Die strategischen Herausforderungen der Zukunft und ihre Auswirkungen auf das Top-Management-Profil der Jahrtausendwende Dr. Ron Sommer, Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG Rede anläßlich eines Round Table Gesprächs, Davos, 2. Februar 1998 Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Thema unserer heutigen Gesprächsrunde klingt mir etwas theoretisch. Warum sage ich das? Weil ich bei der Suche nach Top-Qualifikationen in den letzten zwei Jahren theoriemüde geworden bin. Über strategische Managementmodelle wird bereits unglaublich viel geredet und geschrieben. Die Bücherwände, die wir damit füllen, hätten längst bewirken müssen, daß die ManagementTeams großer Unternehmen allesamt perfekte Führungskräfte sind. Doch wer sich umsieht, beobachtet immer weniger wirkliche "Leader". Es gibt immer weniger Menschen, die mit Geist, Können und Charakter ihre Unternehmen nach vorne zu führen und ihre Nachwuchsmanager dabei mitzureißen verstehen. Statt auf die Frage, wie man führen solle, eine lange Liste von Literatur zu zitieren oder mit feinsinnigen Zitaten zu glänzen, wünsche ich mir mehr Menschen, die durch ihr Vorbild Antwort geben. Erwarten Sie hier und heute also keinen weiteren Beitrag zu den vielen Theorien, die man anschließend drucken und ins Regal zu den anderen Theorien stellen kann. Führe dein Unternehmen so gut du kannst, dachte ich mir. Erkläre in einfachen Worten, was du dabei erfahren hast und gib griffige Hilfen, wie andere deine Fehler vermeiden können. Doch werfen wir erst einen kurzen Blick zurück auf die Management-Theoretiker, ehe wir uns, wie Sie es von mir erwarten, dem nächsten Jahrtausend zuwenden: Im zerstörten Deutschland nach dem Kriege haben sich Theoretiker in den Vorstandsetagen der Unternehmen gar nicht zu Wort gemeldet. Vermutlich, weil ihnen ohnehin keiner zugehört hätte. Damals galt es, die Ärmel hochzukrempeln und die Wirtschaft wieder aufzubauen. Und der Erfolg blieb nicht aus: Die Schornsteine rauchten sehr schnell wieder, die Fabriken lieferten Produkte, die Menschen hatten Arbeit. Unter den staunenden Augen der Weltöffentlichkeit entstand in wenigen Jahren das, was wir heute rückblickend das Wirtschaftswunder nennen. Kaum einer hatte darüber öffentlich philosophiert. Es klappte perfekt. Die ersten Theoretiker, die sich danach meldeten - die "Eierköpfe", wie sie von den "Machern" genannt wurden - widmeten sich, oftmals ebenso umständlich wie abgehoben, der Aufgabe, fasziniert von der aufstrebenden Realität und rund um diese herum, theoretische Modelle zu entwickeln. Auf den Punkt gebracht: Nach den "Machern" der ersten Stunde kamen die "Eierköpfe", die oft nicht "machten" sondern philosophierten und erklärten. Das führte in der Folge zu zwei Entwicklungen: • Zum einen führte es zu einer Managergeneration, bei der das Prädikatsexamen in einer wissenschaftlichen Disziplin zur Voraussetzung wurde, um überhaupt für eine Führungsfunktion in Frage zu kommen. Was mindestens ebenso wichtig war, nämlich Persönlichkeit und Führungsfähigkeit, wurde an den Hochschulen nicht gelehrt und in der Praxis nicht entwickelt. Nach dem Eintritt in die Arbeitswelt mußte der Manager nur der Notwendigkeit des Führens entgehen und sich in den Unternehmen weit oben etablieren, bevor jemand merkte, daß ihm diese entscheidenden Voraussetzungen für die Top-Position fehlten. Nun wählen Manager bei der Auswahl ihres eigenen Führungskräftenachwuchses stets den eigenen Typus aus und fördern ihn. Handelt es sich um Unternehmenslenker, die selbst nicht führen können, potenziert sich somit zwangsläufig die Fehler. Das Ergebnis ist fatal; denn wachsende Führungsschwäche kennzeichnet sehr bald das Unternehmen. Die Folge waren Führungsteams, die nach theoretischen Modellen suchten, die zum Ergebnis kamen, daß nicht mehr im klassischen Sinne geführt werden durfte, sondern "gemanagt" werden mußte. Diese Modelle lieferten meist solche Leute, die das, worüber sie theoretisierten, selbst nie gemacht hatten. • Die zweite fatalen Folge der "Diktatur der Eierköpfe" war, daß immer dann guter Rat her mußte, wenn das Unternehmen auf ein Riff zu laufen drohte und in Krisen geriet. Guter Rat war auch dann gefragt, wenn die Öffentlichkeit nicht mehr akzeptieren wollte, daß Manager nur mit starrer Innensicht und ohne Rücksicht auf ihr Umfeld agierten. Wenn sie zum Beispiel Volkes lautstark artikulierten Unmut mit dem arroganten Satz quittierten: "Wie soll ich mit Leuten reden, denen ich erst einmal erklären muß, daß Emilia Galotti keine Eisdiele ist?" Was diese beiden Entwicklungen zur Folge hatten, bezeichne ich als "Berater-Unwesen". Ich bin dagegen allergisch. Werfen Sie einmal einen Blick darauf, wer viele große Unternehmen tatsächlich führt. Im Hintergrund ziehen oft Heerscharen prädikatsexaminierter Jungberater die Fäden. Sie geben dynamische Ratschläge in Angelegenheiten, die sie vornehmlich aus ihren Hauptseminar- und Examensarbeiten kennen. Weil sie aber meist mit den hochklingenden Namen international renommierter Beratungskonzerne aufwarten, ist ihnen zunächst das gläubige Zuhören gewiß. Denn ihre Zuhörer, die Manager, was sollen sie auch tun? Entweder sind sie selbst wie ihre Berater - nur nicht so berühmt - oder sie begreifen sich nur als kleine, unwissende Macher, die es günstigen Zufällen verdanken, daß die eine oder andere Arbeit geklappt hat. Dann schämen sie sich ob soviel theoretischer Power ihrer Berater und tauchen mit Schamgefühlen ab. Es soll allerdings noch Unternehmensführer geben, die ihre Manager an die Wasseroberfläche zurückholen und sagen: "Streitet euch mit den Beratern. Ich will sehen, was wirklich in euch steckt!" Und es steckt oftmals Erstaunliches an Substanz in unserem Nachwuchs. Nur - was haben die Theorien und Ausbildungsmethoden noch von dem übriggelassen, was diese prächtigen jungen Menschen an Idealen und Vorstellungen hatten, wenn sie schließlich durch die Universitäten gegangen sind und in unseren Unternehmen auftauchen? Wie haben wir sie geführt, daß sie so geworden sind? Daß sie und wir "Nieten in Nadelstreifen" genannt werden dürfen und dem Autor Günter Ogger damit eine Millionenauflage seines Buches beschert haben? Vielleicht sind Manager gar nicht so stromlinienförmig, inkompetent, geldgierig und verantwortungsscheu. Vielleicht sind sie der Öffentlichkeit und denen, für die wir uns überlegen, wie wir sie ausbilden sollen, nur hier und da so erschienen. Vielleicht haben wir die jungen Leute nur falsch oder gar nicht geführt. Meine Damen, und Herren, zumindest in Deutschland wird der Ruf nach Eliten immer lauter, - auch der Ruf nach einer neuen Wirtschaftselite. Das wundert niemanden - gehörte doch der Begriff Elite drei Jahrzehnte lang zu den unerwünschten Ausdrücken. Mit dem Ergebnis, daß wir heute keine mehr haben. Wirtschaftselite ist aber vor allem Führungselite. Wir alle wissen, daß Armeen im Krieg eine straffe Führung brauchen, die kompetent, glasklar, glaubwürdig und manchmal rigoros sein muß. Das geht nicht anders, sagen manche, denn alles andere kostet das Leben. Sie sagen aber auch: Das taugt nicht für den Frieden. Das ist schon gar nichts für die Wirtschaft! Ergo werden in Deutschland lieber Führungsmodelle gebastelt, die das Führen ersparen. Kooperative Führung ist Trumpf. Keiner traut sich zu führen, alle sollen mitentscheiden, dann braucht wenigstens niemand seine Entscheidungen allein zu verantworten, wenn das Ergebnis daneben geht. Kooperativer Führungsstil als Tarnbegriff für Entscheidungsschwäche und Verantwortungsscheu? Nein, das wäre zu einfach. Aber, wie kommt es denn - das belegt jede Befragung begabter Nachwuchstalente - , daß ausgerechnet jene Unternehmenslenker den meisten Zulauf haben, in deren Schatten man Kompetenz, Kraft und Mut spürt? Deren Aura fast automatisch positive Stimmung erzeugt und den Stolz, in der Nähe solcher Menschen arbeiten zu dürfen, von ihnen zu lernen? Solche Führungskräfte sind in den meisten Fällen ausgesprochen unbequem. Doch was sie vor anderen auszeichnet, ist die Tatsache, daß man in ihrem Umfeld wachsen kann, daß man nicht eifersüchtig erdrückt, sondern ermutigt wird. Solche Führungskräfte führen durch Fordern. Ich habe eben vom Krieg gesprochen und von dem Führungsprofil, das dort gebraucht wird: Gebraucht wird dort nicht der vielfach karikierte Kommißkopf, sondern der General - der Generalist: Sie mögen fragen, warum ich von militärischer Führungslehre und Führungskräfteausbildung rede. Ist denn das, was wir heute in der Wirtschaft erleben und bis zum Jahre 2000 noch stärker erleben werden, Krieg? Oder anders gefragt: Ist die Kunst des Managements in erster Linie eine Kriegskunst? Für Japaner jedenfalls scheint das so zu sein. Der Kollege Ferdinand Piëch war einmal ziemlich erschüttert, als er, mit dem Toyota-Chef plaudernd, seinen Gesprächspartner als "Wettbewerber" bezeichnete, und als der Japaner ihn darauf korrigierte: "Wir führen keinen Wettbewerb, Herr Piëch, sondern Krieg." Diese Sicht der Dinge ist für uns ernüchternd. Der nackte Kapitalismus, der manche Konzerne antreibt, gilt uns als peinlich. Wir pflegen ja nicht einmal von "Wettbewerber" zu sprechen, sondern wählen einen Begriff, der niemandem weh tut, und reden von "Mitbewerber". Die nachfolgende poetische Beschreibung eines deutschen Publizisten klingt uns deshalb weit kommoder in den Ohren als die harten Worte des Toyota-Chefs: "Der Manager der Zukunft orientiert sich nicht an Kriegstechniken. Ich glaube vielmehr, daß er das Unternehmen als kybernetischen Prozeß betrachten muß. Er muß fähig sein, die Gesetzmäßigkeiten, nach denen Volkswirtschaften blühen, auf sein Unternehmen zu übertragen." Wenn wir uns die Mühe machen, darüber nachzudenken, werden wir finden, daß sich beide Vorstellungen jedoch durchaus verbinden lassen. Wie immer man es sehen will: Der globale industrielle Wettbewerb ist ein gnadenloser Kampf um Märkte und Marktanteile. Es ist aber nicht erst diese Erkenntnis oder die Konsequenz daraus, daß Konzerne wie Coca Cola, mit dem "bekanntesten Markenzeichen der Welt", ihre Organisation zumindest von den Begriffen durch und durch nach militärischen Vorbildern ausrichten. Sie haben es längst vorher getan. Die Manager sind dort "officers", die Organisationen unterhalb des "headquarters" sind "divisions", beim Kampf um Märkte und Kunden begibt man sich dort "in the field"... Unser Unternehmen, die Deutsche Telekom, ist heute, wenige Tage nach Beginn des härtesten Wettbewerbes, den es in Deutschland jemals gegeben hat, mit militärischen Begriffen konfrontiert. Hat doch der Leiter der Regulierungsbehörde schon vor Monaten erklärt: "Ich bekämpfe die Telekom." Das ist - am Rande gestellt - die Frage nach dem Profil derer, die das Umfeld unserer Unternehmen darstellen und -- unter ungünstigen Bedingungen -- auch gute Managerleistungen an den Mittelmäßigkeiten eines überholten politischen Beamtentums scheitern lassen können. Zurück zu den Theorien über das Managerprofil 2000 - Theorien, die sich zum Teil von den Realitäten weit entfernen. Die Lehrmeinungen und Ratschläge werden immer philosophischer, immer "komplexer" - was wie oft ein Ausdruck der Unfähigkeit ist, die Dinge beim Namen zu nennen. Die Winde auf den Weltmärkten werden dagegen immer rauher. Die Realität fordert einen Managertypus, der heutzutage noch nirgendwo ausgebildet wird, ein Managerprofil, das noch gar nicht existiert. Ich will auch gleich fragen, ob wir überhaupt ein neues Profil brauchen, oder ob diese Forderung nicht schon wieder eine Floskel ist. Fest steht: Es gibt in Deutschland außerhalb der militärischen Generalstäbe keine wirkliche Ausbildung für den Führungsnachwuchs. Wer will den hochgebildeten Macher mit Hirn, Herz und Mut ausbilden? Das ist der Typ Manager, den wir in der Wirtschaft brauchen. Er müßte ihn nicht nur ausbilden: Er müßte ihn auch "erziehen". Schon wieder mute ich Ihnen einen negativ belasteten Begriff zu, der den Verdacht aufkommen läßt, hier wolle jemand andere "gängeln". Wer traut sich denn das zu? Und sind die, die sich das trauen, auch die, die das können? Die Schulen halten sich aus der Persönlichkeitsbildung heraus, sie unterrichten "Fächer". Die Universitäten haben meist mit den Auswirkungen ihres Tuns nichts zu tun - und daß die Hochschulen sich von der dynamischen Entwicklung auf den Weltmärkten in irgendeiner Weise aus dem Trott bringen ließen, läßt sich kaum beobachten. Wo lernen unsere Führungskräfte denn führen? Am Ende bleiben nur noch die Unternehmen selbst. Da wir Manager uns alle unter der Bezeichnung "Führungskräfte" wiederfinden, ist die Führungsaufgabe ganz offensichtlich die zentrale Aufgabe, die unser tägliches Wirken ausmacht und die wir wahrzunehmen haben. Damit müßten wir heute eigentlich über Selbstverständlichkeiten reden, wenn wir als erfahrene Führungskräfte uns über Führung verständigen wollen. Und vor allem: Wir müßten es selbst sein, an deren Vorbildern sich die Neuen orientieren können. Lassen Sie mich an einem Beispiel erläutern, wie ich das meine. Ich meine, daß Führung nicht nur nach innen, sondern vor allem auch nach außen wirken muß. Wo aber sind die Unternehmensführer, die sich in Zeiten des ewigen Nörgelns und Selbstmitleids hinstellen und Optimismus verbreiten? Glauben wir allen Ernstes, die ständig am Negativen orientierte Kritik vieler Medien an deutschen Unternehmen sei ausschließlich die Schuld böswilliger Journalisten? In dieser Beziehung klare, öffentliche Zeichen zu setzen und dafür zu sorgen, daß auch große Leistungen wieder zählen, daß darüber wieder berichtet wird, ist eine extrem wichtige Führungsaufgabe. Aber vielleicht können wir ja gar nichts dafür. Ein bekannter Trainer für Führungskräfte hat kürzlich gesagt: "Deutschlands Führungskräften in der Wirtschaft ist eines gemeinsam: Sie haben das, was ihre Bezeichnung ausmacht, nämlich Führen, am wenigsten gelernt - schon gar nicht systematisch!" So sieht er viele gute Fachleute, die in Führungsfunktionen aufgestiegen sind, häufig mit hausgemachten und amateurhaften Führungsmethoden sich selbst um die Früchte ihrer Arbeit bringen. Das ist nicht verwunderlich, denn nach den Aussagen wissenschaftlicher Untersuchungen zu diesem Thema haben kompetente Führungskräfte ihre Fähigkeiten auf einem langen, schmerzvollen, von Frust und Enttäuschungen begleiteten Weg "vor allem durch Herumprobieren, durch Versuch und Irrtum erworben". Die inneren Folgen von Führungsfehlern sind Frust, Mißerfolg und mangelnde Akzeptanz durch die nachgeordneten Mitarbeiter. Nach außen besteht das traurige Resultat solcher Defizite in einem eklatanten Mangel an Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit. Es gibt also in unserer Managerausbildung kein Ausbildungsfach "Führung" - und nur wenige geeignete Ausbilder. Und das, obwohl immer mehr Menschen Führungsaufgaben übernehmen. Der Berliner Professor Malik stellt dazu fest: "Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit haben so viele Menschen Führungsaufgaben übernommen. In modernen Unternehmen liegt der Anteil zwischen 15 und 25 Prozent der Beschäftigten." Das alles an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend - mit all dem, was uns an Herausforderungen erwartet! Meine Damen und Herren, Sie wissen, ich führe einen Telekommunikationskonzern. Die Telekommunikation ist die Branche, die am deutlichsten macht, wie schnell die technologischen Entwicklung den Menschen davonlaufen kann. Sie läuft den Verantwortlichen in den Unternehmen davon, wenn es nicht gelingt, 1. das Führungssystem effizienter zu machen, 2. das Tempo der Führungsentscheidungen drastisch zu erhöhen, 3. die Führungsvorgänge flexibler zu gestalten, und wenn es uns 4. nicht sehr schnell gelingt, unseren Führungsnachwuchs viel besser auszubilden - oder überhaupt adäquat auszubilden. Gelingt uns das nicht, wird es deutschen Unternehmen auf den Weltmärkten von morgen gar nicht gut gehen. Ich meine damit nicht die fachliche Ausbildung. Ob ein Manager als Ingenieur, Kaufmann, Jurist oder Chemiker begonnen hat, ist ziemlich nebensächlich, wenn er erst einmal eine obere Führungsposition erreicht hat. Im letzten Manager Magazin bin ich mit der Äußerung zitiert worden: "Die meisten Probleme der Deutschen Telekom sind Führungsprobleme." Es handelt sich nicht darum, daß jemand sein Fach nicht versteht oder charakterlich nicht dazu geeignet sind, Menschen zu führen. Es sind einfach Ausbildungsmängel, die hier offenkundig werden. Was glauben Sie: Gibt es sonst noch einen anderen ähnlich wichtigen Beruf wie den des Managers, in dem die Kernfähigkeiten, die dieser Beruf fordert, gar nicht oder nur ganz am Rande erworben werden können? Meine Damen und Herren, bei meinen Gedanken über die Herausforderungen an zukünftige Manager will ich gern auf die Erfahrungen unseres Konzerns einzugehen. Die Deutsche Telekom war bis vor kurzem ein Staatsunternehmen und mußte in kürzester Zeit auf Hochleistung getrimmt werden. Die frühere Behörde war nicht auf Schnelligkeit ausgerichtet. Sie war nicht auf Wettbewerb angewiesen. Sie war nicht flexibel. Sie kannte keine Kunden, sondern "Antragsteller". Die Arbeitsplätze waren gekennzeichnet von Sicherheit und Überschaubarkeit. Der Satz "Geh zum Staat, da hast du ausgesorgt!" kennzeichnete die Grundhaltung vieler Mitarbeiter. All das hat uns zunächst dort Probleme bereitet, wo es um Kundenorientierung ging. Vom hoheitlichen Gnadenakt "Ihrem Antrag wird stattgegeben" zu der Aussage zu kommen: "Wobei kann ich Ihnen helfen?" -- das war Schwerarbeit. Heute sind wir auf diesem Weg schon recht weit fortgeschritten. Das Deutsche Kundenbarometer weist aus, welchen Weg wir dabei zurückgelegt haben: Unser Weg führte von der roten Laterne 1996 (da waren wir Schlußlicht) zu einem der schnellsten Aufsteiger in der Kundenorientierung 1997. Eines war mir übrigens schnell klargeworden. Das Führungs-Potential unserer Mitarbeiter war und ist enorm. Dieses Potential galt es zu mobilisieren. Wir haben einige Anläufe gebraucht, um traditionelle, teilweise lange gelebte Gewohnheiten zu ändern. Und was haben wir gemacht? Wir haben vor allem zwei Tugenden genutzt, die Staatsunternehmen eigen sind: solides Können und hohes Pflichtbewußtsein. Diese beiden Tugenden stellen in mancher Hinsicht eine bessere Basis für einen Neuaufbau dar, als das smarte Jobdenken manch junger Karrieristen. Was unser Managerprofil für die Zukunft angeht, glaube ich: Auch die Loyalität zum Unternehmen kann aus dieser Tradition heraus entwickelt werden. Um auf den Märkten der Welt erfolgreich sein zu können, brauchen wir neben einem effizienten Führungssystem den Menschen, der dieses System mit Leben füllen kann. In großen Unternehmen, die Global Players sind, ist Führen auf Top-Management-Ebene eine politische Aufgabe geworden und wird es immer stärker werden. Das mag Außenstehenden etwas allgemein vorkommen, doch ich denke, Ihnen als Insidern ist klar, welche Umorientierung vor uns liegt. Wir brauchen eine wirtschaftliche Führungselite, die a) exzellent ausgebildet und b) auf ein Wertesystem hin erzogen wird, das die Überwindung politischer und kultureller Grenzen möglich macht. Was ich mit dem Hinweis auf die Bedeutung verbindlicher Werte meine, wird deutlich, wenn wir an die Auftritte internationaler Konzerne in den Ländern der Dritten Welt denken. Das Bayer-Kreuz, der Mercedes-Stern, das Telekom-T-Signet - steht alles steht überall in der Welt für die gleichen Werte - und für Werte, die dort auch akzeptabel sind? Ein neuer Wirtschaftskolonialismus darf keinesfalls bei unserem unternehmerischen Handeln herauskommen. Im Gegenteil. Wir sollten uns auf die Chance besinnen, daß Wirtschaftsunternehmen Pioniere des Wandels sind. Heute wie ehedem. Denn seit Tausenden von Jahren waren es Handel und Wandel, die grenzüberschreitend und kulturübergreifend die Welt verändert haben. Wenn ich an die ganz entscheidende Rolle der Telekommunikation denke, die die Welt derart schrumpfen läßt, daß der Software-Entwickler in Kalkutta für uns nicht weiter entfernt ist als säße er in Köln, dann sehe ich gerade auch für unser Unternehmen eine große politische Verantwortung. Der arg strapazierte Begriff Globalisierung steht für diesen Gedanken des Wandels, ist aber so verschwommen, daß er jede Interpretation zuläßt. Vom "Terror der Ökonomie" der Schriftstellerin Viviane Forrester bis hin zum weltweiten Programm Sustainable Development, zur einzigen Chance, diese Erde zu entwickeln und all ihren Bewohnern eine auskömmliche Lebensqualität zu sichern. Viele Machthaber dieser Erde befürchten, daß ein global vernetztes Wirtschaftssystem die Politik entmachten könnte. In diesem Trend sehe ich indes gravierende Vorteile. Die Globalisierung zwingt der Politik und den Regierungen eine Selbstdisziplin auf, die sie ohne diesen Druck nicht hätte. Und die Kommunikationstechnologien transportieren die Gedanken von Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung in Windeseile und unaufhaltsam über alle Grenzen der Systeme hinweg. Da helfen weder Mauern noch Stacheldraht noch Verbote. Was bedeutet dies alles für die Entwicklung eines Profils für künftige Unternehmenslenker? Welche Manager sollen die Konzerne auf diesen Zukunftsmärkten lenken? Welche Techniken sollten sie beherrschen? Brauchen sie eine Moral oder reicht es, wenn sie profitgesteuert sind? Wenn mein Nestlé-Kollege Helmut Maucher hat einmal gesagt: "Ich schaue einem Bewerber in die Augen, nicht in seine Zeugnisse!" Damit hat er gemeint: Die Macht der Persönlichkeit überwiegt alle anderen Qualifikationen. Randbemerkung: In die Zeugnisse haben seine Personalleute geschaut, bevor sie den Bewerber überhaupt zu ihm gelassen haben! Im Ernst: Persönlichkeiten werden nicht geboren, sondern erzogen. Wir könnten auch sagen: entwickelt. Orientieren -- und daran entwickeln -- können sich talentierte Menschen vor allem an Vorbildern. Es geht also gar nicht in erster Linie darum, ein neues Managerprofil zu entwickeln. Es geht darum, daß wir uns als derzeitige Top-Manager - bei allem Arbeitsdruck mehr bemühen, Vorbilder zu sein. Nichts - und damit bin ich wieder bei meinem Ausgangsgedanken - nichts ist wirkungsvoller als das persönliche Beispiel. Wenn unser Beispiel greift und zur Nachahmung reizt, wenn sich der Nachwuchs an uns orientieren kann, haben wir schon viel erreicht. Daß die Top-Manager der nächsten Generation ihren Aufgaben gewachsen sind, überlassen wir das nicht den Theoretikern, lassen Sie uns das zu unserer ureigenen Sache machen!