Predigt am 19.11.06 zum Volkstrauertag Galater 3, 26-28 Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus. Schreibt Paulus im Brief an die Galater. Aber: Hier ist Hier ist Hier ist Hier ist Hier ist Hier ist Hier ist Frau und Mann. reicher und ärmer. konservativ und progressiv. jung und alt. Akademiker und Handwerker. geachtet und unscheinbar, tüchtig und erfolglos. Nicht jeder ist gleich. Das sieht man, das bekommt man mit. Am Gesicht, an der Kleidung, an der Art zu sprechen, sich zu bewegen. Menschen haben unterschiedliche Werte, Einstellungen, Gewohnheiten, lieben und vermeiden Unterschiedliches. Das ist einerseits interessant, macht das Leben spannend. Aber das ist auch eine Quelle des Streits, ein Grund für Spannungen und Meinungsverschiedenheiten. - Jeder von uns muss sich einrichten in seiner Ausprägung, seinem Gewordensein. Ich muss meinen Wert, meine Identität finden und behalten. Und das hat auch mit Abgrenzung zu tun. Fragen Sie mal einen Franken, dessen Dialekt sie nicht ganz zielgenau einordnen können, ob er ein Bayer ist, oder einen Bayern, ob er ein Schwabe ist, oder einen Südschwaben, ob er aus der Schweiz kommt. Und in Norwegen ist es mit Menschen aus Oslo und Bergen, aus dem Osten und Westen Oslos, aus Land und Stadt dasselbe. Sich abgrenzen gehört zur Identität. Und da sind diese regionalen Zugehörigkeiten eher noch harmlose Beispiele. - Es ist irgendwie verlockend, auszuspielen, was Unterschiede an Überlegenheitsgefühlen hergeben. Die Unterschiede werden benutzt. Um den eigenen Selbstwert zu steigern. Und das funktioniert. Ich bin doch kein…. Sagt man im Brustton des Beleidigtseins. Daraus entsteht: Verachtung, Herabsetzung, Bestreitung des Wertes des Anderen. Und dann werden die anderen ausgegrenzt. Dann fliegen welche raus. ...und raus bist du! Ein Abzählreim aus Kindermund erinnert daran, dass Menschen ausgegrenzt werden, fast überall auf der Welt. Was Kinder spielerisch erproben, das ist für viele Menschen bitterer Ernst: sie werden aussortiert, weil sie „falscher“ Abstammung sind, ihr sozialer Status zu wenig hermacht, ihre Leistung nicht zählt oder ihre Religion, ihre politische Überzeugungen sie abstempeln. Schon Kinder werden durch Ausgrenzung tief entwürdigt und verletzt. Und raus bist du - das ist ein furchtbarer und leider fruchtbarer Nährboden für Feindschaften, Terror und Krieg. Wenn die ersten Gewalttaten angefangen haben, wird die Ausgrenzung wieder kräftig genährt. Ein Teufelskreis wird angeheizt, kleine Unterschiede werden durch die erlebten Verletzungen zu etwas, das alles andere überschattet. Es gibt kaum ein Zurück. Als Paulus seinen Brief an die Galater schrieb, war dort gerade die Abgrenzung zwischen Christen, die dem Judentum angehörten und Christen, die aus anderen Religionen herstammten, also Heidenchristen in vollem Gang. Das geht doch nicht, sagten die Judenchristen, dass die Leute von irgendwoher aus einer anderen religiösen Welt jetzt hier mit uns sitzen und auch Christen sein wollen. Da muss man doch was machen. Diesen und anderen Abgrenzungen setzt Paulus vehement etwas entgegen. Ihr gehört doch zu Jesus Christus. Seid auf ihn getauft, bezeichnet ihn als euren Herrn, euer Licht, euren Erlöser. Wenn ihr das ernst nehmt, dann gibt es nicht mehr Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave oder freier Mensch, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid alle einer in Jesus Christus. Paulus redet von einer neuen Form der Gemeinschaft. Eine Wirklichkeit, die größer ist, größer als der Unterschied der Geschlechter, der Nationen, der Lebensverhältnisse, lässt Menschen anders miteinander umgehen. - Was ist das für ein Kraftfeld? Das uns den Mechanismen des Vergleichens und Abwertens entzieht? Das Unterschieden das Potential zum Rausschmiss nimmt? … und raus bist du“. Das könnte ja auch heißen: Raus bist du aus dem, was dich gefangen hält, raus aus deiner Selbstzufriedenheit, den Vorurteilen und den üblichen Denkmustern, raus aus der Erniedrigung anderer Leute. Wenn das, was Paulus hier andeutet, eine Alternative sein soll zu Ausgrenzung und Herabsetzung, dann muss das etwas sehr Starkes sein, was die neue Identität gibt. Dann muss das sehr tief gehen, was eine neue Art von Gemeinschaft und das Aushalten von Unterschieden stiftet. Schauen wir noch einmal in den Predigttext: - Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Durch den Glauben seid ihr Gottes Kinder. In Christus seid ihr eins. „Christus angezogen“ – eine eigenartige Formulierung. Wie wenn Christus wie eine Bekleidung wärmt, kleidet, schmückt, schützt. „In Christus“: Wie wenn Jesus Christus ein Bereich, ein Kraftfeld, ein Beziehungsfeld ist. Ist Jesus Christus mehr als einer, der Tipps zum Zusammenleben gab, zum Friedensstiften? Mehr als ein Vorbild? - Wenn Gott in seiner ganzen Fülle in ihm wohnt, wie es der Kolosserbrief formuliert, wenn sich vor ihm alle Knie beugen werden, wie es im Philliperbrief gerühmt wird, wenn seine Auferstehung eine neue Weltzeit einläutet, dann ist es nicht nur ein nettes Kompliment, wenn über ihn vorausschauend gesagt wird, das hier das aufstrahlende Licht aus der Höhe" wirkt. (Lk 1,67 f.) und dass er unsere Füße auf den Weg des Friedens richte. dann ist es nicht bloß eine Beobachtung am Rande, wenn er so beschrieben wird: "Alle Leute versuchten, ihn zu berühren, denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte" (Lk 6,19). Seine Bestimmung war es, "das Evangelium vom Reich Gottes zu verkünden" (Lk 4,34). Dazu öffnete er Menschen die Sinne und das Herz und deckte falsches Leben auf, um in die größere Freiheit Gottes zu führen: das Kraftfeld des Himmels! Die am Boden verstanden ihn sofort. Ihr Leben war nicht mehr schön zu reden. Er richtete sie auf. Die am Rande stellte er in die Mitte. Die das „raus bist du“ erlebt hatten. Sein Leben trug wie kein anderes die Handschrift Gottes. Er ist "die Lebensgestalt Gottes unter den Menschen" (Paul K. Kurz). Jesus - das Medium Gottes, die Gegenwart Jahwes, das Kraftfeld des Himmels, "das Alles Gottes" (s. Kol 2-3). - Mir leuchtet das ein und darum habe ich jetzt ein paar Mal davon gesprochen: das Reich Gottes in Jesus Christus ist eine Art wirkendes Kraftfeld. Christus, den Auferstandenen, anziehen heißt: sich in dieses Feld begeben. Kontakt mit ihm aufnehmen, die Lebensfelder von ihm durchdringen lassen. Mit der Taufe und dem Glauben werden Menschen in dieses Kraftfeld Jesu hinübergebracht. Dieses Feld brauchen wir heute. Seine Nähe und Wirklichkeit. Darum denken wir als christliche Gemeinde über den Frieden nach. Wir brauchen heute die Gabe des Friedenstiftens von Gott. Wir denken an Afghanistan, den Irak, an den Sudan, an den Nahen Osten. Wir denken an Bürgerkriege und Kriege und an die Mitverantwortung, die wir wahrzunehmen haben. An die Ratlosigkeit im Blick auf das Friedenstiften denken wir, die an vielen Stellen immer stärker wird. Aber nicht nur an die internationale Politik sollten wir denken, sondern auch an den Frieden auf unseren Straßen und in unseren Häusern, in U-Bahnen und auf Schulhöfen. Nicht nur an den Frieden zwischen gesellschaftlichen Gruppen sollten wir denken, sondern auch an den Frieden in den Familien. - Wenn ich unsere Verse lese, dann wünsche ich mir aber auch für uns alle Gottes Gabe, Glauben zu wecken. „Der Weg fortschreitender Säkularisierung und Entkirchlichung führt auf Dauer nicht ins Offene und Freie; davon bin ich tief überzeugt“ – sagte der Ratsvorsitzende der EKD Wolfgang Huber Pfingsten 1999 am Tag der Wahl des neuen Bundespräsidenten in Deutschland. „Gerade eine freiheitliche Gesellschaft kann den Glauben nicht entbehren. Der Mensch ist mehr, als er selbst aus sich macht. Und die Wirklichkeit ist größer, als unser vermeintlich naturwissenschaftliches Weltbild uns glauben macht.“ Wir brauchen die Gabe, den Glauben zu wecken, der anderen hilft, dieser größeren Wirklichkeit Raum zu geben und sich für Gott zu öffnen, den einzigen Halt im Leben und im Sterben. Darum ist es auch eine Verpflichtung, auf seinen Namen getauft zu sein. Eine Verpflichtung, sich seiner Wirklichkeit auszusetzen, ihn anzuziehen. Und mit Unterschieden anders umzugehen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.