Anbetung und Kontemplation Im Kloster zur ewigen Anbetung 30.10.2006 Anbetung ist nicht selbstverständlich, ein Kloster, das sich der „Ewigen Anbetung“ verschrieben hat, schon gar nicht. Bei allem Bemühen, es sperrt sich was, ein allgemeiner Zugang ist nicht da, ja zum guten Teil begegnet Unverständnis und Ablehnung. Worin liegen die Schwierigkeiten? „Ich euch ehren, wofür?“ (Johann Wolfgang Goethe) Anbetung hat etwas damit zu tun, dass Gott Ehre, Lob, Dank gebührt. Und dafür sehen nicht wenige aus ihrem Leben oder mit einem Blick auf die gegenwärtige Welt keinen Grund. Ein Grund kann sein, dass sich ein Mensch selbst inthronisiert, um sein eigenes Spiegelbild kreist und keines höheren Wesens Diener sein will. Verweigerung der Anbetung ist dann eine Verweigerung der Anerkennung Gottes als Schöpfer. Die Verweigerung der Anbetung entspringt der Schwierigkeit, einem anderen die Ehre zu geben, d.h. Gott ins Zentrum treten zu lassen, weil diese Mitte vom wuchernden Ich oder von der Sorge um die eigene Freiheit besetzt ist. Der Grund für die Schwierigkeit mit der Anbetung kann ein anderer sein: Ich will mit Gott rechten, ich will vor ihm klagen, mit ihm streiten, will Antwort auf meine Fragen bekommen. Der Blick auf das Leid in der Welt, die Betroffenheit vom Bösen verwehrt die Zustimmung zur Schöpfung, lässt das „heilige – Ja – Sagen“ im Hals stec ken bleiben. Es gibt da einen Riss: kritisches Bewusstsein und/oder Anerkennung. Diese Spannung ist für viele zu einem ausschließlichen Entweder-Oder geworden. Wem die Unversöhntheit der Wirklichkeit Anlass zur Auflehnung, Kritik und Verweigerung wird, der kann nicht anbeten. Albert Camus lässt in seinem Roman „Die Pest“ Dr. Rieux sagen: Ich weigere mich einen Schöpfer anzuerkennen, der unschuldige Kinder leiden lässt. Ein dritter Grund für die Absetzung der Anbetung ist der exklusive Primat der Praxis. Anbetung geschieht ja umsonst, zweckfrei. Wenn Gebet umsonst ist, kann man etwas Nützlicheres tun, z.B. solidarisch sein, arbeiten oder auch Urlaub machen. Das ist die pragmatische Version. Die Theorie: es gehe nicht bloß darum, die Welt zu betrachten, zu bestaunen, sondern sie zu verändern. Wird Praxis exklusiv so verstanden, so ist sie heimlich atheistisch, gnadenlos. Der Mensch kann nichts von Gott empfangen, weil er sich in seiner Freiheit selbst konstituieren muss. Mit einer aktivistischen und kämpfenden Vernunft, mit dem Sturmlauf der Praxis ist aber die Gefahr verbunden, sich strategisch gegen Kommunikation und Versöhnung zu verhärten und das Erbe an passivischem Bewusstsein zu zerstören, ohne das praktische Vernunft keine wirkliche Vernunft sein kann. Kommunikation, wenn sie nicht Unterwerfung und bloße Souveränität anzielt, braucht auch das passive, integrierende Zu lassen. Gerade religiöse Traditionen wie die jüdisch-christliche können die Verschränkung von Autonomie und Hingabe[1], von Spontaneität und Aufmerksamkeit, von Freiheit und Gnade einbringen. Nicht selten war das neuzeitliche Subjekt ja unzugänglich geworden für die Zumutungen, aber auch für die Gabe des und der anderen.[2] Praxis, Tätigkeit kann auch zur Flucht werden, Flucht vor dem Aushalten seiner selbst, vor dem Dasein vor Gott, Flucht vor dem, was ist. Praxis kann Flucht in die Zerstreuung sein, in die Beschäftigung, in das Man, in das „Divertissement“ (Blaise Pascal). Verweigerung der Anbetung wäre dann der Reflex innerer Zerrissenheit, die Konsequenz eines Getriebenseins oder des Mangels an Vertrauen, des Mangels an Wohlwollen für sich und die Welt. Den Aporien der Moderne gegenüber verstärkt sich der Ruf nach einem „sabbatischen“, absichtslosen Blick: „Kontemplation ist als Restbestand fetischistischer Anbetung zugleich eine Stufe von deren Überwindung. Indem die aufleuchtenden Dinge ihres magischen An spruchs sich begeben, gleichsam auf die Gewalt verzichten, die das Subjekt ihnen zutraute und mit ihrer Hilfe auszuüben gedachte, wandelte sie sich zu Bildern des Gewaltlosen, zum Versprechen eines Glücks, das von der Herrschaft über Natur genas... Totale Zwecklosigkeit dementiert die Totalität des Zweckmäßigen in der Welt der Herrschaft, und nur kraft solcher Verneinung, welche das Bestehende an seinem eigenen Vernunftprinzip aus dessen Konsequenz voll bringt, wird bis zum heutigen Tage die existierende Gesellschaft einer möglichen sich bewusst. Die Seligkeit von Betrachtung besteht im entzauberten Zauber. Was aufleuchtet, ist die Versöhnung des Mythos.“[3] Auch Carl Friedrich von Weizsäcker, Naturwissenschafter und Philosoph, postuliert Kontemplation als Alternative zu den Aporien der Moderne: „Der Beitrag, den der Kontemplative für die Gesellschaft leistet, besteht gerade in seiner Kontemplation. Ein so fragwürdiges, intellektuell so unerleuchtetes, durch und durch ambivalentes Gebilde wie die menschliche Gesellschaft der Hochkulturen bis auf den heutigen Tag kann nur dann das Abgleiten in die Selbstzerstörung abhalten, wenn immer einige in ihr leben, die um der Wahrheit willen die Teilnahme an ihren Tätigkeiten radikal verweigern."[4] Anbetung ist die ursprünglichste Form des Betens.[5] Die Anbetung ist der lebendige Vollzug der Tatsache, dass Gott einfach hin „groß“ ist, dass Gott durch sich und in sich, der Mensch aber durch Gott und in Gottes Macht besteht. In der Anbetung sagt der Mensch: „Du bist Gott; ich bin Mensch, dein Geschöpf. Du bist der wahrhaft Seiende, aus Dir selbst; wesenhaft und ewig; ich bin durch Dich und vor Dir. Du hast alle Mächtigkeit des Wesens, alle Fülle des Wertes, alle Hoheit des Sinnes. Der Sinn meines Daseins hingegen kommt durch Dich; ich lebe aus Deinem Licht und die Maße meines Daseins sind in Dir.“ (Romano Guardini) Das ist nicht im Sinne einer Herr - Knecht Dialektik miss zu verstehen, in der der Knecht sagen würde: „Ich beuge mich vor Dir, weil Du stärker bist und ich der Schwache bin, weil Du groß bist und ich ein Wurm.“ Das wäre im Letzten Gottes und des Menschen unwürdig. Anbetung ist nicht Entfremdung, Entwürdigung des Menschen. Gott ist ja nicht nur allmächtig und all-wirklich. Er ist kein Konkurrent des Menschen. Bei Gott angekommen werden wir ja ganz Mensch sein (Ignatius von Antiochien) und „Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch“ (Irenäus von Lyon). Der Mensch ist ganz bei sich selbst, wenn er bei Gott und vor Gott da ist. Anbetung als Anerkennung Gottes stellt den Menschen radikal vor die Frage: Vor wem gehst du in die Knie: vor Gott oder vor Götzen? Es ist dem Menschen versagt, sich mit irgendetwas zufrieden zu geben, sich irgendwo zu verschanzen, das weniger ist als Gott. Weder Arbeit, noch Beruf, weder Ehe noch Familie, auch nicht Macht, Ehre, Geld, Anerkennung u. v. a sind genug. Gott allein genügt: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles vergeht, Gott bleibt derselbe. Geduld erreicht alles. Wer Gott besitzt, dem kann nichts fehlen. Gott allein genügt.“ (Teresa von Avila) Die Menschen gehen aneinander nicht bloß wegen Hass oder Gleichgültig keit kaputt, sondern auch, wenn sie einander vergötzen, wenn sie voneinander alles erwarten. Es wäre fatal, wenn ein Mensch sich selbst, andere, eine Gemeinschaft, eine Nation oder eine Rasse und Klasse vergötzt, d.h. zum letzten Prinzip erhebt. Anbeten heißt: Ich kreise nicht wie ein Löwe im Käfig umher, weil ich vergessen habe, nach oben zu blicken, sondern: Gott ist mir Mitte und Zentrum. Mit der Anbetung beginnt so auch ein geistiges Gesunden und Neubeginnen[6]. Das Dasein vor Gott ist heilend und läuternd. Wer Gott an betet, ist von Gott und nicht von sich selbst, nicht vom Leid fasziniert, nicht im Selbstmitleid verfangen und auch nicht in die eigene Traurigkeit verliebt. In Anbetung nachdenken heißt auch, gütiger zu werden. Verbitterung wird sich immer dann einstellen, wenn es an der Fähigkeit fehlt, das eigene Leben auf den Prüfstand der Glaubensreflexion zu heben. Der Verbitterte ist im Grunde selbstgerecht. – Das Kloster der Ewigen Anbetung soll ein guter Ort für Menschen mit Brüchen und mit Scheitern sein. Ihre Nöte, ihre Fragen, ihre Wunden, ihre Verletzungen erhalten ein Ohr. Durch Briefen oder Gespräche kann Heilung oder ein Neuanfang beginnen. In der Anbetung wird die Entscheidung für die geistige Ordnung des Lebens vollzogen. Diese Ordnung ist so notwendig wie die Ordnung des Raumes für den Körper, wie das Licht für die Wahrnehmung, wie die Gesetze des Denkens für das geistige Leben. Das menschliche Leben ruht auf der Wahrheit, dass Gott allein Gott ist und der Mensch Mensch, Gottes Geschöpf. In der Anbetung kann der Mensch loslassen vom Krampf der Selbstbehauptung, vom unerträglichen Druck und Erfolgszwang. Der Akt der Anbetung schenkt auch Gelöstheit und Freiheit auch im Hinblick auf religiöses Leistungsdenken und jeden Zwang zur Selbstrechtfertigung. – Viele in der Gegenwart drohen aus der Schöpfungsordnung heraus zu fallen. Die Fürbitte der Schwestern möge helfen, dass sie in der Schöpfung ihrem Schöpfer begegnen. Gott will um seiner selbst geliebt werden. Liebe sperrt sich einer Kosten-Nutzen Rechnung. Gott ist kein Kalkül, kein Rechenfaktor, kein Lückenbüßer, kein Kammerdiener, nicht bloß Aufputz für Feste. „Manche lieben Gott nur wie eine Kuh, wegen der Milch und wegen des Käses.“ (Meister Eckhart) Frei wird der Mensch nur, wenn er von selbst los kommt und lieben kann. In der Anbetung wird die „Warumlosigkeit“ der Liebe Gottes vollzogen: „Fragst Du das Leben: Warum lebst du? So antwortet es: das Leben lebt. Ich lebe, weil ich lebe.“ (Meister Eckhart) „Die Ros ist ohn' Warum, sie blühet, weil sie blühet, acht nicht ihrer selbst, acht nicht ob man sie siehet." (Angelus Silesius) Gott wird angebetet, weil er das unverbrauchbare Geheimnis ist, das der Mensch nicht begreifen, nicht fassen oder schubladieren kann. Bei ihm können wir, wie übrigens bei anderen Menschen, nicht sagen: das habe ich ohnehin schon gehört, das weiß ich ohnehin schon. Anbetung geschieht im Verweilen und setzt somit einen Kontrapunkt gegen die Hastigkeit des Lebens, gegen den ständigen Wechsel, gegen die Vielfalt der Reize, gegen die Sucht nach stän diger Abwechslung. „Wir kennen nur den, bei dem wir verweilen können, bei dem wir es aushalten. Heimat gibt es nur im Geheimnis. In der Anbetung wird schließlich vollzogen, was durch die Menschwerdung Gottes gesetzt wird: „Was ihr auch nur einem von meinen geringsten Brüdern getan habt, habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40). Anbetung steht nicht in Konkurrenz zum Tun. Anbetung als Wahrnehmung der Gegenwart Gottes wird zur Voraussetzung für zwischenmenschliche Begegnung. Ganz bei Gott sein, heißt, ganz beim Nächsten zu sein. Das Gebet des Christen ist so weit und umfassend wie das Gebot der Nächstenliebe. In der Anbetung geht es so auch um die Einübung in die Ehrfurcht vor der Ge genwart Gottes im Du, im Feind. Die Anbetung ist eine Einübung in die Feindesliebe. Ein letztes: Anbetung ist kein egoistischer Akt, sie geschieht vom Beter aus gesehen nicht nur für sich selbst. Eine gebetslose Welt würde bald eine herzlose Welt. Anbetung geschieht auch stellvertretend für jene, die aus tiefen Verwundungen heraus nicht mehr beten können oder aus Abstumpfung und Gleichgültigkeit nicht mehr wollen. „Nur noch die Beter können die Welt retten.“ (Reinhold Schneider) So ist es wichtig, dass es Oasen des Gebets gibt. Es ist wichtig, was eine Schwester gesagt hat: „Ein weites Herz für die Anliegen unserer Mitmenschen zu haben ist ein wichtiger Dienst der Nächstenliebe.“ „Die Menschheit hat die Wahl zwischen Selbstmord und Anbetung.“ (Teilhard de Chardin) „Brot ist wichtig, Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung.“ (Alfred Delp) Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck [1] Jürgen Habermas, Israel oder Athen: Wem gehört die anamnetische Vernunft? Jo hann Baptist Metz zur Einheit in der multikulturellen Vielfalt, in: Ori entierung 57 (1993), 241-244; jetzt in: Jürgen Habermas, Vom sinnlichen Ein druck zum symbolischen Ausdruck. Philosophische Essays (BS 1233), Frank furt a.M. 1997, 98111. [2] Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, Frankfurt a.M. 1983, 943. [3] Theodor W. Adorno, Minima Moralia Nr. 145 (Ges. Werke 4, 256) [4] Carl Friedrich von Weizsäcker, Der Garten des Menschlichen. Beiträge zur geschicht lichen Anthropologie, München-Wien 1977, 505. [5] Vgl. zum Folgenden Romano Guardini, Vorschule des Betens, Mainz 1986, 56-59; ders., Gebet und Wahrheit, Mainz 1988. [6] Ernst Bloch weiß um die therapeutische Wirkung der Muße und der Kontemplation: „War die Arbeit Flucht vor dem Müßiggang, um etwas andres dage gen zu schaffen oder zu gründen, so ist die Muße Krieg gegen ihn an Ort und Stelle, damit er entgiftet und substanzvoll werde. Kurz, der absolute Müßiggang ist unser Feind als Freund verkleidet, und erst allerletzt unser Freund, wenn ihn die Ar beit, vor allem die Muße erfüllt hat; in ihm selbst ist der Stachel der Arbeit.“ (Ernst Bloch, Spuren 102)