Thomas von Aquin, Summa theologiae

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Thomas von Aquin, Summa theologiae
Textauswahl (deutsch):
– STh I, Prologus
– STh I, qu. 1, a. 1–3
– STh I, qu. 2, prologus
– STh I, qu. 3, prologus
– STh III, prologus
Vorwort
Der Lehrer der katholischen Wahrheit hat nicht nur die Aufgabe, die
Fortgeschrittenen tiefer in die Wissenschaft einzuführen; er soll sich – nach 1 Kor
3,1: „Ich gab euch, gleichsam Kinder in Christus, Milch zur Nahrung, nicht feste
Speise” – auch dem Unterricht der Anfänger widmen. Darum wollen wir in diesem
Werke den Inhalt der christlichen Religion so darstellen, dass auch Anfänger folgen
können.
Wem nämlich dieser Stoff noch neu ist, der wird bei seinem Studium durch die
Eigenart der vorhandenen Lehrbücher eher gehemmt als gefördert. Nutzlose Fragen,
Artikel, Beweisführungen häufen sich; man bietet den Lehrstoff nicht in planvoller
Ordnung, sondern wie es die Erklärung des jeweiligen Textes verlangt oder wo sich
gerade Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung zeigt. Bei solchem Vorgehen sind
häufige Wiederholungen und damit für den Hörer Unklarheit und Überdruss
unvermeidlich.
Wir werden derartige Fehler zu vermeiden suchen und wollen mit Gottes Beistand
den Inhalt der hl. Lehre so kurz und so klar vorlegen, wie es der Gegenstand erlaubt.
Frage I: Die heilige Lehre, ihre Art und ihr Gegenstand
Vor allem müssen wir unsere Aufgabe fest umgrenzen und daher zunächst
untersuchen, welcher Art diese Lehre ist, die wir als „heilige Lehre” bezeichnen, und
worauf sie sich erstreckt. Es ergeben sich zehn Einzelfragen: 1. Ist diese Lehre
notwendig? 2. Ist sie eine Wissenschaft? 3. Ist sie nur eine oder zerfällt sie in
mehrere Wissenschaften? 4. Gehört sie zu den spekulativen oder zu den praktischen
Wissenschaften? 5. Wie gestaltet sich ihr Verhältnis zu den anderen Wissenschaften?
6. Kann man sie Weisheit nennen? 7. Welches ist ihr Gegenstand? 8. Kennt sie ein
Beweisverfahren? 9. Darf sie Sinnbilder und Gleichnisse verwenden? 10. Läßt die Hl.
Schrift, die Quelle dieser Lehre, in ihrer Auslegung einen mehrfachen Sinn zu?
1. Artikel: Haben wir außer den philosophischen Wissenschaften noch eine andere
Lehre notwendig?
1. Auf den ersten Blick scheint diese Notwendigkeit nicht einleuchtend. Denn nach
dem, was über die Vernunft hinausgeht, soll der Mensch nicht verlangen. ”Was für
dich zu hoch, das suche nicht” (Sir 3, 22). Alles aber, was zum Bereich der Vernunft
gehört, wird uns hinreichend vermittelt durch die philosophischen Wissenschaften,
so dass wir ohne jede weitere Wissenschaft auskommen
2. Die Wissenschaft handelt nur von dem, was ist. Gegenstand des Wissens ist
nämlich das Wahre, und dieses fällt zusammen mit dem, was ist. Nun handeln aber
schon die philosophischen Wissenschaften von allen Bereichen des Seienden, auch
von Gott, weshalb ein Teil der Philosophie nach Aristoteles auch „natürliche
Theologie” oder Gotteslehre heißt [Metaphysik VI]. Wir haben daher außer den
philosophischen keine weitere Wissenschaft notwendig.
Anderseits sagt der hl. Paulus: „Alle von Gott eingegebene Schrift ist nützlich zur
Belehrung, zur Zurechtweisung, zur Besserung und zur Unterweisung in der
Gerechtigkeit” (2 Tim 3, 16). Die inspirierten Schriften aber gehören nicht zu den
philosophischen
Wissenschaften,
die
die
Frucht
bloß
menschlicher
Verstandestätigkeit sind. Es ist also wohl von Nutzen, dass es außer den
philosophischen eine weitere Wissenschaft gibt, die auf göttlicher Eingebung beruht.
Antwort: Das Heil der Menschen verlangt außer den philosophischen
Wissenschaften, die im Bereich der menschlichen Vernunft bleiben, eine Lehre, die
auf göttlicher Offenbarung beruht. Zunächst deshalb, weil Gott den Menschen für ein
Ziel bestimmt hat, das die Fassungskraft der Vernunft übersteigt. Is 64, 4: „Außer dir
hat kein Auge gesehen, was du, o Gott, denen bereitet hast, die dich lieben.” Das Ziel
aber muß dem Menschen vorher bekannt sein, wenn er sein Wollen und Handeln
darauf einstellen soll. Darum mussten dem Menschen, sollte er sein Heil nicht
verfehlen, durch göttliche Offenbarung manche Dinge kund werden, die über die
menschliche Vernunft hinausgehen. Aber auch jene Wahrheiten über Gott, die an
sich der menschlichen Vernunft erreichbar sind, mussten dem Menschen geoffenbart
werden. Denn die Erforschung dieser Wahrheiten wäre nur wenigen möglich, würde
viel Zeit in Anspruch nehmen und auch dann noch mit viel Irrtum verbunden sein.
Und dabei hängt von der Erkenntnis dieser Wahrheiten das Heil des Menschen ab,
das in Gott gelegen ist. Sollten die Menschen daher größerer Zahl und mit größerer
Sicherheit das Heil erlangen, so musste Gott ihnen diese Wahrheiten offenbaren. So
war also neben den philosophischen Wissenschaften, die rein auf der
Forschungsarbeit der menschlichen Vernunft beruhen, eine heilige Lehre notwendig,
die auf göttlicher Offenbarung gründet.
Zu 1. Gewiss soll der Mensch, was für sein Erkennen zu hoch ist, nicht mit den
Kräften seiner Vernunft erforschen wollen; wenn Gott es ihm aber offenbart, muss er
es im Glauben annehmen. Deshalb heißt es a. a. 0. (V. 25) weiter: „Es ist dir vieles
gezeigt worden, was über Menschenerkennen hinausgeht.” Und gerade mit diesen
Dingen beschäftigt sich die heilige Wissenschaft.
Zu 2. Ein verschiedener Grund der Erkennbarkeit bedingt auch eine Verschiedenheit
in den Wissenschaften. So beweisen der Astronom und der Physiker denselben Satz,
z.B. dass die Erde rund ist. Doch tut es er Astronom mit Hilfe der Mathematik, also
durch ein abstraktes Beweismittel; der Physiker dagegen auf Grund konkreter
Beobachtungen. In gleicher Weise können dieselben Dinge, soweit sie der Vernunft
zugänglich sind, Gegenstand der philosophischen Wissenschaften und zugleich,
soweit sie durch die Offenbarung erkannt werden, auch noch Gegenstand einer
anderen Wissenschaft sein. Die Theologie also, welche zur hl. Lehre gehört,
unterscheidet sich der Gattung nach voll jener, die einen Teil der Philosophie bildet.
2. Artikel: Ist die heilige Lehre eine Wissenschaft?
1. Jede Wissenschaft gründet in Prinzipien, die durch sich selbst einsichtig sind. Die
hl. Lehre aber geht zurück auf Glaubensartikel, die als solche nicht durch sich selbst
einsichtig sind und deshalb auch nicht von allen angenommen werden. „Denn nicht
alle finden den Glauben” (2 Thess 8, 2). Die hl. Lehre ist also keine Wissenschaft.
2. Von den Einzeldingen gibt es keine Wissenschaft. Die hl. Lehre aber handelt von
den Einzeldingen, z.B. von den Taten Abrahams, Isaaks und Jakobs und Ähnlichem.
Also ist die hl. Lehre keine Wissenschaft.
Anderseits sagt der hl. Augustinus: „Unter diese Wissenschaft fällt nur, was den
heilbringenden Glauben zeugt, nährt, verteidigt und stärkt.” Dafür kommt aber keine
andere Wissenschaft in Betracht als die hl. Lehre. Also ist die hl. Lehre eine
Wissenschaft.
Antwort: Die hl. Lehre ist eine Wissenschaft. Aber es gibt eine doppelte Art von
Wissenschaft. Die eine stützt sich auf Prinzipien, die durch das natürliche Licht des
Verstandes einsichtig sind, wie z.B. die Arithmetik, die Geometrie u. a.; eine zweite
Art auf Prinzipien, die durch das Licht einer höheren, übergeordneten Wissenschaft
einsichtig werden. So gründet z.B. die Lehre von der Perspektive in Prinzipien, die
durch die Geometrie, die Musik in solchen, die durch die Arithmetik einsichtig sind.
Und zu dieser zweiten Art von Wissenschaft zählt die hl. Lehre, weil sie sich auf
Prinzipien stützt, die durch das Licht einer höheren Wissenschaft erkannt werden,
nämlich der Wissenschaft Ottos und der Seligen. Wie sich also die Musik auf die
Prinzipien verlässt, die ihr von der Arithmetik vermittelt werden, so nimmt die hl.
Lehre die Prinzipien gläubig an, die ihr von Gott geoffenbart sind.
Zu 1. Die Prinzipien einer jeden Wissenschaft sind entweder einsichtig durch sich
selbst oder sie werden auf die Einsicht einer höheren Wissenschaft zurückgeführt. So
die Prinzipien der hl. Lehre (vgl. oben).
Zu 2. Die Einzeldinge werden zwar in der hl. Lehre auch berührt, doch nicht so, als
wären sie Hauptsache. Sie dienen etwa als Beispiel für das Leben, wie in den
Moralwissenschaften, oder zum Erweis für die Autorität jener Männer, durch die die
göttliche Offenbarung, das Fundament der Hl. Schrift oder Lehre, uns zuteil
geworden ist.
3. Artikel: Ist die heilige Lehre eine einzige Wissenschaft?
1. Die hl. Lehre überschreitet doch wohl den Rahmen einer einzigen Wissenschaft;
denn „die Einheitlichkeit einer Wissenschaft kommt von der Art-Einheit ihres
Gegenstandes” (Aristoteles). Die Gegenstände der hl. Lehre aber, wie Gott und
Geschöpf, gehören nicht zu einer Art-Einheit. Die hl. Lehre wäre also nicht eine
einzige Wissenschaft.
2. Die hl. Lehre handelt unter anderem auch von den Engeln, von der Körperwelt,
von den Sitten der Menschen. Diese Dinge fallen aber unter verschiedene
philosophische Wissenschaften. Also kann auch die hl. Lehre nicht eine einzige
Wissenschaft sein.
Anderseits spricht die Hl. Schrift von der hl. Lehre als von einer einzigen
Wissenschaft: „Sie [die Weisheit] verlieh ihm die Wissenschaft der Heiligen” (Weish
10, 10).
Antwort: Die hl. Lehre ist eine einzige Wissenschaft. Die Einheit eines [Seelen]Vermögens und der ihm entsprechenden Fertigkeit richtet sich nämlich nach dem
Gegenstande, freilich nicht nach seinem wirklichen Sein, sondern nach jener
formalen Seite, die jeweils seinen Gegenstandscharakter bestimmt. So kommen z.B.
Mensch, Esel und Stein überein in ihrer Eigenschaft als farbige Dinge, die als solche
Gegenstand des Gesichtssinnes sind. So betrachtet auch die hl. Lehre alles nur sofern
es von Gott geoffenbart ist (vgl. Art. 2). Es kommt somit alles, was nur irgendwie von
Gott geoffenbart werden kann, überein in dem einen gemeinsamen Formalgrund,
der den Gegenstand dieser Wissenschaft seinem besonderen Gegenstandscharakter
bestimmt. Und so gehört alles das zur hl. Lehre als zu einer einzigen Wissenschaft.
Zu 1. Die hl. Lehre handelt nicht in der gleichen Weise von Gott und von den
Geschöpfen, sondern von Gott als dem Hauptgegenstand, von den Geschöpfen aber
nur, soweit sie eben eine Beziehung haben zu Gott als zu ihrem Ursprung und zu
ihrem Ziel. So wird die Einheit der Wissenschaft nicht gefährdet.
Zu 2. Es steht nichts im Wege, dass die niederen Seelen-Vermögen und die ihnen
entsprechenden Fertigkeiten sich unterscheiden nach der Verschiedenheit jener
Gegenstandsbereiche, die zusammen unter ein einziges höheres Vermögen oder eine
einzige höhere Fertigkeit fallen. Denn das höhere Vermögen oder die höhere
Fertigkeit erfasst den Gegenstand unter einem allgemeineren Gesichtspunkt. So ist
der Gegenstand des Gemeinsinnes das Sinnenfällige überhaupt, das das Sichtbare
und das Hörbare unter sich begreift. Daher erstreckt sich der Gemeinsinn, wiewohl
er ein einziges Vermögen darstellt, auf alle Gegenstände der fünf Einzelsinne. –
Ähnlich kann nun die hl. Lehre unbeschadet ihrer Einheit alles, was in den
verschiedenen philosophischen Wissenschaften behandelt wird, unter einem
einzigen Gesichtspunkt betrachten: soweit es Inhalt göttlicher Offenbarung sein
kann; und so ist dann die hl. Lehre eine Art Einprägung des göttlichen Wissens, das
in höchster Einheit und Einfachheit alles umfasst.
Frage II: Gottes Dasein
Die Hauptaufgabe dieser hl. Lehre liegt also darin, uns Gott erkennen zu lassen,
nicht nur wie er in sich ist, sondern auch soweit er Ursprung und Ziel der Dinge und
im besonderen der vernünftigen Geschöpfe ist (1, 7). Wir handeln also: 1. über Gott;
2. über die Bewegung der vernünftigen Schöpfung zu Gott hin; 3. über Christus, der
als Mensch für uns der Weg zu Gott ist.
Die Abhandlung über Gott hat drei Teile: 1. Über das Wesen Gottes; 2. über den
Unterschied der göttlichen Personen; 3. über den Ausgang der Geschöpfe von Gott.
Beim Wesen Gottes werden wir fragen: 1. Ob er ist; 2. wie er ist, oder vielmehr, wie er
nicht ist; 3. wie er tätig ist, wobei das Wissen, der Wille und die Macht Gottes
untersucht werden. Die Frage nach dem Dasein Gottes zerfällt wieder in drei
Einzelfragen: Ist es selbst-verständlich, dass es einen Gott gibt? Lässt sich das Dasein
Gottes beweisen? Gibt es wirklich einen Gott?
Frage III: Die Einfachheit Gottes
Ist das Dasein eines Dinges einmal erwiesen, dann können wir weiter fragen nach
seiner Daseinsweise, um so schließlich zu seinem Wesen vorzudringen. Bei Gott
können wir freilich nicht wissen, was er ist, sondern höchstens, was er nicht ist.
Deshalb können wir auch bei Gott nicht untersuchen, wie er ist, sondern nur, wie er
nicht ist. So werden wir also fragen: 1. wie Gott nicht ist; 2. wie er von uns erkannt
wird, und 3. welche Namen ihm beizulegen sind.
Wie Gott nicht ist, zeigen wir nun am besten, indem wir alles von ihm ausschließen,
was mit unserer Vorstellung von Gott nicht vereinbar ist, wie Zusammensetzung,
Veränderlichkeit usw. Zunächst also untersuchen wir seine Einfachheit, durch die
jede Zusammensetzung von ihm ausgeschlossen wird. Und weil in der Körperwelt
das Einfache unvollkommen und stets nur Teil eines Ganzen ist, müssen wir 2.
Gottes Vollkommenheit untersuchen; dann 3. seine Unendlichkeit; 4. seine
Unwandelbarkeit; 5. seine Einheit. Für die Untersuchung der Einfachheit Gottes
ergeben sich acht Einzelfragen: Ist Gott ein Körper? Gibt es in Gott eine
Zusammensetzung aus Wesensstoff und Wesensform? Gibt es bei Gott eine
Zusammensetzung im Wesen selbst, aus Wesen und Wesensträger? Gibt es in Gott
die Zusammensetzung von Wesen und Dasein? Gibt es in Gott die Zusammensetzung
von Gattung und Artunterschied? Gibt es in Gott die Zusammensetzung von
Eigenschaftsträger und Eigenschaft? Gibt es in Gott überhaupt eine
Zusammensetzung oder ist er ganz einfach? Kann Gott eine Zusammensetzung
eingehen mit anderen Dingen?
STh III, prologus
Unser Herr und Heiland Jesus Christus hat nach dem Zeugnis des Engels (Mt 1,21)
sein Volk von der Sünde erlöst und uns in sich selbst den Weg der Wahrheit
gewiesen, auf dem wir durch die Auferstehung zur ewigen Seligkeit gelangen können.
Eine vollständige Darstellung der ganzen Theologie verlangt daher, dass wir nach der
Behandlung unseres letzten Zieles sowie der Tugenden und Laster unseren Blick
nunmehr auf den Welterlöser selbst und auf Seine dem Menschengeschlecht
erwiesenen Wohltaten richten.
Unser Gegenstand wird also ein dreifacher sein: 1. der Erlöser in sich; 2. seine
Sakramente, durch die wir das Heil erlangen; 3. das ewige Leben in seiner
Vollendung, zu dem er uns durch die Auferstehung führt.
Das erste stellt uns vor eine doppelte Aufgabe: einmal müssen wir das Geheimnis der
Menschwerdung selbst betrachten – dass nämlich Gott unseres Heiles wegen
Mensch geworden ist –, und zweitens, was unser Heiland, der menschgewordene
Gott, getan und gelitten hat.
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