Missionsnachrichten April 2000 Seit über einem Jahr berichten christliche Blätter von 'Christenverfolgung in Indien'. Ebenso liest man (z.B. kürzlich in 'idea') von einem “explosionsartigen“ Wachsen von christlichen Gemeinden in Indien. Weltweites Aufsehen erlangte die heimtückische Ermordung des australischen Missionars Graham Staines mit seinen beiden Söhnen vor über einem Jahr. Während meines diesjährigen Aufenthalts in Indien las ich, daß jetzt fast genau ein Jahr später der für den Mord hauptverantwortliche Fanatiker Dara Singh verhaftet wurde. Die diesjährige Reise führte von Südindien bis nach Sikkim im Himalaja mit Diensten in Chennai (Madras), Hyderabad, Delhi, Kalimpong, Gangtok und Darjeeling. Es hat sich wiederum bestätigt, daß es sich bei der 'Christenverfolgung' in Indien allgemein um einige isolierte Fälle handelt, die vornehmlich ausländische Missionen und die katholische Kirche betreffen. Dabei scheinen sozial-politische Gründe eine größere Rolle zu spielen als 'Christenhaß'. Die Hinwendung ganzer Dorfgemeinschaften der Bergvölker zum Christentum (besonders in den Staaten Orissa, Gujarat und Andhra Pradesh) erzeugt eine starke Opposition der hinduistischen Landbesitzer, Geldverleiher und Beamten, welche diese Völker wirtschaftlich ausnützen und versklaven. Andererseits ist in den einheimischen Gemeinden, die von keiner ausländischen Mission oder Kirche abhängig sind, bisher niemand zu Schaden gekommen. Leiden und Verfolgung von Angehörigen oder den Dorfgemeinschaften werden von ihnen als ganz normale Folgen eines konsequenten Christseins angesehen. (Alle, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, müssen Verfolgung leiden. - Wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen (2.Tim. 3,12; Apg. 14,22). Wenn man nun von einem “ explosionsartigen“ Wachstum von christlichen Gemeinden in Indien liest, so wirft das verschiedene Fragen auf. Die Kirchen und Missionen tun unter den Bergvölkern in menschlicher Hinsicht einen guten Dienst, indem diese unterdrückten Menschen durch die Annahme des Christentums eine gewisse, vor allem äußerliche Befreiung erfahren. Dabei geht es jedoch in der Regel nicht um eine individuelle biblische Bekehrung und Wiedergeburt der einzelnen, sondern um die “Christianisierung“ einer ganzen Gruppe. Die ca. 1500 v.Chr. von Nordwesten her ins Land eingedrungenen arischen Einwanderer (Aryans) sind zur herrschenden Klasse Indiens aufgestiegen und haben die Ureinwohner (Adivasis) in die Dschungel und Bergregionen zurückgedrängt. Dort leben sie in hunderten von Stammesklans und Gemeinschaften, in welche der einzelne fest eingebunden ist. Ein Ausscheren aus dieser festgefügten traditionellen Ordnung durch persönliche Bekehrung hat die Verstoßung aus dem Klan und den Entzug der Existenzgrundlage zur Folge. Aus diesem Grunde zielen die modernen Missionsaktivitäten auf die 'Bekehrung' der gesamten Gruppe zum Christentum. So gut und wünschenswert eine soziale und wirtschaftliche Verbesserung der Lage dieser ausgebeuteten Menschen ist, kann man von einem wirklichen Gläubigwerden im biblischen Sinn nur sehr bedingt sprechen. Es ist auch den Missionaren bekannt, daß diese 'Christen' in den meisten Fällen weiterhin in ihren überlieferten Glaubenstraditionen verbunden bleiben. Dazu gehören z.B. der Ahnenkult, Animismus, Fetischismus, die Beachtung von Omina und Tabus, magisches Denken, Schamanismus, usw. (Siehe Anhang, Seite 4) Von dem Ältesten einer gläubigen Gemeinde ist mir berichtet worden, daß selbst in diesen Gemeinden viele am Tisch des Herrn teilnehmen in der Meinung, auf magische Weise das Leben Jesu Christi in sich aufnehmen zu können. Es ist mir in den vergangenen Jahren schon immer aufgefallen, daß viele 'Gläubige' in den großen Gemeinden mit ein- und zweitausend und mehr Gliedern immer erst mitten im mehrstündigen Gottesdienst bei Beginn der Mahlfeier erscheinen, um sich 'einen Segen' zu holen. Aus diesem Grunde ist jeden Sonntag vor dem Mahl eine ernste und eindringliche Belehrung nach 1.Kor.11 unabdingbar. Leider gibt es auch in gläubigen Gemeinden eine Anzahl von Gliedern, die einmal ihre Bekehrung bezeugt haben und getauft wurden, sich jedoch außerhalb der Gemeinde als Hindus bekennen. Andererseits gibt es viele treue Zeugen und Beter. In den Gemeindezentren stehen die dort wohnenden und arbeitenden Geschwister (ihre Zahl schwankt je nach Größe der Gemeinde zwischen 60 und 120) früh um 5 Uhr auf und beginnen den Tag nach der persönlichen stillen Zeit um 7 Uhr mit einer gemeinsamen 'Familienandacht' von einer Stunde. Auf ähnliche Weise wird auch der Tageslauf beendet. Im nordöstlichen Teil des Staates Andhra Pradesh haben zwei Brüder aus “Hebron“ (Hyderabad) am Rande des Dschungels unter dem Koya-Stamm gewirkt und das Vertrauen einiger dort lebenden Menschen gewonnen. Diese Ureinwohner leben noch auf dem Niveau der Steinzeit und jagen mit Pfeil und Bogen. Inzwischen gibt es dort bereits an ca. 20 Orten Gemeinden. Die Regierung hat ihnen Land gegeben, so daß sie seßhaft werden konnten. Zuvor bestand der einzige Kontakt mit der Außenwelt durch den Verkauf ihrer handgefertigten Körbe. Einige Stammesangehörige arbeiten jetzt bereits evangelistisch unter ihrem Stamm. Aus Anlaß der Verheiratung dieser beiden Brüder haben Brd. Phillip und G.T. Benjamin vor einiger Zeit dieses Gebiet in der Nähe von Khammam besucht und die Trauung vollzogen. Etliche Brüder aus 'Hebron' besuchen diese abgelegenen Gebiete von Zeit zu Zeit, um die Brüder zu stärken und zu ermutigen. Eine Schwester Devadoss aus “Hebron“ lebt zusammen mit Schw. Krupa in einer kleinen Hütte in den Bergen von Thadapala, ungefähr 16 km von Venkatapuram am Godavari-Fluß entfernt, um dort Frauen und Kindern die Frohe Botschaft zu bringen. Hier geschieht eine persönliche Arbeit im kleinen, von welcher keine Statistik berichtet. Alle diese Geschwister in den entlegenen Gebieten brauchen unsere Gebete für ihre aufopfernde Arbeit, die vielleicht nur dem Herrn der Ernte bekannt ist. Er erwählt gerade diejenigen, die nichts in dieser Welt gelten (1.Kor. 1,27.28). In Darjeeling haben die Geschwister nach einjähriger Bauzeit aus eigenen Mitteln ein Gemeindehaus errichtet. Es gibt dort nur Berghänge, so daß 4 Stockwerke gebaut werden mußten, damit sich das oberste Stockwerk mit dem Versammlungssaal auf gleicher Ebene mit der Straße befindet. Zum alten Versammlungshaus mußte man auf einem steilen Pfad den Hang hinabsteigen, was für die älteren Geschwister sehr anstrengend war. Dabei stellte sich mir die Frage nach der Notwendigkeit eigener Versammlungshäuser. Die ersten Christen versammelten sich ja hin und her in den Häusern oder, wie Paulus, in einer gemieteten Wohnung. Besteht durch den Bau von Gemeindehäusern nicht die Gefahr, sich auf der Erde seßhaft zu machen? Entstehen dadurch nicht Schwierigkeiten hinsichtlich der Eigentumsfrage, der Notwendigkeit, als “eingetragener Verein“ eine juristische Person zu werden, der Verfügungsgewalt über den Besitz, der Einflußnahme, dem Verlangen nach einer Vergrößerung des Mitgliederstandes, usw.? Und wird vor allem durch diese “irdischen Sorgen“ nicht die Erwartung der Wiederkunft des Herrn verdrängt? Andererseits sind diese Gemeindehäuser und -zentren für viele zum Segen geworden. Von ihren Familien verstoßene Gläubige finden dort ein neues Zuhause. In “Hebron“ leben jetzt ca. 120 Geschwister, in Kalimpong etwa 70; an anderen Orten weniger. Auch alte Geschwister und Witwen werden von den Gemeindezentren versorgt. Junge Brüder werden in der Lebensgemeinschaft zum Dienst vorbereitet, und durch die Konferenzen erfahren viele zerstreut lebende Gläubige Glaubensstärkung und Ermutigung. Zu Ostern soll in Darjeeling das neue Gemeindehaus eingeweiht werden. Ebenso findet ein Dankgottesdienst für die 50-jährige Arbeit in diesem Gebiet statt. Zu den Tagen werden ca. 2000 Teilnehmer erwartet, die untergebracht und versorgt werden müssen. Eine gewaltige Aufgabe für Bruder Shammah und die Mitarbeiter. Diese Gemeindehäuser in Kalimpong, Gangtok und Darjeeling bilden für die Dutzende von Tochtergmeinden im ganzen östlichen Himalaja von Bhutan bis zu Teilen von Nepal Glaubenszentren zum gegenseitigen brüderlichen Austausch und gemeinsamen Beten und Wirken. Ein großes Anliegen ist der Mangel an lehrfähigen Brüdern, die auch in der Lage sind, die unbiblischen geistigen Strömungen zu erkennen und abzuwehren, welche auch in die Gemeinden in Indien einzudringen suchen. Von ihrer religiösen Tradition der Abhängigkeit von menschlichen Mittlern stehen viele Neubekehrte in Gefahr, in eine neue Abhängigkeit von Evangelisten und Gemeindeleitern zu geraten und allgemein Hilfe von Menschen zu erwarten. Das macht sie auch sehr empfänglich für eine Evangeliumsverkündigung mit der Verheißung von Zeichen und Wundern und der Lösung irdischer, zeitlicher Probleme. Wo nicht eine klare biblische Verkündigung des Evangeliums stattfindet, sehen die Menschen das Christentum oftmals als Mittel zur Lösung zeitlicher Probleme an und sind enttäuscht, wenn sie nicht von Krankheit geheilt werden oder Hilfe für ihre irdischen Nöte finden. Sobald ein auswärtiger Bruder zum Dienst in die Gemeinden kommt, erwarten diese Gläubigen sofortige Hilfe bei Krankheit oder anderen Nöten durch sein Gebet. Man muß diese Menschen dann liebevoll auf den in Jakobus 5,14-16 beschriebenen biblischen Weg hinweisen. Während der Herr in Seiner souveränen Gnade auch heute noch an Ungläubigen Heilungen und andere Wunder tut, müssen wir beachten, daß die Gabe der Krankenheilung niemals innerhalb der Gemeinde an Gläubigen praktiziert wurde (2.Kor. 12,8.9; 1.Tim.5,23; 2.Tim. 4,20). Eine echte 'Gabe der Krankenheilung' zeigte sich z.B. in Apg. 3,3-8, wo ein Ungläubiger ohne eigenen Glauben geheilt wurde. Es wird immer wieder behauptet, daß durch den 'Jesus Film' viele Menschen zum Glauben gekommen seien. Kann ein Film das Werk des Heiligen Geistes in der Überführung von der Sünde ersetzen? Haben die Menschen nicht dann einen Christus vor Augen, wie sie ihn mit ihren natürlichen Augen im Film gesehen haben? Werden sie dadurch zum Glauben an das Unsichtbare oder zu einem Scheinglauben an das Sichtbare geführt? (2.Kor. 4,18; 5,7). In dem Buch 'Tribal Challenge and the Church's Response, S.D. Ponraj, 1996' wird beschrieben, wie man mit Tausenden von 'Jesusbildern' evangelisierte und sie als sehr wirksame Methode der Verkündigung betrachtet. Nach der Schrift kommt der Glaube jedoch aus der Verkündigung des Wortes Gottes (Röm. 10,17). Ein Glaube, der sich auf Sichtbares und irdische Segnungen gründet, kann so schnell, wie er erzeugt wird, wieder aufgegeben werden. Jede echte Bekehrung ist ein Schöpfungsakt Gottes (2.Kor. 5,17) und kann nicht durch menschliche, fleischliche Methoden erzeugt werden. Bei echter Evangeliumsverkündigung geht es nicht um zahlenmäßigen Erfolg, sondern um geistliche Frucht. Gebetsanliegen: 1. Der Herr möge eine neue Generation von Brüdern erwecken und ausrüsten, welche den älteren Brüdern und Mitarbeitern von Bakht Singh folgen, von denen nur noch wenige am Leben sind. Kurz nach meinem Treffen mit Bruder Augustine in Hyderabad wurde er in die obere Heimat abgerufen. 2. Es gibt in den Gemeinden eine Anzahl von jungen Brüdern, die dem Herrn dienen wollen. Sie brauchen besonders unsere Fürbitte, um nicht in eigener Kraft und Weisheit, sondern in der völligen Abhängigkeit vom Herrn den Dienst zu tun. Manche von ihnen dienen schon in den kleineren Gemeinden in den schwer zugänglichen Gebieten des Himalaja. 3. Die Gemeinden mögen bewahrt bleiben vor weltlichen und verführerischen Einflüssen. Korruption und Bestechung ist ein großes Problem in Indien (wie auch in vielen anderen Ländern). Die Gläubigen brauchen viel Gnade, um sich nicht um irdischen Vorteils willen schuldig zu machen. Auch bei Krankheit und in anderen Nöten müssen die Gläubigen sich von Gott geliebt wissen und nicht in der falschen Überzeugung leben, daß durch den Glauben an Christus alle Nöte und Probleme sofort verschwinden müßten. 4. Echte biblische Missionsarbeit in Indien sollte vornehmlich den Einheimischen überlassen sein, um nicht durch äußerliche Hilfe Menschen für das Christentum zu 'ködern' und lediglich die Masse der Namenchristen zu vergrößern. Obwohl menschliche Hilfe auf sozialem und medizinischem Gebiet an sich eine gute Sache ist und auch von der indischen Regierung geschätzt wird, so sind diese Aktivitäten doch in den Augen vieler Hindus 'christliche Proselytenmacherei' 5. Westliche Kirchen und christliche Organisation sollten mit größter Zurückhaltung wirken und nicht aufgrund ihrer Geldmittel den Ton angeben. Es könnte viel Schaden vermieden werden, wenn diese Kirchen nicht immer noch mit den früheren Kolonialmächten in Verbindung gebracht würden. Indien braucht keine westliche “Christianisierung“, sondern eigenständige einheimische Gemeinden. Anhang. Stammesvölker Indiens Der Begriff ‘Hindu’ ist von dem Wort ‘Sindhu’ (der Fluß Indus) abgeleitet. Indien ist ein Land von Tausenden ethnischer Gruppen, die in Stämme, Kasten und Gemeinschaften unterteilt sind. Die ältesten Einwohner sind die ‘Adivasis’ (Ureinwohner). Rassische und historische Klassifikation 1. Negritos. Sie kam ca. 4000 v.Chr. aus Afrika nach Indien. Bei etlichen Stämmen in Kerala, Tamil Nadu, den Adamanen und Nicobaren kann man heute noch negride Züge feststellen. 2. Proto-Australoids. Sie kamen nach Indien aus Palästina und siedelten in Nord-Indien ca. 4000 v.Chr. 3. Mongoloids. Sie kamen aus der Mongolei und Ostasien ca.3000 v.Chr. und siedelten in Nordost- Indien und im Himalaja-Gebiet. 4. Dravidians. Sie kamen aus dem östlichen Mittelmeerraum im dritten Jahrtausend v.Chr. 5. Aryans. Sie drangen aus Turkestan über Afghanistan ein und unterwarfen die einheimische Bevölkerung ca. 1500 v.Chr. Ihre Sprache war Vedic Sanskrit; ihre Religion ist Vedic Arya Dharma. Die Verfassung unterscheidet fünf Kategorien: 1. Stammesvölker (Scheduled Tribes). Es gibt in Indien 580 Stammesvölker mit ca. 90 Millionen Angehörigen. Sie werden von den Großgrundbesitzern und Geldverleihern der herrschenden Hindu-Klasse ausgebeutet und unterdrückt. Sie sind oftmals so verschuldet, daß sie sich und ihre Frauen und Töchter verkaufen müssen. Die Töchter werden nicht selten in die Städte als Prostituierte verkauft. Schon Pundit Nehru und der frühere Präsident Prasad 2. 3. 4. 5. haben die Missionswerke für ihre soziale und wirtschaftliche Hilfe unter diesen Menschen gelobt. Die ‘Unberührbaren’ oder ‘Kastenlosen’ (Dalits oder Harijans). Sie machen ca. 20% der Bevölkerung aus. Niedere Kasten (Backward Classes). Sie stellen ca. 50 % der Bevölkerung dar. Höhere Kasten (Forward Classes) einschließlich der Priesterklasse der Brahmanen. Sie beherrschen größtenteils das Wirtschaftsleben, sowie Politik und Verwaltung. Sie sind eine Minderheit von 15-20% der Bevölkerung. Religiöse und andere Minderheiten (Anglo-Indian) Viele Stammesvölker verstehen und sprechen eine der 15 jeweiligen Landessprache. Von ihren 500 Sprachen und Dialekten werden nur 45 von mehr als 50.000 Menschen gesprochen. 203 Sprachen werden von mehr als 10.000 Menschen gesprochen. Das Neue Testament gibt es bereits in 46 dieser Sprachen; die ganze Bibel in 24 Sprachen. 149 Stammengruppen nennen sich 'Christen', obwohl viele von ihnen noch ihren eigenen Glauben und ihre Traditionen pflegen. (S.D. Ponraj, Tribal Challenge, 1996). Die Religion der Stammesvölker 1. 2. 3. 4. 5. Glaube an ein höheres Wesen Glaube an die Geisterwelt. (Ahnenkult, Furcht vor Geistern, Fetischismus. Glaube an übernatürliche Kräfte. (Omen, Tabus, Magie, böses Auge, usw.) Glaube an Magie und Hexerei. (Schamanen, Medizinmänner, Magier, Priester, Zauberer) Glaube an die Wirkung von Blutopfern. (Meistens Tieropfer, mitunter Menschenopfer)