Automatische Prozesse bei der Zielverfolgung und Motivation Gliederung 1. Erwerb von Automatizismus 2. Goal Systems Theory (Kruglanski, 1996) 3. Kognitive Ziele und ihre Aktivierung 4. Arten von Priming 5. Prinzipien aus der sozialpsychologischen Forschung zur Selbstregulation – Goalpriming in Abgrenzung zum semantischen Priming 6. Quellen 1. Erwerb von Automatizismus Um mentale Prozesse bei der Zielverfolgung zu automatisieren, sind primär immer Bewusstsein und führende Kontrolle notwendig. Der Mensch partizipiert aktiv an seinem Leben, indem er Ziele bewusst aufstellt und die Intention besitzt, sie zu erreichen – so zum Beispiel das Klavier spielen zu erlernen. Mit der übergeordneten Absicht zur Zielerreichung begibt er sich wiederholt in Übungssituationen, die für die Durchführung nicht jede für sich einer erneuten bewussten Intention bedarf. Wichtig für den Erwerb von Automatizismus ist die wiederholte und konsistente Paarung interner Antworten oder Prozesse (einen Akkord greifen) und externer Umweltereignisse (die Wahrnehmung des dem Akkord zugehörigen Klang des Klaviers); die Rolle des Bewusstseins wird zunehmend entfernt und Erwartungen sowie das Verhalten automatisiert. Wichtig ist, dass der Prozess des Automatisierens selbst automatisch erfolgt. Nach wiederholter Wahl desselben Ziels erfolgt die Zielaktivierung und –ausführung ohne eine bewusst verfolgte Absicht (Bargh & Chartrand, 1999). 2. Goal Systems Theory (Kruglanski, 1996) Ziele sind mental repräsentiert. Nach Kruglanskis Zielsystemtheorie (Goal Systems Theory; Kruglanski, 1996; zitiert nach Bargh & Chartrand, 1999) besteht ein hierarchisches Netzwerk, in der zeitstabile menschliche Motivationen als abstraktester Level organisiert und mit zugehörigen Zielen assoziiert sind. Den Zielen sind jeweils Pläne und Strategien für eine erfolgreiche Zielerreichung zugeordnet. So kann bei einer Person nach einem Umzug in eine neue Stadt die zeitstabile Motivation bestehen, sich gut einzuleben und sich einen angenehmen Alltag zu gestalten. Zugehörige Ziele wären beispielsweise, die Sehenswürdigkeiten der Stadt und unterschiedliche Wege zur Arbeit kennen zu lernen, sich gut und erfolgreich in den neuen Arbeitskontext einzufügen und aktiv die Möglichkeiten zur Gestaltung des Nachtlebens zu entdecken. Als den Zielen zugeordnete Pläne und Strategien sind die Lektüre eines Stadtführers und Ausprobieren von Empfehlungen, die Fortbewegung mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß, die Registrierung arbeitsplatzspezifischer Gepflogenheiten sowie die Erkundung des Nachtlebens mit neu geknüpften Kontakten oder Besuch denkbar. Kruglanski (1996; zitiert nach Bargh & Chartrand, 1999) nimmt an, dass menschliches Handeln durch dauerhafte Motivationen geleitet wird und Personen aufgrund dieser zeitlichen Stabilität der Motivation konsistent die gleichen beziehungsweise ähnlichen Ziele verfolgen. Verfügbare Informationen aus der Umwelt müssen in Passung zum angestrebten Ziel wahrgenommen und verarbeitet werden; um Ressourcen zu erhalten, werden bewusste Prozesse im alltäglichen Leben nur sehr begrenzt aktiviert (Bargh & Chartrand, 1999). 3. Kognitive Ziele und ihre Aktivierung Zielaktivierung und – ausführung erfolgt also zum größten Teil automatisiert. Sind aber die Effekte, die man hierbei erhält, genauso stark wie bei der bewussten Zielauswahl? Bargh und Chartrand (1999) haben zur Klärung dieser Frage ein als „Gedächtnisstudie“ (Hamilton, Katz & Leirer, 1980; zitiert nach Bargh & Chartrand, 1999) deklariertes Experiment repliziert. In der Originalstudie wurden kognitive Ziele, also Ziele, die sich auf die Informationsverarbeitung beziehen, vorgegeben. Zwei Gruppen von Versuchspersonen erhielten schriftlich verfasste Personenbeschreibungen und die Instruktion, sich einen Eindruck von der Person zu verschaffen (Bedingung 1) beziehungsweise so viele Fakten wie nur möglich zu erinnern (Bedingung 2). Die Probanden der ersten Bedingung erinnerten signifikant mehr Eigenschaften als die Probanden der zweiten Gruppe. In der Replikationsstudie wurde auf explizite, bewusst gegebene Anweisungen verzichtet. Die Probanden beider Bedingungen mussten vor dem eigentlichen Experiment ein als „Sprachtest“ getarntes Dokument bearbeiten, mit dem das Ziel der Eindrucksbildung beziehungsweise das des Erinnerns von Fakten geprimt werden sollte. Gruppe 1 erhielt hierzu einen „Sprachtest“, der viele Wörter wie beurteilen, bewerten etc. enthielt, Gruppe 2 wurden Wörter wie merken, behalten etc. dargeboten. Im Anschluss wurde auch diesen Versuchspersonen eine Personenbeschreibung vorgelegt. Die Ergebnisse entsprachen denen der Originalstudie, wieder erinnerte Gruppe 1 signifikant mehr Eigenschaften als Gruppe 2. Bargh und Chartrand (1999) schlussfolgerten daraus, dass eine unbewusste Zielaktivierung zu den gleichen Effekten wie ein explizit vorgegebenes Ziel führt; die Probanden gaben nach der Aufklärung zum erfolgten Experiment an, sich der Aktivierung von Informationsverarbeitungszielen nicht bewusst gewesen zu sein. 4. Arten von Priming Es ist also möglich, Ziele außerhalb der bewussten Kontrolle zu aktivieren. Die Forschung zur Selbstregulation räumt dem Zielpriming („goal priming“) eine eigene Kategorie neben dem evaluativen, dem Stimmungs-, dem semantischen und dem ideomotorischen HandlungsPriming („action priming“) ein (Förster & Denzler, 2009; in Strack & Förster, 2009, S. 245249). Die Unterscheidung der Arten von Priming richtet sich nach der Frage, welche Aspekte von Informationen jeweils unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle aktiviert werden. Beim evaluativen Priming werden Primes dargeboten, die in der Regel positiv (zum Beispiel Musik) oder negativ (zum Beispiel Unfall) konnotiert sind. In jedem Versuchsdurchgang werden zwei Stimuli (Prime und Target) in so kurzem Abstand präsentiert, dass die Entdeckung des Primes keinen Einfluss auf die auf das Target bezogene Reaktion haben kann. In der kongruenten Bedingung folgt auf den Prime ein Target gleicher Valenz (zum Beispiel das Adjektiv „gut“ beziehungsweise „hässlich“ auf den Prime „Musik“ beziehungsweise „Unfall“), die Reaktionszeit auf das Target beschleunigt sich im Vergleich zur inkongruenten Bedingung (zum Beispiel Musik → hässlich), wo sie sich verlangsamt. Des evaluativen Primings bedient man sich besonders in der Einstellungsforschung, so etwa, um implizite affektive Reaktionen auf schwarze versus weiße Gesichter zu erfassen – Rückschlüsse auf individuelle Bewertungen sind möglich. Beim Stimmungs-Priming wird, etwa mittels emotionaler Filme oder Hypnose, eine unspezifische positive oder negative Stimmung induziert, Reaktionen auf Stimuli der gleichen Wertigkeit werden erleichtert. Urteile über stereotyp-kongruente Eigenschaften lassen sich durch das Primen spezifischer semantischer Kategorien ermitteln, beispielsweise durch Variation der Primes und Targets Weiße → ehrgeizig oder Schwarze → musikalisch. Eine kürzere Reaktionszeit wird als Beleg für übereinstimmende, eine längere Reaktionszeit als Hinweis auf nicht-übereinstimmende Urteile (Weiße → musikalisch; Schwarze → ehrgeizig) interpretiert. Bislang wurde das semantische Priming genutzt, um Einstellungen zu messen und stereotypisches Wissen im Gedächtnis zu diagnostizieren, ebenso bietet es aber auch die Möglichkeit, Urteilsverzerrungen und einseitige Entscheidungen zu induzieren und daraus resultierende Konsequenzen zu untersuchen. Das Handlungs-Priming belegt, dass das Priming einer Kategorie (zum Beispiel die Kategorie „alter Mensch“) beziehungsweise das bloße Denken an eine Handlung deren Auftretenswahrscheinlichkeit erhöht. So verließen Probanden das Experimentallabor signifikant langsamer und lösten kognitiv anspruchsvolle Aufgaben schlechter als solche, die nicht mit der Kategorie „alter Mensch“ geprimt worden waren (Bless, Fiedler & Strack, 2004). 5. Prinzipien aus der sozialpsychologischen Forschung zur Selbstregulation – Goalpriming in Abgrenzung zum semantischen Priming In der Sozialpsychologie bilden das Priming von Zielen und die der Zielverfolgung unterliegenden Prozesse eine Basis für die Forschung zur Selbstregulation. Unter Selbstregulation sind der menschliche Widerstand gegenüber Versuchungen, der bewältigende Umgang mit negativen Situationen und die Vermeidung unerwünschter Zustände subsummiert (Förster & Denzler, 2009; in Strack & Förster, 2009, S.245f). Gegenüber der Selbstkontrolle, der per definitionem bewusste Prozesse zugeordnet sind, gehören zur Selbstregulation neben bewussten vor allem automatische Prozesse. Die Forschung zum Zielpriming untersucht, wie Informationen im Hinblick auf die menschliche Selbstregulation verarbeitet werden. Das Zielpriming kann trotz scheinbarer Ähnlichkeit nicht mit dem semantischen Priming gleichgesetzt werden, Förster und Denzler (2009; in Strack & Förster, 2009, S. 245-249) postulieren sieben differenzierende Prinzipien. Erstens impliziert das Goalpriming Werte – so ist die Valenz von Essen bei Hungrigen hoch und sie reagieren verstärkt auf nahrungsbezogene Primes, die das Ziel des Sattwerdens aktivieren. Dieses Ziel ist für Gesättigte nicht relevant, es besitzt keine Wertigkeit und die Reaktionszeiten auf gleiche Primes beschleunigen sich im nicht-hungrigen Zustand nicht. Zweitens erschöpft sich beim Goalpriming die Motivation, ein bestimmtes Ziel anzustreben, nach dessen Erreichung, und die Verfügbarkeit zielbezogener Konzepte reduziert sich. Diese Motivationsabnahme ist beim semantischen Priming nicht zu beobachten, vielmehr wird ein erhöhter Zugriff auf Prime-kompatible Informationen durch eine verstärkte Aktivierung der Gedächtnisknoten im mentalen Netzwerk ausgelöst. Drittens ist beim Priming von Zielen eine Zunahme der Motivation bei nahender Zielerreichung zu beobachten, während semantische Primingeffekte eine weniger starke Nachhaltigkeit besitzen und sich ohne weitere Gedächtnisknotenaktivierung schneller verflüchtigen. Viertens ist der Zugriff auf zielbezogene Konzepte und die Motivation, eine Zielerreichung anzustreben, abhängig von Erwartung und Wert, die multiplikativ miteinander verknüpft sind: eine Person ist nur dann motiviert, ein Ziel zu fokussieren und reagiert nur dann auf ein Ziel aktivierende Primes, wenn ihr das Ziel wertvoll erscheint und sie erwartet, es auch erreichen zu können. Es wird deutlich, dass sich die Prinzipien eins bis vier auf den instrumentellen Wert beziehen, die eine Person etwaigen Zielen beimisst, dass sich dieser Wert verändert in Abhängigkeit von der Distanz zum Ziel und die Interaktion von Erwartung und Wert ausschlaggebend ist für die individuelle Motivation, sich ein Ziel zu eigen zu machen. Die Prinzipien fünf, sechs und sieben des Goalprimings beschreiben Strukturmerkmale mental repräsentierter Ziele. Zur erfolgreichen Zielausführung muss das selbstregulatorische System andere aktive Ziele, die der Erreichung der geprimten Ziele entgegen stehen, hemmen, dies ist sowohl lateral als auch hierarchisch möglich. Bei der lateralen Inhibition werden Ziele gleicher Wertigkeit gehemmt. Bezogen auf das Beispiel unter Gliederungspunkt zwei zu Kruglanskis Goal Systems Theory (Kruglanski, 1996) kann eine Person das Ziel verfolgen, einen möglichst guten mündlichen Vortrag vor ihren neuen Arbeitskollegen zu halten. Um sich in einer knapp bemessenen Zeit effizient vorbereiten zu können, muss die Person gleichwertige Ziele, wie Sehenswürdigkeiten zu besichtigen oder das Nachtleben kennen zu lernen, vorübergehend hemmen. Die Goal Systems Theory (Kruglanski, 1996) belegt nach erfolgtem Zielpriming längere Reaktionszeiten für Ziele, die den vorab geprimten entgegenstehen. So hemmt die bloße Aktivierung eines Ziels die Verfügbarkeit interferierender Ziele. Bei der hierarchischen Inhibition aktiviert eine Person höherrangige Ziele, um die Erreichung von Zielen eines niedrigeren Ranges zu gewährleisten. Fishbach, Friedman und Kruglanski (2003; zitiert nach Förster & Denzler, 2009; in Strack & Förster, 2009, S.248) konnten zeigen, dass Personen, deren Widerstand gegenüber Versuchungen mit Wörtern wie „Sex“ oder „Drogen“ geprimt wurde, sofort höherrangige Ziele wie „Bibel“ oder „akademischer Erfolg“ aktivierten, was sich in einer beschleunigten Reaktionszeit für den hierarchisch höheren Zielen verwandte Wörter niederschlug. Die aktivierten höherrangigen Ziele hemmen Assoziationen, die mit der Versuchung, den Widerstand aufzugeben, verbunden sind und dienen so der selbstregulatorischen Verhaltenskontrolle. Es wird deutlich, dass die Inhibitionsprinzipien sechs und sieben die Informationsfokussierung bezogen auf die Erreichung angestrebter Ziele erleichtern; persönlich bedeutsame Inhalte können ohne Anstrengung aktiviert werden und eine schnelle Erfassung von Situationen wird ermöglicht. Siebtens wird das Goalpriming beeinflusst durch Äquifinalität und Multifinalität. Äquifinalität hebt die unterschiedlichen Präferenzen verschiedener Individuen hervor, das gleiche Ziel zu erreichen. Als Beispiel sei das Ziel genannt, eine neue Sprache zu erlernen: manche Personen sehen in erster Linie Filme in der neuen Sprache, andere bevorzugen entsprechende Lektüre, wieder andere präferieren einen Auslandsaufenthalt oder Sprachkurse. Das Konzept der Multifinalität meint, dass eine Handlung beziehungsweise ein Bedeutungsträger mehr als nur einem Ziel dienen kann. So kann ein Auslandsaufenthalt geplant werden, um eine Fremdsprache zu erlernen, ebenso können aber zum Beispiel auch der Erwerb von größerer Selbstständigkeit oder das Knüpfen privater und beruflicher Kontakte angestrebt werden. Es ist evident, dass eine bestimmte Handlung umso stärker ein Ziel aktivieren kann, desto weniger Handlungen assoziativ mit dem Ziel verbunden sind. Die sieben Prinzipien verdeutlichen, dass für die sozialpsychologische Forschung zu Zielen, ihrer automatischen Aktivierung und Ausführung ein anderes Repräsentationsformat im Vergleich zur Untersuchung bloßer semantischer Netzwerke vonnöten ist (Förster & Denzler, 2009; in Strack & Förster, 2009, S.245 – 249). 6. Quellen Bargh, J. A. & Chartrand, T. L. (1999). The unbearable automaticity of being. American Psychologist, 54 (7), S. 462 – 479. Bless, H., Fiedler, K. & Strack, F. (2004). Social cognition - How individuals construct social reality. Hove: Psychology Press. Strack, F. & Förster, J. (Eds.) (2009). Social cognition: The basis of human interaction. New York: Psychology Press.