Themenpredigt: „Rache ist süß?! – Verzanken, Verzagen, Verzeihen

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Themenpredigt: „Rache ist süß?! – Verzanken, Verzagen, Verzeihen"
1. Streit und Konflikte gehören dazu!
Liebe Gemeinde,
zusammenleben in Harmonie, kein Streit, immer hilfsbereit, einander zugewandt, den
anderen stets im Blick! Voller Liebe und Vertrauen, ein dauerhafter Schulterschluss!
Kein böses Wort, nur Ermutigung, Unterstützung und gleichmütig gemeinsam
unterwegs. Ist das nicht ein schöner Traum?
Ich höre im Gespräch mit Ehepaaren immer mal wieder: „Wir haben uns nie gestritten,
wir haben eine harmonische Ehe geführt, ohne Streit, ohne Auseinandersetzung,
waren immer einer Meinung!“ So oder so ähnlich sind die Aussagen. Und ich muss
ihnen ganz ehrlich sagen: Die Worte verwundern mich manchmal, ein anderes Mal
irritieren sie mich sogar! Dann frage ich mich: Waren diese Menschen wirklich so richtig
zusammen und haben ihr Leben miteinander geteilt?
Wenn ich mir dann während oder im Nachgang des Gespräches so meine Gedanken
mache, dann denke ich auch an die Worte, die die Ehefrau des berühmten
amerikanischen Evangelisten Billy Graham gesagt haben soll, auf die Frage hin, ob sie
in ihrer jahrelangen Ehe mit ihrem Mann jemals an Scheidung gedacht hat. Sie sagte
daraufhin als Antwort:„An Scheidung habe ich nie gedacht - aber an Mord!“Auch wenn
das vielleicht etwas übertrieben und überzeichnet ist: Diese Antwort klingt für mich
etwas realistischer. Denn was für die Ehe im Besonderen gilt, das gilt auch für das
Zusammensein allgemein: Wo Menschen zusammenkommen, da menschelts. Ich
würde noch weiter gehen. Denn das gilt auch für uns Christen, das gilt auch für die
Kirche: Wo Christen zusammenkommen, auch da menschelts, da „christelt‘s“ es nicht
nur!“
Diesen Zusammenhang finde ich besonders wichtig. Ich weiß nicht, wie Sie es
wahrnehmen? Ich bin der Meinung in vielen Kirchen und christlichen Gemeinden ist
das Thema ein Tabuthema. Ein guter Christ ist ja immer lieb und streitet nicht! Das
gehört sich nicht, als Christen müssen wir an einem Strang ziehen, müssen demütig
sein. Gerade in Kirchengemeinden herrscht oft ein großer Druck, immer alles richtig zu
machen. Als guter Christ darf man ja nicht streiten oder noch schlimmer
widersprechen. Und dann kann das schnell dazu missbraucht werden, Christen „klein“
zu halten: Halte dich bloß zurück und streite ja nicht. Ich möchte das in aller
Deutlichkeit sagen: Wo so etwas geschieht, da geschieht geistlicher Missbrauch!
Und mir kommt es manchmal so vor, dass Christen so wirken, als ob ihnen vor allen
drei Dinge wichtig wären: „Friede – Freude - Eierkuchen!“ Und wenn uns das oft genug
gepredigt und eingeimpft wird, dann leben wir auch so: mit eingezogenen Schultern,
duckmäuserisch und unauffällig auf der stetigen Suche nach falscher Harmonie. Das
ist eine Haltung wie sie mir zumindest immer wieder in Kirchengemeinden und
„Freikirchlichen Gemeinden“ begegnet.
Wenn wir also über das Thema Rache und Rachegefühle nachdenken, dann ist es
ganz wichtig dies allen Überlegungen voranzustellen! Es geht nicht darum Streit zu
vermeiden und sich weg zu ducken. Christen sind keine naiven Verlierer, die
zurückstecken und vor Problem kuschen sollen! Jemand hat einmal gesagt, als Christ
sind wir nicht „Harry Dummkopf“. Jesus ist dem Streit und den Konflikten nicht aus dem
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Weg gegangen. Jesus war sehr tough in seinem Auftreten - ich bin fest davon
überzeugt, dass er ein sehr streitbarer Mensch war, als zum Beispiel mit heiligem Zorn
die Händler aus dem Tempel vertrieben hat. Er hat sie nicht nur freundlich darum
gebeten, ob es ihnen recht wäre und sie damit vielleicht einverstanden wären,
möglichst mal aus dem Tempel zu gehen. Er hat sie mit Trompeten und Posaunen aus
dem Gotteshaus geworfen. Er hat leidenschaftlich mit Pharisäern gestritten, manchmal
auch seine Jünger angefahren und vor den Kopf gestoßen. Das sind auch Seiten von
Jesus, die wir so schnell vergessen und die wir gerade auch in der Passionszeit
bedenken dürfen und sollen. Die Fastenaktion der evangelischen Kirche „7 Wochen
ohne“ steht ja gerade unter diesem Motto: „Riskier was Mensch!“ Christen sollen
„sieben Wochen ohne Vorsicht“ leben.
Halten wir also fest: Dass es im gemeinsamen Zusammenleben und auch in der
Zusammenarbeit zu Meinungsverschiedenheit, zu Streit und auch zu Konflikten
kommt, das ist völlig normal. Unnormal ist vielmehr, wenn das nicht passiert.
Und ich glaube es liegt ein großes Missverständnis vor, wenn wir denken, es müsse
immer harmonisch zu gehen. Natürlich ist das schön, wenn Menschen gut miteinander
auskommen. Aber: oft begünstigt gerade das zwanghafte Suchen nach einer falschen
Harmonie oder eines falschen Friedens tiefgehende Konflikte.
Für unser Thema ist die alles entscheidende Frage: Wie gehe ich damit um?
2. Wie Rachegefühle entstehen
Ich bin mir sicher, wenn wir ehrlich sind, geben wir zu: solche Gefühle kennt jeder von
uns, zumindest im Ansatz.
Ein wichtiger Zusammenhang scheint zu sein: Je mehr Menschen sich schätzen
und lieben, desto tiefer können sie sich gegenseitig verletzen.
Innere Verletzungen passieren oft in den Gebieten, die unsere eigene Identität
bestimmen, die unsere eigene Existenz betreffen:
- In einer Ehe oder Partnerschaft, in der Familie, im beruflichen Umfeld, oder als
Christ in der Kirche. In der Ehe entstehen meist dann besonders tiefe Verletzungen,
wenn ein Partner den anderen untreu wird und betrügt. Wieviele Ehen werden deshalb
geschieden, erbitterte Rosenkriege geführt und Menschen zutiefst verletzt!
- Im beruflichen Umfeld: wenn jemand anfängt, neidisch über den Erfolg zu werden,
am Stuhl des anderen sägt.
- Im Raum der Kirche, wenn Glaubensgeschwister sich verletzten. Oder wenn
Menschen sich einsetzen und investieren und ihre Arbeit nicht gesehen oder nicht
geschätzt wird. Oder wenn offensichtliche Ungerechtigkeit mit dem Deckmantel
scheinbarer christlichem Handeln geistlich aufgeladen wird und dass dann auch noch
als biblisch gerechtfertigt wird. Das ist manchmal noch schlimmer, als offene
Feindschaft, weil diejenigen, die dafür verantwortlich sind suggerieren, sie würden
geistlich und vom Glauben her richtig handeln. Auch das passiert leider in Kirchen und
Gemeinden.
- Familienstreitigkeiten: Streit unter der um das Erbe haben schon die besten
Familien entzweit. Oft geht es dabei um Geld oder Eifersucht. Nicht selten werden
Trauerfeiern von Familienzwisten überschattet! Die Fronten sind dann so verhärtet, das
man gar nicht mehr richtig Abschied von dem Verstorbenen nehmen kann oder gar
trauern. Ich wurde sogar einmal vor einer Beerdigung vorgewarnt, dass es passieren
könne, dass die Beteiligten, die so schlimm verstritten sind handgreiflich werden
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könnten! Sie können mir glauben: Ich war im Nachhinein froh, dass dies nicht passiert
ist.
So entstehen tiefe Verletzungen, die tiefe Wunden in Menschen reißen und deren
eigene Achtung sich selbst gegenüber gefährden. Die Motive und Situationen
können verschiedenen sein. Aber die Reaktion ist oft die Gleiche: um unsere
Achtung uns selbst gegenüber zu wahren und die "Gerechtigkeit"
wiederherzustellen, steigt in uns der Wunsch nach Rache. Dann ist Rache süß:
sie erscheint immer unausweichlicher und alternativloser. Je schlimmer die
eigene Verletzung, desto gefährdeter ist die die Kontrolle über unser Handeln.
„Rache ist süß“, das ist in der Situation ein faszinierender und attraktiver Gedanke und
zielt auf die innere Genugtuung! Doch dies ist nur von kurzer Dauer.
Der Marburger Psychologie-Professor Mario Gollwitzer fand nämlich folgendes
heraus: Selbst wenn Menschen tatsächlich die Gelegenheit hatten, sich zu rächen danach war das Thema längst nicht erledigt. Die Probanden dachten immer noch
ständig darüber nach. Sie waren noch immer unversöhnt und hatten keinen inneren
Frieden. Andere Untersuchungen haben sogar gezeigt, dass ausgeübte Rache die
innere Wut sogar noch deutlich verstärkt. Und was dann meistens folgt, kann sich bis
ins Unermessliche hochschaukeln. Dann passieren die Dinge, die nicht passieren
dürfen! Diese Erfahrungen und Konflikte liefern den Stoff, aus dem große Dramen
gedichtet wurden, wie bei Shakespears Hamlet, der den Tod seines Vaters zu sühnen
sucht. Rachegefühle gibt es schon so lange wie die Menschheit und es sind Gefühle,
die jeden von uns heimsuchen können! Doch das Problem daran ist, dass, sobald die
Lawine losgetreten ist, eine Gewalt- und Hassspirale entsteht. Und sind die
Rachegefühle im Moment der Verletzung noch so süß, sind die Folgen meist umso
bitterer. Denn die beteiligten Menschen gehen im wahrsten Sinne des Wortes vor die
Hunde. Nicht der, der mich verletzt hat, leidet darunter, sondern ich selbst leide unter
meinen Rachgefühlen und Verletzungen, wie jemand, der einen großen Rucksack
voller Steine mit sich trägt, der einen nicht so richtig vorwärts kommen lässt und
ständig die Kräfte raubt.
3. Mit Rachegefühlen umgehen
Wie kommen wir also raus aus dieser Spirale von Rachegefühlen und Rachegelüsten,
diese gefangennehmenden Muster zu durchbrechen? Die Bibel ist bei unserem Thema
sehr ehrlich. Die Psalmisten fordern in den Psalmen sogar geradezu Rache und
Vergeltung. Beispiele gefällig?
„Vernichte meine Feinde durch eben das Böse, das sie gegen mich ersonnen haben. Lass glühende
Kohlen auf ihre Häupter regnen oder wirf sie ins Feuer oder in tiefe Gruben, aus denen sie nicht mehr
herauskommen“ (Psalm 140,10f)
„Wir waren einst so gute Kameraden, als wir zusammen zum Hause Gottes gingen. Möge der Tod meine
Feinde jäh überfallen; möge das Grab sie lebendig verschlingen.( Psalm 55,15f)
Die Menschen, die in den Psalmen zu Gott beten, verdrängen ihre aufgewühlten
Gefühle nicht, sondern sprechen sie ehrlich und rückhaltlos vor Gott aus. Sie lassen
die Rachegefühle nicht unkontrolliert in ihnen arbeiten, lassen sich nicht von diesen
Gefühlen gefangen nehmen. Die Psalmbeter wissen ihre Rachegefühle bei Gott gut
aufgehoben. Und das ist der Unterschied. Statt sich selbst zu rächen, geben die Beter
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die Ausführung ihrer Rachegefühle an Gott ab, der als Richter nicht nur die Macht,
sondern auch das alleinige Recht dazu hat.
Wenn wir unsere Rachegefühle an Gott adressieren, finden wir einen ersten Ausgang
aus der Spirale und eine Spur zur Versöhnung. Ich nenne es bewusst Spur, weil der
Weg zur Versöhnung manchmal ein sehr langer und steiniger Weg sein.
Vor Gott dürfen und sollen wir ehrlich sein. Ihm können wir alle unsere verletzten
Gefühle, unsere Enttäuschungen, alle Wut und allen Hass schonungslos sagen! Jesus
selbst fordert im Neuen Testament dazu auf, auf Rache zu verzichten und mit Liebe zu
überwinden! Und wir werden das ohne Gottes Hilfe kaum bewältigen: Denn das
können wird nicht aus sich selbst heraus. Unsere menschliche Liebe stößt an Grenzen,
denn sie ist immer auf Gegenliebe angewiesen.
Was aber, wenn wir diese Liebe nicht spüren, sondern wenn uns Hass
entgegenschlägt, der unser verletztes Herz noch mehr verletzt? Das ist wirklich
tragisch! Doch wir dürfen dann eines wissen: Als Christen leben wir immer selbst
aus der Vergebung heraus und unsere eigene Identität hängt nicht von
Menschen ab, die uns verletzen oder verletzt haben.
Soweit es in unserer Macht steht, sollen wir versuchen im Frieden zu leben mit unseren
Mitmenschen. Nicht immer ist das möglich, weil immer mindestens zwei dazu gehören.
Deshalb sollten wir als Christen bereit sein für einen neuen Anfang! Allein schon wegen
uns selbst. Denn mit Verletzungen und Rachegefühlen zu leben, raubt Energie und
Kraft. Das hindert uns daran, unser Christsein fröhlich und einladend zu leben! Als
Christen wissen wir, dass wir selbst vergebungsbedürftig sind. Das wird auch in jedem
Vater-Unser-Gebet neu klar, wenn wir beten: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch
wir vergeben unseren Schuldigern“. Übersetzt man diesen Satz wörtlich, dann sagt das
aus: „Vergib uns unsere Schuld, wie wir bereits vergeben haben unseren Schuldigern!“
Ich lade Sie heute ein, wenn Sie in sich Rachegefühle spüren und Verletzungen in sich
tragen, die ihnen jemand vor Kurzem oder vor Längerem zugefügt hat, dass sie diese
vor Gott bringen. In der Passionszeit dürfen wir uns neu vergegenwärtigen: Jesus hat
auch unseren Schmerz, unsere Verletzung und unsere Rachegefühle auf sich geladen.
Wir müssen uns nicht unser Leben lang damit herumschleppen.
Gott nimmt uns die Last ab! Er hilft uns dabei zu vergeben, um unserer selbst willen!
Dies gilt auch, wenn Menschen diese Vergebung nicht annehmen können oder wenn
die Menschen nicht mehr leben und die Gelegenheit, etwas miteinander zu bereinigen,
nicht mehr gegeben ist! Das ist für mich Evangelium pur, gute und Hoffnungsvolle
Nachricht. Der Glaube an Gottes Liebe und seiner Vergebung kann uns selbst befreien
von Verletzungen und frei machen anderen zu vergeben!
Zum Schluss noch einmal zusammenfassend fünf Punkte wie man mit
Rachegefühlen umgehen kann:
1.) Sich klarmachen: Streit und Konflikte sind normal
2.) Wenn du verletzt wurdest, nimm deine Rachegefühle wahr und stehe dazu
3.) Bringe deine Rachegefühle und Menschen, mit denen du in Konflikt stehst, im
Gebet vor Gott
4.) Wenn du bereit bist, wage es auf die Menschen zuzugehen, um den Konflikt zu
klären
5.) Sei bereit zu vergeben, so wie Gott dir vergeben hat – um deiner selbst willen!
17.03.2013, Pfr. Markus Eichler, Birkenau
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