MATERIALIEN 1 Kirchen in der NS-Zeit Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben als Institutionen keinen Widerstand gegen das NS-Regime geleistet. Hohe kirchliche Würdenträger haben vielmehr Ergebenheitserklärungen an Hitler geschickt. Damit befanden sie sich auf einer Linie mit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die sich nach einer Regierung der „nationalen Erhebung“ geradezu sehnte. Widerstand leisteten meist nur Einzelne oder kleine Gruppen. Und manchmal gab es Widerstand von Personen gegen Einzelfragen. Clemens August Graf von Galen So war es auch bei Kardinal Graf von Galen, der den Anti-Bolschewismus des Hitler-Regimes im Grundsatz unterstützte. Widerstand leistete er aber, als ihm die Willkür und die Menschenverachtung des Regimes klar wurde, vor allem in der Frage der Euthanasie. Unerschrocken predigte Kardinal Clemens August Graf von Galen, Bischof von Münster (1933– 1946), gegen die Ermordung von Kranken und die Vertreibung von Ordensleuten zur Zeit des Nationalsozialismus. Seine Predigten, unter Lebensgefahr millionenfach verbreitet, öffneten vielen die Augen über das wahre Gesicht des NaziRegimes und weckten neue Hoffnung. Der „Löwe von Münster“, der am 22. März 1946 starb, wurde in der ganzen Welt zur Symbolfigur des „anderen Deutschland“. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat er entschlossen gegen Übergriffe der Besatzungsmacht und den Vorwurf einer Kollektivschuld der Deutschen auf. Kirchliche Einmischung Grundsätzlich muss man fragen, inwieweit sich die Kirchen zu politischen Fragen äußern sollten. Und diese Frage stellt sich auch heute. Wenn man der Auffassung ist, die Kirchen hätten sich damals unbedingt einmischen müssen, dann müsste dieses Recht der Einmischung (gelegen oder ungelegen) auch heute zugebilligt werden. Zur Seligsprechung von Kardinal Graf von Galen Zum Unterrichtsverlauf EINSTIEG M1 Die Kirche – ein Zeichen des Heils M2 Ausrottung Textarbeit An den Anfang der kleinen Reihe sollte der Text aus dem Synodenbeschluss gestellt werden, um den Anspruch aufzuzeigen, der sich aus der Botschaft des Neuen Testaments ergibt. Die Kirche soll Unrecht benennen, so heißt es da unter anderem. Der Blick in die Kirchengeschichte zeigt aber, dass die Kirche diesem Anspruch oft nicht gerecht wird. Den Schülerinnen und Schülern kann schon auf diesem Weg nahe gebracht werden, dass es die einzelnen Menschen sind, die in der Verantwortung stehen. Die Unvollkommenheit des Einzelnen führt zu Situationen, die später Geborenen zeigen, dass es nicht um „Schwarz” und „Weiß”, um „Richtig” und „Falsch“ geht, sondern darum, wie die Menschen, die in eine bestimmte Situation gestellt sind, in ihrer Unzulänglichkeit entscheiden. Erziehung, Lebenseinstellungen, Ängste, Sehnsüchte und vieles mehr führen zu Entscheidungen. M 2 bietet dazu die kontrastierende Folie. HINTERGRUNDRECHERCHE M3 Formen und Symbole M4 Erlösende Lehre arbeitsteilige Gruppenarbeit, Internetrecherche In drei Gruppen recherchieren die Schülerinnen und Schüler zu den Themenbereichen aus M 3 und M 4 sowie zum Bolschewismus. Ausgangsseite für alle drei Gruppen kann http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialismus sein. RELIGION betrifft uns Seligsprechung Kardinal Graf von Galen 2005 2 MATERIALIEN ERARBEITUNG M5 Überwindung des Kommunismus in Spanien M6 Gerechtigkeit M7 Anzeige wegen Mordes Textarbeit, Internetrecherche Ein Beispiel für ein entschiedenes und vorbildliches Lebenszeugnis bei aller Unvollkommenheit der eigenen Person ist Graf von Galen. Die Texte benennen seine Wertungen und Reaktionen. Dabei sollte deutlich werden, dass er auf der einen Seite das NS-Regime in seinem Kampf gegen den Bolschewismus unterstützt, auf der anderen Seite aber im Laufe der Zeit erkennen muss, dass es sich um ein Unrechts-Regime handelt. Die Schülerinnen und Schüler können Hintergrundrecherchen anstellen. So bietet das Bistum Münster hilfreiche Informationen an: www.bistummuenster.de/index.php?myELEMENT=79904. Weitere Information zur Person: www.bautz.de/bbkl/g/galen_c_a.shtml. Auf Grundlage der Recherchen kann auch geprüft werden, ob Kardinal Graf von Galen im Nachhinein als Person der Geschichte zu sehr verklärt wurde oder ob Personen mit all ihren Stärken und Schwächen als besondere Vorbilder gelten können – nicht „Schwarz-Weiß”, sondern „Grau”, also Menschen wie Graf von Galen. VERTIEFUNG M8 NAPOLA – Elite für den Führer Filmbetrachtung Von Bedeutung ist, den Schülerinnen und Schülern klar zu machen, wie verführerisch das NS-Regime agierte, aber auch, wie sehr es vor allem junge Menschen zu vereinnahmen suchte. Hier kann der aktuelle Kinofilm NAPOLA eine interessante Ergänzung zum Unterricht sein (vgl. www.constantinfilm.de): Deutschland 1942.In seinen Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (Napolas) und Eliteschulen verfolgte Hitler das wahnhafte Ziel der Züchtung des neuen Herrenmenschen: „In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich … Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein … Stark und schön will ich meine Jugend … So kann ich das Neue schaffen!“ (Adolf Hitler). Zum Inhalt des Films Das Hitler-Regime ist auf dem Höhepunkt seiner politischen und militärischen Macht. Der 17-jährige Friedrich Weimer (Max Riemelt) aus dem Berliner Arbeiterbezirk Wedding ist ein begabter Boxer. Sein Talent öffnet ihm die Türen zu einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt, der NAPOLA Allenstein, wo die zukünftige Elite des großdeutschen Reiches herangezogen werden soll. Friedrich sieht die Chance seines Lebens, sich von seinen Klassenschranken zu befreien und meldet sich gegen den Willen seiner Eltern in der alten Ordensburg an. In der ihm fremden Welt, beherrscht von nationalsozialistischer Zucht und Ordnung, erfährt er harten Konkurrenzkampf und unerwartete Kameradschaft. Bis ein grausamer Einsatz gegen entflohene Kriegsgefangene und die wachsende Freundschaft zu dem stillen und sensiblen Albrecht Stein (Tom Schilling), dem Sohn des Gauleiters, ihn vor eine Wahl stellen, die auch das Ende seiner Jugend bedeutet. ABSCHLUSS M9 Schuldbekenntnis Diskussion, Positionierung Zum Abschluss der Reihe diskutieren die Schülerinnen und Schüler darüber, wo die Kirche heute ihre Meinung geltend macht bzw. inwieweit es gesellschaftlich erwünscht ist, dass sie es tut. Als jüngere Beispiele hierzu sind immer noch die Frage des Antijudaismus in Deutschland zu benennen (vgl. „Religion betrifft uns“ 5/2004) wie auch der Umgang mit behinderten, mit noch nicht geborenen und sterbenden Menschen. RELIGION betrifft uns Seligsprechung Kardinal Graf von Galen 2005 3 MATERIALIEN M1 Die Kirche – ein Zeichen des Heils Als Christen glauben wir an den Heilswillen Gottes für alle, an die brüderliche Gemeinschaft der Menschen als ein Ziel der Geschichte. Mit seiner Botschaft vom Reiche Gottes bezeugte Jesus die Verheißung einer verwandelten Welt, in der es keine Armut, keinen Hunger, keine Trauer, keine Unterdrückung, kein Leiden und keine Unfreiheit mehr geben wird. Gott „bereitet eine neue Wohnstätte und eine neue Erde“, auf der „die Gerechtigkeit wohnt“, die „jede Sehnsucht nach Frieden in den Herzen der Menschen erfüllt und übertrifft“ (Gaudium et spes 39). Diese neue Erde ist in ihrer letzten Vollendung unverfügbare Tat Gottes, gnadenhaftes Ereignis und nicht einfach das Ergebnis sozialen Fortschritts. Die Wirklichkeit der künftigen Welt soll jedoch schon jetzt – zumindest ansatzweise – konkrete Gegenwart werden: durch menschliches Han- M2 deln, das mit dem Heilshandeln Gottes zusammenwirkt, um die Erde zu erneuern. Gewiss müssen – in einer Welt nahen Unheils – die politischgesellschaftlichen Verhältnisse, die eine solche Welt verursacht haben, grundlegend geändert werden; vor allem aber müssen sich im Denken und Verhalten die Menschen ändern, wenn den vorhandenen Gefahren menschenwürdig begegnet werden soll. Die Kirche – als Volk Gottes in der Geschichte – hat von ihrem Selbstverständnis her den zentralen Auftrag, mit prophetischer Kraft das, was Unrecht ist und Angst macht, offen beim Namen zu nennen, auf jene Änderungen, die dem Kommen der neuen Welt Gottes dienen, zu drängen und sie selber im Geiste Jesu beispielhaft zu leben. Tut sie das nicht, wird sie untreu gegenüber Gott und unglaubwürdig für die Welt. Sie würde sich in diesem Fall der verheißenen Heilsgeschichte der Menschen versagen und an deren Leiden oder gar Tod mitschuldig werden. Wenn also die endzeitliche Erneuerung der Welt im einzelnen Menschen und in den gesellschaftlichen Strukturen schon durch unser gegenwärtiges Handeln beginnen soll, dann müssen alle Christen entschieden und nachhaltig daran arbeiten, Armut und Krankheit, Ausbeutung und Unfrieden zu verringern, d.h. jede Form von Knechtschaft aufzuheben. Eine solche Umgestaltung der Welt gehört zur Wahrheit des Evangeliums. An diese Wahrheit stets zu erinnern und sie in der Geschichte lebendig zu erhalten, ist der Kirche als dem Zeichen des Heils aufgegeben. Christliche Verkündigung vom Anbruch des Reiches Gottes und sozialen Engagement in der Nachfolge Christi sind dabei nicht zu trennen. aus dem Synodenbeschluss „Entwicklung und Frieden“, Beschlüsse der Vollversammlung, Offizielle Gesamtausgabe, S. 472f. Ausrottung … Mit den Konfessionen, ob nun diese oder jene: das ist alles gleich. Das hat keine Zukunft mehr. Für die Deutschen jedenfalls nicht. Der Faschismus mag in Gottes Namen seinen Frieden mit der Kirche machen. Ich werde das auch tun. Warum nicht? Das wird mich nicht abhalten, mit Stumpf und Stiel, mit allen seinen Wurzeln und Fasern, das Christentum in Deutschland auszurotten. … Für unser Volk aber ist es entscheidend, ob sie den jüdischen Christusglauben und seine weichliche Mitleidsmoral haben oder einen starken heldenhaften Glauben an Gott in der Natur, an Gott im eigenen Volke, an Gott im eigenen Schicksal, im eigenen Blute. Lassen Sie das Spintisieren. Ob nun Altes Testament oder Neues, ob bloß Jesu Worte wie der Houston Stewart Chamberlain will: alles das ist doch derselbe jüdische Schwindel. Es ist alles eins und macht uns nicht frei. Eine deutsche Kirche, ein deutsches Christentum ist Krampf. Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein. … Was werden soll, fragen Sie? RELIGION betrifft uns Das will ich Ihnen sagen: verhindern, dass die Kirchen etwas anderes tun, als was sie jetzt tun. Nämlich Schritt für Schritt Raum verlieren. Was glauben Sie, werden die Massen jemals wieder christlich werden? Dummes Zeug. Nie wieder. Der Film ist abgespielt. Da geht niemand mehr herein. Aber nachhelfen werden wir. Die Pfaffen sollen sich selbst ihr Grab schaufeln. Sie werden ihren lieben Gott an uns verraten. Um ihr erbärmliches Gelumpe von Stellung und Einkommen werden sie alles preisgeben … Sie werden anstatt des Blutes ihres bisherigen Erlösers das reine Blut unseres Volkes zelebrieren; sie werden die deutsche Ackerfrucht als heilige Gabe empfangen und zum Symbol der ewigen Volksgemeinschaft essen, wie sie bisher den Leib ihres Gottes genossen haben … Die katholische Kirche ist schon etwas Großes. Herr Gott, das ist eine Institution, und es ist schon was, an die zweitausend Jahre hier auszudauern. Davon müssen wir lernen … Aber nun ist ihre Zeit um. … Zu simplen Verbrechern werden wir sie stempeln. Ich werde ihnen die ehrbare Maske vom Gesicht reißen. Und wenn das nicht genügt, werde ich sie lächerlich und verächtlich machen … Adolf Hitler am 6. Juli 1933 Seligsprechung Kardinal Graf von Galen 2005 4 M3 MATERIALIEN Formen und Symbole Der Zyniker Goebbels registrierte aufmerksam die Stellungnahmen der deutschen Bischöfe zu aktuellen Fragen und bedachte sie nicht selten mit Spott. Zu einem Hirtenbrief des Jahres 1935, in dem zum Gebet „für das Vaterland und seine Lenker” aufgefordert wurde, schrieb er: „Na, die beten, wir handeln.” Im gleichen Jahr 1935 bedauerte Goebbels in seinem Tagebuch: „Eine Kirche sind wir leider noch nicht”, er schloss damit an eine Parole an, die er nach einer Geheimrede Hitlers vor den Gauleitern am 5. August 1933 in seinem Tagebuch formuliert hatte: „Scharf gegen die Kirchen. Wir werden selbst eine Kirche werden.” Der Gedanke kehrt in seinen Aufzeichnungen häufig wieder; die Absicht, bewährte Formen und Symbole der alten Kirche in den Dienst dieser eigenen “Kirche” zu stellen, ist unverkennbar. In den Plänen für den Neubau von Berlin gibt es keine Kirchen, aber Glocken in der monumentalen Kuppelhalle. Der Reichsparteitag 1937 ist für Goebbels „eine fast religiöse Feier”. Otto B. Roegele, Die Tagebücher von Joseph Goebbels werden veröffentlicht. Eine Kirche sind wir leider noch nicht. In: Rheinischer Merkur/Christ und Welt Nr. 33 vom 14. August 1987 Arbeitsaufträge für die Gruppenarbeit M4 Erlösende Lehre Der christlichen Lehre von der unendlichen Bedeutung der menschlichen Einzelseele und der persönlichen Verantwortung setze ich mit eiskalter Klarheit die erlösende Lehre von der Nichtigkeit und Unbedeutendheit des einzelnen Menschen und seines Fortlebens in der sichtbaren Unsterblichkeit der Nation gegenüber. An die Stelle des Dogmas von dem stellvertretenden Leiden und Sterben eines göttlichen Erlösers tritt das stellvertretende Leben und Handeln des neuen Führergesetzgebers, das die Masse der Gläubigen von der Last der freien Entscheidung entbindet. Hitler in einem Gespräch 1940 A Recherchieren Sie zu den Formen und Symbolen, derer sich die Nationalsozialisten bedienten. B Finden Sie heraus, welche religiösen Elemente sich in den Veranstaltungen und Äußerungen des nationalsozialistischen Regimes widerspiegeln. C Beschreiben Sie, was unter „Bolschewismus“ zu verstehen ist. RELIGION betrifft uns Seligsprechung Kardinal Graf von Galen 2005 5 MATERIALIEN M5 Überwindung des Kommunismus in Spanien So hat der gottlose Kommunismus und Bolschewismus durch mehr als drei Jahre in Spanien gewütet! Das war der Feind, der mit Gottes Hilfe jetzt gänzlich besiegt und seiner Macht beraubt ist. Welche Gefahren wären dem christlichen Abendland, auch unserem Volk, ja der ganzen Welt erwachsen, wenn Moskau gesiegt und ein neues Zentrum der kämpfenden Gottlosigkeit und der zersetzenden Wühlarbeit in allen christlichen Staaten diesseits und jenseits der Meere im Südwesten Europas errichtet und ausgebaut hätte! Darum stimmen wir mit dem heldenhaften und befreiten spanischen Volk in den Jubel ein und in den Dank gegen Gott, der den tapferen Kämpfern gegen die Scharen des Antichrists den Sieg geschenkt hat. Möge in Spanien und in allen Völkern von jetzt an Christus herrschen mit seiner heiligen Lehre … Münster, den 1. April 1939, Clemens August, Bischof von Münster. Vorstehendes Hirtenwort ist zu verlesen am Ostersonntag im Hauptgottesdienst, an dessen Schluss das Te Deum zu singen ist. M6 Gerechtigkeit … Ich hatte bereits am 26. Juli bei der Provinzialverwaltung der Provinz Westfalen, der die Anstalten unterstehen, der die Kranken zur Pflege und Heilung anvertraut sind, schriftlich ernstesten Einspruch erhoben. Es hat nichts genutzt. Und aus der Heil- und Pflegeanstalt Warstein sind, wie ich höre, bereits 1800 Personen abtransportiert worden … Der physischen Übermacht der Gestapo steht jeder deutsche Staatsbürger schutzlos und völlig wehrlos gegenüber! … Keiner von uns ist sicher, und mag er sich bewusst sein, der treueste, gewissenhafteste Staatsbürger zu sein, mag er sich völliger Schuldlosigkeit bewusst sein, dass er nicht eines Tages aus seiner Wohnung geholt, seiner Freiheit beraubt, in den Kellern und Konzentrationslagern der Gestapo eingesperrt wird … Meine Christen! Die Gefangensetzung vieler unbescholtener Personen ohne Verteidigungsmöglichkeit und Gerichtsurteil, … die Aufhebung der Klöster und die Ausweisung schuldloser Ordensleute, unserer Brüder und Schwestern, nötigen mich, heute öffentlich an die alte, niemals erschütterte Wahrheit zu erinnern: Iustitia est fundamentum regnorum. Die Gerechtigkeit ist das einzige tragfeste Fundament aller Staatswesen! Das Recht auf Leben, auf Unverletzlichkeit, auf Freiheit ist ein unentbehrlicher Teil jeder sittlichen Gemeinschaftsordnung … darum erhebe ich im Namen des rechtschaffenen deutschen Volkes, im Namen der Majestät der Gerechtigkeit, im Namen des Friedens … meine Stimme, darum rufe ich laut als deutscher Mann, als ehrenhafter Staatsbürger, als Vertreter der christlichen Religion, als katholischer Bischof: Wir fordern Gerechtigkeit! Graf von Galen, Bischof von Münster, in einer Predigt in der Lambertikirche am 3. August 1941 Arbeitsauftrag Beziehen Sie von Galens Wahlspruch „Nec laudibus nec timore“ (unbeirrt von Menschenlob und -tadel – frei übertragen: lass dich in deinem Handeln nicht von dem abbringen, was du als wahr erkannt hast) auf seine Positionen. Bischof Clemens August Graf von Galen in einer Predigt am 13. Juli 1941, in: Heinrich Portmann, Kardinal von Galen. Ein Gottesmann seiner Zeit. Mit einem Anhang „Die drei weltberühmten Predigten”, AschendorffVerlag, Münster 13. Auflage 1974, S. 331ff M7 Anzeige wegen Mordes Noch hat Gesetzeskraft der § 211 des Reichsstrafgesetzbuches, der bestimmt: „Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft”. Wohl um diejenigen, die jene armen, kranken Menschen, Angehörige unserer Familien, vorsätzlich töten, vor dieser gesetzlichen Bestrafung zu bewahren, werden die zur Tötung bestimmten Kranken aus der Heimat abtransportiert in eine entfernte Anstalt. Als Todesursache wird dann irgendeine Krankheit angegeRELIGION betrifft uns ben. Da die Leiche sogleich verbrannt wird, können die Angehörigen und auch die Kriminalpolizei es hinterher nicht mehr feststellen, ob die Krankheit wirklich vorgelegen hat und welche Todesursache vorlag. Es ist mir aber versichert worden, dass man im Reichsministerium des Innern und auf der Dienststelle des Reichsärzteführers Dr. Conti gar keinen Hehl daraus mache, dass tatsächlich schon eine große Zahl von Geisteskranken in Deutschland vorsätzlich getötet worden ist und in Zukunft getötet werden soll. Das Reichsstrafgesetz- buch bestimmt aber in § 139: „Wer von dem Vorhaben eines Verbrechens wider das Leben … glaubhafte Kenntnis erhält und es unterlässt, der Behörde oder den Bedrohten hiervon zur rechten Zeit Anzeige zu machen, wird … bestraft” … Als ich von dem Vorhaben erfuhr, Kranke aus Mariental abzutransportieren, um sie zu töten, habe ich am 28. Juli bei der Staatsanwaltschaft, beim Landgericht in Münster und beim Polizeipräsidenten in Münster Anzeige erstattet … Graf von Galen, Bischof von Münster, 1941 Seligsprechung Kardinal Graf von Galen 2005 6 M8 MATERIALIEN Konflikt Die katholischen Bischöfe befanden sich gegenüber dem nationalsozialistischen Regime in einem inneren Konflikt. Die Gefahr des Bolschewismus sollte unbedingt abgewehrt werden. Er galt als Todfeind der staatlichen Ordnung und als Werk des Satans (Beispiel: Spanien). Da das „Dritte Reich” den Bolschewismus bekämpfte, unterstützte die katholische Kirche diesen Kampf. Auf der anderen Seite stand die Sorge der katholischen Kirche wegen des Misstrauens des Regimes, der Propagierung einer neuen Religion und der damit verbundenen M9 Hetze gegen die Kirche. In diesem Zusammenhang sah die katholische Kirche auch den Kampf um die Schulen – auch und gerade die Schulen in kirchlicher Trägerschaft. So bestand – zu Recht – die Furcht, auch die katholische Kirche solle vernichtet werden. Anklage von Seiten der Kirche bzw. einzelner Kirchenführer wurde erhoben gegen die Willkür der Gestapo, die Festnahme unbescholtener Mitbürger, die Verletzung der Menschenrechte und viele Ungerechtigkeiten. Das NS-Regime ging zu weit. Napola – Elite für den Führer Was haben Sie gelernt aus der Beschäftigung mit dieser Zeit? Ich habe klarer realisiert, was es heißt, im Krieg zu stehen, jemanden zu erschießen, in dieser Zeit zu leben. Wie schwer die Verhältnisse waren, ist mir bewusster geworden. Man fühlt sich auch anders mit den Klamotten, die man trägt. In Uniform nimmt man eine andere Haltung ein. Der Film zeigt deutlich, wie Verführung vonstatten geht. Man kann sich selbst damit identifizieren und muss sich fragen: Wie hätte ich mich verhalten? Max Riemelt, Hauptdarsteller aus „NAPOLA“ Ein Film um ein historisches Thema – ist das heute noch interessant? Der Film ist zeitgemäß, weil er eine universelle Frage stellt: Was kann ich mit meinem Gewissen vereinbaren und womit kann ich nicht mehr leben? „NAPOLA – Elite für den Führer“ ist kein Historienfilm, sondern handelt von allgemeingültigen Werten und zwischenmenschlichen Beziehungen. Tom Schilling, Hauptdarsteller aus „NAPOLA“ Birgt das Thema nicht die Gefahr, gewisse Aspekte des Systems zu glorifizieren? Ziel eines solchen Film muss sein, dass ich als Zuschauer die Hauptfiguren wirklich verstehen kann, auch und gerade auf der emotionalen Ebene. Erst dadurch wird der Konflikt und das System Faschismus deutlich spürbar: Erliege ich der Faszination, oder versuche ich Mensch zu bleiben und wende mich ab. Das ist der Dreh- und Angelpunkt, wo ich den Zuschauer wirklich packen kann und für heutige Verführungen sensibilisieren kann. Denn die Mechanismen sind letztlich immer die gleichen. Von einer Glorifizierung kann keine Rede sein; am Ende des Films wird das dem Zuschauer zweifelsfrei deutlich: Es ist ein Unrechtsystem, das die barbarischen Seiten in mir selbst hervorkitzelt. Wir alle fragen uns doch heute noch, wie es dazu kommen konnte. Vor allem die junge Generation, denen ich verständlich machen will, wie die Generation damals fühlte. Dennis Gansel, Drehbuchautor und Regisseur von „NAPOLA“ Sie haben einen historischen Hintergrund gewählt, um eine auch heute noch aktuelle Geschichte zu erzählen… Ja, der historische Hintergrund hat uns besonders interessiert. Das konnte man nicht trennen, weil die Napola an sich auch eine Hauptfigur ist. Dieses System ließ sich so nicht in die Gegenwart übertragen. Wussten Sie, was Sie erwartet? Ich wusste nicht genau, was damals in diesen Eliteschulen stattgefunden hat, die Härte und auch den Menschenverachtung die das System für seine Kinder hatte. Entsetzlich. Fasziniert hat mich bei der Beschäftigung mit dem Thema auch, dass es auch Napolas für Mädchen gab. Das fand ich unvorstellbar. Viola Jäger, Produzentin von „NAPOLA“ RELIGION betrifft uns Seligsprechung Kardinal Graf von Galen 2005 MATERIALIEN M 10 7 Schuldbekenntnis Unser Volk hat lange gebraucht, um sich der Verantwortung für das monströse Verbrechen zu stellen, das von Deutschen und im deutschen Namen begangen wurde. Bis heute sind Mechanismen der Verdrängung wirksam. Zweifellos ist es richtig, die Vorstellung einer Kollektivschuld abzulehnen. Wahr ist aber auch, dass sich weit mehr Deutsche persönlich schuldig gemacht haben, als ihre Mitschuld einzugestehen bereit waren. RELIGION betrifft uns Schuld tragen nicht allein die Täter vor Ort und die politische Führung. In verschiedenem Grad haben auch die Mitläufer und alle diejenigen, die weggesehen haben, Mitschuld auf sich geladen. Dabei wissen wir sehr wohl, welchem Druck die Bevölkerung damals ausgesetzt war, wir kennen das Ausmaß staatlicher Desinformation und die Wirksamkeit der Methoden von Einschüchterung und Verängstigung. Überheblichkeit im Urteil ist uns deshalb nicht gestattet. Dennoch bleibt unserem Volk das Eingeständnis zugemutet, dass Auschwitz auch deshalb möglich wurde, weil zu wenige den Mut zum Widerstand hatten. Die Frage von Mitverantwortung stellt sich auch unserer Kirche. Wir sind gehalten, uns über eine lange Tradition des Antijudaismus unter den Christen und in unserer Kirche Rechenschaft abzulegen. So hat das vatikanische Dokument Wir erinnern im März 1998 die Frage aufgeworfen, „ob die Verfolgung der Juden nicht doch auch von antijüdischen Vorurteilen begünstigt wurde, die in den Köpfen und Herzen einiger Christen lebendig waren“. Das Schuldbekenntnis der Katholischen Kirche, vor aller Welt am 12. März 2000 von Papst Johannes Paul II. ausgesprochen, enthält auch das „Schuldbekenntnis im Verhältnis zu Israel“: „Lass die Christen der Leiden gedenken, die dem Volk Israel in der Geschichte auferlegt wurden. Lass sie ihre Sünden anerkennen, die nicht wenige von ihnen gegen das Volk des Bundes und der Verheißungen begangen haben.“ aus der Erklärung der deutschen Bischöfe aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 2005 Seligsprechung Kardinal Graf von Galen 2005 8 MATERIALIEN Literatur Günter Beaugrand, Ein Leben im XX. Jahrhundert. Begegnungen und Gespräche mit Christoph Bernhard Graf von Galen auf Haus Assen/Lippetal, Werl 1999. Ders., Kardinal von Galen. Der Löwe von Münster (= Schriftenreihe zur religiösen Kultur, Band 5), Münster 4 1996. Max Bierbaum, Nicht Lob – Nicht Tadel. Das Leben des Kardinals von Galen nach unveröffentlichten Briefen und Dokumenten, Münster, 21984. 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Heribert Gruß, Hat Bischof Clemens August Graf von Galen am Passionssonntag 1942 (22.3.1942) öffentlich für die Nichtarier (Juden) protestiert? Eine Hypothese, aus Bischofsakten erhoben und diskutiert, in: Theologie und Glaube 81 (1991), 368-385. Heinz Hürten, Clemens August Graf von Galen, Bischof von Münster. Zu den Grundlagen seiner politischen Positionsbestimmung, in: Winfried Becker/Werner Chrobak (Hg.), Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dieter Albrecht, Kallmünz 1992, 389-396. ders., Kardinal Clemens August von Galen – Mensch und Priester, in: Unsere Seelsorge 28 (1978), Nr. 2, 7-12. Erwin Iserloh, Clemens August Graf von Galen, in: Robert Stupperich (Hg.), Westfälische Lebensbilder, Münster 1987. 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