Geza Alföldy brachte 1975 mit seinem Versuch, ein - Zwenns

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Universität Leipzig
Historisches Seminar
Hauptseminar: Sozialgeschichte der römischen Kaiserzeit
Sommersemester 2005
honestiores und humiliores
–
Ein Modell der römischen Gesellschaft nach
François Jacques und John Scheid
Lehramt Gymnasium Geschichte – Latein
6. Fachsemester
Inhaltsverzeichnis
I.
Einleitung ..............................................................................................................
3
II.
Das Modell von Jacques und Scheid ..................................................................
4
1. Die Parallelgesellschaften ................................................................................
1.1.
Die Welt der Freigeborenen .......................................................................
1.2.
Die Welt der Sklaven und Freigelassenen .................................................
5
5
7
2. Die Führungskräfte ..........................................................................................
9
3. Die Zwischenkategorien ..................................................................................
10
Der Vergleich mit anderen Modellen .................................................................
12
1. Alföldy .............................................................................................................
12
2. Vittinghoff ........................................................................................................
14
IV.
Abschließende Beurteilung ..................................................................................
18
V.
Quellen- und Literaturverzeichnis ...................................................................... 19
VI.
Anhang
III.
2
I.
Einleitung
Die römische Gesellschaft und ihre Struktur lassen sich aus heutiger Sicht nur schwer fassen
und erklären, da sie nicht ausschließlich mit modernen Gesellschaftskriterien und -strukturen
beschrieben werden kann. Wer sich mit der antiken Gesellschaft beschäftigt, muss sich davor
bewahren, diese nur durch die „moderne Brille“ zu betrachten. So verursacht diese Thematik
bereits seit dem 19. Jahrhundert vielfältige Diskussionen, wobei versucht wurde,
modernistische
Begrifflichkeiten
wie
„Klasse“,
„Bourgeoisie“,
„Proletariat“
oder
„Kapitalismus“ auf die römische Gesellschaft anzuwenden. Theodor Mommsens dichotome
Konzeption der „beiden tonangebenden Klassen der Gesellschaft: dem Bettlervolk und der
eigentlich vornehmen Welt“1 geht von „Phasen des Konflikts zwischen ‚Kapital’ und
‚Arbeit’, zwischen der ‚Klasse’ der Senatoren und der ‚Kapitalisten’ einerseits, den Massen
des verelendeten ‚Proletariats’ anderseits“2 aus. Michael Rostovtzeff hat dies Anfang des 20.
Jahrhunderts zu einem Klassenkampf-Modell mit der „städtischen Bourgeoisie“ als wichtigste
soziale Schicht ausgeweitet. Daran Anstoß nahm Géza Alföldy, der 1975 mit seinem
Gesellschaftsmodell die moderne Debatte im 20. Jahrhundert angestoßen hat. In Reaktion auf
sein Werk veröffentlichte Friedrich Vittinghoff 1980 einen Aufsatz, der scharfe Kritik an
Alföldys Modell übte, und ließ später ein eigenes Modell von der römischen Gesellschaft
folgen. Nach ihm beschäftigten sich auch François Jacques und John Scheid, Richard Saller,
sowie Paul Veyne mit dieser Thematik, um nur die Bekanntesten zu nennen. Dadurch
entstanden fünf Modelle, die, auf gemeinsamen Grundlagen aufbauend, verschiedene
Schwerpunkte setzten.
Die vorliegende Arbeit wird sich nun näher mit dem Gesellschaftsmodell von François
Jacques und John Scheid beschäftigen, das sie 1990 in dem Werk „Rome et l’intégration de
l’Empire Tome I. Les structures de l’Empire romain 44 av. J.-C.–260 ap. J.-C.“3 vorgestellt
haben. Dabei wird zunächst versucht die wesentlichen Hauptmerkmale herauszuarbeiten. Im
Anschluss werden verschiedene Punkte dieses Gesellschaftsmodells den Modellen von
Alföldy und Vittinghoff gegenübergestellt.
1
Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Bd. 3. Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus, Berlin
1922, S. 522.
2
Christ, Karl, Grundfragen der römischen Sozialstruktur, in: Eck, Werner / Galsteiner, Hartmut / Wolff,
Hartmut, Studien zur antiken Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff, Köln / Wien 1980, S. 197-228,
hier: S. 209.
3
Die deutsche Übersetzung „Rom und das Reich in der hohen Kaiserzeit 44 v. Chr. bis 260 n. Chr., Bd. 1. Die
Struktur des Reiches“ basiert auf der dritten korrigierten Ausgabe von 1996.
13
3
II.
Das Modell von Jacques und Scheid
Für die Gestaltung ihres Modells gehen Jacques und Scheid von zwei Hauptkriterien aus.
Beim ersten stützen sie sich auf eine binäre Darstellung, die von den Römern verwendet
wurde. Die „Ehre“, die man durch eine würdige Herkunft und durch die Ausübung von
Ämtern, welche Ehre mit sich bringen, erwirbt, teilt die Gesellschaft in zwei Gruppen ein.
Daraus ergibt sich eine Dichotomie von honestiores und humiliores. Die „ehrbaren Leute“
besitzen „Ehrbarkeit (honestas), Prestige und Einfluß (dignitas; auctoritas), die ihnen einen
guten Ruf (fama; existimatio) verleihen, sowie die Ausübung von Ehrenämter (honores)
ermöglichen. Der Sozialrang (condicio) hängt von Abstammung und Vermögen ab. [...] Ein
ehrbarer Mann muß reich sein; zumindestens steht sein Vermögen im Verhältnis zu seiner
öffentlichen Verantwortung. Moralische Qualitäten und Lebensweise (mores) sind untrennbar
mit dem sozialen Rang verbunden.“4 Diese Menschen besitzen weiterhin „Aufrichtigkeit
(fides), Ehrlichkeit (honestas war sowohl Ehrlichkeit als auch Ehrbarkeit) und einen ernsten
und gefestigten Charakter (gravitas) [...]. Die ehrbaren Leute sind von vornherein idonei,
„geeignet“: Sie erfüllen die Voraussetzungen, um zu herrschen. Außerdem legitimiert ihre
soziale Vorrangigkeit eine privilegierte Behandlung durch Verwaltung und Justiz.“5 Die
„kleinen Leute“ hingegen „sind aufgrund ihrer Abstammung, ihrer Tätigkeit und ihres
Charakters unfähig, Verantwortung zu tragen, und soziale wie politische Abhängigkeit ist ihre
legitime Position.“ Das Volk bedarf ebenso der Kontrolle und Erziehung.6
Die beiden Autoren verwenden diese römische Einteilung aber nicht ausschließlich, sondern
schränken ihre Bedeutung ein, da kein Text vor der Krise des 3. Jahrhunderts vorhanden ist,
der die beiden Begriffe nebeneinander benutzt oder eine genaue Definition liefert. Daher
beziehen sie noch den sozialen und wirtschaftlichen Aspekt mit ein.
Als zweites Hauptkriterium verwenden sie auf der Grundlage eines Artikels von Paul Veyne7
eine klare juristische Trennung zwischen freier und unfreier Herkunft. Damit lassen sie die
Gesellschaft der Sklaven und Freigelassenen und die Gesellschaft der Freigeborenen parallel
existieren.
4
Jacques, François / Scheid, John, Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit 44 v. Chr.-260 n. Chr., Bd. 1. Die
Struktur des Reiches, Leipzig 1998, S. 329.
5
Ebd. S. 330.
6
Ebd. S. 330.
7
Veyne, Paul, Vie de Trimalcion, Annales ESC 16 (1961), S. 213-247. Der Aufsatz erschien auf Deutsch in
Veyne, Paul, Das Leben des Trimalchio, in: ders., Die römische Gesellschaft, München 1995, S. 9-50.
4
1. Die Parallelgesellschaften
Beide Gesellschaften verfügen über eine ähnliche Hierarchie aus Ehrbarkeit, sozialem Rang
und Vermögen, wobei die Sklaven und Freigelassenen die Gesellschaft der ingenui mit einer
Verschiebung nach unten kopierten. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Tatsache, dass
Freigelassene, mitunter auch Sklaven, dieselben Berufe und Tätigkeiten ausübten, wie die
ingenui – also Handwerker, Händler oder Bauer. Die reichen Freigelassenen hatten die
Möglichkeit, wie reiche Freigeborene, sich als Euergeten zu erweisen. Eine andere
Gemeinsamkeit ist die hohe Disparität des Vermögens unter den Mitgliedern einer
Gesellschaft bzw. einer Schicht. Dies lässt sich anhand des Schaubildes über die
Vermögensverteilung erkennen.8 Auf diesen Aspekt wird bei der Vorstellung der einzelnen
Parallelgesellschaft noch speziell eingegangen.
Beide Gesellschaften waren aber nicht völlig voneinander isoliert, denn es bestanden
vielfältige vertikale Beziehungen zwischen den Mitgliedern. So gehörten die Sklaven und
Freigelassenen stets zur familia ihres Herrn und Freigelassene konnten ein Patron-KlientenVerhältnis mit Freigeborenen eingehen. Ebenso gab es die Freundschaft, die aber nur selten
gleichrangig war. Meist wurde zwischen „ranghöheren“ Freunden, von gleichem oder
höherem Niveau, sowie „rangniederen“ Freunden unterschieden. Die persönlichen
Beziehungen beschränkten sich nicht nur auf den Austausch von Gefälligkeiten, sondern
waren ein Kontrollinstrument, um das soziale Gleichgewicht zu wahren. Senatoren und große
Ritter konnten so weitreichend Einfluss nehmen.9
1.1. Die Welt der Freigeborenen
Die Freigeborenen teilen Jacques und Scheid, wie schon erwähnt, in humiliores und
honestiores. Zu den kleinen Leuten zählten neben der ländlichen und städtischen plebs auch
die Armeeangehörigen. An der untersten Stufe der „ehrbaren Leute“ waren die lokalen Eliten
bzw. städtischen Aristokratien zu finden, die aus Honoratioren bestanden und hauptsächlich
lokalen Ämtern nachgingen. Diese teilten sich wiederum in zwei Gruppen. Oben eine
zahlenmäßig kleine Aristokratie (domi nobiles oder die „Ersten“ genannt), die den Großteil
der Ämter für sich reservierte, besonders die prestigeträchtigsten, und so die Städte lenkte.
Ein Teil von ihnen gehörte zu den Richterdekurien oder zum Ritterstand. In der Hierarchie
unter ihnen befanden sich die Dekurionen, Veteranen und Angehörige freier Berufe. Jedoch
8
9
Siehe Anhang, Schaubild 2.
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 352.
5
waren die letztgenannten aufgrund ihrer Tätigkeit von der Teilnahme am öffentlichen Leben
ausgeschlossen.10 Für die Veteranen wirkte ihr Privileg, von der Ausübung städtischer Ämter
befreit zu sein, isolierend. Sie gehörten zwar zur Führungsschicht und erfreuten sich derer
rechtlichen Privilegien, jedoch war ihnen eine echte Ehrbarkeit verwehrt. Nur selten gaben
Veteranen diese Immunität auf, um die Pflichten eines Ehrenamtes zu übernehmen. Ihre
Söhne dagegen mussten am städtischen Leben teilnehmen, wenn sie nicht in den Dienst des
Kaisers traten. Über den lokalen Eliten stand die Reichsaristokratie, bestehend aus Senatoren
und Rittern. Ein Aufstieg innerhalb der Führungsschicht war prinzipiell möglich und keine
Seltenheit. Aber einen Übergang zwischen der Schicht der humiliores und der honestiores
verneinen Jacques und Scheid in ihrer schematischen Darstellung der Gesellschaft, da sie eine
klare Abtrennung zwischen beiden Schichten schaffen.11 Ihre Ausführungen nennen zwar
verschiedene Möglichkeiten, in die Führungsschicht aufzusteigen, jedoch war dies eher eine
Ausnahme: „Eine Erbschaft oder die Früchte eines langen, arbeitsreichen Lebens in der
Landwirtschaft konnten den Eintritt in die Lokalelite ermöglichen.“ Der Aufstieg der
„Handwerker, Händler und Transportunternehmer [...] vollzog sich meistens, indem der Beruf
aufgegeben wurde oder man zumindest einen Teil des Vermögens in ‚ehrbarem’ Bodenbesitz
anlegte.“12 Ebenso konnten die Söhne von reichen Freigelassenen, die zu den ingenui zählten,
die Stellung erlangen, die ihren Vätern versagt war.
Trotz dieser doch relativ klaren Trennung zwischen beiden Schichten, darf nicht davon
ausgegangen werden, dass keinerlei Beziehungen bestanden. Oft wählte man höher gestellte
Personen als Patron oder Freund, um so zu einer gewissen Würde und Sicherheit zu gelangen.
Wer aber keine Beziehung zu einflussreichen Persönlichkeiten besaß, gewann diese nur durch
Verbindungen mit Seinesgleichen. So finden sich in Dörfern und Städten Organisationen,
Zusammenschlüsse und Vereine, die häufig der Geselligkeit dienten.
Ein Einteilungskriterium für die Führungsschicht ist in Form des sozialen Ranges schnell
gefunden. Denn aus Schaubild 2 wird ersichtlich, dass das Vermögen eher eine Nebenrolle
spielte, da viele Ritter und Dekurionen ebenfalls den Senatorenzensus erreichten und trotzdem
ein geringeres Ansehen hatten. Nur innerhalb einer Gruppe wird das Vermögen neben der
machtpolitischen Position als Differenzierung gedient haben. So gab es „keine wirtschaftliche
Schwelle, die sehr bedeutende Lokalhonoratioren (ob Ritter oder nicht), ritterliche Beamte
und ärmere Senatoren getrennt hätte. Für sie alle bewegte sich das Vermögen zwischen drei
und zehn Millionen Sesterzen und diese relative Homogenität erklärt die Solidarität zwischen
10
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 367.
Siehe Anhang, Schaubild 1.
12
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 371f.
11
6
den Ständen sowie die Durchlässigkeit zu den höheren Ständen. Manche Ritter, vor allem
italische, besaßen wohl kaum mehr als den Minimalzensus [...]. Aber bei den meisten wird
das Vermögen mehrere Millionen Sesterzen betragen haben, wobei es aber normalerweise
zehn Millionen nicht überschritten haben dürfte [...].“13 Unter den Senatoren selbst gab es
freilich riesige Unterschiede. Die Spanne umfasste Senatoren, die an der Zensusgrenze lebten
und Senatoren mit einem Vermögen von bis zu 400 Millionen Sesterzen. Ein Vermögen von
20 Millionen HS stellte den Durchschnittswert dar.
Doch wie gestaltete sich die Hierarchisierung in der Schicht der kleinen Leute? Auch hier
wird der soziale Status, z.B. Ausüben eines angesehenen Berufes, aber vor allem das
Vermögen als Orientierung gedient haben. Als weitere Kriterien kommen Freundschaften,
Patronats-Verhältnisse, sowie die Zugehörigkeit zu Vereinen in Frage. Jedoch liefern Jacques
und Scheid dazu keine genauen Angaben.
Anhand von Schaubild 2 zeigt sich ebenso, dass das Kriterium der Ehrbarkeit um vieles
gewichtiger war, als das der wirtschaftlichen Stärke. Das Vermögen war unter den
Mitgliedern der beiden Schichten sehr unterschiedlich verteilt. So verfügten einige der
humiliores über ein Vermögen, das dem eines Dekurionen oder sogar eines Ritters und
Senators in nichts nachstand. Manche von diesen wiederum konnten es nicht mit der
wirtschaftlichen Stärke eines kleinen Mannes aufnehmen. Und nur aufgrund ihrer ehrbaren
bzw. nichtehrbaren Herkunft war den einen die Zugehörigkeit zur Oberschicht gestatten, den
anderen nicht. Die Schichten waren somit völlig inhomogen. In der Oberschicht gab es viele
Abstufungen der Ehrbarkeit und eine Zusammenfassung der lokalen Eliten in einen reichsweit
organisierten Stand war nicht möglich. Jeder ordo besaß daher seine eigene Würde und sein
eigenes Gewicht. „Außerdem gab es keine saubere Trennung zwischen Ritterstand und
Dekurionenständen; sie standen eher nebeneinander als in einer hierarchischen Beziehung.
Die meisten Ritter gehörten zum Rat ihrer Heimatstadt; dort hing ihr Platz nur von den
Ehrenämtern ab, die sie in der Stadt bekleidet hatten.“14
1.2. Die Welt der Sklaven und Freigelassenen
Die Sklaven und Freigelassenen unterschieden sich von den Freigeborenen aufgrund der
juristischen Trennung zwischen unfreier und freier Herkunft. Der Makel ihrer unfreien
Herkunft verhinderte, dass sie echte Ehrbarkeit erreichen konnten, da ihnen die Übernahme
von städtischen Ämtern verwehrt war. Anhand von Schaubild 1 lässt sich erkennen, dass
13
14
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 341.
Ebd. S. 334.
7
Jacques und Scheid von einer klaren Trennung zwischen beiden Welten ausgehen. Die Masse
der Sklaven bildet dabei die unterste Schicht. Für eine Hierarchie unter den Sklaven, sofern es
diese gegeben hat, wird vermutlich das Ansehen ihres Herrn entscheidend gewesen sein, da
das peculium, über welches sie verfügten als Unterscheidungsmerkmal unbrauchbar war.
Ebenso können die Sklaven danach eingeteilt worden sein, ob sie in der Stadt oder auf dem
Land tätig waren, ob sie servi publici oder Diener eines Herrn waren, ob sie auf den Feldern
arbeiteten oder als Verwalter der Güter bzw. des Vermögens ihrer Herrn oder ob sie auf
eigene Rechnung als Handwerker, Händler und Freiberufler tätig waren und ihrem Herrn
lediglich eine Abgabe zahlen mussten. Aber das höchste „Ansehen“ unter den Sklaven
werden stets die kaiserlichen genossen haben.
Bei den Freigelassenen wird der wirtschaftliche Aspekt, also das Vermögen, entscheidend
gewesen sein, wobei die kaiserlichen meist ein höheres Ansehen genossen. Wie schon bei den
Freigeborenen gab es auch hier eine große Disparität des Vermögens. In Schaubild 2 finden
wir sie unter den Freien Berufen, Händlern und Handwerkern, sowie unter den Bauern.
Freigelassene konnten ein enormes Vermögen erwirtschaften, das in Extremfällen (Pallas,
Narcissus) bis zu 400 Millionen Sesterzen betrug. Nur ihr Makel der unfreien Herkunft
verhinderte einen Übergang in die Führungsschicht.
Abzugrenzen von den übrigen kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen sind die, die zentrale
Rollen im Staat innehatten und zu den Führungskräften gezählt werden – dazu mehr im
folgenden Kapitel.
Die Einbindung der Sklaven in staatliche Vereinigungen war sehr gering und sie hatten nur zu
bestimmten Kollegien Zutritt. Die Freigelassenen konnten entweder Vereinen beitreten oder
schufen sich selbst welche. Eine Teilnahme am öffentlichen Leben war für die reichen
Freigelassenen nur als Euergeten oder als augustales möglich.
Den Makel der Unfreiheit konnte nur der Kaiser tilgen. Die Verleihung des Goldrings
bedeutete dabei nicht die völlige Aufhebung des Freigelassenenstatus, aber erlaubte, als
Freigeborener angesehen zu werden. Nur die restitutio natalium löschte den Makel
vollständig aus. Jedoch betrafen diese Maßnahmen in der Regel nur wenige kaiserliche
Favoriten und waren so selten, dass sie keinesfalls als Brücke zwischen beiden Welten
betrachtet werden können.15
15
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 336.
8
2. Die Führungskräfte
Das römische Reich wurde von den bereits angesprochenen Führungskräften regiert. Diese
waren eine sehr kleine Gruppe aus Senatoren, hohen ritterlichen Beamten und kaiserlichen
Freigelassenen und Sklaven. Ihre Zahl nahm in der Hohen Kaiserzeit zu, umfasste jedoch zu
Beginn des 3. Jahrhunderts weniger als 600 Personen.
Die Mehrheit der Senatoren hatte dabei bis ins 3. Jahrhundert die Spitzenpositionen in Justiz
und Heer inne und beherrschte die Provinzialadministration. Der Rang des einzelnen Senators
wurde durch seine Anciennität im Senat und seine Magistraturen festgelegt. Seine
Ehrenstellung entschied dabei, in welchem Maße er vom Kaiser gefördert wurde. Diese hing
direkt mit der dignitas seiner Familie zusammen, vor allem mit ihrem Alter und den Ehren,
die unmittelbare Vorfahren und Verwandte erlangt hatten.16 Für die Senatoren standen unter
Augustus rund 130 Stellen und unter den Severern knapp 200 gleichzeitig zur Verfügung.
Den größten Teil ihrer Positionen übernahmen im 3. Jahrhundert schließlich die hohen
ritterlichen Beamten. Sie waren eine kleine Gruppe von Rittern, die dem Kaiser für ein paar
Jahre oder auch länger auf Spitzenpositionen diente und ca. 1 % der Ritterschaft ausmachte.
Ihre Ämteranzahl steigerte sich von 30 unter Augustus, über ca. 100 zu Beginn des 2.
Jahrhundert auf knapp 200 Stellen in der Mitte des 3. Jahrhunderts. Nach Jacques und Scheid
waren es meist Angehörige der städtischen Aristokratien und Prätorianer. Die Honoratioren
absolvierten zunächst zwei oder drei militiae17, bevor sie, zwischen 30 und 40 Jahre alt, ihren
ersten Posten erhielten. Ältere, die erst spät zu Rittern aufgestiegen sind oder sich zunächst
mit prestigeträchtigen Funktionen begnügt oder zuvor eine juristische Karriere durchlaufen
hatten, mussten nur einen verkürzten Kriegsdienst absolvieren oder waren davon befreit. Die
Prätorianer, die bis zum Zenturionat gelangten und danach ein Primipilat in einer Legion, drei
Tribunate bei den Truppen Roms und häufig eine zweites Primipilat absolvierten, wurden
Prokuratoren.18 Ab Septimius Severus wurde ihre Ausnahmestellung eingeschränkt und
ehemalige Soldaten aus den Legionen bevorzugt. Die Ämterhierarchie der ritterlichen
Beamten war nach Jahresgehältern gegliedert. So gab es die sexagenarii, die centenarii, die
ducenarii und später auch die trecenarii. Seit dem 2. Jahrhundert übernahmen sie nach und
nach die Aufgaben der kaiserlichen Freigelassenen. Die ritterlichen Führungskräfte waren für
die Gesamtheit des Standes immer weniger repräsentativ und es kann nicht von einem
16
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 396.
Diese hatten eine festgelegte Reihenfolge: 1. Präfektur einer Auxiliarkohorte, 2. Tribunat in einer Legion oder
über eine cohors militaria, 3. Präfektur einer Ala. Später war als vierte militia die Präfektur einer ala militaria
möglich (Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 375).
18
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 387.
17
9
allgemeinen Aufstieg des Ritterstandes die Rede sein, wenn einige wenige Ritter dieselbe
Macht und Verantwortung trugen, wie Senatoren.
Die kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen waren zu Beginn der Kaiserzeit auf allen Ebenen
der
internen
und
öffentlichen
Verwaltung
zu
finden
und
hatten
verschiedene
Führungspositionen inne. „Freigelassene Prokuratoren leiteten Abteilungen mit privatem
(alles, was das Vermögen des Kaisers betraf) und öffentlichem Charakter (wie etwa die
Wasserversorgung Roms).“19 Doch seit den Flaviern wurden sie immer weiter zurückgedrängt
und der Autorität von Rittern unterstellt. So durften Freigelassene keine ritterlichen
Prokuratorenstellen verwalten und auch Sklaven war der Prokuratorenposten versperrt. Sie
waren aber weiterhin Kassierer und Schatzmeister. Im 3. Jahrhundert waren sie weitgehend
aus den Behörden verschwunden und durch freigeborene Beamte ersetzt wurden.
Anhand dieser Schilderungen über die Führungskräfte wird ersichtlich, dass in der römischen
Gesellschaft ein Unterschied bestand zwischen Standesangehörigkeit und wirklicher
Ausführung von Ämtern.
3. Die Zwischenkategorien
Ein vieldiskutiertes Problem in der Auseinandersetzung mit der römischen Gesellschaft ist die
Frage nach der Existenz einer Mittelschicht. Denn es ist anzuzweifeln, dass sich jeder, der
nicht über die entsprechende würdige Herkunft verfügte, in diese Dichotomie der Ehrbarkeit
zwängen ließ. So gab es in den Städten und auf dem Land viele Personen, die ein
wirtschaftliches Niveau erreichten, das dem der Honoratioren vergleichbar war, und eine
wichtige Rolle im städtischen Leben spielten, aber aufgrund ihrer niederen Herkunft nicht der
Führungsschicht angehörten. Dass sich diese nun mit den armen Handwerkern, Händlern,
dem einfachen Bauern und mit den Tagelöhnern in eine Schicht einordnen ließen, ist mehr als
fraglich. Zur Beantwortung dieser Frage ist die Tatsache hinderlich, dass wir über keine
genauen Kenntnisse bezüglich der inneren Gliederung der Schicht der humiliores verfügen.
Jacques und Scheid sprechen sich dafür aus, dass „verschiedene Gruppen am Rand der
städtischen Aristokratien (die man durch ihre Rolle bei der Verwaltung der Stadt und ihr
Einkommen, das vor allem aus Grundbesitz kommt, definieren sollte)“ existierten, „die eine
mittlere Position einnehmen und manchmal echte Autonomie und wirklichen Einfluß
besaßen.“20 Dazu gehörten Geschäftsleute, Finanziers, Handwerker und Händler, sowohl
ingenui als auch reiche Freigelassene. Hinter den meisten Händlern und Finanziers wird aber
19
20
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 379.
Ebd. S. 400.
10
ein Angehöriger der oberen Schicht gestanden haben, der indirekt als Investor beteiligt war
oder direkt, indem er seine Schiffe auf dem Namen eines Freigelassenen laufen ließ. „Die
echten Berufshändler und -banker waren häufig von niedriger Rechtsstellung und geringerem
Vermögen.“ Die „professionellen Geschäftsleute“ waren „lokale Finanziers, die sich auf
Operationen vor Ort oder in nächster Umgebung beschränkten, weil ihnen ihr geringes
Vermögen keinen größeren Aktionsradius erlaubte.“21 Daher sprechen sich die beiden
Autoren gegen die Existenz einer reichsweiten oder städtischen „Mittelklasse“ aus. Ebenso
stand den Randgruppen für eine Verfestigung ihre soziale Mobilität im Weg, denn auch ihre
Angehörigen erstrebten, das Vermögen in Grund und Boden anzulegen, um ehrbar zu
werden.22 Weiterhin wäre diese Schicht einer ständigen grundlegenden Erneuerung ausgesetzt
gewesen, da der Großteil der Söhne der reichen Freigelassenen in den ordo decurionum
aufgenommen wurde und städtische Ämter übernahm.
21
22
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 400f.
Dieser Aspekt wird sehr treffend durch das „Gastmahl des Trimalchio“ in Petron. 26-78 geschildert.
11
III.
Der Vergleich mit anderen Modellen
Nachdem wir nun einen Überblick über die Grundprinzipien des Gesellschaftsmodells von
Jacques und Scheid gewonnen haben, ist es an der Zeit dieses den anderen Modellen
gegenüberzustellen. Da der begrenzte Umfang einer Hausarbeit keinen umfassenden
Vergleich mit allen Modellen ermöglicht, sollen hier nur Alföldy und Vittinghoff
herausgegriffen werden. Die Gegenüberstellung wird sich dabei auf einige bestimmte Punkte
beziehen.
1. Alföldy
Alföldy geht wie Jacques und Scheid von einer Dichotomie der römischen Gesellschaft aus
und verweist auf die Begriffe honestiores und humiliores, die er aber in seinen weiteren
Ausführungen durch die Begriffe Ober- und Unterschicht ersetzt. Jacques und Scheid haben
sich, wie dargestellt, bei ihrer Konstruktion der römischen Gesellschaft auf zwei
Hauptkriterien gestützt – die Ehrbarkeit und die juristische Trennung zwischen freier und
unfreier Herkunft. Den sozialen und wirtschaftlichen Aspekt beziehen sie ebenfalls ein, aber
mit einer minderen Bedeutung. Alföldy hingegen geht von einem Komponentengeflecht aus.
Zu den Kriterien gehörten Grundbesitz und finanzielles Vermögen, soziale Herkunft,
politische Macht und Privilegien, Besitz oder Nichtbesitz des Bürgerrechts, persönliche
Freiheit oder Unfreiheit, persönliche Fähigkeiten, sowie Bildung und Verdienste, ethnische
Abstammung und religiöse Zugehörigkeit.23 Ehrbarkeit hingegen brachte der Angehörige der
Oberschicht schon mit. Bestimmend für die ordo-Zugehörigkeit war dabei Grundbesitz,
politische Macht und gesellschaftliches Ansehen. Zur Oberschicht zählen bei beiden
Modellen der ordo senatorius, der ordo equester und der ordo decurionum. Jacques und
Scheid beziehen außerdem die Veteranen in die Schicht der honestiores ein, wohingegen
Alföldy die Gesamtheit der Soldaten in die Unterschicht einordnet. Beide Modelle teilen das
Volk in die plebs urbana und plebs rustica ein.
Den juristischen Aspekt der freien oder unfreien Herkunft bezieht Alföldy zwar in seine
Konzeption mit ein, doch lässt er daraus nicht eine vollständige Parallelgesellschaft der
Sklaven und Freigelassenen, wie bei Jacques und Scheid, entstehen. Seine Ausführungen
gehen aber schon weit in die Richtung der beiden anderen Autoren, vor allem in Bezug auf
die reichen Freigelassenen und die familia Caesaris. In der Unterschicht fügt Alföldy die
23
Alföldy, Géza, Römische Sozialgeschichte, Wiesbaden 31984, S. 94.
12
gewöhnlichen Sklaven und Freigelassenen einfach der plebs urbana und plebs rustica bei,
wodurch eine Dreiteilung der jeweiligen plebs in servi, liberti und ingenui entsteht. Er spricht
sich auch dafür aus, dass auf dem Land die Unterschiede zwischen ihnen teilweise
verwischen.24 Die reichen liberti und die Angehörigen der familia Caesaris hingegen haben
bei ihm eine Art Sonderstellung inne.25 Die reichen Freigelassenen können im Hinblick auf
die wirtschaftliche Lage und die kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen angesichts ihrer
guten wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer Machtstellung zu den sozialen Oberschichten
des Reiches gezählt werden. Nur der Makel der Herkunft verwehrte ihnen einen Eintritt in den
Ritter- und Senatorenstand.26 Die familia Caesaris bezeichnet Alföldy sogar als „einen Ordoähnlichen, juristisch und funktionell definierbaren Personenverband“.27
Beide Modelle arbeiten eine Gruppe der Führungskräfte heraus, die Alföldy als militärischpolitische Führungsschicht des Reiches bezeichnet. Nach Alföldy gehören dazu führende
Senatoren und der „Beamtenadel“, also die Ritter im Staatsdienst.28 Diese sind gleichzusetzen
mit den hohen ritterlichen Beamten bei Jacques und Scheid. Die Funktionen, der Rang und
die Privilegien der senatorischen und ritterlichen Führungskräfte waren voneinander kaum
verschieden. Die entscheidende Trennlinie verlief also nicht zwischen beiden ordines,
sondern zwischen den einzelnen Rangklassen innerhalb der ordines. Die kaiserlichen Sklaven
und Freigelassenen werden nicht explizit in diese Elite eingeordnet, doch erwähnt Alföldy
ihren Einfluss auf die Staatsgeschäfte an verschiedenen Stellen.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist der Aspekt des gesellschaftlichen Aufstiegs. So war dieser
innerhalb der ordines ohne weiteres möglich und die so genannten homines novi kamen
vorwiegend aus den städtischen Oberschichten. Ein Aufstieg von der Unterschicht in die
Oberschicht bzw. von den humiliores zu den honestiores war mit Fleiß, Tüchtigkeit oder einer
Erbschaft zwar durchaus möglich, aber eher eine Ausnahme. Daher schufen sich die
Angehörigen der plebs urbana Ersatzinstitutionen in Form von Vereinen.
Die Mittelstandsproblematik wird von Alföldy nur sehr kurz angesprochen und verneint, da
„für dessen Existenz eigenständige wirtschaftliche Funktionen im Zusammenhang mit der
Betreuung eines breiten technologischen Apparates erforderlich gewesen wäre“.29
24
Alföldy, Römische Sozialgeschichte, S. 121.
In Schaubild 3 als kleine Pyramide innerhalb der Gesellschaftspyramide dargestellt.
26
Alföldy, Römische Sozialgeschichte, S. 112f.
27
Ebd. S. 124.
28
Ebd. S. 109.
29
Ebd. S. 89.
25
13
2. Vittinghoff
Friedrich Vittinghoff glaubt, dass eine verallgemeinerte Gesellschaftsordnung aufgrund der
starken gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Heterogenität nicht konstruierbar ist.
Es herrschte vielmehr eine breite Pluralität verschiedener Gesellschaften vor.30 Weiterhin
lehnt er ein Schichten-System ab und vor allem eine dichotome Einteilung nach den Begriffen
honestiores und humiliores, da diese Begriffe lediglich im strafrechtlichen Sinne gebraucht
wurden. Eine pauschale Einordnung in Ober- und Unterschicht kann, seiner Meinung nach,
nur vorsichtig vorgenommen werden „wegen der häufigen Statusdissonanzen, die durch die
unterschiedlichen Personenrechte, das Stadtbürgerrecht, die Stellung im Familienverband und
Verpflichtungen aus Abhängigkeits- sowie Klientelbeziehungen bedingt waren“.31 Von großer
Bedeutung war hierbei der juristische Aspekt, ob man von freier oder unfreier Herkunft war.
Ebenso hatte man als römischer Bürger verschiedene Rechtsvorteile gegenüber Peregrinen
oder den Latinern. Unter den freigeborenen Bürgern gab es wiederum Personengruppen, die
verschiedene Rechtsvergünstigungen besaßen – Dekurionen, Ritter, Senatoren, Veteranen.
Die
Kernpunkte
im
Gesellschaftsmodell
Vittinghoffs
bilden
die
Familien-
und
Städteverbände. So gliedert sich die kaiserzeitliche römische Gesellschaft von ihrer kleinsten
Einheit, dem römischen Familienverband, über die Stadtgemeinden bis zu den führenden
ordines des römischen Staates, dem ordo equester und dem ordo senatorius. Die familia, die
Blutsverwandte, Adoptierte, alle Vermögenswerte, Sklaven und in abgestufter Form
Freigelassene und Klienten umfasste, stellte dabei eine kleine res publica dar und spiegelte
die gesamtgesellschaftliche Struktur wider.32 Der „gesellschaftliche Status <einer Person>
richtete sich auch nach der persönlichen Stellung in dieser untersten Rechts- und
Sozialisationseinheit. Es war nämlich hierfür nicht gleichgültig, ob man als pater familias die
hausherrliche Vollgewalt (patria potestas) [...] wahrnahm und über das gesamte
Hausvermögen verfügte, ob man als Abhängiger unterworfen war oder sich durch
Emanzipation aus dem Familienverband gelöst [...] hat.“33 Die patria potestas war im Laufe
der Kaiserzeit immer größeren Beschränkungen unterworfen. So erhielten seit Augustus
Soldaten, die dem Hausrecht unterstanden, ein eigenes Eigentumsrecht an beweglichem
Besitz zugesprochen. Weiterhin sicherte sich der Staat ein überlegenes Interventionsrecht,
30
Vittinghoff, Friedrich, Gesellschaft, in: Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 1.
Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 1990, S. 161-276, hier: S.
168f.
31
Ebd. S. 205.
32
Ebd. S. 175.
33
Ebd. S. 172f.
14
z.B. bei der Sittengesetzgebung oder bei den Ehe- und Familiengesetzen. Der römische Staat
erreichte aber nie eine selbständige Handlungsebene wie im modernen Sinne.34
Den zweiten Kernpunkt, die Stadt, bezeichnet Vittinghoff als eine „Bürgergemeinde, die als
fundamentale Sinneinheit in einer überschaubaren Lebenswelt Interessen, Ziele und Wünsche
ihrer Bürger festlegt“. Die Bürger sind durch familiale Beziehungen und durch das
gemeinschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenleben in ein Normen- und
Funktionssystem eingebettet.35 Es gab drei Stadttypen mit unterschiedlichen Rechtsstatus: die
Römerstädte, die Latinerstädte und die peregrinen Gemeinden. Der römische Staat bildete
dann eine Suprastruktur über die Gemeinwesen römischer und peregriner Rechtsstellung.
Da Vittinghoff die Sklaverei hauptsächlich als familiales Phänomen erkennt, spricht er sich
gegen eine eigene Gesellschaft der Sklaven und Freigelassenen aus, wie sie Jacques und
Scheid konstruieren. Würde man nämlich den Sklaven „aus dem Familienverband und damit
der dominanten Sozialbindung an den Herrn“ herauslösen, so bliebe nur ein Abstraktum
„Sklave“.36 Die Unterscheidung „Freier“ und „Sklave“ ist für Vittinghoff, wie auch für
Jacques und Scheid, sozial oft belanglos, da der unterschiedliche personenrechtliche Status
nicht unbedingt verschiedenartige soziale Lagen mit sich brachte.37 Das Haus war für den
Sklaven sozusagen die res publica, weil er außerhalb der Familie nur „Entlaufener“ und kein
Teilnehmer interfamilialer Sozialbeziehungen war. Weiterhin lassen sich die Sklaven
aufgrund ihrer Heterogenität – eine Homogenität bestand nur im Sinne des juristischen
Aspekts – in kein gesellschaftliches Schichtungsmodell einordnen und erst recht nicht in die
unterste Stufe.38 Sie unterschieden sich sozial nach den Funktionen, die ihnen die Herren
zugeteilt hatten, weiterhin ob sie relativ selbständig auf einem eigenen Stück Land bzw. in
einem eigenen Handwerksbetrieb arbeiteten oder servi publici waren.
Die Freigelassenen bilden für Vittinghoff eine Randerscheinung, aber zugleich auch „das am
stärksten dynamische Element der ökonomischen und sozialen Entwicklung.“39 Sie gehörten
weiterhin zur familia und standen meist in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren
Freilassern. Auch sie lassen sich nur schwer aufgrund ihrer Heterogenität in die Unterschicht
einordnen, vor allem die reichen Freigelassenen. Die Aufsteiger waren meist „vom Patron
ökonomisch und auch rechtlich unabhängige Freigelassene, die ihr Vermögen meist über
34
Vittinghoff, Gesellschaft, S. 176f.
Ebd. S. 198.
36
Ebd. S. 182.
37
Jacques und Scheid beziehen das Kriterium der freien und unfreien Herkunft hauptsächlich auf die juristische
Unterscheidung. In Bezug auf den sozialen Aspekt hingegen sprechen sie sich für ähnliche Bedingungen unter
den Sklaven/Freigelassenen und den humiliores aus.
38
Vittinghoff, Gesellschaft, S. 182.
39
Ebd. S. 187.
35
15
Handels- und Banktätigkeiten oder auch als Unternehmer in einer gewerblichen Produktion
oder durch Erbschaften [...] gewonnen hatten. [...] Als finanzkräftige Gruppe hatten sie in
vielen Stadtgemeinden erhebliches kommunales Gewicht.“ Sie suchten gesellschaftliche
Anerkennung und übernahmen daher die Lebens- und Repräsentationsformen der städtischen
Elite.40 Da ihnen der Eintritt in den Stadtrat oder die Bekleidung von Magistraturen verboten
war, haben sie als Ersatzorganisation das Augustalenkollegium geschaffen, um sich von der
plebs abzuheben. Der Versuch von Jacques und Scheid, die Sklaven und Freigelassenen in
eine parallel existierende Gesellschaft einzuordnen, widerspricht, meiner Ansicht nach, nicht
Vittinghoffs Vorstellungen, da beide Autoren diese Personengruppen nicht in Schichten
einteilen und darauf hinweisen, dass sie weiterhin zur familia gehörten.41 Sie schaffen damit
eine Konzeption, die sowohl deren Heterogenität einbezieht, als auch den Grad ihres
Einflusses in der römischen Gesellschaft im Vergleich zu den Freigeborenen erkennen lässt.
Wie schon bei Jacques / Scheid und Alföldy lässt sich auch bei Vittinghoff eine Gruppe von
Führungskräften erkennen. Dazu gehörten zum einen die kaiserlichen Sklaven und
Freigelassenen, deren gehobener sozialer Status die Macht und das Prestige ihres kaiserlichen
Herrn und Patrons widerspiegelte. Sie übten zunehmend als Beauftrage ihres Herrn öffentlichrechtliche Tätigkeiten aus und bewegten sich dadurch auf einer anderen sozialen Ebene als die
übrigen Sklaven und Freigelassenen. Aus der Spannweite ihrer Funktionen ergaben sich auch
die Prestigeunterschiede.42 Die zweite Gruppe der Führungskräfte waren die wenigen im
kaiserlichen Staatsdienst tätigen Ritter. Vittinghoff zählt im 2. Jahrhundert hierzu 550
Offiziersstellen und 110 Stellen für ritterliche Prokuratoren. Er spricht sich wie Jacques und
Scheid gegen einen ordo equester als „kaiserlichen Dienstadel“ aus. Zudem waren viele Ritter
nur einige Jahre im kaiserlichen Dienst tätig und lebten dann wieder als lokale Elite in ihren
Heimatgemeinden.43 Die dritte Gruppe bildeten die Senatoren, die insgesamt in eine
verbindliche Ämterlaufbahn einstiegen.
Die Mittelstandsproblematik stellt sich für Vittinghoff aufgrund der Ablehnung des
Schichtensystems nicht. Er geht darauf nur kurz ein, indem er feststellt, dass sich
„eigentumslose Tagelöhner, Gelegenheits- und Hilfsarbeiter auf dem Land oder im Zentralort,
kleine Gewerbetreibende und Kleinhändler [...] nicht auf der gleichen Stufe der Skala mit
vermögenden selbständigen Bauern [...], mit Besitzern großer Werkstätten [...], Schiffseignern
[...] sowie vielen im Staatsdienst Tätigen [...], Advokaten, Ärzten“ ansiedeln lassen.44 Würde
40
Vittinghoff, Gesellschaft, S. 189.
Jacques / Scheid, Rom und das Reich, S. 347.
42
Vittinghoff, Gesellschaft, S. 190f.
43
Ebd. S. 223.
44
Ebd. S. 205.
41
16
man von einem Schichtungsmodell ausgehen, so bliebe nur, die städtische Oberschicht über
die Dekurionen hinaus zu erweitern oder die Existenz einer Mittelschicht zu postulieren.
Gesondert führt Vittinghoff die römische Armee auf, „die sich in keine gesellschaftliche
Struktur eingliedern läßt, weil sie weitgehend deren Spiegelbild darstellte.“45 So waren die
höheren Offiziere und Truppenführer stets Senatoren oder Ritter und auch die
personenrechtliche Untergliederung in römische Bürger und Peregrine wurde berücksichtigt.
Ebenso wurden Sklaven und Freigelassene, wie auch bei den verschiedenen Ämtern, für den
Kriegsdienst als unwürdig empfunden. Jacques und Scheid hingegen haben diese
Eingliederung unternommen. Dabei darf angenommen werden, dass sie die im Militär tätigen
Ritter und Senatoren nicht unter die bei den humiliores aufgeführten Armeeangehörigen
einordnen, sondern in der Schicht der honestiores – eben nur nicht speziell aufgeführt. In
beiden Modellen genießen die Veteranen die gleichen Privilegien und Sonderrechte wie die
ordines. Vittinghoff weist aber daraufhin, dass es soziale Unterschiede zwischen den
Veteranen gab. So waren die Veteranen der Legionen gegenüber den Veteranen der Kohorten
und Alen im Vorrang, ebenso war der Dienstgrad entscheidend.46
Im Punkt der sozialen Mobilität stimmt Vittinghoff mit Jacques / Scheid und Alföldy überein,
dass Aufstiege hauptsächlich innerhalb der drei ordines möglich waren. So rekrutierte sich der
Senatorenstand aus dem Ritterstand und durch außerordentliche Leistungen im Heer konnte
man in den Ritterrang aufsteigen. Jedoch verweist er darauf, dass der Begriff der
gesellschaftlichen
Mobilität
nur
unzureichend
die
soziopolitischen
Veränderungen
kennzeichnet. Dies zeigt sich darin, dass viele equites Romani Mitglieder eines
Dekurionenrates waren, obwohl man von einer „wechselseitigen Exklusivität“ ausgehen
müsste. Jacques und Scheid sprechen auch eher von einem nebeneinander der beiden Stände
als von einer wirklichen hierarchischen Beziehung. Sozioökonomisch dürfte ähnliches analog
zutreffen, da sich die Vermögenslagen der drei ordines überschnitten. Darauf haben auch
Jacques und Scheid mit ihrem Schaubild der Stratifikation der römischen Gesellschaft gemäß
dem Vermögen hingewiesen. Vittinghoff begreift die Stände eher „als offizielle
Prestigehierarchie, als Rangstufenfolge in der Autoritätsstruktur des politischen Systems
[begreifen], wobei ein Aufstieg in ihnen auch eine gesellschaftliche Aufwertung mit
wachsenden soziopolitischen Einflußchancen bedeutete.“47 Alföldy vertritt hier die Meinung,
dass die entscheidende Trennlinie nicht zwischen den beiden obersten Ständen verlief,
sondern zwischen den Rangklassen innerhalb eines ordo.
45
Vittinghoff, Gesellschaft, S. 240.
Ebd. S. 242
47
Ebd. S. 250.
46
17
IV.
Abschließende Bemerkung
François Jacques und John Scheid haben ihre Konzeption der römischen Gesellschaft nach
den beiden Hauptkriterien Ehrbarkeit und juristische Trennung zwischen freier und unfreier
Herkunft konstruiert. Daraus bilden sie ein dichotomes Modell der honestiores und
humiliores. Aus der Schicht der ehrbaren Leute heben sie die Führungskräfte hervor, die den
Staat zusammen mit dem Kaiser regierten. Der juristische Aspekt bewirkt die Konstruktion
einer Gesellschaft der Sklaven und Freigelassenen, die parallel zu der der Freigeborenen
existierte und diese kopierte. Jedoch gehen die beiden Autoren nur sehr knapp auf diese
Parallelgesellschaft ein. Somit fehlen genauere Beschreibungen über deren inneren Aufbau.
Ebenso knapp fallen die Schilderungen bezüglich der Schicht der humiliores aus. Die Autoren
konzentrieren sich in ihrer Darstellung der römischen Gesellschaft hauptsächlich auf die
Führungsschichten und die Führungskräfte.
Als eine der wenigen gehen sie in ihrer Konzeption explizit auf die Mittelstandsproblematik
ein und sprechen sich dabei gegen einen etablierten Mittelstand aus, befürworten aber die
Existenz von Zwischenkategorien – Gruppen, die am Rand der städtischen Aristokratien eine
mittlere Position einnahmen und mitunter echte Autonomie besaßen.
In der Gegenüberstellung zu Géza Alföldy haben sich zwischen beiden Modellen viele
Berührungspunkte ergeben. So gehen beide von einer Dichotomie aus, für deren Einteilung
Alföldy aber ein Komponentengeflecht befürwortet. Er gesteht den Sklaven und Freigelassen
eine Sonderrolle zu, begrenzt dies aber auf die reichen Freigelassenen und die familia
Caesaris. Ebenso arbeitet er Führungskräfte heraus, die den Staat leiten. Dagegen wird ein
Mittelstand von ihm kategorisch abgelehnt.
Friedrich Vittinghoff lehnt die von Jacques und Scheid gefundene dichotome Einteilung
vollkommen ab und baut seine Konzeption auf den Familien- und Stadtverbänden auf. Auch
eine Parallelgesellschaft der Sklaven und Freigelassenen lehnt er ab, da diese nicht aus der
familia herausgelöst werden können. Übereinstimmungen finden sich in den Aspekten der
Führungskräfte und der sozialen Mobilität.
In den vorangegangenen Ausführungen hat sich gezeigt, dass es zwischen den Modellen
einige Grundkonstanten, aber auch viele verschiedene Ansätze zur Konstruktion der
römischen Gesellschaft gibt. Einen Konsens darüber, welche endgültig die richtigen sind,
wird sich nur schwer oder gar nicht finden lassen, da sich das zur Verfügung stehende
Material hauptsächlich auf die hohen Stände konzentriert und die Darstellungen aus der
römischen Zeit hauptsächlich von deren Vertretern verfasst wurden.
18
V.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen:
Petronius Arbiter, Satyricon reliquiae, quartum edidit Konrad Müller, Stuttgart / Leipzig
1995.
Sekundärliteratur:
Alföldy, Géza, Römische Sozialgeschichte, Wiesbaden 31984.
Christ, Karl, Grundfragen der römischen Sozialstruktur, in: Eck, Werner / Galsterer, Hartmut /
Wolff, Hartmut, Studien zur antiken Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff, Köln
/ Wien 1980, S. 197-228.
Jacques, François / Scheid, John, Rom und das Reich in der hohen Kaiserzeit 44 v. Chr. bis
260 n. Chr., Bd. 1. Die Struktur des Reiches, Stuttgart / Leipzig 1998.
Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Bd. 3. Von Sullas Tode bis zur Schlacht von
Thapsus, Berlin 131922.
Rostovtzeff, Michael, Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich, 2 Bde., Leipzig
1929.
Veyne, Paul, Das Leben des Trimalchio, in: ders., Die römische Gesellschaft, München 1995,
S. 9-50.
Vittinghoff, Friedrich, Soziale Struktur und politisches System der hohen römischen
Kaiserzeit, in: HZ 230 (1980), S. 31-55.
Vittinghoff, Friedrich, Gesellschaft, in: Handbuch der europäischen Wirtschafts- und
Sozialgeschichte, Bd. 1. Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der römischen
Kaiserzeit, Stuttgart 1990, S. 161-276.
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