§1 Die reellen Zahlen

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Mathematik für Physiker I, WS 2014/2015
Freitag 31.10
$Id: reell.tex,v 1.28 2014/10/31 13:24:19 hk Exp hk $
§1
Die reellen Zahlen
1.2
Aussagen und Mengen
In der letzten Sitzung haben wir die neun arithmetischen Axiome der reellen Zahlen
eingeführt und aus diesen einige einfache Folgerungen gezogen. Bevor wir unsere Diskussion der reellen Zahlen mit der nächsten Axiomengruppe fortsetzen, ist es jetzt erst
einmal an der Zeit einige grundsätzliche Fragen zu klären. Nachdem wir im vorigen
Abschnitt schon einige Beispiele von Beweisen gesehen haben, wollen wir den formalen Umgang mit mathematischen Aussagen besprechen, dieser ist der Gegenstand der
sogenannten Aussagenlogik.
Unter einer Aussage verstehen wir einen sprachlichen Ausdruck der einen eindeutigen Wahrheitsgehalt hat, also entweder wahr oder falsch ist. Streng genommen sind
wir hier eigentlich nur an mathematischen Aussagen interessiert, dies meint Aussagen
die nur von mathematischen Objekten handeln. In der Logik betrachtet man auch allgemeinere Aussagen, dies führt aber schnell zu zusätzlichen Komplikationen, die für
uns keine Rolle spielen. Beispiele derartiger (mathematischer) Aussagen sind:
• 3 + 4 = 7.
• 7 · 8 = 44 (Dies ist zwar falsch, aber trotzdem eine Aussage).
• Die 5-te Nachkommastelle von π ist 9.
Alle diese Ausdrücke sind definitiv, und ohne jeden Verhandlungsspielraum jeweils
wahr oder falsch. In einer Hinsicht sind wir dagegen recht großzügig, es ist nicht nötig
zu wissen ob eine mathematische Aussage nun wahr oder falsch ist, es kommt nur
darauf an, daß sie eines von beiden ist. Beispiele solcher zweifelsfrei mathematischen
Aussagen, deren Wahrheitsgehalt wir zur Zeit nicht kennen sind:
• Die 1032538 -te Nachkommastelle von π ist eine 7.
• Es gibt beliebig große natürliche Zahlen n so, dass unter den ersten n Nachkommastellen von π die 7 genauso oft wie die 3 vorkommt.
Diese beiden Aussagen sind sicherlich entweder wahr oder falsch. Bei der ersten Aussage ist es eher unwahrscheinlich das irgendjemand diese Dezimalstelle von π einmal
ausgerechnet hat. Im Prinzip kann man durchaus entscheiden ob die Aussage wahr
oder falsch ist, es gibt sogar einen Algorithmus der beliebige Dezimalstellen von π berechnen kann ohne dabei die vorhergehenden Stellen berechnen zu müssen. Auch die
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zweite Aussage ist entweder wahr oder falsch, wir wissen nur nicht was zutrifft, wir
können uns sogar ziemlich sicher sein, das man das nie wissen wird. Trotzdem handelt
es sich um eine mathematische Aussage in unserem Sinn, denn entweder wahr oder
falsch ist sie allemal, auch wenn wir nicht wissen welche dieser beiden Möglichkeiten
nun zutrifft.
Es gibt verschiedene Konstruktionen aus bereits gegebenen Aussagen A, B neue
Aussagen zusammenzusetzen. Diese werden gelegentlich als aussagenlogische Junktoren
bezeichnet. Der einfachste dieser Junktoren ist die Verneinung. Ist A eine Aussage, so
ist die Verneinung von A die Aussage ¬A, die genau dann wahr ist wenn A falsch ist.
Ebenfalls ohne Überraschungen ist die Konjuktion, oder simpler die und“, Aussage.
”
Bei dieser sind zwei Aussagen A, B gegeben, und man bildet die neue Aussage A ∧ B,
gesprochen als A und B, die genau dann wahr ist wenn beide Aussagen A und B wahr
sind.
Diese Festlegungen sollten nicht besonders überraschend sein. Der nächste unserer
Junktoren wird nun die Disjunktion, beziehungsweise oder“ Aussage, sein. Hier gibt es
”
ein kleines Detail zu beachten, die Bedeutung der Disjunktion weicht gelegentlich etwas
von der sonst üblichen Verwendung dieses Wortes ab. Sind A, B wieder zwei Aussagen,
so ist die Disjunktion A ∨ B, gesprochen als A oder B, genau dann wahr wenn eine der
beiden Aussagen A, B wahr ist. Hierbei ist immer der Fall erlaubt, dass sogar beide
Aussagen A, B wahr sind. Wir hatten bereits in der letzten Sitzung bemerkt, dass diese
Verwendung des Wortes oder“ etwas von der Umgangssprache abweicht. Beachte hier
”
auch das eine der beiden Aussagen A, B wahr ist“ erlaubt das sogar beide Aussagen
”
wahr sind, bei der Angabe von Anzahlen ist implizit immer mindestens“ gemeint,
”
beispielsweise ist die Aussage In dieser Vorlesung sind sieben Studenten“ wahr. Ist
”
dies nicht gemeint so setzt man explizit ein genau“ davor und hat die falsche Aussage
”
In dieser Vorlesung sind genau sieben Studenten“. Der Deutlichkeit halber können wir
”
Konjunktion und Disjunktion in Form sogenanter Wahrheitstabellen beschreiben. Die
Tabellen für Konjunktion und Disjunktion haben dabei die folgende Form:
@A
A ∨ B: B
@ 0 1
0 0 1
1 1 1
A
A ∧ B: @
B @ 0 1
0 0 0
1 0 1
In diesen Tabellen schreiben wir 0 für falsch“ und 1 für wahr“. Dies soll nicht etwa
”
”
bedeuten, dass die Zahlen 0 und 1 irgendetwas mit wahr“ und falsch“ zu tun haben,
”
”
es handelt sich nur um Symbole für diese Begriffe. Alternativ könnten wir auch f und
w anstelle von 0 und 1 schreiben.
Mit den logischen Junktoren kann man rechnen. Wir wollen hier eine der Rechenregeln für logische Junktoren hervorheben, die sogenannten de Morganschen Regeln
für Aussagen. Diese behandeln die Verneinung von und“ beziehungsweise von oder“
”
”
Aussagen. Da es sich hier um logische Tatsachen und nicht um mathematischen Aussagen handelt, wollen wir diese Formeln nicht als mathematische Sätze bezeichnen. Die
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de Morganschen Regeln besagen
¬(A ∧ B) = (¬A) ∨ (¬B) und
¬(A ∨ B) = (¬A) ∧ (¬B)
für alle Aussagen A und B. Dabei steht das Gleichheitszeichen hier für ist gleich”
bedeutend mit“ oder äquivalent“, gelegentlich wird hierfür ein eigenes Zeichen, etwa
”
≡“, verwendet, für unsere Zwecke ist das aber nicht nötig. Wir wollen uns die de
”
Morgansche Regel für die Disjunktion einmal klarmachen, die andere Regel kann man
sich dann analog überlegen. Die einzige Möglichkeit das die Disjunktion A ∨ B falsch
ist, ist wenn A und B gleichzeitig beide falsch sind, wenn also (¬A) ∧ (¬B) wahr ist.
Dies bedeutet ¬(A ∨ B) = (¬A) ∧ (¬B). Als eine alternative Begründung kann man
sich auch die Wahrheitstafeln anschauen
¬(A ∨ B) :
0 1
0 1 0
1 0 0
(¬A) ∧ (¬B) :
0 1
0 1 0
1 0 0
Wir kommen jetzt zu einem weiteren logischen Junktor, der auch schon komplizierter
ist, der sogenannten Implikation. Sind A, B zwei Aussagen, so ist die Aussage A ⇒ B,
gesprochen als aus A folgt B“ oder A impliziert B“, wahr wenn mit A auch B stets
”
”
wahr ist. In Form einer Wahrheitstafel soll diese Festlegung gerade
A
A ⇒ B: @
B @ 0 1
0 1 0
1 1 1
bedeuten. Ist die Implikation A =⇒ B wahr, so nennt man A auch eine hinreichende
Bedingung für B und entsprechend B eine notwendige Bedingung für A. Beachte das
die Implikation A ⇒ B insbesondere immer dann wahr ist wenn die Voraussetzung A
der Implikation falsch ist. Anders gesagt soll aus einer falschen Aussage jede beliebige
andere Aussage folgen. Dies erscheint zunächst als eine etwas merkwürdige Festlegung, aber dieser Eindruck sollte bei näherer Betrachtung verfliegen. Umgangssprachlich würde man eine Aussage der Form Wenn morgen das Hörsaalgebäude einstürzt,
”
so fällt die Vorlesung aus“, als wahr betrachten unabhängig davon ob das Gebäude
morgen noch steht, selbst dann wenn die Vorlesung trotz eines in bestem Zustand befindlichen Hörsaals ausfällt. Ein weiterer Grund für die angegebene Interpretation der
Implikation, der für die Mathematik auch erheblich schwerwiegender ist, sind Aussagen
in denen Variablen vorkommen. Steht x beispielsweise für eine reelle Zahl, so sollte die
Aussage
x2 = 4 =⇒ −2 ≤ x ≤ 2
immer wahr sein, unabhängig davon welchen konkreten Wert x jetzt hat, also auch
wenn etwa x = 3 oder x = 0 ist.
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Um eine Implikation A ⇒ B zu beweisen, kann man immer annehmen das die
Aussage A wahr ist, denn andernfalls gilt die Implikation sowieso. Ein Beispiel hatten
wir bei unserem Beweis von (F2) gesehen, als Implikation schreibt sich (F2) für reelle
Zahlen x, y, z als
x + z = y + z =⇒ x = y,
und im Beweis in seiner verkürzten Form sind wir dann gleich von x + z = y + z
ausgegangen.
Was ist jetzt die Verneinung der Implikation A ⇒ B? Diese ist genau dann wahr
wenn A ⇒ B falsch ist, und hierfür gibt es nur eine einzige Möglichkeit, A muss wahr
sein und B muss falsch sein. Als Formel bedeutet dies
¬(A ⇒ B) = A ∧ (¬B).
Verwenden wir jetzt noch die offensichtliche Tatsache, dass für jede Aussage X stets
¬¬X = X ist, so erhalten wir mit den de Morganschen Regeln
A ⇒ B = ¬¬(A ⇒ B) = ¬(A ∧ (¬B)) = (¬A) ∨ (¬¬B) = (¬A) ∨ B.
Insbesondere scheint die Implikation damit auf derselben inhaltlichen Stufe wie und“
”
und oder“ zu stehen, was Sie zumindest irritieren sollte. Dieser Eindruck täuscht auch
”
in gewisser Weise, denn der hier verwendete Implikationsbegriff ist rein formaler Natur.
Es kommt für die Wahrheit von A ⇒ B nur auf den Wahrheitswert der Aussagen A
und B an, nicht aber auf die inhaltliche Bedeutung dieser Aussagen. Diesen Implikationsbegriff sollte man nicht mit dem inhaltlichen Folgerungsbegriff verwechseln, dass
also eine Aussage B durch logisches Schließen aus einer Aussage A folgt. Bei letzterem
kommt es tatsächlich auf die Bedeutung von A und B an. Um eine Implikation zu
beweisen, verwendet man dagegen in aller Regel eine inhaltliche Argumentation, wie
bereits bemerkt wird A als wahr angenommen und dann auf B geschlossen.
Der letzte der üblichen logischen Junktoren ist die Äquivalenz, sind A, B zwei Aussagen, so ist die Aussage A ⇐⇒ B, gesprochen als A ist äquivalent zu B“ oder A
”
”
genau dann wenn B“, wahr wenn A die Aussage B impliziert und umgekehrt aus B
auch die Aussage A folgt, also als Wahrheitstabelle
A
A ⇔ B: @
B @ 0 1
0 1 0
1 0 1
oder als Formel
A ⇐⇒ B = A =⇒ B ∧ B =⇒ A.
Wir wollen nun eine der wichtigsten aussagenlogischen Tatsachen besprechen, das sogenannte Kontrapositionsprinzip. Tatsächlich haben wir dieses bereits in der letzten
Sitzung im Einsatz gesehen, wenn auch in einer sehr schlichten Situation. Als Aussage
(F8) hatten wir bewiesen das für jede reelle Zahl x stets 0 · x = 0 gilt, und dies hatten
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wir dann beim Beweis von (F9) verwendet. Dort hatten wir wieder eine reelle Zahl x
diesmal mit x 6= 0 und hatten aus x−1 · x = 1 6= 0 auf x−1 6= 0 geschlossen, wir haben
also aus der Aussage
y = 0 =⇒ y · x = 0 auf y · x 6= 0 =⇒ y 6= 0
geschlossen. Dies ist eine einfache Anwendung des Kontrapositionsprinzips. Allgemein
besagt dieses das für je zwei Aussagen A, B stets
A =⇒ B = ¬B =⇒ ¬A (Kontrapositionsprinzip)
ist. In unserem Beispiel sind A und B gerade die folgenden Aussagen
y = 0 =⇒ y · x = 0 beziehungsweise y · x 6= 0 =⇒ y 6= 0 .
| {z }
| {z }
| {z }
| {z }
A
¬B
B
¬A
Inhaltlich sollte das Kontrapositionsprinzip unmittelbar klar sein, man kann es, wenn
man will, auch rechnerisch“ begründen
”
¬B =⇒ ¬A = (¬¬B) ∨ ¬A = ¬A ∨ B = A =⇒ B.
Will man eine Implikation A =⇒ B beweisen, so kann man nach dem Kontrapositionsprinzip anstelle dessen auch die Kontraposition ¬B =⇒ ¬A zeigen, man spricht dann
auch von einem Beweis per Kontraposition.
Die meisten der Aussagen des vorigen Abschnitts waren sogenannte Allaussagen,
also beispielsweise Aussagen wie (F1), dass für jede reelle Zahl x stets −(−x) = x gilt.
Bei derartigen Allaussagen wird gesagt das eine Aussage A(x) mit einer freien Variable
x für jedes x aus einer gegebenen Objektklasse zutrifft und man sagt dann auch das die
Allaussage über dieser Objektklasse quantifiziert ist. Die Ausssage (F1) ist dann über
reelle Zahlen quantifiziert. Allgemein lassen wir als Objektklassen beliebige Mengen zu
und gehen daher erst einmal auf den Mengenbegriff ein.
Die klassische, 1878 von Cantor gegebene, Definition des Mengenbegriffs ist
Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung M von bestimmten, wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens, welche die Elemente von M genannt werden, zu einem Ganzen.
Eine Menge fasst also einige bereits vorhandene Objekte zu einem neuen Ganzen zusammen. Wir werden nur Mengen betrachten, deren Elemente allesamt mathematische
”
Objekte“ sind, also beispielsweise Zahlen. Sind M eine Menge und x irgendein mathematisches Objekt, so schreiben wir x ∈ M für x ist ein Element von M“ und x ∈
/M
”
für x ist kein Element von M“. Wir listen jetzt einige Beispiele von Mengen auf:
”
1. Die Menge M die die drei Elemente 1, 2, 3 hat kann man als
M = {1, 2, 3}
schreiben. Man setzt also die vorgesehenen Elemente der Menge in ein Paar geschweifter Klammern.
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2. Es ist auch erlaubt in den geschweiften Klammern dasselbe Objekt mehrfach
aufzulisten
M = {1, 1, 2, 3} = {1, 2, 3}.
Ein Objekt ist entweder Element einer Menge oder nicht, so etwas wie eine
mehrfache Mitgliedschaft in einer Menge gibt es nicht. Im diesem Beispiel ist es
natürlich nicht besonders sinnvoll die Eins zweimal hinzuschreiben, man ist sogar
versucht so etwas ganz zu verbieten. Das wäre allerdings hochgradig unpraktisch.
Nehmen wir einmal an, wir hätten drei reelle Zahlen a, b, c gegeben, von denen
wir sonst nichts wissen. Es könnten also insbesondere Gleichheiten zwischen diesen Zahlen auftreten, etwa a = b 6= c. Wollen wir dann die Menge M mit den
Elementen a, b, c hinschreiben und bestünden bei {. . .} auf verschiedenen Objekten in den Klammern, so bräuchten wir eine Definition wie ist a = b = c, so sei
”
M = {a}, ist a = b 6= c, so sei M = {a, c}, . . .“, und so weiter bis alle Möglichkeiten für Gleichheiten zwischen a, b, c aufgelistet sind. Erlauben wir dagegen
Wiederholungen bei {. . .}, wie wir es tun, so kann man einfach M = {a, b, c}
schreiben.
3. Mengen können auch unendlich viele Elemente haben. Als ein Beispiel einer solchen Menge haben wir etwa die Menge aller natürlichen Zahlen. Für diese Menge
gibt es ein nur für sie reserviertes Symbol
N = {0, 1, 2, 3, . . .}.
Man muss leider etwas aufpassen, da es auch eine alternative Definition gibt bei
der die Null nicht zu den natürlichen Zahlen zählt, also N = {1, 2, 3, . . .}. Braucht
man dann doch einmal die Null dabei, so verwendet man N0 für die natürlichen
Zahlen mit Null. Welche der beiden Konventionen man verwendet, also mit oder
ohne Null, ist eine Geschmacksfrage, in der Literatur und in Lehrbüchern ist
beides anzutreffen. Wir wollen in dieser Vorlesung durchgängig die Variante mit
eingeschlossener Null verwenden.
4. Auch einige andere Zahlbereiche haben wie die natürlichen Zahlen eine Standardbezeichnung, diese sind:
Z
Q
R
C
−
−
−
−
die
die
die
die
ganzen Zahlen . . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .,
rationalen Zahlen, also Brüche ganzer Zahlen,
reellen Zahlen und
komplexen Zahlen, die in §3 eingeführt werden.
5. Als nächstes Beispiel wollen wir die Menge M aller geraden natürlichen Zahlen
hinschreiben. Eine naheliegende Schreibweise hierfür ist
M = {0, 2, 4, 6, 8, . . .}.
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Eine derartige Pünktchen-Schreibweise“ muss man aber sehr sparsam verwen”
den, es muss wirklich unmissverständlich und ohne jeden Spielraum klar sein
wofür die Auslassungspunkte stehen. Beispielsweise kann man bei der Menge
N = {1, 7, 289, . . .} bestenfalls raten was damit gemeint sein soll, und so etwas
geht auch nicht als sinnvolle Mengenbeschreibung durch. Eine pünktchenfreie“
”
alternative Beschreibung der Menge M der geraden Zahlen kann man durch Parametrisierung der Elemente erhalten. Eine gerade natürliche Zahl ist ja definitionsgemäß eine Zahl die man als 2 · n für eine andere natürliche Zahl n schreiben
kann, und durchläuft n die natürlichen Zahlen, so durchläuft 2 · n die geraden
Zahlen. Dies führt auf die Schreibweise
M = {2n|n ∈ N}.
Dies ist dann ein Beispiel einer Mengendefinition durch allgemeine Aufzählung
der Elemente, rechts vom Strich stehen eine formale Variable und ein Wertebereich für diese und links vom Strich steht eine Formel mit der freien Variablen n.
Anstelle des senkrechten Strichs werden hier auch andere Trennsymbole verwendet, etwa Komma, Semikolon, Doppelpunkte und so weiter.
6. Die Schreibweise des vorigen Beispiels kann man jetzt auch auf kompliziertere Situationen ausdehnen in denen gleich mehrere laufende Variablen vorkommen. Als
ein Beispiel wollen wir einmal die Menge M aller natürlichen Zahlen hinschreiben, die sich als eine Summe von zwei Quadraten schreiben lassen. Diese Zahlen
haben die Form a + b wobei a, b zwei Quadratzahlen sind. Die Quadratzahlen
kann man ihrerseits wieder als a2 mit a ∈ N erhalten, und es ergibt sich
M = {a2 + b2 |a, b ∈ N}
als eine einfache Art die Menge M anzugeben. Entsprechend kann man auch die
Menge aller natürlichen Zahlen hinschreiben die sich als eine Summe von vier
Quadraten schreiben lassen, und es stellt sich heraus das
{a2 + b2 + c2 + d2 |a, b, c, d ∈ N} = N
ist. Wir wollen hier glauben das diese Gleichung wahr ist, der Beweis ist leider
viel zu kompliziert um ihn hier im ersten Semester vorzuführen. Dieses Beispiel
zeigt uns aber eine wichtige Tatsache, zwei Mengen sind dann gleich wenn sie
genau dieselben Elemente besitzen und nicht etwa wenn sie dieselben Beschreibungen haben. Die Beschreibungen der beiden Mengen links und rechts des obigen Gleichheitszeichens sind grundverschieden und lassen sich auch nicht durch
einfache Umformungen ineinander überführen, trotzdem sind die von ihnen beschriebenen Mengen gleich.
7. Neben der Mengenbildung durch Aufzählung wie in den vorigen beiden Beispielen
kann man Mengen auch noch durch Auswahl konstruieren. Haben wir eine Menge
M und eine Aussage A(x) über Elemente x ∈ M , so können wir die Menge
N := {x ∈ M |A(x)}
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aller Elemente von M bilden für die A(x) zutrifft. Beispielsweise ist
{x ∈ R|x2 = 1} = {−1, 1}.
Der formale Aufbau dieser Art der Mengendefinition sieht genauso aus wie bei der
Mengenbildung durch Aufzählung, beide haben die Form {. . . | . . .}, es handelt
sich aber um zwei verschiedene Konstruktionen. Dass für verschiedene Dinge
nahezu gleiche Schreibweisen verwendet werden mag etwas unglücklich sein, stellt
sich aber im praktischen Gebrauch als unproblematisch heraus.
8. Bisher haben wir in all unseren Beispielen immer Zahlen als Elemente einer Menge
verwendet. Allgemeine Mengen dürfen aber auch kompliziertere Elemente haben,
etwa Punkte, Geraden, Kreise oder auch andere Mengen. Ein Beispiel hierfür ist
M = {{1, 2}, {3, 4}, 5}.
Dies ist eine Menge mit drei Elementen, und nicht etwa mit fünf, und diese drei
Elemente sind
M = {{1, 2}, {3, 4}, 5 },
| {z } | {z } |{z}
1
2
3
also die Menge {1, 2} mit den beiden Elementen 1 und 2, dann die Menge {3, 4}
und schließlich die Zahl 5.
9. Ein letztes Beispiel ist die Menge
M = {{1}}.
Dies ist eine Menge mit einem einzelnen Element, aber dieses Element ist nicht
die Zahl Eins, sondern die Menge {1}, deren einziges Element 1 ist. Beachte
{1} =
6 1, denn Eins ist eine Zahl und keine Menge, und damit auch {{1}} =
6 {1}
denn diese beiden Mengen haben verschiedene Elemente.
Die Mengenbildung durch Auswahl wie im siebten Beispiel ist nur bei Vorhandensein
einer explizit oder implizit vorgegebenen Obermenge M zulässig aus der Elemente
ausgewählt werden, freie Mengenbildung {x|A(x)} wird nicht zugelassen. Das übliche
Beispiel weshalb diese problematisch wäre ist die sogenannte Russelsche Antinomie.
Bei dieser versucht man die Menge
R := {M |M ist eine Menge mit M ∈
/ M}
zu bilden, und die Existenz einer solchen Menge“ stellt sich als widersprüchlich heraus.
”
Das Problem entsteht bei der Frage ob R ∈ R gilt? Nehmen wir einmal an das R ∈ R
ist. Dann ist nach Definition von R auch R ∈
/ R, es kann also nicht R ∈ R sein. Damit
muss R ∈
/ R gelten, aber dann ist R eine Menge die sich nicht selbst als Element
enthält, d.h. wir haben doch R ∈ R. Eine Konstruktion wie das obige R führt also
auf Widersprüche, so etwas soll in der Mathematik aber nicht auftreten und um die
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Russelsche Antinomie zu beseitigen verbietet man schlichtweg die freie Mengenbildung
und besteht auf vorgegebenen Obermengen aus denen ausgewählt wird.
Wir wollen ein letztes Beispiel einer Menge vorstellen, diese ist sogar wichtig genug
ein eigenes Symbol zu erhalten.
Definition 1.1 (Die leere Menge)
Die leere Menge ist die Menge die keine Elemente hat, geschrieben als ∅.
Natürlich ist die leere Menge für sich genommen keine interessante Menge, ihre Wichtigkeit besteht darin das sie sehr häufig vorkommt. Wir haben die leere Menge hier
sogar als eine sogenannte Definition“ eingeführt und wollen diesen Begriff jetzt ein
”
wenig besprechen.
Dass wir die Definition der leeren Menge offiziell als eine Definition bezeichnet und
numeriert haben, die Cantorsche Definition einer Menge aber nicht, ist kein Versehen
sondern gewollt. Letztere ist nämlich keine Definition im mathematischen Sinne. Im
normalen Sprachgebrauch gibt es verschiedene Sorten von Definitionen, und die einfachste Art einer Definition ist die Verabredung einer Abkürzung. Dass beispielsweise
LS17“ für Leibniz Straße 17“ stehen soll ist eine rein willkürliche Abkürzung. Will
”
”
man dagegen definieren was ein Planet ist, so gibt es ja nach intendierten Verwendungszweck verschiedene Definitionen, wie man etwa an der Diskussion um den Status
des Pluto sehen kann. Eine Definition von Planeten beschreibt real vorhandene Objekte und dient nur dazu die gerade relevanten Aspekte dieses Objekts zu benennen. In
der Mathematik kommen solche Definitionen nicht vor, schon da die Mathematik nicht
von realen Objekten handelt, statt dessen sind alle Definitionen Verabredungen von
Abkürzungen. Der Begriff der leeren Menge ist nicht strikt nötig, anstelle von M = ∅“
”
könnte man genauso gut Die Menge M besitze keine Elemente“ sagen. Bevor das
”
Wort leere Menge“ definiert wurde gab es keine leere Menge, Planeten dagegen gibt
”
es völlig egal ob man eine Definition von Planet hat oder nicht.
Mathematische Definitionen führen also immer einen neuen Begriff in Termen bereits vorhandener Begriffe ein. Die Cantorsche Mengendefinition ist nicht von dieser
Art, da sie ihrerseits auf weitere noch nicht definierte Begriffe, wie Objekte unse”
rer Anschauung“, Zusammenfassung“ und so weiter, verweist. So etwas ist leider auch
”
nötig, mit mathematischen Definitionen alleine kommt man nicht aus. Wenn jeder neue
Begriff nur in Termen bereits vorhandener Begriffe eingeführt werden kann, so braucht
man irgendetwas mit dem alles anfangen kann. Hierfür verwendet man sogenannte
Grundbegriffe“, diese denken wir uns als vorgegeben und nicht weiter hinterfragbar.
”
Für diese Grundbegriffe gibt man dann üblicherweise eine Beschreibung an, die erklären soll was man sich unter dem Grundbegriff vorzustellen hat. Der Mengenbegriff
ist solch ein Grundbegriff und die Cantorsche Mengendefinition ist seine Erklärung.
Welche Begriffe als Grundbegriffe verwendet werden und welche definiert werden,
ist letzten Endes eine rein willkürliche Entscheidung. Es ist beispielsweise möglich den
Begriff einer Funktion als Grundbegriff zu verwenden, und Mengen dann in Termen
von Funktionen zu definieren. Es hat sich aber ein üblicher Satz“ an Grundbegriffen
”
durchgesetzt, zu denen unter anderem die Mengen gehören. Man kann mit erstaunlich
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wenigen Grundbegriffen auskommen, es reichen der Mengenbegriff und ausreichend
viele logische und mathematische Begriffe um eine axiomatische Mengenlehre in Gang
zu bringen. Auf der Basis dieser Begriffe können dann kompliziertere Objekte wie
die reellen Zahlen definiert werden und ihre Axiome bewiesen werden. Als Startpunkt
im ersten Semester ist dies allerdings nicht geeignet, da man einfach zu weit unten
anfangen müsste, nicht einmal Dinge wie 2 + 2 = 4“ wären bekannt, schlimmer noch
”
es wäre noch nicht einmal definiert was 2“, 4“ und +“ überhaupt sein sollen. Daher
”
”
”
starten wir mit einem viel größeren Satz an Grundbegriffen, zu denen unter anderem
die reellen Zahlen gehören.
Da eine mathematische Definition letztlich nur eine Abkürzung ist, beschreibt sie
das definierte Objekt vollständig, die Definition und die sich aus ihr ergebenden Folgerungen sind alles was über die definierten Objekte zu sagen ist. Dies unterscheidet
mathematische Definitionen von Definitionen in anderen Gebieten, wo die definierten
Objekte letztlich reale Gegenstände sind und durchaus weitere über eine Definition
hinausgehende Eigenschaften haben können. Insbesondere sind Fragen nach dem Status nicht definierter Konzepte keine mathematische Fragen, sondern bestenfalls Fragen
über Mathematik. Ein übliches Beispiel für die Verwirrungen die bei Fehlinterpretationen des Definitionsbegriffs entstehen ist die Frage“ was denn 0/0 ist. Wir haben den
”
Bruch a/b := ab−1 nur definiert wenn a, b ∈ R und b 6= 0 sind, dem Symbol 0/0 ist
damit keine Bedeutung zugewiesen und die Frage nach seinem Wert ist sinnlos.
In diesem Skript werden die meisten Definitionen explizit als solche ausgewiesen und
numeriert. Gelegentlich werden wir aber auch Ausnahmen zulassen, einige besonders
einfache Definitionen die eher Synonyme oder Notation sind werden einfach im laufenden Text aufgeführt, so hatten wir zum Beispiel in der ersten Sitzung die Definitionen
der Subtraktion und der Division behandelt.
Wir wollen auch noch eine Anmerkung zur Vergabe des Namens ∅“ machen.
”
Während die Physik sehr großzügig mit fest vergebenen Namen ist, beispielsweise ist v
fest für die Geschwindigkeit reserviert, gibt es in der Mathematik nur sehr wenige reservierte Namen, selbst ein Symbol wie π steht nicht immer für die Kreiszahl, sondern
kann je nach Kontext auch was ganz anderes bedeuten. Einer dieser vergebenen Namen
ist das Symbol ∅ für die leere Menge, ein anderer ist N für die Menge der natürlichen
Zahlen. Dass soll an Kommentaren zu dieser Definition erst einmal reichen, und wir
kommen zu einer weiteren wichtigen Definition.
Definition 1.2 (Teilmengen einer Menge)
Eine Menge M heißt Teilmenge einer Menge N , wenn jedes Element von M auch ein
Element von N ist. In diesem Fall schreiben wir M ⊆ N .
Ist eine Menge M keine Teilmenge einer Menge N , so wird dies mit dem Symbol
M 6⊆ N notiert. Die Schreibweise M ⊆ N für die Teilmengenbeziehung wird leider
nicht einheitlich von allen Autoren verwendet, oftmals finden Sie auch M ⊂ N anstelle
von M ⊆ N . Einige Beispiele von Teilmengen sind:
1. Es ist
{1, 2} ⊆ {1, 2, 3}
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denn die beiden Elemente 1 und 2 der linken Menge sind auch Elemente der
rechten Menge.
2. Es ist auch
{1, 2, 3} ⊆ {1, 2, 3}.
Allgemein ist jede Menge eine Teilmenge von sich selbst. Will man dies nicht
haben, so spricht man von einer echten Teilmenge, d.h. eine Menge M ist eine
echte Teilmenge der Menge N wenn M ⊆ N und M 6= N ist, und wir schreiben
M ( N für M ist eine echte Teilmenge von N“. Oftmals wird anstelle von
”
M ( N aber auch die alternative Schreibweise M ⊂ N verwendet, was etwas
unglücklich ist da dies von anderen wieder als die normale Teilmengenbeziehung
interpretiert wird. Die beiden Symbole ⊆“ und (“ sind unmißverständlich,
”
”
während ⊂“ je nach Autor Teilmenge“ oder echte Teilmenge“ bedeuten kann.
”
”
”
Das ist verwirrend, aber es ist leider so.
3. Dagegen ist
{1, {2}} 6⊆ {1, 2, 3},
denn die einelementige Menge {2} ist zwar ein Element der linken aber kein
Element der rechten Menge.
4. Das letzte Beispiel ist jetzt etwas verwirrend, wir behaupten das
∅ ⊆ {1, 2, 3}
gilt. Erinnern wir uns an die Teilmengendefinition, so bedeutet ∅ ⊆ {1, 2, 3}
das jedes Element der leeren Menge auch ein Element von {1, 2, 3} ist, und so
merkwürdig es einem auch vorkommt, dies ist wahr. Es gibt ja kein Element der
leeren Menge für das das falsch sein könnte. Mit derselben Begründung ist auch
∅⊆M
für überhaupt jede Menge M . Insbesondere ∅ ⊆ ∅.
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