortsetzung des Krieges wurden die Reichsstände von der kaiserlichen Gesandtschaft entweder um einen Beitrag zur Errichtung beziehungsweise Unterhaltung eines aus 16.000 Knechten und 5.000 Pferden bestehenden Heeres für einen Zeitraum von fünf Jahren oder um die Bewilligung einer gleichwertigen Geldhilfe für fünf Jahre gebeten. Diese Summe entsprach fast 3,2 Millionen Gulden pro Jahr oder mehr als 52 Römermonate. 50 In diesem Fall standen in der kaiserlichen Proposition zwei Aspekte der osmanischen Bedrohung für das Reich im Vordergrund. Als zentrales Argumentationsmotiv wurde die Treulosigkeit der Türken herausgearbeitet. Im Jahre 1603 verstand man am Kaiserhof jedoch etwas anderes unter Treulosigkeit als noch 1594. Im letztgenannten Jahr – also im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Krieges – spielte die Typisierung der Osmanen als Friedensbrecher eine wesentliche Rolle. Neun Jahre später jedoch sollten oder mussten die Verfasser bei der Zusammenstellung dieses Schriftstückes viel stärker auf die Absicht und den Willen der Stände Rücksicht nehmen, bei denen sich zum Teil die Forderung nach einem Friedensschluss erhob. Gleich nach Beginn des Langen Türkenkrieges legte die kaiserliche Seite außerordentlichen Wert darauf, die Möglichkeit des Friedensabschlusses 47 48 49 50 HHStA MEA RA, Fasc. 95.a., Fol. 84r.-v. Von Januar bis Juli des Jahres 1597 sind ähnliche Gerüchte im Umlauf gewesen, wie es auch in der kaiserlichen Proposition zum Ausdruck kam (Gottfried Strangler: Die niederösterreichischen Landtage von 1593-1607. Wien 1973, 207 [Dissertation]; Géza Pálffy: A pápai vár felszabadításának négyszáz éves emlékezete 1597. Pápa 1997, 45). HHStA MEA RA, Fasc. 98, Fol. 527v. Ebenda, Fol. 545r.-547r.; Heischmann 111-113; Koller 325-326. Z. P. Bagi: Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen 131 mit dem Osmanischen Reich völlig aus den Beratungen der Reichstage auszuschließen. Allerdings wurden schon bei den Verhandlungen des Reichstages von 1597/1598 von Seiten der von der Kurpfalz angeführten protestantischen Stände Forderungen erhoben, die den Kaiser zur Aufnahme von Friedensverhandlungen mit dem Sultan anregen sollten. Diese Argumentationslinie konnte stets dann zum Tragen kommen, wenn der Kaiserhof die Notwendigkeit einer Fortsetzung des Krieges als die einzige Möglichkeit für das Reich betonte.51 Zunächst waren – neben anderen – auch die kursächsischen Gesandten beauftragt worden, auf den Abschluss eines Friedens- oder Waffenstillstandes mit dem Osmanischen Reich zu drängen; sie erhielten aber vor Beginn der Verhandlungen in dieser Beziehung andere Instruktionen, gemäß derer sie sich gegen den Frieden aussprechen sollten.52 Ähnliches galt für die Salzburgische Gesandtschaft. 53 Die Aufnahme von Friedensverhandlung mit den Osmanen wurde jedoch nicht nur von den protestantischen, sondern auch von einzelnen katholischen Ständen betrieben. Gerade im Hinblick auf die Eskalation des niederländischen Krieges 1598 54 und die damit verbundene Einquartierung von Truppen wird die Forderung von Kurmainz, Kurköln und Kurtrier um Aussetzung der Zahlung der Türkenhilfe und nach einem Friedensschluss verständlich.55 Diese drei geistlichen Kurfürstentümer waren es auch, die gemeinsam mit der kalvinistischen Kurpfalz auf einer Beratung am 27. Juli 1601 in Koblenz ihre weitere Unterstützung des Krieges an die Bedingung der Aufnahme von Friedensverhandlungen mit den Osmanen knüpften. 56 Eben diese Forderung fand dann auch in der Proposition ihren Niederschlag.57 Angesichts dieser Erwartungen verwundert es nicht, dass die Thematisierung der erfolglosen Versuche von Friedensverhandlungen ein wesentliches Element in der kaiserlichen Argumentation darstellte. Natürlich ging es den Verfassern der kaiserlichen Proposition darum, die Stände über diese Verhandlungen mit einer glaubwürdigen Information zu versehen, sie also von der eigenen guten Absicht zu überzeugen, die an der osmanischen Politik gescheitert war. Demnach hoben sie hervor, dass »Anno funffzehenhundert Neunzig Neun des Türcken Obrister Vezier Ibrahim Bassa durch der Tatarn Chan, der deßwegen etlich mahl Zu Irer May[es]t[ä]t, seine Leuth abgesendet, eine friedtshandlung angebotten« 51 52 53 54 55 56 57 Schulze 146. Stieve V, 380-381. Mayr 256. Tibor Wittmann: Németalföld aranykora. Budapest 1965, 63-137; Johannes Arndt: Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessionelle Verflechtungen und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg. Köln [u. a.] 1998, 124-129. HHStA MEA RA, Fasc. 94, Fol. 194r. Ebenda, Fasc. 96, Fol. 595r.-600v. Ebenda, Fasc. 98, Fol. 526v. 132 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) hat.58 Die zwei Gesandtschaften führten »in einer In[s]ul« zwischen Ofen (Buda) und Gran Unterhandlungen, die aber erfolglos abgebrochen wurden. Hinzu kam, dass die Osmanen den für die Zeit der Verhandlung geschlossenen Waffenstillstand aufkündigten, und dass Ibrahim »mitt einer grossen anzahl Turcken vnd Tatarn, in Irer May[es]t[ä]t Christliche Landt, sonderlich fur die bergstatt gestraifft, dieselbe mit mordt vnd brandt angegriffen, Vber Zwanzig Tausent Menschen, Jung vnd altt, darunder Vill Adeliche Man- vnd frawen personen gewessen, nidergehawen, schändtlich und abscheulich mitt Inen gehauset, theils auch gefangklich hinweg gefuhrt« habe.59 Im Jahre 1600 bot Ibrahim dem Kaiserhof wieder Verhandlungen an, die aber – so wurde in der Proposition betont – entgegen seinem Versprechen nicht stattgefunden haben: »In die Vestung Pápa, welche dem Ossterreichischem Bodem gleich Zunechst gelegen, gehabtes Kriegs Volck, durch geltt Zum abfall geraizet vnd bewegt, Zu deren Wider bezwungugngh vnd straff hernach fast der ganze Sommer vnd der beste Vorrath ahn Volck, geltt vnd munition gewendet vnd verzehret werden mussen.« 60 Daneben hatte, so lesen wir in der Proposition weiter, die osmanische Hauptarmee zuerst Babotscha eingenommen und war dann zur Belagerung von Kanizsa (heute Nagykanizsa) abgezogen. Der Pascha zu Ofen stellte zur Zeit der Belagerung im Monat September einen Antrag auf Fortsetzung der Friedensverhandlung. Auch dieser Versuch blieb erfolglos, weil der Großwesir erst nach der Einnahme von Kanizsa mit der kaiserlichen Seite darüber verhandeln wollte.61 In diesem Zusammenhang konnten die Verfasser des Schriftstückes sogleich die Gelegenheit ergreifen und klarstellen, dass von den Osmanen in jedem Fall kein Friede zu erhoffen sei, dass es also für das Reich keine andere Möglichkeit als die Fortsetzung des Krieges gebe. 62 Interessanterweise fanden in der Proposition die Friedensverhandlungen von 1601 keine Erwähnung.63 58 59 60 61 62 63 Ebenda, Fol. 526v.-527r. Ebenda, Fol. 527r.-528r. Ebenda, Fol. 528r.-v. Zur Belagerung von Pápa vgl. Caroline Finkel: French Mercenaries in the Habsburg-Ottoman War of 1593-1606: The Desertation of the Papa Garrison to the Ottomans in 1600. In: Bulletine of the School of Oriental and African Studies 55 (1992) 3, 451-471; Tóth: A mezőkeresztesi csata, 310-311; Péter Sahin-Tóth: A vallon-francia katonaság sajátos szerepe a tizenöt éves háború idején. In: Információáramlás a magyar és török végvári rendszerben. Eger 1999, 227-239, hier 227-230; Ders.: Lotaringia és a tizenöt éves háború. In: Századok 138 (2004) 1149-1189, hier 1166-1169. HHStA MEA RA, Fasc. 98, Fol. 528r.-529v. Ebenda, Fol. 529v.-530r; Vocelka 151. Zu den Friedensverhandlungen vgl. Mária Ivanics: Friedensangebot oder kriegerische Erpressung? Briefwechsel des Kaisers Rudolf II. mit dem Pascha von Ofen im Jahr 1595. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 82 (1992) 183-199; Dies.: A Krími Kánság a tizenöt éves háborúban. Budapest 1994, 144-145; Tóth: A mezőkeresztesi csata, Z. P. Bagi: Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen 133 Es gab ein weiteres neues Element in der kaiserlichen Argumentation. Durch den Rückgriff auf eine vermeintliche Tradition des Reiches in der Türkenbekämpfung sollten die Stände auch diesmal zur Bewilligung bewogen werden. So wurden in der Schrift von 1603 die zwischen 1495 und 1566 formulierten dreizehn Reichstagsabschiede thematisiert, die sich auch mit der Frage der Türkenhilfe befassten.64 Nach Ansicht des Verfassers versuchte der Kaiserhof in diesem Fall das Traditionsbewusstsein der Stände anzusprechen und gründete seine Verhandlungsstrategie damit auf den Stolz der Stände, was deren eigene Überlieferung und politische Geschichte betraf. Gerade mit der Betonung des stetigen Abwehrkampfes des Reiches gegen seine Gegner im Südosten konnte belegt werden, dass sich das Heilige Römische Reich schon seit einhundert Jahren gegen den Vormarsch der Türken wehrte und der derzeitige Kampf nur ein Glied in einer Kette sei, und dass die Stände diese Auseinandersetzungen traditionell unterstützt hatten und nun, 1603 erneut dazu verpflichtet seien. 65 In den bisherigen Ausführungen lassen sich zwei Grundkonstanten feststellen, die bei der Zusammenstellung aller Propositionen eine Rolle spielten. Einerseits kann in jedem Schriftstück ein Leitmotiv gefunden werden, an welches die Argumentation anknüpfen konnte. Andererseits setzte die kaiserliche Seite gezielt alle Mittel ein, die zur Überzeugung und Manipulation der Stände beitragen konnten. In den kaiserlichen Propositionen mischten sich also in schöngeistiger Rhetorik eingebettete Berichte von tatsächlichen Geschehnissen mit bewusst initiierten Falschmeldungen und Gräuelnachrichten. Der Einfluss der Propositionen auf die Positionierung der Stände Nach Ansicht des Verfassers resultierte die grundsätzliche Bereitschaft der Reichsstände, die Türkenkriege zu unterstützen, nicht aus den auf den Reichstagen präsentierten Feindbildern. Dennoch waren diese propagandistischen Darstellungen geeignet, das Maß der Unterstützung zu beeinflussen. Es können einige Gründe angeführt werden, die diese Behauptung stützen. Einerseits deutete sich bei den Reichsständen bereits vor den Reichstagen beziehungsweise zu Beginn der Beratungen an, dass sie grundsätzlich 64 65 306-397; Sándor Papp – Szabolcs Hadnagy: Békekötési kísérletek a tizenötéves háború idején. In: Aetas 18 (2003) 2, 118-154. HHStA MEA RA, Fasc. 98, Fol. 531r.-534v. Bagi: A Német-Római Birodalom, 71. 134 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) bereit waren, dem Kaiser im Kampf gegen die Türken beizustehen.66 Der Kaiserhof bat die Stände in der Proposition in erster Linie um den Gemeinen Pfennig. Die Anwesenden hingegen bevorzugten die Matrikelsteuer, die man aufgrund der Abrechnung den Römermonat oder Romzug nannte, und die auf allen drei Reichstagen bewilligt wurde. Der eigentliche Knackpunkt der Auseinandersetzung war also nicht die grundsätzliche Frage der Hilfe, sondern die Frage nach deren Ausmaß, wobei die unterschiedlichen Interessen miteinander im Widerstreit standen.67 Ein Blick auf das Verhalten einzelner Reichsstände verdeutlicht die unterschiedlichen Beweggründe, die im Einzelfall eine Rolle spielen konnten. Im Kurfürstenrat wurden die Gesandten des kursächsischen Administrators eindeutig als Fürsprecher der kaiserlichen Politik gegen die Osmanen angesehen. Als Führer der einen protestantischen Partei konnte der sächsische Kurfürst auch auf die Beratungen des Fürstenrates Einfluss nehmen. 68 Auch dank seiner hochwirksamen Tätigkeit bewilligten die Stände auf den drei Reichstagen während des Langen Türkenkrieges insgesamt 226 Römermonate. Auch die Erzbischöfe von Mainz, Köln, Trier und Salzburg, der brandenburgische Kurfürst und der Herzog von Bayern galten traditionell als Befürworter der kaiserlichen Politik, bildeten jedoch keine Einheit. Die Gesandten des Mainzer Erzkanzlers erhielten zwar immer die Instruktion, bei den Beratungen auf die Absichten der kursächsischen und kurbrandenburgischen Gesandten Rücksicht zu nehmen, aber die anderen genannten Landesherren hatten jeweils konkrete Bedingungen für ihre Unterstützung. 69 Von diesen sollen nur zwei hervorgehoben werden. 1598 konnten Kurtrier und Kurköln die Bewilligung der Türkenhilfe von 60 Römermonaten an die Ermäßigung ihrer eigenen Matrikelsteuerquote knüpfen.70 Vor Beginn des Reichstages im Jahre 1597 brachte Herzog Maximilian I. von Bayern seinen Willen zum Ausdruck, die Versammlung möge sich keiner anderen Aufgabe widmen, als die vom Kaiser verlangte Hilfe gegen die Osmanen zu ermöglichen.71 Entgegen dieser Maßgabe brachten die bayerischen Gesandten in der Sitzung vom 8. Januar 1598 die Pfennigmeis- 66 67 68 69 70 71 Die vier Kurfürsten der rheinischen Reichskreise brachten auf einer Tagung im Jahre 1601 in Koblenz zum Ausdruck, die Türkenhilfe für den Kaiser auf dem nächsten Reichstag zu bewilligen (HHStA MEA RA, Fasc. 96, Fol. 595r.). Stieve IV, 193-270, V, 355-436, 613-678; Erika Kossol: Die Reichspolitik des Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg. Göttingen 1976, 39-73, 95-120. Schulze 133-134; Niederkorn 52. Aulinger 212. Schulze 135, 231, 238. Stieve V, 357. Z. P. Bagi: Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen 135 terfrage zur Diskussion.72 Die Mehrheit des Fürstenrats schloss sich dem Vorschlag der bayerischen Gesandten an, und auch die beiden anderen Kollegien kamen zum gleichen Ergebnis. Daneben beschlossen die Mitglieder des Kurfürstenrats, den Johannitermeister Johann Riedesel im Namen des Kaisers und des Reiches zum Reichskriegskommissar für die Türkenhilfe zu ernennen. Seine Aufgabe sollte sein, die Einnahmen zu kontrollieren und das Geld an der Grenze auszuzahlen. Schließlich scheiterten diese Vorhaben jedoch deshalb, weil sowohl für den Posten des Reichspfennigmeisters als auch für den des Reichskriegskommissars die Kandidaten des Hofes – Zacharias Geizkofler und Johann Eustach von Westernach – ernannt wurden.73 Der Führer der anderen protestantischen Partei, der Pfälzer Kurfürst, war durchaus gewillt, den Kaiser bei dessen Auseinandersetzungen mit den Osmanen zu unterstützen.74 An die Bewilligung der immer größer werdenden Türkenhilfe knüpfte er jedoch einige Bedingungen. Ihm ging es um die Behandlung der eigenen Gravamina. Konkret forderte er zum Beispiel die Klärung konfessioneller Fragen oder die Gültigkeit der Mehrheitsbeschlüsse.75 Dementsprechend waren die Kurpfalz und deren Parteigänger im Vergleich zu den vorher genannten Reichsständen nur im kleineren Umfang bereit, die kaiserlichen Auseinandersetzungen zu unterstützen. 1598 waren sie nur willens, 40 anstatt der geforderten 60 Römermonate zu zahlen, und selbst die Auszahlung dieser Summe erfolgte mit Verzögerung. Nach dem Verlust von Kanizsa (1600) und nach den Urteilen des Reichskammergerichts suchte und fand die Partei des Pfälzers allerdings eine Verständigung mit dem Kaiserhof, die letztlich im Februar 1603 in Heidelberg zustande kam.76 Zu beachten bleibt, dass jene Elemente der Propositionen, die sich auf Niederlagen der kaiserlichen Truppen beziehungsweise auf Erfolge der osmanischen Armee bezogen, den einflussreichen Ständen des Reiches stets vor Beginn der Verhandlungen auf dem Reichstag bekannt waren. Der Kai72 73 74 75 76 Von 1570 an verzichteten die Reichsstände endgültig auf die Kontrolle der Steuerverwendung (Maximilian Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter 1555-1618. In: Handbuch der deutschen Geschichte. Frühe Neuzeit bis zum Ende des Alten Reiches [1495-1806]. X. Hgg. M. Lanzinner, Gerhard Schormann. Stuttgart 2001, 71). Instruktion des Reichspfennigmeisters. HHStA MEA RA, Fasc. 95.a., Fol. 553r.-560v.; Instruktion des Reichskriegskommissars. Ebenda, Fol. 548r.-551v.; Müller: Zacharias Geizkofler, 23, 30; Schulze 325-327; Bagi: A Német-Római Birodalom, 63. Auch der pfälzische Kurfürst erklärte sich 1601 in Koblenz damit einverstanden, dem Kaiser die Hilfeleistung für den Kampf gegen die Osmanen zu gewähren (HHStA MEA RA, Fasc. 96, Fol. 595r). An der lutherisch-kalvinistischen Auseinandersetzung scheiterte die Einheit der protestantischen Reichsstände zur Erreichung der Ziele der Kurpfalz (Stieve IV, 193-270, V, 355436, 613-678; Kossol 39-73, 95-120). Schulze 167-168, 231-236, 358; Kossol 117-118; Bagi: A Német-Római Birodalom, 65-66. 136 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) serhof ließ ihnen immer Berichte über die Ereignisse auf dem ungarischen Kriegsschauplatz zukommen, was einen bedeutenden Teil der kaiserlichen Propaganda ausmachte. Der Kaiserhof kannte dabei drei Methoden, propagandistisch auf die Gesinnung der Reichsstände Einfluss zu nehmen. Einen Weg stellten die Gesandtschaften dar, die am Hof der Kurfürsten und der bedeutenderen Fürsten installiert wurden. Ihre Aufgabe in der Vorbereitung eines Reichstages bestand darin, die Stände von der Notwendigkeit der Versammlung zu überzeugen.77 Natürlich haben diese Gesandtschaften der kaiserlichen Seite jede Gelegenheit benutzt, um sich über die Gewogenheit der Stände in Bezug auf die Türkenhilfe unterrichten zu lassen. Die Gesandten wurden so zu einem Gradmesser der ständischen Meinung im Reich. Erst wenn sie eine positive Stimmung nach Wien berichten konnten, verfassten die kaiserlichen Räte die Ausschreibung eines Reichstages. Diese Schriften enthielten bereits jene Elemente – die Treulosigkeit der Türken oder der Verlust von Schlüsselfestungen –, die später auch in den einleitenden Teilen der kaiserlichen Propositionen auftauchten. Die oben erwähnte Schrift vom 23. August 1597 an den Mainzer Erzkanzler ist nur ein Beispiel dafür.78 Ein anderer Zugang des Kaisers, die Würdenträger im Reich für seine Unterstützung zu gewinnen, war die Kooperation unter den Reichskreisen. Der Kaiserhof bat diese während des Langen Türkenkrieges neben den Reichstürkenhilfen mehrmals um Unterstützung,79 da »sie doch auf weitgesezte zalfriesten einkommen, vnd bey weittem, zu ertragung dieses lasts nicht erklecken«. 80 Dabei waren die Instruktionen, welche die zu den Kreistagen geschickten Gesandten erhalten hatten, ähnlich aufgebaut wie die einleitenden Teile der Propositionen. Die Verfasser dieser Schriftstücke berichteten den Kreisständen immer über die aktuellen Ereignisse auf dem Kriegsschauplatz. Zum Beispiel wurde in der Instruktion vom 14. Dezember 1594 an Johann Eustach von Westernach, der zum fränkischen Reichstag delegiert worden war, thematisiert, dass mit dem Verlust von Raab der Weg der Osmanen ins Reich geöffnet sei, und der Großwesir Sinan für den Frühling des nächsten Jahres einen Angriff plane. Die finanzielle und militärische Hilfe der Reichsstände sei unerlässlich, da die Königreiche und 77 78 79 80 Schulze 92; Aulinger 168. Aulinger 170-171. Augustinus Hyeronimus Ortelius: Chronologia oder historische Beschreibung aller Kriegsempörungen und Belagerungen in Ungarn auch in Siebenburgen von 1395. Nürnberg 1602, 46v.; Alfred H. Loebl: Eine außerordentliche Reichshilfe und ihre Ergebnisse in reichstagsloser Zeit 1592-1593. In: Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 153 (1906) 2. Abhandlung, 17, 86; Mayr 193-195; Müller: Zacharias Geizkofler, 32; Schulze 90-92. HHStA MEA Fränkische Kreisakten. Fasc. 5. Fol. 34r. Z. P. Bagi: Das Türkenbild der kaiserlichen Propositionen 137 Länder des Herrschers gänzlich erschöpft seien. 81 Auf diese Weise hatten nicht nur die Reichsstände, sondern auch die Kreis- oder Landstände durchgehend Kenntnis von den Ereignissen des ungarischen Kriegsschauplatzes. Flugblätter, Neue Zeitungen, Predigten und Gedenkmünzen können zum dritten Faktor der kaiserlichen Propaganda gezählt werden. Die sich noch in demselben Jahrhundert vollziehende Revolution in der Nachrichtenübermittlung machte es möglich, dass breite Massen von Reichsuntertanen durchgehend genaue, aktuelle und ausführliche Nachrichten über bedeutsame Kampfereignisse erhalten konnten.82 Berichte über den Vorstoß osmanischer Truppen, über die Verheerungen der Tataren und Türken sowie über das Schicksal der eroberten und unterworfenen Gebiete und Untertanen spielten auch dann eine nicht unerhebliche Rolle, wenn es galt, die Landstände und Untertanen von der Notwendigkeit einer Türkensteuer zu überzeugen. 83 Zusammenfassung Der Kaiserhof war stets bemüht, nicht nur die konkreten eigenen Interessen bei der Zusammenstellung der Propositionen zu berücksichtigen, sondern diese unter Bezugnahme auf die Forderungen der Stände im Einzelnen zu verwirklichen. Dem Zustandekommen eines Reichsabschieds zur Türkenhilfe gingen neben den eigentlichen Verhandlungen komplexe diplomatisch-propagandistische Bemühungen voran. Der Kaiser beorderte Gesandtschaften zu den Kurfürsten und den bedeutenderen Fürsten, die beauftragt wurden, über die Themen des betreffenden Reichstages Verhandlungen zu führen. Damit war es der kaiserlichen Seite an die Hand gegeben, sich über die Gewogenheit der Stände in Bezug auf die Türkenhilfe zu unterrichten. Später konnte man die Ergebnisse solcher Verhandlungen bei der Zusammenstellung der jeweiligen Proposition und bei den Beratungen des Reichstages direkt einfließen lassen. Auch konnte der Kaiserhof durch dieses Informationssystem seine Propagandamittel direkt und gezielt den Bedürfnissen der einzelnen Reichsstände anpassen. Anderer81 82 83 Ebenda, Fol. 30v.-31r., 34r.-39v. Zu diesem Thema Schulze 33-67; Vocelka 21-63, 239-301; Nóra G. Etényi: Hadszíntér és nyilvánosság. A magyarországi török háború híre a 17. századi német újságokban. Budapest 2003; Zsuzsa Barbarics: „Türck ist mein Nahm in allen Landen…“ Művészet, propaganda és a változó törökkép a Német-római Birodalomban a XVII. század végén. In: Hadtörténelmi Közlemények 113 (2000) 329-359; Vendel Kiss: Tata ostromának képi ábrázolásai. In: Tata a tizenötéves háborúban. Tata 1998, 77-89; Veronika Héri: A 15 éves háború győzelmes csatáinak emlékére kibocsájtott érmek. In: Tata a tizenötéves háborúban 129-139. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter, 72. 138 Ungarn-Jahrbuch 31 (2011-2013) seits ermöglichten diese Gesandtschaften, die Kurfürsten und Fürsten im Voraus von der Notwendigkeit einer Unterstützung zu überzeugen. Ein Erfolg dieser Politik ist schon daran erkennbar, dass die Stände die Rechtmäßigkeit der Türkenhilfen nie grundsätzlich bestritten. Im Austausch gegen die immer größer werdende Unterstützung versuchten sie jedoch, ihre eigenen Forderungen – Religionsfriede, Freistellung, Ungültigkeitserklärung des Mehrheitsgrundsatzes bei der Bewilligung der Türkenhilfe, Libertät – durchzusetzen. Darüber hinaus erhielten nicht nur die Reichsstände, sondern auch die Landstände und sogar die Untertanen von der kaiserlichen Seite Aufschluss über die Ereignisse am ungarischen Kriegsschauplatz durch die Kreistage und die Flugblätter, die zur Legitimierung der Türkensteuer einen wesentlichen Beitrag leisteten.