Gruppenarbeit_EU_Gleichstellungspolitik

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Universität Leipzig
Institut für Soziologie
SS 2007
Seminar: Theorien europäischer Integration
Dozentin: Dr. Monika Eigmüller
Die Entstehung und Umsetzung europäischer
Antidiskriminierungsrichtlinien und deren
Umsetzung am Beispiel Deutschlands
Wie lassen sich gleichstellungspolitische Maßnahmen und Gesetzesvorgaben der
Europäischen Union durch Hinzunahme der Theorie des Neo-Funktionalismus
erklären
Gruppenarbeit von:
Franziska Förster
Matrikelnr.: 9094448
Studienrichtung: Philosophie (HF) – 10.Semester
Logik/WT (NF) – 10.Semester
Soziologie (NF) – 6.Semester
Email : [email protected]
Julia Lehmann
Matrikelnr. : 9119165
Studienrichtung: Philosophie (HF) – 10.Semester
KMW (NF) – 10.Semester
Soziologie (NF) – 6.Semester
Email: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung.....................................................................................................................
3
2. Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien und deren Umsetzung in Deutschland....
5
2.1. Geschichtlicher Abriss der Gleichstellungspolitik in der Europäischen Union…...
5
2.2. Die Rechtsgrundlage der EU-Richtlinien................................................................
6
2.3. Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien................................................................
7
2.3.1. Die Antirassismus-Richtlinie vom 29.Juni 2000...........................................
8
2.3.2. Die Rahmen-Richtlinie vom 27.November 2000..........................................
9
2.3.3. Die Gender-Richtlinie II vom 23.September 2002........................................
9
2.3.4. Die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der
Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen vom
13.Dezember 2004.....................................................................................
10
2.4. Die Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien in Deutschland.............
11
2.5. Struktur und Inhalt des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes........................
16
3. Die Entwicklung und Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien
unter Einbeziehung Theorien europäischer Integration........................................
18
3.1. Die Theorie des Neofunktionalismus......................................................................
18
3.2. Die Entwicklung und Umsetzung der EU- Antidiskriminierungsrichtlinien im
Lichte der neofunktionalistischen Theorie............................................................
27
4. Weiterführende Diskussion des Integrationsbegriffs unter dem Aspekt des
Geschlechts als politische Dimension………………………………………………..
31
4.1. Geschlecht als politische Dimension…………………………………………….
31
4.2. Integration = Identifikation? – Integration als identitätspolitischer Aspekt……..
32
4.3. Sexual citizenship als eine Kategorie der Umwertung des Integrationsbegriffs
– ein Ausblick………………………………………………………………….
35
5. Schlusswort..................................................................................................................
37
6. Bibliographie...............................................................................................................
38
1. Einleitung
„Grundsätzlich ist klarzustellen, dass die Zielsetzung einer Antidiskriminierungsgesetzgebung
nicht in der Einschränkung der Freiheit, sondern im Gegenteil in ihrer Universalisierung besteht.
Diskriminierungsverbote sollen Optionen gesellschaftlichen Freiheitsgebrauchs auf alle Menschen
erweitern. Sie wirken darauf hin, dass die Möglichkeiten, Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden,
Mietverhältnisse einzugehen, elementare Lebensrisiken abzusichern, am gesellschaftlichen und
kulturellen Leben teilzunehmen, real für jeden Menschen gegeben sind.“ 1
Markantestes Kennzeichen der Europäischen Union ist der gemeinsame Binnenmarkt.
Ursprünglich als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet, führte die Liberalisierung des Marktes zu
der Notwendigkeit auch gemeinsame soziale Standards abzusichern und sich gegenseitig zu
gewährleisten.
Für
die
Öffnung der
nationalstaatlichen
Märkte
bedeutete
dies
die
Zugangsbedingungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinschaftlich zu regeln. Bekannt
sind diese Zugangsbedingungen auch als die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes. Nun galt
es, Diskriminierungen, die sich aus der Marktliberalisierung ergaben, zu verhindern
beziehungsweise
zu
beseitigen.
Dies
führte
u.a.
zu
dem
Erlass
von
Antidiskriminierungsrichtlinien durch den Rat der Europäischen Union. Diese Richtlinien
müssen nun von den Mitgliedsstaaten in die innerstaatliche Gesetzgebung aufgenommen und
umgesetzt werden. Nach einem geschichtlichen Abriss der europäischen Gleichstellungspolitik
(Kapitel 2.1.), sollen danach die rechtlichen Grundlagen für den Erlass von EU-Richtlinien in
Kapitel 2.2. erläutert werden. Anschließend werden die vier relevanten EU-Richtlinien gegen
Diskriminierung vorgestellt (Kapitel 2.3.), anhand derer die nationale Umsetzung am Beispiel
Deutschlands in Form des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nachvollzogen wird (Kapitel
2.4.).
In einem nächsten Kapitel soll dann die Theorie des Neo-Funktionalismus herangezogen werden,
um die Entstehung und Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien zu erklären. Der NeoFunktionalismus ist eine Theorie der europäischen Integration. Theorien europäischer Integration
stellen sich zunächst die Frage, warum souveräne Nationalstaaten Kompetenzen an
supranationale Institutionen abgeben. Darüber hinaus wird gefragt, wer die Akteure und der
Motor für eine europäische Integration sind. Im Kapitel 3.1. soll dazu zuerst die Theorie des NeoFunktionalismus inhaltlich vorgestellt werden. Von welchen Prozessen wird ausgegangen? Wie
1
Follmar-Otto, Petra.„ Antidiskriminierungsgesetzgebung: Eine menschenrechtliche Verpflichtung.“S.1.
lassen sich Integrationsschritte erklären? Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, inwieweit
der
neo-funktionalistische
Ansatz
das
Entstehen
und
die
Umsetzung
der
EU-
Antidiskriminierungsrichtlinien erklären kann (Kapitel 3.2.).
Bei der Erarbeitung der verschiedenen Theorien europäischer Integration innerhalb des Seminars,
stellten wir uns immer wieder die Frage, welche Grenzen am Begriff der Integration ersichtlich
werden. Im Zusammenhang unserer Thematik der Antidiskriminierung möchten wir diesen
Begriff sexualpolitisch hinterfragen. Dazu soll in einem letzten Kapitel der Integrationsbegriff
unter dem Aspekt des Geschlechts als einer politischen Dimension betrachtet werden (Kapitel
4.1.). Der zweite Abschnitt befasst sich anschließend mit den identifikationspolitischen
Momenten des Integrationsprozesses (Kapitel 4.2.), um dann abschließend anhand des Modells
des sexual citizenship einen Ausblick zur Umwertung des Integrationsbegriffs anzubieten.
2. EU-Antidiskriminerungsrichtlinien und Umsetzung in Deutschland
Im folgenden Kapitel sollen vier EU-Richtlinien zu Antidiskriminierung betrachtet werden, die in
ihrer nationalen Umsetzung in Deutschland zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz führten.
Zunächst soll dazu ein geschichtlicher Abriss über bisherige gleichstellungspolitische
Maßnahmen der EU erfolgen. Danach werden die Rechtsgrundlagen für die EU-Richtlinien
dargestellt. Im nächsten Abschnitt erfolgt eine kurze Darstellung der vier Richtlinien, bevor dann
abschließend die Umsetzung der Richtlinien in Deutschland nachvollzogen wird.
2.1. Geschichtlicher Abriss der Gleichstellungspolitik in der Europäischen Union
Diskriminierungsverbote gab es schon immer in der Europäischen Gemeinschaft. So untersagt
Artikel 12 des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft eine Diskriminierung aufgrund der
Staatsangehörigkeit. “Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags ist in seinem
Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. [...]”2
Ebenfalls dazu zählt die Freizügigkeit der ArbeitnehmerInnen, um die Grundfreiheiten des
europäischen Binnenmarktes zu gewährleisten. Selbst das Gebot der Entgeltgleichheit von
Männern und Frauen war 1957 im Artikel 119 EWG (heute Art. 141 EGV) schon Bestandteil der
Römischen Verträge. Der Gedanke der Gleichstellungspolitik kam also schon 1957 mit der EWG
ins Spiel. Grund war, dass die Zugangsbedingungen für den gemeinsamen Markt geklärt werden
mussten.
Charlotte
Buttkus
beschreibt
in
ihrem
Artikel
“Das
europäische
Antidiskriminierungsrecht - Rechtsgrundlagen: Das Antidiskriminierungsrecht der EU” das die
Forderung
nach
gleichem
Entgelt
für
Männer
und
Frauen
keineswegs
aufgrund
gleichstellungspolitischer Motivation geschah, sondern eher aus rein wirtschaftlichen
Überlegungen entsprungen ist:
“Frankreich befürchtete, dass die im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten höheren Lohnkosten
für Frauen aufgrund der Schutzbestimmungen im französischen Arbeitsrecht zu
Wettbewerbsnachteilen im gemeinsamen Markt führen würden. Der Diskriminierungsschutz beim
Entgelt sollte dies verhindern und entsprach damit der Marktlogik des supranationalen
Zusammenschlusses, diente aber allmählich als Grundlage für die Entwicklung eines
2
Artikel 12 EGV [siehe Anhang].
Gleichstellungsprofils der EU.“3
So wurden in den 70er Jahren erste Richtlinien zur Entgeltgleichheit vom Rat der Europäischen
Union erlassen. Sie dienten dem Abbau bestehender Hindernisse auf dem Arbeitsmarkt. Erst in
den 80er Jahren wurden politische Maßnahmen und Programme entwickelt, die der Förderung
von Frauen dienen sollten. So wurde schließlich auch das Konzept des Gender Mainstreaming
eingeführt. Gender Mainstreaming ist eine geschlechterpolitische Strategie, die die Kategorie
Gender als Querschnittsaufgabe der EU definierte. Geschlechtereffekte sollten so sichtbar
gemacht werden und Diskriminierung verhindern. Die Europäische Kommission bezeichnet das
Konzept des Gender Mainstreaming als die „[...] Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche
politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft.“4 Mit dem Amsterdamer Vertrag von
1997 kam es zu einem Wendepunkt in der Gleichstellungspolitik. So wurde das Prinzip des
Gender Mainstreaming in den Artikel 3 EGV aufgenommen. Damit soll jede Diskriminierung
zwischen den Geschlechtern in allen Bereich der Europäischen Gemeinschaft abgeschafft
werden. So wurden nun auch gesetzlich alle Aktivitäten der EU auf die Förderung der
Chancengleichheit ausgerichtet. Artikel 141 Absatz vier erwähnt zusätzlich ausdrücklich die
Möglichkeit
positive
Maßnahmen
„zur
Erleichterung
der
Berufstätigkeit
für
das
unterrepräsentierte Geschlecht.“5 Neu aufgenommen wurde auch der Artikel 13 EGV, der
Nichtdiskriminierung bezüglich des Geschlechts auf die Merkmale Rasse, ethnische Herkunft,
Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung ausdehnt. Im Juni
und Dezember 2000 folgten dann die Verabschiedung der Antirassismusrichtlinie und der
Rahmenrichtlinie durch den Rat der Europäischen Union.
Zusammenfassend lässt sich die bisherige Geschichte der europäischen Gleichstellungspolitik mit
folgender Aussage von Charlotte Buttkus auf den Punkt bringen:
„Der Fokus auf den Arbeitsmarkt entspricht dabei der Logik der Integration, die zunächst
vorrangig wirtschaftlichen Interessen folgte, bevor sich eine sozialpolitische Dimension
entwickeln konnte, nicht zuletzt durch richtungsweisende Entscheidungen des EuGH.“ 6
Buttkus, Charlotte.„ Das europäische Antidiskriminierungsrecht - Rechtsgrundlagen: Das
Antidiskriminierungsrecht der EU.“S.3.
4
http://ec.europa.eu/employment_social/equ_opp/gms_de.html
5
Artikel 141 EGV [siehe Anhang].
6
Buttkus, Charlotte. .„ Das europäische Antidiskriminierungsrecht - Rechtsgrundlagen: Das
Antidiskriminierungsrecht der EU.“S.6.
3
2.2. Die Rechtsgrundlage der EU-Richtlinien
EU-Richtlinien sind Rechtsetzungen, die von der Europäischen Gemeinschaft an die
Mitgliedsstaaten gerichtet sind. Die Mitgliedsstaaten werden durch die Richtlinien auf die
Verwirklichung bestimmter Ziele verpflichtet, dass bedeutet, die Richtlinien sind für alle
Mitgliedsstaaten bindend. Richtlinien formulieren also ein zu erreichendes Ziel, das durch
nationale Gesetzgebung unmittelbar umgesetzt werden muss. Jedoch bleibt es den einzelnen
Mitgliedsstaaten überlassen, welche Methode sie zur Umsetzung der erlassenen Richtlinie
anwenden. Rechtsgrundlage für den Erlass von Richtlinien ist der Artikel 249 des EG-Vertrages.
Dort heißt es:
“Zur Erfüllung ihrer Aufgaben und nach Maßgabe dieses Vertrags erlassen das Europäische
Parlament und der Rat gemeinsam, der Rat und die Kommission Verordnungen, Richtlinien und
Entscheidungen, sprechen Empfehlungen aus oder geben Stellungnahmen ab. [...]
Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden
Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der
Mittel.[...]”7
Der Erlass von Richtlinien liegt also im Kompetenzbereich der Europäischen Gemeinschaft.
Daher handelt es sich dementsprechend eigentlich um EG-Richtlinien, da die Europäische Union
(EU) keine Richtlinien erlässt. Dennoch wird im Folgenden umgangssprachlich der Begriff der
EU-Richtlinie verwendet.
Der Erlass einer Richtlinie beinhaltet eine Frist, bis wann die Bestimmungen in innerstaatliches
Recht umgesetzt werden müssen. Werden Richtlinien nicht fristgerecht umgesetzt, können sie
dennoch unmittelbar wirken und von Behörden angewendet werden.
2.3. Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien
Im Folgenden sollen vier EU-Richtlinien gegen Diskriminierung betrachtet werden, deren
Umsetzung am Beispiel Deutschlands im Abschnitt 2.4. nachvollzogen wird.
Die Richtlinie 2000/43/EG (auch Antirassismusrichtlinie) vom 29.Juni 2000 regelt, dass niemand
wegen seiner Rasse bzw. ethnischen Herkunft benachteiligt werden darf. Sie soll u.a. Schutz vor
Diskriminierung in Ausbildung, Beschäftigung sowie beim Zugang zu Gütern und
Dienstleistungen bieten.
7
Artikel 249 EGV [siehe Anhang].
Die Richtlinie 2000/78/EG (auch Rahmenrichtlinie) vom 27.November 2000 zielt auf die
Gleichbehandlung im Bereich der Beschäftigung. Sie soll Diskriminierung insbesondere in
Verbindung mit Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung
verbieten.
Die Richtlinie 2002/73/EG (auch Genderrichtlinie II) vom 23.September 2002 ist die Änderung
der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und
zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen. Sie richtet sich gegen eine
geschlechtsbedingte Benachteiligung im Beruf und bei der Berufsausbildung.
Die Richtlinie 2004/113/EG vom 13.Dezember 2004 soll vor einer Benachteiligung aufgrund des
Geschlechts beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen schützen.
Besonders drei Richtlinien, nämlich die Antirassismusrichtlinie, die Rahmenrichtlinie und die
Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen
beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, weisen in ihrer
Struktur Gemeinsamkeiten auf. Mit dem Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz verbieten
diese drei Richtlinien unmittelbare und mittelbare Diskriminierung. Als Diskriminierung gelten
sowohl Belästigung als auch sexuelle Belästigung. Allen Personen in öffentlichen und privaten
Bereichen wird ein individueller Rechtsschutz gewährt, der durch Einbeziehung kollektiver
Akteure, wie z.B. die Unterstützung durch Verbände bei Gerichtsverfahren, erweitert wird. Als
Anwendungsbereich umfassen die drei Richtlinien die Bereiche Arbeit und Beschäftigung. Alle
drei Richtlinien fordern auch die Beweislastumkehr, das heißt, dass die Beweislast auf die
beklagte Partei verlagert wird.8 Und schließlich fordern alle drei Richtlinien die Einsetzung einer
Antidiskriminierungsstelle, die die Betroffenen unterstützen, Beschwerden entgegennehmen und
Berichte und Empfehlungen veröffentlichen soll.
2.3.1. Die Antirassismus-Richtlinie vom 29.Juni 2000
Am 29.Juni 2000 erließ der Rat der Europäischen Union die Richtlinie 2000/43/EG zur
Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen
Herkunft. Als Gründe für den Erlass bezog sich der EU-Rat unter anderem auf den Artikel 6 des
Vertrages über die Europäische Union. Er benennt die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie,
8
Zur Problematik der Beweislastumkehr und deren Umsetzung in Deutschland vgl. auch Kapitel 2.4.
der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit als den
Mitgliedsstaaten gemeinsame Grundsätze. Als allgemeines Menschenrecht wird die Gleichheit
vor dem Gesetz und der Schutz aller Menschen vor Diskriminierung explizit genannt. Zusätzlich
wird auf den Artikel 3 Absatz 2 des EG-Vertrages verwiesen. Absatz 2 des Artikel 3 besagt, dass
“die Gemeinschaft darauf hin [wirkt], Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von
Männern und Frauen zu fördern.”9 Ebenfalls wird in der Richtlinie auf das Gebot der
Beweislastumkehr verwiesen. So soll die Beweislast auf die beklagte Partei verlagert werden,
wenn eine Diskriminierung, der die Richtlinie entgegenwirken will, nachgewiesen ist.
Die Richtlinie 2000/43/EG umfasst insgesamt neunzehn Artikel. Hier sollen nur kurz auf
entscheidende Artikel verwiesen werden, die kompletten Richtlinien können über die
entsprechenden Links im Literaturverzeichnis aufgerufen werden. Artikel 1 beschreibt den
Zweck der Richtlinie. In Artikel 2 wird der Begriff der Diskriminierung definiert, sowohl die
unmittelbare als auch die mittelbare Diskriminierung. Artikel 3 legt den Geltungsbereich der
Richtlinie fest. Artikel 8 regelt das Gebot der Beweislastumkehr, das heißt, dass die Beweislast
auf die beklagte Partei verlagert wird. Artikel 16 schließlich legt die Umsetzungsfrist für diese
Richtlinie auf den 19.Juli 2003 fest.
2.3.2. Die Rahmen-Richtlinie vom 27.November 2000
Am 27.November 2000 erließ der Rat der Europäischen Union die Richtlinie 2000/78/EG zur
Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in
Beschäftigung und Beruf, die so genannte Rahmenrichtlinie. Auch hier bezog sich der Rat bei
seiner Begründung für den Erlass der Richtlinie auf den Artikel 6 des Vertrages über die
Europäische Union. Als allgemeines Menschenrecht wird die Gleichheit vor dem Gesetz und der
Schutz aller Menschen vor Diskriminierung explizit genannt. Ebenfalls wird auf den Artikel 3
Absatz 2 des EGV verwiesen, der besagt, dass die Gemeinschaft Ungleichheiten beseitigen will
und die Gleichheit zwischen Männern und Frauen fördern will. Die Rahmenrichtlinie besteht
insgesamt aus 21 Artikeln, wobei Artikel 1 den Zweck beschreibt, Artikel 2 den Begriff
Diskriminierung definiert, Artikel 3 den Geltungsbereich festlegt. Die Forderung der
9
Artikel 3 Absatz 2 EGV [siehe Anhang].
Beweislastumkehr findet sich hier in Artikel 10. Artikel 18 legt die Umsetzungsfrist der
Richtlinie auf den 2.Dezember 2003 fest.
2.3.3. Die Gender-Richtlinie II vom 23.September 2002
Am 23.September 2002 erließ der Rat der Europäischen Union die Richtlinie 2002/73/EG zur
Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der
Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur
Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen. Hier
stützte sich der Rat vor allem auf den Artikel 141 Absatz 3 EGV. Dort heißt es:
„Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 und nach Anhörung des
Wirtschaftsund Sozialausschusses Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des
Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in
Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei
gleicher oder gleichwertiger Arbeit.“10
In seiner Begründung verweist der Rat erneut auf den Artikel 6 des Vertrages über die
Europäische Union. Als allgemeines Menschenrecht wird die Gleichheit vor dem Gesetz und der
Schutz aller Menschen vor Diskriminierung explizit genannt. Ebenfalls wird auf den Artikel 3
Absatz 2 des EGV verwiesen, der besagt, dass die Gemeinschaft Ungleichheiten beseitigen will
und die Gleichheit zwischen Männern und Frauen fördern will. Da die Belästigung einer Person
aufgrund ihres Geschlechts gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen
verstößt, sollen diese geschlechtsbestimmten Diskriminierungsformen verboten werden.
Die Richtlinie ändert einige Artikel der vorhergehenden Richtlinie 76/207/EWG. So wird
beispielsweise in Artikel 2 die Definition des Begriffs Diskriminierung auf unmittelbare und
mittelbare Diskriminierung erweitert und so in Einklang mit den beiden anderen Richtlinien von
2000 gebracht. Die Artikel 4 und 5 wurden gestrichen. Artikel 6 regelt die Unterstützung von
Betroffenen durch entsprechende Verbände und Organisationen.
10
Artikel 141 Absatz 3 EGV [siehe Anhang].
2.3.4. Die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern
und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen
vom 13.Dezember 2004
Am 13.Dezember erließ der Rat der Europäischen Union die Richtlinie 2004/113/EG zur
Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang
zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. In seiner Begründung für den Erlass
der Richtlinie verweist der Rat wieder auf den Artikel 6 des Vertrages über die Europäische
Union. Als allgemeines Menschenrecht wird die Gleichheit vor dem Gesetz und der Schutz aller
Menschen vor Diskriminierung explizit genannt. Laut Artikel 2 EGV zählt die Förderung der
Gleichstellung von Männern und Frauen zu den Hauptaufgaben der Gemeinschaft. Auch hier
verweist der Rat auf den Artikel 3 Absatz 2, laut dem die Gemeinschaft Ungleichheiten
beseitigen will und die Gleichheit zwischen Männern und Frauen fördern will. Interessant bei der
Begründung dieser Richtlinie ist Grund 7, der besagt:
„Auf seiner Tagung in Nizza am 7. und 9. Dezember 2000 hat der Europäische Rat die
Kommission aufgefordert, die Gleichstellungsrechte durch Verabschiedung einer Richtlinie zur
Förderung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in anderen Bereichen als der
Beschäftigung und dem Erwerbsleben zu stärken.“11
Stand bei den anderen Richtlinien meistens der Verweis auf die arbeitsrechtliche
Dimension des Diskriminierungsschutzes, wird hier jedoch auf die Notwendigkeit
verwiesen auch andere Bereiche zu stärken. Zur Ergänzung der Richtlinie 2000/43/EG,
die Probleme beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen
aufgrund der Rasse und ethnischen Zugehörigkeit regeln sollte, soll diese Richtlinie nun
die Dimension des Geschlechts beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und
Dienstleistungen umfassen.
Diese Richtlinie umfasst insgesamt 19 Artikel. Artikel 1 bestimmt den Zweck der
Richtlinie. Die Definition des Begriffs Diskriminierung erfolgt in Artikel 2, sowohl die
der unmittelbaren wie auch der mittelbaren Diskriminierung. Die Forderung der
Beweislastumkehr findet sich in Artikel 9. Artikel 17 legt die Umsetzungsfrist auf den
21.Dezember 2007 fest.
11
Vgl. Richtlinie 2004/113/EG.
2.4. Die Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien in Deutschland
Am 29.Juni 2000 erließ der Rat der Europäischen Union die Richtlinie zum Verbot von
Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft, auch Antirassismusrichtlinie
genannt. Der Schutz vor Diskriminierung sollte die Bereiche Bildung, Beschäftigung, soziale
Sicherheit und Zugang zu Gesundheitsdiensten, Gütern und Dienstleistungen umfassen. Die
Mitgliedsstaaten bekamen zur Umsetzung der Richtlinie eine Frist bis zum 19.Juli 2003. Am
27.Novemver 2000 folgte, ebenfalls vom Rat der Europäischen Union erlassen, die so genannte
Rahmenrichtlinie. Diese Richtlinie legte einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der
Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vor. Zweck dieser Richtlinie sollte die Schaffung
eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der Religion oder der
Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung
und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den
Mitgliedstaaten sein. Die Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie belief sich auf den 2.Dezember
2003.
Im Oktober 2001 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz (BMJ) ein Eckpunktepapier
zur Umsetzung der Antirassismusrichtlinie. Das Eckpunktepapier umfasst insgesamt fünf
Eckpunkte, die die Umsetzung der Antirassismusrichtlinie darstellen sollten.12 Im Dezember
desselben Jahres folgte ein Entwurf eines „Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierungen im
Zivilrecht“, das ebenfalls vom BMJ vorgestellt wurde. Nach einer Anhörung zum
Gesetzesentwurf im Februar 2002 durch das BMJ, erklärte die Bundesjustizministerin Brigitte
Zypries im März 2003, dass das zivilrechtliche Antidiskriminierungsrecht nicht in der
vorgelegten Form umgesetzt werden wird.
Zwischendurch, nämlich am 23.September 2002, erließ der Rat der Europäischen Union die
Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen
hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg
sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen. Die so genannte Genderrichtlinie stellte eine
Änderung der Richtlinie 76/207/EWG dar. Die Umsetzungsfrist belief sich auf den 5.Oktober
2005.
Nach dem Scheitern des Gesetzesentwurfs im März 2003, begann die Kampagne „Nicht ohne
12
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/eckpunktepapier_bmj_08_10_2001.pdf
uns! Behinderte ins Antidiskriminierungsgesetz!“ mit der Druck auf die Regierung ausgeübt
werden sollte, auch behinderte Menschen in das anstehende Antidiskriminierungsgesetz
aufzunehmen.
Im Dezember drohte die EU-Kommission Deutschland mit einer Klage vor dem Europäischen
Gerichtshof, da Deutschland bis dahin die Antirassismusrichtlinie sowie die Rahmenrichtlinie
noch nicht umgesetzt hatte. Neben Griechenland war Deutschland das einzige Land, das bis dahin
die Richtlinien nicht umgesetzt hatte.
Im Januar 2004 folgte eine weitere Kampagne in Nordrhein-Westfalen. Unter dem Titel „Leben
ohne Rassismus - Antidiskriminierungsgesetz jetzt!“ forderten ver.di, die Lesbian and Gay
Liberation Front und der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) die Bundesregierung auf, ein
Antidiskriminierungsgesetz zu beschließen. Sie legten dem parlamentarischen Staatssekretär im
BMJ 15000 Unterschriften vor. Im Juni 2004 stellte die Bundesjustizministerin Zypries dann ein
vorläufiges Konzept für ein Antidiskriminierungsgesetz vor. Einen Monat später kündigte die
Europäische Kommission eine Klage gegen Deutschland an, da die Bundesrepublik bis dahin die
Antidiskriminierungsrichtlinien noch nicht umgesetzt hatte.13 Ende Juli 2004 reichte die
Europäische Kommission dann eine Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof
ein. Grund war die Nichtumsetzung der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG.
Im November 2004 dann einigte sich die rot-grüne Koalition über einen Gesetzesentwurf, der
über die Vorgaben aus den EU-Richtlinien hinausgehen sollte. Im Dezember des Jahres 2004
erließ der Rat der Europäischen Union die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der
Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern
und Dienstleistungen. Es handelt sich um eine Abänderung der Richtlinie 76/207/EWG aus dem
Jahre 1976. Die Umsetzungsfrist für die Mitgliedsstaaten belief sich auf den 21.Dezember 2007.
Mitte Dezember 2004 stellten die Koalitionen der Bundesregierung den „Entwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien“ vor. Der Entwurf umfasste neben
Regelungen im Arbeitsrecht auch Diskriminierungsverbote im privaten Rechtsverkehr.
Im Februar 2005 stellten die Bundesländer Hamburg und Baden-Württemberg einen Antrag für
eine Bundesratsinitiative zum rot-grünen Antidiskriminierungsgesetzesentwurf. Der Antrag
richtete sich an die Bundesregierung mit der Forderung sich beim bevorstehenden Gesetz nur auf
die Vorgaben der EU-Richtlinien zu beschränken. Ein paar Tage später reichte die Europäische
Kommission Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof ein. Grund war die
13
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/eugh_klage_kommission_rili_2000_43.pdf
Nichtumsetzung der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG.14
Mitte Februar 2005 beschloss der Bundesrat den Antrag der Bundesländer Hamburg und BadenWürttemberg anzunehmen. Einige Tage danach erklärte das Bundesministerium für Senioren,
Frauen und Jugend ihre Vorhaben über eine geplante Antidiskriminierungsstelle.15 Anfang März
gab es im Bundestagsausschuss des Ministeriums für Senioren, Frauen und Jugend eine
öffentliche Anhörung zum geplanten Antidiskriminierungsgesetz. Am 10.März 2005 stellte die
CDU/CSU-Fraktion den Antrag, der Bundestag solle das Antidiskriminierungsgesetz
zurückziehen. Die Koalition erklärt sich bereit den Gesetzesentwurf zu ändern, jedoch sollten
dann nicht nur die EU-Richtlinien umgesetzt werden, sondern ein weiterfassender Entwurf in
Betracht gezogen werden. Im April 2005 stellt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil
Vertragsverletzungen der Bundesrepublik fest. Die Antirassismusrichtlinie war nicht fristgerecht
zum 19.Juli 2003 umgesetzt worden.16 Nach der anhaltenden Kritik nahm die Regierung
Änderungen im Gesetzesentwurf vor. Im Juni 2005 beschloss der Bundestag das
Antidiskriminierungsgesetz und überwies es anschließend an den Bundesrat. Auf Empfehlung der
Bundesratsausschüsse beschloss der Bundesrat im Juli den Vermittlungsausschuss anzurufen.
Aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahlen kam es jedoch nicht mehr zu einem Ergebnis. Im
Dezember 2005 brachte die Grünenfraktion den Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz
erneut ein. Im Januar 2006 wurde erneut über den Entwurf des ADG beraten. Am 23.Februar
2006 stellte der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil erneut eine Vertragsverletzung der
Bundesrepublik fest. Grund war die Nichtumsetzung der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG, die
eigentlich bis zum 2.November 2003 hätte umgesetzt werden müssen. 17 Im März 2006 forderten
Abgeordnete der Grünenfraktion, unter ihnen Irmingard Schewe-Gerigk und Volker Beck, in
einem Antrag „Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminierungsgesetz.“ Dort verwiesen die
Abgeordneten des Bündnis 90/Die Grünen nochmals drauf, dass bereits die Umsetzungsfrist für
die ersten drei Antidiskriminierungsrichtlinien abgelaufen war.18 Anfang Mai 2006 einigte sich
der Koalitionsausschuss der Regierungsfraktionen auf einen Entwurf, der die EU-Richtlinien
umsetzen sollte. Einige Tage später veröffentlichte das Bundesjustizministerium den
14
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/eugh_klage_c_43_05_wegen_rili_2000_78.pdf
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/antidiskriminierungsstelle.pdf
16
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/eugh_urteil_adg_umsetzung_c_329_04.pdf
17
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/eugh_urteil_c_43_05_wegen_rili_2000_78.pdf
18
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/bt_drs_16_957_gruenen.pdf
15
Gesetzesentwurf für ein Allgemeines Gleichstellungsgesetz (AGG).19 Am 18.Mai 2006 leitete die
Bundesregierung den Entwurf für das AGG als besonders eilbedürftige Vorlage dem Bundesrat
weiter. Die Frist für eine Stellungnahme belief sich auf den 29.Juni 2006.
Ende Mai wollte Baden-Württemberg im Bundesrat 11 Änderungsanträge zum AGG stellen.
Am 1.Juni berieten die Ausschüsse für Arbeit und Sozialpolitik sowie der Finanzausschuss im
Bundesrat über das geplante Gesetz. Mitte Juni erklärte der Bundesrat in seiner Stellungsnahme
zum Gesetzesentwurf, dass das AGG zu detailliert und bürokratisch sei. Vielmehr sollten die EURichtlinien eins zu eins umgesetzt werden.
Im Juni 2006 folgten einige Anhörungen zum geplanten Antidiskriminierungsgesetz im
Bundestag. Am 29.Juni 2006 schließlich beschloss der Bundestag das Gleichbehandlungsgesetz.
443 Abgeordnete stimmten mit Ja, 111 Abgeordnete mit Nein und 17 Abgeordnete enthielten
sich der Stimme. Am 7.Juli billigte der Bundesrat trotz Bedenken das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz. Der Bundesrat verzichtete sowohl auf einen Einspruch sowie darauf,
den Vermittlungsausschuss anzurufen. Mit seiner Verkündigung würde das Gesetz in Kraft
treten. Da das Gesetz jedoch erst am 28.Juli 2006 im Bundespräsidialamt eingegangen ist und
erst geprüft werden musste, trat es nicht am 1.August 2006 in Kraft, wie von der
Bundesregierung in Aussicht gestellt. Das Justizministerium ging jedoch davon aus, dass das
Gesetz bis September 2006 in Kraft treten wird. So könnten auch drohende Strafzahlungen
seitens der EU vermieden werden. Hätte Deutschland Strafzahlungen zahlen müssen, wäre es zu
einer Verhängung eines Zwangsgeldes für jeden weiteren Tag, an dem der Staat dem Urteil nach
Artikel 228 EGV nicht nachkommt sowie zur einer Zahlung eines Pauschalbeitrages.20
Am 14.August 2006 zeichnete der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland das AGG
gegen und fertigte es aus. Drei Tage später wurde das AGG im Bundesgesetzblatt verkündet und
trat schließlich einen Tag später, nämlich am 18.August 2006, in Kraft.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Weg über verschiedene Gesetzesentwürfe hin
zur schlussendlichen Umsetzung des Gesetzes kein positives Licht auf die Bundesrepublik wirft.
Vier EU-Richtlinien werden durch das AGG umgesetzt, wobei wie oben beschrieben, drei der
vier Richtlinien schon seit Jahren hätten umgesetzt werden müssen. Letztendlich geht das Gesetz
nun an einigen Stellen über die Minimalanforderungen aus den EU-Richtlinien hinaus. Insgesamt
19
http://baer.rewi.huberlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/bundesregierung_presseerklaerung_agg_04_05_2006.pdf
20
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/anwendung_art_228_egv_kommission.pdf
betrachtet regelt das AGG vor allem vier Aspekte. Erstens sollen Diskriminierungen im
Berufsleben verhindert werden. Zweitens regelt es die Gleichbehandlung im Geschäftsleben. Hier
geht es zum Beispiel um das Vermieten von Wohnungen oder Versicherungsabschlüssen.
Drittens bietet das AGG rechtlichen Schutz gegen Diskriminierung. Es regelt wie sich Betroffene
von Diskriminierung gerichtlich zur Wehr setzen können und wie sie dabei von Verbänden
unterstützt werden können. Viertens verpflichtet es die Bundesrepublik dazu, eine
Antidiskriminierungsstelle, u.a. als Anlaufstelle für Betroffene und Beschwerden, einzurichten.
2.5. Struktur und Inhalt des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
Deutschland hat mit dem AGG die vier EU-Richtlinien zu einem eigenständigen Gesetz vereint.
Zusätzlich zum AGG sind noch weitere Gesetzesvorschriften in Kraft getreten. So umfasst das
Gesetz neben dem AGG auch das „Gesetz über die Gleichbehandlung der Soldatinnen und
Soldaten“. Hier sollen „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethischen Herkunft, der
Religion, der Weltanschauung oder der sexuellen Identität für den Dienst als Soldatin oder Soldat
[verhindert oder beseitigt werden].“21 Darüber hinaus kam es auch zu Änderungen in anderen
Gesetzen wie beispielsweise im Bundesbeamtengesetz und im Sozialgesetzbuch.22
Das AGG setzt sich insgesamt aus sieben Abschnitten zusammen. Der erste Abschnitt umfasst
den allgemeinen Teil. Er beinhaltet die Zielvorgaben des Gesetzes. So sollen Benachteiligungen
„aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder
Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität [verhindert oder
beseitigt werden]“ (§ 1). Der Anwendungsbereich in § 2 ist aus der Richtlinie 2000/43/EG
übernommen und umfasst den Zugang zu Beruf und Beschäftigung, Arbeitsbedingungen,
Berufsbildung und Berufsausbildung, den Sozialschutz und soziale Leistungen, er regelt die
Mitgliedschaft in Gewerkschaften sowie den „Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und
Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum“.
Ebenfalls regelt es unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen (§3).
21
22
vgl. http://www.buzer.de/gesetz/7325/index.htm
Vgl. ebd.
Der zweite Abschnitt umfasst das Arbeitsrecht, als einen Schwerpunkt des AGG. So definiert § 6
den geschützten Personenkreis der „Beschäftigten“. § 7 regelt das arbeitsrechtliche
Benachteiligungsverbot. Die §§ 8-10 regeln die Ausnahmefälle. Die längste Liste umfasst § 10,
der die Ausnahmen aufgrund des Alters bestimmt.
Abschnitt drei umfasst das Zivilrecht.
Abschnitt vier umfasst den Rechtsschutz. Hier geht es um die Beweiserleichterung sowie um die
Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände. In der Praxis ist es oft so, dass Betroffene
von Benachteiligungen selten ihre Rechte wahrnehmen. In den EU-Richtlinien stand deshalb die
Forderung danach, die Position der Betroffenen zu verbessern. Mit der Beweislastumkehr jedoch
ist das so eine Sache, wie Rainer Nickel in seinem Artikel „Das neue Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz“ beschreibt. In den EU-Richtlinien stand:
„[W]enn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für
verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft
machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen,
[obliegt] es dem Beklagten zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
vorgelegen hat“.23
Diese Forderung beschreibt das AGG in § 22 jedoch folgendermaßen:
„Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1
genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein
Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.“ 24
Nickel verweis nun darauf, dass laut EU-Richtlinien Tatsachen glaubhaft gemacht werden
müssen. Im AGG jedoch ist die Rede davon, dass Indizien bewiesen werden müssen.
„Wer gemäß den EG-Richtlinien Tatsachen glaubhaft machen muss und keine Beweismittel
(Zeugen, Unterlagen, Photos) zur Hand hat, kann eine eidesstattliche Versicherung abgeben und
damit die Tatsachen glaubhaft machen. Wer, wie jetzt nach § 22 AGG, Indizien beweisen muss,
hat dagegen eine deutlich schlechtere Position: die eigene Aussage über Vorkommnisse reicht
dann nicht aus, und wenn keine weiteren Beweismittel vorhanden sind, geht der oder die
Betroffene wahrscheinlich leer aus.[...] Im Ergebnis dürfte die in § 22 AGG vorgenommene
Regelung gegen Europarecht verstoßen; sie hat die Position der Betroffenen im Gerichtsprozess
erheblich verschlechtert.“25
23
24
vgl. EU-Richtlinie 2000/43/EG Artikel 8, Richtlinie 2000/78/EG Artikel 10 und Richtlinie 2004/113/EG Artikel 9.
§ 22 AGG.
25
Nickel, Rainer.„Das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“.S.11f.
Im fünften Abschnitt geht es um Sonderregelungen für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse.
Abschnitt sechs regelt die Einrichtung der neu geforderten Antidiskriminierungsstelle, die
Beschwerden Betroffener entgegen nehmen und Berichte und wissenschaftliche Untersuchungen
durchführen soll. Auch an dieser Stelle verweist Nickel darauf, dass die in den §§ 25-30
beschriebenen Aufgaben und Anforderungen an die Antidiskriminierungsstelle eventuell nicht
ausreichen, um den in den EU-Richtlinien gestellten Forderungen nachzukommen. Die EURichtlinien forderten, dass die Antidiskriminierungsstelle unabhängig sein muss. (vgl. § 13 in den
Richtlinien). In Deutschland jedoch wird die Antidiskriminierungsstelle beim Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eingerichtet.
„Die Leitung der ‚Antidiskriminierungsstelle des Bundes’ [...], die praktische allein die Bürde der
Unabhängigkeit zu tragen hat, muss zunächst mit der Familienministerin einen Vertrag aushandeln
(§ 26 Abs. 4 AGG), was für die Unabhängigkeit auch nicht gerade förderlich ist, und dann muss
dieser Vertrag auch noch von der Bundesregierung genehmigt werden.“ 26
Abschnitt
sieben
umfasst
die
Schlussvorschriften.
Gleichbehandlungsgesetz befindet sich im Anhang.
26
Nickel, Rainer.„Das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“.S.15f.
Das
gesamte
Allgemeine
3. Die Entwicklung und Umsetzung
der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien unter Einbeziehung Theorien
europäischer Integration
Für die Erklärung, wie und warum sich EU-Richtlinien gegen Diskriminierung entwickelt haben
und wie deren Umsetzung innerstaatlich am Beispiel Deutschlands nachzuvollziehen ist, wird
hier auf die Theorie des Neo-Funktionalismus zurückgegriffen. Anhand seiner Thesen wollen wir
die Entwicklung und Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien erklären.
Dazu wird in einem ersten Schritt die Theorie des Neo-Funktionalismus inhaltlich vorgestellt.
Anschließend wird versucht seine Aussagen auf das Fallbeispiel aus Kapitel 2 zu beziehen.
Ebenso soll danach gefragt werden, wo sich die Grenzen der Aussagekraft des NeoFunktionalismus bezüglich der europäischen Gleichstellungspolitik finden lassen.
3.1. Die Theorie des Neofunktionalismus
Eine Theorie, die den Integrationsprozess in Europa zu beschreiben versucht, ist der NeoFunktionalismus. Die zentrale Frage, mit welcher sich dieser Ansatz beschäftigt, ist, wie und
warum sich von einander scheinbar unabhängige Bereiche zu größeren politischen Einheiten
zusammenschließen.27
Der Theoretiker Ernst B. Haas versucht einen Abriss am Beispiel von regionaler Integration.
Region kann man hier bestimmt weiter fassen, als dies Haas selbst tut. Um den Prozess für die
EU beschreiben zu können, muss man davon ausgehen, dass es sich auf den Ebenen der
Wirtschaft und Außenpolitik hauptsächlich um die Integration von Nationalstaaten dreht.
Ein weiterer Bestandteil und These von Haas ist es, dass Integration nicht als ein Endstadium
oder Ziel, auf welches politische Einheiten hinarbeiten, verstanden werden darf. Vielmehr ist
27
Haas, Ernst B.„The Study of Regional Integration: Reflections on the Joy and Anguish of Pretheorizing“.S.608.
Integration Ziel und Prozess zugleich.28 Die Problematik hierbei ist, dass sich kein wirkliches
Kriterium finden lässt um Thesen zu formulieren, welche nach einem guten Integrationsprozess
fragen oder sich bemessen ließe, wie weit ein Bereich respektive Staat integriert ist.
Zunächst sollen, Haas folgend, verschiedene Voraussetzungen für den Integrationsprozess
erläutert werden.
So kann angenommen werden, dass sich über die verschiedenen Regionen, respektive
Nationalstaaten des europäischen Kontinents, Ungleichheiten der wirtschaftlichen sowie
politischen Kräfte zeigen. Ungleichheiten lassen sich daran bemessen, in wie weit ein Austausch
der Ressourcen zwischen verschiedenen Regionen stattfindet. Die Integration ist immer ein
Prozess, welcher mit Investitionen einhergeht.29 Weiter gefasst betrifft dieses Gefälle auch den
sozialen Bereich.
Eine zweite Ursache, welche für die Investitionen in einen Integrationsprozess sprechen, ist eine
pluralistische Gesellschaft.30 Innerhalb eines Staates müssen Spannungsfelder angelegt sein,
welche in verschiedenen Bereichen ein Wertegefälle schaffen. So werden Anreize geboten,
Kompensation anzustreben. Dies kann durch einen Integrationsprozess geschehen.
Ein dritter Fakt ist, dass die Regionen respektive Staaten, auch immer in einem globalen Umfeld
verstanden werden müssen. Die so genannten „linkage politics“ sind die prägnanten Strukturen
für den Integrationsprozess, da sie in dem Bereich der Außenpolitik angelegt sind und somit
direkt verschiedenen Interdependenzen ausgesetzt sind.31
Als theoretische Grundlage dient die Konzeption der Interdependenz, die besagt, dass keine
Handlungen oder auch Institutionen autonom im wirklichen Sinne sein können. Sondern man
bewegt sich immer in einem Raum von Überlappungen von Kompetenzen sowie in
Abhängigkeitsstrukturen.
So hat jede Entscheidung im Bereich der Wirtschaft auch Einfluss auf politische Felder des
Sozialen. So haben Veränderungen im Feld der Wirtschaft auch immer Einfluss auf die sozialen
Lebensstandards und die Sozialpolitik. Des Weiteren kann sich die Wirtschaft auch nur im
Bedingungsfeld des Sozialen verändern. Somit ist ein Integrationsprozess immer auf mehreren
Ebenen zu denken.
Haas, Ernst B.„The Study of Regional Integration: Reflections on the Joy and Anguish of Pretheorizing“.S.622.
vgl.ebd.S.615 und S.619.
30
vgl.ebd.S.618.
31
vgl.ebd.S.609 und S.612.
28
29
Der Faktor der Interdependenz hat auch bei der Umsetzung der EU-Richtlinien die
Antidiskriminierung betreffen einen großen Einfluss. Da die heutige Europäische Union
ursprünglich als ein Wirtschaftsprojekt begründet wurde, gibt es auch heute noch diverse
Auseinandersetzungen, welche das Zusammenwirken von Wirtschaft und Sozialpolitik aufzeigt.
So konstatiert Petra Follmar-Otto:
„In der Diskussion um Antidiskriminierungsgesetzgebung wird häufig der Einwand vorgebracht,
ein solches Gesetz schränke Freiheitsrechte unzulässigerweise ein, insbesondere die in der
allgemeinen Handlungsfreiheit begründete Privatautonomie und Vertragsfreiheit.“32
Die Liberalisierung des Marktes und die damit verbundene Hoffnung der Selbstregulation trifft
auf das Feld der Sozialpolitik nicht zu. Die europäischen Richtlinien zur Antidiskriminierung
seien hier nur als Beispiel für Regulationen genannt. Sie sollen besonders auf dem Arbeitsmarkt
die persönlichen Freiheitsrechte regeln. Sie zeichnen somit auch die Strukturen der
Interdependenz nach.
Diese Voraussetzungen für einen Integrationsprozess sind für die Untersuchung des
Integrationsprozesses an verschiedene Indikatoren geknüpft, welche nun im Folgenden kurz
nachgezeichnet werden sollen.
Diese Indikatoren sollen als Hinweis dafür dienen, in wie weit ein Staat oder eine Region in
einem Integrationsprozess voran geschritten ist. Hierbei muss, nach dem Verständnis von Haas,
beachtet werden, dass es keine Referenz in Bezug auf ein festgesetztes Endstadium der
Integration gibt. Man kann keine im wirklichen Sinne feste Variable finden, an derer man
abmessen könnte ob ein Staat, Bereich oder eine Region nun schon vollständig integriert ist.
Vielmehr ist der Prozess als eine offene Skala zu verstehen, der neue Komponenten hinzugefügt
werden können um neue Aspekte im Prozess wahrnehmen zu können. Diese Skala wird bei Haas
als quasi-abhängige Variable verstanden.33
Als Anmerkung muss hierüber hinaus gesagt werden, dass sich diese Indikatoren auf einer
abstrakteren Ebene befinden und eher in Form eines Konzeptes auftreten.34
Die wichtigsten Indikatoren sind: Kriterien der Erfüllbarkeit (fullfillment), Erweiterung
(extension), Rückzug (retraction) sowie Ausgeglichenheit (equilibrium).
Follmar-Otto, Petra.„Antidiskriminierungsgesetzgebung: Eine menschenrechtliche Verpflichtung.”S.1.
Haas, Ernst B.„The Study of Regional Integration: Reflections on the Joy and Anguish of Pretheorizing”.S.631f.
34
vgl.ebd.S.634.
32
33
Der erste Indikator nimmt darauf Rekurs, dass gewisse Standards und Gefälle ausgeglichen
werden. Hat eine Region oder ein Staat überhaupt die Möglichkeit dazu verschiedene Standards,
zum Beispiele soziale Standards der persönlichen Autonomie, zu erfüllen. Daran müssen für den
Integrationsprozess die Fragen geknüpft werden, wie und welche Mittel bereit gestellt werden
um das Kriterium des fullfillment zu gewährleisten.
Wenn verschiedene Aufgaben erfüllt sind, dann kann dies als ein Ergebnis des
Integrationsprozesses verstanden werden.35 Hier kann als Beispiel die Umsetzung der EURichtlinien auf nationalstaatlicher Ebene genannt werden.
Das Kriterium der Erweiterung ist ein zentrales Thema für die EU. Eine extension im neofunktionalistischen Sinne liegt dann vor, wenn Aufgaben nicht nur auf die Sphäre, wie sie vom
Akteur intendiert, ausstrahlen.36 Hierzu wird das Konzept des spillover noch näheren Einblick
geben. Ein entgegen gesetzter Indikator wird durch den Rückzug charakterisiert. Als retraction
könnte man eventuell das Scheitern der Ratifizierung der EU-Verfassung in Frankreich und in
den Niederlanden beschreiben.
Das Equilibrium beschreibt unter anderem das Ausgleichen verschiedener Gefälle im
Lebensstandard oder wirtschaftlicher Ungleichheiten. Hier kann als Beispiel das Entsendegesetz
herangezogen werden, welches als Ziel hat, die wirtschaftlichen Gefälle zwischen den Staaten
auszugleichen. Länder des ehemaligen Ostblockes weisen noch gravierende Mängel in
Lebensstandard sowie im wirtschaftlichen Feld auf. Hier wird natürlich ein gewisser Standard
der führenden Wirtschaften angesetzt.
Diesen Indikatoren müssen verschiedene Konzepte entgegen gesetzt werden:
„In short, these terms are empirically grounded evaluations, not simple facts. They can be inferred
from observed variables if one is clear how and why variables are linked. [...], they can be used to
sum up many ranges of activities and interconnected variables in many places”37
Die beiden wichtigsten Konzepte, welche die Indikatoren strukturell miteinander verbinden
können, sind zum einen der Autoritäts – Legitimitäts – Transfer (ALT) und zum anderen das
Konzept des spillover.
Das Konstrukt des ALT soll die Frage klären, wie Impulse in an sich geschlossenen Regionen
geschaffen werden, um einen Integrationsprozess zu initiieren. Wie kommt es zum Beispiel
35
vgl.ebd.S.633.
vgl.ebd.
37
Haas, Ernst B.„The Study of Regional Integration: Reflections on the Joy and Anguish of Pretheorizing”.S.638.
36
dazu, dass in der Europäischen Union Impulse gab, die zu Richtlinien führten, welche vor
Diskriminierung schützen. Und welche Rolle spielten dabei verschiedene Autoritäten, bzw. wie
hängt dieser Prozess mit den Prinzipien von Legitimität zusammen.
Ein gängiges Verständnis von Autorität lässt sich auch bei Haas finden, welcher Autorität als
Herrschaft versteht. Hierbei geht er von einem zentralen Organ aus, welches Legitimität und
Funktionalität der Region vereint.38
Doch steht dieses Verständnis dem Neo-Funktionalismus diametral entgegen. Eine
Voraussetzung, welche zu Beginn schon gemacht wurde, ist, dass sich die Prozesse nur durch
Interdependenzen erklären lassen. Dies setzt für das Konzept des ALT voraus, dass wir es mit
einem System von funktionalen Einheiten zu tun haben, welche dezentral organisiert sind. Eine
weitere Voraussetzung, welche implizit durch die „linkage politics“ angedeutet wurde, ist es,
dass sich eine asymmetrische regionale Überlappung zeigen lässt.39
Dieser Transfer muss also wie folgt verstanden werden:
„[…] [W]hile authority is certainly withdrawn from the preexisting units, it is not proportionately
or symmetrical vested in a new center, among which no single dominant one may emerge, though
one might imagine subtypes of this dependent variable involving various degrees of centralized
authority. The ensemble would enjoy legitimacy in the eyes of its citizens though it would be
difficult to pinpoint the focus of the legitimacy in a single authority center; rather, the image of
infinitely tiered multiple loyalties might be the appropriate one. Perhaps the now existing Western
European pattern approaches this image.”40
Die wichtigen Akteure im Neo-Funktionalismus sind somit die Lobbyisten auf der Ebene der
low-politics. Low-politics werden verstanden als die Umsetzung und Funktionalisierung
verschiedener Bereiche auf regionaler Ebene. Salopp formuliert, kann man behaupten, dass sich
ein wirtschaftlicher, sozialer bzw. politischer Prozess der Integration durch den Gang durch die
Institutionen charakterisiert.
Haas hierzu:
„Neo-functional efforts stress case studies of decisionmaking within a region and in regional
organizations, an interest justified by th neo-functionalist assumption that decisionmakers are the
true heroes and villains of the integration process.“41
38
vgl.ebd.S.635.
vgl.ebd.S.634f.
40
ebd.S.635.
41
Haas, Ernst B.„The Study of Regional Integration: Reflections on the Joy and Anguish of Pretheorizing”.S.636.
39
Ein Aspekt, welcher für den ALT entscheidend ist, wird als Institutionalisierung beschrieben.
Eine andere Bezeichnung, die Haas dafür auch verwendet, ist die der „political community“. Es
kann unserem Erachten nach, als Verwaltung der Interessen sowie Wahrnehmungen der
Bevölkerung und Eliten verstanden werden. Diverse Lobbyarbeit sowie verschiedene
Entwicklungen in bestimmten Bereichen oder Regionen ergeben Anforderungen diese
Aktivitäten zu funktionalisieren und zu organisieren. Darüber erhalten die Aktivitäten
Legitimität. Des Weiteren wird das Konzept von Autorität und Legitimität eng an die
Akteursebene geknüpft, welches Möglichkeiten eröffnet die Interdependenzen auf einem sehr
empirischen Level evaluieren zu können.
Dieses Prinzip lässt sich im Artikel 13, Absatz (1) des EGV gut nachvollziehen. Die Institution
der Europäischen Kommission erteilt Ratschläge auf Grundlage von Umfragen in der
europäischen Bevölkerung oder es können von verschiedensten Lobbygruppen Anträge auf
Befassung mit Themen an die Kommission gestellt werden. Dieses Verständnis steht im
Einklang mit dem ALT des Neo-Funktionalismus, welcher, wie eben beschrieben, davon
ausgeht, dass Integrationsprozesse bei der Akteursebene ansetzen.
Bezogen auf den Prozess der Integration von Minderheiten in den einzelnen Gesellschaften der
Mitgliedstaaten wurden EU-Richtlinien für Antidiskriminierung im Rat der Europäischen Union
beschlossen. Diese wurden fast ausschließlich auf Antrag der Kommission verabschiedet. Ein
Indikator welcher für diesen Integrationsprozess herangezogen werden kann, ist das Equilibrium.
Hier kann auf Axel Schulte verwiesen werden, der das Ideal der Gleichheit sowie Gerechtigkeit
in Gesellschaften anspricht. Als Vergleich kann dies neo-funktionalistisch als Indikator des
equilibrium gelesen werden. Wir beobachten einen Integrationsprozess, wenn sich verschiedene
Bereiche ausgleichen lassen. Axel Schulte schreibt dazu:
„Der Problembereich, auf den sich die Kontroverse bezieht, kann zwar auf den ersten Blick als
eher speziell erscheinen, im Kern geht es dabei aber um Gesichtspunkte, die für das
Zusammenleben in den europäischen Gesellschaften von zentraler Bedeutung sind. Dazu zählt
unmittelbar die Frage nach der Lebenssituation und Integration der verschiedenen Personen(gruppen), die von Diskriminierungen betroffen sind. […] Gleichzeitig betrifft die Kontroverse
aber auch die weiter gehende Frage, welche Bedeutung das in den Menschenrechten und der
Demokratie verankerte Ideal einer gerechten Gesellschaft von freien und gleichen Individuen hat,
welche Diskrepanzen zwischen diesem Ideal und der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestehen und
wie dieses Ideal trotz vieler Schwierigkeiten angemessener als bisher in die Realität umgesetzt
werden kann.“42
42
Schulte, Axel.„ Auf dem Weg in eine gerechtere Gesellschaft von freien und gleichen Individuen?
“.S.8.
Durch die Umsetzung der Richtlinien in den einzelnen Mitgliedsstaaten wird versucht ein
Equilibrium zu erreichen, soll heißen, dass ein Ausgleich stattfindet und sich in allen Staaten
dieser grundsätzliche Mindeststandard einer gerechten Gesellschaft findet.
Das zweite und wenn nicht sogar zentrale Konzept des Neo-Funktionalismus ist der spillover.
Dieser behauptet, dass sich durch die Integration eines Bereiches im Verlauf des Prozesses
verschiedene Konsequenzen ergeben, welche eine weitere Integration in einem anderen Bereich
erfordern. Als Ursache für das Überspringen wird die Interdependenz der Bereiche
angenommen. Zum Beispiel kann behauptet werden, dass sich durch den Zusammenschluss
verschiedener Nationalstaaten mit einer starken Wirtschaft des europäischen Kontinents,
verschiedene Konsequenzen ergaben, die auch eine Regulation im sozialen Bereich erforderten.
Als nahe liegendes Beispiel kann hier die so oft beschworene Liberalisierung des
wirtschaftlichen Marktes genannt werden. Diese führte zu großen Diskrepanzen in den
Lebensstandards der Bevölkerung der verschiedenen europäischen Staaten. Dies hatte als eine
politische Konsequenz, dass sich die Mitgliedstaaten eine Sozialpolitik aneignen mussten, um
die grundsätzlichen Lebensstandards zu gewährleisten. Im Blickpunkt hierbei waren und sind
immer die Genfer Konventionen der UN, welche grundlegende Bestimmungen über Würde und
Menschenrechte expliziert haben.
Im Rahmen nach der Frage ob sich verschiedene Variablen der Integration verändern oder sich
erhalten, macht Ernst B. Haas eine Nebenbemerkung über den Initiationsprozess, die aber als
mögliche Ursachen für einen spillover expliziert werden können. So kann man behaupten, dass
neben den interdependenten Strukturen, welche den spillover verursachen, eben auch die beiden
folgenden Gründe dazu beitragen. Haas schreibt wie folgt:
„First, political or social forces internal to the union or common market may arise after initiation
and deflect (or strengthen) the initial forces without having been included in the explanation of the
origin. [...] Second, the international environment may change after the initiation of the process
and produce an external stimulus for (or against) continued integration not included in the
explanation of origin.”43
Ein anderer wichtiger Aspekt, welcher den spillover erklärbar macht, ist der Grundgedanke, dass
die verschiedenen Regionen danach streben einen Gewinn aus der Investition in den
Integrationsprozess zu erzielen. Man kann auf einer naiven Ebene diesen Bestand vielleicht mit
43
Haas, Ernst B.„The Study of Regional Integration: Reflections on the Joy and Anguish of Pretheorizing”.S.639.
der behavioristischen Analyse der unintendierten Konsequenzen einer intendierten Handlung
vergleichen. Dies lässt sich leicht durch die Annahme der Interdependenz erklären.
So
könnten
die
Antidiskriminierungsrichtlinien
der
EU
als
spillover
verschiedener
wirtschaftlicher Entwicklungen gelesen werden. Ob wir genau einen spillover-Effekt vorfinden,
wird noch im Folgenden diskutiert werden.
Ein Punkt für diese Argumentation lässt sich vielleicht mit folgendem Zitat von Axel Schulte
konstruieren.
„Zum anderen geht es bei Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung um die
Verwirklichung der folgenden grundlegenden gesellschaftspolitischen Zielsetzungen:
Integration: Der Grundsatz der Integration ist darauf gerichtet, eine Eingliederung der
Angehörigen von benachteiligten Bevölkerungsgruppen in die jeweilige Gesellschaft zu
ermöglichen. Im Falle von Immigrantinnen und Immigranten erfordert dies die Anerkennung von
deren Zugehörigkeit sowie Maßnahmen, die deren sozialen Marginalisierung und Ausgrenzung
entgegenwirken und deren gleichberechtigte Teilhabe fördern. Von daher stellen
Antidiskriminierungsaktivitäten ein zentrales Erfordernis und Element eines „kohärenten
Integrationsansatzes“ dar
(Weltkommission für internationale Integration 2006, 45 f.; Unabhängige Kommission
„Zuwanderung“ 2001, 200; Ziffer 12 der Erwägungsgründe der Antirassismus- Richtlinie).“44
Wenn man dieses Verständnis von Integration behauptet, dann kann man davon ausgehen, dass
verschiedene Prozesse im wirtschaftlichen Sektor dazu führten, dass benachteiligte
Bevölkerungsgruppen durch bestimmte Merkmale ausgegrenzt wurden. Diese sollen durch die
Regulation wieder integriert werden und somit den gesamten Integrationsprozess voranbringen.
Als Indikatoren könnte hier über extension und das Equilibrium versucht werden zu evaluieren.
Solche Evaluationen fanden in der Vergangenheit leider noch nicht statt.
Ein letzter wichtiger Aspekt der Theorie soll nun behandelt werden. Er soll den Prozesscharakter
der Integration erklären.
Haas fragt sich, wie der Weg
beim Voranschreiten des Integrationsprozesses beschrieben
werden kann. Wie kann das Konzept des ALT mit dem des spillover verbunden werden und
dabei noch den Prozesscharakter deutlich machen?
Ernst B. Haas bezeichnet dies als „National – Regional - Congruence“. Dieses Modell
ermöglicht die Variablen respektive Indikatoren auszuwählen und mit den oben genannten
Konzepten zu verbinden.
44
Schulte, Axel. „Auf dem Weg in eine gerechtere Gesellschaft von freien und gleichen Individuen? “.S.4.
Der Integrationsprozess bewegt sich dahin, eine Übereinstimmung, sprich Kongruenz zwischen
regionalen und übergeordneten Strukturen finden zu wollen. Dies dient damit auch als Kriterium,
um festzustellen wie weit der Integrationsprozess voran geschritten ist. Je mehr
Übereinstimmung in den Strukturen der nationalen sowie supranationalen Institutionen, desto
weiter ist der Integrationsprozess vorangeschritten.
Im initiierenden Prozess für Vereinheitlichung, geht der kausale Einfluss von den Nationen zu
den zentralen Institutionen und in der daraus resultierenden Periode in die reversierende
Richtung.45
Bildlich gesprochen: In der ersten Periode finden wir viel Lobbyarbeit, welche versucht Einfluss
auf die Institutionen auszuüben. Die Richtung geht also von den nationalstaatlichen Akteuren hin
zu den supranationalen Akteuren, wie z.B. die EU-Kommission. In der zweiten Periode erlassen
die Institutionen Richtlinien oder Gesetze, welche auf nationaler respektive regionaler Ebene
umgesetzt werden.
Für unsere weitere Betrachtung möchten wir nun noch einige Argumente herausholen, welche
sich im Kontext der Individualebene ableiten lassen.
Während der Neo-Funktionalismus auf der Akteursebene argumentiert, so kann man dies
ausweiten und eine Gesellschaft betrachten. Das Konzept des spillover hat nicht nur
Auswirkungen auf politische, wirtschaftliche oder soziale Felder sondern wirkt auch auf die
Lebensstandards der einzelnen Individuen einer Gesellschaft.
Dies kann leicht gesehen werden, wenn man die Behauptung annimmt, dass Gesetze und
Institutionen in die individuelle Lebensgestaltung einwirken. Und man dabei auch davon
ausgeht, dass die Ebene der Akteure als kein inhaltleeres Konstrukt aufgefasst wird. So kann
man behaupten, dass low-politics von Individuen betrieben wird.
Ein anderes Argument betrifft dir Voraussetzung einer pluralistischen Gesellschaft. Diese wird
im Neo-Funktionalismus als eine Pluralität der wirtschaftlichen Bereiche und sozialen
Dimensionen verstanden. Doch zeichnet sich gerade eine pluralistische Gesellschaft durch ein
Zulassen verschiedener Werte aus, welche verschiedene Dimensionen und Bereiche ermöglicht.
Unter diesen Aspekten soll nun im Folgenden diskutiert werden, in welchem Rahmen sich das
Entstehen gleichstellungspolitischer EU-Richtlinien als spillover im neo-funktionalistischen
Sinne verstehen lässt.
45
Haas, Ernst B.„The Study of Regional Integration: Reflections on the Joy and Anguish of Pretheorizing”.S.640.
Eine Voraussetzung die hier gemacht wird, ist, dass diese Richtlinien Schutz vor verschiedensten
Arten der Diskriminierung gegen das Individuum bieten sollen und somit der Akteursebene
eigentlich nicht gerecht werden.
3.2. Die Entwicklung und Umsetzung der EU- Antidiskriminierungsrichtlinien im Lichte der
neo-funktionalistischen Theorie
Die Grundidee einer Europäischen Union bestand in wirtschaftlichen Erwägungen einen
gemeinsamen Binnenmarkt umzusetzen. Dazu war es erforderlich, arbeitsrechtliche Maßnahmen
in der Gemeinschaft zu beschließen. Zollschranken mussten fallen, ein freier Waren- und
Kapitalmarkt entstand.
Eine anschließende Erwägung betraf die Umsetzung des Zugangs zum Arbeits- und
Kapitalmarkt. (Dies wird im Dritten Teil des EGV unter den dort genannten Abschnitten
deutlich).
Der erste gleichstellungspolitische Integrationsschritt, der als eine weitere Konsequenz
erforderlich war, artikulierte sich in Artikel 119 EWG (heute Art.141 EGV) über die Forderung
nach der Entgeltgleichheit. Wie oben schon erwähnt, wurde die Entgeltgleichheit nicht aus
gleichstellungspolitischen, sondern eher aus wirtschaftlichen Gründen in Erwägung gezogen.
Als ein Argument für den Neo-Funktionalismus muss man hier annehmen, dass sich diese
Entwicklungen im Sinne des Erreichens eines Equilibriums verstehen lassen.
Die Öffnung der einzelnen Binnenmärkte der Nationalstaaten durch den Schengen-Vertrag im
Jahre 1985 (der so genannte Schengen-Raum erweiterte sich noch bis ins Jahr 1995, als das
Übereinkommen in Kraft trat) hatte als Konsequenz, dass die einzelnen Staaten dadurch eine
Liberalisierung der Märkte erlebten. Somit waren die einzelnen Märkte neuen Strukturen
ausgesetzt.
„[Die] Kontrollen an den Binnengrenzen zwischen den Unterzeichnerstaaten [konnten]
aufgehoben und eine einzige Außengrenze geschaffen werden, an der Einreisekontrollen nach
denselben Verfahren vorgenommen werden. Gemeinsame Vorschriften hinsichtlich der Erteilung
von Visa, des Asylrechts und der Kontrolle an den Außengrenzen wurden erlassen, um den freien
Personenverkehr zwischen den Unterzeichnerstaaten ohne Beeinträchtigung der öffentlichen
Ordnung zu ermöglichen.
Um Freiheit und Sicherheit miteinander in Einklang zu bringen, wurden ergänzend zur
Freizügigkeit so genannte Ausgleichsmaßnahmen eingeführt. Ziel war es, die Koordinierung
zwischen den Polizei-, Zoll- und Justizbehörden zu verbessern und die notwendigen Maßnahmen
insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität zu ergreifen. Zu
diesem Zweck wurde ein Informationssystem - das Schengener Informationssystem (SIS) eingerichtet, um personenbezogene Daten sowie Daten über gesuchte Gegenstände
auszutauschen.“46
Wie in diesem Zitat angedeutet, hatte dies auch sozialpolitische Konsequenzen in Bezug auf das
Asylrecht. Dies eröffnete den Raum Regulationen zu finden, welche dieser neuen
Herausforderung gerecht werden sollten.
Das Entstehen der EU-Richtlinien gegen Diskriminierung lässt sich nun als spillover verstehen,
denn auch in den Antidiskriminierungsrichtlinien findet sich ein Rückbezug zu der erst erfolgten
wirtschaftlichen
Integration.
Gleichstellungspolitische
beziehungsweise
sozialpolitische
Überlegungen ergeben sich nun aus den Anforderungen des Marktes.
So wird in der Begründung des Rates der Europäischen Union bezüglich der Richtlinien
“die Notwendigkeit unterstrichen, günstigere Bedingungen für die Entstehung eines
Arbeitsmarktes zu schaffen, der soziale Integration fördert; dies soll durch ein Bündel aufeinander
abgestimmter Maßnahmen geschehen, die darauf abstellen, Diskriminierungen bestimmter
gesellschaftlicher Gruppen, wie ethnischer Minderheiten, zu bekämpfen.“ 47
Man kann für eine neo-funktionalistische Sichtweise argumentieren, wenn man den
realpolitischen Prozess als Konstante annimmt. In diesem Sinne ergaben sich die
einschneidenden Prozesse zur Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien erst Ende der
Neunziger Jahre des letzten Jahrtausends, über 40 Jahre nach dem Vertrag von Rom. Eine
Neuerung bzw. Rückbesinnung auf die soziale Dimension erfolgte erst durch Hinzufügen des
Artikels 13 im Vertrag von Nizza 2000, der eine Erneuerung des EGV von 1957 darstellt.
Diese Sichtweise kann mit den Konzepten des ALT und des Modells der Kongruenz
unterstrichen werden. Demnach zeigt sich ein Voranschreiten des Integrationsprozesses, wenn
die EU-Richtlinien in den einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt wurden und sich eine
grundlegende Veränderung der Voraussetzungen für den Arbeitsmarkt gezeigt haben.
In Deutschland ist dies im Jahr 2006 durch die Verabschiedung des „Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes“ geschehen. Dieses Gesetz regelt nun auf nationaler Ebene den
Zugang zu Gütern und Arbeit und bestimmt damit, dass keinem EU-Bürger auf Grund
46
47
http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l33020.htm
vgl. in der Begründung den Grund (8) in folgenden Richtlinien: 2000/43/EG und 2000/78/EG.
bestimmter Merkmale (Vgl. § 1 AGG) ein Arbeitsplatz verweigert werden kann oder ihn daran
hindert Verträge zu schließen. Diese beiden wichtigen Aspekte des AGG zeigen den innerlichen
Prozess der Staaten verschiedene Gruppen zu integrieren.
Wir befinden uns also dem neo-funktionalistischen Ansatz entsprechend in der zweiten Periode,
des Modells der Kongruenz, des Ausgleichens von Gefällen zwischen verschiedenen Bereichen.
Nach dem ALT wird durch dieses Gesetz der Transfer von Autorität und Legitimität wieder an
die entsprechenden Institutionen abgegeben, was dem dezentralen Charakter des ALT entspricht.
Auf der anderen Seite hat der Neo-funktionalistische Ansatz im Bereich unserer Untersuchung
den Schwachpunkt, dass er nicht genau erklärt, wie der spillover sich in Gänze fassen lässt.
Wenn man spillover – Effekte so interpretiert, dass sie unintendierte Folgen vorangegangener
Integrationsschritte sind, dann lässt sich dies für den Kontext der Antidiskriminierung nicht
unbedingt zeigen.
Die Umsetzung einer europäischen Gemeinschaft und die damit verbundene Zusammenführung
einzelner Nationalstaaten wurde von Anbeginn auch als ein soziales Projekt verstanden. So
findet sich in der Präambel des EGV schon ein Hinweis auf die Verantwortung gegenüber
sozialen Standards und der Lebensbedingungen der Mitglieder der EG.48 Es wird also nicht
deutlich ersichtlich, dass der Erlass von Antidiskriminierungsrichtlinien als unintendierte Folge
des
erst
wirtschaftlichen
gleichstellungspolitische
Integrationsprozesses
Maßnahmen
aufgrund
entstand.
des
Sicherlich
gemeinsamen
aber
sind
wirtschaftlichen
Zusammenwachsens dann erforderlich geworden.
So zeigen sich von dieser Seite her eher parallel laufende Prozesse der Vereinheitlichung
verschiedener national-staatlicher Wirtschaften und zugleich auch der Versuch einer
Homogenisierung im Feld sozial-politisch relevanter Themen.
In den vom Rat der Europäischen Union auf seiner Tagung vom 10. und 11. Dezember 1999 in
Helsinki vereinbarten beschäftigungspolitischen Leitlinien für das Jahr 2000 wird die
Notwendigkeit unterstrichen, günstigere Bedingungen für die Entstehung eines Arbeitsmarktes
48
So heißt es in der Präambel des EGV u.a.: „[...] ENTSCHLOSSEN, durch gemeinsames Handeln den
wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Länder zu sichern, indem sie die Europa trennenden Schranken
beseitigen, IN DEM VORSATZ, die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker als
wesentliches Ziel anzustreben...“
zu schaffen, der soziale Integration fördert.
Dieses Beispiel verweist darauf, dass die wirtschaftlichen Bedingungen eine Sozialpolitik
fordern. Im Sinne eines weit verstandenen Begriffs des spillover könnte dies als Effekt gelesen
werden. Da zuerst eine Integration im wirtschaftlichen Feld stattgefunden hat und diese
Leitlinien die Wirtschaft mit der sozialen Komponente aussöhnen sollen, können sie somit als
ein Folgeschritt der wirtschaftlichen Integration verstanden werden.
Auf der anderen Seite kann aber auch behauptet werden, dass die sozialen Standards
grundsätzlich durch den EGV geregelt waren und nun durch den Beschluss in Helsinki expliziert
wurden.
4. Weiterführende Diskussion des Integrationsbegriff unter dem
Aspekt des Geschlechts als politische Dimension
Vorbemerkung: Da dieser Abschnitt sich mit der Relevanz des Geschlechts als politische
Dimension beschäftigt, wird im Folgenden die Schreibweise „_in/nen“ verwendet, um
den Anspruch der Diskussion gerecht zu werden. Diese Schreibweise wird oft in
Publikationen „queer-theoretischer“ Themen verwendet und soll die Besonderheit der
Problematik für Transgender - Menschen aufwerfen, welche in der Sprache nicht
repräsentiert sind.
4.1. Geschlecht als politische Dimension
Es soll nun noch ein Ausblick gegeben werden, wie Sexualität und Geschlechtlichkeit
auch als eine politische Kategorie zu begreifen ist. Dabei sollen hier Fragen gestellt
werden, welche Möglichkeiten eröffnet die bisherige Diskussion zu erweitern. Die
Integrationsprozesse können auf andere Voraussetzungen hin hinterfragt werden.
In einem ersten Abschnitt soll der Integrationsbegriff strukturell hinterfragt werden, in
Bezug auf identitätspolitische Aspekte im Begriff der Integration.
Geschlecht als politisches Mittel verstanden, impliziert, dass diese Kategorie einen
neuen Raum erschließt, welche die Möglichkeit bietet die Dichotomie von
Privat/Öffentlichkeit zu durchbrechen. Vielmehr bezeichnet sie Strukturen und
Lebensweisen verschiedenster Akteure im politischen und sozialen Feld. Damit muss
Geschlecht auch immer als eine Kategorie der Macht respektive Herrschaft verstanden
werden.
Dies tangiert den Integrationsbegriff als Konstitution eines öffentlichen Raumes; der
Teilhabe an Prozessen der wirtschaftlichen Progression, sowie im gleichen Maße an
Prozessen innerhalb sozialpolitisch relevanter Entwicklungen.
Strukturelle Bedingungen für Sexualität gehen einher mit der Vorstellung eines
natürlichen Geschlechts. Dies wiederum fordert in diesem Verständnis normative
Bedingungen in denen ein Geschlecht gelebt werden kann. Deshalb sollen die
Kategorien der Geschlechtlichkeit, sowie die strukturellen Bedingungen für sexual
citizenship befragt werden.
Der Begriff des sexual citizenship entstammt der Diskussion über queere Politik im
amerikanischen Raum.49 Er bezeichnet die Auseinandersetzung über die Teilnahme an
Bürger_innenrechten und den politischen Partizipationsprozess gesellschaftlicher
Teilnahme.
So kann aber auch die Umsetzung der EU- Antidiskriminierungsrichtlinien hinterfragt
werden. Welche Grenzen und Problematiken werfen diese Gesetze für TransgenderMenschen auf?
Als
einen
letzten
Abschnitt
wird
dann
versucht
werden,
mit
Hilfe
der
Herausgeber_innengruppe quaestio und Hark/Genschel das Prinzip des citizenship, zu
hinterfragen und mögliche Handlungskonzeptionen auf politischer Ebene anzubieten,
welche wiederum den Integrationsprozess hinterfragen. Hier soll ein kurzer Aufriss
möglicher Sichtweisen über den EU-Integrationsprozess gegeben werden.
4.2.Integration = Identifikation? – Integration als identitätspolitischer Aspekt
Es gibt verschiedene Ansätze und Konzeptionen für den Begriff der Integration. Eine
These, welche im folgendem noch expliziert und von anderen Konzeptionen abgegrenzt
werden soll, ist es, dass für das Projekt EU der Begriff der Integration nicht nur für
Nationalstaaten
oder
Wirtschaftsbereiche
anwendbar
ist,
sondern
auch
eine
gesellschaftliche und/oder kulturelle Ebene betrifft.
Auf dieser Ebene, so soll argumentiert werden, geht es um Identitätspolitik. Zum
Beispiel: Gibt es eine europäische Geschichte, auf die sich man heute berufen kann?
Sind die verschiedenen Nationen in ihren Gesellschaftsstrukturen identisch, um von
einer EU sprechen zu können?
Es ließen sich noch mehrere solche Fragen stellen, welche zeigen, dass im
Integrationsprozess auch identifikatorische Momente angesprochen werden.
49
vgl. hierzu quaestio.„Sexuelle Politiken – Politische Rechte und gesellschaftliche Teilhabe“.S.21f.
Was behauptet man nun, wenn man davon spricht, dass Integration auch immer ein
Identifikationsprozess bezeichnet?
Verschiedene Voraussetzungen können gemacht werden. Zuerst einmal muss man
behaupten, dass eine Nation oder ein Staat auch immer als eine Gesellschaft verstanden
wird. Diese wiederum setzt sich aus Strukturen und auf einer Mikroebene auch aus
Individuen zusammen. Hinterfragt werden sollen auch hier die Strukturen, eben eines
Integrationsprozesses, mit welchen sich Individuen konfrontiert sehen.
Strukturen und Institutionen sollen hier als Praxisformen verstanden werden. Dies soll
meinen, dass auf jener Ebene Möglichkeiten sowie Restriktionen zu Handeln geschaffen
werden.
Der Handlungsbegriff soll im Folgenden im Sinne Habermas’ kommunikativen
Handelns verstanden werden.50
Die Strukturen und Institutionen der europäischen Union zielen zuerst auf einen
einheitlichen Wirtschaftsraum. Es sollen Handlungsräume bereitgestellt werden, die
große Gefälle zwischen der Wirtschaft verschiedener Länder ausgleichen. In diesen
Räumen entstehen Möglichkeiten auch auf politischer Ebene die soziale Frage
aufzuwerfen. So schließen sich daran auch Fragen nach Würde, Status und
Lebensgestaltung eines Individuums an.
Was muss und kann eine Politik tun, um ihren Bürger_innen ein selbst bestimmtes
Leben zu gewährleisten. Natürlich muss in diesem Rahmen auch geklärt werden, in wie
weit die Begriffe nach Würde und Status mit Identität zusammen hängen. Behauptet
werden soll hier, dass eine Politik der Integration einen Anspruch auf Bereitstellen
sozialer Standards hat und somit maßgeblich in die Identifikationsprozesse der
Bürger_innen respektive Individuen eingreift.
Eine Frage die hier anschließt: Bedeutet Integration immer eine Identität zu produzieren
oder wie weit können Differenzen ausgehalten werden, ohne Marginalisierungen zu
produzieren?
50
vgl. dazu Habermas, Jürgen.„Theorie des kommunikativen Handelns“.
Schlussendlich muss man also sagen, dass eine Wirtschaftspolitik, wie wir sie
hauptsächlich in den Prozessen der europäischen Integration vorfinden immer auch eine
Politik für die individuellen Handlungsspielräume ist.
Ein weiterer Diskussionspunkt betrifft die Frage nach der strukturellen Bedeutung des
Integrationsbegriffs, wenn man ihn auf seine möglichen Ziele hin betrachtet.
„So gehen Integrationskonzepte, wie sie sowohl von Seiten der hegemonialen Ordnung als
auch von marginalisierten Gruppen vertreten werden, mit einem Verständnis von Differenz
einher, das diese immer im Verhältnis zu einer Normalität denkt; auch wenn diese nicht
unterstützt wird, so wird sie doch in ihrem normsetzenden Status bestätigt. Zu unterscheiden
ist, ob Integration als Assimiliation oder als Eingliederung in einen multikulturellen
Pluralismus konzipiert ist.“51
Was kann und soll durch Integration erreicht werden? Das Konzept der Assimilation
versteht Integration demnach als Herstellung einer einheitlichen Normalität. Normalität
wird in dieser Auseinandersetzung oft als ein identitätsstiftendes und als von der
Gesellschaft produziertes Merkmal gesetzt.
In diesen Konzepten von citizenship, an denen auch die verschiedenen Forderungen
nach Homogenität und Heterogenität einer Gesellschaft anschließen, bleiben die Fragen
der Identität immer als unhinterfragt bestehen. Sie sind somit ein konstitutives Merkmal
solcher integrationstheoretischen Konzeptionen. „[Aber bedeutet dies], dass Fragen
nach der Konstruktion politischer Subjektivität und der politischen Konstruktion sozialer
Subjektivität, aber auch der staatlichen, ökonomischen, kulturellen und sozialen
Konstruktion politischer Räume und Praxen gestellt werden müssen.“52
Wie wird diese soziale Subjektivität konstruiert? Am Beispiel intersexueller Menschen
ist dies sehr gut nachzuvollziehen. Intersexuelle Menschen werden umgangssprachlich
auch als Hermaphroditen bezeichnet, d.h. sie werden mit einem uneindeutigen
Geschlecht geboren. Heutige gängige Praxis ist es, diesen Menschen nach ihrer Geburt
ein Geschlecht zuzuweisen, meistens durch Operation und medikamentöse Behandlung
(Hormone etc.). Dabei wird nach verschiedenen Kriterien entschieden. So ist ein
Kriterium wie die Klitoris oder Penis gewachsen ist. Ab einer bestimmten Größe dieses
quaestio.„Sexuelle Politiken – Politische Recht und gesellschaftliche Teilhabe“.S.15.
Hark, Sabine/Genschel, Corinna.„Die ambivalente Politik von Citizenship und ihre sexualpolitische
Herausforderung.“S.139.
51
52
Vehikels kann eine Operation zum Mann hin erfolgen, wenn dies zu klein ist wird dieser
Mensch dem Geschlecht Frau zugewiesen.
Diese medizinische Praxis entbehrt jeglicher rechtlicher Grundlage. So gibt
es im
Personenstandgesetz nur einen Hinweis darauf, dass nach der Geburt ein Geschlecht
eingetragen werden muss, aber es gibt keine Bestimmung, dass dies nur die beiden
Geschlechter männlich und weiblich zu sein haben. (Vgl. PersStdG § 21) Des Weiteren
kann man mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) argumentieren,
dass jeder Mensch ein Recht auf absolute Achtung und Entfaltung seiner Persönlichkeit
hat. Diese wird durch eine solche Praxis verhindert.
Dieses diskriminierende Moment muss auf ihre strukturelle Bedingtheit hinterfragt
werden. Ein Ansatz ist es, dass Geschlecht immer im Kontext gesellschaftlicher
Bedingungen verstanden wird.
Aber selbst die EU-Richtlinien gegen Diskriminierung enthalten keine Bestimmungen,
welche diesen eben geschilderten Sachverhalt unterbinden würde. Diese Richtlinien
gehen von einem bipolaren Geschlechtermodell aus [Vgl. siehe Anhang], welches damit
ein doppeltes Moment der Diskriminierung bedeutet: die Nichtanerkennung.
4.3. Sexual citizenship als eine Kategorie der Umwertung des Integrationsbegriffs – ein
Ausblick
„Wie also verändern sich sexuelle Politiken, wenn es in dem Konzept von sexual citizenship nicht
primär darum geht, integrationslogisch in die bestehende Gesellschaft aufgenommen zu werden
oder individualisierend liberale Menschen- und BürgerInnenrechte einzufordern, sondern
Beschränkungen und Ausschlüsse aus gesellschaftlicher Definitions- und Gestaltungsmacht zu
bekämpfen?“53
Wie kann man also dieser Nichtanerkennung begegnen, wenn man die Gesellschaft als
öffentliches Feld versteht, in dem verschiedene Lebensformen politisch erstritten werden
können? Dies ist eng geknüpft an die Idee einer Freiheit zu öffentlicher Praxis, welche
als demokratische politische Partizipation verstanden werden muss.54
53
54
quaestio.„Sexuelle Politiken – Politische Rechte und gesellschaftliche Teilhabe.“S.23.
vgl. Kaplan, Morris in: questio S.17.
Eine mögliche Strategie kann sein, dass man versucht Richtlinien und Gesetze(svorgaben) so zu formulieren, dass diese Rekurs auf Praxisformen nehmen, in denen
Geschlechtlichkeit gelebt werden kann.
Eine andere Strategie kann sein, Freiheit zu fordern sich öffentlich an den
Auseinandersetzungen und der Gestaltung der Gemeinschaft beteiligen zu können. Dies
impliziert ein neues Verständnis von sexual citizenship, welches einhergeht mit der
Auffassung, dass der öffentliche Raum als ein Ort von Bekämpfung und Erstreitung
verschiedenster Lebensformen gesehen werden muss.55
Hierzu schlussfolgern Hark und Genschel:
„Eine Politik, die die Integration einer ‚Minderheit’ in die Mehrheitsgesellschaft fordert, war
angesichts dieser gesellschaftlichen Krise [Anm.: damit ist die AIDS-Krise in den 80iger Jahren
gemeint], in der es um Fragen von Leben und Tod ging, an ihre Grenze gestoßen. […] [Diese
Herausforderung war nur mit neuen gesellschaftlichen Bündnissen zu bestehen]. Dies war der
Moment von queer: Neue, auf öffentliche Intervention setzende Gruppen und politische Strategien
entstanden, die explizit die Frage nach dem Zugang zu Öffentlichkeit und Ressourcen stellten
[…]“56
So werden in den bisherigen integrationstheoretischen Modellen, Partizipation immer als
ein Aushandeln der Normalität über Differenz diskutiert. Dem entgegen versuchen
verschiedene queere Ansätze, „die Gesellschaft als ein Feld fortdauernder Anfechtungen“
dieser Normalität zu verstehen. Dies geht einher mit der Frage, wie demokratische Teilhabe
heteronormativ verfasst ist.57 Ein wichtiger Aspekt der diese Ansätze motiviert, ist die
Verfasstheit
einer
Gesellschaft,
welche
durch
heteronormative
Strukturen
Ausschlussmechanismen hervorruft.
So kann Sexualität neu konzipiert werden, in der Sexualität:
„ [nicht] als Eigenschaft von Personen, sondern als Element sozialer Praxis, in der sich eine Form
von ‚belonging’ […], eine neue Politik des Alltags […], aber auch die Demokratisierung sozialer
Beziehung […] artikuliert [wird]. Diese sozialen Praxen werden wiederum als integraler Teil
gesellschaftlicher Mitgliedschaft stark gemacht und als Vorbedingung demokratischer
Handlungsmächtigkeit konzipiert.“58
55
vgl. Kaplan, Morris in: questio..S.18.
Hark, Sabine/Genschel, Corinna.„Die ambivalente Politik von Citizenship und ihre sexualpolitische
Herausforderung.“S.138.
57
vgl.quaestio.„ Sexuelle Politiken – Politische Rechte und gesellschaftliche Teilhabe.“.S.15ff.
58
Hark, Sabine/Genschel, Corinna.„Die ambivalente Politik von Citizenship und ihre sexualpolitische
Herausforderung.“S.147.
56
Deswegen muss der Integrationsbegriff weitergefasst werden, als zu konstatieren, dass eine
erfolgreiche Integration durch die Assimilation an etwas Bestehendes oder an ein
gefordertes Ziel erreicht ist. Der neo-funktionalistische Ansatz eröffnet in diesem Sinne
einen positiven Aspekt, durch die Unabgeschlossenheit des Integrationsprozesses. Diese
Konzeption ermöglicht, Integration im sozialpolitischen Sinne als eine Praxis zu
beschreiben und benötigt keinen Rekurs auf identitätspolitische Theorien, welche
Natürlichkeit als Kategorie der Begründung benötigen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Verständnis eines Integrationsbegriffes als
politische Kategorie immer einhergeht mit eben jenen sozialen Praxen, welche sexual
citizenship im oben formulierten Sinne ermöglicht. Geschlecht als politische Dimension
beinhaltet die Forderung, nach den strukturellen Möglichkeiten integrativer Maßnahmen
zu fragen. Dieser kurze Ausblick sollte einen kurzen Überblick über diese Maßnahmen
geben.
5. Schlusswort
Es hat sich gezeigt, dass man durch Hinzunahme der Theorie des Neo-Funktionalismus das
Entstehen und die Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien erklären kann. Durch die
erst wirtschaftlich erfolgte Integration der Mitgliedsstaaten, machte das Zusammenwachsen
sozialpolitische Maßnahmen erforderlich. Einschränkend kann man als Gegenargument
formulieren, dass grundsätzlich die Sozialpolitik von Beginn an mit expliziert wurde. Aber unter
Einbeziehung der realpolitischen Situation denken wir, dass sich das Konzept des spillover
empirisch evaluieren ließe.
Des Weiteren sind wir über die Arbeit mit dem Neo-Funktionalismus zu dem Schluss
gekommen, dass er sich in Bezug auf den in Kapitel vier erwähnten Ausblick anwenden lässt.
Auch wenn der Neo-Funktionalismus die sexualpolitische Dimension nicht explizit begründet, so
lässt sich doch mit ihm die Hoffnung verbinden, sexualpolitische Möglichkeiten aufzuzeigen.
6. Literatur/Internetquellen
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Antidiskriminierungsrecht der EU. In: Aktuelle Informationen 3/2004. Deutscher Juristinnenbund
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http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32000L0078:DE:HTML
http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32002L0073:DE:HTML
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[alle, letzter Zugriff: 12.07.07]
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http://ec.europa.eu/employment_social/equ_opp/gms_de.html
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/eckpunktepapier_bmj_08_10_2001.pdf
http://baer.rewi.huberlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/eugh_klage_kommission_rili_2000_43.pdf
http://baer.rewi.huberlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/eugh_klage_c_43_05_wegen_rili_2000_78.pdf
http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/antidiskriminierungsstelle.pdf
http://baer.rewi.huberlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/eugh_urteil_adg_umsetzung_c_329_04.pdf
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http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/bt_drs_16_957_gruenen.pdf
http://baer.rewi.huberlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/bundesregierung_presseerklaerung_agg_04_05_2006.pdf
http://baer.rewi.huberlin.de/w/files/lsb_adg_chronologie/anwendung_art_228_egv_kommission.pdf
http://www.buzer.de/gesetz/7325/index.htm
[alle, letzter Zugriff: 12.07.07]
ANHANG
1.Die relevanten Artikel aus dem Vertrag über die Europäische Gemeinschaft (EGV)
KONSOLIDIERTE FASSUNG DES VERTRAGS ÜBER DIE EUROPÄISCHE UNION
Artikel 6
(1) Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der
Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen
Mitgliedstaaten gemeinsam.
(2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom
unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der
Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.
(3) Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten.
(4) Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur
Durchführung ihrer Politiken erforderlich sind.
KONSOLIDIERTE
FASSUNG
DES
VERTRAGS
ZUR
GRÜNDUNG
DER
PRÄSIDENT
DER
EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFT
Präambel
SEINE
MAJESTÄT
BUNDESREPUBLIK
DER
KÖNIG
DER
DEUTSCHLAND, DER
BELGIER,
DER
PRÄSIDENT DER
FRANZÖSISCHEN
REPUBLIK, DER PRÄSIDENT DER ITALIENISCHEN REPUBLIK, IHRE KÖNIGLICHE
HOHEIT DIE GROSSHERZOGIN VON LUXEMBURG, IHRE MAJESTÄT DIE KÖNIGIN
DER NIEDERLANDE (1),
IN DEM FESTEN WILLEN, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der
europäischen Völker zu schaffen,
ENTSCHLOSSEN, durch gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt
ihrer Länder zu sichern, indem sie die Europa trennenden Schranken beseitigen,
IN DEM VORSATZ, die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer
Völker als wesentliches Ziel anzustreben,
IN DER ERKENNTNIS, dass zur Beseitigung der bestehenden Hindernisse ein einverständliches
Vorgehen erforderlich ist, um eine beständige Wirtschaftsausweitung, einen ausgewogenen
Handelsverkehr und einen redlichen Wettbewerb zu gewährleisten,
IN DEM BESTREBEN, ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung
zu fördern, indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger
begünstigter Gebiete verringern,
IN DEM WUNSCH, durch eine gemeinsame Handelspolitik zur fortschreitenden Beseitigung der
Beschränkungen im zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr beizutragen,
IN DER ABSICHT, die Verbundenheit Europas mit den überseeischen Ländern zu bekräftigen,
und in dem Wunsch, entsprechend den Grundsätzen der Satzung der Vereinten Nationen den
Wohlstand der überseeischen Länder zu fördern,
ENTSCHLOSSEN, durch diesen Zusammenschluss ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit
zu wahren und zu festigen, und mit der Aufforderung an die anderen Völker Europas, die sich zu
dem gleichen hohen Ziel bekennen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen,
ENTSCHLOSSEN, durch umfassenden Zugang zur Bildung und durch ständige Weiterbildung
auf einen möglichst hohen Wissensstand ihrer Völker hinzuwirken,
HABEN BESCHLOSSEN, eine EUROPÄISCHE GEMEINSCHAFT zu gründen; sie haben zu
diesem Zweck zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Aufzählung der Bevollmächtigten nicht wiedergegeben)
DIESE SIND nach Austausch ihrer als gut und gehörig befundenen Vollmachten wie folgt
übereingekommen:
Artikel 3
(2) Bei allen in diesem Artikel genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf hin,
Ungleichheiten
zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern.
Artikel 5
Die Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen
Befugnisse und gesetzten Ziele tätig.
In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft
nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen
Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher
wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden
können. Die Maßnahmen der Gemeinschaft gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele
dieses Vertrags erforderliche Maß hinaus.
Artikel 12
Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags ist in seinem Anwendungsbereich jede
Diskriminierung
aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
Der Rat kann nach dem Verfahren des Artikels 251 Regelungen für das Verbot solcher
Diskriminierungen
treffen.
Artikel 13
(1) Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags kann der Rat im Rahmen der durch
den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission
und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen,
um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der
Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung
zu bekämpfen.
(2) Abweichend von Absatz 1 beschließt der Rat gemäß dem Verfahren des Artikels 251, wenn er
gemeinschaftliche Fördermaßnahmen unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Maßnahmen annimmt,
die die Mitgliedstaaten treffen, um zur Verwirklichung der in Absatz 1 genannten Ziele
beizutragen.
Artikel 141 (war vorher Art.119 EWG)
(1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer
und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.
(2) Unter "Entgelt" im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des
Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen
zahlt. Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet,
a) dass das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit aufgrund der gleichen
Maßeinheit festgesetzt wird,
b) dass für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist.
(3) Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 und nach Anhörung des
Wirtschaftsund Sozialausschusses Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des
Grundsatzes der Chancengleichheit
und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen,
einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit.
(4) Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und
Frauen im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Gleichbehandlung die Mitgliedstaaten nicht
daran, zur Erleichterung
der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum
Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen
beizubehalten oder zu beschließen.
Artikel 228
(1) Stellt der Gerichtshof fest, dass ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem
Vertrag verstoßen hat, so hat dieser Staat die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil
des Gerichtshofes ergeben.
(2) Hat nach Auffassung der Kommission der betreffende Mitgliedstaat diese Maßnahmen nicht
ergriffen, so gibt sie, nachdem sie ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, eine mit Gründen
versehene Stellungnahme ab, in der sie aufführt, in welchen Punkten der betreffende
Mitgliedstaat dem Urteil des Gerichtshofes nicht nachgekommen ist.
Hat der betreffende Mitgliedstaat die Maßnahmen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes
ergeben, nicht innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist getroffen, so kann die
Kommission den Gerichtshof anrufen. Hierbei benennt sie die Höhe des von dem betreffenden
Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgelds, die sie den Umständen nach für
angemessen hält.
Stellt der Gerichtshof fest, dass der betreffende Mitgliedstaat seinem Urteil nicht nachgekommen
ist, so kann er die Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgelds verhängen.
Dieses Verfahren lässt den Artikel 227 unberührt.
Artikel 249
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben und nach Maßgabe dieses Vertrags erlassen das Europäische
Parlament und der Rat gemeinsam, der Rat und die Kommission Verordnungen, Richtlinien und
Entscheidungen,
sprechen Empfehlungen aus oder geben Stellungnahmen ab.
Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt
unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu
erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form
und der Mittel.
Die Entscheidung ist in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet.
Die Empfehlungen und Stellungnahmen sind nicht verbindlich.
Artikel 250
(1) Wird der Rat kraft dieses Vertrags auf Vorschlag der Kommission tätig, so kann er
vorbehaltlich des Artikels 251 Absätze 4 und 5 Änderungen dieses Vorschlags nur einstimmig
beschließen.
(2) Solange ein Beschluss des Rates nicht ergangen ist, kann die Kommission ihren Vorschlag
jederzeit im Verlauf der Verfahren zur Annahme eines Rechtsakts der Gemeinschaft ändern.
Artikel 251
(1) Wird in diesem Vertrag hinsichtlich der Annahme eines Rechtsakts auf diesen Artikel Bezug
genommen, so gilt das nachstehende Verfahren.
(2) Die Kommission unterbreitet dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Vorschlag.
Nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments verfährt der Rat mit qualifizierter Mehrheit
wie folgt:
- Billigt er alle in der Stellungnahme des Europäischen Parlaments enthaltenen Abänderungen, so
kann er den vorgeschlagenen Rechtsakt in der abgeänderten Fassung erlassen;
- schlägt das Europäische Parlament keine Abänderungen vor, so kann er den vorgeschlagenen
Rechtsakt erlassen;
- anderenfalls legt er einen gemeinsamen Standpunkt fest und übermittelt ihn dem Europäischen
Parlament. Der Rat unterrichtet das Europäische Parlament in allen Einzelheiten über die Gründe,
aus denen er seinen gemeinsamen Standpunkt festgelegt hat. Die Kommission unterrichtet das
Europäische Parlament in allen Einzelheiten über ihren Standpunkt.
Hat das Europäische Parlament binnen drei Monaten nach der Übermittlung
a) den gemeinsamen Standpunkt gebilligt oder keinen Beschluss gefasst, so gilt der betreffende
Rechtsakt als entsprechend diesem gemeinsamen Standpunkt erlassen;
b) den gemeinsamen Standpunkt mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder abgelehnt, so gilt
der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen;
c) mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder Abänderungen an dem gemeinsamen Standpunkt
vorgeschlagen, so wird die abgeänderte Fassung dem Rat und der Kommission zugeleitet; die
Kommission gibt eine Stellungnahme zu diesen Abänderungen ab.
(3) Billigt der Rat mit qualifizierter Mehrheit binnen drei Monaten nach Eingang der
Abänderungen des Europäischen Parlaments alle diese Abänderungen, so gilt der betreffende
Rechtsakt als in der so abgeänderten Fassung des gemeinsamen Standpunkts erlassen; über
Abänderungen, zu denen die Kommission eine ablehnende Stellungnahme abgegeben hat,
beschließt der Rat jedoch einstimmig. Billigt der Rat nicht alle Abänderungen, so beruft der
Präsident des Rates im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments binnen
sechs Wochen den Vermittlungsausschuss ein.
(4) Der Vermittlungsausschuss, der aus den Mitgliedern des Rates oder deren Vertretern und
ebenso vielen Vertretern des Europäischen Parlaments besteht, hat die Aufgabe, mit der
qualifizierten Mehrheit der Mitglieder des Rates oder deren Vertretern und der Mehrheit der
Vertreter des Europäischen Parlaments eine Einigung über einen gemeinsamen Entwurf zu
erzielen. Die Kommission nimmt an den Arbeiten des Vermittlungsausschusses teil und ergreift
alle erforderlichen Initiativen, um auf eine Annäherung der Standpunkte des Europäischen
Parlaments und des Rates hinzuwirken. Der Vermittlungsausschuss befasst sich hierbei mit dem
gemeinsamen Standpunkt auf der Grundlage der vom Europäischen
Parlament vorgeschlagenen Abänderungen.
(5) Billigt der Vermittlungsausschuss binnen sechs Wochen nach seiner Einberufung einen
gemeinsamen Entwurf, so verfügen das Europäische Parlament und der Rat ab dieser Billigung
über eine Frist von sechs Wochen, um den betreffenden Rechtsakt entsprechend dem
gemeinsamen Entwurf zu erlassen, wobei im Europäischen Parlament die absolute Mehrheit der
abgegebenen Stimmen und im Rat die qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Nimmt eines der
beiden Organe den vorgeschlagenen Rechtsakt nicht innerhalb dieser Frist an, so gilt er als nicht
erlassen.
(6) Billigt der Vermittlungsausschuss keinen gemeinsamen Entwurf, so gilt der vorgeschlagene
Rechtsakt als nicht erlassen.
(7) Die in diesem Artikel genannten Fristen von drei Monaten bzw. sechs Wochen werden auf
Initiative des Europäischen Parlaments oder des Rates um höchstens einen Monat bzw. zwei
Wochen verlängert.
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