SOZIALREFERAT DER DI ÖZESE LINZ Sozialpredigthilfe 184/05 Betet ohne Unterlass! – Aber wofür? Predigthilfe für eine Bittprozession Vorbemerkung: Bittprozessionen haben v.a. in ländlich geprägten Regionen immer noch eine starke Tradition. Dabei hat sich im entsprechenden volksreligiösen Brauchtum, aber auch in anderen (v.a. liturgischen) Zusammenhängen des Betens ein theologisch oft sehr fragwürdiges Verständnis des Bittgebets entwickelt. Diese Problematik versucht der vorliegende Predigtvorschlag zu thematisieren und aufzulösen. Predigtvorschlag zu Lk 18,1-8a Ich habe diese Evangelienstelle für die Bittprozession ausgewählt, weil schon beim ersten Hinhören das Thema eindeutig zu passen scheint: Es geht ums Beten bzw. Bitten. Jesus ermuntert seine JüngerInnen zu unermüdlichem Gebet und erzählt dazu dieses Gleichnis vom selbstgefällig-trägen Richter und der penetrant ihr Recht einfordernden Witwe, deren Bitten und Betteln schließlich Erfolg zu haben scheint. Die vorschnell gezogene Moral von der Geschichte könnte also lauten: „Betet ohne Unterlass! D.h.: Bettelt, liegt Gott hemmungslos in den Ohren mit Euren Wünschen und Anliegen! Dann wird Er sich schon erweichen und auf Euch hören. Nur wer lästig genug ist, hat Erfolg.“ – Viele unserer Gebete scheinen tatsächlich von dieser Art zu sein – ob nun in Form von Fürbitten für den Gottesdienst oder von individuellen Stoßseufzern oder eben auch im Rahmen einer Bittprozession: Das sind oft nichts anderes als „In-die-Pflicht-Rufungen“ Gottes, damit Er erfülle, wozu unsere Kräfte nicht reichen; Gebete also wie vorweihnachtliche Wunschzettel oder wie das Gequengel der Kinder vor dem Regal mit den Naschereien und Spielsachen; Gebete als Rahmen und Projektionsflächen unserer heißesten Wünsche und Sehnsüchte, die dann – was Wunder? – auch oft genug frustriert und enttäuscht werden. Denn so kann’s ja wohl doch nicht gemeint sein! Wie sollte das denn auch funktionieren? Käme Gott damit nicht in grobe Schwierigkeiten und Ungereimtheiten? Die Einen rufen – nur um ein Beispiel zu geben – nach längst fälligen Reformen in der Kirche, die Anderen bunkern sich gebetsweise ein, dass nur alles ja so bleibe, wie’s ist – oder noch besser: wie’s früher einmal war. Oder: Unsere Bauern beten für ihre Felder um Regen, die Frem25 380 184 Sozialpredigt 184: Betet ohne Unterlass! – Aber wofür? denverkehrswirtschaft um möglichst lang anhaltende Schönwetterperioden. Welcher Bitte sollte Gott da Folge leisten, auf wen soll Er mehr hören? Etwa auf die, die eben ausdauernder, penetranter, andächtiger oder einfach zuerst gebetet haben?!? – Aber ist nicht die Vorstellung an sich schon verquer und abstrus: Gott sozusagen als vielleicht träges, schließlich aber doch irgendwann tätig werdendes Amt zur Erfüllung von Wünschen aller Art? – Nein, Gott ist keine Bedürfnisbefriedigungsanstalt! Völlig zurecht, wenn auch unbequem und sperrig hat Antoine de Saint-Exupéry deshalb einmal formuliert: „Ein Gott, der sich berühren lässt, ist kein Gott mehr. Er ist es auch nicht mehr, wenn Er dem Gebet gehorcht. ... die Größe des Gebets beruht vor allem darauf, dass ihm nicht geantwortet wird und dass dieser Austausch nichts mit einem schäbigen Handel zu tun hat.“1 – Das ist ein völlig anderer Begriff von Beten: Wesen und Größe des Gebets bestehen darin, „dass ihm nicht geantwortet wird“! Denn das Gebet ist letztlich Ausdruck der lebendigen und liebenden Beziehung zwischen Mensch und Gott. Weil aber die Liebe erst dort beginnt, wo kein Geschenk mehr zu erwarten ist, besteht das Erlernen des Gebets nach Saint-Exupéry letztlich im Erlernen des Schweigens – des Schweigens über die eigenen Wünsche wohlgemerkt! Was aber hat das noch mit dem Gleichnis aus dem vorhin gehörten Evangelium zu tun? Ist hier nicht überdeutlich vom unablässigen Aussprechen des Erbetenen und vom Erhören dieser Gebete durch Gott die Rede – sowohl im Gleichnis vom Richter und der Witwe als auch in den ausdeutenden Worten Jesu? – Das schon, aber in einer möglicherweise entscheidenden Präzisierung: Sowohl im Gleichnis als auch in seiner Ausdeutung ist etwas sehr wesentliches über den Inhalt der Gebete ausgesagt, die Gott erhört. Die lästige Witwe verlangt vom Richter nicht irgendetwas, sondern ein ihr offenbar zustehendes Recht. Und ähnlich beschreibt Jesus das Handeln Gottes als Reaktion auf den Hilferuf seiner Gläubigen: „Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen.“ Es geht also nicht um xbeliebige Wünsche, Sehnsüchte und Anliegen, sondern um Gerechtigkeit und Recht. Das sind offenbar entscheidende Kategorien des Gottesreiches, und auch daraus lässt sich etwas für die christliche Gebetspraxis ableiten: Der Schriftsteller Elias Canetti nannte das Beten einmal „Einübung der Wünsche“. Man ist geneigt zu fragen, ob man das Wünschen denn erst lernen und einüben muss, ob das denn nicht schon jedes Kind perfekt beherrscht. Aber gerade darum geht es: Es geht offenbar nicht um das Aussprechen irgendwelcher, sondern um das Aussprechen der richtigen Wünsche. Und der nach Maßgabe unseres Evangeliums richtige Wunsch, also das 1 Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste. 2 Sozialpredigt 184: Betet ohne Unterlass! – Aber wofür? richtige Gebet hat eben nicht irgendetwas, sondern hat die Bitte um Gerechtigkeit zum Inhalt: Gerechtigkeit nicht im Sinne von „Jedem das Seine“ oder von Leistungsgerechtigkeit; nein, Gerechtigkeit beschreibt in der Sprache der Bibel immer das Lebensrecht der Schwachen und Schutzlosen, das Recht jener, die nicht selbst für ihr Recht sorgen können und denen es deshalb vorenthalten wird. Das ist ja auch der Grund, weshalb die Protagonistin unseres Gleichnisses ausgerechnet eine Witwe ist: Witwen galten in der Gesellschaft zur Zeit Jesu als Inbegriff von Schutz- und Rechtlosigkeit. Damit ist aber sehr viel und sehr Deutliches über das Beten gesagt: Richtig Beten heißt demnach nicht von dieser Erde weg auf irgendwelche fromme Andachtsbildchen starren, sondern zunächst in aller Schärfe sehen, was ist, wie es steht um diese Welt und um das Recht der Schwachen und Schutzlosen. Und das ist dann auch der eigentliche und diesem klaren Sehen entsprechende Inhalt christlichen Betens: Benennen von Unrecht und Benachteiligung der jeweils Armen und Schwachen und Ruf nach Gerechtigkeit für sie. Es geht dabei gar nicht darum, dass Gott etwa erst auf diese Nöte und Missstände aufmerksam gemacht werden müsste, damit er endlich etwas unternimmt. (In diesem Sinn ist das Bild des selbstgefällig-trägen Richters eben gerade nicht 1:1 auf Gott zu übertragen.) Das Gebet hat also nicht den Sinn, Gott zu bewegen, sondern es bringt vielmehr im Betenden selbst etwas in Bewegung. Das Sehen und Benennen von Unrecht und Not lässt den Betenden selbst nicht unberührt, verändert seine Weltsicht und verändert vermutlich auch sein Verhältnis zu den Rechtlosen, deren Not er sich im Gebet zu eigen macht. Und das sollten wir auch beherzigen im Rahmen unserer Bittprozession: Es geht in unserem Beten und Bitten nicht darum, Gott zu bewegen, dass er uns genau das Wetter oder was sonst noch alles gewähre, was wir uns eben gerade wünschen. Unser Beten soll vielmehr etwas in uns selbst in Bewegung bringen: Es mag etwa unsere Erinnerung daran erneuern, dass nicht wir selbst die Schmiede unseres Glücks sind, sondern dass wir unser Leben aus Gottes Hand empfangen und darauf vertrauen dürfen, dass unser Leben bleibend in Ihm geborgen ist – selbst wenn nicht immer alles so läuft, wie wir es uns wünschen. Unser Beten mag uns auch dazu verhelfen, unsere eigenen Wünsche und Glücksvorstellungen zu relativieren und sensibel dafür zu werden, dass das, was gut für uns ist, nicht im selben Maß gut für andere sein muss, deren Lebensrecht aber doch keinesfalls geringer ist als unser eigenes. Und von dieser Einsicht ist es nur noch ein kleiner Schritt, nicht mehr nur für uns selbst und die uns nahe stehenden bzw. geliebten Menschen zu beten, sondern auch um das Glück und Wohlergehen anderer, vielleicht sogar jener Menschen, mit denen wir uns normalerweise schwer tun. Und wer wollte behaupten, dass 3 Sozialpredigt 184: Betet ohne Unterlass! – Aber wofür? ein solches Gebet füreinander und besonders für uns fern Stehende, ja sogar für unsere Gegner und Feinde – dass so ein Gebet nicht entscheidendes verändern würde: in uns selbst und damit auch in unserer Welt? Dionysios der Syrer, ein Theologe des 9. Jh., hat Betende einmal genau in diesem Sinn mit Menschen in einem Schiff verglichen, die ihr Schiff mit einem Seil am Ufer verankert haben und nun mit allen Kräften an dem Seil ziehen. Was sich durch dieses Ziehen am Seil bewegt, ist natürlich nicht das Ufer, wohl aber das Schiff, in dem sich die Menschen befinden. Das will sagen: Wirkliches Gebet besteht nicht darin, dass es Gott bewegt, sondern dass es den betenden Menschen selbst verändert. Amen. Worte: Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen. (Dietrich Bonhoeffer) Auf dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien: Wenn Wünsche enttäuscht und wenn sie erfüllt werden. Das zweite ist viel schlimmer. (Oscar Wilde) Der niedrigste Mensch: der, dem alle Wünsche erfüllt worden sind. (Elias Canetti) Zum Psalmwort „Ich aber bin Gebet“ sprach Rabbi Bunam: „Das ist, wie wenn ein Armer drei Tage nichts gegessen hat, und seine Kleider sind zerlumpt, und so erscheint er vor dem König – braucht er noch zu sagen, was er begehrt? So stand David vor Gott, er selber als Gebet.“ (aus: Martin Buber, Chassidische Geschichten) Das Gebet ist Ausübung der Liebe, dank dem Schweigen Gottes. Wenn du Gott gefunden hättest, würdest du in ihm beruhen und fortan vollendet sein. Und weshalb solltest du dann noch wachsen, um zu werden? (aus: Antoine de Saint-Exupéry, Stadt in der Wüste) Gebete richtet man an Gott mit dem Wunsch, dass Menschen sie erhören mögen. (Arvo Valton) Wer die Hände faltet, an Gott denkt und sich verneigt, schaut zugleich genauer auf die Erde. Die Zuneigung zu Gott macht uns irdischer. (Paul Imhof) Herr, gib Brot denen, die Hunger haben! Herr, gib Hunger nach Gerechtigkeit denen, die Brot haben. (Gebet aus Chile) Diese Predigthilfe wurde erstellt von Dr. Markus Schlagnitweit, Hochschulseelsorger in Linz und Geistl. Assistent der Kath. Aktion Oberösterreich. Anfragen und Rückmeldungen richten Sie bitte an: Sozialreferat der Diözese Linz, Kapuzinerstr. 84, 4020 Linz, Tel. 0732/7610-3251 e-mail: [email protected] Weitere Sozialpredigten unter: www.dioezese-linz.at/soziales 4