Friedhelm Grund, Andacht Trösten Es war einmal ein Igel, so beginnt eine Geschichte. Wehmütig verfolgte er in der Abenddämmerung, was sich in Nachbars Garten abspielte. Dort tobten ausgelassen zwei Welpen. Sie stupsten ihre Nasen aneinander. Sie leckten und schleckten sich. Der Igel sah das und dachte traurig: „Mich hat noch keiner geschleckt. Ist ja auch kein Wunder bei so vielen Stacheln”. Er haderte noch ganz mit seinem bemitleidenswerten Schicksal, als einer der beiden Hunde ihn entdeckte. „He, Kleiner, komm spiel mit.” „Geht nicht”, sagte der Igel, „ich hab Stacheln. Mit mir will keiner spielen. Um mich machen alle einen großen Bogen.” „Ach was, sei kein Frosch, leg dich einfach auf den Rücken, dann schleck ich dich mal richtig durch.” „Wirklich? Das würdest du tun?” „Klar tu ich das.” Der Igel legte sich auf den Rücken; der Hund rieb seine Nase am weichen Igelbauch. Der Igel wollte gerade rufen: „Das tut gut”, da öffnete der Hund sein Maul und biss einfach zu - mitten hinein in den weichen Igelbauch. Schmerzverzehrt krümmte sich der Igel im Garten und seitdem, so erzählt die Geschichte, rollen sich alle Igel ein, wenn ihnen Hunde und andere große Lebewesen über den Weg laufen. Eine traurige Geschichte - nicht wahr? Aber ist es nicht unsere Geschichte? Haben wir nicht immer wieder mit ihnen zu tun - den Igelmenschen, den Menschen, die in ihrem Leben an gerissene Hunde geraten geraten sind, Menschen, die schwer an ihren Bisswunden zu tragen haben, Menschen, die nach außen unnahbar wirken und gleichzeitig in ihrer Trostlosigkeit verstanden werden wollen. Uns wird als professionelle Helfer ein hohes Maß an Trost-Fähigkeit abverlangt. Was aber ist das - hilfreicher Trost? In unserer Alltagssprache kommt das Wort kaum vor. Und wo es vorkommt, hat es eher einen negativen Beigeschmack: Wenn man bei einem Wettbewerb nicht viel reißt, dann reicht es vielleicht noch für den Trostpreis. Wenn man sich daneben benimmt, dann heißt es sofort: Du bist doch nicht ganz bei Trost. Paulus sagt: Die meisten Menschen sind nicht bei Trost, deshalb brauchen sie ihn ja auch so nötig. Er schreibt an die Korinther: Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Paulus spricht vom Trost, der trösten kann. Allein 5mal finden wir in diesen beiden Bibelversen Ableitungen des Wortes „parakaleo”. Wie sieht dieser Trost aus, von dem Paulus spricht? Dazu drei kurze Gedankenimpulse. Wer tröstet, braucht selbst Trost. Ich habe schon darauf hingewiesen: Von Therapeuten und Seelsorgern wird in der Regel erwartet, dass sie trösten können. Was aber ist, wenn wir als professionelle Helfer selbst Trost brauchen? Können wir es uns leisten, nach Trost zu fragen? Können wir zugeben, nicht „bei Trost zu sein”? Stellen sie sich vor, sie arbeiten in der Psychiatrie und sind nicht bei Trost! Finden wir überhaupt da, wo wir leben und arbeiten, die Räume, um über Trostlosigkeiten zu reden? Wann haben wir das letzte Mal den Wunsch ausgesprochen, selbst getröstet zu werden? Paulus sagt: Nur Getröstete können hilfreich trösten, denn der Gott allen Trostes will uns trösten, damit wir andere trösten können. Was macht den Trost Gottes für uns so unverzichtbar? Nun, ich denke, wir kommen als Tröster immer wieder an unsere Grenzen. Unser Trostreservoir ist schnell aufgebraucht. Gott weiß das. Er möchte uns mit diesem Mangel nicht allein lassen. Deshalb stellt er uns in der Trostlosigkeit des Lebens einen sicheren Raum zur Verfügung. Ein altes deutsches Wort für Raum ist „Gelass”. Wir kennen dieses Wort wahrscheinlich nicht mehr, aber wir kennen das Wort Gelassenheit. Wenn Gott uns Gelassenheit schenkt, dann heißt das: Mit ihm betreten wir einen sicheren Raum einen Raum, wo wir uns nieder-lassen dürfen, einen sicheren Ort, wo wir uns fallen lassen können, einen Ansprechpartner, bei dem wir los-lassen dürfen, was uns beschwert. Nur der kann trösten, der ein Ge-lass kennt, d.h. der ge-lassen sein kann, der sich selbst in schweren Situationen sicher und getragen weiß. Sprachgeschichtlich ist Trost mit „trust” verwandt, dem englischen Wort für Vertrauen und mit „trausti”, dem alten gotischen Wort für Vertrag. Trost ist das Wissen: Gott hat sich vertraglich an mich gebunden. Gott verträgt mich - mit meinen Höhen und Tiefen, deshalb darf ich vertrauen, vertrauen, dass er es gut mit mir meint. Oder wie Martin Luther es sagt: Trost zeigt an, worauf ein Mensch im Leben „trotzen und trauen kann”. Und dann noch etwas. Wer tröstet, braucht eine Haltung der Liebe. Der Gott allen Trostes, sagt Paulus, ist der Vater des Herrn Jesus Christus. Paulus hat in Christus die Liebe kennengelernt, die tröstet. Christus ist nicht der Trost, der schnell mal vorbeischaut und wieder verschwindet, der Trost, der ver-tröstet, er ist der Trost, der mit uns geht in die Tiefen der Trostlosigkeit. Genau das macht das Christusgeschehen deutlich. Der Hebräerbrief sagt: Christus ist uns als Mensch in allem gleich geworden. (2,17), deshalb kann er uns in unseren Trostlosigkeiten so gut verstehen. Manchmal kommen Menschen mit Fragen zu mir, die mir Mühe bereiten. Manchmal habe ich keine Antwort, manchmal will ich auch keine Antwort haben, und machmal verspüre ich einfach nur den Impuls, Ratsuchende mit einem professionellen Trostwort abzuspeisen. Ich denke, kranke Menschen haben ein feines Gespür für eine Freundlichkeit, die zu professioneller Routine verkommen ist, die nicht bereit ist, in die Tiefen der Trostlosigkeit hineinzugehen. Sie spüren innere Aversionen, die wir hinter freundlichen Gesichtern verstecken. Trost ist nicht billig zu haben. Trost braucht die persönliche Beziehung. Trösten heißt: Mitgefühl zeigen, Distanz aufgeben, sich einfühlen in die Untröstlichkeiten der Trostlosen - so wie Jesus uns das beispielhaft vorgelebt hat. Schnelle Trost-pflästerchen helfen nicht. Trost ist nie schnell. Trost braucht Zeit und eine Haltung der Liebe. Wenn der Mutter das kleine Kind in den Armen wegstirbt, dann wartet sie nicht auf tiefsinnige Erklärungen - auch keine theologischen, sie wartet auf einen Trost, der tröstet, wenn sie sie selbst sich nicht mehr trösten kann. Und das kann man oft besser mit einer Haltung ausdrücken als mit klugen Worten. Dietrich Bonhoeffer hat einmal erzählt: Als in den Bonbennächten des 2. Weltkrieges Mitgefangene bei mir Trost suchten, hatte ich ihnen fast nie etwas zu sagen. Mir fehlte selbst der Trost. Aber ich konnte zuhören, mich einfühlen in ihre Befindlichkeit. Und ich glaube, dass der Trost, der tröstet, in diesem sprachlosen Moment der gemeinsam erlebten und durchgestandenen Not begonnen hat. Und noch kurz ein 3. Impuls. Wer tröstet, braucht den Mut zur Wahrheit. Den Christen in Korinth waren die Themen „Trübsal und Trostlosigkeit” eher unangenehm. Sie wollten nicht „Trübsal blasen”, sie wollten einen starken Apostel, einen starken Gott, der die „Trübsale wegbläst”. Sie sehnten sich nach einem Glauben, mit dem man im Leben was hermachen kann. Ich spüre diese Erwartungshaltung auch bei vielen unserer Patienten. In der Hohe Mark - so denken viele - werde ich ein neuer, ganz anderer Mensch. Alle Trostlosigkeiten des Lebens - wie weggeblasen! Paulus weiß dagegen: Den Trost, den wir nötig haben, den Trost, der wirklich tröstet, - den gibt es nur durch den, der selbst durch Leiden und Tod hindurchgegangen ist: Christus. Billiger ist Trost nicht zu haben. Getröstet werden kann letztlich nur, wer selbst um seine Trostbedürftigkeit weiß, wer vor seinen Trübsalen nicht davonläuft, sondern sich ihnen immer wieder stellt. Wir haben gesagt: Trost braucht Zeit. Trost lässt sich manchmal auch die Zeit. Manchmal müssen wir lange auf den Trost warten, müssen lernen, trostlose Lebenslagen durchzustehen. Paulus hat einmal gesagt - und damit möchte ich schließen: „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie's mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.” Oder nach einer anderen Übersetzung „allem bin ich gewachsen durch den, der mich stark macht, Christus” (Phil. 4,11-13). Amen.