IV. Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - Julius

Werbung
Heilpädagogik und Montessori
DAS SPEZIFISCHE DER MONTESSORI-HEILPÄDAGOGIK
I.
II.
III.
IV.
Einleitende Gedanken
Der entwicklungspsychologische Ansatz Montessoris
Erkenntnisse aus der Hirnforschung und ihre Bedeutung für die MontessoriHeilpädagogik
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik
I.
Einleitende Gedanken
Es ist noch nicht sehr lange her, dass man von heilpädagogischen Methoden sprechen kann.
Die „Heilpädagogen der ersten Stunde“ waren begabte Erzieher, viele davon Ärzte. Sie haben
entweder eine Methode für ein bestimmtes behindertes Kind entwickelt wie Itard, der als
Begründer der Heilpädagogik gilt, oder einen wertvollen methodischen Ansatz generalisiert
wie Seguin mit der „physischen Sinnesbildung“. Ihre Verdienste sind nicht hoch genug
einzuschätzen.
Ihre Erfahrungen und Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Arbeit Maria Montessoris
und somit für die gesamte Montessori-Pädagogik bzw. die später daraus entwickelte
Montessori-Heilpädagogik.
Heute gibt es viele erprobte heilpädagogische Methoden, wenn auch die Erprobung in der
Mehrzahl der Fälle im Sinne einer Bestätigung durch die Erfahrung und nicht in dem der
exakten wissenschaftlichen Überprüfungen verstanden werden muss.
Dies hat die Montessori-Heilpädagogik allerdings mit manchen anderen hilfreichen Methoden
im pädagogischen, heilpädagogischen bzw. therapeutischen Bereich gemeinsam.
Die Heilpädagogik und speziell die Montessori-Heilpädagogik richtet sich auf die Integration
in die Gesellschaft und die bestmögliche Ausbildung der vorhandenen Fähigkeiten bei
Kindern und Jugendlichen, die aufgrund körperlicher, geistiger oder seelischer Schäden in
ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind. Ziel ist es, Behinderten Hilfestellungen für eine bessere
Lebensbewältigung zu geben und ihre Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen. Das
Selbstwertgefühl soll gesteigert und die Benachteiligung durch die Behinderung im Rahmen
der persönlichen Möglichkeiten ausgeglichen werden.
Für diese Arbeit hat Maria Montessori uns besonders wirksame Materialien zur Förderung
des behinderten Kindes mit einem differenzierten methodischen Angebot zur Verfügung
gestellt.
Ausgangspunkt der heilpädagogischen Überlegungen Montessoris ist die Beobachtung bei
Besuchen in den römischen Irrenanstalten. Seit 1897 Assistentin an der Psychiatrischen
Klinik, besuchte sie Irrenanstalten, um Kinder zur Behandlung auszuwählen.
Ständig berichtet:
«In einem der Irrenhäuser fiel ihr eine Gruppe schwachsinniger Kinder auf, die in einem
kerkerartigen Raum wie Gefangene zusammengepfercht waren. Die Aufseherin gab sich keine
Mühe, ihre Abneigung gegen die Kinder zu verbergen, und als die junge Ärztin sie fragte,
warum sie die Kinder nicht leiden möge, antwortete die Frau: „Weil sie sich, kaum dass sie
aufgegessen haben, auf den Boden stürzen und die Krümel aufklauben.“
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
1
Heilpädagogik und Montessori
Maria Montessori sah sich im Raum um: er enthielt nicht nur keinerlei Spielzeug, sondern
überhaupt keinerlei Gegenstände, nichts, was die Kinder in die Hand nehmen, womit sie sich
hätten beschäftigen können. Ob sie vielleicht gar nicht nach Nahrung, sondern nach etwas
ganz anderem und Höherem hungerten? Sehr wahrscheinlich konnten die armen Geschöpfe
ihre Intelligenz nur auf einem Wege nähren: durch ihre Hände, und instinktiv hatten sie
diesen Weg auf die einzige ihnen mögliche Weise gesucht ...»
Diese unglücklichen Geschöpfe, sagte sie, mussten gleichsam erst erschaffen werden, um
ihren Platz in einer zivilisierten Gesellschaft wieder einnehmen zu können. Ihnen zur
Unabhängigkeit von der Hilfe anderer und zur Menschenwürde zu verhelfen, das war eine
Aufgabe, die so an mein Herz appellierte, dass ich jahrelang nicht von ihr loskam.
Zwei Gedanken sind hier entscheidend:
1.
ihre Intelligenz nähren: durch ihre Hände
2.
Unabhängigkeit von der Hilfe anderer und diese Kinder zur Menschenwürde
zu verhelfen
Hierin sehe ich den Ansatzpunkt und das große Ziel der gesamten Heilpädagogik.
Nun weiter zu Maria Montessori:
Dem Ausbildungsinstitut für Behindertenlehrer war eine Modellschule angeschlossen. Hier
experimentiert Maria Montessori mit sinnesaktivierenden Materialien:
Sie setzte ihre Versuche an geistig zurückgebliebenen Kindern in Rom fort und erzog sie zwei
Jahre lang. Dabei orientierte sie sich
a) an Séguins Buch und
b) beherzigte Itards großartigen Erfahrungen.
c) Außerdem ließ sie ein besonderes reichhaltiges Lehrmaterial erstellen.
Dieses Material war ein herausragendes Instrument in den Händen derer, die es zu benutzen
verstanden, doch für sich allein blieb es bei geistig Zurückgebliebenen unbeachtet.
Itard hat vor allem zwei Prinzipien entwickelt, die dann bei Séguin und vor allem bei Maria
Montessori eine zentrale Rolle spielen werden.
1. Die Isolierung des einzelnen Sinnes beim Training:
Man denke an Montessoris unterschiedlich große Einsatzzylinder, die der
Schulung des Auges dienen, das Unterschiede in der Ausdehnung erkennen
muss.
2. Zum anderen wird das Prinzip wirksam, von zwei grob unterschiedlichen
Sinneseindrücken zu immer feineren Unterschieden zu gelangen.
Dieses Verfahren veranschaulichen etwa Montessoris Farbtäfelchen mit den
acht Grundfarben und jeweils acht Abtönungen. Während das unterschiedliche
Farbenpaar gut zu erkennen ist (etwa rot - blau), machen die Nuancen in der
paarweisen Zuordnung einige Schwierigkeiten und fordern die Konzentration
heraus.
Maria Montessori übernimmt Theorie und Praxis ihrer «Lehrmeister» und führt doch zugleich
über sie hinaus.
Sie verfeinert und systematisiert das Ganze der Materialien.
Es entsteht das didaktische Material (psychodidaktisches Material).
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
2
Heilpädagogik und Montessori
Und sie überträgt die Funktion dieser Materialien auf die Normalisierung. Anders gesagt:
Sie entdeckt, dass der Umgang der Kinder mit diesen Materialien bei ihnen eine Veränderung
herbeiführt - eine Explosion, eine Konzentration, die Normalisierung des Verhaltens:
Es gelang ihr mit einigen geistig Zurückgebliebenen aus dem Irrenhaus Lesen und korrektes
Schreiben in Schönschrift beizubringen, Diese Kinder konnten danach in einer öffentlichen
Schule zusammen mit normalen Kindern eine Prüfung ablegen, die sie auch bestanden ...
Während alle die Fortschritte meiner Idioten bewunderten, sagte Montessori, machte ich mir
Gedanken über die Gründe, aus denen glückliche und gesunde Kinder in den gewöhnlichen
Schulen auf so niedrigem Niveau gehalten wurden, dass sie bei Prüfungen der Intelligenz von
meinen unglücklichen Schülern eingeholt wurden.
Nach Auffassung von Montessori ist die Erziehung der Sinne von höchster pädagogischer
Bedeutung.
Welches sind die Gründe für die Betonung der Sinneserziehung?
1. Zum einen ist die Entwicklung der Sinne die Basis für die intellektuellen Fähigkeiten
beim Kind.
2. Die Sinneserziehung bildet somit eine elementare Grundlage für die Entwicklung der
Intelligenz, da durch diese Entwicklung das Wahrnehmungsfeld des Kindes erweitert
wird und somit eine zuverlässige und reichhaltige Grundlage im Kind entsteht.
3. Des weiteren hat in der zweiten Frühphase des Kindes (von 3-6 Jahren, der formativen
Periode) «das Kind das Bedürfnis nach Analyse und innerer Organisation der in
der ersten Unterphase unbewusst assimilierten Umwelt» äußert H. Holstiege (S.101)
Diese Aussage deckt sich mit den Erkenntnissen über den absorbierenden Geist, wonach sich
das Kind in dieser Zeit vom „unbewussten Arbeiter“ zum „bewussten Schöpfer“ entwickelt,
d.h.
seine bislang absorbierten Umwelteindrücke analysiert und
seine Eindrücke differenziert.
Diese geistigen Veränderungen im Kind (vom Unbewussten zum Bewussten) stehen in Bezug
zur Entwicklungspsychologie des Kindes:
Im Alter von 3-6 Jahren befindet sich das Kind sowohl
a) in der Periode des schnellen körperlichen Wachstums
b) als auch in einer Phase, in der das Kind seine Sinne entwickelt und
c) damit sich die psychische sensorische Tätigkeit bildet.
Die Aufmerksamkeit des Kindes wird auf die Beobachtung der Umgebung gelenkt.
a) Es studiert seine Umgebung.
b) Es unterscheidet nicht nur die Gegenstände voneinander, sondern auch den
Platz der Gegenstände in der Umgebung.
Je genauer und detaillierter die bewusste Sinneswahrnehmung ist, desto besser ist die
Grundlage für die geistige Verarbeitung der Umwelteindrücke. Man spricht von der Fähigkeit
zur Differenzierung der Sinnesreize. Die Reize aus seiner Umgebung erregen die
Aufmerksamkeit des Kindes, aber noch nicht das Interesse an den Ursachen der Dinge.
Nach Auffassung von Montessori muss «mit der Sinnesausbildung ... in der formativen
Periode begonnen werden, wenn wir sie später durch Erziehung für jede besondere Form von
Bildung vervollkommnen und verwenden wollen.»
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
3
Heilpädagogik und Montessori
Montessori hat sich des Weiteren zum Ziel gesetzt,
1. Die normale Entwicklung des Kindes mit Hilfe der Erziehung zu unterstützen. Sie
bezeichnet diese als das biologische Ziel.
2. Ein weiteres Ziel ist es ihrer Meinung nach, das Individuum auf die Umwelt
vorzubereiten (soziales Ziel). Diesem Ziel wird sie mittels ihres Sinnesmaterials
indirekt gerecht, da sie durch ihre Erziehung die Beobachtungsfähigkeit des Kindes
fördert.
3. Die Fähigkeit zur genauen Beobachtung ist ein Charakteristikum für den Fortschritt
in unserer Berufswelt, das sich durch sehr viele Berufsspaten verfolgen lässt und
heutzutage unabdingbar ist.
Ein weiteres Bedeutungsmoment liegt insofern in den Sinnesmaterialien begründet, da sie das
in der ersten Phase von 0-3 Jahren auftretende Bedürfnis des Kindes nach Orientierung
(innere Ordnung) in einer auf das Kind wirkenden chaotischen Welt ansprechen und fördern,
d.h. mit Hilfe des Sinnesmaterials wird das Kind in seinem Bemühen unterstützt, die Welt
um sich herum zu klassifizieren und zu ordnen.
Das Sinnesmaterial soll dem Kind eine Hilfe bei seinem Lernprozess sein:
a) Damit das Kind eine klare und bewusste Klassifizierung erwirbt, anstatt eine
unklare Klassifizierung zu haben.
b) Es ist außerdem möglich, mit Hilfe der Sinneserziehung Defizite in der
Sinnesentwicklung zu erkennen und Entwicklungsrückstände und
Fehlentwicklungen zu entdecken.
Das Problem der geringen geistigen Leistungsfähigkeit normaler Schulkinder sieht Montessori
in der ungenügend aktivierenden Umgebung der Schule selbst. Durch Materialien erhofft sie
sich eine grundlegende Verbesserung schulischer, aber auch vorschulischer
Erziehungspraxis: Sie war sich ganz sicher, dass ähnliche Methoden, wie sie bei den
Schwachsinnigen angewandt wurden, auch die Persönlichkeit normaler Kinder entwickeln
und auf das wunderbarste und überraschendste befreien würde.
Montessori machte daraufhin ihre Erfahrungen außerhalb der Behinderteneinrichtungen. Auf
diese Weise wird bis heute vorwiegend mit nicht behinderten Kindern die MontessoriPädagogik in entsprechenden Einrichtungen praktiziert.
Einzelne Montessori-Anhänger wandten ihre Ideen und ihre Materialien auch bei behinderten
Kindern an. Systematische Integration wurde dann von Frau Aurin gemeinsam mit Prof.
Hellbrügge begonnen. Sie haben den Begriff „Montessori-Heilpädagogik“ geprägt.
Denken Sie bitte bei den nachfolgenden Ausführungen auch immer daran, dass
a) die Montessori-Methode schon über 100 Jahre mit guten Erfolgen durchgeführt
wird, und
b) dass diese Methode eine solide Grundlage zur Erneuerung erzieherische
Methoden, besonders für Kindergärten, Vorschulen und Grundschulen, aber
auch auf heilpädagogischem Gebiet für die spezielle Förderung von Kindern
mit
Behinderung geschaffen hat. Daher sind vielfältige Erfahrungen vorhanden.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
4
Heilpädagogik und Montessori
Der wahre Verdienst der Montessori-Pädagogik bzw. der Montessori-Heilpädagogik kann
nicht in einigen Worten zusammengefasst werden. Montessorierziehung empfiehlt sich selbst:
besonders durch die Erscheinung von bestimmten Charakterzügen bei den Kindern und
Jugendlichen und dies in erhöhtem Maße, wenn die Eltern auch ihren Beitrag innerhalb der
Montessorierziehung leisten. Ich möchte besonders hinweisen auf:
a) die erhöhte Konzentration,
b) die innere Ausgeglichenheit,
c) das erweiterte Interesse,
d) die Freude an der Arbeit,
e) die Bereitwilligkeit zum Gehorsam (Freiheit und Disziplin),
f) das soziale Verhalten,
g) den größeren Grad der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit und
h) das Verantwortungsgefühl gegenüber sich selbst und anderen.
Betonen möchte ich noch:
Dass die Montessori-Methode zu allererst eine dynamische Methode ist, welche sich
beständig erfolgreich angepasst hat; weil sie auf fundamentalen psychologischen
Erfahrungen und den daraus resultierenden Werten basiert.
In derselben Weise, wie andere Erziehungsmethoden einen großen Einfluss auf die Evolution
der Erziehung hatten (ganz besonders durch das Modell, welche sie anboten) ist es auch für
Montessorierziehung möglich, diese Rolle in unserer heutigen Zeit verstärkt zu übernehmen.
Dies aber nur, wenn die Vertreter der Montessori-Pädagogik den Mut haben, ihre Eigenart zu
bewahren.
Dem Anliegen der heutigen Fachtagung „Heilpädagogik und Montessori“ entsprechend gilt
dem behinderten und lernschwachen Kind unsere besondere Fürsorge. Sie brauchen die
vielfältigen individuellen und speziellen Hilfen, die ihnen gesetzlich zustehen: z. B.
a) Schutz,
b) Kenntnisse und Fertigkeiten,
c) Hineinwachsen in die Gesellschaft (soziale Integration),
d) Chancengleichheit,
e) freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art 20 GG).
Optimale Entwicklungs-, Förder- und Integrationschancen bestehen meines Erachtens aber
nur dann,
1. wenn die Frühförderung bzw. Kindergärten und die Regelschulen
enger zusammenarbeiten und eine pädagogisch-kontinuierliche Einheit bilden, wie
dies im Montessori-Konzept der Fall ist.
2. Dann können manche noch heute bestehende Probleme, wie z. B.:
a) mangelnde Differenzierung und Individualisierung,
b) das überholte, biologische und nicht entwicklungspsychologisch fundierte
Jahrgangsklassensystem und
c) Mängel in der Ausbildung des entsprechenden Personals in Frühförderung
bzw.
Kindergarten und Grundschule überwunden werden.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
5
Heilpädagogik und Montessori
Der Grund für die Einbeziehung der Montessori-Pädagogik in die Frühförderung Behinderter
sowie bei der Integration dieser Kinder und Jugendlichen in Kindergarten und Schule wird
meines Erachtens u. a. durch folgende Punkte begründet:
1. Dem entwicklungspädagogischen Ansatz Montessoris bei den sensiblen Phasen unter
Berücksichtigung der Phasen der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.
2.
Dem Ansatz einer aktiven,
a) auf Ganzheitlichkeit,
b) Selbstgestaltung und
c) auf Selbsttätigkeit hin ausgerichteten Entwicklungsbegriff.
3. Den pädagogischen, didaktischen und methodischen Prinzipien, die den
pädagogischen
Umgang mit dem Kind bestimmen. Alle Bildungs- und Lernprozesse sind in konkrete
und ganzheitliche Handlungsprozesse eingebettet.
4. Dem psychodidaktischen Material mit ihren vielfältigen Ergänzungsmöglichkeiten.
Die Wirksamkeit dieser psychodidaktischen Materialien hängt wesentlich von der konkreten
Anwendung der Montessori-Prinzipien ab:
1. Dem Prinzip der Sachlichkeit: Die Polarisation der Aufmerksamkeit (Konzentration)
und somit folglich die Normalisation des Kindes stellt sich nur ein, wenn
a) die psychodidaktischen Materialien den individuellen Fähigkeiten und
Interessen
des Kindes entsprechen und unbedingt entwicklungsgemäß sind, damit sich die
im Kind vorhandenen Kompetenzen auch entwickeln können;
b) die psychodidaktischen Materialien dem Kind einen Zugang zu
Wirklichkeitsbereichen (z.B.: Kunst und Kultur, Schrift, Mathematik, zur
sozialen und materiellen Realität usw.) erschließen.
2. Dem Prinzip der freien Wahl: Der jeweils individuelle Entwicklungsstand jedes
einzelnen Kindes und die daraus resultierenden individuell auftretenden sensiblen
Phasen erfordern die freie Wahl des Lerngegenstandes und die Freiheit des Lernens
überhaupt.
3. Dem Prinzip der Selbständigkeit: Die Entwicklung zur zunehmenden
Unabhängigkeit
bedeutet, dass das Kind selbständig sein muss. Das ist die Voraussetzung, um das
Potential der eigenen individuellen Fähigkeiten überhaupt zu nutzen.
Betonen möchte ich noch, all das, was für das behinderte Kind wichtig ist, gilt auch für das
gesunde Kind.
Der Weg, auf dem die Schwachen sich stärken, ist der gleiche, wie der auf dem die Starken
sich vervollkommnen.
Maria Montessori
In meiner Begründung für die Einbeziehung der Montessori-Pädagogik in die Frühförderung
Behinderter sowie bei der Integration dieser Kinder und Jugendlichen in Kindergarten und
Schule habe ich den entwicklungspsychologischen Ansatz Montessoris bei den sensiblen
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
6
Heilpädagogik und Montessori
Phasen unter Berücksichtigung der Phasen der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen als
erstes hervorgehoben.
Sehen wir uns diesen Ansatz einmal näher an.
II. Der entwicklungspsychologische Ansatz Montessoris
Die Jahreszeiten des Lebens
In nahezu jedem Montessori-Ausbildungskurs - unabhängig vom aktuellen Thema, ob über
Kinderhaus, Einführungskurs usw. - werden die vier Phasen der Entwicklung vorgestellt.
Das ist es, was den Studenten einen Montessori-Überblick über die Entwicklung von der
Geburt (oder noch vorher) bis zur Reife (Erwachsenenalter) verschafft. Die Untersuchung all
dessen, was man die Jahreszeiten des Lebens nennen könnte, erklärt und begründet die
Montessori-Idee der Erziehung als „Lebenshilfe“. Das ist es, was den Studenten das nötige
Hintergrundwissen für das Verständnis eines bestimmten Lebensalters liefert.
Obwohl die vier Phasen der Entwicklung einen einzelnen Punkt bilden, verleiht sie doch
unserem Verständnis einerseits Perspektive und Tiefe und nötigt andererseits unseren
Blickwinkel auf unser besonderes Altersspektrum.
Sicher ist es ein großartiger Überblick über die Entwicklung - diese Ahnung von der
periodischen und nicht wiederholbaren Natur der „Jahreszeiten des Lebens“ – da es die
Hauptunterscheidungsmerkmale der Montessori-Arbeit begründet. Aus diesem Grund möchte
ich nun etwas ausführlicher darauf eingehen.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
7
Heilpädagogik und Montessori
Nun kann es sein, dass wir unsere Vorträge über die vier Phasen der Entwicklung mit einer
von Maria Montessoris graphischen Darstellungen illustrieren: eine Darstellung mit
Dreiecken, die wir den „schöpferischen Rhythmus des Lebens“ oder den konstruktiven
Lebensrhythmus“, nennen.
Es gibt jedoch noch eine andere (kaum bekannte) graphische Darstellung ergänzend dazu
vorstellen. Es ist eine zweite bildliche Repräsentation, hinterlassen von Maria Montessori als
metaphorische Vorstellung der vier Phasen der Entwicklung: eine, die sicherlich mehr wie
eine Pflanze ist.
Innerhalb eines einzigen Jahres hat Maria Montessori zwei Charts vorbereitet, um die vier
Phasen der Entwicklung zu illustrieren: mit anderen Worten, zwei Charts zu ein und
demselben Thema.
Diese beiden Charts können nicht unterschiedlicher in ihrer Art und in ihrer visuellen
Wirkung sein, um die Wachstumsstadien darzustellen.
(Erste Folie)
Die geometrische Vorstellung: Entwicklung hat ihren eigenen Gestaltungsrhythmus
Der visuelle Eindruck dieser Abbildung ist der von einer perfekten Regelmäßigkeit und
Symmetrie, da die Darstellung streng stilisiert und von geometrischer Art ist.
Die vier Phasen werden von vier Dreiecken dargestellt, die identisch in Form und Größe sind
und in diesem Sinne sind alle vier Phasen in gleicher Weise angesehen.
Gleichzeitig können wir nicht umhin, das Muster zu bemerken, das durch den gesonderten
Gebrauch der Farben entsteht: rot, blau, rot, blau.
In diesem Sinn sind die vier Phasen zwei zu zwei unterschieden: Kleinkindalter und Jugend
haben etwas gemeinsam; Kindheit und Reife auch. Zur gleichen Zeit kontrastieren
Kleinkindalter und Jugend auf der einen Seite mit Kindheit und Reife auf der anderen.
Dann fangen wir an, bestimmte Details zu erkennen, die auch die Phasen zwei zu zwei
unterscheiden: Die roten Dreiecke haben dicke Umrisslinien, während die blauen dünne
vorweisen; die roten Dreiecke sind jeweils in zwei gleiche Halbperioden geteilt, wogegen die
blauen Dreiecke ungeteilt bleiben.
Was wirklich illustriert und hervorgehoben wird durch den Gebrauch der Dreiecke für alle
vier Phasen, ist die vitale Rolle der sensitiven Perioden (da sie ihr Wesen von einer Phase
zur anderen verändern), bestimmen sie die Charakteristik jeder Phase.
Die sensitiven Perioden in Bezug auf die bestimmte Phase erscheinen, wachsen, erreichen ein
Maximum und dann lassen sie nach, um anderen, um neuen Sensitivitäten zu weichen und so
fort.
Zur gleichen Zeit wird eine Unterscheidung gemacht durch den Gebrauch der beiden
kontrastierenden Farben rot und blau, zwischen den zwei Phasen des Kleinkindalters und der
Pubertät, die „kreative“ Perioden sind, und den zwei Phasen der Kindheit und der Reife, die
„Ruhephasen des gleichförmigen Wachstums“ sind.
Offensichtlich wurden Kleinkindalter und Pubertät als wichtiger und vitaler eingestuft, daher
bedürfen sie besonders unserer Aufmerksamkeit und unseres Interesses, wenn wir mit Kindern
und Jugendlichen arbeiten.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
8
Heilpädagogik und Montessori
Hier liegen auch speziell unsere enormen Chancen in der Arbeit, wenn wir z. B. an die erste
Phase der Entwicklung der Kinder denken.
(Zweite Folie)
Die „organische“ Vorstellung: Die Knolle
Sind wir von der geometrischen Perfektion der ersten Darstellung der Phasen der Entwicklung
überrascht, so sollten wir vom Kontrast der zweiten Präsentation völlig geschockt sein.
Völlige Unregelmäßigkeit und totaler Mangel an Symmetrie über die vier Phasen
charakterisieren diese zweite Darstellung.
Dies, in Zusammenhang mit dem verschwenderischen Gebrauch der Farbe Grün, macht auf
uns den Eindruck eines etwas seltsam wachsenden Dings, ein Produkt von Mutter Natur in
einem etwas seltsamen Phantasieflug.
Die seltsamen Beulen und Geschwülste werden gefolgt von verlängerten Abschnitten, die
keine wie auch immer geartete Substanz zu haben scheinen. Dann verblasst das ganze Ding
nach rechts zu, mit einer Serie von Strichen, die in einem Pfeil enden.
Der Gesamteffekt nach der Symmetrie der ersten Abbildung war am interessantesten, und
wenn wir uns diese zweite Abbildung in größerer Tiefe und mit mehr Details ansehen,
verstehen wir deutlich, wie Maria Montessori Acht gegeben hatte, die Phasen zu
unterscheiden, nicht nur paarweise, sondern jedes für sich.
Zunächst einmal wird unsere Aufmerksamkeit sofort von den zwei Knollen und deshalb von
der ersten und der dritten Phase angezogen, dem Kleinkindalter und der Pubertät, während die
anderen beiden Phasen fast im Hintergrund zu verschwinden scheinen. Folglich ist der
paarweise Unterschied sofort erreicht.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
9
Heilpädagogik und Montessori
Aber nun geht Montessori weiter: Die „kreativen“ Perioden werden auch voneinander
unterschieden. Das Kleinkindalter ist viel größer und voluminöser dargestellt, wodurch es
imposanter aussieht, und Masse und Volumen sind so verteilt, dass das Gewicht auf den
ersten drei Lebensjahren liegt.
Auch die Farben sind unterschiedlich: schwarz und rot für das Kleinkindalter; grün und rot für
die Pubertät. Aber da ist noch mehr: Die Verteilung der Farben ist deutlich unterschiedlich.
Folglich haben wir im Kleinkindalter gleich zu Beginn ein massives Schwarz, ein Schwarz,
das sich in Feuerrot verwandelt; in der Pubertät haben wir einen grünen ellipsenförmigen
Knoten mit Rot im Zentrum.
Die „Ruhephasen des gleichförmigen Wachstums“, Kindheit und Reife (die Jahre 6 bis 12
und 18 bis 21 bzw. 24) werden einfach durch grüne Linien angegeben, aber gerade so finden
wir eine Unterscheidung zwischen den beiden Phasen: die grüne Linie für die Kindheit steigt
an, während die für die Reife horizontal verläuft.
Und das bringt uns zu einer anderen Beobachtung über diese Abbildung: Die ganze Zeichnung
ist nichts anderes als eine Kurve oder ein Bogen der Entwicklung, mit Abschnitten, die mehr
oder weniger sorgfältig zur jeweiligen Phase ausgearbeitet sind.
In diesem Licht gesehen, sollten wir auch der Krümmung Aufmerksamkeit zollen. Wir
sehen, dass das Ansteigen zu Beginn der ersten Phase sehr steil verläuft, dann allmählicher in
der zweiten und dritten Phase, und in der vierten Phase ganz aufhört. Die Schlussfolgerung
daraus könnte sein, dass die Phase der Kindheit wichtiger als die der Reife ist, zumindest was
die Entwicklung betrifft.
Tatsächlich haben wir nach 21 eine lediglich gestrichelte Linie, um deutlich zu machen, dass
die Entwicklung vorbei ist. Der Pfeil soll anzeigen, dass das Leben in gleicher Weise
weitergeht - in der gleichen Richtung und mit der gleichen Intensität und Ausdrucksweise, die
schon deutlich begründet worden ist.
(Erste Folie)
Wenn wir die beiden Abbildungen vergleichen, sehen wir, dass die erste mehr eine
„Abstraktion“ ist, eine „ideale“ Darstellung eines Modells oder des Entwicklungsrhythmus.
(Zweite Folie)
Die zweite ist mehr „natürlich“, mehr „biologisch“ als Vorstellung und erinnert daher mehr
an einen Lebensprozess: Jeder Phase wurde ihr eigener ausgeprägter Charakter verliehen (wie
es im Leben geschieht); jede Phase geht allmählich in die nächste über (wie es im Leben
geschieht). Deshalb sehen wir in der zweiten Abbildung keine scharf umrissenen Punkte,
abrupten Richtungswechsel, plötzliche Veränderungen der Farben, wie das in der ersten
Abbildung der Fall ist.
Die erste Abbildung nannte Montessori den „konstruktiven Lebensrhythmus“, Rhythmus
und Muster sind hier deutlich zu erkennen.
Die zweite Abbildung heißt: „Die Knolle“; der Name bezieht sich ersichtlich auf die Form
und das Phänomen der Natur. Gleichzeitig besitzt der Name die starke Nebenbedeutung einer
Quelle, die in den Tiefen der Dunkelheit und des Wachstums verborgen ist, die allmählich ins
Licht tritt. Tatsächlich ist eine Knolle ein Keim, der einer großen Knospe ähnelt und
beinhaltet insofern all die Teile, die sich zu einem vollständigen Individuum entwickeln
werden, aber den Blicken verborgen bleibt. Insofern ist eine Knolle ein typisches
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
10
Heilpädagogik und Montessori
unterirdisches Gewächs. Mit anderen Worten: eine Knolle enthält die Kraft des Wachstums,
der Ausdehnung, sie ist sozusagen die unwiderstehliche Kraft des Lebens.
Und dies bringt uns sofort auf die Idee des Lebens als Energie und des Kindes als Träger der
„kostbaren“ Energien, die dazu tendieren, sich mit unbezähmbarer Kraft zu zeigen.
Tatsächlich spricht Montessori oft in ihren Texten von Energien, sodass man die Zeichnung
betrachten kann als etwas, was buchstäblich die Energie und das Dynamische des Wachstums
und der Entwicklung zeigt. Und die anfängliche Form und Masse, also die Knolle selbst, kann
man als etwas sehen, dass „all die Energien des Menschen“ in sich birgt - all jene Energien,
die zu Beginn des Lebens gefunden werden und die notwendig sind für die Bildung eines
menschlichen Wesens.
Erziehung wird damit zu einer Sache, diesen Energien zu helfen; „Die Seele ist kein Stein,
den der Künstler nach seinem Talent formt, sondern freie Energie, deren Ausdruck und
Entfaltung eigenen inneren Gesetzen gehorcht.“
Und so ergänzen sich die beiden Darstellungen eigentlich gegenseitig; die unterschiedlichen
Blickwinkel, die sie vereinigen, schließen sich nicht gegenseitig aus und widersprechen sich
auch nicht. Tatsächlich wird unser Verständnis von den vier Phasen der Entwicklung
bereichert, wenn wir beide Abbildungen untersuchen statt eine allein.
Dennoch können die beiden Abbildungen in der Schlussuntersuchung, wie auch immer ihre
Ähnlichkeiten und Unterschiede, ihre gegenseitige Ergänzung sein mögen, nur die vier Phasen
der Entwicklung symbolisieren; folglich erklären die beiden Abbildungen diese Phasen.
Die Knolle
1. Kleinkindalter (0 - 6)
Auf dieser Zeichnung sehen wir eine eindrucksvolle glühende, feurige Masse, die allmählich
im Umfang abnimmt und auf eine andere Farbe hinausläuft (von rot zu grün).
Der erste Teil der „Masse“ steht für den Anfangsteil der Entwicklungsphase: „Die Periode
des Unbewussten“, die mit etwa drei Jahren endet. Das undeutliche Gebiet, von schwarz zu
rot, wird verbunden mit dem Ausdruck „nebulae“, der für kreative Energien steht, die das
Kind dazu bringen, die Umgebung aktiv in sich aufzunehmen, sich selbst durch die
Umgebung „zu schaffen“.
(Die „nebulae“ sind eigentlich differenzierte und spezialisierte Arten oder Stadien des
„horme“. Und das „horme“ ist vitale Energie, die sich zeigt als Drang nach (zweckvoller)
Aktivität. Die eindringliche Beschäftigung mit der Umgebung wird erreicht durch
„unbewusste“ Aktivität und insbesondere durch die Arbeit des „absorbierenden Geistes“.)
Folglich schreibt Montessori in: „Die Bildung des Menschen“: Es scheint, als ob der
absorbierende Geist in einer Art und Weise handelt - wie eine Kamera. Dort müssen auch die
Bilder in der Dunkelheit des Unbewussten verborgen bleiben und müssen von rätselhaften
Empfindlichkeiten fixiert werden, während nichts nach außen hin sichtbar wird. Erst nachdem
dieses übernatürliche Phänomen ausgeführt ist, wird die kreative Anschaffung ans Licht des
Bewusstseins gebracht und dort bleibt es unauslöschlich in all seinen Details.“
Die erste Subphase, sagt Montessori, „trägt in sich all die Energien des Menschen und ist
daher von einer so großen Bedeutung wie die gewaltige Größe des Mysteriums, das es
umgibt.“
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
11
Heilpädagogik und Montessori
Die zweite Subphase entsteht aus der ersten und ist darauf aufgebaut. Die zweite Subphase ist
„die Periode des Bewussten“, da hier das Bewusste im Prozess des Entstehens ist. Auf der
Zeichnung kennzeichnet Montessori diese zweite Subphase (hauptsächlich rot gefärbt, aber
schon einen Übergang zur Farbe Grün) als „Konstruktion des bewussten Geistes“.
Von der ersten Phase wird nur die erste Periode (oder Subphase) in der Zeichnung als
„Bildung des Menschen“ gekennzeichnet. All das was zum Menschsein beiträgt, entwickelt
sich in dieser ersten Periode: Geist, Intelligenz, emotionale Gefühle, Bewegung.
2. Kindheit (6 - 12)
Etwa mit sechs Jahren, startet eine neue Periode des Lebens. Sie wird in unserer Zeichnung
von einer einfachen (grünen) Linie dargestellt. Dieser Lebensabschnitt - der mit etwa 12
Jahren endet – stellt eine Periode der Geborgenheit und der Ruhe dar. Der Beginn dieses
Zeitraums deckt sich mit dem Alter, in dem das Kind normalerweise eingeschult wird.
3. Jugendalter (12 - 18)
Nach der zweiten Phase zeigt unsere Zeichnung eine Schwellung oder Beule, die für das
Jugendalter steht. Während dieses Zeitraumes, der die „Pubertät“ einschließt, befindet sich die
menschliche Psyche in einem Zustand des Durcheinanders. Die Emotionen wachsen und sie
sind begleitet von einem tief greifenden Ungleichgewicht oder einer Instabilität (die sich im
jugendlichen Verhalten selbst zu erkennen gibt). Der Körper ist auch schwächer und die
Tendenz, krank zu werden, wächst. Inzwischen belastet die Schule den Heranwachsenden mit
allem Gewicht und Druck durch die neu gewachsenen akademischen Ansprüche. Diese
Periode zwischen dem 12. bis 18. Lebensalter ist eine der, in der sich jugendliche Kriminalität
zeigen kann.
4. Reife (18 - 21/24)
Dann plötzlich ist die Krise vorüber und das Gleichgewicht wiederhergestellt. Den Stürmen
des Jugendalters folgt Ruhe, bei voller Kontrolle all jener Energien, die das Ergebnis der
Reifung sind, die jetzt erreicht ist.
Alle vier Phasen
In ihrer Zeichnung bezeichnet Montessori die gesamte Spanne zwischen dem 6. Lebensjahr
und etwa dem 20. Lebensjahr als „Entwicklung des Menschen“.
Beides - die „Bildung des Menschen“ und die „Entwicklung des Menschen“ vervollständigen zusammen den Pfeil, den Montessori als „Endgültigkeit“ bezeichnet.
Mit anderen Worten: Beides folgt der Richtung der „Endgültigkeit“. Das Objektiv oder Ziel
jenes Prozesses wird einfach als „Mensch“ bezeichnet und Montessori zeigt, dass jenes Ziel
mit etwa 21 Jahren erreicht sein wird.
Und was ist mit diesem „Menschen“? Was für eine Art von „Mensch“ ist das?
In der realen Welt nicht unbedingt immer die Art eines Individuums, die wir ihm zu sein
wünschen würden.
Erziehungsprozess in den verschiedenen Altersstufen –
Entwicklungsnotwendigkeit und Erziehung in der Praxis
In der neuen Abbildung ist die untere Zeichnung auch von der verschieden, mit der wir schon
vertraut sind, von jener in der ersten Abbildung.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
12
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
Heilpädagogik und Montessori
(Erste Folie)
In der Abbildung von 1950 wollte Maria Montessori hervorheben, dass das bestehende
Erziehungssystem in seiner Struktur eher das Ergebnis vom Gesichtspunkt oder der
Organisation unserer Gesellschaft ist, als in Beziehung zu den physischen und
psychologischen Notwendigkeiten des menschlichen Wachstums.
Während der ersten Lebensperiode, das heißt während der Jahre, in denen die
Elementarkonstruktion des menschlichen Wesens stattfindet, finden wir eine Erziehungsleere.
Tatsächlich liefert der Staat keine Erziehungsstrukturen, die als Hilfe bei der Entwicklung des
Lebens während der ersten Phase geeignet sind, auch wenn wir sagen heute können, dass das
Problem schon viel besser verstanden wird als zu Zeiten Maria Montessoris.
(Zweite Folie)
In der Abbildung von 1951 dagegen will Maria Montessori einen anderen Aspekt
hervorheben, und das betrifft die Diskontinuität bei der Erziehung, die zwischen den
unterschiedlichen Stufen oder Ebenen der Ausbildung besteht. Und das auch in Bezug auf die
verschiedenen existierenden Methoden und in Bezug auf die berühmten Erzieher, die als erste
diese Methoden ausgedrückt haben.
In beiden Abbildungen ist die Struktur der unteren Zeichnung im Grunde die gleiche. In
beiden Zeichnungen können wir eine große geneigte Ebene erkennen, einen
„Erziehungsprozess“, der sich ständig mit dem Alter des Individuums vergrößert, bis es zu
einem abrupten Ende mit dem Abschluss der Universitäts-Ausbildung bzw. der
Berufsausbildung kommt.
In der Abbildung von 1951 können wir außerdem einige neue Elemente finden: Die geneigte
Ebene beginnt mit der Geburt statt im Alter von sechs Jahren; die Pfeile, die den
verschiedenen Abschnitten entsprechen, sind verschwunden (die Pfeile standen „sowohl für
die Anzahl der verschiedenen zu studierten Themen als auch für die Anzahl von verschiedenen
Lehrern).
Das Wort „Kausalzusammenhang“ ist ebenfalls verschwunden. (Der Lehrer wird als
‘Ursache’ für die Entwicklung der Intelligenz betrachtet und die verschiedenen ‘Ergebnisse’,
die geschaffen werden müssen.)
Und nur in der zweiten Abbildung finden wir, entsprechend den Abschnitten für das jeweilige
Lebensalter, die Namen von berühmten Erziehern, berühmte Namen, die beispielhaft die
Weltgeschichte der Erziehung erläutern. Die Namen jener Erzieher, die vor Maria Montessori
kamen, sind: J. Pestalozzi (1746 - 1827), J. Herbart (1776 - 1841) und F. Fröbel (1782 1852). Montessoris berühmte Zeitgenossen in der Erziehung sind nicht namentlich auf der
Zeichnung erwähnt, aber sie können abgeleitet werden.
Fragmentation oder erzieherische Kontinuität?
In ihrem Vortrag zum Kurs 1951 in Rom erklärt Maria Montessori den unteren Teil ihrer
neuen Abbildung unter unterschiedlichen Gesichtspunkten.
Die Fragmentation (Teilung) des bestehenden Erziehungssystems im Gegensatz zur
Erziehungskontinuität von Montessoris Herangehen, die für das ganze menschliche Wesen in
allen Phasen der Entwicklung gemeint ist, und die Identifikation der Erzieher und
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
13
Heilpädagogik und Montessori
Psychologen in Bezug auf die unterschiedlichen, spezifischen Altersspektren, an die sie streng
gebunden sind, sind die verschiedenen Aspekte, die Montessori untersucht hat.
Zur Fragmentation und zum Mangel an Kontinuität in der Erziehung im bestehenden System
erklärt Maria Montessori folgendes: „Die Schule, wie wir sie in ihrer gegenwärtigen
Arbeitsweise sehen, besteht aus vielen Zeitabschnitten, die jeder für sich allein existieren,
ohne jeglichen Bezug aufeinander.“ (Natürlich bezieht sich Montessori auf die Situation des
Jahres 1951. Aber können wir nicht die Ähnlichkeiten jetzt auch noch feststellen?)
In Montessoris Zeichnung können wir die verschiedenen institutionellen ‘Blöcke’, die nicht
nur voneinander getrennt zu sein scheinen, sondern zwischen denen sogar große
Zwischenräume sind. Montessori erklärt das folgendermaßen: „Um von einer Periode zur
anderen zu gelangen, muss man die Leere überqueren, die sie trennt. Mit einer Anstrengung,
die durch eine Prüfung dargestellt wird: diejenigen, die den „Sprung“ nicht machen können,
gehen unter und müssen zurückgehen.“ Wie wir anhand der Zeichnung sehen können,
symbolisiert und betont Montessori jede dieser Prüfungen durch einen dicken schwarzen
Streifen jener Farbe, die am Ende jedes Erziehungszyklusses ist.
In Bezug auf die Erziehungskontinuität, die Einheit und Gesamtheit ihrer Methoden, sagt
Montessori (in: Die Bildung des Menschen): „Wenn die menschliche Persönlichkeit eine von
den gesamten Stadien seiner Entwicklung ist, müssen wir uns ein Erziehungsprinzip
vorstellen, das zu allen Stadien Bezug hat.“
Ein Erziehungsprinzip für alle Altersgruppen
In dem Buch „Die Bildung des Menschen“ spricht Montessori von der Einheitlichkeit der
menschlichen Persönlichkeit. „Die menschliche Persönlichkeit ist unerlässlich während der
aufeinander folgenden Stadien seiner Entwicklung“.
Und sie ist es genau deswegen, weist sie deshalb darauf hin, dass „wir sie begreifen müssen
als ein Erziehungsprinzip, das sich auf alle Altersgruppen bezieht“. Solch ein
Erziehungsprinzip könnte sein: „Hilfe, damit die menschliche Persönlichkeit ihre
Unabhängigkeit erreichen kann. Die Verteidigung des Kindes, die wissenschaftliche
Anerkennung seiner Natur, die soziale Bekanntmachung seiner Rechte, müssen die planlosen
Wege der verstandenen Erziehung ersetzen.“
Und selbst wenn wir sehr oft aus Bequemlichkeit den Ausdruck „Montessori-Methoden“
verwenden, zog es Montessori doch vor, ihren Beitrag bzw. ihre Methode als ‘Hilfe zur
Unabhängigkeit’ zu betrachten.
Montessori hat also nicht nur in Worten gesprochen, sie sprach auch in Bildern. Sie hinterließ
uns zwei Bilder für die vier Phasen der Entwicklung: „Der schöpferische Rhythmus“ (Perugia
1950) und „Die Knolle“ (Rom 1951). Dies sind Bilder, die dazu dienen, um uns Montessoris
Ansicht über Entwicklung zu erhellen; sie geben uns eine sehr allgemeine Gesamtvorstellung
über das Modell der Entwicklung. Das dient als Bezugspunkt. Und da beide Schaubilder auch
die Erziehungsstrukturen zeigen, die die Gesellschaft während der vier Phasen liefert, können
wir erkennen, wie relevant Montessoris Kritik immer noch ist. Auf jeden Fall kann
Montessoris letzter Beitrag auch jetzt noch, zweiundfünfzig Jahre später, eine Quelle der
Inspiration und des Ansporns für unsere Arbeit sein.
Eine Inspiration und der Ansporns auch und gerade für unsere Arbeit mit behinderten Kindern
und Jugendlichen.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
14
Heilpädagogik und Montessori
III.
Erkenntnisse aus der Hirnforschung und ihre Bedeutung für die MontessoriHeilpädagogik
Wir haben gesehen, dass in der Zeit zwischen der Geburt bis zum 3. Lebensjahr und zwischen
dem 3. bis 6. Lebensjahr ein sehr aufregenden, spannender und sehr entscheidender
Entwicklungsabschnitt in der Entwicklung des Menschen stattfindet.
Was verändert sich alles bei einem Kind in diesem Zeitabschnitt des Lebens:
1. Es lernt zu Beginn seines Lebens Bewegung und Sprache. Später lernt Fahrrad
fahren, Schwimmen, Purzelbäume schlagen und Ballspielen.
2. Sichtbar entwickelt sich die Grob- und Feinmotorik. Sie üben Springen, Klettern,
Kneten, Malen, Falten oder sie entdecken Fingerspiele und können schließlich
Schreiben lernen und mit Zahlen umzugehen.
3. Ihre Gefühle differenzieren sich immer stärker, die Entwicklung des Gewissens setzt
ein und die kognitiven Fähigkeiten und Funktionen erleben einen geradezu
dramatischen Wandel
4. Die kindlichen Bedürfnisse erweitern sich stark. Das Spielen und Denken, die
Wahrnehmung, das Sozialverhalten entwickeln in rasantem Tempo und letztlich
bleibt kein Bereich dessen unberührt, was den Menschen als Mensch auszeichnet.
Dies alles können wir bei Kindern beobachten und wir können den Kindern auf diesem Weg nach dem Motto: Hilf mir, es selbst zu tun - hilfreich zur Seite stehe. Die Unabhängigkeit
des Kindes fördern.
Was wir allerdings niemals zu sehen bekommt, sind die Veränderungen innerhalb jenes
Organs, welches für all diese Veränderungen und Leistungen die zentrale Verantwortung
trägt: das Gehirn.
Das Gehirn besteht aus Milliarden von Nervenzellen, den Neuronen. Diese sind darauf
spezialisiert, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und weiterzuleiten. Durch
bestimmte Kontaktstellen, die so genannten Synapsen - sind die Nervenzellen untereinander
verbunden und bilden so komplexe Netzwerke.
Alles, was sich in unserem Kopf abspielt, während wir nachdenken, uns freuen oder ärgern,
uns an etwas erinnern oder wenn wir etwas lernen, beruht auf Aktivitäten in solchen
neuronalen Netzwerken.
Durch den aktiven Austausch mit der Umwelt werden Verbindungen zwischen Nervenzellen
geknüpft bzw. verstärkt. In diesem Sinn bedeutet Lernen eine Veränderung bzw.
Neustrukturierung neuronaler Netzwerke.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
15
Heilpädagogik und Montessori
Dabei gilt:
Häufiger Gebrauch verstärkt Verbindungen, Passivität baut sie ab. Im ersten Fall lernen
wir etwas dazu und im zweiten Fall vergessen wir bestimmte Dinge oder verlernen
bestimmte motorische Fertigkeiten.
Schlussfolgerungen
In der ersten Phase der Entwicklung des Lebens finden die entscheidenden
Reifungsvorgänge für das gesamte zukünftige Leben eines Menschen statt.
Wird dem Kind die Auseinandersetzung mit und in der Umwelt vorenthalten, so kommt
es zu irreversiblen (nicht umkehrbaren) Hirnschäden.
Die außerordentliche Lernfähigkeit des Gehirns ist bei den Kindern im Vorschulalter
durch eine besondere Lernbereitschaft, die sich in nahezu allen Bereichen als Neugier
und Wissbegierde äußert, gut zu erkennen und sie gilt es zu nutzen.
Es ist von grundlegender Bedeutung für uns, inwieweit gelingt es uns, die individuellen
Besonderheiten und Begabungen jedes einzelnen Kindes für seine Entwicklung zu
nutzen. Das Kind ist dort abzuholen, wo es steht!
Der Frühförderung und dem Kindergarten sollte endlich die Bedeutung zukommen, die
ihnen vor allem unter dem Aspekt der kindlichen Gehirnentwicklung während dieser
Zeitspanne auch zusteht.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
16
Heilpädagogik und Montessori
IV.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik
Es gibt verschiedene Definitionen des Begriffes 'Behinderung' in der Literatur. 'Als
„behindert“ gelten Personen, die infolge einer Schädigung ihrer körperlichen, geistigen oder
seelischen Funktionen soweit beeinträchtigt sind, dass ihre unmittelbaren
Lebensverrichtungen oder ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft erschwert werden.'
Was kann die Montessori-Heilpädagogik?
Die Antwort auf diese Frage wird zeigen, wie hilfreich einerseits neuropsychologisches
Verständnis und anderseits das pädagogische Konzept der Maria Montessori als Grundlage für
die Erziehung unserer Kinder heute, vielleicht sogar gerade heute, sein kann.
Das Existentielle des Kindesalters liegt bekanntlich in seiner Entwicklung. Nur dadurch
unterscheidet sich das Kind als das noch nicht Entwickelte von dem Erwachsenen, bei dem
die Entwicklung abgeschlossen ist.
Entwicklung wiederum besteht aus dem Zusammenspiel zwischen Wachstum und
Differenzierung. Differenzierung d.h. Spezialisierung zu Organen, Organsystemen, letztlich
auch Differenzierung von Funktionen und Funktionsbereichen. Ohne diese Differenzierung
könnte der Mensch z. B.
a)
keine Sprache entwickeln,
b)
wäre er nicht lernfähig.
Aber genau hier liegt wiederum die einzigartige Chance, bei Kindern mit angeborenen oder
früh erworbenen Störungen oder Schäden durch eine gezielte Intervention zu bewirken, dass
ihnen zielgerichtet geholfen werden. Diese Chance besteht in erster Linie in der frühen
Kindheit. Diese Chance zu nutzen, ist die Grundlage der von Prof. Hellbrügge ins Leben
gerufenen Entwicklungs-Rehabilitation.
Je früher in der kindlichen Entwicklung eine Auffälligkeit oder Beeinträchtigung erkannt
wird, desto besser kann vorgebeugt und geholfen werden. Die Hilfen für die Eltern und die
gesamte Familie sollen möglichst früh einsetzen, um Ängste abzubauen, Hilflosigkeit zu
überwinden, Fehlverhalten zu vermeiden und die Fähigkeit zur Selbsthilfe zu stärken.
Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder mit Hilfe der MontessoriHeilpädagogik kann nur in fächerübergreifender Zusammenarbeit angemessen erfüllt
werden. Medizinische, psychologische und soziale Maßnahmen sind dabei als unverzichtbare
Bestandteile eines ganzheitlichen Konzepts zu sehen, in das die Familie mit einbezogen
werden muss.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
17
Heilpädagogik und Montessori
Was sind die Grundmuster, die den Menschen von innen heraus lenken, mit deren Hilfe sich
eine ausgeglichene Entwicklung vollziehen soll?
Sind damit neurologische Strukturen gemeint, funktionelle Systeme, die Denken und Fühlen,
Lernen und Verhalten möglich machen?
Nach gegenwärtigen Erkenntnissen bilden sich diese Grundmuster als sich selbst
organisierende Systeme
a) im Selbstaufbau und
b) tun das in Wechselbeziehung mit der sie umgebenden Umwelt und ihrem
sozialem Milieu.
Einfacher ausgedrückt heißt das: Was wir mit unseren Sinnen aufnehmen, wird von unserem
Zentralnervensystem verarbeitet und bewirkt mit und durch das Verarbeiten eine
Veränderung an den neurologischen Strukturen.
Die wiederum ermöglichen feineres Verarbeiten aber auch differenziertes Aufnehmen.
So bedingt nicht nur eins das andere, sondern es entwickelt sich ein Verarbeitungssystem
durch Selbstorganisation mit Hilfe eines Potentials, was nach Montessori als geheime Kraft
im Kind - aber auch in jedem Lebewesen - wirkt.
Aufbauend auf den physischen Gegebenheiten, kommt es im Laufe der kindlichen
Entwicklung zur Bildung vielfältiger weiterer Muster, die beeinflusst durch das jeweilige
kulturelle, religiöse, soziale, politische, ethnische Umfeld das Denken und Verhalten prägen.
Der heilpädagogische Ansatz der Montessori-Pädagogik eröffnete im Rahmen der
Entwicklungs-Rehabilitation ein neues Feld.
a) Das Sinnesmaterial (das psychodidaktische Material),
b) aber auch das Material für die Übungen des praktischen Lebens, Sprache, Mathematik
und die Materialien zur Kosmischer Erziehung erwiesen sich geradezu als ideal für
eine Art Lerntherapie (besser noch eine Art Lebenstherapie) bei verschiedenartig und
mehrfach geschädigten Kindern.
Die Montessori-Heilpädagogik, wie sie in den vergangenen 30 Jahren im Kinderzentrum in
München entwickelt wurde und weiter entwickelt wird, führt der klassischen MontessoriPädagogik, pädiatrische und pädo-psychologische Erfahrungen in der Hilfe für mehrfach und
verschiedenartig behinderte Kinder zu, um sie vor dem Schicksal einer lebenslangen
Behinderung zu bewahren.
Durch die soziale Interaktion zwischen gesunden und behinderten Kindern werden dabei
nicht nur die behinderten Kinder, sondern auch die gesunden Kinder in ihrer Selbständigkeit
und ihrer Kontaktfähigkeit gefördert.
Die heilpädagogischen Ziele unter Berücksichtigung der Montessori-Pädagogik lassen sich
kurz gefasst wie folgt präzisieren:
a) Die Montessori-Heilpädagogik aber auch die Montessori-Therapie ist grundsätzlich
auf
die Gesamtförderung des Kindes - unabhängig von der Art und dem Ausmaß der
Behinderung - ausgerichtet.
b) Die Montessori-Heilpädagogik ist also auf die Entwicklung der
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
18
Heilpädagogik und Montessori
- motorischen,
- sozialen,
- sensomotorischen,
- emotionalen und
- intellektuellen Fähigkeiten.
des Kindes oder Jugendlichen hin ausgerichtet.
So betrachtet lassen sich therapeutische Zielsetzungen mit Hilfe der Arbeit nach den
Prinzipien der Montessori-Pädagogik auch unter Berücksichtigung der besonderen klinischen
Behandlungsstruktur mit ihren speziellen Rahmenbedingungen umsetzen.
Sinn und Zweck der Montessori-Heilpädagogik
- Förderung von Selbständigkeit und Selbsttätigkeit
- Förderung der intellektuellen Entwicklung
- Förderung der Grob und Feinmotorik
- Förderung der Begriffsbildung und der Sprache
- Förderung des Zahlenbegriffes und des mathematischen Verständnisses
- Verbesserung der Konzentration und Ausdauer zum Aufbau von Spiel- und
Arbeitsverhalten
- Förderung der Sozialentwicklung
- Anbahnung der Ablösung von der Abhängigkeit zu einer Bezugsperson
- Förderung der Fähigkeit von erwünschten Kontaktaufnahmen
- Abbau von Verhaltensauffälligkeiten
- Abbau von Interaktionsstörungen im Elternhaus oder Kindergarten
Voraussetzungen für den Aufbau einer Montessori-Heilpädagogik nach therapeutischen
Zielsetzungen
Überweisung durch Arzt und / oder Psychologen
Diagnose:
Lern- und geistig behinderte Kinder
körperbehinderte Kinder
hör- und sprachgestörte Kinder
sehbehinderte und blinde Kinder
Kinder mit mehrfacher Behinderung
Kinder mit Verhaltensstörungen (im emotionalen und sozialen Bereich)
Alter der Kinder
Entwicklungsalter ab ca. 1 Jahr und älter
Häufigkeit der Arbeit mit den Kindern
Häufigkeit der Kinder in der Klinik
tägliche Therapie für die gesamte Dauer des Aufenthaltes
(Zeitdauer der Arbeit richtet sich nach der Belastbarkeit des Kindes)
Häufigkeit der Kinder in der Ambulanz
wöchentlich oder 14tägig eine Stunde
(Zeitdauer der Arbeit richtet sich nach der Belastbarkeit des Kindes)
Therapieformen
Einzeltherapie
Das Kind muss zuerst in die Familie integriert werden und mit all seinen
Besonderheiten angenommen werden. In der Montessori-Einzeltherapie erhalten die
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
19
Heilpädagogik und Montessori
Eltern darum klare Hilfestellungen, um Ängste abzubauen, Hilflosigkeit zu
überwinden, Fehlverhalten zu vermeiden und um die Fähigkeit zur Selbsthilfe zu
stärken. Ziel ist es, auch kleinste Lernschritte in den genannten Übungen des
praktischen Lebens, beim Sinnesmaterial und auch beim Umgang mit dem
didaktischen Material von der Therapiesituation auf die häusliche Umgebung zu
übertragen.
Bei der Einzeltherapie beschäftigt sich die Montessori-Heilpädagogin gemeinsam mit
den Eltern, insbesondere der Mutter, mit dem einzelnen behinderten Kind. Für dessen
Bedürfnisse wurde das klassische Montessori-Material z. T. adaptiert bzw. ergänzt.
Die Einzeltherapie ist eine Vorbereitung auf die weitere Integration in die Gruppe
(bzw. in die Gesellschaft).
Gruppentherapie (3 - 8 unterschiedliche behinderte Kinder)
Die Montessori-Gruppentherapie erweitert die Einzeltherapie und bietet eine spezielle
Förderung der Sozialentwicklung mit dem Ziel, die Kommunikation verschiedenartig
gestörter und behinderter Kinder im Beisein der Eltern zu fördern, um sie in kleinen
Schritten auf eine Gruppensituation vorzubereiten.
Auch hier wieder besteht das Ziel darin, den Eltern Schritte zu zeigen, wie sie im
familiären Bereich (Nachbarschaft) die Integration ihrer betroffenen Kinder verbessern
können.
Kriterien für die Montessori-Heilpädagogik
- Berücksichtigung der Montessori-Prinzipien in der Arbeit
- Schaffung einer anregenden vorbereiteten Umgebung, die den Bedürfnissen
des
Kindes entsprechen
- Freie Wahl des Materials, der Arbeitsdauer und des Arbeitsrhythmus
- systematische Hinführung in kleinen Schritten, damit die betroffenen Kinder
zu mehr Selbstständigkeit und somit zu mehr Unabhängigkeit gelangen
- Selbständige Fehlerkontrolle, damit die Kinder aus ihren gemachten Fehlern
selbst lernen können und auch selbst ihre gemachten Fortschritte erfahren
- Drei-Stufen-Lektion, als spezielle Form einer Darbietung, um die sprachliche
Kompetenz zu fördern
- Koordination der Bewegung
Verhalten der Montessori-Heilpädagogen zum Kind
Sie muss:
- Dem Kind Hilfe geben, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden.
- Dem Kind Hilfe geben, Entscheidungen selbst zu treffen und sie auszuführen.
- Einführung/Darbietung eines selbst gewählten oder angebotenen Materials
durch die Montessori-Heilpädagogin.
- Hinführung zur Konzentration auf den Lernvorgang durch das Aussuchen von
sinnvollen Tätigkeiten
- Genaueste Beobachtung des Kindes, um ihm im richtigen Augenblick Hilfe
geben zu können (ein Montessori-Heilpädagoge braucht viel mehr Geduld als
Aktivität)
- Dem Kind Hilfe geben, um erworbene Fähigkeiten situationsgerecht
anzuwenden.
- Verhinderung des falschen Gebrauchs von Montessori Material (immer dann,
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
20
Heilpädagogik und Montessori
-
wenn ein sinnloses Handeln zu erkennen ist, und das Kind keine neuen
Erfahrungen erhält)
Loslösen von der Mutter
Verhalten der Montessori-Heilpädagogen zur Mutter
- Die Mutter ist während der Einzeltherapie anwesend bzw. beobachtet ihr Kind
hinter der Einwegscheibe und sie gilt es von der Notwendigkeit und
Wichtigkeit ihrer Mitarbeit zu überzeugen.
- Besprechen der Übungen und der Mutter Möglichkeiten zeigen, wie diese in
den häuslichen Bereich und in den Tagesablauf mit einbezogen werden können
„Mütter sind die besten Therapeutinnen“ (Hellbrüge)
- Wertschätzung der Hilfen, die die Eltern ihrem behinderten Kind geben!
- Den Eltern eine Stütze sein!
Hilfen, die dem Kind auf dem Weg zu seiner Unabhängigkeit und Selbständigkeit gegeben
werden
Montessori hat bei ihrer Konzeption der ersten Kinderhäuser sicher nicht an eine
heilpädagogische oder therapeutische Arbeit behinderter oder von Behinderung bedrohter
Kinder gedacht. Vielmehr wollte sie ihrer Erfahrungen, die sie bereits in der Schule für
Schwachsinnige gemacht hatte, nun bei gesunden Kindern anwenden.
Das Bedürfnis auch dieser Kinder, ihre Umgebung mit allen Sinnen zu erforschen und
handelnd aktiv zu sein, war für Montessori so bedeutsam, dass sie es gezielt nutzte.
Sie entwickelte Materialien und schuf Gelegenheiten für Tätigkeiten, von denen sie aufgrund
ihrer Beobachtungen annahm, dass sie Kinder auf vielfältige Weise fördern und für ein Leben
in der Gemeinschaft vorbereiten können.
Folgende Themenkreise sind damit angesprochen:
- der Umgang mit den Dingen des praktischen Lebens,
- der Übungen im Umgang miteinander,
- der Übungen zur Körperbeherrschung sowie zum Erleben der Stille
Dafür hat Montessori den Begriff „Übungen des praktischen Lebens“ gewählt.
Montessori betrachtet die Übungen des praktischen Lebens als eine regelrechte Gymnastik.
Durch sie werden alle Bewegungen verfeinert und die Umgebung gibt den Anlass dazu.
Im Rahmen der Montessori-Pädagogik für Kinder und Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf
bilden die Übungen des praktischen Lebens so eine entscheidende Grundlage. Die besonderen
pädagogischen Maßnahmen, die erforderlich wären, liegen
- der bei der Gestaltung der vorbereiteten Umgebung,
- beim Zusammenstellen spezieller Übungen, um Teilschritte zu üben,
damit das Kind selbständig und unabhängig wird und
- der beim Geben von ausreichend Zeit zur Wiederholung und Festigung.
Zum Beispiel ist die Verfeinerung der Bewegung neuropsychologisch gesehen bereits ein
Entwicklungsprozess.
Verschiedene Empfindungen und Reaktionen sind daran beteiligt. Sie ermöglichen, dass das
Kind sich selbst wahrnimmt.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
21
Heilpädagogik und Montessori
Auf der Ebene der neurologischen Organisation, auf der das bereits möglich ist, sprechen wir
von Eigenwahrnehmung. Diese Eigenwahrnehmung ist auch beteiligt an der Kinästhesie, die
Informationen über die Stellung unserer Gelenke zueinander vermittelt. Wenn wir z.B. die
Tätigkeit des Eingießens ausführen, dann können wir spüren, wie Hand, Handgelenk,
Unterarm und Schulter beteiligt sind, vorausgesetzt, wir sind spürfähig genug. Taktilkinästhetische Erfahrungen, das Spüren, ist die Voraussetzung für Geschicklichkeit. So
verhilft differenzierte Wahrnehmungsverarbeitung zu Sicherheit und Selbstvertrauen, zu
Selbstbewusstsein und Selbstkontrolle und hat letztendlich auch Auswirkungen auf die
Entwicklung der Kognition.
Hieran kann man z.B. die große Bedeutung der Übungen des praktischen Lebens erkennen.
Das Sinnesmaterial hat verschieden Funktionen, so u. a. die Vorbereitung auf Mathematik:
Die Materialien zur Unterscheidung von Dimensionen und Formen sind
- eine Hilfen und sie geben Anregungen zur Entwicklung einer differenzierten
Wahrnehmungsverarbeitung und
- sie bieten gleichzeitig vielfältige Möglichkeit zur Vorbereitung des
mathematischen Denkens
Die frühzeitig gesammelten sensorischen und motorischen Erfahrungen ermöglichen
- eine bessere Koordination von Auge und Hand
- eine bessere Differenzierung von Figur und Grund
- ein besseres Erkennen von konstanten Formen
- ein besseres Erkennen der Lage im Raum und die Beziehung im Raum
Was hat das mit dem mathematischen Denken zu tun? Diese Frage kann jeder für sich selbst
beantworten.
Hier sind im Rahmen der Montessori-Heilpädagogik für Kinder und Jugendliche mit
erhöhtem Förderbedarf nur wenige besondere pädagogische Maßnahmen erforderlich.
Zum Beispiel ließen sich einige Materialien verändern:
- Einsatzzylinder
- Veränderung der Anzahl beim „Rosa Turm, etc
- Zeit zur Wiederholung und Festigung
Beim Sinnesmaterial war es nur notwendig, einiges zu adaptieren. Zusatzmaterial, das
aufgrund der Montessori-Prinzipien dargestellt und benutzt wird, bietet dem Kind oft die
Möglichkeit, sich mit der Umwelt auseinander zu setzen. Man kann verschiedene Aufgaben
damit ausdenken
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
22
Heilpädagogik und Montessori
Im Einzelnen heißt das:
Bei der Arbeit mit den behinderten Kindern können wir die folgenden Ziele beschreiben,
welche sich direkt oder indirekt aus den am Anfang erwähnten Problemen entstehen.
Störungen in der Fein- und Grobmotorik
führen normalerweise zu einem Mangel an Selbständigkeit und zur Unsicherheit.
Den Kindern fehlt die Initiative, sie werden passiv. (Fast immer Schuld daran sind
die Eltern oder die Bezugspersonen, die das Kind über behüten).
Die Schwierigkeiten, verschiedene Gegenstände aus der Umgebung zu greifen,
führen bei den meisten Kindern zu einer Beschränkung oder zu Verlangsamung der
Intelligenzentwicklung, sowie auch der Sprachentwicklung. Der „Vom Greifen zum
Begreifen Prozess“ ist verhindert. Lassen sie uns an die Aussage Montessoris
erinnern, dass „die Hand ein Organ der Intelligenz ist``. In diesem Sinne ist es
notwendig, dass wir, die Heilpädagogen, diesem Organ helfen, sich weiter zu
entwickeln, um seine Funktionen erreichen zu können.
Die Zielsetzung bei den Kindern mit Problemen in der Fein- und Grobmotorik,
schaut folgendermaßen aus:
a) Durch die vorbereitete Umgebung, den Kindern die Möglichkeit schaffen,
Sinneserfahrungen zu machen, verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten aus
dem praktischen Leben zu erlernen und dadurch Selbständigkeit, Sicherheit
und die Polarisation der Aufmerksamkeit (Konzentration) zu erreichen. Dafür
sind besonders Übungen aus den Bereichen Übungen des praktischen Lebens
und des Sinnesmaterials geeignet.
o Erweiterung des passiven und aktiven Wortschatzes des Kindes durch das
Benennen von verschiedenen Materialien und deren Eigenschaften mit Hilfe
der Drei-Stufen-Lektion.
c) Überwindung der Kommunikationsprobleme - dies erfolgt bei der Arbeit
(durch die Normalisierung)
d) Sozialisierung und Integration mit nicht behinderten Kindern
Störungen der motorischen Entwicklung
Die Kinder haben auch Sprachschwierigkeiten und sind in der Sprachentwicklung
zurückgeblieben. Dies führt oft zur Unlust an der Arbeit, zu einem provokativen
Verhalten, sogar zur Aggression.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
23
Heilpädagogik und Montessori
a) In diesem Fall versuchen wir dem Kind Möglichkeiten zu schaffen, sich auf
eine eigene Weise auszudrücken, wobei wir zur aktiven Rede auffordern,
abgesehen davon, wie schwierig es ist. Die situative Anwendung der
nonverbalen Kommunikationsmittel - Blickkontakt, Mimik, Gestik, Laute u. a.
- verhelfen zur Kommunikation.
b) Das Montessori-Material bietet viele Möglichkeiten für die Bereicherung des
Wortschatzes des Kindes, um sein Denken und sein Intellekt zu entwickeln.
c) Die Drei-Stufen-Lektion, besonders in der zweiten Stufe (gib mir, zeig mir,
nimm, hole usw.) ist besonders gut bei der Therapie von Kindern mit Sprachund Kommunikationsproblemen.
Hörproblemen
Wenn die Kinder eine schwere Behinderung des Gehörs haben, ist für sie eine
Einzeltherapie gut, vor allem mit die Übungen des praktischen Lebens und das
Sinnesmaterial mit vielen Variationen bei den Übungen und Spielen (sie mögen die
Entfernungsspiele) gilt es zu machen.
Schielen, Kurzsichtigkeit, Blindheit
Ein oft vorkommendes Problem bei den mehrfach behinderten Kindern ist das Sehen.
Bei solchen Kindern wird viel mit dem Tastsinn gearbeitet. Gut ist es mit den
Übungen des Lebens zu beginnen und auch mit dem Sinnesmaterial zu arbeiten.
Verzögerung bei der Intelligenzentwicklung
Ein weiteres Problem bei den mehrfach behinderten Kindern ist die Verzögerung bei
der Intelligenzentwicklung. Wegen ihren beschränkten Möglichkeiten für eine
vollwertige Kontaktaufnahme mit der Umwelt, können die Kinder nicht genug
Sinneserfahrungen machen. Dies wirkt sich auf die Entwicklung der verschiedenen
psychischen Funktionen aus. Durch die vorbereitete Umgebung (bzw. das Material)
bietet die Montessori-Heilpädagogik dem Kind „einen Schlüssel zur Welt“, sowie
auch die Möglichkeit, sich nach seinen inneren Gesetzen zu entwickeln. Das Kind
wird weder unterschätzt, noch überfordert. Bei solchen Kindern werden langsam und
mit viel Geduld Begriffe gebildet, Denkvermögen geschult, das Gedächtnis
entwickelt. Von besonderer Wichtigkeit ist hier das Wiederholen.
Verhaltensstörungen
Als eine Folge von allen bisher erwähnten Problemen kommt es oft noch zu
Verhaltensstörungen - Schüchternheit, Unentschiedenheit, Trotz, Aggressivität,
Autoaggressivität, Hyperaktivität, tyrannisches Verhalten. Normalerweise wird
dieses Problem durch andere wissenschaftlichen Methoden - Verhaltenstherapie,
Gestalttherapie, Familientherapie gelöst.
Meiner Meinung nach bietet die Montessori-Heilpädagogik auch hier einen Weg für
die Behandlung dieser Störung an. Um gute Ergebnisse zu erreichen, brauchen wir in
diesem Fall eine enge Zusammenarbeit zwischen Montessori-Heilpädagogen,
Psychologe, Arzt und Eltern. Dabei ist das kompromisslose und konsequente
Verhalten der Heilpädagogin sehr wichtig. Hier geht es nicht um Brechen des
Willens, sondern um Unterstützung beim Aufbau des Willens im Sinne von
Montessoris Auffassung von Freiheit und Disziplin. Eine Art der Arbeit, die sich als
sehr erfolgreich erwies, ist, wenn man dem Kind am Anfang etwas wählen lässt und
danach die Heilpädagogin eine andere Aufgabe anbietet, die dem heilpädagogischen
Ziel entspricht. So können viele Krisen vermeiden werden, denn die Kinder schätzen,
dass wir ihre freie Wahl berücksichtigen. Die Heilpädagogin soll aufmerksam die
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
24
Heilpädagogik und Montessori
Arbeit des Kindes beobachten, damit er in Moment der Schwierigkeit, den
notwendigen Halt geben kann.
Mehrfachbehinderte Kinder (CP)
Die mehrfach behinderten Kinder müssen, genau wie alle anderen Kinder, lernen, in
der unserer Gesellschaft zu leben. Abgesehen von den vielen Problemen - körperliche
Behinderung, intellektuelle Zurückgebliebenheit, emotionelle Instabilität, Verhaltensstörungen, Kommunikationsprobleme - haben diese Kinder das Recht, Mitglieder
unserer Gesellschaft zu werden. Die Gesellschaft ihrerseits sollte sich bemühen, die
behinderten Kinder mit all deren Besonderheiten anzunehmen und ihnen zu helfen,
sich als ein Teil von ihr zu fühlen.
Damit sich die Kinder in die Gesellschaft eingliedern können, brauchen sie eine
Erziehung in einer Integrationsgruppe von behinderten und nicht behinderten
Kindern. Ein Beispiel dafür ist das Model des Kinderzentrums München.
Meiner Meinung nach ist das Montessori-Material geeignet, um es den behinderten
Kindern anbieten zu können, ohne es viel zu verändern.
1. Adaptiertes Material für die Übungen des praktischen Lebens
a) Beim Löffeln kann man den Löffel mit einem Griff aus Moosgummi
überziehen, damit die Spastiker besser greifen können. Der Löffel soll auch
etwas schwerer sein, damit das Kind eine bessere Bewegungskontrolle hat.
b) Die Schüssel mit Bohnen sind unzerbrechlich, damit das Kind nicht frustriert
wird, falls sie herunterfallen.
c) Das Tablett ist etwas schwerer, denn die Kinder, die feinmotorische Probleme
haben, können oft die Gegenstände nicht gut spüren und sie nicht richtig halten.
(Dieses hängt mit dem Körperschema zusammen).
d) Die Kännchen beim Bohnenschütten (das ist die erste Schuttübung) sind aus
Plastik; das Tablett (es ist leichter als das beim Löffeln) hat einen höheren
Rand, damit die Kännchen nicht umkippen.
e) Alle anderen Kännchen sind zerbrechlich (aus Porzellan), d.h. weiter
bekommt die Montessori-Therapie das klassische Montessori-Material, denn
die Kinder sollen lernen, aufmerksam mit den Gegenständen umzugehen.
f) Bei allen Übungen, falls nötig, gebrauchen wir eine Antirutschunterlage. Es
ist sehr wichtig für die Kinder mit feinmotorischen Schwierigkeiten, eine
Sicherheit mit dem Material zu spüren. So wird die Aufmerksamkeit stabiler
und die Konzentration wird schneller erreicht.
g) Besonders wichtig ist es, wie das Kind sitzt. Viele der mehrfach behinderten
Kinder können nicht gut ihr Gleichgewicht halten. Deswegen sollen wir
vorläufig an einen bequemen Stuhl denken, oder einen Gurt benutzen, mit
welchem die Kinder angeschnallt werden können. Gut ist es, wenn wir eine
Antirutschunterlage für den Sitz besorgen.
Kinder, die klein sind und am Tisch (bei manchen Übungen) nicht bequem sitzen
können, dürfen stehend arbeiten oder auf den Schoß genommen werden. So gibt man
ihnen den Halt und die Sicherheit während der Arbeit.
2. Sinnesmaterial
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
25
Heilpädagogik und Montessori
Beim Sinnesmaterial ist es nicht notwendig, viel zu adaptieren. Es gibt viel
Zusatzmaterial, das aufgrund der Montessori-Prinzipien dargestellt und benutzt
werden kann. Man kann verschiedene Aufgaben damit ausdenken.
a) das kleine Zylinderbrett
Material:
ein hölzernes Brett mit kleinen Öffnungen zum Einstecken, Zylinder, die
Zweck :
Darbietung:
sich in Farbe unterscheiden. Es sind die 3 Grundfarben - rot, gelb, blau und
grün.
direkt. - Erlernen von Farben
indirekt- Konzentration, Bewegungskontrolle
Therapeutin zeigt wie es gemacht wird und benennt die Farbe.
Die nächste Reihe macht das Kind auf Aufforderung, usw.
b) das große Zylinderbrett
Material:
ein hölzernes Brett mit Öffnungen zum Einstecken, Zylinder, die sich in
Zweck:
Farbe und Höhe unterscheiden. Je Farbe - 5 Zylinder; von hoch bis niedrig.
direkt - Erlernen von Dimensionen (hoch - niedrig)
- Üben mit Farben
- Bewegungskoordination und Bewegungskontrolle
indirekt - Vorbereitung auf Schreiben (mit drei Fingern fassen)
Das Material ist eine Fortsetzung der Arbeit mit den Einsatzzylindern,
kombiniert mit den Farben. Es kann auf verschiedenen Arten dargeboten
werden, je nach der Zielsetzung.
3. Sprache
Sprechen
Differenzierte Lautspiele
Schreiben
Die CP-Kinder haben sehr empfindliche Finger, darum nutzt man oft, anstatt
der Sandpapierbuchstaben, Buchstaben aus Filz oder Velourpapier.
Als Übung für die Sprache ist es auch gut, die Buchstaben aus Knetmasse zu
machen.
Man kann auch Ausstecher benutzen, mit welchen die Buchstaben aus der
Knetmasse auszustechen sind.
Lesen
4. Mathematik
Zahlenraum von 1 bis 10
In dieser Gruppe der mathematischen Übungen lernt das Kind diejenigen Zahlen, die für das
Rechnen im Dezimalsystem nötig sind. Im Dezimalsystem braucht man keine Ziffer, die größer
als 9 ist. Nach 9 wechselt man nur die Kategorie, also den Stellenwert. Die Ziffern von 0 bis 9
gelten als das Alphabet der Zahlenwelt, da man damit jede beliebige Zahl bilden kann.
Numerische Stangen
Das Kind bekommt mit den Numerischen Stangen einen visuellen und muskulären
Sinneseindruck der Menge (Quantität) von 1 bis 10. Das ist das konkrete Erleben der Menge.
Jede Stange ist gleichmäßig abgestuft und steht für eine Zahl. Das Kind erlebt, dass jede Zahl
für eine bestimmte Quantität steht, die als Einheit ersichtlich ist. Auch die Reihenfolge von 1
bis 10 wird eingeprägt und das Kind lernt den Wortschatz „eins“ bis „zehn“ mit der Drei Stufen - Lektion.
Sandpapierziffern
Durch Tasterfahrung lernt das Kind die Symbole für die Zahlen von 1 bis 9 und lernt die
Namen der Ziffern mit der Drei - Stufen - Lektion.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
26
Heilpädagogik und Montessori
Zahlenkarten und Numerische Stangen
Die Quantität der Menge von 1 bis 10 wird mit den entsprechenden Symbolen verbunden. Die
Reihenfolge der Zahlen wird gefestigt, und zum Schluss wird dem Kind ein Eindruck des
Addierens und des Subtrahierens gegeben. Mit Hilfe der Stange von „5“ bekommt das Kind
einen flüchtigen Eindruck von Multiplikation und Division.
Spindelkästen
Hier sieht das Kind eine Menge, die aus einzelnen Stücken (Elementen, Teilmengen) besteht,
also eine lose Menge. Das Zusammenbinden der Spindeln zeigt dem Kind das Entstehen einer
Quantität. Die allein stehende Null wird eingeführt. Sie stellt quantitätsmäßig „nichts“ dar. Das
Nullspiel verstärkt diesen Eindruck.
Zahlen und Chips
Das Kind muss hier die gemischten Ziffern nicht nur jeweils erkennen, sondern auch in der
richtigen Reihenfolge von 1 bis 10 auslegen. Das Kind muss auch die entsprechende Menge an
Chips unter die Zahlen legen. Daher gilt diese Arbeit als eine Art Test. Durch die Art des
Auslegens erfährt das Kind, dass es „gerade“ und „ungerade“ Zahlen gibt.
Gedächtnisspiel mit Zahlen
Das Kind muss sich eine auf der Karte gesehene Zahl merken und die entsprechende Menge an
beliebigen Gegenständen aus dem Raum dazu legen. Damit wird nicht nur das Gedächtnis
trainiert, sondern die Verbindung zum Zählen im täglichen Leben hergestellt. Hierbei erfolgt
die Abstraktion!
Nur wenn das Kind die Materialien und deren Übungen verstanden hat und sicher ist, führt
man das Kind in das Dezimalsystem ein. Es ist auch möglich, mit dem so genannten linearen
Zählen weiterzuarbeiten.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
27
Heilpädagogik und Montessori
Normalisation
Polarisation der Aufmerksamkeit
Arbeit
vorbereitete Umgebung
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
28
Heilpädagogik und Montessori
Erzieherin
Eltern
Kind,
dem es erlaubt und
ermöglicht wird,
selbst eine sittliche Person
aufzubauen
PÄDAGOGISCHE KONSEQUENZEN
Was wir wissen:
1. Alle Kinder sind anders
2. Kinder brauchen Sinneserfahrungen
3.
Alles, was sich in unserem Kopf abspielt,

während wir nachdenken,

uns freuen,

uns an etwas erinnern oder wir lernen,
beruht auf Aktivitäten in neuronalen Netzwerken.
Übungen des praktischen Lebens
Die allgemeinen Vorübungen zur Bewegungskontrolle und
Bewegungskoordination oder die „Elementaren Handlungen“ für Vorstadien
(Begriff: Maria Montessori)
Gehen
Tragen
leises Gehen
einen Stuhl tragen (auf verschiedene Arten achten)
einen rechteckigen Tisch tragen - allein, zu zweit
einen Teppich tragen (siehe öffnen und schließen)
Sich hinsetzen und wieder aufstehen
Öffnen und schließen einen Teppich ausrollen und wieder zusammenrollen
Löffeln
Schütten
Gießen
eine Zimmertür öffnen und schließen (andere Türen)
verschiedene Gegenstände öffnen und schließen
Tücher falten
Zopf flechten
in zwei gleiche Gefäße
aus einem größeren Gefäß in mehrere kleinere
mit Samenkörnern in zwei gleiche Porzellankännchen
ein Kännchen und zwei gleiche kleinere Gefäße
mit Wasser in zwei gleiche Porzellankännchen
Porzellankanne und zwei kleinere Gefäße
Sorge für die eigene Person
Anziehrahmen
Rahmen mit Knöpfen / mit Druckknöpfen / mit Haken und Ösen / mit Reißverschluss / Rahmen mit Schnallen / mit Schleifen / mit Sicherheitsnadeln /
mit Schuhknöpfen
Schnürrahmen mit Ösen / mit Haken und Ösen
Hände waschen und Nägel reinigen
Schuhe putzen
Wäsche waschen
Bügeln
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
29
Heilpädagogik und Montessori
Sorge für die Umgebung
 Innerhalb des Hauses
Säubern
abstauben / kehren - den Tisch, den Boden
Waschen
Tisch bzw. Boden wischen
Polieren
Metall polieren - Silber, Messing, Kupfer
Schmücken
Blumenpflege - Schnittblumen schneiden und arrangieren
 Außerhalb des Hauses
Gartenpflege
Tierpflege
Höflichkeitsformen oder Verhalten in der Gemeinschaft und
für die Gemeinschaft oder Übungen für „Anmut und Höflichkeit“ (M. Montessori)
Verhalten in der Gemeinschaft
Verhalten für die Gemeinschaft
Besondere Übungen zur Bewegung
Gehen auf der Linie
Stille Übung
Sinnesmaterial
Sehsinn
Erkennen der Dimensionen
Einsatzzylinder
Rosa Turm
Braune Treppe
Rote Stangen
Erkennen der Farben
Farbtäfelchen
Farbtäfelchen
Farbtäfelchen
- Kasten 1 (Grundfarben)
- Kasten 2 (Grundfarben und Mischfarben
- Kasten 3 (Abstufungen der Farben)
Erkennen der Formen
Geometrische Kommode
Tastsinn
Wahrnehmung von Oberflächen
Tastbretter
Tastbrettchen
Stoffe
Wahrnehmung des Gewichts
Gewichtstäfelchen
Wahrnehmung von Wärme
Wärmeflaschen
Wärmeplatten
Gehörsinn
Geräuschdosen
Glocken
Geruchssinn
Geruchsdosen
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
30
Heilpädagogik und Montessori
Geschmackssinn
Geschmacksgläser
Stereognostischer Sinn
Geometrische Körper
Sortierübungen
Geheimnisvoller Beutel
Fortgeschrittenes Material (zur Verfeinerung mehrerer Sinne)
Konstruktive Dreiecke
Knopflose Zylinder
Binomischer und Trinomischer Kubus
Aufeinander liegende Figuren
Dekanomisches Quadrat
Biologische Kommode
plus Material für die vorbereitenden
Übungen zur kosmischen Erziehung
Sprache
Sprechen
Allgemeine Wortschatzbereicherung (Info)
Karten zur Wortschatzbereicherung
Schreiben
Grundfähigkeiten, indirekte und direkte Vorbereitung, Explosion




Metallene Einsätze
Lautspiele
Sandpapierbuchstaben
Bewegliches Alphabet mit Einführung der Großbuchstaben
Lesen
I. Lesegruppe: Vom Wort zum Satz
1. „Erstes Lesen“ - lautgerecht
Leseklassifikation - Übungen
 Dinge der Umgebung
 Wortkarten zu Übungen des praktischen Lebens, Sinnesmaterial
 Wort - Bild - Material
 Lesebüchlein
 Aufträge
 Lesebuch
2. Einführung. Der Phonogramme
Zusatzmaterial: Phonogrammheft und Phonogrammkarten
Leseklassifikation - Übungen
 Dinge der Umgebung
 Wortkarten zu Übungen des praktischen Lebens, Sinnesmaterial
 Wort - Bild - Material
 Lesebüchlein
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
31
Heilpädagogik und Montessori
 Aufträge
 Lesebuch
3. Definition
4. Fremdwörter
II. Lesegruppe: Funktion der Wortarten
Überblick über die Symbole
Spiele zum Substantiv
Einführung zum Artikel
Einführung zum Adjektiv
Einführung zur Konjunktion
Einführung zur Präposition
Einführung zum Verb
Einführung zum Adverb
III. Lesegruppe: Satzanalyse
IV. Lesegruppe: Wortstudium
Mathematik
Die Zahlen von 1 bis 10
Erlernen der Menge und der Ziffern von 1 - 10
Numerischen Stangen
Sandpapierziffern
Zahlenkarten und Numerische Stangen
Spindelkästen
Zahlen und Chips
Gedächtnisspiel mit Nummern
Einführung in das Dezimalsystem
Einführung in das Dezimalsystem mit dem Goldenen Perlenmaterial
Einführung der Perlenquantität
Einführung der Symbole
1, 10, 100, 1000
1, 10, 100, 1000
Aufbau und Funktion des Dezimalsystems
Gemeinschaftsübungen zum Vorstellen der Grundrechenarten
Addition
Subtraktion
Multiplikation
Division
Markenspiel zu den 4 Grundrechenarten
Punktspiel zur Addition
Textaufgaben zu den 4 Grundrechenarten
Erlernen des Durchzählens bis 1000
Erlernen der Mengen und Ziffern von 11 bis 99
Perlenstangen 11 - 19
Seguinbrett I
Seguinbrett I mit Perlenstäben
Seguinbrett II
Erlernen des linearen Durchzählens bis 1000
100er - Kette
1 000er - Kette
Einprägen der Zahlenreihen - Durchzählen mit Überspringen
Quadratketten und Kubikketten
Auswendiglernen der Grundaufgaben
Addition
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
32
Heilpädagogik und Montessori
Positives Schlangenspiel / Positives Streifenbrett mit Kontrollkarte 1 und 2
Additionstabellen 3, 4, 5 und 6
Subtraktion
Negatives Schlangenspiel / Negatives Streifenbrett mit Kontrollkarte 1
Subtraktionstabellen 2 und 3
Multiplikation
Multiplikation mit Perlenstangen / Multiplikationsbrett mit Kontrollkarte 1 und 2
Multiplikationstabellen 3, 4 und 5
Division
Divisionsbrett für Einer / Divisionstabellen 1 und 2
Der Weg zur Abstraktion
Kleiner Rechenrahmen
Hierarchie der Zahlen
Großer Rechenrahmen
Kurze und lange Division
Schachbrett
Bruchrechnen
Sensorische Arbeit
Die klassische Montessori-Pädagogik, wie sie weltweit bekannt ist und auch praktiziert wird,
geht vom gesunden, nicht behinderten Kind aus. Der Gedanke an das behinderte Kind ist
völlig ausgeklammert.
Die Montessori-Pädagogik ist aber wirklich umfassend einzusetzen, dass alle Kinder davon
profitieren können.
Die Montessori-Heilpädagogik befasst sich mit dem behinderten Kind – sowohl mit den
Möglichkeiten seiner Förderung, seiner Entwicklung, aber auch mit seinem Umfeld. Die
Integration eines Kindes in seine Umgebung, denn sein Umfeld gibt ihm erst die Möglichkeit
seine Fähigkeiten einzusetzen. Dabei ist es völlig egal von welcher Behinderung das Kind, der
Jugendliche, der erwachsene Mensch beeinträchtigt ist.
Hilf mir es selbst zu tun!
Ist einer der wichtigsten Leitsätze – er gilt für Behinderte wie Nichtbehinderte.
Die Wege zum Ziel unterscheiden sich.
Das nicht behinderte Kind ist, in der Regel, neugierig, an seiner Umwelt interessiert, ist
bestrebt sie zu erobern. Bereits das Baby fasst in die Haare der Mutter, hält sie fest – nicht
weil es die Mutter verletzen möchte, ärgern will, sondern weil es ihm ein Bedürfnis ist, weil
ein sinnesphysiologischer Reiz die Händchen sich öffnen und schließen lässt und es so eine
Empfindung, einen Eindruck aufnehmen kann.
Das Krabbelkind erobert die Welt auf seine Weise, es nimmt alles Erreichbare in die Hand,
führt es zum Mund. Die Palette der Eindrücke wächst ständig.
Das behinderte Kind kann seinen Lebensraum nicht ohne weiteres erkunden, seine Motorik
entwickelt sich unvollständig oder wesentlich langsamer – viele, viele Eindrücke gehen auf
diese Weise verloren.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
33
Heilpädagogik und Montessori
Montessori-Heilpädagogik versucht nun, bereits in diesem frühen Entwicklungsalter, fehlende
Eindrücke auszugleichen und verwendet dabei dieselben pädagogischen Ansätze, die später,
auch noch im Schulalter angewandt werden.
Der Kindergarten ist in der Regel die erste Institution die einen festen platz im Leben des
Kindes einnimmt – die es alleine, auf sich gestellt – erlebt. Das nichtbehindertere Kind
braucht dazu keine besondere Vorbereitung. Es konnte sich in den Jahren vorher, durch
Beobachtung, Nachahmung und auch manches „Ungezogensein“ schon einen Standpunkt
erwerben: „Wie verhalte ich mich beim Zusammentreffen mit mir unbekannten Personen oder
Gegenständen?“
Es kann sich auf eine unbekannte Situation einstellen, hat Verhaltensmuster entwickelt. Die
„Vorbereitete Umgebung“ – ein pädagogisches Prinzip – hilft dem Kind dabei ganz gezielt,
denn in der „Vorbereiteten Umgebung“ findet es viele Dinge, die es von zuhause kennt, deren
Gebrauch es bei der Mutter oft beobachtet hat, mit welchen es vielleicht auch bereits selbst
umgehen kann. Das sich zurücknehmende, abwartende Angebot der Montessori-Erzieherin
lässt dem Kind Zeit, drängt es nicht durch Forderungen in Opposition.
Dem behinderten Kind sind viele Wege zur Selbstfindung verschlossen. Oft ist es so
pflegebedürftig, dass eine Ablösung von der Bezugsperson gar nicht möglich ist. Dies ist ein
Ansatzpunkt der Montessori-Heilpädagogik: gemeinsam mit der Bezugsperson nach Wegen
suchen, die einem Kind Selbständigkeit in der ihm möglichen Form erreichen lässt.
Ein nicht behindertes Kind sieht einen Gegenstand und will ihn haben! Das große Problem
des Trotzalters!
Genervte Eltern und Erzieher/-innen sehen dabei meist die schädlichen Auswirkungen:
o Der Gegenstand könnte zerbrechen, also ein materieller Schaden eintreten.
o Das Kind könnte sich verletzen, sie kämen mit der Aufsichtspflicht in Konflikt.
o Das ist einfach nichts für das Kind in diesem Alter – ohne ein weiteres Nachdenken. Usw.
Was bedeutet dies für das Kind?
Es wird angelockt durch irgendeinen Reiz: die Farbe, die Form, einen Ton der davon ausgeht,
den Gebrauch, eine angenehme Erfahrung, die es bereits gesammelt hat, oder die Beobachtung
wie andere damit umgehen. Es ist jedenfalls lebhaftes Interesse – das oft einfach
abgeschnitten wird!
Ein nicht behindertes Kind wird trotzdem Mittel und Wege finden Erfahrungen zu sammeln.
Es wird selbständig immer wieder nach Wegen suchen seine Wünsche, seine Bedürfnisse zu
erfüllen und dabei seine Wahrnehmung, sein Ich-Verständnis, seine Kreativität, sein
Denkvermögen, also seine Intelligenz schulen.
Das behinderte Kind ist nicht nur in der Durchführung seiner Wünsche behindert.
Ansprüche, Wünsche können nur entstehen, wenn Möglichkeiten erkannt, also
wahrgenommen werden!
Hier ist der Ansatzpunkt für Montessori-Heilpädagogik. Sie sucht sensible Phasen des Kindes
zu erkennen, sucht nach den Gegenständen, Handlungsabläufen, die das Kind gerade jetzt
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
34
Heilpädagogik und Montessori
interessieren könnten und versucht so Bedürfnisse zu wecken und in den nächsten Schritten
das Erfüllen dieser Wünsche zu ermöglichen.
Das Spezifische der Montessori-Heilpädagogik - erarbeitet von J. Dattke
Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63, 81377 München,
www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
35
Herunterladen