Johannes Roger Hanses, VITA IN DEUM-Initiative: „Was ist eigentlich Relativismus?“ Ein katechetischer Brief Für meinen Freund Schorse Vermutlich hat Dich das Wort „Relativismus“ neugierig gemacht, weil es in kirchlichen Dokumenten, eiem Kommentar oder gar in einer Predigt von Papst Benedikt vorkam. Wenn das so ist, dann gestatte mir, mich auf diesen Sinn des Wortes zu beschränken. Der Relativismus ist nämlich auch eine Philosophische Richtung und ein Wort, dass man hier und da schon mal anders benutzt. Bleiben wir also beim religiösen Gebrauch des Wortes. „Relativ“ heißt so viel wie „in Bezug auf etwas anderes sein“, „im Verhältnis mit anderen Dingen stehen.“ Im Verhältnis zu einem Zwerg bist Du relativ groß, im Verhältnis zu einem Riesen relativ klein. Für einen Zentralafrikaner ist unser Sommer kühl, für einen Eskimo ist er warm. Deine Größe und das Empfinden des Klimas sind relativ. Albert Einstein hat mit seiner Relativitätstheorie nachgewiesen, dass viele Werte, die wir bis dahin für umstößlich hielten, ebenso relativ sind, wie das Wetterempfinden und die Körpergröße. Und mit manchen Entdeckungen,die er gemacht hat, konnte er die Wissenschaft ganz schön zum Staunen bringen und zum Nachdenken bewegen. „Alles ist relativ“, hieß dann bei manchen allerdings, dass eine Formel, die viel erklärt, gleich alles irgendwann erklären könne. Das ist zum Beispiel heute mit der Evolution so. Es gibt Manches auf der Welt, das sich mit Hilfe der Annahme einer Evolution gut erklären lässt. Seit wir das wissen, tauchen Menschen auf, die der Welt weismachen wollen, deshalb sei gleich unbedingt alles aus einer Evolution enstanden. Sie können natürlich nicht beweisen, wie aus unbewusster Materie ein Bewusstsein kommen kann und wie aus nicht-Geist Geist werden kann. Sie sitzen aber auf dem Zug der festen Annahme und hupen kräftig, jeder, der nicht genug davon verstehe, müsse eigentlich aufspringen. Der religiöse Relativismus ist nun eine Behauptung, die das „alles ist relativ“ in die geistige Welt mit hinein nimmt. Er behauptet, auch die Religionen seien relativ und somit sowohl gleichwertig nebeneinander, als auch je nach Blickwinkel gleich oder verschieden und veränderbar. Bei Einstein hatten wir gesehen, dass bis dahin feste Werte als gar nicht so feststehend bewiesen worden waren. So ein unumstößlicher Begriff wie „Zeit“ und das Älterwerden in ihr wurde „relativ“. Je schneller man durchs Weltall fliegt, desto langsamer wird man alt, hieß es da zum Beispiel. Zuvor nahm man an, das Altwerden im Vergleich zur Zeit sei ein „absolutes“ Verhältnis. „Absolut“ meint also das Gegenteil von „Relativ“: Gleichbleibend und feststehend; Völlig unabhängig von allem anderen. Wer nun sagt, alles sei relativ, der meint es gebe keine absoluten Werte, nichts wirklich immer gleichbleibendes, nichts, was völlig unveränderbar ist und dasteht. Ich werde die Vertreter der beiden Lager, die sich hier nicht einig sind, Relativisten und Absolutisten zu nennen, und gestatte mir, kurz ein aktuelles Beispiel für einen Streit zwischen beiden Lagern: Den sogenannten Schwangerschaftsabbruch. Die Absolutisten in diesem Streit sagen, Abtreibung sei immer, unter allen Umständen und ohne jede Ausnahme das Töten unschuldigen, heranwachsenden Lebens und deshalb immer unter die Definition des Mordes einzuordnen. Weil unschuldiges Leben ein absoulter Wert sei, könne niemals ein Mensch eine Abtreibung durchführen, anordnen oder billigen, ohne sich in schwerster Weise gegen das Leben zu versündigen. Die Relativisten meinen dagegen, der Tatbestand der Abtreibung müsse ins Verhältnis zu seinen Umständen gesehen und bewertet werden. Die möglichen Folgen des Tuns oder Lassen für das heranwachsende Leben und die Beteiligten, die Umstände der Schwangerschaft und der Emfpängnis, all das müsse sowol eine Entscheidung als auch seine Bewertung beeinflussen können. Das Recht des heranwachsenden Lebens sei nicht absolut, sondern relativ. In unserer Kultur hat sich die Meinung der Relativisten gegen die der Absolutisten durchgesetzt. Wird eine Frau schwanger, darf sie abwägen, ob sie dem heranwachsenden Kind ein Lebensrecht zu- oder absprechen soll. Die Absolutisten in diesem Streit sind sehr häufig Menschen mit religiösem Hintergrund: Das führt uns wieder zum Thema. Wir müssen zugeben, in einer Welt zu leben, in der sich auf den ersten schnellen Blick so ziemlich alles bewegt, entwickelt und verändert. Das veranlasst die Relativisten zu sagen, dass man eigentlich nirgends etwas Absolutes annehmen könne. Wirklich ändern kann das erst die Religion. Wenn wir in der Schule des heiligen Thomas nachfragen, wie er Religion umschreibt, erfahren wir etwa folgendes: Religiös sein ist eine Haltung, aus der heraus der Mensch Gott als dem Ursprung allen Daseins und Ziel seines Lebens die ihm zustehende Ehre und den angemessenen Kult darbringt. Hier setzt Relgion etwas Absolutes voraus, nämlich einen unveränderlichen Gott. Ohne ihn gibt es gar nicht erst, was Thomas Religion nennt. Gott ist hier, wenn ich einmal so sagen darf, der abslout Absolute. Und es lohnt sich, an dieser Stelle den Begriff „Absolut“ von seine lateinischen Herkunft einmal beim Wort zu nehmen. „Ab-solut“ heißt so viel wie losgelöst von etwas, ab-solutum. Gott ist in der Schule des heiligen Thomas der Losgelöste, derjenige, der sich durch nichts in der Welt verändern lässt, der keine Relation, kein Verhältnis hat, das ihn zu etwas zwingen kann. Gott ist der Unveränderbare, der eine veränderbare Welt ins Leben rief. Und die Absolutisten in dieser Welt stehen im Glauben, dass ihr Schöpfer seiner Welt in aller Veränderbarkeit hinein absoulte Werte gesetzt hat, die jeder, de sie verstehen kann, anerkennen muss. Wenn wir bei unserem Beispiel bleiben wollen, sagen die religiösen Gegner der Abtreibung: Gott ist der unveränderliche Gott des Lebens. Von diesem Gott her ist das Leben eines heanwachsenden Babys heilig und darf nicht zur Diskussion gestellt werden. Kein weltlicher Grund kann hier etwas ändern. Kommen wir zum religösen Relativismus. Wir haben dem Begriff Religion von Thomas her eine Umschreibung gegeben. Dieser Umschreibung werden viele, auch religiöse, Zeitgenossen nicht zustimmen können, weil sie den absoluten Gott nicht glauben. Den absoluten Gott behaupten eigentlich nur die Juden, die Christen und die Muslime. Unter den religiösen Menschen gibt ebenso Relativisten und Absolutisten; und die Relativisten werden von den Absolutisten „Heiden“ genannt. Ein Blick auf die erste Christenmission macht das deutlich. Die religiöse Kultur Roms war durch und durch relativistisch. Man glaubte an viele Götter, Götzen, Geister und Dämonen. Es gab von den Griechen her den Götterberg Olymp, auf dem die Götter im Grunde nichts anderes waren, als unsterbliche Meschen, die zaubern konnten. Da war nicht die Rede von einer absoluten Gottheit aus der alles hervorgeht. Alles Religiöse war irgendwie innerweltlich. Ein absoluter, unveränderlicher Ursprung aller Welt war kein mögliches Thema der Religion, sondern eines der Philosophie. Aristoteles hatte über solche Dinge nachgedacht, nicht aber die Priester in den Tempeln. Ihre Religion war Lebenshilfe, Geschäft und Beschäftigung. Religion war ein Kult, den die Menschen brauchten; Mit Festen, Orgien, Spielen, mit Blut und Opfern, Wahrsagereien und Orakeln. Die Götter waren Wesen und Kräfte, die die Menschen sich entweder erdachten oder von denen sie behaupteten, sie durchschaut und erkannt zu haben. Lediglich die Juden waren ein Volk, das von sich sagte, der eine Absolute habe sich innerhalb ihres Volkes geoutet. Die Juden waren die ersten religiösen Absolutisten, die den Gott ihrer Väter kannten, weil er sie erwählt hatte. Sie kannten ihren Gott, der eifersüchtig war, wenn sie der Versuchung nachteben würden, ihren Kult mit den Göttern der Heiden zu vermischen. Der Gott der Juden war das Gegenteil von innerweltlich. Er war unbeweglich und über alle Welt erhaben, ihr großer Schöpfer. Er war so geheimnisvoll, dass man sich kein Bild von ihm machen konnte. Die Juden hatten den sichtbaren Kult für den unsichtbaren Gott in die Welt gebracht. Jesus war nun ein, wir können sagen, absoluter Absolutist von ganz neuer Art. Er brachte die Welt der Juden in große Aufruhr, in dem er sagte, er sei persönlich das Bild Gottes; Er sei das eine und einzige Bild des Unsichtbaren; Ein Bild, das Gott der Welt von sich geschenkt habe. „Wer mich sieht, der sieht den Vater“, hatte er gesprochen. Er war das einzig erlaubte, das einzig mögliche Bild des Vaters, Gottes letztes Wort sozusagen, sichtbar und greifbar geworden. Jesu Lebensbild, was er tat, wie er sprach und was er sagte, sein Handeln, Leben und Sterben spiegelte den Abglanz von Gottes Wesen auf die Welt und sein Tod und Auferstehen war zugleich Gottes Antwort auf den Zustand des Menschen, der im Heidentum Gott nie wirklich erreichen konnte. Wenn wir Christen im heutigen religiösen Relativismus eine Gefahr ausmachen, dann meinen wir den Anspruch des Heidentums, unseren Absolutheitsanspruch aufgeben zu sollen. Die Christen sollen sich einreihen in den Relativismus des neuen Heidentums. „Werdet wie wir“, wird gefordert. Relativistisch gesehen ist Jesus nicht das Bild des absoluten Gottes und kein Erlöser in seinem Namen, sondern ein Lehrer von vielen. Unser Problem ist dabei, dass es dabei keine Erlösung mehr gibt und der Mensch glaubt, keiner zu bedürfen. Jesus ist dann alles mögliche, außer das Wichtigste. Eine intellektueller aufgestellte Variante des religiösen Relativismus ist der sogenannte Agnostizismus (vom griechischen „a-gnoein“, „nicht-wissen“). Der Agnostizismus sagt, es mag den Absoluten geben, aber niemand könne oder dürfe sicher sein, etwas Sicheres von ihn zu wissen. Hier wird aus demdas Absolute. Der Vater wird unpersönlich, zu einem höheren Wesen, das bleibt, was sie ist; unveränderbar und zugleich unerreichbar für jedes Wissen. Alle Relgionen können vielleicht etwas Wahres sagen, aber niemand darf sich herausnehmen zu behaupten, er wüsste was sicher oder gar das Meiste. Wenn das so ist, hat Gott keine Möglichkeit, sich über seine Menschen zu outen, weil man jedem Menschen sofort misstrauen muss, der sagt er wisse was Sicheres. Eine buddhistische Dame sagte meinem Freund einmal, er habe die Wahrheit doch auch nicht gegessen. „Doch, heute morgen, in der Messe“, war seine Antwort. Da hast du das Spektrum in einem Satz. © Johannes Roger Hanses, 37115 Duderstadt