Modellierung der inneren Uhr

Werbung
39. DGMP Tagung 2008 in Oldenburg
Modellierung der inneren Uhr – intrazelluläre
Rückkopplungsschleifen und Synchronisation
Herzel, Hanspeter
Institute for Theoretical Biology, Humboldt Universität zu Berlin
Invalidenstrasse 43, 10115 Berlin, Deutschland
Kontakt: [email protected]
Die innere Uhr – Physiologie und Dynamik
Die Erdrotation induziert eine 24 Stunden Periodik biologisch relevanter Variablen wie Licht, Temperatur,
Nahrungsangebot und Bedrohung durch Raubfeinde. Deshalb besitzen eine Vielzahl von Organismen eine innere
Uhr, die endogen oszilliert und die Aktivitäts- und die Stoffwechselprozesse koordiniert.
Beispielsweise ist das genetische Programm von Cyanobakterien tagsüber auf Photosynthese eingestellt,
während es nachts die Zellteilung koordiniert. Die Uhr bei Cyanobakterien wird durch zyklische
Phosphorylierung weniger Uhrproteine (KaiA, KaiB, KaiC) gesteuert, sodass eine 24-Stunden Rhythmik sogar
in vitro beobachtet werden kann. Für dieses relativ einfache System wurden inzwischen mathematische Modelle
entwickelt (Clodong et al. 2007).
Die autonome innere Uhr bei Säugern wird durch eine kleine Hirnregion, den suprachiasmatischen Nukleus
(SCN) generiert. Dieser SCN besteht aus etwa 20000 Neuronen, die synchron im 24-Stunden-Takt ihre Feuerrate
variieren und damit Hormone, das autonome Nervensystem und die Körpertemperatur modulieren. Es konnte
gezeigt werden, dass jedes Neuron intrazellulär eine selbsterregte Schwingung erzeugen kann. Diese werden
durch verzögerte negative Rückkopplungen der Expression von Uhrgenen generiert. Interessanterweise findet
man auch peripheren Organen, beispielsweise in Hautzellen, dieselben molekularen Oszillationen (Brown et al.
2008).
Die Periode der inneren Uhr weicht leicht vom äußeren Tagesrhythmus ab. Nachtaktive Mäuse haben
beispielsweise im Mittel eine Periode von 23,5 Stunden, während Menschen eine endogene Periode von etwa
24,5 Stunden besitzen. Genetische Modifikationen können zu extremen Chronotypen führen, den so genannten
Eulen und Lerchen (Brown et al. 2008). Die Analyse der inneren Uhr umfasst das gesamte Spektrum
biologischer Systeme: Verhaltensstudien, neuronale Netze, endokrines System, biochemische Oszillationen und
genetische Veranlagungen. Somit ist die Chronobiologie naturgemäß hochgradig interdisziplinär. Da es sich
insbesondere um eine Hierarchie gekoppelter Oszillatoren handelt, sind Konzepte aus der Nichtlinearen
Dynamik extrem fruchtbar.
Synchronisation circadianer Rhythmen
Die kleinsten oszillierende Einheiten im circadianen Uhrwerk von Säugern sind einzelne Zellen. Uhrgene wie
Period oder Cryptochrome werden zu einer bestimmten Tageszeit transkribiert und an den Ribosomen in
Proteine umgewandelt. Diese Proteine werden modifiziert, bilden hochmolekulare Komplexe und akkumulieren
etwas 6 Stunden später im Zellkern, wo sie ihre eigene Produktion inhibieren. Diese negative
Rückkopplungsschleife mit einer Verzögerung von mindestens 6 Stunden kann selbsterregte Schwingungen mit
einer Periode von etwa 24 Stunden erzeugen. Viele mechanistische Details der nichtlinearen Prozesse sind noch
nicht quantitativ aufgeklärt, aber mathematische Modelle können die experimentellen Daten reproduzieren.
Insbesondere führt die Interaktion von positiven und negativen Rückkopplungen zu komplex
Bifurkationsdiagrammen, welche nichttriviale Effekte von Doppel-Mutationen erklären können (BeckerWeimann et al. 2004). Einzelzellmodelle können auch eine genetische Krankheit (Familial Advance Sleep Phase
Syndrome) reproduzieren (Vanselow et al. 2006). Hier wird durch eine einzige Punktmutation die Schlafphase
um etwa 5 Stunden verschoben.
Die selbsterregten Oszillationen werden durch die Tag-Nacht-Rhythmen synchronisiert. Mit Hilfe von PhasenResponse-Kurven kann gezeigt werden, dass trotz variabler Tageslänge im Verlaufe des Jahres stabile
Phasenbeziehungen zwischen externen Taktgeberrn wie Sonnenaufgang und inneren Markern wie der
Genexpression möglich sind (Geier et al. 2005).
Fußzeile TimesNewRoman 10
39. DGMP Tagung 2008 in Oldenburg
Ein vieldiskutiertes Problem ist die robuste Synchronisation der 20000 Neurone im SCN. Es bestehen
synaptische Kopplungen, aber Mutationsstudien zeigen, dass vor allem diffundierende Neurotransmitter die
Kopplung vermitteln. Da die Rhythmen sehr langsam sind im Vergleich zu den relevanten Diffusionszeiten,
kann die Synchronisation via Neurotransmitter näherungsweise durch eine globale Kopplung modelliert werden.
Die Periode individueller Zellen kann recht variabel sein (20 bis 28 Stunden). Aus der Theorie der gekoppelten
Oszillatoren könnte somit vermutet werden, dass toroidale Oszillationen oder auch deterministisches Chaos
häufig sein sollten. Die meisten Experimente zeigen jedoch eine sehr robuste Synchronisation aller 20000
Oszillatoren. Numerische Simulationen haben eine denkbaren Mechanismus gefunden (Gonze et al. 2005):
Wenn die Mehrheit der Zellen nicht selbsterregt schwingt, sondern erst durch autokrine Rückkopplungen
angeregt wird, so sollte eine synchrone Oszillation die Regel darstellen. Mit anderen Worten, selbsterregte
Oszillationen und Kopplung bedingen einander. Aktuelle experimentelle Daten unterstützen diese Hypothese
(Bernard et al. 2007). Dieser Mechanismus impliziert auch, dass Störungen relativ schnell relaxieren, wie es
beispielsweise beim Jetlag beobachtet wird (Locke et al. 2008).
Diskussion
Auch wenn bereits einige Aspekte der Koordination circadianer Rhythmen modelliert werden konnten, sind
viele Fragen noch weitgehend offen: Welche Nichtlinearitäten spielen die zentrale Rolle? Wie wird die
Verzögerung von 6 Stunden kontrolliert? Wie stark sind die Kopplungen zwischen Neuronen? Wie wird der
circadiane Rhythmus an periphere Organe weitergeleitet? Wie stark sind Rückkopplungen der Stoffwechsels auf
den Taktgeber im SCN?.
Diese Probleme erfordern insbesondere quantitative Daten auf Einzelzell-Ebene. Mathematische Modellierung
gekoppelter Oszillationen kann wesentlich dazu beitragen, geeignete Experimente zu konzipieren, Daten zu
integrieren und Hypothesen zu generieren. Dazu ist eine noch intensivere interdisziplinäre Zusammenarbeit
zwischen Molekularbiologen, Physiologen und Physikern erstrebenswert.
Literatur
S. Becker-Weimann, J. Wolf, H. Herzel, and A. Kramer: Modeling feedback loops of the mammalian circadian
oscillator. Biophys. J. 87: 3023-303 (2004).
F. Geier, S. Becker-Weimann, A. Kramer, and H. Herzel (2005). Entrainment in a model of the mammalian
circadian oscillator. J. Biol. Rhythms, 20, 83-93 (2005).
D. Gonze, S. Bernard., C. Waltermann., A. Kramer, and H. Herzel: Spontaneous synchronization of coupled
circadian oscillators. Biophys. J. 89:120-12 (2005).
K. Vanselow, J. T. Vanselow, P. O. Westermark, S. Reischl, B. Maier, T. Korte, A. Herrmann, H. Herzel, A.
Schlosser, and A. Kramer: Differential effects of PER2 phosphorylation: molecular basis for the human familial
advanced sleep phase syndrome (FASPS). Genes and Development, 20, 2660-2672 (2006).
S. Bernard, D. Gonze, B. Cajavec, H. Herzel, and A. Kramer: Synchronization-induced rhythmicity of
circadian oscillators in the suprachiasmatic nucleus. PLoS Computational Biology, 3:e68 (2007).
S. Clodong, U. Duehring, L. Kronk, A. Wilde, I. Axmann, H. Herzel, and M. Kollmann: Functioning and
robustness of a bacterial circadian clock. Molecular Systems Biology, 3:90 (2007).
J. C. W. Locke, P. O. Westermark, A. Kramer, and H. Herzel: Global parameter search reveals design
principles of the mammalian circadian clock. BMC Systems Biology. 2:22 (2008).
S. A. Brown., D. Kunz,, A. Dumas., P. O. Westermark., K. Vanselow., A. Tilmann-Wahnschaffe., H. Herzel,
and A. Kramer: Molecular insights into human daily behavior. Proc. Nat. Acad. Sci. USA, 105:1602-1607
(2008).
Fußzeile TimesNewRoman 10
Herunterladen