OSTALB-KULTUR Dienstag, 19. Juni 2012 Sevilla liegt in Heidenheim Das Eröffnungskonzert der Opernfestspiele Heidenheim feiert den spanischen Opernschauplatz Mit dem Ruf „Auf nach Sevilla“ lockten Initiatoren und Interpreten der Opernfestspiele Heidenheim bereits drei Wochen vor der diesjährigen Premiere der großen „Carmen“-Inszenierung viele Opernfreunde in die Stadt an der Brenz. Das Konzert wurde zum begeisternden Vorboten einer ganz und gar spanischen Festspielzeit. CHRISTINE BAUSCH Carmen, eine der leidenschaftlichsten Gestalten der Oper, erobert in diesem Jahr die Opernfestspiele Heidenheim. Über 200 Jahre nach ihrer Uraufführung ist diese großartige Oper eine der meistgespielten der Welt, Ort der Handlung ist das spanische Sevilla. Doch die temperamentvolle Zigeunerin Carmen befindet sich dort in illustrer Gesellschaft, denn die andalusische Hauptstadt dient als Inspiration für mehr als 40 Werke innerhalb dieses Genres. Das Eröffnungskonzert der Opernfestspiele Heidenheim feiert diesen kulturellen Ort und widmet sich am Samstagabend im Konzerthaus dem „Schauplatz Sevilla“. Dabei präsentiert sich die Capella Aquileia, Württembergische Kammerphilharmonie Heidenheim, erstmals unter dem Dirigat ihres neuen künstlerischen Leiters Marcus Bosch. Locker-informativ führt er bei „spanischen Außentemperaturen“ durch den Abend, wobei sein Dank an die Sponsoren geht, ohne die diese Festspiele nicht möglich wären. Zu Beginn lässt es sich Oberbürgermeister Bernhard Ilg nicht nehmen, die Besucher auf Spanisch zu begrüßen und die Festspiele 2012 zu eröffnen, die er als zentralen Teil der Kulturarbeit in Heidenheim bezeichnet. Die ersten Takte dieses Abends sind dann doch noch etwas entwicklungsfähig. Das Orchester kämpft ganz zu Beginn der dramatischen Ouvertüre zu Mozarts Oper Don Giovanni mit trockener Raumakustik, Intonation und Zusammenspiel. Doch schon bei der ersten Das Eröffnungskonzert der Opernfestspiele Heidenheim. Arie der Donna Anna hat man sich bestens gefunden und die Capella Aquileia steht der energiegeladenen Sopranstimme von Michaela Maria Meyer in Nichts nach. Den düster-leidenschaftlichen Grundton des Werks lockert der quirlige Bariton Matias Tosi auf. In seiner Arie „Madammina“ singt er als Diener Leporello mit viel argentinischem Charme von den zahllosen Liebschaften seines zügellosen Dienstherrn Don Giovanni, wobei das Programmheft der Opernfestspiele als willkommene Gedächtnisstütze dient. Nach der ausdrucksstarken Arie „Non mi dir“, in der die stimmlich in allen Lagen überzeugende Sopranistin auch mit dramatischen Kolloraturen brilliert, wendet man sich der Oper Carmen von George Bizet zu. Während das Orchester mit der Einleitung zum zweiten, dritten und vierten Bild und insbesondere der Ouvertüre spanisches Feuer im Konzerthaus zündet, woran die hervorragend agierenden Holzbläser großen Anteil haben, stellt sich die Mezzosopranistin Helen Lepalaan mit ihrer temperamentvollen „Seguidilla“ eindrucksvoll als „Heidenheimer Carmen“ dieses Sommers vor. In Mozarts Oper „Figaros Hochzeit“ ist an einem einzigen Tag in Sevilla richtig viel geboten. Auch im Konzerthaus Heidenheim geht es munter daher. Spielfreudig-frech nimmt das rhythmisch hervorragend agierende Orchester die Ouvertüre und saust dabei auch schon mal über „mozartliche Eigenheiten“ hinweg. Matias Tosi singt und spielt nicht nur den Figaro, er ist es mit Leib, Seele und Stimme. Helen Lapalaan glaubt man in der Hosenrolle des Cherubino die ersten brennenden Liebesgefühle und Michaela Maria Mayer setzt als Gräfin Almaviva den musikalischen Höhepunkt des Abends. In ihrer Arie „E Susanna non vien... Dove sono“ sinnt sie über ihr unglückliches Los nach, modelliert dabei (Foto: Dr. Thomas Bünnigmann) ihren wandlungsfähigen Sopran nach Gutdünken bis hin zu einem traumhaft gefühlvollen Piano. Dem Publikum stockt der Atem, dann entlädt sich die Begeisterung in tosendem Applaus und Bravo-Rufen, man darf sich auf die „Micaela“ der Festspiele 2012 freuen. Am „Schauplatz Sevilla“ fehlt natürlich auch „Der Barbier von Sevilla“ nicht. Ist Gioacchino Rossinis Oper bei der Premiere noch ein rechter Flop, so bildet sie in Heidenheim zu Recht das grandiose Finale. Auch hier ist die Cavatine des Figaros Publikumsliebling Matias Tosi auf den Leib geschrieben, Heleen Lapalaan befragt als Rosina überzeugend ihr beklommenes Herz und die Württembergische Kammerphilharmonie Heidenheim zeigt sich unter der dynamischen Leitung von Marcus Bosch als musikalisch flexibler und technisch souveräner Klangkörper bestens für die diesjährigen Opernfestspiele gerüstet. So sieht es auch das begeisterte Publikum. Nichts Fremdes in der Kirche In der evangelischen Stadtkirche in Ellwangen rockt am Sonntag die Orgel vor großem Publikum Man könnte es auch eine fetzige Ouvertüre zum EM-Spiel Deutschland gegen Dänemark nennen, was am Sonntag um 17 Uhr in der evangelischen Stadtkirche in Ellwangen als Konzert „Orgel rockt“ veranstaltet worden war. HERMANN WEIGOLD Dass das aus der Antike stammende Pfeifeninstrument, allgemein als „Kirchenorgel“ bekannt, ursprünglich sehr profanen Diensten diente, ist heute nur noch wenigen bekannt. Sein Einsatz für ein Musizieren, das manchen Zeitgenossen unsakral erscheinen mag, wird dann eher als Verfremdung seiner gewachsenen Aufgabe angesehen. Aber: Auch des Rockers Musik ist nicht weniger Gotteslob, bloß weil sie anders klingt und andere Bezüge hat. Und da sind wir beim Solisten des Abends, Patrick Gläser. Um es vorweg zu sagen: Der sich als Seiteneinsteiger bezeichnende Organist ist katholischer Kirchenmusiker in Öhringen und Neuenstein. Aus Erfahrung weiß Patrick Gläser, dass das Orgelspiel nicht auf eine bestimmte Literatur beschränkt sein muss, sondern dass Pop, Rock und Jazz auf der Pfeifenorgel äußerst interessant interpretiert werden können. Deshalb brauchte es keines besonderen „Aha-Erlebnisses“, Patrick Gläser dafür zu begeistern, sein Orgelrepertoire durch einen Griff in die Pop-Rockmusik zu erweitern. Dass dies ein gelungenes Unternehmen ist, beweisen seine erfolgreichen Konzerte in Deutschland, Österreich und Russland, bei denen er ein für Orgelkonzerte ungewöhnlich großes Publikum in die Kirchen holt. So war auch die Ellwanger Stadtkirche nahezu voll besetzt mit Jugendlichen und Personen mittleren Alters, die sich von Gläsers Vorträgen begeistern ließen. Gleich das eingangs gespielte „Conquest of Paradise“ von Vangelis war ein Funke, der ins Ohr und Gemüt gehend aufhorchen ließ. Bereits hier wurde die Wechselwirkung von Musik und Raum deutlich. Da war – durch das Instrument Orgel – klanglich nichts Fremdes in der Kirche: alles passte. Aber ein harter Rock ist ohne Schlagzeug eben nicht hart und das kann die beste Zunge im Pedal auch nicht leisten. Eingeladen war zu „Orgel rockt“, nicht zu einem Rockkonzert. Im gut einstündigen Konzert spielte der Solist Titel wie „Old and Wise“, „Geboren um zu leben“, „Baker Street“ und „Jurassic Park“, um nur einige zu nennen. Es sind Werke, die, rein musikalisch betrachtet, einer got- tesdienstlichen Verwendung nicht abträglich sein müssen, vorausgesetzt es stehen Organisten bereit, die über das nötige Können, gepaart mit der Kunst des Improvisierens verfügen. Wenn das alles gegeben ist, kann eine Kirchengemeinde, so wie in der evangelischen Stadtkirche, eine Orgelmusik erleben, die tonal und harmonisch erweitert, ihre Wurzeln in der Romantik und gemäßigten Moderne, des Jazz und der Folklore hat, die beruhigen und begeistern kann, eben abhängig vom Registriergeschmack und der Musikalität des Organisten. Diese Anforderungen erfüllte Patrick Gläser in hohem Maße. Es ist ihm zu danken, dass er durch sein Orgelkonzert eine Tür in einen neuen Raum geöffnet hat, der das musizierende Lob Gottes aus einem anderen Blickwinkel und für musikalisch anders Fühlende öffnet. 22 SCHAUFENSTER Aalener Bachzyklus in der Stadtkirche Am kommenden Sonntag, 24. Juni, ab 18 Uhr, findet der Aalener Bachzyklus in der Stadtkirche seine Fortsetzung mit Musik von zwei exzellenten Musikern: Hans-Roman Kitterer (Orgel) und Axel Haase (Violine) spielen an zwei Abenden die Gesamtaufführung der „18 Leipziger Choräle“, interpoliert durch SoloViolinsonaten. Bach legte in seinen letzten Lebensjahren Sammlungen seiner Werke zur Druckvorbereitung an, darunter die „18 Choräle von verschiedener Art“. Darin enthalten sind Choralbearbeitungen aus unterschiedlichen Lebensperioden in den verschiedensten Formen. Der Violinist Axel Haase war bereits mit zwölf Jahren Jungstudent an der Hochschule für Musik Würzburg, mittlerweile studiert er als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung in Stuttgart und erhielt zahlreiche Preise. Am Sonntag spielt er die 2. SoloSonate in a-moll von Bach in mehrstimmigem Spiel auf der Geige. Der Eintritt ist frei. Um Spenden zur Finanzierung der Kirchenmusik wird gebeten. Der zweite Teil erklingt am 23. September, 18 Uhr. Axel Haase spielt am kommenden Sonntag in der Aalener Stadtkirche. Mittelalterlicher Rock in Gmünd Am Freitag, 6. Juli, wird im Congress Centrum Stadtgarten um 21 Uhr die in der Mittelalterszene als „Könige der Spielleute“ genannte Band Corvus Corax auftreten. Karten gibt es im i-Punkt in Schwäbisch Gmünd. Die Band Corvus Corax haben für den Sat-1-Film „Die Rache der Wanderhure“ einen Song komponiert, der von Hauptdarstellerin Alexandra Neldel gesungen und von der Band musikalisch begleitet wurde. In Schwäbisch Gmünd gestalten sie den Auftakt zum Stauferwochenende vom 6. bis zum 8. Juli mit. In ihrem Konzert präsentieren die Musiker ihr neues Album Sverker. Kraftvolles Liedgut der Wikinger mit keltischen Tänzen und Balladen werden vom typischen Corvus-CoraxSound aus Dudelsäcken, Riesendrehleier und großem Schlagwerk zu einem Ganzen verschmelzen. Bereits seit 21 Jahren währt die Geschichte der Band. Und sie zählt seit vielen Jahren zu den Topgruppen, die sich mit dem Thema Mittelalterrock auseinandersetzen. Erst vor kurzem weilten die Musiker in Mexiko, um dort mit weiteren 150 Musikern und Sängern Carmina Burana von Carl Orff neu aufzuführen. Cello und Flügel zeigen ihre große Klasse Auf Schloss Fachsenfeld laden Violoncello und Klavier zur Sonntagsmatinee und konzertieren vor nur 35 Zuhörern Das Kammermusikforum in Baden-Württemberg lud am Sonntagvormittag zum dritten Matineekonzert auf Schloss Fachsenfeld. Die gebotene Musik der Klassik und Romantik für Cello und Klavier ließ für die Freunde dieser ambitionierten Konzertreihe keine Wünsche offen. Ist es das schöne Wetter, das nur 35 Freunde von feiner Kammermusik zur Sonntagsmatinee ins Schloss Fachsenfeld führt? Angekündigt sind zwei Meister ihres Fachs, die mehr Publikumsinteresse verdient hätten: Grigory Alumyan, Solocellist beim Beethoven-Orchester Bonn am Violoncello und die in Japan geborene Rinko Hama am Flügel. Beide Interpreten sind international erfolgreich und haben den Weg nach Fachsenfeld auf Einladung des Kammermusikforums Baden-Württemberg gefunden. Welch eine Bereicherung für diese Konzertreihe. Während Beetho- Grigory Alumyan (Cello) und Rinko Hama (Klavier). (Foto: Bausch) vens Hauptarbeit an seiner fünften Sinfonie entsteht auch seine Cellosonate Nr.3 A-Dur, op.69. Grigory Alumyan stimmt mit seinem Cello solistisch das Hauptthema an. In der Folge verfällt man schnell den melodischen Strömen des ausgewogenen, harmonischen ersten Satzes, der jedoch auch energische Akzente im Cello und Klavier aufweist. Im Scherzo führen die gleichrangig behandelten Instrumente einen resoluten Dialog, der mit launigem, rhythmisch präsentem Synkopenspiel endet. Rinko Hama glänzt mit virtuosen Läufen am Klavier während ihr Partner auch die höchsten Cellolagen souverän beherrscht. Keine Frage, hier konzertieren zwei hervorragende Solisten, die an diesem Vormittag zu einem wunderbaren Duo verschmelzen. Mit der Sonate pour violoncelle et piano von 1915 des Impressionisten Claude Debussy ändert sich das Klangbild. Es entstehen schillernde, ausdrucksstarke Bilder. Dominiert im 19. Jahrhundert bei den Cellosonaten meist das Tasteninstrument, so ist es hier das Saiteninstrument. Doch auch den relativ undankbaren Klavierpart versteht die Pianistin mit Ausdruck zu versehen. In der Cellosonate e-moll, op.38 von Johannes Brahms wird in den ersten beiden Sätzen dem Cello als Soloinstrument über weite Passagen die Funktion der Begleitung zum Klavier zugeteilt. Hier begeistert die Pianistin insbesondere mit wunderbar differenzierter Anschlagsdynamik. Traumwandlerisch sicher gelingt aber auch ein rhythmisch vertracktes Zwiegespräch, bei dem sich Cello und Klavier komplementär zueinander verhalten. Nach dem tänzelnden Mittelsatz wirbeln die beiden Instrumentalisten gleichberechtigt durchs Allegro. Zur Brahmschen Tonsprache fliegen die Finger über Tasten und Saiten und der Bogen des Cellos tanzt zum stürmischen Finale. Kammermusik und Frédéric Chopin, das sind nicht gerade Gegenpole, aber der Komponist selbst fällt über seine Polonaise brillante für Violoncello und Klavier C-Dur, op.3 ein harsches Urteil: „Nichts außer Blendwerk darin, für den Salon, für die Damen“. Diese, für die Damenwelt wenig galante Meinung, beschreibt das Jugendwerk vielleicht doch etwas hart. Aber tatsächlich erinnert das Werk phasenweise an hübsch drapierte, kompositorische Modeware. Doch auch diese erfordert hochvirtuose Fähigkeiten von den beiden Instrumentalisten. Dies dürfte ein weiterer Grund dafür sein, dass dem Stück in der Regel kein Platz auf den Programmzetteln eingeräumt wird. Rinko Hama und Grigory Alumyan gelingt es jedoch auch hier, alle technischen Höchstschwierigkeiten mit Bravour zu meistern. Ein Konzert von ganz großer Klasse. Christine Bausch