Universität Leipzig Institut für Germanistik Seminar: Ingeborg Bachmann, SS 2009 Dozent: Prof. Dr. Burdorf Thema: Ingeborg Bachmann und die Musik Studentinnen: Franziska Ide (1.Teil) Anna Terhoeven (2.Teil) Datum: 1.6.2009 Ingeborg Bachmann und die Musik 1. Wie Ingeborg Bachmann zur Musik fand Ingeborg Bachmanns Liebe zur Musik begann schon vor ihrer Leidenschaft für die Literatur. Vielmehr noch, erst durch das Komponieren von klassischer Musik fand sie zur Dichtung. Ich habe als Kind zuerst zu komponieren angefangen. Und weil es eine Oper sein sollte, habe ich nicht gewusst, wer mir dazu das [ Textbuch] schreiben wird, was die Personen singen sollten, also habe ich es selbst schreiben müssen…Aber ich habe ganz plötzlich aufgehört, habe das Klavier zugemacht und alles weggeworfen, weil ich gewusst habe, dass es nicht reicht, dass die Begabung nicht groß genug ist. Und dann habe ich nur noch geschrieben […].1 In einem Interview aus dem Jahre 1971 tätigte sie sogar die Äußerung, dass sie zur Musik eine vielleicht noch intensivere Beziehung als zur Literatur habe.2 Auf ihre enge Bindung machte sie die Öffentlichkeit allerdings erst relativ spät aufmerksam. In den Interviews zur Malina- Produktion im Jahre 1971 äußerte sich Bachmann erstmals ausführlicher zur Musik. Am bekanntesten ist ihre Arbeit als Librettistin für ihren damaligen Lebensgefährten, dem Komponisten Hans Werner Henze. Sie verkehrte weiterhin mit den Komponisten Luigi Nono, Theodor W. Adorno und Karl Amadeus Hartmann. Eine Zusammenarbeit mit diesen Künstlern gab es allerdings nicht. 3 Bartsch, Kurt: Ingeborg Bachmann. Stuttgart; Weimar 1997, S. 88 ‒ 89 Bartsch, S. 88 3 Caduff, Corina: „ dadim dadam“- Figuren der Musik in der Literatur Ingeborg Bachmann. Köln; Weimar; Wien 1998, S. 69 ‒ 70 1 2 1 2. Libretti Bereits 1956 versuchte Bachmann für Hans Werner Henze ein Libretto zu schreiben. Nach ihrer Aussage zufolge misslang dieser Versuch aber völlig und sie wagte sich erst zwei Jahre später (1958) für Henzes Vertonung von Heinrich von Kleists (1777- 1811) Prinz von Homburg4 an das Schreiben eines Operntextes. Die Oper geht zurück auf eine Anregung des italienischen Regisseurs Luchino Visconti, der mit Henze an dem Tanztheater-Projekt Maratona di danza gearbeitet hatte (1957)5 und wurde am 22. Mai an der Hamburger Staatsoper uraufgeführt. Ein weiteres Libretto verfasste Bachmann 1964 für Henzes Oper Der junge Lord.(Uraufführung am 7.April 1965 an der Deutschen Oper Berlin).6 Bachmanns lyrisches Talent kam Henzes Vorliebe für die Arbeit mit und am Wort sehr entgegen und auch für Bachmann war die Zusammenarbeit mit ihrem Partner von großer Bedeutung. Die Begegnung mit Hans Werner Henze ist für mich sehr, sehr wichtig, denn wirklich verstanden habe ich erst durch ihn.7 Bachmann hält sich beim Prinzen an Homburg an Kleists Vorlage, kürzt den ursprünglichen Stoff aber auf die für die Oper erforderliche Länge von etwa einem Drittel. Sie hebt jedoch die individualistische Haltung des Prinzen sowie seine Verträumtheit antimilitaristischen, und Gefühle antipreußischen hervor und und kommt antinationalistischen damit den Tendenzen entgegen, die sie und Henze schon in der Vorlage erkannten. Beide teilen die Auffassung, dass das Brandenburg der damaligen Zeit, in dem das Stück spielt, nicht ein historisches Gebilde jener Tage widerspiegelt, sondern als ein antikes Idealland verstanden werden müsse. Das Henze-/ Bachmann- Opus opponiert gegen den vergangenen Faschismus und gegen die neu aufkeimenden obrigkeitsstaatlichen und militaristischen Tendenzen.8 Auch Bachmanns zweites Libretti ist mehr politischer Text als komische Oper. Der junge Lord basiert auf der Märchenerzählung Der Affe als Mensch von Wilhelm Hauff (1802- 1827). Hier hält sich Ingeborg Bachmann jedoch nicht an 4 Das Drama entstand 1909/10, wurde aber erst nach dem Tod von Kleist im Jahre 1912 in Wien uraufgeführt. 5 Beck, Thomas: Bedingungen des librettistischenSchreibens, Die Libretti Ingeborg Bachmanns für Hans Werner Henze. Würzburg 1997, S. 155 6 Bartsch, Kurt: Ingeborg Bachmann. Stuttgart; Weimar 1997. Sammlung Metzler Bd. 242, S. 88 7 Caduff, S. 72 8 Bartsch, S. 90‒ 91 2 die literarische Vorlage sondern formuliert die didaktische Geschichte in eine Kritik am deutschen Spießbürgergeist um. 9Der junge Lord führt die Defizite des Daseins in der Enge eines kleinbürgerlichen Idylls vor und die Gefahr der daraus resultierenden Verführbarkeit des Kleinbürgertums.10 Das Nachäffen des Äffchens steht damit gleichbedeutend mit der Anfälligkeit des Kleinbürgertums für den Faschismus. Eine letzte librettistische Arbeit waren die Zwischentexte zur konzertanten Aufführung des Freischütz aus dem Jahre 1967 auf Anregung Rolf Liebermanns.11 3. Malina In Bachmanns Erzählungen wird die Musik nicht zum Gegenstand der literarischen Rede. Es wird nicht über sie gesprochen und es werden keine musikalischen Stücke diskutiert. Vielmehr ist die Musik eine Hilfe, um sich in den Zustand von Vorstellung und Erinnerung (für das Schreiben) zu versetzten.12 Das Hören trägt dazu bei, um sich Erinnerungen zu verdeutlichen und sie mit Vorstellungen zu versehen. Das Musik- Motiv in Bachmanns Texten bleibt jedoch stets beiläufig, diskontinuierlich, punktuell und peripher.13 So singen und summen die Protagonisten oder hören eine Musik oder einen Gesang. Im Zentrum steht die Musik nie. Bedeutungslos ist sie dennoch nicht, wie das Beispiel Malina zeigt. In vielfältigster Art und Weise wird hier das Musikmotiv eingesetzt. Verschiedene Lieder, Schallplatten, Musikwerke und Komponistennamen werden in dem Roman erwähnt.14Meiner Ansicht nach, beschreibt es zudem Bachmanns eigene Einstellung zur engen Bindung von Sprache und Musik. Ihren Roman Malina nannte Bachmann die Overture der Todesarten.15 Sie zitiert am Anfang und am Ende Ausschnitte aus einer Notenschrift. Laut Bachmanns Vorbemerkungen handelt es sich dabei um eine Partitur von Arnold Schönbergs Pierrot luniere (1912)16 Hier wird die Musik als Sprache der Liebe relevant. 17 Die 9 Ebd. Ebd., S. 92 11 Caduff, S. 71 12 Ebd., S. 173 13 Ebd., S. 174 14 Caduff, Corina: Musik als Erinnerungsfigur bei Ingeborg Bachmann. In: Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 6: Ingeborg Bachmann. München 1995, S. 101 15 Ebd., S. 70 16 Ebd., S.191 17 Ebd., S. 179 10 3 Titelfigur zerstört am Ende die Hinterlassenschaft der Ich- Protagonistin, darunter auch die Pierrot- Schallplatte, die Bewahrerin der ersten mythischen Liebessprache zwischen der Ich- Figur und Malina. Und genauso wie Ingeborg Bachmann erst über die Musik zur Sprache fand, vollzog sich auch die erste intensivere Begegnung der beiden Hauptpersonen dadurch. Die Ich- Erzählerin erinnert sich: Mir fällt ein, was Malina zum erstenmal für mich gespielt hat, ehe wir anfingen wirklich miteinander zu reden,[…] 18 Und auch Malina geht auf dieses Wechselspiel von Melodie und Wort ein. Er spielt wirklich und spricht halb und singt halb und nur hörbar für mich19. Neben den Pierrot- Zitaten finden sich noch Libretti- Zitate aus Opern Richard Wagners20, die aber nur geschulten Klassikliebhabern auffallen dürften. Weiterhin verwendet sie wiederholt in den Dialogen mit Malina Lautstärke- und Tempobegriffe, wie sie für Musikstücke verwendet werden (crescendo, forte, con fuoco, tempo giusto).21 Sie drücken die Bandbreite der Erregung im Sprechakt aus. Auch die Musik an sich kommt in Malina zum Tragen. So ist am Ende des Prologs folgender Absatz zu lesen: „[…], denn wichtiger ist, dass mir dazu gleich das Kino hinter dem Kärntnerring einfiel, in dem ich zwei Stunden lang, in Farben vertan und in viel Dunkelheit, zum ersten Mal Venedig gesehen habe, die Schläge der Ruder im Wasser, auch eine Musik zog mit Lichtern durchs Wasser und ihr dadim, dadam, das mich mitzog, hinüber in die Figuren, die Doppelfiguren und ihre Tanzschritte.[…] Die Musik habe ich oft wiedergehört, improvisiert, variiert, aber nie mehr so und richtig, einmal aus einem Nebenzimmer, wo man sie zerfetzte während einer mehrstimmigen Diskussion über den Zusammenbruch der Monarchie, die Zukunft des Sozialismus, und einer begann zu schreien, weil ein anderer etwas gegen de Existenzialismus oder den Strukturalismus gesagt hatte, und ich horchte vorsichtig den Takt heraus, aber da war die Musik schon zugrunde gegangen im Geschrei, und ich ohne mich, weil ich sonst nichts mehr hören wollte.“22 18 Koschel, Christine; Münster, Clemens; von Weidenbaum: Ingeborg Bachmann. Werke. Bd.3: Todesarten: Malina und unvollendete Romane. München, Zürich 1993, S. 319 19 Ingeborg Bachmann. Werke, S. 319 20 Caduff, S.195 21 Beispiel: Ingeborg Bachmann. Werke, S. 290 22 Ebd., S.26 – 27 4 Nicht nur das die Musik an dieser Stelle stark bildlich personalisiert auftritt, mit dem „dadim dadam“ gibt Bachmann zudem einen Rhythmus an. Dies ist wieder ein gemeinsames Merkmal von Musik und Sprache. Das Rhythmusmotiv, wie auch das Musikmotiv an sich tauchen dann später nochmals in Verbindung mit der zweiten männlichen Hauptfigur, ihrem Liebhaber Ivan, auf. Autofahrt mit Ivan durch Berlin: „[…] , das Rathaus und das Parlament sind von einer Musik überschwemmt, die aus dem Radio kommt, das soll nie aufhören […], GLÜCKLICH, GLÜCKLICH, es heißt glücklich, es muss glücklich heißen, denn die ganze Ringstraße ist untermalt von einer Musik, ich muss lachen, weil wir sprungartig anfahren, weil ich überhaupt keine Angst habe heute und nicht an der nächsten Ampel herausspringen will, weil ich noch stundenlang weiterfahren möchte, leise mitsummend, für mich schon zu hören, aber für Ivan nicht, weil die Musik lauter ist.“23 Auch ist die Musik in der Szene Ausdruck ihrer Stimmung. Die Ich- Erzählerin ist verliebt und glücklich. So glücklich, dass sie die Lust zum Singen verspürt und dem trotz ihrer inneren Befangenheit nachgibt, indem sie leise die Musik im Radio mitsummt. Es handelt sich um den Refrain des französischen Volksliedes „Auprés de ma blonde“.24 Alles in allem ist der Roman Malina ein Beleg dafür, obwohl und vielleicht gerade weil die Musik keine offensichtlich zentrale Rolle zugeteilt wird, wie wichtig und funktionsreich die Musik für die Autorin Ingeborg Bachmann und ihre Sprache war. Quellen: - Bartsch, Kurt: Ingeborg Bachmann. Stuttgart; Weimar 1997. Sammlung Metzler Bd. 242 - Beck, Thomas: Bedingungen des librettistischenSchreibens, Die Libretti Ingeborg Bachmanns für Hans Werner Henze. Würzburg 1997 23 24 Bachmann. Werke, S. 59 – 60 Caduff, S.223 5 - Caduff, Corina:„ dadim dadam“- Figuren der Musik in der Literatur Ingeborg Bachmann. Köln; Weimar; Wien 1998 - Caduff, Corina: Musik als Erinnerungsfigur bei Ingeborg Bachmann. In: Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 6: Ingeborg Bachmann. München 1995 - Koschel, Christine; Münster, Clemens; von Weidenbaum: Ingeborg Bachmann. Werke. Bd.3: Todesarten: Malina und unvollendete Romane. München, Zürich 1993 6