ZONTA CLUB ST.PÖLTEN AREA Ingeborg Bachmann und die Musik Preisverleihung des Zonta-Schreibbewerbs anläßlich des 80.GEBURTSTAGES von Ingeborg Bachmann Ehrenschutz Landesrat Mag. Wolfgang Sobotka 15. Mai 2006 19 Uhr Seite 1 Vorwort der Präsidentin ! Aus Annlass des 80. Geburtstages von Ingeborg Bachmann hat der ZONTA – Club St. Pölten Area einen Schreibbewerb für höhere Schulen ausgeschrieben, dessen Ergebnisse nunmehr vorliegen. Die qualitätvollen Arbeiten, die im Rahmen dieses Bewerbes eingereicht wurden, dokumentieren das Interesse der Jugendlichen an der Person und dem Werk der großen österreichischen Dichterin. Als Service Organisation setzt sich ZONTA International für die Förderung und Verbesserung der Stellung der Frauen weltweit ein. Persönlicher und finanzieller Einsatz, Können und Berufserfahrung helfen bei der Durchführung sozialer, gesellschaftlicher und kultureller Projekte auf nationaler und internationaler Ebene. Mit dem Ingeborg Bachmann Schreibbewerb wurde nun ein kulturelles Projekt zur Durchführung gebracht, das in zweierlei Hinsicht dem ZONTA Gedanken entspricht. Einerseits ist es dem Gedenken einer Dichterin gewidmet, die in Ihrem Werk immer wieder die Stellung der Frau in der Gesellschaft thematisiert. Andererseits sollen damit junge Menschen angeregt werden , sich mit dem literarischen Werk dieser großen Persönlichkeit auseinanderzusetzen Bei den folgenden Texten handelt es sich um die drei besten Beiträge, die in kreativer oder essayistischer Form, jedenfalls aber in besonders anspruchsvoller Weise der Aufgabenstellung gerecht wurden. Der ZONTA – Club St. Pölten Area dankt allen Teilnehmern/Innen, den betreuenden Professoren sowie den Mitgliedern der Jury. Susanne Maier Pallas St. Pölten, im Mai 2006 Seite 2 Inhaltsverzeichnis 1. Preis Julia Maronitsch Ingeborg Bachmann – ein Porträt mit ihren Worten 2. Preis Jessica Lind Ein Leben aus Worten: Requiem 3. Preis Cornelia Travnicek „Kein fremder Land“ Widmung und Essay zum Thema „Hätten wir das Wort, hätten wir Sprache, wir bräuchten die Waffen nicht“ 4. Kurzbiographien der Preisträgerinnen 5. Kurzbiographien der Jurymitglieder Seite 3 Julia Maronitsch Ingeborg Bachmann – ein Porträt mit ihren Worten Le blancs debarquent und gehen an Land in einem anderen Kopf und fragen, warum Undine gegangen ist, drehen und wenden sie, nehmen einen klaren Kopf in die Hand und weihen sich Wort für Wort aus, damit die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sichtbar wird am Horizont. Obwohl die Gedanken dann zwischen den Zeilen verschwinden und in dieser Gefangenschaft doch nichts ausrichten gegen Undine und Malina und all die anderen (denn die ägyptische Finsternis, das muss man ihr lassen, ist vollkommen) lässt uns doch noch das eine immer wieder die Augen übergehen: Wahrheit weil diese einzige dem Menschen, der sie nicht gemacht hat, bekanntlich zumutbar ist, und erst durch jenen geheimen Schmerz, der uns für sie empfindlich macht, furchtbar wird, war die Wahrheit der einzige rote Faden, den wir bis heute suchen. Genügt ihr Name alleine, um in der Welt zu sein? Hat sie über die vielen Seiten, auf denen sie sich uns verschrieben hat, zu sich selbst gefunden? Eine Frage, deren Antwort ihren Ausgang in Galizien nimmt und uns von ihrem erstgeborenen Land, einem Fluss und den Seen erzählt. Dort, wo man mit Blut die Grenze schrieb, lief die Zeit bis zu einem bestimmten Tag, mit dem ihre Erinnerung anfing, verkehrt ab. Der Tag an dem die Fahnen über den Köpfen zusammenschlagen, bis alles in Scherben fällt, in genug Scherben für Himmel und Hölle, zwischen denen sich die Kinder schweigend einrichten, weil die Zeit der Andeutungen vorüber ist und was sie nicht hören und sehen, riechen sie und begraben es als eine verschwiegene Erinnerung, um ihre Mörder nicht verraten zu müssen. Aber zwischen hier und dem ewigen Krieg steht der Mensch ist frei geschaffen geschrieben und Seite 4 schlägt eine Brücke über den Brand an das Ufer der Hoffnung, den schönsten Frühling, der dem Warten ein Ende setzt. Im Auftrag der Ufer, von einem zum anderen, bleibt der Weg aus dem Kopf unter allen doch der weiteste. Die Stadt ohne Gewähr mit ihren Geraden und Senkrechten schlägt anders und was sie schlägt, ist der Fall aus der Zeit, sie zählt die Stunden, ich zähl die Jahre. Ohne Sorgen, sei ohne Sorge sagen sie sich Helles und Dunkles in der Frühe und nachts auf drei Wegen dort in den Himmel, denn da liegt man gut und zwischen heute und morgen, hinter heute. Und wir flochten Gitter im Nebel durch all die Jahre von dir zu mir und so verschläft sie die Schlacht und den Sommer in der Nacht, die mit dem Morgen beginnt und mich zu ihr legt, denn wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis. Seht zu, dass ihr wach bleibt! Am Brunnen sträubt sich der Lockung die uns einst schwächte, das Haar in alle Richtungen gegen die Zeit, bis sie abläuft mit ich habe Sie immer geliebt und vom Ufer nicht mehr zu fassen ist. Sie trägt`s wie die Uhr ihre erste Stunde, auf dem Weg in einen Tag, der kommen wird, weg von dort, wo Himmel die Erde schwärzt, sondern wo sieben Herzen tiefer die Hand ans Tor pocht, an dem mit vier Buchstaben der Schlüssel der Kraft steckt. Dort, wo man hören und sehen lernen kann, wo einer eine Brücke einreißt und einen Baum daraus macht, seine Brücke in den Himmel mit Wurzeln, die ihn ausreißen könnten, die Sterne und die Erde stürzen aus ihrer Bahn, fort in die meine. Nach meinem Willen könnten sie kreisen, wenn du es wolltest, denn ich bin ich, wenn ich du bin. Bei dir sein möchte ich bis ans Ende aller Tage und auf den Grund dieses Abgrundes kommen, in den ich stürze mit dir. Ich möchte ein Ende mit dir, ein Ende in einer Welt nach allen Seiten, einen Kopf ohne Wände, ohne Türen. Beseligend war ihre Nähe, denn Licht war alles, was sie fasste, doch eine Würde, eine Höhe, entfernte die Vertraulichkeit mit einer handvoll Schnee. Und mit Augen sternenleer brauch ich ein Heer von Menschen, um sie lieben zu können, aber sie ziehen alle zum Horizont und Sand ist alles, das ich fasse, Liebe alles, was ich lasse, dort mit einer handvoll Schnee, in jedem Sandkorn stecke ich und habe mich verloren auf jeden Weg in jeden Menschen, und in einen, der am Ufer lebt. Ich bin unter Wasser. Bin unter Wasser. Und nun geht einer oben und hasst Wasser und hasst Grün und versteht nicht, wird nie verstehen. Wie ich nie verstanden habe. Liebe ist glücklos. Tot ist, wer liebt, nur der Geliebte lebt. Die Welt ist schon finster. Keine Lichtung wird sein. Seite 5 An diesem Tag auf der Nachtseite der Welt liegen meine Gefühle dort bei den Kleidern, die ihn bis nach Ägypten in die Wüste tragen werden und dort verglühen in einen Trümmerhaufen, wo er nur noch blind nach Geschichten wühlt und sie zu Asche werden lässt, sie auslöscht. Asche, an der sie alle ersticken wollen. Mein Name? Mein Name sei Vergangenheit. Von dort aus hallen meine verlorenen Schreie nach Rom, überall, nach Berlin, verloren auf den Straßen. Schreie, wahrhaftige, ich verlier´ nur nicht das Entsetzen, dass man seine Schreie verlieren kann jeden Tag überall. Aber endlich sind sie angekommen. Weißt du. Ich bin am Ende und müde und tot und stumm. Böhmen liegt am Meer. Und wer nicht hofft auf diesen Ort, ist für mich kein Mensch, denn ich will nichts mehr. Ich will zugrunde gehe, zum Meer, dort finde ich Böhmen wieder. Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich bin unverloren. Nicht vordringen und nicht zurückgehen, ich will auf dieser Stelle, auf der einzigen, auf die ich gehöre, siegen. Es wird die erste Stelle sein, auf der die Welt von jemandem geheilt ist. Ägypten ist das Geschenk des Nils. Daran kann ich mich klammern. Denn es wird untergehen. Ich sammle Geschichten, die nicht bekannt werden, und nur Geschichten mit letalem Ausgang. Ausgang aus meinem Kopf, ein Blutbad, ein Gemetzel habe ich gesehen; er ist mir genommen worden von dir mit dem Messer in der Linken, mit der du ihn verdunkelst, mir mein Lachen ausschneidest, es abtrennst von mir und es schleudert mit allen meinen Wörtern gegen den Himmel. Ich bin von niedriger Rasse. Unter den Wölfen kann ich leben, aber ihr Menschen…. Mach mich bitter. Zähl mich zu den Mandeln. Dort riss er den Rappen herum und stach nach dem Tod mit dem Degen, inmitten von Weiden, Wind und Wasser mit dem Kopf in meinen Armen, muss ich im Schlamm ertrinken?, zu schwer, mein Kopf wird zu schwer, er kann sie nicht mehr halten, sie gehen ins Meer, die Geschichten, aus denen die große gemacht ist. Nimm sie alle von mir. Es gibt nichts mehr, was mich in meiner Erinnerung stört. Es ist nicht mein Vater. Es ist immer Krieg. Es ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf. Es ist der ewige Krieg. Hier bei euch ist immer Krieg. Inselkrieg in der Versenkung, die Stunde schlägt jedem – nur nicht mir, denn nichts ist ungeheuer als ich. Getötet habe ich, seit es diesen Baum gibt. Töten werde ich, denn das ist mein Kardinalfehler. Mich schicken die Sterne, ich will Gerechtigkeit und werde zum Mörder gegen jeden Himmel, der seine Seite 6 Sterne nicht halten kann. Ich stürze den Himmel auf die Erde und vernichte den Horizont. Heute bin ich ein Mörder und irre durch eine Geschichte, erwürge ihre Wörter und ritze sie ein unter dem Schmerz, der mich in die Wahrheit führt, in ein pfadloses Land, an das doch Wand grenzt, aus der man nicht fallen kann. Niemand. Es war Mord. Mein Kardinalfehler. Jessica Lind Ein Leben aus Worten: Requiem Requiem für Eine Frau Die sich nie Wirklich gefunden hat Ausser zwischen den Zeilen Zwischen den Worten Die ihr zuhause waren Ihr ein Schutzschild Vor der harten Welt Die sie Unverblümt geschildert hat Und Von der sie Unverblümt geschildert wurde Ein Leben aus Worten Ein Wort aus Leben. Sie starrt aus dem Fenster. Auf der Strasse zieht es vorbei, das Leben. Die Menschen, die man nicht greifen kann, nicht mit der Hand, nicht mit dem Verstand. Wer begreift schon? Wer hat jemals begriffen worum es geht im Leben? Sie nicht. Sonst wäre sie nicht gestorben- so früh. Ihre Freunde nicht. Welcher Künstler begreift schon? Heißt Kunst nicht, nicht verstehen müssen? Die Zigarette hängt lose im Mundwinkel. Verrückt starrt sie aus dem Fenster. Ein Kind hätte Angst vor ihr, würde es sie so sehen. Aber sie hat keine Kinder und wenn, wären sie jetzt schon erwachsen? Seite 7 Rückblickend: Beneidet sie die Frauen, die geheiratet haben, Kinder großzogen? Oft wurde sie Feministin geschimpft. Frauen, die in der harten Männerwelt „Literatur“ schreiben – ernstzunehmende bekommen schnell dieses Etikett verpasst. Stimme: „Ruth?“ Stimme (eindringlich): „Inge?“ Inge: Lass mich. Sie möchte die Zigarette im Aschenbecher zu ihren Linken ausdrücken, doch diese ist nicht angezündet. Ingeborg: Na und. Alles ist Illusion, alles Fiktion. Stimme: Ich geb dir Feuer, Liebes. Inge: Und nun, geh wieder, Gespenst. Sie möchte ihn nicht ertragen. Kein Geschäft mit Träumen- ein Verzweifeln an Realität.Schafft man sich seine eigene Realität, oder wird man von ihr erschaffen? Sie greift wahllos zu einer der Tablettenschachteln, kleine weisse Hoffnung oder Zerstörung. Wo ist der Unterschied? Sie spült das ganze mit der braunen Flüssigkeit in ihrem Glas hinunter. Stimme: Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts wir trinken und trinken... Inge: Hör auf, hör auf! Sei still. Noch ein Schluck. Und schon ist das Glas leer. Stimme: ... wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng... Inge (schreit): Sei still! Ich will das nicht hören! Geh weg! Geh endlich weg! Du hast hier nichts zu suchen, du bist tot! Stimme; Ich mach ja nur Spass. Inge: Du bist nur eine Stimme in meinem Kopf. Eine Halluzination. Inge: Wem sagst du das? Du sprichst mit einem Toten- mit dir selbst! Du bist verrückt. Inge: Ach ja? Stimme: Ja! Inge (nachdenklich): Ja. Sie lachen. Seite 8 Inge: Was ist passiert. Wir waren einmal glücklich. Ganz zu Anfang. Was ist passiert? Stimme: Wir sind erwachsen geworden. Ihr Blick fällt auf den großen Spiegel im Nebenraum. Inge: Wir sind alt geworden. Ich bin müde. Sie blickt auf ihre Hände. Viel zu groß. Sie war nie eine besonders hübsche Frau gewesen. Das hatte sie früh erkannt. Jetzt, da sie alt ist, stört es sie nicht mehr. Stimme: Nicht schlafen. Noch nicht. Inge: Erinnerst du dich an früher? Stimme: Wie könnte ich, ich bin doch nur eine Projektion. Inge: Wo ist er hin, der eingeschworene Kreis der Gruppe 47? Ich bin alleine. Alt und alleine. Gibst du mir noch einmal Feuer? Stimme: Was ist los, du siehst so nachdenklich aus, mit den offenen Haaren, der Decke auf den Knien (wie eine alte Frau). Den Blick auf die Straße fixiert. Du rauchst ja gar nicht. Pass auf, sonst wird die Asche ein Loch in die Decke brennen! Inge: Ich kann nicht mehr. Wir sind nicht dafür gemacht glücklich zu sein, glaub ich jetzt. Wir sind ausgezehrt- nur der Kunst wegen. Kunst macht nicht glücklich, führt ins Verderben. In die Einsamkeit. In den Tod. (kurze Pause) Wie hast du es damals gemacht? Bist einfach in die Seine spaziert... Stimme: Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland er ruft streicht dunkler die Geigen, dann steigt ihr als Rauch in die Luft dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng Inge (mit geschlossenen Augen): Weiter.... Stimme: der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau Inge: Lasst eine Weile jetzt keins der Gefühle sprechen, Seite 9 den Muskel Herz sich anders üben. – Lasst, sag ich, lasst. Ihr ist das herz schwer geworden. Stimme: Lach doch Ruth. Bist du nicht glücklich? Was tun, wenn man merkt, dass seine Zeit abläuft. Niemand anderer weiß es, sieht es dir an, doch du spürst es – magst du noch so sehr am Leben hängen. Woher kommt der Stift in ihrer Hand? Und da liegt ja auch ein Stück Papier. Und nur nicht dies: das Bild Im Staubgespinst, leeres Geroll Von Silben, Sterbenswörter. Kein Sterbenswort, Ihr Worte! Hat sie das geschrieben? Dunkel hallen Erinnerungen an eines ihrer Gedichte, doch es sind nur Schatten, kein Gefühl mehr. Und ohne etwas zu spüren, spürt sie Tränen, die ihre Wangen hinunterlaufen, auf der Wolldecke landen, neben dem Brandfleck. Langsam erhebt sie sich Stimme: Was machst du Ruth? Bleib doch sitzen. Nur eine abfällige Handbewegung. Und noch ein paar Tabletten, was können die jetzt noch schaden? Sie schleppt sich zum Bett. Der Schatten folgt ihr und setzt sich an die Bettkante. Inge: Paul? Bist du noch da? Paul: Ja, ich bin noch da. (Mit Nachdruck:) Solange du da bist. Inge: Es dreht sich alles. Ich brauche eine Zigarette. Da auf dem Nachtkästchen. Ich kann mich nicht bewegen. Steckst du mir eine an? Paul: Natürlich, Liebchen. Inge: Ich dachte, Gespenster können nicht weinen. Paul: Schlaf gut.Träum was Schönes. Paul: er spielt mit den Schlangen und träumtder Tod ist ein Meister aus Deutschland dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith Seite 10 Ein Friedhof. Viele Männer in schwarzen Mänteln. Ein Sarg wird in die Erde gelassen. Irgendwo, im Hintergrund, ein Chor: Ihr Worte, auf, mir nach! Und sind wir auch schon weiter, zu weit gegangen, geht`s noch einmal weiter, zu keinem Ende geht`s Cornelia Travnicek „Kein fremder Land“ für Ingeborg Bachmann Kein fremder Land stand jemals vor den Toren der Stadt Da häufte sich das Letzte der Sprache neben den Mauern Denn wenig gilt was nicht greifbar ist Stehst du die unter Menschen nicht sein kann Immer noch neben den Birken im Windzug der Alleen Dort wo die großen Vögel ihren Südflug wagen dort Wo keine Schiffe mehr anlegen die Fährmänner die Herzen von den Masten holen hart backbord Es fand sich ein unter den Steinen bei den Ameisen Ein Volk dem nichts blieb außer die Last die es anzutreten galt darauf kann nicht verzichtet werden Stehst du die sich Momentaufnahmen hingibt Immer noch wartend im ersten Licht der neuen Nacht Bei den Segeln im Hafen dem Geruch nach Tränen Und mehr wollen die Kapitäne mindestens einen Der weißen Wale pro Tag das ist das Soll Da ergab sich dass die Sonne vom Berg ins Tal fiel Dem Schoß einer Toten von dem nichts mehr ist Fremd geblieben bis zur letzten Frist Stehst du die wortlos die Köpfe schütteln lässt Immer noch am Bug der Schiffe die mich verlassen Unter dem Aufgang einer fernen Sommerzeit ich Habe die Arme voll Haar es ist deines und ich Sage ich kann nicht bestehen nicht vor dir Seite 11 „[...] eure schwester ist heimgekehrt aus der fremde, zum wort, das war, ehe ihr wurdet [...]“ Günter Grass (aus: Todesarten) „Hätten wir das Wort, hätten wir Sprache, wir bräuchten die Waffen nicht.“ Mit diesem Zitat aus dem Text „Fragen und Scheinfragen“ spricht Ingeborg Bachmann der Sprache eine Macht zu, die größer ist als Waffengewalt. Schon früher hieß es, die Feder sei mächtiger als das Schwert; aber immer noch herrscht Krieg. Das kann nur bedeuten, dass wir das eine Wort noch nicht gefunden haben, dass wir der richtigen Sprache nicht mächtig sind. Ingeborg Bachmann beklagt mit diesem Zitat die Unzulänglichkeit der Sprache. Es mag dem Leser paradox erscheinen, dass gerade diese Frau sich der begrenzten Möglichkeiten des Mediums Sprache so bewusst war. Aber wer, wenn nicht eine Schriftstellerin ihres Formates, hat das Recht Anklage zu erheben gegen das Wort? Als die „Grenzgängerin aus Kärnten“ (Ernst Probst) bewegte sie sich in den Randgebieten der Sprache und war so nahe wie keine andere am Existentiellen des Wortes. Sie spricht aus leidvoller Erfahrung, wenn sie sagt: Wir haben es nicht, das Wort. Wir besitzen sie nicht, die Sprache. Doch die Dichterin beklagt nicht alleine das Fehlen des Wortes und das Nichtvorhandensein von Sprache, sie spricht auch von unserem eigenen Unvermögen zur Kommunikation und den daraus resultierenden Problemen. Wenn man Ingeborg Bachmanns Stimme einmal gehört hat, versteht man, dass sie manchmal fast zusammengebrochen wäre unter der Last ihrer eigenen Sprache. Ihr Leben, ihre Liebe und nicht zuletzt ihre Medikamentenabhängigkeit waren direkt mit ihrem Schreiben Seite 12 verbunden. Es ist ihr schwer gefallen, immer wieder bis an den Rand des Sagbaren zu gehen, festzustellen, wo die Sprache endet und das Unverständliche beginnt. Dazu kommt, dass die Tragik ihrer Beziehungen und auch die ihres Todes fast klischeehaft wirken, wie um zu bestätigen, dass große Kunst vor allem aus Leid entsteht. "Es schmerzte sie alles, das Leben, die Menschen, die Zeit“, sagte einer der ihr vertrauten Menschen, Hans Werner Henze, in einem Interview in den 90er Jahren. In ihrem Essay „Fragen und Scheinfragen“ behandelt Ingeborg Bachmann neben den grundsätzlichen Problemen beim Gebrauch von Sprache auch die ihrer Meinung nach aussichtslose Lage der Literatur ihrer Generation. Alles und jedes scheint ihr in gewisser Weise Plagiat, Neues nicht mehr möglich zu sein. Auch hier möchte man erwidern, dass doch gerade sie das Gegenteil bewiesen hat. Ihre Karriere war vor allem für eine weibliche Autorin beispiellos, die Tonart ihrer Lyrik einzigartig. Trotz ihrer Beziehung zu Max Frisch und ihrer Freundschaft mit Paul Celan müssen sie und ihr literarisches Werk eigenständig gesehen werden. Zwar muss man den Dialog anerkennen, den ihre frühe Lyrik mit der von Paul Celan geführt hat. Doch im Gegensatz zu vielen anderen schreibenden Frauen blieb es ihr erspart, nur als Anhang eines männlichen Literaten betrachtet zu werden. Das ist, selbst vor dem Hintergrund der Emanzipation und des Feminismus im 20. Jahrhundert, eine beachtenswerte Leistung. Im Nachhinein betrachtet, hat die literarische Zeit von Ingeborg Bachmann ihren Platz in der Vielzahl der Strömungen wohl gefunden und Neues geschaffen, so wie jede Zeit zuvor. Es bleibt dennoch verständlich, dass sie, als unmittelbar Involvierte, den Eindruck gewinnen konnte, dass die Vorwärtsbewegung zu einem Stillstand gekommen war und die Literatur in ihren alten Formen erstarrte. „Eine neue Sprache muss eine neue Gangart haben, und diese Gangart hat sie nur, wenn ein neuer Geist sie bewohnt.“ (aus: Fragen und Scheinfragen) Dieser neue Geist war es, den Ingeborg Bachmann in den Werken ihrer Kollegen und manchmal auch in ihren eigenen vermisste. Die Zeit der großen literarischen Revolutionen war scheinbar vorbei. Wahrscheinlich war es den Beteiligten gar nicht möglich, das Geschehen unvoreingenommen zu betrachten und die Veränderungen waren zu kontinuierlich und Seite 13 langsam, so dass man mit ihnen ging ohne sie zu bemerken. Dann wieder offenbart Ingeborg Bachmann eine ganz andere Seite ihres Denkens, eine fast aggressive Haltung gegen alles vor ihr Geschriebene: „Die Literatur hinter uns, was ist denn das: von Herzwänden geschnittene Worte und tragisches Schweigen, und Brachfelder von zerredeten Worten und Tümpel von stinkendem, feigem Schweigen...“ ( aus: Über Gedichte). Fast könnte man glauben, sie wolle das Alte klein machen, um das Neue davor stellen zu können; als wolle sie das schon Geschriebene relativieren, um für sich selbst das noch Ungeschriebene bereits vor seinem Entstehen bedeutender erscheinen zu lassen. Auch heute wieder steht die junge Literatur vor einer ähnlichen Problematik. Derzeit wird ein allgemeiner Verlust des Inhaltes geortet. Was soll schon kommen nach der Postmoderne und der Popliteratur – die sich zwar auch nicht durch besonderen Inhalt auszeichnete, aber wenigstens einzuordnen war? Überschattet von den österreichischen Größen des 20. Jahrhunderts, ducken sich die Nachwuchsautoren hinter den Denkmälern ihrer Vorgänger. Die Frage, ob die Daseinsberechtigung der Literatur von der Beherrschung des Wortes alleine abhängt oder doch neue Inhalte präsentiert werden sollen, steht nach wie vor zur Diskussion. Viele sehen in dieser Unzufriedenheit und im Qualitätsrückgang mancher Buchproduktionen ein nicht zu bewältigendes Problem, aber man könnte es auch anders verstehen. Könnte es sein, dass diese Phase der Inhalts- und Orientierungslosigkeit notwendig ist? Eine kurze Verschnaufpause, um Kraft zu sammeln und Klarheit über den nächsten Schritt zu erhalten; ein wenig Platz für die nächste Generation nachzurücken und Wege zu finden? Trotzdem bleibt dieses kollektive Verlangen nach neuen herausragenden Charakteren bestehen und verleitet oft zu frühzeitiger Euphorie und Erwartungen, welche die Auserwählten nicht erfüllen können. Wo sind sie, die männlichen und weiblichen Grenzgänger, die uns ein Stück mitnehmen, bis hinter den Rand? Das fragen sich Kritiker jeder - und besonders auch unserer - literarischen Zeit, aber sie sind ganz bestimmt da. Sie sind sicher keine Welle, die alles wegreißt, was vor ihnen war. Sie schämen sich auch nicht, ihre Idole zu nennen und sind sich deren Bedeutung wohl bewusst. Nichtsdestotrotz beharren sie auf ihrer Eigenständigkeit, die Angst, dass es keinen neuen Morgen in ihren Werken geben könnte, sorgsam verdrängend. Seite 14 Im Grunde war auch Ingeborg Bachmann der Sprache gegenüber positiv eingestellt: „..So ist die Literatur, obwohl und sogar weil sie immer ein Sammelsurium von Vergangenem und Vorgefundenem ist, immer das Erhoffte, das Erwünschte, das wir ausstatten aus dem Vorrat nach unserem Verlangen - so ist sie ein nach vorn geöffnetes Reich von unbekannten Grenzen…“ (aus: Literatur als Utopie) Ingeborg Bachmann macht das Schreiben zu einem offenen Reich, zu einem Land, dessen Grenzen erst gefunden werden müssen. Sie gesteht hiermit der Literatur die Möglichkeit zu Neues zu schaffen, indem aus Altem geschöpft wird. Gleichzeitig sagt sie damit auch, dass die Literatur eben ein Sammelsurium ist: aus Vergangenem, nicht nur aus vergangener Literatur, sondern auch aus vergangener Zeit, die Aufarbeitung von Geschichte, Literatur als ultimative psychologische Gruppensitzung. Literatur reflektiert immer – gleichgültig ob bewusst oder unbewusst – ein Stück Zeitgeschichte. Selbst wenn sie vollkommen auf Inhalt verzichten möchte, verrät sie in ihrer Art oft mehr als Geschichtsbücher. Sie hält fest und stellt sicher. Literatur leistet einen größeren Beitrag zum kollektiven Gedächtnis als manch historisches Werk. Wie alle Generationen vor ihr, so wird auch unsere Generation ihre Nische finden und ihren neuen Geist, auch wenn sich ihre einzelnen Vertreter unterschiedlichen Strömungen anschließen. Aber gerade das macht unsere Zeit so vielfältig. Globalisierung und Vermischung der Kulturen ermöglichen uns eine neue Unbegrenztheit. Und sie Die Literatur wird die Atmosphäre der Jahrtausendwende festhalten, wie Hesse formulierte: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Und Wittgenstein sagte: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Diese Grenzen waren es, an denen die Bachmann entlang ging und verwundert auf ihren Fuß sah, wenn er sie überschritt. Und diese Grenzen waren es, deren Existenz sie fast zornig werden ließ. Aber gleichgültig, was alles sie gesagt und geschrieben hat: Ihre große Liebe war das Wort. Seite 15 Kurzbiographien der Preisträgerinnen: Lind, Jessica: geboren 1988, aufgewachsen in Obertiefenbach bei St. Pölten. Besucht derzeit die 8. Klasse des Gymnasiums der Englischen Fräulein in St. Pölten. Begann schon früh Kurzgeschichten und Prosa zu schreiben. Maronitsch, Julia: geboren 1988, aufgewachsen in Wien und Böheimkirchen. Besucht derzeit die 8. Klasse des BRG/BORG in St. Pölten. Besonderes Interesse an Fremdsprachen (Englisch, Tschechisch) sowie deutschsprachiger Nachkriegsliteratur. Travnicek, Cornelia: geboren 1987, lebt in Traismauer Besucht derzeit die 5. Klasse der Abteilung für Elektronik an der Höheren Technischen Bundeslehr- u. Versuchsanstalt St. Pölten. Literarische Veröffentlichungen seit 5 Jahren, zahlreiche Preise, zuletzt Förderungspreis des Marianne von Willemer Preises der Stadt Linz. Seite 16 Kurzbiographie der Jury Dipl. Ing Zdenka Becker Geboren in Eger Tschechien, aufgewachsen in Bratislava lebt seit 1975 in Österreich (St. Pölten) Wirtschaftsuniversität in Bratislava, Dolmetschinstitut in Wien. Seit 1986 freie Schriftstellerin und Übersetzerin. Dr. med. Paulus Hochgatterer Geboren in Amstetten / Niederösterreich. Studium der Medizin und der Psychologie in Wien. 1985 Promotion zum Dr. med. Schriftsteller und Psychoanalytiker in Wien Literarisch tätig seit 1979 Dr. Mag.phil .Ilona Horetzky Geboren in Klagenfurt, lebt seit 1987 in St. Pölten Germanistin Unterrichtstätigkeiten an AHS und BHS sowie in der Erwachsenenbildung. Gründungspräsidentin des ZONTA Clubs St. Pölten Area. Mag.phil.Eva Riebler Geboren in Steyr, Mag. phil., Germanistin und bildende Künstlerin; seit 1979 in St. Pölten im Lehrberuf tätig, Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, zahlreiche Ausstellungen ihrer Bild Dr.Sylvia Treudl Geboren in Krems, lebt in Wien und im Weinviertel, von 1985 bis 1997 Verlegerin im Wiener Frauenverlag, Milena-Verlag, Mitbegründerin und Mitbetreiberin des ULNÖ, freie Autorin, Herausgeberin, Rezensentin, Kolumnistin. . Seite 17 Seite 18