68612286 GOTTES AUFLEUCHTEN IN VIELGESTALTIGKEIT (thematisch) Paul VI. Heute vor 28 Jahren starb Papst Paul VI., ein bedeutender Mann der Kirche. Er war klein von Gestalt und eher verhalten in seinem Wesen. Sein Pontifikat ist umgeben von drei Päpsten mit großer und charmanter Ausstrahlung: Johannes XXIII. , Johannes Paul I., jene Lichtgestalt auf dem Papstthron, die leuchtete und keine Zeit hatte, Fehler zu machen, weil er schon nach vier Wochen starb - und nach ihm Johannes Paul II., dessen Sterben vor gut einem Jahr die Welt beeindruckt hat. Zwischen diesen Gestalten wirkt Paul VI. unauffällig, unscheinbar - in den Augen mancher bedeutungslos. Am Fest der Verklärung des Herrn erhielt er Anteil an der Verklärung Christi. Durch sein Pontifikat hat er dazu beigetragen, dass die verklärte Gestalt Christi von uns Menschen erahnt werden kann in der Vielgestaltigkeit der Kirche. Evangelii nuntiandi Am 8. Dezember 1975 veröffentlichte dieser unscheinbare Papst ein Rundschreiben, das für das Verständnis von Kirche von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Es wirkt geradezu wie eine kopernikanische Wende! Worum geht es? Paul VI. verdeutlicht in diesem Schreiben, dass es zentrale Aufgabe der Kirche ist zu evangelisieren, die Welt mit dem Geist des Evangeliums zu erfüllen. Ging man bis dahin davon aus, dass die Kirche ihren Schwerpunkt in Europa hat und Missionare in die „Missionen“ in aller Welt aussandte, so spricht der Papst in diesem Schreiben nicht mehr von „Missionen“ im Plural. Dafür gebraucht er zum ersten mal in der jüngeren Kirchengeschichte das Wort Kirche im Plural, indem er von den Ortskirchen spricht. Das Wort Mission dagegen benutzt er im Singular. Die Kirche lebt in vielen Ortskirchen auf dem ganzen Globus mit der einen Mission, der einen Sendung, das Evangelium zu verkünden. Den Wandel des Denkens, den Paul VI. damit vollzogen hat, charakterisiert der Schweizer Kapuziner und Missionstheologe Walbert Bühlmann treffend in einem Buchtitel: „Von der Westkirche zur Weltkirche“. Und diese Weltkirche lebt aus dem Plural, aus der Vielfalt und Vielgestaltigkeit ihrer Ortskirchen. In dieser Vielgestaltigkeit leuchtet der verklärte Christus auf. Die Göttlichkeit erscheint nicht in der Einheitlichkeit, sondern in der Vielgestaltigkeit der Ortskirchen, die, eingebettet in die Ausdrucksformen ihrer jeweiligen Kultur, das Evangelium zum Leben bringen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass das insbesondere in unserer europäischen Kirche bis heute kaum begriffen ist. Zu groß ist die Versuchung, unsere westlichen Ausdrucksformen mit dem katholischen Glauben gleichzusetzen und anderen aufzudrängen. Damit stehen wir aber oft dem Aufscheinen Gottes durch das Evangelium in anderen Kulturen und Lebensgefühlen im Weg. Wir bahnen der Verklärung Christi weltweit den Weg, wenn wir ernst machen mit der Vielgestaltigkeit der einen Kirche in den verschiedenen Ortskirchen. So wird den Menschen anderer Länder und Kulturen Christus nicht als Fremder erscheinen, sondern als einer der Ihren, der mitten in ihrem Leben zu Hause ist. Beispie! Lateinamerika Scheint für unser europäisches Denken die Gestalt des Erlösers in der Verklärung am reinsten und eindeutigsten auf, ist das in Lateinamerika ganz anders. Dort bekommen die Menschen „verklärte Augen“, wenn sie den blutig gegeißelten Jesus an der Geißelsäule angebunden sehen. Das ist Gott! - nicht ein Gott jenseits des 68612286 Leids von Menschen. Die Göttlichkeit Jesu mit all ihrer Verheißung scheint auf in seinem Mitleiden mit dem Volk. Der blutig geschlagene Leib Jesu verbirgt nicht die Göttlichkeit, sondern enthüllt sie: Das ist unser Gott! Das Leiden des Volkes ist ihm auf den Leib geschrieben. Verklärung im tiefsten Leid. Ob das für uns Europäer in unserer Wohlstandsgesellschaft überhaupt nachvollziehbar ist? Vielleicht für die, die selbst von schwerem Leid getroffen sind. Wie gut und wie reich für den Glauben ist doch diese Vielgestaltigkeit. Sie entspricht den unterschiedlichen Weisen, in denen Gott aufleuchtet. Ökumenische Chancen Dieser umwerfend neue und gleichzeitig biblische Ansatz Pauls VI. kann die katholische Kirche erneuern. Indem sie die Ortskirchen ernst nimmt, öffnet sie sich für einen Gott, der nicht nur in einer Gestalt aufscheint, sondern vielgestaltig, dessen Liebe zum Leuchten kommt und sich in den verschiedenen Kulturen ganz unterschiedlich spiegelt. Dieser Denkansatz Pauls VI. ist gleichzeitig ein Fundament für den ökumenischen Dialog innerhalb der christlichen Kirchen. Eine Offenheit für die Einheit von Kirche in Vielgestaltigkeit beinhaltet die Chance, offen aufeinander zuzugehen, zunächst die Wahrheit beim anderen zu suchen, das Aufscheinen Christi durch die anderen Kirchen in der Welt zu entdecken - und nicht nach dem vermeintlichen Irrtum zu schnüffeln. Wahrhaftig, Paul VI. hat ein folgen- und chancenreiches Schreiben verfasst. Wenn wir es ernst nehmen, lässt es das Bild Christi weltweit klarer und leuchtender aufscheinen. Verklärung Christi Paul VI. ging am Fest der Verklärung Christi hinüber in die Verklärung. Er schaut nun Gott unverfälscht von Angesicht zu Angesicht. Diese Verheißung steht über dem heutigen Tag: Gott scheint auf in der Welt, dass wir ihn ahnen können. Er führt unser Leben zur Verklärung, dass wir ihn sehen können: So, wie er ist.