1/8 Rom. Die erste Notiz in meinen Aufzeichnungen von unserer Romreise ist „Abstrakte Ankunft“. Es ist mir schlicht als nicht ins Bild eines Schuljahresanfangs passend erschienen, dass drei Tage inmitten des Beginns der fordernden 8.Klasse derselben entrissen sein würden. Die Abstrahierung der Reise ins anfangs völlig Unverständliche wurde noch dazu dadurch verstärkt, dass es Rom war, Rom, Rom, Rom, Rom, Rom, Rom, Rom, Rom, Rom, gerade dadurch, dass es Rom war, Rom. Roma antiqua est. Darin nämlich, dass es so alt ist, liegt doch seine schwindelnde Höhe. Roma alta est. Es muss jeden verwirren; den, der es heimlich schätzte, durch die Erkenntnis, dass sein tausendfach mythologisiertes Antlitz – mythologisiert tausendfach auch durch die lingua latina, deren Bändiger Catull – ut Roma urbi et orbi – seiner Lesbia übertreibend „Da mi basia mille, deinde centum, dein mille altera, dein secunda centum, deinde usque altera mille, deinde centum“ zuhaucht – wahrhaftig existiert und in gleichem Maße muss es den verwirren, der es insgeheim hasste, durch die erzwungene Einsicht des tatsächlich bestehenden praktischen Nutzens der lingua latina und des Wissens über die sie umgarnende römische Kultur. „Es war schon schön“ drückt das alleine schon schön aus: Auch wenn es uns lieber gewesen wäre, uns diese drei Tage in Rom schön schonen zu dürfen, kommen wir nicht umhin, zu erwähnen, dass uns das grobe Durchwandern der Stadt Rom das Schülerleben schon verschönert hat. Manche befleißigen sich schon während genannten Durchwanderns einiger devoter Kratzfüße: gra-tias agimus. Anderen entschlüpft selbiges erst Jahrzehnte später und nur in Gedanken. Da war eine weitere Notiz, die mich in eine weitere Not bringt, die strömend wie eine Flut aus einem Fass ohne Boden herausstürzt, das ewig wie Rom im Gefülltwerden mit Roms Namen begriffen ist, derer einer es wert war verewigt zu werden: „Rom ist die Stadt der Farben des Herbstes“. Schon am GRA erkannte ich den sandfarben samtenen Firnis der „urbs aeterna“. Durch ein GRA sollte mir und urbi et orbi später übrigens stets auch die abstrakte Präsenz Professor Liebenweins (somit auch des Triumfeminatus Prof. Fladerer, Prof. Penz und Prof. Pinnitsch-Semmler – iis sit gra-tia), meiner Synephebi meinerque selbst in Rom ins Bewusstsein gerufen werden: Ergo galt: Cogito, ergo sum. Ergo war die Conditio sine qua non, dem Lebenswandel „sum, ergo poto“ abzuschwören. Schon nach der Überwindung des GRA, des Römischen Stadt-Gra-bens (Grande Raccordo Anulare), war aller Interesse gra-nde wie Rom und unsättigbar wie manche Fettsäuren. Allen weiteren GRA’s zum Trotz war das Interesse ungemindert und ungehindert erklomm es erhabene Höhen. Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg in großen Bissen; Während des Schreibens, so sehe und befürchte ich gerade, kann einem so mancher Name Roms einund entfallen: Rom ist die ewige Stadt; aber davon war schon die Rede und sie war derselben wert, wenn sie aber Gefahr läuft, etwaige Aufmerksamkeit des Lesers, für den dieses diarium, auch wenn eigentlich für den diariorum scriptor bestimmt, auch lesbar sein soll, abschweifen zu lassen, dann sei’s ihr angeraten – sapientá, non arbitrari sese scire, quod nesciat –, andere Aspekte Roms zu rühmen. Um meine Erinnerung anzukurbeln und diese Aspekte wachzurufen, bediene ich mich non solum meines Verstandes, sed etiam des hic roma-nisierten Äsops: Hic Roma, hic salta! πάντα ῥεῖ – so auch Roms Verkehr. Rom ist auch die Stadt des Verkehrs. Viel Verkehr fegt durch seine Straßen. Ich möchte mich mithilfe einer Metapher darüber äußern, denn "Gleichnisse dürft Ihr mir nicht verwehren, ich wüsste mich sonst nicht zu erklären". Mancher, der der lingua latina eher geneigt ist, würde sagen: Per Iovem lapidem! Ovidi! O vide, Hannibal ante portas!" Ausdrücken soll dieser Ausruf aus Scipios Zeiten eines derart 2/8 hingebungsvollen fautor linguae latinae, dass er auch als austriaco, im Sinne der internationalen Брудершафт mit Italien, gewappnet ist für jedweden Einfall eines tunesischen Feldherrn, Führers oder Lenkers – plaustra ante pedes! –, da es da heißt: „Dell‘ elmo di Scipio s‘è cinta la testa“. Ach, ich merke, mein Tagebuch wird mich mit seiner Fülle an Gedanken einst verwirren wie die Stadt, die es beschreibt. Cónferénte Romá mecum áeterná memet áusum mé formá gloriári suá opinétur alíquis. Ést dubitándum mi nón meam éam me cómparatiónem Nón diaríi causá, quód scrips(i) égo, fecísse. Úrbem Róm(am) a príncipió regés habuére, Áuctaque fórma curá st regum ét igitúr gloriánda st. Láude Romáe factá luce míhi núnc clariús est: Fórma qualíscumqu(e), út et Romáe st, iam a quóquo capítur, út vincíat eám et eá victús moriátur. Séd non me hábuerít nil némoque, quía libér sum, Ét ego hábueró nísi diária níl. Sícut Rom(a) índe me díariúm turbáturum áio. Lí(e)ber látinus súm, non egéns diaríi latíni! In Rom herrscht sozuagen viel Lärm um viel, denn es tummeln sich laut schwatzend und schwitzend unter dem Sol Romana viele Menschen mit rot glänzender Haut um des ewigen Roms ewige Bauten. Wäre Shakespeare je in Rom gewesen, er hätte es nicht gewagt in menschlichem Handeln much ado about nothing zu sehen. Da er aber am Albion seine ergussreichen Tage zubrachte, sind - rebus hic stantibus – seinen Vorstellungen kein Einfluss durch das Lebensgefühl Roms selbst, nur einige Kongruenzen mit denen Ciceros nachzusagen, der da einst den Weisen bestimmte: Quid enim videatur ei magnum in rebus humanis, cui aeternitas omnis totiusque mundi nota sit magnitudo? Genug, genug des Geschwafels! Fort mit allen Abstraktionen! Sobald der diariorum scriptor selbst sich der Langeweile bewusst wird, die er beim Leser hervorruft, muss sein Stil sich ändern und somit er selbst. Der heutige Tag und der Ausruf „Hic Roma, hic salta!“ seien mir Musen! Als die Achtklassler, 52 an der Zahl, sich dem Tiber näherten, war die Stimmung heiter (trotz einer ewigen Busfahrt aus der römischen Provinz, die grollend und schlaflos von den Schülern begangen ward und bei manchen beinah in die Verwandlung der Lamia ausartete). Ich betrachte nun und betrachtete damals die Stimmung: Alles ordnete sich erst einmal. Die gewohnten Genossen wurden mitunter sachte beiseitegeschoben, um sich Unbekannten der beiden anderen Klassen beizugesellen, die sich entweder, wie man selbst, als ignoti inimici inoliti ineptiendi herausstellen oder, wie man selbst, als neue Saufkumpanen. Es gab natürlich die abenteuerlichsten Konstellationen Wortwechselnder, woran sich auch der Tag zu erfreuen schien. Goethe durchschritt die Porta del Popolo, lange jedoch nachdem er in den „Leiden des jungen Werther“ schon schrieb: „Die Empfindungen und Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltig, als Abfälle zwischen einer Habichts- und Stumpfnase sind.“ Jeder Pilger wurde einst von der Porta del Popolo empfangen, wir umfuhren sie anscheinend im Stadt-GRA-ben, denn wir sollten ihrer erst am zweiten Tag ansichtig werden, was zweifellos in Bälde in diesem diarium beschrieben sein wird. 3/8 Angenehm ist der Aufbruch ins uns Neue, ins alte Rom und in neue Gespräche. Die Vertiefung in dieselben kann von langer Dauer sein, kann aber auch bald einem eisigen Schweigen anheimfallen. Und? Wie gefällt dir Rom? Gut. Dir? Gut. Da gehen dann zwei im wunderbaren Rom und wissen einander nichts zu sagen. Einer hofft vielleicht, „Die Kluft des Schweigens werde ich „mit anmaßlicher Wetterkunde“ überbrücken“, während der andere gedenkt „laut über die Schönheit Roms zu staunen, „ob mir gleich selbst zu ahnen anfing, unsere Lustbarkeit werde einen Stoß leiden“, …“ „Dem sei nun, wie ihm wolle“, schreit das durch Rom inspirierte Herz eines Nebengehenden und eröffnet neue weniger kurzlebige Gedankenwelten, um die Leiden der jungen Leute nicht länger mit ansehen zu müssen. „What a field to exlore – that of inner life!“ Was den Schülern wohl beim Anblick des Tibers und seiner Insel durch die Köpfe ging! Das bleibt sowohl scriptor als auch lector diariorum verborgen. Homo non Hydra. Das ist auch der Grund, warum er nur die Gedanken eines einzigen, und zwar, seines, und zwar, seines einzigen Kopfes weiß. Bei Hydra mag das anders sein. Die Tiberinsel beherbergt heute ein Krankenhaus, das uns unseres Strotzens vor Gesundheit wegen egal sein konnte. Wenige von uns sahen am Abend auch Trastevere, welches den festen Griff der Pons Cestius spürt. Ich selbst genoss den Schlaf im vermutlich bis ins letzte Zimmer von christliche Motive beinhaltenden Bildern behangenen römischen Kloster. Dieser wurde mir übrigens um sieben Uhr morgens entrissen, nachdem er acht Stunden zuvor „auf mich niederquoll“. Aber zu diesem Ärgernis später. Nach flüchtiger Betrachtung der Milvischen Brücke – denn amantes amentes waren unter uns nicht zu finden, die einen lucchetto d’Amore hätten an die mittlere Laterne der Brücke anmachen und la chiave in den Tiber hätten werfen können –, die als Eingang in die Stadt durch den Ponte Flaminio ersetzt wurde, nachdem sie jahrhundertelang widerwillig Fremde über den Tiber trug, dabei auch ein paar Mal einbrechend, und nachdem sie in Sternstunden wie in der des Sieges Kaiser Konstantins über Mitkaiser Maxentius ersterem als Ort des Triumpfes diente, überquerten wir den Tiber auf dem Ponte Flaminio, nach dem Forum Boarium strebend. Dieses war im alten Rom ein Schlachtfeld voll totem, zum Essen aufbereitetem Vieh. Dessen Überreste wurden in den Tiber geschleudert. Lebend im Tiber zu baden wäre dem Vieh – per Iovem lapidem! –nie erlaubt worden: Quod licet Iovi, non licet bovi. Es scheint im Übrigen, als ob Neapel Rom im Lauf der letzten dreihundert Jahre die Rolle als verdreckteste Stadt abgerungen hätte. Auf seiner Italienreise war Goethe völlig Rom- und selbstvergessen Neapel verfallen: "Dass kein Neapolitaner von seiner Stadt weichen will, dass ihre Dichter von der Glückseligkeit der hiesigen Lage in gewaltigen Hyperbeln singen, ist ihnen nicht zu verdenken, und wenn auch noch ein paar Vesuve in der Nachbarstadt stünden. Man mag sich hier an Rom gar nicht zurück erinnern: gegen die hiesige freie Lagen kommt einem die Hauptstadt der Welt im Tibergrunde wie ein altes überplaziertes Kloster vor." Am Forum Boarium waren auch zwei Tempel, der Tempel des Hercules Viktor mit wundersamen Kapitellen und der Portunus-Tempel mit Säulen, deren zweite Hälfte Teil der Tempelwand ist, um Material zu sparen. Die spinnen, die Römer! Weiters erblicken wir die Bocca della Verità in der Santa Maria in Cosmedin, zwei auf das Capitol führende Treppen, eine steile und beschwerliche aus dem Mittelalter und eine aus der Renaissance, die Reitertreppe, welche wir präferieren müssen, weil manche unserer Mädchen Angst haben beim Besteigen (cursu!) der mittelalterlichen Treppe nicht außer Atem zu kommen und deswegen der Legende nach noch in diesem Jahr zu heiraten. Hätten sie sie doch bestiegen, ohne außer Atem zu kommen und hätten sie sich doch gleich gleich den Sabinerinnen Römer genommen! Tu felix Austria, nube! 4/8 Aber sie wollen gleich Vögeln noch länger liberae und liberi sein, der Gedanke an den pater familias lässt sie erzittern! Am und im Kapitol müssen wir allerlei beäugen. Der Kampf zwischen Heiden und Christen ist in Rom in allem zu finden. Er ist gleich dem Kampf, den sich die Giovinezza und die Bandiera Rossa im zweiten Weltkrieg lieferten – hart und mächtig. Von letzterem pflegten übrigens die ζῷα πολιτικα der C-Klasse zu sprechen, und stimmten mitunter eine der Hymnen an. Hochstimmung und Tiefstimmung wechseln einander ab. Bei mir zumindest. Manchmal versinke ich in der erdrückenden Last der Eindrücke, manchmal glaub ich sie erfassen zu können, diese urbs aeterna. Doch, tsts, bis zum nächsten Tag, ehe der Hahn kräht, werde ich mich dreimal belächelt haben. Ach, was denkst du nur? Gehst drei Tage durch Rom und glaubst, es zu verstehen! Solche Verstiegenheit ist die eines Narren! Wie gut, dass viele frei von solchen Gedanken sind! Ich blicke nun zurück auf Rom, wie auf einen Traum und als solcher begann die Reise ja auch. In der achten Klasse bitten einen die Lehrer hauptsächlich seine Eindrücke zu schildern und, nur wenn gewisse Details über Bauten und Geschichte Roms für die erhaltenen Eindrücke unentbehrlich sind, auch diese in seinem Tagebuch wiederzugeben. Die Erfüllung dieser Bitte ist ja eigentlich selbstverständlich, denn wer mag denn anzweifeln, dass er im Vergleich mit seinem Lehrer nur einen kläglichen Bruchteil dessen über die sachlichen Seiten Roms weiß, was aus diesem wie aus dem Trevibrunnen hervorsprudelt? Manchen ist diese Position vielleicht angenehm, weil sie die Chance sehen, den Philosophen in sich zu finden und die Lehrer als leere, herum hoppelnde, enzyklopädische Sophisten darzustellen und sich mit Sokrates‘ Satze „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ die Rolle des Philosophen zusprechen. Man könnte dies also als Wiederumdisponieren verstehen: Es war deutlich merkbar, dass ich nach langen Erklärungen müßig strapazierter Gedanken darüber zu sprechen begann, was wir in Rom tatsächlich gesehen haben. Ein paar Zeilen weiter oben habe ich diesen offensichtlichen Vorsatz in gelesener Ausführung mit einem kurzen Satz aber wieder verworfen, vielleicht endgültig, vielleicht nicht. Nun möchte ich ein paar meiner Gedanken über Rom an sich ausdrücken, da diese, wie an den ersten Zeilen des diarium zu erkennen war, für mich besonders interessant erscheinen: Überhaupt mag ich Hochkulturen wie die römische, Imperia wie das römische; sie bilden den Menschen ab. Die Dichter und Philosophen aus der im Unterricht hauptsächlich behandelten Zeit des römischen Imperiums sind für mich eine reizvolle Verdichtung menschlichen Denkens und Handelns, was heißen soll, dass sie für mich Ausgeburten einer zivilisierten Gesellschaft sind. In ihnen lebt ihre Zeit. Ihr Wort hat die Kraft, mir das, was ich hier für mich über Rom geschrieben habe, als nicht sinnlos erscheinen zu lassen. Rom ist also ein mystifiziertes Etwas, das in den Gedanken schwebt und dort wie ein Wunderding früherer Zeit betrachtet wird. Das Bewusstwerden, dass dieses Etwas, in mir stets nur im Kontext früherer Zeit betrachtet, heute – in heutiger Zeit! – ein heutiges Antlitz angenommen hat und dass dieses, indem alles in ihm fließt, also wie in einem besonders verschlissenen Rinnsteine Neues an Unflat ungern aufgenommen und gleichsam alter Dreck gut aufgehoben ist, unförmig wirken muss, und doch so reizvoll gewagt dem Schoße von Einstigem entrissen, lässt mich mir mich im Vergleich formlos fade erscheinen lassen. „Quot caelum stellas, tot habet tua Roma poetas“, quorum dicta quoque dicuntur reperunturque ubique sumunturque undique. Rómanós poetás discípuli nós diligámus – Gáudeamús igitúr úrbe fuíss(e) in Romá! So wie weiter oben latine erklärt ist, dass der Vergleich meines diarium mit Rom als weitere Preisung desselben verstanden sei, so sei nun ebenfalls darauf verwiesen, dass jeder (sei’s auch durch ein Zitat implizite, aber nicht explizit verwandte) Vergleich mit einer unnahbaren römischen Größe wie Ovid 5/8 einzig dem Dank dem Genie derselben geschuldet ist, wodurch ich diesen Satz nun beruhigt vollenden und den oben prosaisch ausgeführten Gedanken als in einige mies-ratene deutsche Verslein hineingeschmiedet ankündigen darf, denn quidquid temptabam scribere, versus erat. Im drückend vollen Schwunge heut‘ger Zeit, ist nichts, was nicht flösse, nicht flösse wohlbereit nicht ewiglich ergösse über des Betrachters Haupt unbekannter Ding‘ Geläut! Am ersten Tag genehmigten wir uns auch ein Forum Romanum, oder besser formuliert, das Forum Romanum schlechthin: Es ist wirklich schlecht und hin, aber da es gewiss einst weder noch war, war ich hingerissen. Auch der Palatin ist erwähnenswert; nicht aber der Circus Maximus, weil dieser voller herumfahrender Wagen war, was an sich gut klänge, wären es nicht Lastwagen sondern Rennwagen gewesen. In ihren Reden schnitten unsere Lehrer an genanntem Tage auch die ukrainische Hochzeitstorte an. Ja, einige von uns wollten Rom heiraten wie Hitler Deutschland, doch um nicht weiter palam viel Wesens um diesen Begehr zu machen, zogen wir an ihr vorüber. Unklar blieb uns, warum Ukrainer ihre Hochzeitstorten in Form einer Schreibmaschine bevorzugen. (Ein Gemunkel, das in mir als zur Poesie neigendem zu vernehmen war, ist, dass dieser absonderliche Brauch dem Ausspruch eines berühmten ukrainischen Dichters zugrunde liegt, der, als es für ihn schon Zeit war, an Hochzeit zu denken, diese als den Tod aller seiner Poesie in ihm einschätzte und meinte: „Es ist kriminell, nach dem 30. Lebensjahr noch Gedichte zu schreiben“. Das alles erweist sich aber als unstimmig, bedächte man, dass dieser Dichter, vom Lebensabend di Vittorio Emmanuele, der schon ebendiese ukrainischen Hochzeitstorten zu bauen pflegte, an gesehen, einige Male hätte leben können, was aber nicht von Belang bliebe, hätte man die Gewissheit, dass die genannte, von unseren Lehrern angeschnittene ukrainische Hochzeitstorte in Rom diesen Titel zu Lebzeiten jenes ukrainischen Dichters, also erst zur Zeit des mutmaßlichen Aufkommens des Kults dieser Hochzeitstortenform erhalten hat.) Da ich mich dessen, was nach dem Palatin geschah, nicht entsinnen kann, was unschuldigere Gründe haben kann, als manches Verstand ihm zuflüstern würde. Was war da schnell? Ach, ich altere; oder die Romreise altert. Doch – man ist ja nicht umsonst mit Verstand begabt! – weiß ich mir an dieser Stelle mit meinem Fotoapparat zu helfen, welcher mir das letzte Bauwerk des ersten, nebenbei bemerkt ewigen Tages in die Erinnerung zurückruft, mit allen Schnörkeln des Erlebten. Da sich diesen zu widmen mir jetzt – zum ersten Male! – unsinnig erscheint, halte ich es lapidar kurz und lateinisch, im stillen Staunen darüber, wes ich ansichtig wurde: Roma inicit bracchia collo Collosei sui. Am Abend schlüpften manche, die offensichtlich vor Kraft strotzten, wie Hannes und einige der zähsten aus der C-Klasse, die ich deswegen bewunderte und gleichsam um ihre ungebrochenen Unternehmergeist beneidete, noch einmal aus unserem Kloster in Richtung Trastevere, wie schon erzählt. In den Abendstunden wollte ich unbedingt die Umgebung erkunden, gewissermaßen eine Angewohnheit von mir. Außer im Umgehen einiger wauwauender Hunde fand ich in nichts die gewohnte Befriedigung eines Spaziergangs. Ich sah Gangs spazieren, mich vor ihnen nicht wenig fürchtend im alleinigen Streunen in den Gassen Roms. Hätte ich "Dem Hunde, wenn er gut gezogen, wird selbst ein weiser Mann gewogen.“ 6/8 aus Goethes Faust vor mir hin zitieren können, ich hätte meinen Unmut auf die in ihren camere den Alltag angähnenden Herrchen projiziert, doch ich Unwissender konnte diese rechtschaffene Empfindung nicht hegen und konnte auch nicht bedauern, dass, sollte ich ein Weiser werden, Goethe sich geirrt haben wird. Neben hartnäckigem Nichtwahrhabenwollen des Anscheins, dass ich vergeblich die Straßen nach Mädchen und den Himmel nach Sternen absuchte, dem Versprechen Ovids vertrauend, hätte ich auch Gelegenheit, über einen Auszug aus Goethes venezianischen Epi-gra-mmen zu sinnieren gehabt, das da lautet: „Not lehrt beten, man sagt's; will einer es lernen, er gehe Nach Italien! Not findet der Fremde gewiss.“ Im Anbetracht der Behinderten, die im Kloster – ob es übrigens nun ein solches ist oder nicht, ist nicht maximi momenti – wohnen, ist dieses Epi-gra-mm naheliegend, unwahrscheinlich ist, dass Goethe seinen Leser solcher pauschalen Eindrücke wegen, wie ich sie hatte, nach der Not nach Italien schickte… Es „quoll“ also bereits gegen halb elf der Schlaf „auf mich nieder“; und es weckte mich nicht Rom sondern das Mütterchen Russland mit seiner Nationalhymne. Die Klänge kamen von Hannes‘ Handy, der diese zu Recht für eine bestmöglich sanfte Methode des Entreißens aus dem Schlaf hielt. Der zweite Tag war der herrlichste der drei. Ein durchschnittlicher Schüler kann doch nicht mehr als ihn begehren, ohne anmaßend zu sein. Die Sonne zeigte sich gänzlich und die Laune erhellte sie wie den Weg. Dieser führte ins barocke Rom. Prof. Fladerer machte mich stutzig, indem sie sagte, dass „Rom eigentlich eine Stadt des Barocks“ sei. Bernini, die Piazza del Popolo, von der man nicht weiß, wozu sie so heißt, und natürlich allerlei schwülstige Schnörkel waren Topoi des Tages. Ceterum censeo, dass mein Erkiesen des zweiten als des besten Tages nicht unbedingt als Geständnis meiner Liebe zum Schwulst verstanden werden kann. Ich schmunzle in mich hinein. "Der Italiener hat überhaupt ein tieferes Gefühl für die hohe Würde der Kunst als andere Nationen…“, schrieb Goethe in seiner Italienreise. Vermutlich sah er, diese Meinung vertretend, die nach seiner Heimkehr beginnende Weimarer Klassik stets als Abklatsch italienischer Kunst an und schämt sich seiner rational erarbeiteten Inkompetenzkompensationskompetenz. Eine vage Vermutung, recht gewagt ward sie gesagt. Der Germanicorum Princeps Poetarum hatte ein großes Auge, einen großen Sinn und einen großen Mund, damit er dich besser fassen kann, o Italien! Über Rom sei am Ende in diesem diarium noch etwas angefügt, das heißt, von Goethe, wo doch von mir schon reichlich nach dem Worte Rom auf Seite Eins angefügt wurde. Aus einem Baum irgendwo unweit der Piazza del Popolo, wo auch meine Oma zwei Wochen zubrachte und noch heute darüber ganz entzückt ist, hat, falls meine Erinnerung stimmt und falls es überhaupt stimmt, Nero eine Nymphe vertrieben und wohnt ihm als Geist jetzt inne; die lateinische arbor blieb trotzdem weiblich. Wenn ich die prächtige Porta del Popolo anschaue, im Wissen, dass sie auch dem geschätzten Herrn von und zu Goethe das Portal in die urbs aeterna war, so bin ich bewegt und dadurch bewogen, meine damalige Bewegtheit nur in den Raum und auf dies bescheidene Papier zu stellen und mich nicht durch das Schildern ihrer an ihr zu versündigen. Der zweite Tag brachte außerdem: die Piazza Navona, das Pantheon, den Trevibrunnen abends, den Campo de‘ Fiori, San Paolo fuori le Mura, ein paar unbekannte Gebäude, allerlei eigentlich Nennenswertes und einen wundersamen Innenhof, dessen Idylle ich hochhalte und nach Besuch dessen ich meine allein ihm und der erquicklichen Sonne in ihm zuzuschreibende erhabene Augenblickserfülltheit als das Maß aller Dinge, derer ich in Rom gewahr werden konnte, bestimmte. An diesem, unserem zweiten Abend in Rom trug sich mit mir als Opfer – nüchtern gesehen war ich ein solches, werde es aber in heroischem Defätismus Lisa, um derentwillen ich es wurde, und auch mir selbst gegenüber nie eingestehen – eine brisante Anekdote zu. 7/8 Meinem zukünftigen Ich, für das ich dies hauptsächlich alles notiere, oder natürlich auch einem etwaigen anderen Leser (per esempio meinem Alter Ego) werde ich nun Anweisungen zumurmeln, auf dass es oder er, der Selbstvergessenheit verfallen, die Anekdote besser verinnerliche: Ein kleiner Brauner – aus Indien, ist zu vermuten – nähert sich mir. Fühle seine Aura, wie sie dich umgarnt und zu verzärteln trachtet. Nun bemerke den Wind der vorbeifahrenden Wagen am Fuße der Spanischen Treppe. Sieh diese, wie sie, ewig ausladend, dich einnimmt. Sprich doch vielleicht auch zu deinen Kameraden, damit du teilen kannst, was du siehst, in Gedankliches und Gesagtes… Nimm die Verwirrung nicht wahr, die sich dir unbewusst nähert; sie nähert sich schneller als der kleine Inder mit Rosen in seinen dreckfarbenen Händen. Verstehe diese Farbe nicht. Sieh sie als rosa, denn die Treppe und die warme, südlich milde Abendluft saugen die rosa Brille an dein Gesicht. Versuche dich nicht deinem Schicksal zu entwinden: Wozu auch? Es scheint dir doch zu schmeicheln. Betrachte aus den Augenwinkeln deine langjährige Klassenkameradin Lisa, betrachte sie, nicht erfassend, dass die Verworrenheit deiner Empfindungen sie idealisiert, idealisiert, idealisiert… …idealisiert, idealisiert, idealisiert und sieh zu, wie der kleine Braune Lisa Rosen in die Hand drückt. Sieh sie sie nehmen und nicht annehmen wollen und letztlich doch nehmen – sie sind ja gra-tis. „Take, take, bellissima. Take it.“ Du begreifst ihr Begehr: Sie wollte sie nicht, sie hat sie aber nun – drei an der Zahl, die Rosen. Nimm wahr, wie sie über die breite Straße auf die Treppe zugeht, bleib aber noch jenseits der Straße! Warte noch, denke noch nach über den Schwall der Eindrücke, spüre, wie du unter ihrem Druck zerspellst und höre den braunen Inder in jammervollstem Moll auf dich schielen: „Give me some money“ Man sollte mich noch kritisieren für das Almosen von einem Euro pro Rose. Über meine inneren Beweggründe, diese perfide Tat, die zu jämmerlich erscheint, ein Trick genannt zu werden, philosophisch zu dulden, ließ ich nichts verlauten. Man hätte mich wohl einen Идиот oder – passend zur spanischen Treppe – den bekannten spanischen „armen Ritter“ getauft, dessen sicher, dass ich streunenden Hetären, die mich, so sie mich in dero Art betrogen haben, fliehend ins Fäustchen sich lachen, dass ich diesen – Hetären wohlgemerkt! – wie Cervantes‘ „armer Ritter“ in ihr verlogenes Gesicht sagen würde: „Euer Gnaden wollen nicht zur Flucht sich wenden, noch irgendeine Ungebühr befürchten, sintemal es dem Orden der Ritterschaft, der mein Beruf ist, nicht zukommt noch geziemend ist, solche irgendwem anzutun; wieviel weniger so hohen Jungfrauen, wie Euer edles Aussehen verkündigt.“ Tacui, philosophus mansi. Andernfalls wäre die Fantasie von manchem noch so weit gegangen, sich ordentlich über die Mimik „der Jungfrauen“ zu amüsieren, nachdem „diese“ „ein so ganz außerhalb ihres Berufs liegendes Wort“ vernehmen. Diesen mis-take und diesen mis-give kommentiere ich abschließend mit einer sententia, die nur in raren Kreisen (im Beisein des Gra-bi) Anklang finden könnte, und das nur aufgrund der Art und Weise des Ausdrucks, zumal sie allzu liberal klingt: Númquam vólebám nótata érrata íri. Die Beschreibung Roms sind mir Tantalusqualen und eine Sisyphusarbeit zugleich. Nie vermag ich es zu beschreiben und egal auf welchen der sieben Schöpferhügel ich den beschreibenden Stein hinauf schleppe, von jedem rollt er nichtssagend zurück herunter. Der dritte Tag: Mein diarium wird immer mehr diarium: Ein Tag beginnt schon klassisch mit einem Doppelpunkt. Wären wir ein paar Tage länger in Rom gewesen, der fünfte Tag wäre so beschrieben: Der fünfte Tag: Dies und das ward getan. 8/8 Nun aber zurück zum dritten und letzten Tag unserer Romreise. Vielleicht wird mein zukünftiges Alter Ego diesen Tag als Heiland hochleben lassen, ihn mithraskultartig verehren, weil es sich völlig von mir unterscheiden wird. Bei diesem Aporem ist es wie immer leichter gesagt als getan. Gesagt wäre: Deppates Alter Ego, brauchst das ja nicht lesen! In der Tat aber ist an das Andere Ich leider immer ein Eines Ich gebunden. Genug von diesem müßigen Gequatsche: meinem wachsenden Anderen Ich geht das schon ziemlich auf meinen Anderen Geist. Dritter Tag ist Vatikantag. Die HIB Liebenau ist zu Gast beim Ratzinger, in einem eigenen Staat. Außerdem möchte sie auch noch die Musei Vaticani und die Sixtinische Kapelle begutachten. Vor dem 1.Vatikanischen Konzils um 1870 gab es Päpste, die mit Fug und Recht behaupten konnten, „Gefangene im Vatikan“ zu sein. Zumal der Vatikan ja ein eigener Staat ist, was ja für aller Ohren – warum auch immer – besonders aufregend klingt, könnte folgender Ausspruch auch dem erbärmlich vor sich hinvegetierenden Gehirn eines Papstes aus dieser Zeit entstammen: "Das Ziel meiner innigsten Sehnsucht, deren Qual mein ganzes Inneres erfüllte, war Italien, dessen Bild und Gleichnis mir viele Jahre vergebens vorschwebte, bis ich endlich durch kühnen Entschluss die wirkliche Gegenwart zu fassen mich erdreistete." Der ver(s)us scriptor war aber Goethe. (Mancher mag nun vermuten, dass Goethe wohl alles auf der Welt geschrieben hat, dabei wollte er nicht wissen, was „auf der Welt“ ist, sondern was „die Welt im Innersten zusammenhält“.) Im Petersdom waren wir auch. Wer ausführlich seine Gefühle für den Petersdom erläutern möchte, der müsste ihn gesehen haben; wir jedoch haben ihn nur erblickt. Útinam áeterná (a)mbulavíssem in úrbe aetérne… Die Musei Vaticani blieben für uns hinter den Mauern, über deren Abschrägung unten so mancher im Fortifikationswesen Bewanderte unter uns diskutierte. Also nahmen wir Kurs auf die Engelsburg, deren Engel, sich tötend, ewiglich in der gleichen Bewegung verharrend, irgendeine Bewandtnis mit der Pest hat. Die Engelsburg hat im Laufe der Lenze schon vielen Zwecken gedient. Sie ist den Römern, was einem österreichischen Dorfbewohner die Mehrzweckhalle ist. Sie war Mausoleum, ist Museum, war Fluchtschloss für die Päpste, irgendwann war auch von einem Lustschloss die Rede. Die Details über letztere Funktion, so diese auch wirklich bestand, würde ich dem lieben Leser, wenn er nichts dagegen hat, vorenthalten, um eine unbefleckte Empfängnis etwaigen Lesevergnügens zu gewährleisten. Der Rest des Tages war Logistik: Einpacken der Taschen, Einrollen der geheimen Karikaturen und Einbauen der eigenen Gliedmaßen in den Bus. Zu meinem Ärgernis stritten alle meiner Synepheben entschieden ab, mich in laophoro nahe den österreichischen Gefilden im Schlaf den jungen Goethe zitieren gehört zu haben: "Nun ging mir eine neue Welt auf. Ich näherte mich den Gebirgen, die sich nach und nach entwickelten."…"Eine Welt zwar bist du, o Rom, doch ohne die Liebe wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom." O felix Roma – o Roma nobilis: Sedes es Petri, qui Romae effudit sanguinem, Petri cui claves datae sunt regni caelorum.