2. Advent 2008 Im Jahr 597 v. Chr. eroberte der babylonische König Nebukadnezar II. Jerusalem. Die Stadt wurde verschont, aber Nebukadnezar bediente sich einer geradezu genialen Methode, um sich den Staat Juda gehörig zu machen: Er entführte einen Teil der Oberschicht und ließ sie nach Babylon verschleppen. Mit einem Schlag verlor das Königreich nicht nur den größten Teil seiner Führungsschicht. Auch die Verwaltung und die Wirtschaft brachen zusammen. In Jerusalem wurde Zidkija eingesetzt, ein König von Babylons Gnaden, der über diesen Rumpfstaat herrschte. Und es kam noch schlimmer: Als Zidkija zehn Jahre später, 586 v. Chr., sich in totaler Verkennung der weltpolitischen Lage stark genug glaubte, einen Aufstand gegen Babylon zu wagen, da kannte Nebukadnezar keine Gnade: Jerusalem wurde erneut erobert und diesmal wurde auch der Rest der Oberschicht, König Zidkija und jeder, der irgendwie den Staat noch hätte aufrecht erhalten können, nach Babylon verschleppt. Mit Zidkija endet die Königszeit in Israel und Juda. Für die Juden war das eine Katastrophe: In der Antike war das gesamte Leben, erst recht Sieg und Niederlage im Krieg mit Gott verbunden. Dass die Stadt Gottes erobert wurde, dass Gottes auserwählte Volk in die Verbannung geschleppt wurde, dass deutete man zumindest als Strafe Gottes. Lange vor dem Untergang hatte der Prophet Jeremia das Volk zur Umkehr gerufen: Die Könige Judas waren allesamt vom Glauben ihrer Väter abgefallen und taten, was dem Herrn missfiel (2 Kön 24). Ihre Selbstüberschätzung führte Israel in den sicheren Untergang. Nun war die Katastrophe also eingetreten. Und hier in der Fremde war das jüdische Volk noch einer weiteren Gefahr ausgesetzt. Babylon wirkte wie ein Magnet: Die Pracht, der Reichtum und die Macht führten dazu, dass sich viele fragten, ob denn Marduk, der Gott Babylons nicht sogar mächtiger war als Jahwe, der Gott Israels. In dieser Stunde höchster Gefahr für den Glauben Israels gab es Menschen, die die Schriften Israels sammelten, sie neu ordneten und so den Glauben bewahrten. Und sie hielten die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Jerusalem am Leben. Der Text des Propheten Jesaja, den wir heute in der Lesung gehört haben, klingt wie eine Vision. Da sitzen die Männer und Frauen Israels, zweifeln an sich und ihrem Glauben, wissen nicht, wie es weiter gehen soll, und plötzlich springt da jemand auf und ruft ihnen zu: Tröstet, tröstet mein Volk! Eine Stimme ruft: Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, und was hüglig ist, werde eben. Dann offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn, alle Sterblichen werden sie sehen. Trost inmitten einer hoffnungslosen Lage, Trost, der offenbar trägt. Als das Volk Israel 539 v.Chr. aus Babylon nach Jerusalem zurückkehren darf, da nimmt es diese Worte des Propheten Jesaja mit. Ja, sie werden ihm so wichtig, dass es sie in seine heiligen Schriften aufnimmt. Liebe Schwestern und Brüder! Wenn alles verloren erscheint, alles am Ende ist, keinen Sinn mehr ergibt, man verloren hat und keinen Ausweg mehr sieht, wenn die Hoffnung schwindet und sich Resignation breit macht, wer von uns würde sich dann nicht ein Wort des Trostes wünschen? Wir alle haben in unserem Leben schon diese Erfahrung gemacht: Eine Geste, eine Berührung, die zeigt, das jemand meinen Schmerz, die Enttäuschung und meine Trauer versteht. Ein Lächeln, eine Umarmung, ein kurzes Wort des Trostes: Ich halte zu dir, ich verlasse dich nicht, ich mag dich, ich stehe an deiner Seite, auf mich kannst du dich verlassen. Worte gegen die Angst, gegen die Einsamkeit, gegen das Verlassensein, gegen die Resignation. Ohne Trost gibt es keine Hoffnung. Erst wenn uns jemand neuen Mut macht, kann Hoffnung wachsen. Das Volk Israel hat diesen Trost gebraucht. Einen Trost, den es sich nicht selber geben konnte, denn dort in Babylon war es trotz aller Pracht, die es umgab, in einer trostlosen Situation. Der Trost, den Jesaja hier in Worte fasst, hatte scheinbar gar keinen tieferen Grund: Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass das Volk Israel einmal nach Jerusalem zurückkehren würde. Worauf gründete sich der Trost des Jesaja? Worauf stützen sich seine geradezu euphorischen Worte? Sie stützten sich auf die Erfahrung, die die Vorfahren der Verbannten in Ägypten gemacht haben. Auch dort war das Volk in der Fremde gewesen, unterdrückt und den Mächtigen ausgeliefert. Aus der uralten Erzählung vom Auszug Israels aus Ägypten, die bis heute im Judentum lebendig ist, aus dieser Quelle schöpfte Jesaja seine Zuversicht. Der Blick in die Vergangenheit spendete Trost für die Gegenwart in Babylon und machte Hoffnung auf eine neue Zukunft in Jerusalem. Es ist der Blick nach hinten, der Kraft für den Weg nach vorne verleiht. Die Jahre, die das Volk Israel in der Babylonischen Gefangenschaft verbrachte, waren in Hinblick auf den jüdischen Glauben ungeheuer dicht und produktiv. Keine andere Zeit brachte mehr biblische Schriften hervor. Hier vergewisserte sich das Volk Israel seiner Herkunft und seiner Tradition. Hier machte es sich ganz neu fest an den Zusagen Gottes, der mit diesem Volk einen ewigen Bund geschlossen hat. Aus diesen Erfahrungen her schöpft das Volk Israel Trost und Hoffnung auf Veränderung im Guten. Tröstet mein Volk! Dieser Ruf gilt auch heute noch. Wer von uns bräuchte nicht hin und wieder echten und wahren Trost. Keine billige Vertröstung, kein Das wird schon wieder, sondern echtes und tiefes Verständnis und einen Trost, der Perspektiven eröffnet. Aber dieser Ruf gilt auch der Kirche als Ganzes: Wenn wir zurückblicken, dann ist unsere Bilanz doch recht ernüchternd. Glaubt man den Zahlen, so steht es schlecht um die Kirche. Und in unseren Gemeinden beklagen wir uns doch eher darüber, dass so wenige kommen, als darüber, dass man uns die Bude einrennt. So manche Gruppe löst sich auf oder dümpelt vor sich hin. So manches Projekt wird mit viel Mühe und Aufwand vorbereitet und dann kommt niemand. Und manchmal möchte man resignieren und fragt sich, ob das alles noch Sinn macht. Aus was ziehen wir Trost und woraus schöpfen wir Hoffnung? Was hilft uns gegen die Resignation? Können wir es wie das Volk Israel in Babylon machen und den Blick nach hinten, auf unseren Anfang richten, um dort Trost und Hoffnung zu schöpfen? Schauen wir auf den Anfang unserer Kirche, in die Zeit, in der Christus mitten unter den Menschen lebte. Die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Jerusalem hatte sich zwar erfüllt, aber längst waren neue Machthaber erschienen und die Herrlichkeit des Herrn war nicht offenbar geworden. Die Menschen brauchten neuen Trost und sie fanden ihn wieder dort, wo Israel immer einen Neunanfang wagte: mitten in der Wüste. Hier suchten die Menschen wieder jemanden, der ihnen Hoffnung auf einen Neuanfang machte – und sie fanden dort den letzten, wenn auch unerkannten Propheten Israels. Johannes will die Menschen aufrütteln, er will sie verändern und zur Umkehr aufrufen, denn die Herrlichkeit des Herrn soll sich unmittelbar offenbaren. Der Herr kommt, er ist schon nahe, steht sogar schon mitten unter den Menschen am Jordan. Liebe Gemeinde, mit Johannes dem Täufer erhält das Wort Trost eine neue Wendung: Das ist nicht mehr nur die Verheißung, die Jesaja ausspricht, bei Johannes wird diese Verheißung zur Zusage, die sich unmittelbar erfüllt. Deshalb sind seine Worte so aufrüttelnd und so bedrängend. Was Jesaja verheißen, Johannes verkündet hat, das hat sich in Christus erfüllt. Die Kirche hat zu allen Zeiten aus der Gegenwart des Herrn Trost und Zuversicht geschöpft. In ihm ist die Herrlichkeit Gottes offenbar geworden. Die Probleme des Alltags, sowohl im privaten als auch im kirchlichen Bereich, werden damit nicht schlagartig gelöst. Wer trauert, wer verbittert ist, von seinem engsten Umfeld in die Verbannung geschickt wurde, wer unter Ausgrenzung und Unfriede leidet, der findet in Christus lebendigen Trost. Auf ihn dürfen wir hoffen, wie es schon Paulus an seine Gemeinde geschrieben hat: Jesus Christus .., der uns seine Liebe zugewandt und uns in seiner Gnade ewigen Trost und sichere Hoffnung geschenkt hat, tröste euch und gebe euch Kraft zu jedem guten Werk und Wort (2 Thess 2,16f) Übrigens: Im Deutschen hängt Trost ganz eng mit treu zusammen. In diesem Sinne möge Ihnen der Glaube an die Treue Christi zur Kirche und zu Ihnen zum Trost in schweren Stunden werden.