Voreuklidische Geometrie und Kapitel 1.1 (Die Elemente - Buch 1) Moritz Küng March 9, 2016 1 Voreuklidische Geometrie Bereits vor den Griechen wurde im babylonischen und ägyptischen Reich Mathematik betrieben. Primitive Berechnungen der Kreisfläche waren schon lange bekannt: AKreis ≈ 3r2 , A ≈ (8/9 · 2r)2 Auch der Satz des Pythagoras soll man bereits seit 1900-1600 B.C. kennen. Die Ägypter haben mit einem Seil, welches in 12 gleich lange Segmente unterteilt war (Pytagoräisches Zahlentrippel 3-4-5) rechte Winkel für ihre Felder gemacht. In der Griechischen Mathematik unterscheidet man drei verschiedene Perioden: 1. Ionische Periode 2. Athenische Periode 3. Alexandrinische Periode Von den voreuklidischen Perioden sind viele Informationen nur ungenau überliefert. Beweise gibt es so gut wie keine und wem welche Leistungen zuzuschreiben sind ist oft unklar. Die ionischen Periode wird als eidetisch-intuitiv beschrieben, d.h. die Gestalt, bzw. die sichtbare Erscheinung stehen im Mittelpunkt. Als wichtigste Vertreter sind Thales und die Pythagoreer (angehörige der Schule von Pythagoras) zu erwähnen. Die folgenden Sätze und Beweise gehen wahrscheinlich darauf zurück: • Beweis, dass der Durchmesser den Kreis halbiert • Gleichheit der Scheitelwinkel zweier sich schneidender Geraden • Lehrsatz über Dreiecke, die eine Seite und zwei Winkel gleich haben • Thaleskreis • Verallgemeinerung zum Satz des Pythagoras • Regeln über Zahlensummen (Psechoi Arithmetik) • Winkelsumme im Dreieck entspricht 180◦ Das Ende der Ionischen Periode markiert die Entdeckung der Inkommensurabilität. Definition . ”kommensurabel” heissen zwei Strecken a und b, falls ein m, n ∈ N existiert, sodass für eine a gemeinsame Messstrecke c gilt: a = m · c und b = n · c oder auch m = c = nb Man hat erkannt, dass Seite und Diagonale im Quadrat inkommensurabel zueinander sind und man findet diesen Satz später auch wieder in den Elementen: Proposition Elemente X.115a. Man soll zeigen, dass in jedem Quadrat die Diagonale der Seite linear inkommensurabel ist. Diese Entdeckung war untrennbar mit der Unendlichkeit verbunden und der Fokus hat sich in der Athenischen Periode vom sinnlich Wahrnehmbaren zum geistig Wahrnehmbaren verschoben. Sie wird als apodiktisch (keinen Widerspruch duldend) und diskursiv (erörternd, sukzessiv) beschrieben. Diese Denkweise wurde von Platon massgeblich beeinflusst, obwohl er wenig mathematisches geleistet hat. Unzählige Mathematiker haben sich mit den klassischen Problem (Zirkel und Lineal Konstruktionen, Würfelverdoppelung, Quadratur des Kreises etc.) beschäftigt und es wurden einige voreuklidische Elementarbücher verfasst (u.a. Hippokrates). Einige Errungenschaften dieser Periode sind: 1 • Möndchen des Hippocrates: Proposition Elemente XII.2. Kreise verhalten sich zueinander wie die Quadrate über den Durchmessern. • Verallgemeinerungen des Satzes von Pythagoras • Beziehungen zwischen Peripheriewinkel und Kreisbogen • Konstruktionen von Umkreisfiguren • Eigenschaften regulärer Vielecke • Sätze über ähnliche Figuren • Quadratrix des Hippias (zur Lösung des Problemes der Dreiteilung eines Winkels und der Quadratur des Kreises, nicht nur mit Zirkel und Lineal) • Würfelverdoppelung nach Archytas (Schnittpunkt eines Zylinders, Kegels und Torus, nicht nur mit Zirkel und Lineal) 2 Euklid und die Elemente Eulid war der erste Vertreter der Alesandrinischen Schule. Der markiert den Anfang dieser neuen Periode und sie wird als kategorisch, d.h. unbedingt, keinen Widerspruch duldend und deduktiv, d.h. man gelangt vom Allgemeinen zum Besonderen bezeichnet. Die Elemente von Euklid sind mathematische, trockene Bücher. Nichts wird wiederholt oder erklärt, es werden nur Definition, Propositionen und Beweise aneinander gereiht. Es überrascht also auch nicht, dass das erste Wort ”Definition” ist. Das erste Buch behandelt Fakten aus der gymnasialen Geometrie. Beispiele sind: Proposition Elemente I.5. Für gleichschenklige Dreiecke sind die Winkel der Basis gleich zueinander und falls man die gleichlangen Seiten verlängert sind die Aussenwinkel unter der Basis auch gleich. Proposition Elemente I.32. An jedem Dreieck ist der bei der Verlängerung einer Seite entstehende Aussenwinkel den beiden gegenüberliegenden Innenwinkeln zusammen gleich, und die drei Winkel innerhalb des Dreiecks sind zusammen zwei Rechten gleich. Proposition Elemente I.47. Bei rechtwinkligen Dreiecken ist das Quadrat über der Seite, welche dem rechten Winkel gegenüberliegt gleich gross wie die Summe der beiden Quadrate welche dem rechten Winkel anliegen. Proposition Elemente III.21. In einem Kreis sind die Peripheriewinkel über einem Segment alle gleich gross. Proposition Elemente VI.2. Falls eine gerade Linie parallel zu einer Seite im Dreieck gezogen wird, so wird sie die andern Seiten im gleichen Verhältnis teilen. Und falls zwei Seiten im gleichen Verhältnis geteilt werden, so ist diese gerade Linie der parallel zu der dritten Seite. Das grosse Werk von Euklid besteht aber nicht aus dem Herleiten dieser mathematischen Tatsachen, sondern aus dem Zusammenfassen und der systematischen Organisation bereits vorhandenen Wissens. Er schaffte einen kohärenten, logischen Rahmen, wo jedes Resultat auf dem vorhergehenden aufbaut und alles auf ein axomatisches Fundament zurückzuführen ist. Er hat zwei wichtige Änderungen eingeführt: 1. Man betrachtet nicht mehr die reale Welt, sondern abstrakte, ideale Objekte im Geist 2. Er begründet die axomatische Struktur der Mathematik: Alles ist Schritt für Schritt aufeinander aufgebaut und axomatisch begründet. Das folgende Beispiel soll deutlich machen, dass Beweise eigentlich nur in einem solchen axomatischen System funktionieren. Wenn man einen Gymnasiasten fragt, wie man ein gleichseitiges Sechseck in einen Kreis einschreiben kann, wird er antworten, man könne sechs Mal den Radius auf dem Kreisbogen abtragen und man erhalte die Lösung. Warum ist das exakt? Der Gymnasiast könnte argumenteren, dass es jeweils gleichseitige Dreiecke gibt, wenn man die Punkte mit dem Mittelpunkt verbindet, dann muss das letzte Dreieck dort einen Winkel von 60◦ = 360◦ − 5 · 60◦ haben. Weshalb hat ein Dreieck eine Winkelsumme von 180◦ ? Weshalb hat ein voller Winkel 360◦ ? Man kann immer weiter fragen, nur in einem System von Axiomen, wo alles aufeinander aufbaut ist dies gar nicht nötig. Zusammenfassend kann man sagen, dass die grösste Hinterlassenschaft von Euklid die logische Struktur der Mathematik ist. 2 3 Beispiele aus den Elementen Proposition Elemente I.4. Wenn in zwei Dreiecken zwei Seiten zwei Seiten entsprechend gleich sind und die von den gleichen Seiten eingeschlossenen Winkel einander gleich, dann muss in ihnen auch die Grundlinie der Grundlinie gleich sein, das Dreieck muss dem Dreieck gleich sein, und die übrigen Winkel müssen den übrigen Winkeln entsprechend gleich sein, nämlich immer die, denen gleiche Seiten gegenüberliegen. Proof. Seien ABC, DEF zwei Dreiecke mit AB = DE und AC = DF und ∠BAC = ∠EDF . Wird ABC auf DEF überlagert, A auf D, AB auf DE, so folgt dass B auf E zu liegen kommt, weil AB = DE. Wird AC wird auf DF abgebildet weil ∠BAC = ∠EDF und daraus folgt, dass C auf F zu liegen kommt, weil AC = DF . Weil B deckungsgleich mit E ist, folgt dass BC deckungsgleich mit EF ist (Axiom 4). Daraus folgt, dass ABC = DEF ist (Axiom 4). Dies ist ein typischer Beweis im Stile von Euklid. Hier kann man aber bemängeln, dass diese ”Überlagerung”, bzw. Superposition in den Axiomen nicht vorkommt. Er geht hier davon aus, dass man parallel verschieben kann. Beispielsweise auf einer Kugeloberfläche ist das parallele Verschieben nicht mehr eindeutig. Proposition Elemente I.30. Gerade Linien, welche parallel zu einer gemeinsamen geraden Linie sind sind auch untereinander parallel. Proof. AB und CD sind gerade Linien, welche parallel zu der Geraden EF sind. GK sei eine Gerade, die schräg zu den drei anderen Geraden sei. G sei der Schnittpunkt von AB und GK, K der Schnittpunkt von CD und GK und H von EF und GK. Es folgt, dass ∠AGK = ∠GHF sowie ∠GHF = ∠GKD (I.29). Aus Axiom 1 folgt, dass ∠AGK = ∠GKD. Daraus folgt, dass AB parallel zu CD ist (I.27). 3