Festvortrag der Auftaktveranstaltung des Gründungsfestes der Katholischen Stadtkirche Bad Reichenhall im Alten Königlichen Bayerischen Kurhaus Bad Reichenhall Festredner: Stefan Schimmel Aus dem Vortrag vom Festabend am 7. Juli 2012 . Kommt eigentlich die „Stadtkirche“ auch in der Bibel vor? Ja, sehr wohl! Nämlich in der Apostelgeschichte des Lukas. Jene Apostelgeschichte ist nämlich das einzige Buch der Bibel das noch nicht „fertig“ ist, das von den Christen aller Zeiten fortgeschrieben wird. Gott ist mit uns Menschen unterwegs! Auch mit dem Projekt Stadtkirche ist Gott unterwegs. Wenn man davon ausgeht, dass Gott sich um seine Kirche sorgt und kümmert (und davon muss man ausgehen), dann hat eben auch das Projekt Stadtkirche Seinen Rückenwind. Dann steht das ganze Projekt unter dem spannenden Gotteswort aus Jesaja: „Seht, ich schaffe Neues“. In welche Bewährungen ruft uns das Projekt Stadtkirche? Aus welchen Gewohnheiten will uns das Projekt lösen? Aber auch: Was müssen wir um unserer Identität willen bewahren? Aber, die Frage stellt sich: Sind wir überhaupt scharf auf Neues? Gerade in der Kirche? Wir sehnen uns doch alle irgendwie nach Sicherheit, nach Gewohnheit. Wir wollen uns auskennen. „Das war schon immer so.“ Oder „Das haben wir überhaupt noch nie anders gemacht“, sind typisch-bayerische Schlagworte. Deshalb haben wir auch unser Christentum schön sauber eingerichtet. Wir haben unsere Religion im Griff. Die 4 Wände unseres Christentums, in denen wir uns heimatlich, sicher eingerichtet haben, heißen: Tradition, Regeln, Gottesdienst und „der Herr Pfarrer“ (der macht das schon). Und so ist es geschehen, dass unsere Religion so normal, so harmlos geworden ist. Für die einen nett, für die anderen langweilig. Der Theologe Georg Schmid hat einmal gesagt: „Wer und was kann uns noch zeigen, dass Christentum etwas Ungeahntes, etwas von uns noch nie Vernommenes, etwas Unerhörtes meint? Wer zeigt uns das andere Christentum, den Glauben, der nie zur Gewohnheit wird?“ Bin ich Jesus so nahe gekommen, dass ich diesen Ruf persönlich vernommen habe? Wir sind getauft, gefirmt, konfirmiert – aber haben wir das persönlich gehört: Auf, du, folge mir nach! Komm mit! Jesus ruft uns zuerst zu sich – und bei und mit ihm entsteht Kirche. Wir müssen also Kirche von Christus her bauen, nicht zu Christus hin. Nicht aus eigener menschlicher Kraft, sondern in der Kraft des Geistes. Die Kirche ist also das gerade Gegenteil des Turms von Babel: Statt stolz sich zu Gott emporzuarbeiten, erkennt die Gemeinschaft der Christen in Demut, dass Gott herabgekommen ist. Statt sich in einer Verwirrung der Sprache voneinander zu entfernen, ist es innerstes Anliegen der Kirche, dass sich ihre Glieder untereinander austauschen, ergänzen, verstehen. Jeder einzelne ist gerufen zu lernen: „Ich bin Kirche!“ Mit all seinen Begabungen und Schwächen, seiner Vergangenheit und seiner gegenwärtigen gesellschaftlichen Stellung ist der Christ ein lebendiges und wichtiges Glied seiner Kirche. Darum empfiehlt es sich mit Franz von Assisi zu beten: „Herr, baue deine Kirche neu auf – und fang bei mir an!“ So kann auch ein weithin vergessener Auftrag der Kirche wieder ins volle Bewusstsein gerückt werden. Ein Auftrag, den auf der ganzen Welt allein die christliche Gemeinschaft erfüllen kann: beweisen, zeigen, sichtbar machen, dass Jesus auferstanden ist, dass er lebt. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ – das ist kein netter Satz Jesu, das ist eine radikal-christliche Tatsache. Die Kirche soll sichtbar machen, dass Jesus da ist. Sie soll sich als „Leib Christi“, wie Jesus einst, verausgaben in der Liebe! Wie Jesus einst hingehen zum Menschen – in seine Verlorenheit – ihn aufsuchen, heimsuchen, nach Hause suchen. Und ganz wichtig: Wir dürfen mit der Kraft Jesu rechnen. In Pfarrgemeinderat, Caritas, Kreisbildungswerk, Frauenbund, Haus- und Gebetskreisen, Ministrantendienst und in jeglicher Form von Gottesdienst. Über all dem ist der Himmel offen. Aber wir müssen uns dabei klar machen: Es geht bei all dem immer und nur um die Begegnung mit Gott und Menschen. Genau deshalb ist es so wichtig, dass der Sonntag unseren Alltag durchdringt. Jesus ruft mich hinaus ins Leben. In der Blockhütte begegne ich zuletzt immer nur mir selbst – oder anderen, die nur sich selbst begegnen. Aber draußen ist das Leben: Jesus. Voller Chancen, Herausforderungen, Abenteuer, Gefahren – und Verheißungen. Dort brauche ich Glauben, Hoffnung, Liebe. Dort begegne ich Menschen, die mich herausfordern, verletzen, aber auch bereichern und segnen. Jesus sagte (und er sagt es immer wieder): „Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt, Leben in Überfluss.“ Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal gesagt: „Ich habe immer Angst um mein Leben, wenn ich in die Kirche zum Gottesdienst gehe, denn ich begegne dort u. U. dem lebendigen Gott – einem verzehrenden Feuer.“ Natürlich für uns etwas übertrieben, aber durchaus auch eine wichtige Warnung für uns: Ist Kirche, mit all ihren Facetten, der Ort der Gottesbegegnung für uns? Wenn Jesus vom Reich Gottes spricht, das unter uns angebrochen ist, dann meint er exakt so ein Gebilde wie die Stadtkirche. Dort sollen Gemeinschaft, Begegnung, Kommunikation, Seelsorge (mit und ohne Pfarrer) gelingen. Kirche soll uns nicht vom Alltag ablenken, sondern für den Alltag stärken. Kirche muss uns ins Leben führen: spannend, abenteuerlich soll’s zugehen. Wir sind es uns selbst und den Menschen außerhalb der Kirche schuldig, dass wir begeistert, erlöst, frei aussehen. Das sollten wir auch unseren Gesichtern mitteilen. Gelingendes Leben muss das Hauptmerkmal kirchlichen Zusammenseins werden. Und: Die Menschen „draußen“ spüren es den Christen ab, ob sie das Leben haben, oder nur vom Leben reden. Der heutige Mensch sehnt sich nach Zuspruch, Ermutigung, Richtung und Vorbild. Wir als Kirche müssen also eine Sprache finden, die den heutigen Menschen erreicht: verständlich muss diese Sprache sein, zeitgemäß, aber vor allem ehrlich. So wie Jesus, so bejaht Kirche den ganzen Menschen – so wie dieser Mensch ist – mögen die Einzelheiten dieses Menschen sein, wie sie wollen. Die Kirche kommt mit einem großen „Ja“ im Herzen auf die Menschen zu. Kirche ist also auch ein Ort der Zuflucht: Hier darfst du du sein, ankommen, mit all deinen Rissen, Störungen, Niederlagen. Denn Kirche ist nie „exklusiv“ – nie eine Versammlung von Menschen, die sich auskennen. Im Grunde gibt es niemanden, der sich in der Kirche auskennt, der seine Kirche im Griff hat. Denn die kirchliche Gemeinschaft lebt durch den Atem des auferstandenen Jesus. Kirche ist jeden Tag neu – und immer unterwegs. Und ohne den täglichen frischen Atem ihres Herrn verwelkt sie. Klar, wir befinden uns als Kirche mitten in einem „Kampf der Angebote“. Der verzweifelte, suchende, gelangweilte oder auch allem überdrüssige Mensch lässt sich hineintreiben in Sport, Arbeit, Alkohol, Internet und Fernsehen, Liebesabenteuer. Warum trauen wir Gott nicht zu, dass er unser Leben zu einem leidenschaftlichen Abenteuer machen kann? Ob Stadtkirche gelingt, ist also nicht zuerst eine Frage der Organisation und Verwaltung, sondern eine Frage des aktiven, offensiven christlichen Zusammenlebens. Letztlich also auch immer eine Frage der Liebe. Aber nicht sentimental, sondern Liebe als Freundlichkeit, Höflichkeit, Gesprächsbereitschaft… Antoine de Saint Exupéry hat einmal ein Wort gesagt, das dem Projekt Stadtkirche vorangestellt werden kann: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit zu verteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.“ Auf heute übersetzt: „Wenn du Stadtkirche bauen willst, dann trommle nicht Männer und Frauen zusammen, um zu organisieren, zu verwalten, zu planen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach neuem gemeinsamen Menschsein, nach Kirche.“ Das allein müssen wir hineinbringen in das Projekt: Sehnsucht, Leidenschaft nach Gott, Leben, Menschen. Zum Schluss gilt: „Wie ich die Welt will So muss ich selbst erst werden.“ – Anders ausgedrückt: Wie ich die Kirche, die Stadtkirche will, so muss ich selbst erst werden! Gottes reicher Segen begleite das „Projekt Stadtkirche“ Stefan Schimmel