Martin von Ambergs Dedikation an Johannes von Scharfeneck, den Hofritter von Ludwig d. Großen Der Entstehungsjahr des Gewissensspiegels und seine Verbreitung Sándor Lázs Alhie hebet sich an dicz puchelein den gewissen spiegel geheisen … daz hat gemachet … Mertein prediger von Amberg durch grozzer diemutiger gebette willen dez wol geporn grauen und hern hern hansen von Scharffenecke dez hoch geporn und durchleuhtigsten und hern hern ludewigez künigez von ungern dalmatzien und hoster rat – mit diesen Worten widmete der Prediger und Inquisitor Martin von Amberg sein deutschsprachiges theologisches Werk mit dem Titel Gewissensspiegel Johannes von Scharfeneck,1 dem Hofritter und Rat von Ludwig d. Großen. Der Gewissensspiegel fasst für die Weltlichen, die des Lateins nicht mächtig waren, die wichtigsten christlichen Glaubensthesen zusammen, so wie dies von der Prager Provinzialsynode im Jahre 1355 angeordnet worden war.2 Martin macht die Eltern darauf aufmerksam, dass es ihre Pflicht ist, ihre Kinder zum christlichen Glauben zu erziehen, denn orden dez cristenleichen gelawbens ist aller peste (14). Der Gewissensspiegel beinhaltet die wichtigsten Elemente katechetischer Werke.3 Ein Werk ähnlichen Inhalts war bis zur Fertigstellung Martin von Ambergs Gewissensspiegel kaum im allgemeinen Gebrauch gewesen, so wurde es sehr beliebt: der vollständige Text ist in über 21 Abschriften erhalten geblieben.4 Darüber hinaus verbreiteten sich zahlreiche Details und Auszüge im damaligen deutschen Sprachraum. 1 MARTIN von Amberg, Der Gewissensspiegel, Ed. Stanley NEWMAN WERBOW, (Deutsche Texte des späten Mittelalters, 7), Berlin, 1958, 12. Wenn im Weiteren der Text zitiert wird, steht die laufende Nr. lt. Gewissensspiegel in Klammern hinter der zitierten Zeile, und wenn es um das Vorwort geht, gilt Werbow. Zitierte Stelle: Gewissensspiegel, Zeile 4-5, Notiz. Quelle: Berlin, Staatsbibl. Ms. germ. oct. 631. 2 BAHLMANN, Paul, Deutschlands katholische Katechismen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Regensberg, Münster, 1894, 4. 3 WEIDENHILLER, P. Egino, Untersuchungen zur deutschsprachigen katechetischen Literatur des späten Mittelalters – Nach den Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, (im Weiteren: Deutschsprachige katechetische Literatur), (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, 10), C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München, 1965, 13-24. Die Bedeutung des Gewissensspiegels kommt sehr gut darin zum Ausdruck, dass Weidenhiller sich in seiner Arbeit – bei der Charakterisierung der katechetischen Literatur – vor allem auf Martin von Amberg bezieht. 4 Die Ausgabe Gewissensspiegel (19. ff.) geht auf 21 Manuskripte ein, sie werden mit weiteren acht fragmentarischen Abschriften in der Rezension von Kurt RUH zu Werbows Arbeit – Beiträge zur Geschichte der 1 Martin von Ambergs Werk war für die Literaturgeschichte der deutschen Romantik in erster Linie durch seinen Aberglauben-Katalog von Interesse. Der Gewissensspiegel – als eine Art Seelenspiegel – machte in seiner Ausgabe vom Jahre 1958 auch auf sonstige Bezüge von Martins Arbeit aufmerksam, die deutsche Forschung hat sich jedoch weder mit den ungarischen Beziehungen, noch mit dem Adressaten des Werkes befasst, es wurden vor allem dialektische und textologische Untersuchungen durchgeführt.5 Die Bestimmung der Entstehungszeit des Werkes beruht auf seiner Widmung. König Ludwig d. Große starb im Jahre 1382, das Manuskript dürfte also davor entstanden sein. Bisherige Forschungen unterstützen den terminus ad quem. Demnach existiert eine Textvariante, in welcher der Prediger Martin den Seelenspiegel auch … gebette willen der durchlewchtigisten Furstynn Elysabeth Pfallnenczgrefinn bei Rein herczoginn in Beirn (4-6) gewidmet hätte.6 Der aufmerksame Leser kann jedoch entdecken, dass die Dedikation nicht vom Autor selbst stammt, sie ist eine spätere Interpolation. Derjenige, der die Abschrift machte, wandelte sie am Ende des Gewissensspiegels nicht um, ein Stückchen der an Johannes von Scharfeneck gerichteten Widmung blieb darin enthalten: herczen lieber herre und gunner (1320). Auf diese Weise ist diese Interpolation an Elisabeth kaum in Betracht zu ziehen, denn es ist nicht einmal geklärt, an wen diese spätere – isoliert hier aufzufindende und in späteren Abschriften nicht hinterlassene – Dedikation gerichtet war.7 Für die bisherige Forschung hat sich noch nicht herausgestellt, wann der Gewissensspiegel entstanden ist. Nachgewiesen hat man in Martins Seelenspiegel die Einfluss des Johannes von Neumarkt.8 Demnach dürfte der Gewissensspiegel erst geschrieben worden Deutschen Sprache und Literatur, Tübingen, 1960, 423, - ergänzt. Seither ist ein weiteres Manuskript entdeckt worden: Annaberg-Buchholz (Erzgebirge), Bibliothek der St. Anna-Kirche, Cod. 329 (früher D187). Erwähnung des Kodexes: PENSEL, Franzjosef, Reimfassung einer Predigt Bertholds von Regensburg über die Messe, Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 1995, 65-91 5 Zum Leben Martins von Amberg und dem Gewissensspiegel sowie mit der Zusammenfassung und Einschätzung der bisherigen Fachliteratur: Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon, begründet v. STAMMLER, W und LANGOSCH, K, zweite Auflage von RUH, Kurt, und WACHINGER, B, ed. STÖLLINGER-LÖSER, Christiane, VI, (im Weiteren VL), Walter de Gruyter, Berlin-New York, 1987, 143149. 6 Heidelberg, Cod. Pal. germ. 439. Das Manuskript stammt vom Ende des 14. Jh.s.; Beschreibung: Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 304-495), ed. ZIMMERMANN, Karin und MILLER, Matthias, (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg, 8), Wiesbaden 2007, (im Weiteren Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg). 7 In Frage kommen kann die Frau des Markgrafen von der Pfalz, Ruprecht I., Elisabeth von Namur (1329-1382), und vorstellbar als Adressat des Manuskriptes wäre auch Elisabeth von Hohenzollern, Frau von Ruprecht III. Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 439. 8 Schriften Johanns von Neumarkt: Gebete des Hofkanzlers und des Prager Kulturkreises, ed. KLAPPER, Joseph, (Vom Mittelalter zur Reformation: Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung, IV), Weidmannsche Buchhandlung, Berlin, 1935, (im Weiteren KLAPPER), xlvi ff. 2 sein, nachdem Johannes von Neumarkt, der Kanzler von Karl IV. und späterer Bischof von Olmütz aufgrund von Briefen von Pseudo-Eusebius, -Augustin und Cyrillus Hierosolymitanus das Leben von Hieronymus d. Hl. ins Deutsche übersetzt hat.9 Nicht nur der Stil Johannes’ von Neumarkt wirkte sich auf den Gewissensspiegel aus, der Autor übernahm auch Auszüge aus der Übersetzung. Für uns sind darunter vor allem die Widmungen von Bedeutung. Martin hat zum Teil die Dedikation von Johannes übernommen, in welcher die HieronymusBiografie der Markgräfin Elisabeth von Mähren gewidmet wird. Man hat angenommen, dass Martin dies erst nach Johannes’ Tod im Jahre 1380 tun konnte, demnach wäre der Gewissensspiegel erst nach 1380 fertig geworden. Dieses Argument ist jedoch für andere Forscher nicht überzeugend, sie bestimmen das Jahr 1371 als frühestes Datum der Entstehung des Gewissensspiegels.10 Der terminus post quem kann jedoch weiter eingeschränkt werden, und zwar aufgrund der einleitenden und der abschließenden Dedikationen,11 die einen wichtigen Teil des Werkes bilden. In den Untersuchungen ist bisher die Tätigkeit von Martins Patron und Gönner – gunner – nicht beachtet worden. Die früheste Angabe des Wirkens von Hans von Scharfeneck in Ungarn datiert aus dem Jahre 1376. Aus dem Adressaten in der Widmung schlussfolgernd könnte dieses Jahr das früheste sein, in dem Martin sein Werk hätte vollenden können. Zu dieser Zeit wirkte Martin noch in Prag. Diese Periode wäre die geeignetste gewesen den Gewissensspiegel zu verfassen, später nämlich hätte Martin wegen seiner Beschäftigung als Inquisitor und wegen seiner Reisen kaum Zeit dafür gehabt.12 Um den Zeitpunkt des Entstehens des Werkes genauer bestimmen zu können, müssen wir die Laufbahn des Autors und des Adressaten des Werkes vorstellen. Martin dürfte um 1340 im oberpfälzischen Amberg geboren worden sein. 13 Nach Abschluss seines Studiums war er längere Zeit als Seelsorger in Prag tätig und gehörte zum Kreis des Bischofs und Kanzlers Johann von Neumarkt. In einer Urkunde wird Martin folgenderweise erwähnt: Martinus presbyter et altarista in ecclesia beate Marie virginis ante letam curiam maioris civitatis Pragensis – hieraus entlehnte er einen seiner Namen: Martin 9 BENEDICT, Anton, Das Leben des hl. Hieronymus in der Übersetzung des Bischofs Johannes VIII. von Olmütz, (Bibliothek der mittelhochdeutschen Literatur in Böhmen, III), 1880; zur Ära der Übersetzung: VL, 6, 145. 10 Vgl. Gewissensspiegel kiadása (Werbow), 12 und Deutschsprachige katechetische Literatur, 135. 11 Die einleitende Widmung wird in den späteren Manuskripten oft weggelassen und der Gewissensspiegel erstab der 13. Zeile kopiert. Die Schlußempfehlung wird in der Regel beibehalten. Vgl. Deutschsprachige katechetische Literatur, 135. 12 Vgl. VL, VI, 144. 13 VL, VI, 144. 3 von Prag. Die ungarische kirchengeschichtliche Literatur kennt ihn nur unter diesem Namen.14 Seine Tätigkeit als Inquisitor – inquisitor hereticae pravitatis – begann Martin 1384 in Straßburg, setzte sie dann 1390 in Regensburg, später in Würzburg und Erfurt fort, wo er den weltlichen Richtern zahlreiche Ketzer auslieferte, damit sie zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt werden. Auch in Nürnberg ließ er zahlreiche Ketzer durch den Feuertod sterben. Anscheinend wurde ihm seine Tätigkeit auch vergolten. Eine Urkunde aus Nürnberg erwähnt 1399 den Ketzermeister Mertin, der in der städtischen Schenke das Schankrecht bekam.15 In diesen Jahren teilte Martin seine Aufgabe bereits mit Petrus Zwicker, einem Cölestiner Mönch; in den Urkunden werden sie gemeinsam erwähnt. 1400 und im Jahr danach verfolgte er mit Petrus Zwicker in der Steiermark, dann in Sopron (Ödenburg) und Nagyszombat (Tyrnau) die Waldenser.16 In Ungarn wurden viele der Waldenser durch die beiden Inquisitoren wiederbekehrt, bekamen von ihnen die Absolution erteilt und wurden zur Abbuße verurteilt. In den geweihten Friedhöfen von Sopron ließen sie die Leichname von für Ketzer gehaltenen Verstorbenen aus ihren Gräbern heben und auf Scheiterhaufen werfen. Die Häuser, in denen sich die Waldenser versammelten, ließen sie niederreißen. Die Dedikation im Gewissensspiegel wirft die Frage auf, was der Prediger Martin von Amberg mit Ungarn und dem Hofrat von Ludwig d. Großen, Hans von Scharfeneck, zu tun hatte. Über den Hofrat von Ludwig d. Großen wissen wir relativ wenig: nur einige Urkunden zeugen von seiner Tätigkeit. Die Familie geriet bis Mitte der 1300er-Jahre in eine schwierige finanzielle Situation. Die Ritterburg Scharfeneck der Familie in Rheinland-Pfalz17 wurde dem Bischof von Speyer verpfändet18 und somit wurden die Angehörigen Familiaris des Kurfürsten der Pfalz. 1360 machte Ruprecht I. Johannes zu seinem Erbschenk, der im Übrigen väterlicherseits aus Metz stammte. HÁZI, Jenő, Sopron középkori egyháztörténete, (Soprons mittelalterliche Kirchengeschichte) Sopron, 1939, 12. 15 HAUPT, Herman, Waldenserthum und Inquisition im südöstlichen Deutschland seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1890, 348-367. 16 KIECKHEFER, Richard, The Inquisition in Fourteenth Century Germany, Diss. The University of Texas at Austin, 1972, 176-180; PETRASCHOVSKY, Alexander, Quellen zur böhmischen Iquisition im 14. Jahrhundert, Quellen zur Geschichte des Mittelalters, 1975, 129, Notizen 11 und 12. 17 „… wie eine gebannte, unnahbare Zauberburg”: Burgen in der Südpfalz, ed. THON, Alexander, Regensburg, 2005, 122-127. 18 ÜBEL, Rolf, Burg Neuscharfeneck bei Dernbach, Kreis Südliche Weinstraße, Verlag für Burgenkunde und Pfalzforschung, Landau, 1998. 14 4 1376 lebte die Familie bereits in Ungarn. Die Umstände ihrer Übersiedlung sind nicht bekannt. Aus späteren Fakten geht jedoch hervor, dass König Ludwig d. Große Johannes de Scharfeneck in seinen Dienst gerufen haben dürfte, wobei neben dessen militärischen Fähigkeiten auch seine deutsche Herkunft in der Entscheidung des Herrschers eine wichtige Rolle gespielt haben dürfe. Der Ritter war sicherlich ein zuverlässiger, treuer Mensch und mit einem guten diplomatischen Gespür gesegnet, denn der König delegierte ihn 1376 als Gesandten nach Avignon.19 Johannes wird zu dieser Zeit auch in der Angelegenheit seiner Familie bei Papst Gregor XI. vorstellig, der auf seinen Wunsch hin anordnet, dass der siebenbürgische Bischof für den Sohn des Ritters Johannes de Scharfeneck, den Kleriker Friedrich, in dessen Heimat, in der Domkirche zu Speyer in der Pfalz, ein Stallum und Benefizium als Kanoniker bekommt.20 Wie es scheint, erledigte Johannes von Scharfeneck nicht nur seine eigene Angelegenheit erfolgreich, sondern auch jene des Königs. Als Ehrengabe (honor) bekam er nämlich eine Burg geschenkt und wurde 1376 Vogt 21 in der königlichen siebenbürgischen Festung Talmács.22 Die Burgvogtei war ein angesehener Posten, denn der Kastellan wurde vom König ernannt. Bei seiner Inauguration sandte der König einen Befehl an die Richter und Leibeigenen der zur Burg gehörenden Dörfer, und zwar dem Kastellan die Steuer zu entrichten. Als Gegenleistung der pro honore Donation hatte der Burgvogt die ihm anvertraute Festung zu verteidigen, deren Einkünfte einzutreiben und diese nach seinem besten Wissen und Gewissen zu erhöhen, um die militärischen Aufgaben verrichten zu können.23 Neben der Steuer stand dem Burgvogt zu, die Aufgaben der öffentlichen Gewalt zu verrichten, für Ordnung zu sorgen und das Richteramt über den Leibeigenen auszuüben,24 auch stand ihm ein regelmäßiges Geschenk von ihnen zu. All dieses Einkommen garantierte dem Burgvogt ein bedeutendes wirtschaftliches Potenzial. 19 ENGEL, Pál, Magyarország világi archontológiája 1301-1457 /Ungarns weltliche Archonthologie 1301-1457 (História Könyvtár – Kronológiák, adattárak, 5/ Bibliothek Historie – Chronologien, Datensammlungen, 5), (im Weiteren: Magyarország világi archontológiája), I., Bp., 1996, 438. 20 Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen 1342-1390, II., Hg. ZIMMERMANN, Franz, WERNER, Carl, MÜLLER, Georg, Hermannstadt, (im Weiteren Ub, II), 1897, Nr. 1051. 21 Nobilis viri Domini Ioannis Domini de Scharpenek castellani castri Lanzcron vokati. FEJÉR, Codex Diplomaticus 9, 5, 131. 22 Namensvarianten: Landskron, Talmaciu. 23 FÜGEDI, Erik, Vár és társadalom a 13-14. századi Magyarországon (Burg und Gesellschaft im Ungarn des 13.-14. Jhs.), (Értekezések a Történeti Tudományok Köréből – Új sorozat, 82 /Abhandlungen aus dem Kreis der Geschichtswissenschaften – Neue Reihe), Akadémiai, Bp., 1977, 71. 24 FÜGEDI, Erik, zit. W. 74-75. 5 Johannes hatte sich anscheinend bewährt, denn bereits das kommende Jahr 1377 brachte eine weitere Ehrengabe (honor) mit sich. Der Ritter wurde zum Herrn zweier anderer königlicher Burgen, nämlich Törcsvár25 und Sebesvár26, ernannt.27 Törcsvár wurde unter seiner Herrschaft als Vogt neu gebaut.28 Die Einkünfte der Burgen waren zwar beträchtlich, Johannes von Scharfeneck war anscheinend dennoch unzufrieden. 1377 wandten sich einige Bürger und hospes von Klausenburg um Hilfe an den König, weil magister Sophornik [sic!] castellano de Sebuswar trotz ihrer Erbprivilegien Steuern von ihnen erhob. Aufgrund der Beschwerden verbot Ludwig I. seinem Ritter die Machthaberei29, hatte aber nicht wirklich Groll auf ihn, denn im August 1378 bekleidete dieser einen weiteren wichtigen Posten: Johannes dominus in Scharpenek [sic!] et in Brassow comes necnon de Lanczkrone castellanus,30 d.h. er war comes von Brassó (Gespan von Kronstadt) oder wie ihn die Sachsen nannten: Graf der Stadt.31 Johannes von Scharfeneck erledigte im Namen des Herrschers die Angelegenheiten der in siebenbürgischen Stühlen lebenden Sachsen. 1376 nahm er als Rat des Königs Ludwig d. Großen – im Einvernehmen mit den Meistern – das Statut der Zünfte der Sachsenstädte Nagyszeben (Hermannstadt), Segesvár (Schäßburg), Szászsebes (Mühlbach), Szászváros (Broos) an.32 1377 wiederum musste er den Freibrief der Sachsen in Urkunden verankern lassen.33 Darüber hinaus trifft man in mehreren Akten als sog. Relator auf ihn, d.h. als 25 Heute: Bran, früher: Bran-Poarta, zu Deutsch: Törzdorf. Magyarország világi archontológiája, I. 408. 27 Die Burg stand nicht in jedem Fall unter der Leitung des Kastellans, er legte dafür seinen Beauftragten fest, denn – wie man auch im Fall Hans von Scharfeneck sieht – wurde er auch mit der Leitung mehrerer Burgen betraut. In diesen Fällen ernannten die Burgvogten einen Vize-Kastellan. Johannes von Scharfenecks Stellvertreter in Sebesvár war ein Deutscher namens Gottfridus. ENGEL, Pál, Honor, vár, ispánság, Századok, 1982 /Honor, Burg, Gespanschaft, Jahrhunderte, 1982 (im Weiteren: Honor, vár, ispánság), 894 ff. 28 Der Grund zur Verstärkung der Burgen war zum einen die Verteidigung der Handelsstraßen, König Ludwig war jedoch auch bereits wegen der türkischen Bedrohung gezwungen, Vorbereitungen zu treffen. 29 Ub, II, Nr. 1073. 30 Ub, II, Nr. 1099. 31 Ludwig d. Große wollte wahrscheinlich die bedrückende Macht der Lackfys brechen. Er dürfte keinen Erfolg gehabt haben, Johannes von Scharfeneck bekleidete diesen Posten nur in diesem einzigen Jahr. Vgl. KILLYEN, Franz, Stadtwerdung Kronstadts = Beiträge zur Geschichte von Kronstadt in Siebenbürgen, ed. PHILIPPI, Paul, Böhlau, Köln-Wien, 1984, 62. 32 Ub, II, Nr. 1057. Zur Bedeutung des Zunftstatuts: Geschichte der Deutschen auf dem Gebiete Rumäniens: 12. Jahrhundert bis 1848, ed. GÖLLNER, Carl, Kriterion, Bukarest, 1979, 48-49 und WEIDLEIN, Johann, Hungaro-Suebica: Gesammelte Beiträge zur Geschichte der Ungarndeutschen und der Madjaren, [h. n.], 1981, 60-63. 33 Ub, II, Nr. 1085. Zur Bedeutung der Urkunde: PHIIPPI, Maja, Die Bürger von Kronstadt im 14. und 15. Jahrhundert: Untersuchungen zur Geschichte und Sozialstruktur einer siebenbürgischen Stadt im Mittelalter, (Studia Transylvanica, 13), Böhlau, Köln-Wien, 1986, 41 ff. 26 6 Zusteller der königlichen Befehle zwecks Urkundenausfertigung.34 Dem Anschein nach erachtete es König Ludwig als erforderlich, einen deutschen Mann zum Kastellan zu ernennen, und die Sachsen hatten dies auch erwartet. In der Abschrift 1380 des bereits erwähnten Freibriefes aus dem Jahre 1377 steht in einer Anmerkung, dass der König einen Deutschen an die Spitze der Burgen zu stellen hatte: ut rex solum Teutonicum possit eis dare in castellanum.35 Der Name Johannes von Scharfeneck verschwindet für einige Jahre aus den Urkunden, das nächste und zugleich letzte Mal erscheint er wieder 1381 und noch immer als Burgvogt von Talmács.36 Johannes von Scharfeneck zählte zu den wahren Magnaten des Landes, auch wenn er nicht zu den Baronen, zu den Landesführern gezählt werden konnte.37 Er war auf jeden Fall Mitglied des königlichen Hofes. König Ludwig d. Große beschrieb seine Begleitung in einer Urkunde als eine aus Baronen und Rittern und jungen Männern bestehende.38 Papst Gregor XI. nannte Johannes in seiner bereits erwähnten Urkunde39 Soldat und Ritter: Friedrich natum nobilis viri Johannis de Scharfeneck militis. Daraus folgt allerdings noch nicht, dass Johannes ein Hofritter war, er hätte auch ein einfacher Soldat sein können. Wir wissen jedoch, dass all jene, die als Relatoren (Urkundenaussteller) in den königlichen Urkunden erscheinen, fast ohne Ausnahme zum oben beschriebenen Kreis am Hofe gehörten.40 Würden all diese Beweise noch nicht ausreichen, so soll eine andere Anrede von Johannes, unmittelbar von König Ludwig d. Großen selbst verwendet, hier stehen: Lodouicus Dei gratia rex Hungariae … suo magistro Sophornik castellano de Sebuswar … salutem et gratiam.41 Der Titel Magister stand im Allgemeinen einem jeden Menschen am Hofe zu, es sei denn, er hatte einen sehr hohen Rang.42 34 Ub, II, Nr. 1059, 1089, 1146, 1147. Ub, II, Nr. 1085. 36 Ub, II, Nr. 1146. Vgl. noch: Magyarország világi archontológiája, I, 438. 37 Zu den Baronen Ungarns: SÜTTŐ, Szilárd, Anjou-Magyarország alkonya: Magyarország politikai története Nagy Lajostól Zsigmondig – 1384-1387 évi belviszályok okmánytárával (Der Untergang des Anjou-Ungarns: Ungarns politische Geschichte von Ludwig d. Großen bis Sigismund – mit der Urkundensammlung zu den inneren Zwistigkeiten in den Jahren 1384-1387) Belvedere, Szeged, 2003, I, 169-172. 38 ENGEL, Pál, Nagy Lajos bárói, Történelmi Szemle (Die Barone von Ludwig d. Großen, Historische Rundschau) 1985, (im Weiteren: Nagy Lajos bárói), 400, Notiz: 31.; Engel zitiert die Urkunde des Ungarischen Landesarchivs (ung. Abk. MOL) Dl. 100.079.: coram nobis et plurimis baronibus nostris ac militibus et iuvenibus aule nosre. 39 Ub, II, Nr. 1051. 40 Nagy Lajos bárói, 400. 41 Ub, II, Nr. 1073. 42 Nagy Lajos bárói, 401. 35 7 Johannes’ von Scharfeneck höchster Rang war der Titel Gespan von Brassó/Kronstadt.43 Er entsprach im Sprachgebrauch der deutschsprechenden Bevölkerung dem Grafentitel, und so wurde er auch der Comes vom Burzenland genannt.44 Dies tat auch Martin von Amberg in seiner Widmung, indem er Johannes von Scharfeneck als wol geporn grauen ansprach. Der Ritter von Ludwig d. Großen hatte diesen Posten ein einziges Jahr lang, 1378, inne. Laut Urkunden war er das weder davor, noch danach, denn er wird in allen anderen Fällen lediglich als Kastellan erwähnt.45 Martin von Amberg konnte sein Werk dem Hofritter von Ludwig d. Großen also nur in besagtem Jahr widmen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass der Gewissensspiegel in seinem gesamten Umfang in nur jenem Jahr geschrieben worden wäre, soviel jedoch schon, dass die Dedikation zu jener Zeit in den Text eingefügt wurde. Martin von Amberg widmete seine Arbeit diesem Manne, Hans von Scharfeneck, als dem obersten Rat des Königs Ludwig. Die Dedikation signalisiert, dass Martin die Tätigkeit des Ritters Johannes kannte und sehr wohl wusste, dass dieser Mitglied der Aristokratie am Hofe war und als Mensch deutscher Zunge – und reicher Mäzen – dem zur Entstehungszeit des Werkes in Prag tätigen Priester nahe stand. Die Dienste der Familie nahm auch Sigismund in Anspruch. Hermann und Friedrich – die Söhne von Johannes – bekamen vom König eine Burg am Ufer der Leitha, an der damaligen österreichisch-ungarischen Grenze, die sie auch umbauten.46 Die Ortschaft wurde 43 Magyarország világi archontológiája (I, 438) weiß nichts von Johannes de Scharfenecks Posten als Gespan. Zum Titel: ORBÁN, Balázs, A Székelyföld leírása történelmi, régészeti, természetrajzi s népismei szempontból/ Die Beschreibung des Szeklerlandes aus historischer, archäologischer, natur- und volkskundlicher Sicht, Pest, 1868, 281-283 und KORDÉ, Zoltán, A székely ispáni méltóság története a kezdetektől 1467-ig, doktori értekezés, kézirat/ Die Geschichte der Szekler Würde des Gespans von den Anfängen bis 1467, Doktorarbeit, Manuskript), Debrecen, 2003. 5-17. 44 MÜLLER, E. G., Die Grafen des Kronstädter Distriktes bzw. des Kronstädter Provinzialverbandes, Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, 1925, (im Weiteren Die Grafen des Kronstädter Distriktes), 307380, besonders 309, Notiz 3. 45 Nach Abgang vom Amt durfte man die Bezeichnung comes, d.h. den Grafentitel, nicht mehr benutzen. Die Grafen des Kronstädter Distriktes, 313. 46 NAGY, Imre, A Lajta mint határfolyam, Századok, (Die Leitha als Grenzfluss, in: Jahrhunderte) 1871, 375 und CSÁNKI, Dezső, Magyarország történelmi földrajza a hunyadiak korában (Ungarns historische Geografie in der Zeit der Hunyadis) Bp., 1897, III. 673 und ENGEL, Pál, Királyi hatalom és arisztokrácia viszonya a Zsigmond-korban/Verhältnis zwischen der Königlichen Macht und der Aristokratie in der Zeit von Sigismund (Értekezések a Történeti Tudományok Köréből – Új sorozat, 83 /Abhandlungen aus dem Kreis der Geschichtswissenschaften – Neue Reihe, 83), Akadémiai, Bp., 1977, 148. 8 nach ihnen Scharfeneck benannt.47 1416 starb die Familie aus und ihre Burg in der Pfalz fiel den Wittelsbachern zu. Weder Martin von Ambergs, noch Johannes von Scharfenecks Laufbahn kennen wir im Detail, doch sie könnten sich an mehreren Punkten gekreuzt haben. Martins bekannte Tätigkeit in Ungarn verlief um die Wende des 14. und 15. Jahrhunderts in der Nähe der österreichischen Grenze, in Sopron, unweit des Scharfeneck-Anwesens. Zu dieser Zeit hätten sie sich jedoch nicht mehr begegnen können, denn Johannes starb 1387. 48 Ihre Bekanntschaft kann nur auf frühere Zeiten zurückreichen. Der in Prag tätige Martin hatte den Gewissensspiegel – wie erwähnt – frühestens etwa im Sommer 1378 Hans von Scharfeneck widmen können, denn der Ritter war zu dieser Zeit Graf von Brassó. Seine Vermögenslage – er war bereits auch Burgvogt – gestattete es ihm, Martin mit Donationen zu unterstützen. Wie die Untersuchung der Textüberlieferung ergibt, fertigte der Herausgeber des Gewissensspiegels einen Stammbaum an, übersah jedoch einige Stellen und daher wurde das von ihm zusammengestellte Stemma zum Teil abgelehnt.49 Es wäre interessant gewesen zu verfolgen, auf welchem Wege sich der Text verbreitet hat. Das wäre besonders aus ungarischer Sicht von Bedeutung. Ohne die Zusammenhänge der Texte untereinander oder das in der Herausgabe befindliche Stemma zu berücksichtigen, ordne ich persönlich die bekannten Manuskripte ganz mechanisch in eine chronologische Reihenfolge und versuche ihrem Entstehungsort nach den Weg der Verbreitung des Werkes nachzuzeichnen, also eine Überlieferungskarte zu zeichnen.50 Das Originalmanuskript ist verloren gegangen, die Familie Scharfeneck 1416 ausgestorben, ihre Burg im Komitat Moson in fremde Hände geraten. Vermögensgegenstände – darunter das Manuskript des Gewissensspiegels Ihre – sind höchstwahrscheinlich abhanden gekommen. 47 Die Burg neben dem heutigen Mannersdorf hieß in der Zeit von Matthias: Élesszeg. KISS, Lajos, Sárfenék vagy Scharfeneck? (Sárfenék oder Scharfeneck?) Nyr, 1994, 82–4. 48 Der Zeitpunkt seines Todes ist nicht bekannt. Auf das Datum kann man nur daraus schließen, dass Friedrich das von seinem Vater geerbten Schankrecht von Ruprecht III. übernahm. KEINTZEL-SCHÖN, Fritz, Die siebenbürgisch-sächsischen Familiennamen, Böhlau, Köln-Wien, 1976, 301-302. Vgl. noch: Magyarország világi archontológiája, I, 407. 49 RUH, Kurt, zit. Werk. 425. 50 Ich ziehe lediglich jene Texte in Betracht, deren Entstehungsort bekannt ist. Auf diese Weise ließ ich den Kodex mit wahrscheinlich österreichischer Herkunft aus: Wien, Schottenkloster, Cod. 97 (Hübl 301), KNAPP, Fritz Peter, Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439: Die Literatur zur Zeit der habsburgischen Herzöge von Rudolf IV. bis Albrecht V. (1358 – 1439), (Geschichte der Literatur in Österreich 2/2), Graz, 2004, 23. 9 Der erste Punkt des Verbreitungsweges ist Wien. Die früheste, erhalten gebliebene Handschrift des an Johannes von Scharfeneck gewidmeten Textes ist in einem aus Wien stammenden Kodex zu finden. Die erste Hälfte des heute in München aufbewahrten und aus zwei Teilen bestehenden Kodexes enthält Wiener Urkunden und Gerichtsurteile und stammt aus der Zeit um 1375, die andere Hälfte – mit Martins Werk darin – aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts.51 Das Ende des Gewissensspiegels fehlt, die Widmung ist jedoch vorhanden: Hie hebt an puchel der gewissensspiegel genannt … und das puchel hat czu deutsch her Mert der prediger von Amberckh durich greuzz pegir und pet hern Hansens von Scharfenekk des cunigs von Ungern hochster rat (115v); der Inhalt des Kodexes beweist, dass er sich in weltlichen Händen befand. Das fast gleichaltrige, wahrscheinlich aus dem bayrischen Kühbach und dem Jahre 1390 stammende Manuskript dürfte ebenfalls in weltlichem Gebrauch gewesen sein: der Gewissensspiegel wurde darin als Abschrift vor Gebete eingefügt.52 Ein wahrscheinlich niederösterreichisches Manuskript in bayrischösterreichischem Dialekt ist uns vielleicht aus der Zeit vor der Jahrhundertwende erhalten geblieben, es wird heute in Wien aufbewahrt. Der Kodex verrät nichts von seinem Besitzer und seiner Benutzung.53 Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind Handschriften des Gewissensspiegels nur noch aus kirchlichen Bibliotheken erhalten geblieben: aus dem Benediktinerkloster Melk (1421),54 aus dem Augustinerkloster im bayrischen Indersdorf (1430),55 dem Kartäuserkloster 51 München, Cgm. 1113; Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München, Hg. SCHNEIDER, Karin, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden, 1991. Lt. Weidenhiller stammt das Manuskript aus späteren Zeiten, der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, er begründet jedoch nicht, was seinem Standpunkt zugrunde liegt. Das Manuskript habe ich nicht gesehen, so akzeptiere ich die Datierung im Katalog, genauso, wie dies der Herausgeber des Gewissensspiegels, Werbow, getan hat. Vgl. Deutschsprachige katechetische Literatur, 124. 52 ÖNB Cod. 2932 [Theol 440]; MENHARDT, Hermann, Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek, I, (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur, 13), Berlin, Akademie Verlag, 1960, (im Weiteren: MENHARDT), 632-637 und UNTERKIRCHER, Franz, Die datierten Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek bis zum Jahre 1400, (Katalog der datierten Handschriften in lateinischer Schrift in Österreich, I), Wien, 1969, I, 57, II, 216. 53 ÖNB Cod. 2749; MENHARDT, 259-260 und ROLLAND, Martin, PIRKER-AURENHAMMER, Veronika, Ergänzende Beschreibungen zum Katalog 'Mitteleuropäische Schulen: II. Österreichische und deutsche Handschriften ca. 1350-1410' der Reihe 'Illuminierte Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek', (Codices manuscripti 32/33), [2000], 7, 36. 54 Melk, Stiftsbibl., Cod. 329 (411; H 24). 55 München, Cgm 269; SCHNEIDER, Karin, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Cgm 201-350, (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V, 2), Wiesbaden, 1970, 187-189. 10 Salvatorberg in Erfurt (1432)56, dem Kapuzinerkloster im südmährischen Nikolsburg (heute: Mikulov) (1441),57 dem Benediktinerkloster in Lambach (1443)58 und der Bibliothek der Kirche in Annaberg (1447).59 Aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kennen wir ebenfalls Abschriften nur aus Klosterbibliotheken.60 Je ein Manuskript blieb uns erhalten von den Kapuzinern in Nikolsburg (1479),61 aus dem Kloster der Dominikaner-Nonnen in Medingen (Fürstentum Bayern) (1478)62 und je ein undatierter Kodex von den Schotten-Benediktinern in Wien63 sowie aus dem Kloster der Heiligen Katharina der Nürnberger DominikanerNonnen.64 Man könnte weitere Beispiele anhand vollständiger, in Auszügen existierender und fragmentarischer Exemplare des Werkes nennen, das würde uns jedoch nicht weiterbringen. In dem für die Nürnberger Dominikaner-Nonnen gefertigten Manuskript ist außer der Dedikation auch ein anderer ungarischer Bezug zu lesen: im Text taucht der Name des Königs Stephan d. Heiligen auf. Der Prediger Martin zählte ursprünglich Ritterheilige – Sebastian, Johannes, Paul, Martin und Georg – auf. In der Nürnberger Handschrift ist diese Namensliste mit dem Namen vom Hl. Stephan als einem Heiligen ergänzt worden, der gegen die Ungläubigen gekämpft hatte: sand mauricium sand wenczlaus sand ludeweik sand steffan von ungern sand hainrich sand kungunt sand katherin sand elspeten sand Barbara sand ursula und die anderen der an zal ist die wie sie ir ritterschaft bey den ungelawbigen fursten 56 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 1526; DEGERING, Hermann, Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preussischen StaatsbibliotheK: Die Handschriften in Quartformat, II., Leipzig. 1926, 250. 57 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 1973, OPPITZ, Ulrich-Dieter, Die deutschsprachigen Handschriften der Fürsten Dietrichstein aus Nikolsburg/Mähren = Fata Libellorum. Festschrift für Franzjosef Pensel zum 70. Geburtstag, ed. BENTZINGER, Rudolf, OPPITZ, Ulrich-Dieter, (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 648), Göppingen, 1999, (im Weiteren: OPPITZ 1999), 203. 58 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 1860; BECKER, Peter-Jörg, Verzeichnis der an Degering anschließenden Ms. germ. quart. – Handschriften in der damaligen SBPK, Manuskript, 1986-1989, 9. Im Kodex sind Beiträge von Berthold von Freiburg und Heinrich von Langenstein zu lesen. 59 Beschreibung: s. Fußnote 4 60 Nach einem 1451 an unbekanntem Ort gefertigten Manuskript: Wien, ÖNB., Cod. 14269; MENHARDT, Hermann, Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek, (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur, 13), 3. Berlin, 1961, 1357-1360. Aus dem Jahre 1475: München, Staatsbibl., Cgm 767; SCHNEIDER, Karin, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München, Cgm 691-867, (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V, 5), Wiesbaden, 1984, 290-292. 61 Berlin, Staatsbibl., mgo 707; OPPITZ 1999, 202. 62 Gewissensspiegel kiadása, 23 63 Wien, Schottenkloster, Cod. 134 (Hübl 215); HÜBL, Albertus, Catalogus codicum manu scriptorum qui in Bibliotheca Monasterii B.M.V. ad Scotos Vindobonae servantur, Wien-Leipzig, 1899, 234-236 (215). 64 Berlin Staatsbibliothek, Ms germ. oct. 631. DEGERING, Hermann, Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preussischen Staatsbibliothek: Die Handschriften in Oktavformat und Register zu Band I-III., III, Leipzig, 1932, 240. 11 haben getriben und der nochgeschriben dinge nye cheincz vorgezzen.65 Diese Erweiterung erfolgte vermutlich bereits früher, im Musterexemplar des Nürnberger Kodexes. Bei der Aufzählung der Heiligen zog der Abschreiber die Ansprüche einer Leserschaft in Betracht, die im ungarischen Kulturkreis lebte; ja von der besonderen Verehrung des heiligen ungarischen Königs in Nünberg haben wir keine Beweise. Die erhalten gebliebenen Handschriften suggerieren, dass Martin von Ambergs Gewissensspiegel im Kreis der Weltlichen schon kurz nach seinem Entstehen benutzt und erst später in die kirchliche Sphäre überliefert wurde.66 Ausgangspunkt der Textverbreitung musste Wien, beziehungsweise Niederösterreich und Burgenland sein, demnach fand der Gewissensspiegel auf einem ziemlich gut zu umreißenden österreichisch-bayrischen Gebiet seine Leserschaft. Zu diesem Gebiet passt Erfurt im Mainzer Bischofstum dem Anschein nach nicht hinein, wir aber wissen, dass Martin auch dort tätig war. Es ist anzunehmen, dass das Werk Martins eng mit Wien verbunden war, darauf weist die Texüberliefeung des Gewissensspiegels. Stephan von Landskron kannte und benutzte den Gewissensspiegel, in seinem Werk Himmelsstrasse zitiert er auch daraus,67 genauso wie Thomas Peuntner in seinen Erläuterungen zu den Zehn Geboten.68 Auch ist jener, heute in München befindliche Wiener Kodex ist bekannt, mit welchem diese beiden Theologen gearbeitet haben.69 In vielen Kodexen befinden sich neben Martin von Ambergs Gewissensspiegel Beiträge von Autoren der Wiener Schule für Theologie, wie z.B. Heinrichs von Langenstein Arbeit Erchantnutz der sund oder Bruder Bertholds Rechtsumme. Auch diese zusammenhängende Textüberlieferung bekräftigt, dass Wien als jenes Zentrum galt, von wo aus sich Martins Spiegel verbreitete.70 Als Vergleich darf ich erwähnen, dass der Inhalt des Heidelberger Kodexes wesentlich von all den anderen absticht. Hinter dem Gewissensspiegel findet man die deutsche Übersetzung des Vitae patrum, des 7. Kapitels der Benediktinerregel 65 Gewissensspiegel, 1148-1150. Berlin Staatsbibl., Ms. germ. oct. 631. Natürlich ist zu beachten, dass die kleineren weltlichen Bibliotheken leichter vernichtet wurden, der Spiegel hätte vor allem in Bibliotheken von Aristokraten die Chance für einen Fortbestand gehabt. 67 Deutschsprachige katechetische Literatur, 136. 68 VL, 6, 148. 69 München, Staatsbibl., Cgm 4595; Karin SCHNEIDER, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München: Die mittelalterlichen Handschriften aus Cgm 4001-5247 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V,7), Wiesbaden, 1996, 228-234. 70 Berlin: Ms. germ. oct. 631, Ms. germ. qu. 1860, München: cgm. 269, cgm. 366, cgm. 365, cgm. 767, cgm. 4591; Wien ÖNB: Cod. 14269, Cod. 2932. 66 12 und der Erklärung zum Vaterunser von Franz von Assisi, sowie eine Kontemplation zu den fünf Wunden Christi.71 Die früheste Handschrift des Gewissensspiegels datiert aus dem Jahre 1390, so kann sie nicht jenes Exemplar sein, das den Besitz des einstigen Hofrates bildete. Auch die übrigen Handschriften aus dem 15. Jahrhundert lassen sich nicht mit Ungarn verknüpfen, obwohl es sicher ist, dass die Gewissensspiegel-Handschrift des Nürnberger Klosters St. Katharina einen Musterexemplar hatte, das aus ungarischem Umfeld stammte, denn nur dies enthält den Namen des ungarischen Königs, Stephan (István der Heiligen). Die Verbreitung des Gewissensspiegels ist relativ gut nachvollziehbar. Man kann sagen, dass Wien und Umgebung als Ausgangspunkt der Verbreitung des Manuskriptes mit ungarischer Dedikation gelten. In Siebenbürgen entdeckt man keine Spuren der Kenntnis des Gewissensspiegels. Es ist anzunehmen, dass die Erben nach dem Tod des Familienoberhauptes ihr eigenes Exemplar in der westungarischen Burg der Familie aufbewahrt haben, dessen Abschriften kennen wir heute. Aufgrund dieser Beschreibung ist es merkwürdig, dass der Gewissensspiegel Martins von Amberg keine Rezeption in Ungarn auslöste. Er er wird nirgendwo – nicht einmal in deutschsprachigen Gebieten – erwähnt. Außerdem bezieht sich kein einziger spätmittelalterlicher Kodex in ungarischer Sprache auf ihn, kein Sündenregister stützt sich auf seinen Text, alle gehen auf eine andere, eine lateinische Quelle zurück. 72 Ich muss hinzufügen, dass selbst die deutschsprachigen theologischen Werke keine Resonanz in der ungarischen Literatur am Ende des Mittelalters hatten. Lediglich der sogennante Namenlose Kartäuser73 sowie der hoch gebildete Pelbárt von Temesvár haben aus den Werken der Klassiker der Wiener Schule für Theologie geschöpft.74 71 Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 182-303), ed. MILLER, Matthias und ZIMMERMANN, Karin, (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg, 7), Wiesbaden, 2005. 72 Richard NEWHAUSER, A Catalogue of Latin Texts with Material on the Vices end Virtutes in Manuscriptis in Hungary, (Gratia. Bamberger Schriften zur Renaissanceforschung, 29), Harrassowitz Verlag, Wiesbaden, 1996. Sündenregister: Nagyszombati Kódex (Kodex von Tyrnau) 361:8-366:10; Nádor-Kodex 345r:6-348r:6 – v. ö. VARGHA, Damján, A legrégibb magyar bűnjegyzék forrása, (Quelle des ältesten ungarischen Sündendenregisters) ItK, 1914, 36-42. A Peer-kódex töredéke = Nyelvemléktár, (Fragment des Peer-Kodexes= Sammlung von Sprachdenkmälern) II. VIII-IX. und entsprechende Stellen im Gyöngyösi-Kodex 73 BÁN, Imre, A Karthausi Névtelen műveltsége, (Die Bildung des Namenlosen Kartäusers), Akadémiai, Bp., 1976, 56. ff. A Bécsi iskoláról (Zur Wiener Schule): LŐKÖS, Péter, A bécsi fordítóiskola és a késő középkori népnyelvű vallásos irodalom, ( Die Wiener Übersetzerschule und die volkssprachliche religiöse Literatur im späten Mittelalter), FK, 1998.140-153. 74 V. KOVÁCS, Sándor, Temesvári Pelbárt és a skolasztika bomlása: Út a reneszánsz irodalom felé = Eszmetörténet és régi magyar irodalom, (Pelbárt Temesvári und der Zerfall der Scholastik: Weg zur Renaissance-Literatur = Ideengeschichte und die alte ungarische Literatur), Magvető, Bp., 1987, 190-191. 13