FALSCH RICHTIG Aus André van Lysebeth – die große Kraft des

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Aus André van Lysebeth – die große Kraft des Atems
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KONTROLLE ÜBER DAS ZWERCHFELL
Obwohl in ihrer Zahl äußerst vielfältig, lassen sich die Asanas auf
eine beschränkte Anzahl von Grundsätzen zurückführen: stati sche, unbewegliche Phasen, Atmungskontrolle, Abwesenheit von
Anstrengung, Dehnung der Muskulatur, Konzentration. Würde
man auch nur eines dieser Merkmale mißachten, hätte dies eine
Veränderung der Wirksamkeit der Stellungen zur Folge. Dasselbe
gilt von Pranayama und für die Yogi-Atmung. In beiden Fällen ist
die aktive Mitwirkung des Zwerchfelles ein wesentlicher Bestand teil des Ablaufes und der Wirksamkeit des Atmu ngsprozesses. Die
Kontrolle des Zwerchfelles erlaubt es dem Yogi, den Druck im
Brustkorb nach Wunsch zu ändern, was bedeutende Wirkungen
zur Folge hat. Es ist sehr bedauerlich, daß der westliche Schüler
diesbezüglich sehr oft in Unwissenheit belassen wird. Im Westen
kennen wir die Technik der vollständigen Yogi -Atmung sehr
wohl, dagegen gibt es über die aktive Rolle derselben kaum Anweisungen. Solche Anweisungen sind um so notwendiger, als die
yogischen Techniken des Pranayama von unseren westlichen ab weichen, wonach die Bauchwand während des ganzen Atmungsvorganges passiv und entspannt bleiben soll.
Die Bauchwand ermöglicht die abdominale Atmung, übrigens so
genannt, weil sie von einer Weitung des Abdomens begleitet wird,
indem sie ohne Widerstand dem Druck des Zwerchfells weicht,
welches seinerseits auf die Eingeweide drückt.
Wie ist man im Westen dazu gekommen, die Bauchatmung mit
entspanntem Zwerchfell zu predigen? Ich habe den Eindruck, daß
dies eine Reaktion gegen die Atmungstechnik in der Gymnastik
ist, welche fast ausschließlich die Brustkorbatmung betont. Die
beiden nebenstehenden Zeichnungen, welche einem Werk über
Atmungserziehung entnommen sind, geben Aufschluß.
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FALSCH
Beatmung des Brustkorbes
Anheben der Brust
Heben der Schultern
Abflachen des Bauches
RICHTIG
Bauchatmung
Unbeweglichkeit der Brust
Unbeweglichkeit der Schultern
Auswölbung des Bauches
bei der Einatmung
Der Autor, dessen Name ich hier verschweige, verwirft richtigerweise die »gymnastische« Atmung. Er ersetzt sie durch die Bauchatmung. Dies ist ein Fortschritt gegenüber der Atmung der Turner,
denn sie erlaubt eine vollere und leichtere Einatmung. Im Pranayama hat sie verschiedene Nachteile. Unter dem Einfluß solcher
Arbeiten und aus Mangel an genauen Anweisungen hat sich diese
Auffassung der Rolle der Bauchwand sogar bei Yoga-Schülern
verbreitet, die glauben, daß während der Bauchatmung die Bauchwand entspannt und der Bauch während der Einatmung nach
außen gewölbt werden muß. In diesem Zusammenhang wäre es
besser, das Wort »Bauchatmung« durch »Zwerchfellatmung« zu
ersetzen! Sicherlich ist die Zwerchfellatmung in der Yogi-Atmung
die wichtigste Phase. Pranayama ohne bewußte Kontrolle der
Bauchwand ist ein Unsinn.
Um zu verstehen, was sich mechanisch abspielt, vergleichen wir
den Rumpf mit einem Zylinder, der auf der Höhe des Thorax fest
und auf jener des Bauches elastisch ist. Weil die Bauchwand verformbar und willentlich kontrollierbar ist, wirkt sich ihr Verhalten
auf alle Atmungsprozesse aus. Im Zylinder bewegt sich ein Kolben
von oben nach unten, das Zwerchfell. Es ist erstaunlich, in welchem Maße das Vorhandensein des Zwerchfelles verkannt wird,
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und wie wenig seine Funktion, Form, Stellung und Bewegung bewußt sind. Nach Dr. A. Salmanoff unterschätzten sogar Ärzte
seine Bedeutung.
»Es ist eine merkwürdige, ja komische und traurige Geschichte
um die Physiopathologie des Zwerchfelles. Sicherlich kennt die
Klinik die diaphragmatische Brustfellentzündung, die Lähmungen
des Zwerchfelles, die phrenologischen Abszesse. Das Zwerchfell
ist ein nicht sehr wichtiger Muskel, der in der Atmung eine große
Rolle spielt, dies wird im Vorübergehen erwähnt... Die physiopathologische Rolle des Zwerchfelles in chronischen Krankheitsentwicklungen wird vollständig mißachtet und in der medizinischen
Literatur vernachlässigt...«
Die obenstehenden Darstellungen zeigen, daß man eine nur zwerchfellbetonte Atmung durch eine Brustkorbatmung ersetzt hat. Dies ist ein
Fortschritt, jedoch nicht ausreichend.
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»Betrachten wir das Zwerchfell näher und versuchen wir, seine
Funktion im Zusammenhang mit den verschiedenen Funktionen
des Organismus zu erfassen. In einem gesunden Organismus vollzieht das Zwerchfell 18 Bewegungen in der Minute. Es bewegt
sich etwa 4 cm nach oben und 4 cm nach unten, so daß seine
mittlere Amplitude 8 cm beträgt. 18 Bewegungen in der Minute,
1000 in der Stunde und 24000 in 24 Stunden! Denken Sie an die
Arbeit, welche dieser Muskel, der kräftigste unseres Organismus,
leistet. Der Kolben senkt sich ab, wie bei einer Pumpe, komprimiert
die Leber, die Milz, den Darm, indem er die gesamte Zirkulation
im Bauch belebt. Indem es Blut- und Lymphgefäße des Abdomens
komprimiert, befördert das Zwerchfell die venöse Zirkulation und
jene des ganzen Abdomens zum Thorax. Es ist ein zweites, venöses
Herz.
Die Zahl der Bewegungen des Zwerchfelles entspricht einem Viertel jener des Herzens. Seine hämodynamische Wirkung dagegen
ist viel größer als jene der Herzkontraktionen, weil die Oberfläche
der Druckpumpe wesentlich größer ist und sie bedeutend stärkere
Stöße erzeugt als das Herz.
Wie steht es mit der Rolle der »Zwerchfellpumpe« beim Transport
der Lymphe zum Brustkorb, bei der systematischen Kompression
der Hohlräume im Darm während 24000 Malen im Tag? Diese
Hohlräume im Darm sind der einzige Sitz des allgemeinen Metabolismus, wo sich die geheimnisvolle Umwandlung der assimilierbaren Substanzen der Ernährung von Zellen und Geweben vollzieht. Das Zwerchfell ist eine geduldige Maschine für die Ernährung des Organismus.
Durch die regelmäßige, ununterbrochene Einwirkung des Zwerchfelles auf die Leber werden sozusagen alle ihre Funktionen geför dert und günstig beeinflußt.«
Wir werden sehen, daß das Zwerchfell seine Rolle nur dann ganz
spielen kann, wenn die Zwerchfellatmung unter Kontrolle der
Bauchwand verläuft.
Prüfen wir vorerst, was geschieht, wenn die Zwerchfellatmung
mit entspannter Bauchwand abläuft. Dann vergleichen wir, was
vor sich geht, wenn dies unter Kontrolle geschieht. Die untenstehenden Zeichnungen weisen den Unterschied nach.
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AUSATMUNG
EINATMUNG
Gewöhnliche Ausatmung
ohne Kontrolle der
Bauchwand
Einatmung ohne Kontrolle der Bauchwand. Sie ist nur bei Personen angezeigt, welche ein blockiertes Zwerchfell haben, oder während einer Nacherziehung betreffend die Atmung.
Das Zwerchfell senkt sich und
verdrängt die Eingeweide.
Die Bauchwand
hält die inneren Organe
Die Bauchwand weicht, und der
Bauch wölbt sich nach außen.
A. Endstellung der Ausatmung ohne Kontrolle der Bauchwand.
B. Endstellung der Einatmung ohne Kontrolle der Bauchwand.
Das Zwerchfell ist in seiner höchsten Stellung, die Muskeln des
Bauches sind der Atmung gefolgt und haben die Eingeweide gestützt. Es hat keine forcierte Ausatmung stattgefunden. Die Bauchhöhle ist eiförmig geworden. Weil die Bauchwand nicht gespannt
ist, stehen die Eingeweide unter keinem bedeutenden Druck.
Nach einer Einatmung mit Hilfe des Zwerchfelles ohne Kontrolle
der Bauchwand hat sich das Zwerchfell abgesenkt, und die Basis
der Lunge hat sich mit Luft gefüllt. Bemerken wir, daß sich die
Bauchhöhle, die zu Beginn eiförmig war, zu einem abgeflachten
Ballon verändert hat, daß aber das Volumen praktisch unverändert
blieb. Die Organe haben sich nach unten und nach vorn verlagert.
Mit der Zeit kann aus dieser Atmung eine dauernde Veränderung
der Bauchwand entstehen. Die Atmung wird immer mehr zu einer
Bauchatmung. Die mit einer übermäßigen Menge an Blut gefüllten Organe sind verstopft, die Blutzirkulation ist verlangsamt,
die biologischen Prozesse gebremst. Diese normalerweise nicht zu
empfehlende Atmungsweise ist im Pranayama unmöglich, denn
außer anderen Nachteilen stellt sie auch die Brustkorb- und die
Lungenspitzenatmung in Frage. Die beiden folgenden Zeichnungen zeigen eine korrekte Atmung mit kontrollierter Bauchwand.
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AUSATMUNG IM
PRANAYAMA
PRANAYAMA-EINATMUNG
mit kontrollierter Bauchwand
mit kontrollierter Bauchwand
Forcierte Ausatmung:
Die Bauchwand stößt die Organe zurück.
Das Volumen der Bauchhöhle ist verkleinert.
Die Organe werden massiert.
Der Druck des Zwerchfelles
stößt die Eingeweide zurück, der
Gegendruck der Bauchwand
erhöht den in-tra-abdominalen
Druck, vermindert jedoch das
Volumen an eingeatmeter Luft
nicht.
C. Vollständige Ausatmung mit kontrollierter Bauchwand
D. Yogi-Einatmung mit kontrollierter Bauchwand.
Am Schluß" der Ausatmung drückt die angezogene Bauchwand (sie
wurde übrigens während der Einatmung nie völlig entspannt) die
Eingeweide des Bauches nach hinten gegen den festen Rücken,
wodurch die Eingeweide nach oben und unten ausweichen. Durch
den Druck nach oben wird das entspannte Zwerchfell in den Brustraum gehoben. Damit wird ein Maximum an Luft ausgestoßen.
Diese Arbeit der Bauch wand erhöht den intraabdominalen Druck
und jenen innerhalb des Brustkorbes. Die schwammartigen Or gane, die vorhin zusammengepreßt und mit Blut gefüllt waren,
nehmen ihre normale Form und ihr ursprüngliches Volumen
wieder an.
Während der Einatmung senkte sich der »Zwerchfellkolben« ab.
Am Ende der Einatmung befindet er sich ebenso weit unten, wie
bei der Atmung ohne Kontrolle der Bauchwand (Abbildung B). Es
gibt also keine Verminderung der eingeatmeten Luft, obwohl die
Bauchwand während des Absinkens des Zwerchfelles elastisch
angezogen blieb, anstatt der Masse der Eingeweide zu weichen,
die durch das Zwerchfell zurückgeschoben wurde.
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Unterhalb des Bauchnabels bleibt die Bauchwand immer angezogen (nicht verkrampft)! Oberhalb des Nabels gibt sie etwas nach,
ohne die Kontrolle und den Halt der nachstoßenden Organe aufzugeben.
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In den Stellungen C und D ist das Volumen der Bauchhöhle geringer als in A und B. Der Bauch ist nicht verändert. Das Volumen C
und D ist ideal. Weil die Organe schwammartig nachgeben, sobald sie nicht mehr unter Druck stehen, nehmen sie wieder ihre
normale Form an. Ferner erhöht die durch die Pfeile gekennzeichnete Gegenwirkung zwischen dem Stoßen des Zwerchfelles und
dem Widerstand der Bauchwand den intraabdominalen Druck.
.
PHYSIOLOGISCHE RÜCKWIRKUNGEN
Große senkrechte
Muskulatur
Schräge innere
Muskulatur
Alle Funktionen werden physiologisch angeregt, und es ergibt
sich eine Intensivierung der vitalen Prozesse. Nur eine
Bauchatmung mit kontrollierter Bauchwand erlaubt eine
korrekte Brustkorb- und Schlüsselbeinatmung.
Die drei Phasen der vollständigen Yogi-Atmung können nur
mit Unterstützung einer kontrollierten Bauchwand richtig
ausgeführt werden. Eine derart durchgeführte Atmung sichert
dem Pranayama alle seine Wirkungen
Die aktive Rolle der Bauchwand wurde kaum jemals erwähnt,
außer in einer jetzt vergriffenen kleinen Schrift (1930) »Yoga
Mimansa« von Schrimat Kuvalayananda, dem Gründer des Forschungsinstitutes für wissenschaftlichen Yoga in Lonavla. Hier die
Übersetzung dieses wichtigen Abschnittes:
»Im Pranayama kommt den Druckänderungen große Bedeutung
zu, wenn man die Physiologie der Yoga-Übungen verstehen will,
die eine geistige Entfaltung erstreben. Die Prozesse des Yoga zur
Erweckung der Kundalinikraft sind hauptsächlich durch zwei Faktoren gekennzeichnet. Sie enthalten sowohl die Dehnung der Wirbelsäule und ihrer anliegenden Bezirke wie eine verstärkte Blutversorgung der Bereiche der Wirbelsäule, insbesondere im Unterleib und in der Ledengegend. Im Pranayama (mit kontrollierter
Bauchwand) geschieht die Dehnung der Wirbelsäule durch Manipulation des kontrahierten Zwerchfelles, besonders durch die Ar beit der beiden crura. *
Nach einer möglichst tiefen Einatmung, wenn das Zwerchfell maximal kontrahiert ist, und sich in seiner tiefsten Stellung befindet,
wird es durch die große senkrechte Muskulatur (in der Mitte des
Bauches) wieder nach oben gedrückt, und diese ihrerseits drückt
auf die Eingeweide. Das gespannte Zwerchfell mit seinen beiden
crura übt einen entgegengesetzten Druck aus. Auf diese Weise ist
die Wirbelsäule und ihre anliegenden Bereiche einem andauernden
Zug ausgesetzt.
Wir sehen, daß der hohe intra-abdominale Druck im Pranayama
durch den Zug der beiden crura nach oben für die Erweckung
von Kundalini mitverantwortlich ist.«
Zusammenfassend: auf der Höhe des Bauches erhöhter Druck; auf
der Höhe des Brustkorbes Unterdruck während der Einatmung
(ohne welchen die Luft von außen nicht in die Lunge eindringen
könnte). Dieser Unterschied zwischen dem erhöhten Druck in der
Bauchhöhle und dem normalen Druck im Brustkorb hat starken
Einfluß auf die Blutzirkulation.
* »crura« ist die Mehrzahl von »crus«, lat., und meint die beiden fasrigen
Verlängerungen der Wölbung des Zwerchfelles, welche mit den Lendenwirbeln verbunden sind. Es sind die eigentlichen Säulen der Zwerchfellwölbung.
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