Paulo Coelho Globo 587 Seite 1 Petrus` Gebet auf dem Jakobsweg

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Paulo Coelho
Globo 587
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Petrus‘ Gebet auf dem Jakobsweg
Auf meinem Pilgerweg nach Santiago de Compostela kamen
mein Führer Petrus und ich irgendwann an einem
Weizenfeld vorbei, das sich flach und gleichförmig bis
zum Horizont erstreckte. Es herrschte vollkommene
Stille. Petrus nahm seinen Rucksack ab, stellte ihn
neben sich auf den Boden, kniete nieder und bat mich, es
ihm nachzutun.
„Lass uns beten, damit du dein Schwert, sofern du es
findest, immer mit fester Hand halten kannst.
Petrus sagte, er sei ein Bewunderer des
brasilianischen Dichters Vinicius [Vicinius?] de Moraes
und werde nun ein Gedicht sprechen, das sich auf seiner
Werke bezieht. Dann begann er:
„Herr, Erbarme dich derer, die Selbmitleid und sich
selbst für fehlerfrei und vom Leben ungerecht behandelt
fühlen - denn sie werden nie den Guten Kampf kämpfen
können. Und erbarme dich derer, die grausam zu sich
selbst sind, sich an allem die Schuld geben und für die
Ungerechtigkeit in der Welt verantwortlich fühlen. Denn
sie kennen dein Gesetz nicht, das da lautet: >Sogar
jedes einzelne deiner Haare ist gezählt.<
Erbarme dich derer, die herrschen und derer, die zu
viel arbeiten, um sich einen freien Sonntag zu
verdienen, an dem dann doch alles geschlossen ist und
man nirgendwo hin gehen kann. Doch sei auch barmherzig
zu denen, die ihr Werk als etwas Heiliges sehen und ihre
Grenzen ein wenig überschreiten, sich verschulden oder
von ihren eigenen Brüdern ans Kreuz geschlagen werden.
Denn sie kennen Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Seid
klug wie die Schlange und sanft wie die Taube.<
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Erbarme dich, denn der Mensch will die Welt besiegen
und niemals den Guten Kampf gegen sich selber austragen.
Erbarme dich auch derer, die den Guten Kampf gegen sich
selber gewonnen haben und heute an den Ecken und den
Bars des Lebens hocken, weil sie die Welt nicht besiegen
konnten. Denn sie kennen Dein Gesetz nicht, das da
lautet: >Wer meinen Worten folgt, muß sein Haus auf Fels
bauen.<
Erbarme dich derer, die Angst haben, die Feder, den
Pinsel, das Instrument, das Werkzeug zu halten, weil sie
glauben, andere hätten dies zuvor schon besser als sie
selber gemacht, und sich daher nicht würdig fühlen, in
das wunderbare Haus der Kunst zu treten. Erbarme dich
vor allem derer, die die Feder, den Pinsel, das
Instrument, das Werkzeug gehalten haben und die
Inspiration dazu missbraucht haben, sich über andere zu
erheben. Denn sie kennen Dein Gesetz nicht, das da
lautet: >Nichts ist verborgen, das nicht offenbart wird,
und nicht wird im Verborgenen getan, was nicht entdeckt
wird.<
Erbarme dich derer, die essen und trinken und prassen,
jedoch in ihrer Prasserei unglücklich und einsam sind.
Doch erbarme dich vor allem derer, die fasten, tadeln,
verbieten und sich als Heilige fühlen und deren Namen
auf den Plätzen verkündigen. Denn sie kennen Dein Gesetz
nicht, das da lautet: >Wenn ich Zeugnis über mich selbst
ablege, dann ist diese Zeugnis nicht wahrhaftig.<
Erbarme dich derer, die den Tod fürchten, und die
vielen Königreiche, die dahingegangen sind und die
vielen Tode, die sie schon gestorben sind, nicht kennen
und unglücklich sind, weil sie glauben, dass eines Tages
alles zu Ende sein wird. Doch erbarme dich vor allem
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derer, die schon viele Tode kennengelernt haben und sich
nun für unsterblich halten, denn sie kennen Dein Gesetz
nicht, das da lautet: >Wer nicht neu geboren wird, wird
Gottes Reich nicht sehen können.<
Erbarme dich derer, die sich um des Seidenbandes der
Liebe willen versklaven oder sich zum Herrn eines
anderen erheben und eifersüchtig sind oder hadern, weil
sie nicht einsehen, dass die Liebe sich ändert wie der
Wind und andere auch. Doch erbarme dich vor allem derer,
die aus Angst vor der Liebe vergehen und die Liebe im
Namen einer Höheren Liebe, die sie nicht kennen,
abweisen, denn sie kennen Dein Gesetz nicht, das da
lautet: >Wer von diesem Wasser trinkt, den wird nie
wieder dürsten.<
Erbarme dich derer, die den Kosmos auf eine Formel
reduzieren, Gott zu einem Zaubertrank machen und den
Menschen zu einem Wesen mit Grundbedürfnissen, die
befriedigt werden müssen, denn diese werden nie die
Sphärenmusik hören. Doch erbarme dich vor allem derer,
deren Glauben blind ist, und die in den Laboratorien
Quecksilber zu Gold machen und von Büchern über die
Geheimnisse des Tarots und die Macht der Pyramiden
umgeben sind. Denn sie kennen dein Gesetz nicht, das da
lautet: >Und den Kindern gehört das Himmelreich.<
Erbarme dich derer, die immer nur sich selbst sehen
und für die die anderen nur ein undeutliches, fernes
Szenarium sind, wenn sie in ihren Limousinen durch die
Straßen fahren, sich in klimatisierten Hochhäusern
verschanzen und unter der Stille und der Einsamkeit der
Macht leiden. Doch erbarme dich vor allem derer, die
alles weggeben und wohltätig sind und versuchen, das
Böse allein mit Liebe zu besiegen, weil diese dein
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Gesetz nicht kennen, das da lautet: >Wer kein Schwert
hat, der möge seinen Umhang veräußern und eines kaufen.<
Herr, erbarme dich unser, die wir suchen und wagen,
das Schwert zu ergreifen, das Du uns versprochen hast,
denn wir sind ein heiliges und sündiges über die Welt
verstreutes Volk, weil wir uns selbst nicht kennen und
häufig denken, dass wir Kleider tragen, obwohl wir nackt
sind, weil wir denken, wir hätten ein Verbrechen
begangen und in Wahrheit jemanden gerettet haben.
Vergiss in Deiner Barmherzigkeit nicht, dass wir alle
das Schwert gleichzeitig mit der Hand eines Engels und
der Hand eines Dämons halten. Denn wir sind in der Welt,
bleiben in der Welt und brauchen Dich. Wir brauchen
immer Dein Gesetz, das da lautet: >Wenn ich euch ohne
Beutel, Sack und Sandalen schickte, hat euch nichts
gefehlt.<
Petrus hörte auf zu beten. Es herrschte weiterhin
Stille. Er starrte auf das Weizenfeld um uns herum ••••
Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann
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