Romtagebuch - WordPress.com

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Rom.
Die erste Notiz in meinen Aufzeichnungen von unserer Romreise ist „Abstrakte Ankunft“. Es ist mir
schlicht als nicht ins Bild eines Schuljahresanfangs passend erschienen, dass drei Tage inmitten des
Beginns der fordernden 8.Klasse derselben entrissen sein würden. Die Abstrahierung der Reise ins
anfangs völlig Unverständliche wurde noch dazu dadurch verstärkt, dass es Rom war, Rom, Rom,
Rom, Rom, Rom, Rom, Rom, Rom, Rom, gerade dadurch, dass es Rom war, Rom.
Roma antiqua est.
Darin nämlich, dass es so alt ist, liegt doch seine schwindelnde Höhe.
Roma alta est.
Es muss jeden verwirren; den, der es heimlich schätzte, durch die Erkenntnis, dass sein tausendfach
mythologisiertes Antlitz – mythologisiert tausendfach auch durch die lingua latina, deren Bändiger
Catull – ut Roma urbi et orbi – seiner Lesbia übertreibend „Da mi basia mille, deinde centum, dein
mille altera, dein secunda centum, deinde usque altera mille, deinde centum“ zuhaucht – wahrhaftig
existiert und in gleichem Maße muss es den verwirren, der es insgeheim hasste, durch die
erzwungene Einsicht des tatsächlich bestehenden praktischen Nutzens der lingua latina und des
Wissens über die sie umgarnende römische Kultur.
„Es war schon schön“ drückt das alleine schon schön aus: Auch wenn es uns lieber gewesen wäre,
uns diese drei Tage in Rom schön schonen zu dürfen, kommen wir nicht umhin, zu erwähnen, dass
uns das grobe Durchwandern der Stadt Rom das Schülerleben schon verschönert hat. Manche
befleißigen sich schon während genannten Durchwanderns einiger devoter Kratzfüße: gra-tias
agimus. Anderen entschlüpft selbiges erst Jahrzehnte später und nur in Gedanken.
Da war eine weitere Notiz, die mich in eine weitere Not bringt, die strömend wie eine Flut aus einem
Fass ohne Boden herausstürzt, das ewig wie Rom im Gefülltwerden mit Roms Namen begriffen ist,
derer einer es wert war verewigt zu werden: „Rom ist die Stadt der Farben des Herbstes“. Schon am
GRA erkannte ich den sandfarben samtenen Firnis der „urbs aeterna“. Durch ein GRA sollte mir und
urbi et orbi später übrigens stets auch die abstrakte Präsenz Professor Liebenweins (somit auch des
Triumfeminatus Prof. Fladerer, Prof. Penz und Prof. Pinnitsch-Semmler – iis sit gra-tia), meiner
Synephebi meinerque selbst in Rom ins Bewusstsein gerufen werden: Ergo galt: Cogito, ergo sum.
Ergo war die Conditio sine qua non, dem Lebenswandel „sum, ergo poto“ abzuschwören.
Schon nach der Überwindung des GRA, des Römischen Stadt-Gra-bens (Grande Raccordo Anulare),
war aller Interesse gra-nde wie Rom und unsättigbar wie manche Fettsäuren. Allen weiteren GRA’s
zum Trotz war das Interesse ungemindert und ungehindert erklomm es erhabene Höhen.
Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg
in großen Bissen;
Während des Schreibens, so sehe und befürchte ich gerade, kann einem so mancher Name Roms einund entfallen: Rom ist die ewige Stadt; aber davon war schon die Rede und sie war derselben wert,
wenn sie aber Gefahr läuft, etwaige Aufmerksamkeit des Lesers, für den dieses diarium, auch wenn
eigentlich für den diariorum scriptor bestimmt, auch lesbar sein soll, abschweifen zu lassen, dann
sei’s ihr angeraten – sapientá, non arbitrari sese scire, quod nesciat –, andere Aspekte Roms zu
rühmen. Um meine Erinnerung anzukurbeln und diese Aspekte wachzurufen, bediene ich mich non
solum meines Verstandes, sed etiam des
hic roma-nisierten Äsops: Hic Roma, hic salta!
πάντα ῥεῖ – so auch Roms Verkehr.
Rom ist auch die Stadt des Verkehrs. Viel Verkehr fegt durch seine Straßen. Ich möchte mich mithilfe
einer Metapher darüber äußern, denn
"Gleichnisse dürft Ihr mir nicht verwehren, ich wüsste mich sonst nicht zu erklären".
Mancher, der der lingua latina eher geneigt ist, würde sagen: Per Iovem lapidem! Ovidi! O vide,
Hannibal ante portas!" Ausdrücken soll dieser Ausruf aus Scipios Zeiten eines derart
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hingebungsvollen fautor linguae latinae, dass er auch als austriaco, im Sinne der internationalen
Брудершафт mit Italien, gewappnet ist für jedweden Einfall eines tunesischen Feldherrn, Führers
oder Lenkers – plaustra ante pedes! –, da es da heißt:
„Dell‘ elmo di Scipio s‘è cinta la testa“.
Ach, ich merke, mein Tagebuch wird mich mit seiner Fülle an Gedanken einst verwirren wie die Stadt,
die es beschreibt.
Cónferénte Romá mecum áeterná memet áusum
mé formá gloriári suá opinétur alíquis.
Ést dubitándum mi nón meam éam me cómparatiónem
Nón diaríi causá, quód scrips(i) égo, fecísse.
Úrbem Róm(am) a príncipió regés habuére,
Áuctaque fórma curá st regum ét igitúr gloriánda st.
Láude Romáe factá luce míhi núnc clariús est:
Fórma qualíscumqu(e), út et Romáe st, iam a quóquo capítur,
út vincíat eám et eá victús moriátur.
Séd non me hábuerít nil némoque, quía libér sum,
Ét ego hábueró nísi diária níl.
Sícut Rom(a) índe me díariúm turbáturum áio.
Lí(e)ber látinus súm, non egéns diaríi latíni!
In Rom herrscht sozuagen
viel Lärm um viel,
denn es tummeln sich laut schwatzend und schwitzend unter dem Sol Romana viele Menschen mit
rot glänzender Haut um des ewigen Roms ewige Bauten. Wäre Shakespeare je in Rom gewesen, er
hätte es nicht gewagt in menschlichem Handeln much ado about nothing zu sehen.
Da er aber am Albion seine ergussreichen Tage zubrachte, sind - rebus hic stantibus – seinen
Vorstellungen kein Einfluss durch das Lebensgefühl Roms selbst, nur einige Kongruenzen mit denen
Ciceros nachzusagen, der da einst den Weisen bestimmte:
Quid enim videatur ei magnum in rebus humanis, cui aeternitas omnis totiusque mundi nota sit
magnitudo?
Genug, genug des Geschwafels! Fort mit allen Abstraktionen! Sobald der diariorum scriptor selbst
sich der Langeweile bewusst wird, die er beim Leser hervorruft, muss sein Stil sich ändern und somit
er selbst.
Der heutige Tag und der Ausruf „Hic Roma, hic salta!“ seien mir Musen!
Als die Achtklassler, 52 an der Zahl, sich dem Tiber näherten, war die Stimmung heiter (trotz einer
ewigen Busfahrt aus der römischen Provinz, die grollend und schlaflos von den Schülern begangen
ward und bei manchen beinah in die Verwandlung der Lamia ausartete). Ich betrachte nun und
betrachtete damals die Stimmung: Alles ordnete sich erst einmal. Die gewohnten Genossen wurden
mitunter sachte beiseitegeschoben, um sich Unbekannten der beiden anderen Klassen beizugesellen,
die sich entweder, wie man selbst, als ignoti inimici inoliti ineptiendi herausstellen oder, wie man
selbst, als neue Saufkumpanen. Es gab natürlich die abenteuerlichsten Konstellationen
Wortwechselnder, woran sich auch der Tag zu erfreuen schien. Goethe durchschritt die Porta del
Popolo, lange jedoch nachdem er in den „Leiden des jungen Werther“ schon schrieb:
„Die Empfindungen und Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltig, als Abfälle zwischen einer
Habichts- und Stumpfnase sind.“
Jeder Pilger wurde einst von der Porta del Popolo empfangen, wir umfuhren sie anscheinend im
Stadt-GRA-ben, denn wir sollten ihrer erst am zweiten Tag ansichtig werden, was zweifellos in Bälde
in diesem diarium beschrieben sein wird.
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Angenehm ist der Aufbruch ins uns Neue, ins alte Rom und in neue Gespräche. Die Vertiefung in
dieselben kann von langer Dauer sein, kann aber auch bald einem eisigen Schweigen anheimfallen.
Und? Wie gefällt dir Rom?
Gut. Dir?
Gut.
Da gehen dann zwei im wunderbaren Rom und wissen einander nichts zu sagen. Einer hofft vielleicht,
„Die Kluft des Schweigens werde ich „mit anmaßlicher Wetterkunde“ überbrücken“, während der
andere gedenkt „laut über die Schönheit Roms zu staunen, „ob mir gleich selbst zu ahnen anfing,
unsere Lustbarkeit werde einen Stoß leiden“, …“
„Dem sei nun, wie ihm wolle“, schreit das durch Rom inspirierte Herz eines Nebengehenden und
eröffnet neue weniger kurzlebige Gedankenwelten, um die Leiden der jungen Leute nicht länger mit
ansehen zu müssen.
„What a field to exlore – that of inner life!“
Was den Schülern wohl beim Anblick des Tibers und seiner Insel durch die Köpfe ging! Das bleibt
sowohl scriptor als auch lector diariorum verborgen.
Homo non Hydra. Das ist auch der Grund, warum er nur die Gedanken eines einzigen, und zwar,
seines, und zwar, seines einzigen Kopfes weiß. Bei Hydra mag das anders sein.
Die Tiberinsel beherbergt heute ein Krankenhaus, das uns unseres Strotzens vor Gesundheit wegen
egal sein konnte. Wenige von uns sahen am Abend auch Trastevere, welches den festen Griff der
Pons Cestius spürt. Ich selbst genoss den Schlaf im vermutlich bis ins letzte Zimmer von christliche
Motive beinhaltenden Bildern behangenen römischen Kloster. Dieser wurde mir übrigens um sieben
Uhr morgens entrissen, nachdem er acht Stunden zuvor „auf mich niederquoll“. Aber zu diesem
Ärgernis später.
Nach flüchtiger Betrachtung der Milvischen Brücke – denn amantes amentes waren unter uns nicht
zu finden, die einen lucchetto d’Amore hätten an die mittlere Laterne der Brücke anmachen und la
chiave in den Tiber hätten werfen können –, die als Eingang in die Stadt durch den Ponte Flaminio
ersetzt wurde, nachdem sie jahrhundertelang widerwillig Fremde über den Tiber trug, dabei auch ein
paar Mal einbrechend, und nachdem sie in Sternstunden wie in der des Sieges Kaiser Konstantins
über Mitkaiser Maxentius ersterem als Ort des Triumpfes diente,
überquerten wir den Tiber auf dem Ponte Flaminio, nach dem Forum Boarium strebend. Dieses war
im alten Rom ein Schlachtfeld voll totem, zum Essen aufbereitetem Vieh. Dessen Überreste wurden
in den Tiber geschleudert. Lebend im Tiber zu baden wäre dem Vieh – per Iovem lapidem! –nie
erlaubt worden: Quod licet Iovi, non licet bovi.
Es scheint im Übrigen, als ob Neapel Rom im Lauf der letzten dreihundert Jahre die Rolle als
verdreckteste Stadt abgerungen hätte. Auf seiner Italienreise war Goethe völlig Rom- und
selbstvergessen Neapel verfallen:
"Dass kein Neapolitaner von seiner Stadt weichen will, dass ihre Dichter von der Glückseligkeit der
hiesigen Lage in gewaltigen Hyperbeln singen, ist ihnen nicht zu verdenken, und wenn auch noch ein
paar Vesuve in der Nachbarstadt stünden. Man mag sich hier an Rom gar nicht zurück erinnern:
gegen die hiesige freie Lagen kommt einem die Hauptstadt der Welt im Tibergrunde wie ein altes
überplaziertes Kloster vor."
Am Forum Boarium waren auch zwei Tempel, der Tempel des Hercules Viktor mit wundersamen
Kapitellen und der Portunus-Tempel mit Säulen, deren zweite Hälfte Teil der Tempelwand ist, um
Material zu sparen. Die spinnen, die Römer!
Weiters erblicken wir die Bocca della Verità in der Santa Maria in Cosmedin, zwei auf das Capitol
führende Treppen, eine steile und beschwerliche aus dem Mittelalter und eine aus der Renaissance,
die Reitertreppe, welche wir präferieren müssen, weil manche unserer Mädchen Angst haben beim
Besteigen (cursu!) der mittelalterlichen Treppe nicht außer Atem zu kommen und deswegen der
Legende nach noch in diesem Jahr zu heiraten. Hätten sie sie doch bestiegen, ohne außer Atem zu
kommen und hätten sie sich doch gleich gleich den Sabinerinnen Römer genommen!
Tu felix Austria, nube!
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Aber sie wollen gleich Vögeln noch länger liberae und liberi sein, der Gedanke an den pater familias
lässt sie erzittern!
Am und im Kapitol müssen wir allerlei beäugen.
Der Kampf zwischen Heiden und Christen ist in Rom in allem zu finden. Er ist gleich dem Kampf, den
sich die Giovinezza und die Bandiera Rossa im zweiten Weltkrieg lieferten – hart und mächtig. Von
letzterem pflegten übrigens die ζῷα πολιτικα der C-Klasse zu sprechen, und stimmten mitunter eine
der Hymnen an.
Hochstimmung und Tiefstimmung wechseln einander ab. Bei mir zumindest. Manchmal versinke ich
in der erdrückenden Last der Eindrücke, manchmal glaub ich sie erfassen zu können, diese urbs
aeterna. Doch, tsts, bis zum nächsten Tag, ehe der Hahn kräht, werde ich mich dreimal belächelt
haben. Ach, was denkst du nur? Gehst drei Tage durch Rom und glaubst, es zu verstehen! Solche
Verstiegenheit ist die eines Narren! Wie gut, dass viele frei von solchen Gedanken sind!
Ich blicke nun zurück auf Rom, wie auf einen Traum und als solcher begann die Reise ja auch. In der
achten Klasse bitten einen die Lehrer hauptsächlich seine Eindrücke zu schildern und, nur wenn
gewisse Details über Bauten und Geschichte Roms für die erhaltenen Eindrücke unentbehrlich sind,
auch diese in seinem Tagebuch wiederzugeben. Die Erfüllung dieser Bitte ist ja eigentlich
selbstverständlich, denn wer mag denn anzweifeln, dass er im Vergleich mit seinem Lehrer nur einen
kläglichen Bruchteil dessen über die sachlichen Seiten Roms weiß, was aus diesem wie aus dem
Trevibrunnen hervorsprudelt? Manchen ist diese Position vielleicht angenehm, weil sie die Chance
sehen, den Philosophen in sich zu finden und die Lehrer als leere, herum hoppelnde, enzyklopädische
Sophisten darzustellen und sich mit Sokrates‘ Satze „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ die Rolle des
Philosophen zusprechen.
Man könnte dies also als Wiederumdisponieren verstehen: Es war deutlich merkbar, dass ich nach
langen Erklärungen müßig strapazierter Gedanken darüber zu sprechen begann, was wir in Rom
tatsächlich gesehen haben. Ein paar Zeilen weiter oben habe ich diesen offensichtlichen Vorsatz in
gelesener Ausführung mit einem kurzen Satz aber wieder verworfen, vielleicht endgültig, vielleicht
nicht.
Nun möchte ich ein paar meiner Gedanken über Rom an sich ausdrücken, da diese, wie an den ersten
Zeilen des diarium zu erkennen war, für mich besonders interessant erscheinen: Überhaupt mag ich
Hochkulturen wie die römische, Imperia wie das römische; sie bilden den Menschen ab. Die Dichter
und Philosophen aus der im Unterricht hauptsächlich behandelten Zeit des römischen Imperiums
sind für mich eine reizvolle Verdichtung menschlichen Denkens und Handelns, was heißen soll, dass
sie für mich Ausgeburten einer zivilisierten Gesellschaft sind. In ihnen lebt ihre Zeit. Ihr Wort hat die
Kraft, mir das, was ich hier für mich über Rom geschrieben habe, als nicht sinnlos erscheinen zu
lassen.
Rom ist also ein mystifiziertes Etwas, das in den Gedanken schwebt und dort wie ein Wunderding
früherer Zeit betrachtet wird. Das Bewusstwerden, dass dieses Etwas, in mir stets nur im Kontext
früherer Zeit betrachtet, heute – in heutiger Zeit! – ein heutiges Antlitz angenommen hat und dass
dieses, indem alles in ihm fließt, also wie in einem besonders verschlissenen Rinnsteine Neues an
Unflat ungern aufgenommen und gleichsam alter Dreck gut aufgehoben ist, unförmig wirken muss,
und doch so reizvoll gewagt dem Schoße von Einstigem entrissen, lässt mich mir mich im Vergleich
formlos fade erscheinen lassen.
„Quot caelum stellas, tot habet tua Roma poetas“,
quorum dicta quoque dicuntur reperunturque ubique sumunturque undique.
Rómanós poetás discípuli nós diligámus –
Gáudeamús igitúr úrbe fuíss(e) in Romá!
So wie weiter oben latine erklärt ist, dass der Vergleich meines diarium mit Rom als weitere Preisung
desselben verstanden sei, so sei nun ebenfalls darauf verwiesen, dass jeder (sei’s auch durch ein Zitat
implizite, aber nicht explizit verwandte) Vergleich mit einer unnahbaren römischen Größe wie Ovid
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einzig dem Dank dem Genie derselben geschuldet ist, wodurch ich diesen Satz nun beruhigt
vollenden und den oben prosaisch ausgeführten Gedanken als in einige mies-ratene deutsche
Verslein hineingeschmiedet ankündigen darf, denn quidquid temptabam scribere, versus erat.
Im drückend vollen
Schwunge heut‘ger Zeit,
ist nichts, was nicht flösse,
nicht flösse wohlbereit
nicht ewiglich ergösse
über des Betrachters Haupt
unbekannter Ding‘ Geläut!
Am ersten Tag genehmigten wir uns auch ein Forum Romanum, oder besser formuliert, das Forum
Romanum schlechthin: Es ist wirklich schlecht und hin, aber da es gewiss einst weder noch war, war
ich hingerissen. Auch der Palatin ist erwähnenswert; nicht aber der Circus Maximus, weil dieser voller
herumfahrender Wagen war, was an sich gut klänge, wären es nicht Lastwagen sondern Rennwagen
gewesen.
In ihren Reden schnitten unsere Lehrer an genanntem Tage auch die ukrainische Hochzeitstorte an.
Ja, einige von uns wollten Rom heiraten wie Hitler Deutschland, doch um nicht weiter palam viel
Wesens um diesen Begehr zu machen, zogen wir an ihr vorüber. Unklar blieb uns, warum Ukrainer
ihre Hochzeitstorten in Form einer Schreibmaschine bevorzugen.
(Ein Gemunkel, das in mir als zur Poesie neigendem zu vernehmen war, ist, dass dieser absonderliche Brauch dem
Ausspruch eines berühmten ukrainischen Dichters zugrunde liegt, der, als es für ihn schon Zeit war, an Hochzeit zu denken,
diese als den Tod aller seiner Poesie in ihm einschätzte und meinte: „Es ist kriminell, nach dem 30. Lebensjahr noch
Gedichte zu schreiben“. Das alles erweist sich aber als unstimmig, bedächte man, dass dieser Dichter, vom Lebensabend di
Vittorio Emmanuele, der schon ebendiese ukrainischen Hochzeitstorten zu bauen pflegte, an gesehen, einige Male hätte
leben können, was aber nicht von Belang bliebe, hätte man die Gewissheit, dass die genannte, von unseren Lehrern
angeschnittene ukrainische Hochzeitstorte in Rom diesen Titel zu Lebzeiten jenes ukrainischen Dichters, also erst zur Zeit
des mutmaßlichen Aufkommens des Kults dieser Hochzeitstortenform erhalten hat.)
Da ich mich dessen, was nach dem Palatin geschah, nicht entsinnen kann, was unschuldigere Gründe
haben kann, als manches Verstand ihm zuflüstern würde. Was war da schnell? Ach, ich altere; oder
die Romreise altert.
Doch – man ist ja nicht umsonst mit Verstand begabt! – weiß ich mir an dieser Stelle mit meinem
Fotoapparat zu helfen, welcher mir das letzte Bauwerk des ersten, nebenbei bemerkt ewigen Tages
in die Erinnerung zurückruft, mit allen Schnörkeln des Erlebten. Da sich diesen zu widmen mir jetzt
– zum ersten Male! – unsinnig erscheint, halte ich es lapidar kurz und lateinisch, im stillen Staunen
darüber, wes ich ansichtig wurde:
Roma inicit bracchia collo Collosei sui.
Am Abend schlüpften manche, die offensichtlich vor Kraft strotzten, wie Hannes und einige der
zähsten aus der C-Klasse, die ich deswegen bewunderte und gleichsam um ihre ungebrochenen
Unternehmergeist beneidete, noch einmal aus unserem Kloster in Richtung Trastevere, wie schon
erzählt.
In den Abendstunden wollte ich unbedingt die Umgebung erkunden, gewissermaßen eine
Angewohnheit von mir. Außer im Umgehen einiger wauwauender Hunde fand ich in nichts die
gewohnte Befriedigung eines Spaziergangs. Ich sah Gangs spazieren, mich vor ihnen nicht wenig
fürchtend im alleinigen Streunen in den Gassen Roms.
Hätte ich
"Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
wird selbst ein weiser Mann gewogen.“
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aus Goethes Faust vor mir hin zitieren können, ich hätte meinen Unmut auf die in ihren camere den
Alltag angähnenden Herrchen projiziert, doch ich Unwissender konnte diese rechtschaffene
Empfindung nicht hegen und konnte auch nicht bedauern, dass, sollte ich ein Weiser werden, Goethe
sich geirrt haben wird.
Neben hartnäckigem Nichtwahrhabenwollen des Anscheins, dass ich vergeblich die Straßen nach
Mädchen und den Himmel nach Sternen absuchte, dem Versprechen Ovids vertrauend, hätte ich
auch Gelegenheit, über einen Auszug aus Goethes venezianischen Epi-gra-mmen zu sinnieren gehabt,
das da lautet:
„Not lehrt beten, man sagt's; will einer es lernen, er gehe
Nach Italien! Not findet der Fremde gewiss.“
Im Anbetracht der Behinderten, die im Kloster – ob es übrigens nun ein solches ist oder nicht, ist
nicht maximi momenti – wohnen, ist dieses Epi-gra-mm naheliegend, unwahrscheinlich ist, dass
Goethe seinen Leser solcher pauschalen Eindrücke wegen, wie ich sie hatte, nach der Not nach Italien
schickte…
Es „quoll“ also bereits gegen halb elf der Schlaf „auf mich nieder“; und es weckte mich nicht Rom
sondern das Mütterchen Russland mit seiner Nationalhymne. Die Klänge kamen von Hannes‘ Handy,
der diese zu Recht für eine bestmöglich sanfte Methode des Entreißens aus dem Schlaf hielt.
Der zweite Tag war der herrlichste der drei. Ein durchschnittlicher Schüler kann doch nicht mehr als
ihn begehren, ohne anmaßend zu sein. Die Sonne zeigte sich gänzlich und die Laune erhellte sie wie
den Weg. Dieser führte ins barocke Rom. Prof. Fladerer machte mich stutzig, indem sie sagte, dass
„Rom eigentlich eine Stadt des Barocks“ sei. Bernini, die Piazza del Popolo, von der man nicht weiß,
wozu sie so heißt, und natürlich allerlei schwülstige Schnörkel waren Topoi des Tages. Ceterum
censeo, dass mein Erkiesen des zweiten als des besten Tages nicht unbedingt als Geständnis meiner
Liebe zum Schwulst verstanden werden kann. Ich schmunzle in mich hinein.
"Der Italiener hat überhaupt ein tieferes Gefühl für die hohe Würde der Kunst als andere
Nationen…“, schrieb Goethe in seiner Italienreise. Vermutlich sah er, diese Meinung vertretend, die
nach seiner Heimkehr beginnende Weimarer Klassik stets als Abklatsch italienischer Kunst an und
schämt sich seiner rational erarbeiteten Inkompetenzkompensationskompetenz. Eine vage
Vermutung, recht gewagt ward sie gesagt.
Der Germanicorum Princeps Poetarum hatte ein großes Auge, einen großen Sinn und einen großen
Mund, damit er dich besser fassen kann, o Italien! Über Rom sei am Ende in diesem diarium noch
etwas angefügt, das heißt, von Goethe, wo doch von mir schon reichlich nach dem Worte Rom auf
Seite Eins angefügt wurde.
Aus einem Baum irgendwo unweit der Piazza del Popolo, wo auch meine Oma zwei Wochen
zubrachte und noch heute darüber ganz entzückt ist, hat, falls meine Erinnerung stimmt und falls es
überhaupt stimmt, Nero eine Nymphe vertrieben und wohnt ihm als Geist jetzt inne; die lateinische
arbor blieb trotzdem weiblich.
Wenn ich die prächtige Porta del Popolo anschaue, im Wissen, dass sie auch dem geschätzten Herrn
von und zu Goethe das Portal in die urbs aeterna war, so bin ich bewegt und dadurch bewogen,
meine damalige Bewegtheit nur in den Raum und auf dies bescheidene Papier zu stellen und mich
nicht durch das Schildern ihrer an ihr zu versündigen.
Der zweite Tag brachte außerdem: die Piazza Navona, das Pantheon, den Trevibrunnen abends, den
Campo de‘ Fiori, San Paolo fuori le Mura, ein paar unbekannte Gebäude, allerlei eigentlich
Nennenswertes und einen wundersamen Innenhof, dessen Idylle ich hochhalte und nach Besuch
dessen ich meine allein ihm und der erquicklichen Sonne in ihm zuzuschreibende erhabene
Augenblickserfülltheit als das Maß aller Dinge, derer ich in Rom gewahr werden konnte, bestimmte.
An diesem, unserem zweiten Abend in Rom trug sich mit mir als Opfer – nüchtern gesehen war ich
ein solches, werde es aber in heroischem Defätismus Lisa, um derentwillen ich es wurde, und auch
mir selbst gegenüber nie eingestehen – eine brisante Anekdote zu.
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Meinem zukünftigen Ich, für das ich dies hauptsächlich alles notiere, oder natürlich auch einem
etwaigen anderen Leser (per esempio meinem Alter Ego) werde ich nun Anweisungen zumurmeln,
auf dass es oder er, der Selbstvergessenheit verfallen, die Anekdote besser verinnerliche:
Ein kleiner Brauner – aus Indien, ist zu vermuten – nähert sich mir.
Fühle seine Aura, wie sie dich umgarnt und zu verzärteln trachtet. Nun bemerke den Wind der
vorbeifahrenden Wagen am Fuße der Spanischen Treppe. Sieh diese, wie sie, ewig ausladend, dich
einnimmt. Sprich doch vielleicht auch zu deinen Kameraden, damit du teilen kannst, was du siehst, in
Gedankliches und Gesagtes…
Nimm die Verwirrung nicht wahr, die sich dir unbewusst nähert; sie nähert sich schneller als der
kleine Inder mit Rosen in seinen dreckfarbenen Händen. Verstehe diese Farbe nicht. Sieh sie als rosa,
denn die Treppe und die warme, südlich milde Abendluft saugen die rosa Brille an dein Gesicht.
Versuche dich nicht deinem Schicksal zu entwinden: Wozu auch? Es scheint dir doch zu schmeicheln.
Betrachte aus den Augenwinkeln deine langjährige Klassenkameradin Lisa, betrachte sie, nicht
erfassend, dass die Verworrenheit deiner Empfindungen sie idealisiert, idealisiert, idealisiert…
…idealisiert, idealisiert, idealisiert und sieh zu, wie der kleine Braune Lisa Rosen in die Hand drückt.
Sieh sie sie nehmen und nicht annehmen wollen und letztlich doch nehmen – sie sind ja gra-tis.
„Take, take, bellissima. Take it.“
Du begreifst ihr Begehr: Sie wollte sie nicht, sie hat sie aber nun – drei an der Zahl, die Rosen. Nimm
wahr, wie sie über die breite Straße auf die Treppe zugeht, bleib aber noch jenseits der Straße!
Warte noch, denke noch nach über den Schwall der Eindrücke, spüre, wie du unter ihrem Druck
zerspellst und höre den braunen Inder in jammervollstem Moll auf dich schielen:
„Give me some money“
Man sollte mich noch kritisieren für das Almosen von einem Euro pro Rose. Über meine inneren
Beweggründe, diese perfide Tat, die zu jämmerlich erscheint, ein Trick genannt zu werden,
philosophisch zu dulden, ließ ich nichts verlauten. Man hätte mich wohl einen Идиот oder – passend
zur spanischen Treppe – den bekannten spanischen „armen Ritter“ getauft, dessen sicher, dass ich
streunenden Hetären, die mich, so sie mich in dero Art betrogen haben, fliehend ins Fäustchen sich
lachen, dass ich diesen – Hetären wohlgemerkt! – wie Cervantes‘ „armer Ritter“ in ihr verlogenes
Gesicht sagen würde:
„Euer Gnaden wollen nicht zur Flucht sich wenden, noch irgendeine Ungebühr befürchten, sintemal
es dem Orden der Ritterschaft, der mein Beruf ist, nicht zukommt noch geziemend ist, solche
irgendwem anzutun; wieviel weniger so hohen Jungfrauen, wie Euer edles Aussehen verkündigt.“
Tacui, philosophus mansi.
Andernfalls wäre die Fantasie von manchem noch so weit gegangen, sich ordentlich über die Mimik
„der Jungfrauen“ zu amüsieren, nachdem „diese“ „ein so ganz außerhalb ihres Berufs liegendes
Wort“ vernehmen.
Diesen mis-take und diesen mis-give kommentiere ich abschließend mit einer sententia, die nur in
raren Kreisen (im Beisein des Gra-bi) Anklang finden könnte, und das nur aufgrund der Art und Weise
des Ausdrucks, zumal sie allzu liberal klingt:
Númquam vólebám nótata érrata íri.
Die Beschreibung Roms sind mir Tantalusqualen und eine Sisyphusarbeit zugleich. Nie vermag ich es
zu beschreiben und egal auf welchen der sieben Schöpferhügel ich den beschreibenden Stein hinauf
schleppe, von jedem rollt er nichtssagend zurück herunter.
Der dritte Tag:
Mein diarium wird immer mehr diarium: Ein Tag beginnt schon klassisch mit einem Doppelpunkt.
Wären wir ein paar Tage länger in Rom gewesen, der fünfte Tag wäre so beschrieben:
Der fünfte Tag:
Dies und das ward getan.
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Nun aber zurück zum dritten und letzten Tag unserer Romreise. Vielleicht wird mein zukünftiges Alter
Ego diesen Tag als Heiland hochleben lassen, ihn mithraskultartig verehren, weil es sich völlig von mir
unterscheiden wird.
Bei diesem Aporem ist es wie immer leichter gesagt als getan.
Gesagt wäre: Deppates Alter Ego, brauchst das ja nicht lesen!
In der Tat aber ist an das Andere Ich leider immer ein Eines Ich gebunden.
Genug von diesem müßigen Gequatsche: meinem wachsenden Anderen Ich geht das schon ziemlich
auf meinen Anderen Geist.
Dritter Tag ist Vatikantag. Die HIB Liebenau ist zu Gast beim Ratzinger, in einem eigenen Staat.
Außerdem möchte sie auch noch die Musei Vaticani und die Sixtinische Kapelle begutachten.
Vor dem 1.Vatikanischen Konzils um 1870 gab es Päpste, die mit Fug und Recht behaupten konnten,
„Gefangene im Vatikan“ zu sein. Zumal der Vatikan ja ein eigener Staat ist, was ja für aller Ohren –
warum auch immer – besonders aufregend klingt, könnte folgender Ausspruch auch dem erbärmlich
vor sich hinvegetierenden Gehirn eines Papstes aus dieser Zeit entstammen:
"Das Ziel meiner innigsten Sehnsucht, deren Qual mein ganzes Inneres erfüllte, war Italien, dessen
Bild und Gleichnis mir viele Jahre vergebens vorschwebte, bis ich endlich durch kühnen Entschluss
die wirkliche Gegenwart zu fassen mich erdreistete."
Der ver(s)us scriptor war aber Goethe.
(Mancher mag nun vermuten, dass Goethe wohl alles auf der Welt geschrieben hat, dabei wollte er nicht wissen, was „auf
der Welt“ ist, sondern was „die Welt im Innersten zusammenhält“.)
Im Petersdom waren wir auch. Wer ausführlich seine Gefühle für den Petersdom erläutern möchte,
der müsste ihn gesehen haben; wir jedoch haben ihn nur erblickt.
Útinam áeterná (a)mbulavíssem in úrbe aetérne…
Die Musei Vaticani blieben für uns hinter den Mauern, über deren Abschrägung unten so mancher im
Fortifikationswesen Bewanderte unter uns diskutierte.
Also nahmen wir Kurs auf die Engelsburg, deren Engel, sich tötend, ewiglich in der gleichen
Bewegung verharrend, irgendeine Bewandtnis mit der Pest hat. Die Engelsburg hat im Laufe der
Lenze schon vielen Zwecken gedient. Sie ist den Römern, was einem österreichischen Dorfbewohner
die Mehrzweckhalle ist. Sie war Mausoleum, ist Museum, war Fluchtschloss für die Päpste,
irgendwann war auch von einem Lustschloss die Rede. Die Details über letztere Funktion, so diese
auch wirklich bestand, würde ich dem lieben Leser, wenn er nichts dagegen hat, vorenthalten, um
eine unbefleckte Empfängnis etwaigen Lesevergnügens zu gewährleisten.
Der Rest des Tages war Logistik: Einpacken der Taschen, Einrollen der geheimen Karikaturen und
Einbauen der eigenen Gliedmaßen in den Bus.
Zu meinem Ärgernis stritten alle meiner Synepheben entschieden ab, mich in laophoro nahe den
österreichischen Gefilden im Schlaf den jungen Goethe zitieren gehört zu haben:
"Nun ging mir eine neue Welt auf. Ich näherte mich den Gebirgen, die sich nach und nach
entwickelten."…"Eine Welt zwar bist du, o Rom, doch ohne die Liebe wäre die Welt nicht die Welt,
wäre denn Rom auch nicht Rom."
O felix Roma – o Roma nobilis:
Sedes es Petri, qui Romae effudit sanguinem,
Petri cui claves datae
sunt regni caelorum.
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